4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Abstraktionshierarchien, über die es möglich wird, Zusammenhänge auf verschiedenen Abstraktionsniveaus zu speichern, Einzelerfahrungen zu generalisieren, abstrakte Aussagen zu (re-)konkretisieren, Inferenz- oder Analogieschlüsse vorzunehmen usw. Sofern dies nicht im unmittelbar-funktionalen Handlungskontext des Modells erfolgt, rechnen wir es dem Lernen am Modell zu. Der zweite Aspekt des Lernens am Modell bezieht sich unmittelbar auf die Frage nach der Analogie bzw. der Diaphorie von Modell und Original und wäre in der Terminologie NEUGE- BAIUERs auf der Urteilsebene des Unterrichts anzusiedeln. Unter diesem Gesichtspunkt wäre also zu thematisieren, welche modellinduzierten Erfahrungen in welchem Maße auf das Bezugssystem zu übertragen sind bzw. welchen Merkmalen des Modells keine originalseitigen Merkmale entsprechen und welche relevanten Originalmerkmale im Modell nicht angemessen berücksichtigt worden sind. Während also der erste Aspekt des Lernens am Modell sich auf die Verdichtung und Verallgemeinerung von modellinduzierten Erfahrungen zu Aussagen über das Bezugssystem oder Original bezieht, betrifft der zweite Aspekt auf einer Metaebene Urteile über die Gültigkeit und die Gültigkeitsbedingungen dieser Aussagen. Zum Abschluß dieser systematisierenden Überlegungen muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß es sich hierbei durchgängig um analytische Kategorien handelt. Die Abgrenzungen sind als Aspektierungen zu verstehen. Im tatsächlichen Unterrichtsgeschehen sind sie sicher nicht immer trennscharf. Sie stehen vielmehr funktional in einem engen Wechselwirkungsverhältnis und entsprechend können sich Perspektivverschiebungen zwischen dem Lernen im und am Modell im Handeln des Schülers von einem zum nächsten Moment ergeben. Auch ist die Art der jeweiligen Perspektive extern oft nicht zu entscheiden. Für uns liegt die Fruchtbarkeit dieser Unterscheidung jedoch darin, daß hierüber der spezifische Nutzen und die Notwendigkeit beider Aspekte verdeutlichend auf den Begriff gebracht werden kann und daß unter didaktischem Aspekt danach gefragt werden kann, ob beide Aspekte bei der Planung des Unterichtsablaufs, bei der Gestaltung der Lernumwelt in hinreichendem Maße beachtet worden sind. 309

Kapitel 4: Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen 4.4 Kriterien zur Beurteilung der Lernrelevanz des arbeitsanalogen Lernhandelns in der Übungsfirma 4.4.1 Der Ansatz der handlungspsychologischen Arbeitsanalyse als Bezugspunkt der Analyse des Lernpotentials des arbeitsanalogen Lernhandelns in der Übungsfirma Im Verlauf unserer Projektarbeit stellte die soeben erläuterte Unterscheidung zweier Ebenen des Lernhandelns in der Übungsfirma insofern einen wichtigen Einschnitt dar, als es uns hierüber möglich wurde, die Diskussion um das Lernpotential der Übungsfirma in den wesentlich umfassenderen Kontext der Diskussion um den Zusammenhang von Arbeit und Persönlichkeitsentwicklung einzubetten. Diese Diskussion, die in ihrer kulturtheoretischen Akzentsetzung für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik eine geradezu disziplinkonstituierende Tradition hat (vgl. z. B. KERSCHEN- STEINER 1912/1959; FISCHER 1918; SPRANGER 1927; BLANKERTZ 1969), ist seit Mitte der 70er Jahre insbesondere in der Sozialisations- und Qualifikationsforschung, in der Industriesoziologie und in der Arbeitspsychologie unter dem Einfluß interaktionistischer und handlungstheoretischer Persönlichkeitskonzepte intensiv geführt worden (vgl. z. B. TIPPELT 1981; SIMON 1980; LEMPERT/HOFF/LAPPE 1979; HOFF 1987; VOLPERT 1987; OESTERREICH/VOLPERT 1987; FREI/UDRIS 1990; HACKER/SKELL 1993). Von besonderer Bedeutung für unser Anliegen ist dabei die Tendenz, der Analyse der konkreten Wechselwirkung zwischen den objektiven Arbeitsinhalten und -bedingungen, dem individuellen Arbeitsprozeß und der Auswirkungen dieser Arbeit auf die Persönlichkeitsentwicklung des Arbeitenden zunehmend mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So forderte etwa LEMPERT schon 1974 (S. 104) programmatisch, daß die Wechselwirkung zwischen Arbeit und Lernen nicht länger vorwiegend "makroanalytisch", also auf der "Ebene gesamtwirtschaftlicher und -gesellschaftlicher Prozesse sowie einzelner Regionen, Wirtschaftszweige, Berufsgruppen, Unternehmen und Abteilungen" untersucht werden sollte, sondern daß es gelte, "die Beziehungen zwischen dem Arbeiten und Lernen der Individuen und umfassenderen Strukturen und Prozessen auch auf der Ebene der arbeitenden und lernenden Individuen zu analysieren". Nur über derartige "lernorientierte Arbeitsanalysen" sei es möglich, nicht nur die individuellen Arbeits-, Lern- und Verlernprozesse angemessen zu erfassen, sondern auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge besser zu begreifen. Was bei LEMPERT noch weitgehend als Programm eines soziologisch ausgerichteten Forschungsprojekts zum "Sozialisationspotential gesellschaftlicher Arbeit" formuliert wurde, kennzeichnet zugleich ein zentrales Anliegen der handlungstheoretisch fundierten psychologischen Arbeitsanalyse, wie sie seit Beginn der 70er Jahre vor allem von den Arbeitsgruppen um HACKER an der TH Dresden, um VOLPERT an der TU Berlin und um ULICH und FREI an der ETH Zürich entwickelt worden ist. FREI (1981, S. 12) charakterisiert die psychologische Arbeitsanalyse auf handlungstheoretischer Grundlage in Anlehnung an HACKER (1978) 304

Kapitel 4: <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

<strong>4.</strong>4 Kriterien <strong>zur</strong> <strong>Beurteilung</strong> der Lernrelevanz des arbeitsanalogen Lernhandelns<br />

in der Übungsfirma<br />

<strong>4.</strong><strong>4.</strong>1 Der Ansatz der handlungspsychologischen Arbeitsanalyse als Bezugspunkt der<br />

Analyse des Lernpotentials des arbeitsanalogen Lernhandelns in der Übungsfirma<br />

Im Verlauf unserer Projektarbeit stellte die soeben erläuterte Unterscheidung zweier Ebenen<br />

des Lernhandelns in der Übungsfirma insofern einen wichtigen Einschnitt dar, als es uns hierüber<br />

möglich wurde, die Diskussion um das Lernpotential der Übungsfirma in den wesentlich<br />

umfassenderen Kontext der Diskussion um den Zusammenhang <strong>von</strong> Arbeit <strong>und</strong> Persönlichkeitsentwicklung<br />

einzubetten.<br />

Diese Diskussion, die in ihrer kulturtheoretischen Akzentsetzung für die Berufs- <strong>und</strong> Wirtschaftspädagogik<br />

eine geradezu disziplinkonstituierende Tradition hat (vgl. z. B. KERSCHEN-<br />

STEINER 1912/1959; FISCHER 1918; SPRANGER 1927; BLANKERTZ 1969), ist seit Mitte der 70er<br />

Jahre insbesondere in der Sozialisations- <strong>und</strong> Qualifikationsforschung, in der Industriesoziologie<br />

<strong>und</strong> in der Arbeitspsychologie unter dem Einfluß interaktionistischer <strong>und</strong> handlungstheoretischer<br />

Persönlichkeitskonzepte intensiv geführt worden (vgl. z. B. TIPPELT 1981;<br />

SIMON 1980; LEMPERT/HOFF/LAPPE 1979; HOFF 1987; VOLPERT 1987;<br />

OESTERREICH/VOLPERT 1987; FREI/UDRIS 1990; HACKER/SKELL 1993). Von besonderer Bedeutung<br />

für unser Anliegen ist dabei die Tendenz, der Analyse der konkreten Wechselwirkung<br />

zwischen den objektiven Arbeitsinhalten <strong>und</strong> -bedingungen, dem individuellen Arbeitsprozeß<br />

<strong>und</strong> der Auswirkungen dieser Arbeit auf die Persönlichkeitsentwicklung des Arbeitenden zunehmend<br />

mehr Aufmerksamkeit zu schenken.<br />

So forderte etwa LEMPERT schon 1974 (S. 104) programmatisch, daß die Wechselwirkung<br />

zwischen Arbeit <strong>und</strong> Lernen nicht länger vorwiegend "makroanalytisch", also auf der "Ebene<br />

gesamtwirtschaftlicher <strong>und</strong> -gesellschaftlicher Prozesse sowie einzelner Regionen, Wirtschaftszweige,<br />

Berufsgruppen, Unternehmen <strong>und</strong> Abteilungen" untersucht werden sollte, sondern<br />

daß es gelte, "die Beziehungen zwischen dem Arbeiten <strong>und</strong> Lernen der Individuen <strong>und</strong><br />

umfassenderen Strukturen <strong>und</strong> Prozessen auch auf der Ebene der arbeitenden <strong>und</strong> lernenden<br />

Individuen zu analysieren". Nur über derartige "lernorientierte Arbeitsanalysen" sei es möglich,<br />

nicht nur die individuellen Arbeits-, Lern- <strong>und</strong> Verlernprozesse angemessen zu erfassen,<br />

sondern auch die wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Zusammenhänge besser zu begreifen.<br />

Was bei LEMPERT noch weitgehend als Programm eines soziologisch ausgerichteten Forschungsprojekts<br />

zum "Sozialisationspotential gesellschaftlicher Arbeit" formuliert wurde,<br />

kennzeichnet zugleich ein zentrales Anliegen der handlungstheoretisch f<strong>und</strong>ierten psychologischen<br />

Arbeitsanalyse, wie sie seit Beginn der 70er Jahre vor allem <strong>von</strong> den Arbeitsgruppen<br />

um HACKER an der TH Dresden, um VOLPERT an der TU Berlin <strong>und</strong> um ULICH <strong>und</strong> FREI an<br />

der ETH Zürich entwickelt worden ist.<br />

FREI (1981, S. 12) charakterisiert die psychologische Arbeitsanalyse auf handlungstheoretischer<br />

Gr<strong>und</strong>lage in Anlehnung an HACKER (1978)<br />

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