4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen "als die Analyse des Prozesses, der psychischen Struktur und Regulation menschlicher Arbeitstätigkeit im Zusammenhang mit ihren Bedingungen und Auswirkungen. Ihr Gegenstand ist die konkrete Arbeitstätigkeit als psychisch regulierte Tätigkeit; sie schließt damit - im Unterschied etwa zur arbeitswissenschaftlichen Arbeitsplatzanalyse - die konkret arbeitenden Individuen mit ein". An anderer Stelle konkretisiert FREI (1977, S. 55) die negativ akzentuierende Abgrenzung gegenüber arbeitswissenschaftlichen Arbeitsanalysen und auch gegenüber traditionellen Ansätzen der psychologischen Arbeitsanalyse, indem er den handlungstheoretischen Ansatz als "regulationsorientiert" kennzeichnet und damit unterscheidet von − "bewegungsorientierten" Ansätzen der Arbeitswissenschaft, wie etwa dem Verfahren der Analytischen Arbeitsbewertung (vgl. REFA 1972) oder vergleichbaren Arbeitsplatz-, Bewegungs- oder Zeitstudien, die sich in der Tradition der Ansätze von TAYLOR und GILBRETH auf die Erfassung elementarisierter Arbeitsabläufe beschränken. Aus psychologischer Sicht wird hiergegen eingewandt, daß sie menschliche Arbeit in zweifacher Weise simplifizieren: sie beschränken sich in behavioristischer Weise nahezu ausschließlich auf den motorischen Aspekt der Arbeit und sie verstellen sich durch die Atomisierung der menschlichen Arbeit den Blick für deren ganzheitliche Struktur (FREI 1977, S. 55; 1981, S. 11f.); − "anforderungsorientierten" Ansätzen der traditionellen psychologischen Arbeitsanalyse, wie z. B. dem "Fragebogen zur Arbeitsanalyse (FAA)" von FRIELING/HOYOS (1978) oder dem "Arbeitswissenschaftlichen Erhebungsverfahren zur Tätigkeitsanalyse (AET)" von ROHMERT/LANDAU (1979), die sich beide an den amerikanischen "Position Analysis Questionnaire (PAQ)" von MCCORMICK, JEANNERET UND MECHAM (1969; 1972) anlehnen. Kennzeichnend für diese Verfahren sei, "daß sie Arbeitsanforderungen unter dem Aspekt psychischer Erfordernisse funktional fokussieren", nicht jedoch "prozessual psychische Mechanismen im Arbeitsverhalten untersuchten" (FREI 1977, S. 55). So wird etwa gegen den FAA eingewandt, daß dieser entgegen der Annahme einer hierarchisch-sequentiellen Struktur des Handelns "Handlungen als Summe von Operationen" rekonstruiere und dabei die psychische Verlaufsstruktur der Arbeit durch eine Aufzählung der psychischen Korrelate dessen, was der Arbeitende sichtbar tut, zu erfassen versuche. Eine solche Zerlegung des Arbeitsverhaltens in einzelne "psychische Verrichtungen", die unter Umgehung subjektiver Arbeitsvoraussetzungen und Redefinitionsprozesse den Arbeitsaufgaben fest zugeordnet werden und zudem noch auf ganze Arbeitsplätze mit durchaus unterschiedliche Arbeitshandlungen bezogen seien, entspreche letztlich einer tayloristisch-behavioralen Betrachtungsweise (ebenda, S. 56ff.). Diese kritischen Einwände gegen traditionelle Formen der Arbeitsanalyse können und sollen deren Nutzen im Zusammenhang mit Fragen der organisatorischen, zeitlichen und ergonomischen Arbeitsgestaltung, der Arbeitssicherheitsforschung oder der Arbeitsbewertung nicht in Frage stellen. Die Kritik zielt vielmehr vorrangig darauf ab, daß diese Verfahren nicht geeignet sind, die grundsätzliche Einheit von Tätigkeit und Bewußtsein in ihrem funktionalen Zusammenwirken und ihrer genetischen Wechselwirkung zu erfassen und daß sie sich daher nicht dazu eignen, den Sozialisations- und Qualifikationsaspekt gesellschaftlicher Arbeit angemessen zu erfassen. Hiermit wird zugleich deutlich, daß mit der handlungstheoretisch fundierten psychologischen Arbeitsanalyse Forschungsfragen und Modellannahmen in den Vor- 305

Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen dergrund rückten, die eine starke Affinität zu berufs- und wirtschaftspädagogischen Problemstellungen aufwiesen. So postuliert etwa HACKER als "Grundanliegen der Arbeitspsychologie in der sozialistischen Gesellschaft ... [die] Beteiligung an der interdisziplinären Aufgabe der Steigerung von Effektivität und Arbeitsproduktivität bei gleichzeitiger Förderung der Entwicklung der arbeitenden Persönlichkeit durch psychologische Analyse und Bestgestaltung der Arbeitstätigkeit und ihrer Bedingungen" (1978, S. 21, Hervorhebung von mir, T.T.). Ein entsprechendes System zur "Bewertung von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen" enthält an der Spitze einer Kriterienhierarchie über den Bewertungsebenen "Ausführbarkeit" "Schädigungslosigkeit" und "Beeinträchtigungsfreiheit (Zumutbarkeit)" die Bewertungsdimension "Persönlichkeitsförderlichkeit", die im wesentlichen durch die Chance gekennzeichnet ist, im Arbeitsprozeß die eigenen Fähigkeiten einzusetzen und weiterzuentwickeln. Stärker und vor allem eindeutiger wird die Nähe zu berufspädagogischen Fragestellungen und Grundannahmen bei den Untersuchungen der Züricher Arbeitsgruppe zu den "Determinanten arbeitsimmanenter Qualifizierung" (z. B. FREI 1985). Die Beurteilung von Qualifizierungsprozessen erfolgt in diesem Konzept unter dem Aspekt, ob damit ein Beitrag zur Realisierung des menschlichen Potentials zu unterschiedlicher Lebensgestaltung im emanzipatorischen Sinne geleistet wird (ebenda, S. 90). Hierbei wird unter Berufung auf TOMASZEWSKI (1978, S. 20) ein Konzept vom Menschen "als eines autonomen Subjekts von gerichteten Tätigkeiten, fähig zur Regulierung der eigenen Beziehungen mit der Umwelt und zur Selbstregulation" zugrundegelegt (FREI 1985; ULICH/FREI 1980). Die Nähe zu unserer normativen Leitidee des "reflektierenden Handelns in balancierender Identität" ist evident. Am deutlichsten schließlich dürfte die Affinität zu berufspädagogischen Fragestellungen von der Berliner Gruppe um VOLPERT herausgearbeitet worden sein (vgl. VOLPERT 1979a; 1989), die es sich etwa im Rahmen des Forschungsprojekts VERA ("Verfahren zur Ermittlung von Regulationserfordernissen in der Arbeitstätigkeit") zum Ziel gesetzt hat, ein Verfahren zur I- dentifizierung "lernrelevanter Aspekte der Arbeitstätigkeit" zu entwickeln. Als "lernrelevant" werden dabei solche Aspekte von Arbeitsaufgaben angesehen, "die beim Individuum den Einsatz und die Weiterentwicklung komplexerer Planungs- und Handlungsstrukturen bewirken, die also 'Problemlösen' gleichzeitig fordern und ermöglichen" (VOLPERT/LUDBORZS/MUSTER 1981, S. 198). Für unsere Projektarbeit stellten diese handlungstheoretisch fundierten Konzepte zur Erfassung und Bewertung gesellschaftlicher Arbeit aus einer Reihe von Gründen einen wertvollen Bezugspunkt dar: − Zumindest in ihrer Gesamtheit verknüpfen sie theoretisch fundierte Modellierungen mit entsprechenden Operationalisierungsbemühungen, methodisch-instrumentellen Überlegungen und konkreten empirischen Studien. Sie heben sich damit wohltuend von erfahrungsfern-sterilen theoretischen Postulaten und von häufig recht theoriefern-pragmatischen Kriterienlisten zur Arbeitsbewertung oder -gestaltung ab. − Sie basieren übereinstimmend auf einer interaktionistisch-handlungstheoretischen Grundkonzeption, die Tätigkeit und Bewußtsein in nichtdualistischer Weise als miteinander verbundene Aspekte menschlicher Existenz und Daseinsgestaltung interpretiert und somit Tä- 306

Kapitel 4: <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

dergr<strong>und</strong> rückten, die eine starke Affinität zu berufs- <strong>und</strong> wirtschaftspädagogischen Problemstellungen<br />

aufwiesen.<br />

So postuliert etwa HACKER als "Gr<strong>und</strong>anliegen der Arbeitspsychologie in der sozialistischen<br />

Gesellschaft ... [die] Beteiligung an der interdisziplinären Aufgabe der Steigerung <strong>von</strong> Effektivität<br />

<strong>und</strong> Arbeitsproduktivität bei gleichzeitiger Förderung der Entwicklung der arbeitenden<br />

Persönlichkeit durch psychologische Analyse <strong>und</strong> Bestgestaltung der Arbeitstätigkeit <strong>und</strong> ihrer<br />

Bedingungen" (1978, S. 21, Hervorhebung <strong>von</strong> mir, T.T.). Ein entsprechendes System <strong>zur</strong><br />

"Bewertung <strong>von</strong> Arbeitsgestaltungsmaßnahmen" enthält an der Spitze einer Kriterienhierarchie<br />

über den Bewertungsebenen "Ausführbarkeit" "Schädigungslosigkeit" <strong>und</strong> "Beeinträchtigungsfreiheit<br />

(Zumutbarkeit)" die Bewertungsdimension "Persönlichkeitsförderlichkeit", die<br />

im wesentlichen durch die Chance gekennzeichnet ist, im Arbeitsprozeß die eigenen Fähigkeiten<br />

einzusetzen <strong>und</strong> weiterzuentwickeln.<br />

Stärker <strong>und</strong> vor allem eindeutiger wird die Nähe zu berufspädagogischen Fragestellungen <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>annahmen bei den Untersuchungen der Züricher Arbeitsgruppe zu den "Determinanten<br />

arbeitsimmanenter Qualifizierung" (z. B. FREI 1985). Die <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Qualifizierungsprozessen<br />

erfolgt in diesem <strong>Konzept</strong> unter dem Aspekt, ob damit ein Beitrag <strong>zur</strong> Realisierung<br />

des menschlichen Potentials zu unterschiedlicher Lebensgestaltung im emanzipatorischen<br />

Sinne geleistet wird (ebenda, S. 90). Hierbei wird unter Berufung auf TOMASZEWSKI (1978, S.<br />

20) ein <strong>Konzept</strong> vom Menschen "als eines autonomen Subjekts <strong>von</strong> gerichteten Tätigkeiten,<br />

fähig <strong>zur</strong> Regulierung der eigenen Beziehungen mit der Umwelt <strong>und</strong> <strong>zur</strong> Selbstregulation"<br />

zugr<strong>und</strong>egelegt (FREI 1985; ULICH/FREI 1980). Die Nähe zu unserer normativen Leitidee des<br />

"reflektierenden Handelns in balancierender Identität" ist evident.<br />

Am deutlichsten schließlich dürfte die Affinität zu berufspädagogischen Fragestellungen <strong>von</strong><br />

der Berliner Gruppe um VOLPERT herausgearbeitet worden sein (vgl. VOLPERT 1979a; 1989),<br />

die es sich etwa im Rahmen des Forschungsprojekts VERA ("Verfahren <strong>zur</strong> Ermittlung <strong>von</strong><br />

Regulationserfordernissen in der Arbeitstätigkeit") zum Ziel gesetzt hat, ein Verfahren <strong>zur</strong> I-<br />

dentifizierung "lernrelevanter Aspekte der Arbeitstätigkeit" zu entwickeln. Als "lernrelevant"<br />

werden dabei solche Aspekte <strong>von</strong> Arbeitsaufgaben angesehen, "die beim Individuum den Einsatz<br />

<strong>und</strong> die Weiterentwicklung komplexerer Planungs- <strong>und</strong> Handlungsstrukturen bewirken,<br />

die also 'Problemlösen' gleichzeitig fordern <strong>und</strong> ermöglichen" (VOLPERT/LUDBORZS/MUSTER<br />

1981, S. 198).<br />

Für unsere Projektarbeit stellten diese handlungstheoretisch f<strong>und</strong>ierten <strong>Konzept</strong>e <strong>zur</strong> Erfassung<br />

<strong>und</strong> Bewertung gesellschaftlicher Arbeit aus einer Reihe <strong>von</strong> Gründen einen wertvollen<br />

Bezugspunkt dar:<br />

− Zumindest in ihrer Gesamtheit verknüpfen sie theoretisch f<strong>und</strong>ierte Modellierungen mit<br />

entsprechenden Operationalisierungsbemühungen, methodisch-instrumentellen Überlegungen<br />

<strong>und</strong> konkreten empirischen Studien. Sie heben sich damit wohltuend <strong>von</strong> erfahrungsfern-sterilen<br />

theoretischen Postulaten <strong>und</strong> <strong>von</strong> häufig recht theoriefern-pragmatischen Kriterienlisten<br />

<strong>zur</strong> Arbeitsbewertung oder -gestaltung ab.<br />

− Sie basieren übereinstimmend auf einer interaktionistisch-handlungstheoretischen Gr<strong>und</strong>konzeption,<br />

die Tätigkeit <strong>und</strong> Bewußtsein in nichtdualistischer Weise als miteinander verb<strong>und</strong>ene<br />

Aspekte menschlicher Existenz <strong>und</strong> Daseinsgestaltung interpretiert <strong>und</strong> somit Tä-<br />

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