4. Konzept zur analytischen Rekonstruktion und zur Beurteilung von ...

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Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Instanz besteht also darin, zwischen Diaphorie und Analogie einen angemessenen Ausgleich zu schaffen“ (NEUGEBAUER 1980, S. 55). Das Modell NEUGEBAUERs ist mit unserem Strukturmodell des Lernhandelns und der Lernsituation kompatibel. Die Verknüpfung von Handlungs-Substitution und Aussagen- Supposition ist zwanglos auf die Unterscheidung von Einwirkungs- und Rückwirkungs- („Erleidens-„)aspekt der Erfahrungsbildung und des Lernens zu beziehen. Beide konstituieren in ihrem Zusammenspiel die Qualität des Lernhandelns. Dem Prozeß der Aussagensupposition entsprechen Vorgänge der Verbalisierung, Strukturierung, Übertragung und Generalisierung von Erfahrungen, wie sie sich im Reflexions- und Systematisierungskontext des Lernhandelns ereignen. Entgegen der Darstellung NEUGEBAUERs neigen wir im Sinne eines normativen Kriteriums dazu, die Urteilsebene von vornherein auch als relevante Dimension des Lernhandelns der Schüler (wie auch des Lehrhandelns) zu interpretieren und in diesem Sinne in das didaktische System zu integrieren. Konkret würde dies vor allem bedeuten, daß der Prozeß der Aussagen-Supposition, der häufig in ideologieanfälliger Weise implizit erfolgt, ausdrücklich zum Gegenstand des Unterrichts und des Lernhandelns gemacht werden sollte. Auf diese Weise würde es möglich, reflexive Distanz zu den eigenen unterrichtlichen Erfahrungsprozessen zu schaffen und vermutlich zugleich das Bezugssystem inhaltlich tiefer zu durchdringen und sich das epistemologisch so bedeutsame Verfahren der Modellbildung anzueignen. Wir haben bisher Modelle im allgemeinen Sinne als Lernobjekte, als Objektivationen von Lerngegenständen thematisiert. Das Lernhandeln ist auf diese Modelle gerichtet, die Modelle als Ganzes werden zu Objekten, die dahinterstehenden Bezugssysteme zu Gegenständen des Lernhandelns. Bezogen auf die Handlungsform kann von einem Lernhandeln mit Modellen (im Sinne von: „unter Verwendung von“), bezogen auf die spezifische Perspektive des Lernenden auf dieses Modell von einem „Lernen am Modell“ gesprochen werden. Ein solches Lernen am Modell findet auch im Kontext der Übungsfirmenarbeit statt. Die Übungsfirma bzw. einzelne Teile oder Aspekte der Übungsfirma und ihrer Modellumwelt entsprechen als Unterrichtsobjekt dem didaktischen Modell, das Bezug nimmt auf entsprechende realwirtschaftliche Bezugssysteme. Es werden modellbezogene Aussagen generiert und im Zuge der Aussagen-Supposition auf das Originalsystem übertragen. Die Qualität dieses Vorganges wird offenbar vor allem durch das Ausmaß an Analogie zwischen didaktischem Modell und dem Bezugssystem und durch das Niveau reflexiv-distanzierter Beurteilung dieser Übertragung im Unterricht selbst bestimmt. Im Bereich der Handlungs-Substitution fällt hinsichtlich der Übungsfirmenarbeit auf, daß nur ein kleiner Teil des Lernhandelns das Modell distanziert als Objekt gedanklicher Operationen einbezieht. Zwar geschieht auch dies, und auch hierbei hat sich die Zweckmäßigkeit der Modellierung und des Ausmaßes an Diaphorie zu erweisen. So etwa in der distanziertanalytischen Beschreibung des Modells unter Verwendung besonderer Zeichensysteme, in der modellkritischen Analyse oder auch im punktuellen Zugriff auf einzelne Aspekte oder Vorgänge im Rahmen anderen Unterrichts. Hierin unterscheidet sich die Arbeit mit der Übungsfirma strukturell wenig von der Arbeit mit einem Globus, mit einem Organigramm oder anderen Modellvarianten. 301

Kapitel 4: Zur Rekonstruktion und Beurteilung von Lernprozessen Kennzeichnender für die Übungsfirma ist jedoch das zeitweilige Aufgeben dieser Distanz, ist das „Eintauchen“ in dieses Modell, das Arbeiten und Lernen im Modell. Bezogen auf das Schaubild NEUGEBAUERs bedeutet dies sozusagen eine „Verdoppelung“ des Subjektsystems, denn Lehrende und Lernende treten nunmehr auch als handelnde Subjekte im Modell auf. Und damit erweitert sich zugleich das Spektrum möglicher Handlungen, wie sich und weil sich auch die potentiellen Objekte des Handelns verändern: Es sind nicht mehr begriffliche Konzepte oder analoge Perzepte, die zum Objekt intellektueller Operationen werden, sondern vielmehr konkrete Modelle von Arbeitsobjekten, Arbeitsmitteln, Arbeitsaufgaben usw., die wiederum Repräsentanten entsprechender Elemente des Bezugssystems sind, und an denen arbeitsanaloge Lernhandlungen vollzogen werden. Aus dieser Perspektive, die bei NEUGEBAUER (ebenda, S. 67) unter dem Stichwort „Handeln in Modellen“ nur kurz angedeutet wird, ist also der Schüler als Subjekt des Modells zu verstehen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Lernhandeln im Modell bzw. kurz vom „Lernen im Modell“. In den folgenden Kapiteln sollen diese beiden spezifischen Varianten des Lernhandelns im Rahmen der Übungsfirmenarbeit näher erläutert werden. 4.3.2 Arbeitshandeln in der Übungsfirma - Lernen im Modell Mit dem Begriff des „Lernens im Modell“ soll bezogen auf den Lernort Übungsfirma eine spezifische Erfahrungsperspektive des Lernenden thematisiert werden, der eine bestimmte Form des Zielbezugs und der Gegenstandsorientierung des Lernhandelns entspricht. Innerhalb der komplexen Lernumwelt Übungsfirma werden hiermit jene Elemente und Beziehungen statischer wie dynamischer, materieller wie ideeller Art, in gegenständlicher wie symbolischer Repräsentation akzentuiert, die als dem betriebswirtschaftlich-funktionalen Modell zugehörig betrachtet werden können. Das Zuordnungskriterium ist hierbei das betriebswirtschaftlichfunktionale Handeln des Schülers, in das die genannten Aspekte etwa als Bedingungen, Voraussetzungen, Restriktionen, Erleichterungen, Vorgaben, Orientierungshilfen Eingang finden oder doch finden sollten. Wir verstehen die Schüler dabei als „aktive Elemente“ innerhalb dieses Systems oder wir interpretieren, in umgekehrter Blickrichtung, das funktionale Modell Übungsfirma als Handlungsfeld oder Handlungsmilieu von Schülern. Durch die Übernahme von Arbeitsrollen und die konkrete Ausführung kaufmännischer Tätigkeiten im Rahmen dieser modellierten Umwelt und durch das unmittelbare Erleben der Konsequenzen dieses Tuns bietet sich die Chance zum Auf- und Ausbau interner Erfahrungsmodelle und operativer Kompetenzen. Unser zentrales analytisches Anliegen gilt der Klärung der Frage nach dem Zusammenhang zwischen überindividuell gültigen Merkmalen dieser modellierten Umwelt und der Qualität möglicher Lernprozesse aus der Perspektive des Lernens im Modell. Dabei definieren drei zentrale Bestimmungen die Zweckmäßigkeit dieser analytischen Kategorie: (1) Wir reduzieren aus analytischen Gründen die komplexe und mehrschichtige Struktur der Lernumwelt Übungsfirma bewußt auf den betriebswirtschaftlich-funktionalen Systemzusammenhang und interpretieren diesen zunächst als geschlossenes Handlungs- und Erfahrungsfeld der Schüler. Damit wird vorläufig von allen Aspekten 302

Kapitel 4: Zur <strong>Rekonstruktion</strong> <strong>und</strong> <strong>Beurteilung</strong> <strong>von</strong> Lernprozessen<br />

Instanz besteht also darin, zwischen Diaphorie <strong>und</strong> Analogie einen angemessenen<br />

Ausgleich zu schaffen“ (NEUGEBAUER 1980, S. 55).<br />

Das Modell NEUGEBAUERs ist mit unserem Strukturmodell des Lernhandelns <strong>und</strong> der Lernsituation<br />

kompatibel. Die Verknüpfung <strong>von</strong> Handlungs-Substitution <strong>und</strong> Aussagen-<br />

Supposition ist zwanglos auf die Unterscheidung <strong>von</strong> Einwirkungs- <strong>und</strong> Rückwirkungs-<br />

(„Erleidens-„)aspekt der Erfahrungsbildung <strong>und</strong> des Lernens zu beziehen. Beide konstituieren<br />

in ihrem Zusammenspiel die Qualität des Lernhandelns. Dem Prozeß der<br />

Aussagensupposition entsprechen Vorgänge der Verbalisierung, Strukturierung, Übertragung<br />

<strong>und</strong> Generalisierung <strong>von</strong> Erfahrungen, wie sie sich im Reflexions- <strong>und</strong><br />

Systematisierungskontext des Lernhandelns ereignen. Entgegen der Darstellung<br />

NEUGEBAUERs neigen wir im Sinne eines normativen Kriteriums dazu, die Urteilsebene <strong>von</strong><br />

vornherein auch als relevante Dimension des Lernhandelns der Schüler (wie auch des<br />

Lehrhandelns) zu interpretieren <strong>und</strong> in diesem Sinne in das didaktische System zu integrieren.<br />

Konkret würde dies vor allem bedeuten, daß der Prozeß der Aussagen-Supposition, der häufig<br />

in ideologieanfälliger Weise implizit erfolgt, ausdrücklich zum Gegenstand des Unterrichts<br />

<strong>und</strong> des Lernhandelns gemacht werden sollte. Auf diese Weise würde es möglich, reflexive<br />

Distanz zu den eigenen unterrichtlichen Erfahrungsprozessen zu schaffen <strong>und</strong> vermutlich<br />

zugleich das Bezugssystem inhaltlich tiefer zu durchdringen <strong>und</strong> sich das epistemologisch so<br />

bedeutsame Verfahren der Modellbildung anzueignen.<br />

Wir haben bisher Modelle im allgemeinen Sinne als Lernobjekte, als Objektivationen <strong>von</strong><br />

Lerngegenständen thematisiert. Das Lernhandeln ist auf diese Modelle gerichtet, die Modelle<br />

als Ganzes werden zu Objekten, die dahinterstehenden Bezugssysteme zu Gegenständen des<br />

Lernhandelns. Bezogen auf die Handlungsform kann <strong>von</strong> einem Lernhandeln mit Modellen<br />

(im Sinne <strong>von</strong>: „unter Verwendung <strong>von</strong>“), bezogen auf die spezifische Perspektive des<br />

Lernenden auf dieses Modell <strong>von</strong> einem „Lernen am Modell“ gesprochen werden.<br />

Ein solches Lernen am Modell findet auch im Kontext der Übungsfirmenarbeit statt. Die<br />

Übungsfirma bzw. einzelne Teile oder Aspekte der Übungsfirma <strong>und</strong> ihrer Modellumwelt entsprechen<br />

als Unterrichtsobjekt dem didaktischen Modell, das Bezug nimmt auf entsprechende<br />

realwirtschaftliche Bezugssysteme. Es werden modellbezogene Aussagen generiert <strong>und</strong> im<br />

Zuge der Aussagen-Supposition auf das Originalsystem übertragen. Die Qualität dieses Vorganges<br />

wird offenbar vor allem durch das Ausmaß an Analogie zwischen didaktischem<br />

Modell <strong>und</strong> dem Bezugssystem <strong>und</strong> durch das Niveau reflexiv-distanzierter <strong>Beurteilung</strong> dieser<br />

Übertragung im Unterricht selbst bestimmt.<br />

Im Bereich der Handlungs-Substitution fällt hinsichtlich der Übungsfirmenarbeit auf, daß nur<br />

ein kleiner Teil des Lernhandelns das Modell distanziert als Objekt gedanklicher Operationen<br />

einbezieht. Zwar geschieht auch dies, <strong>und</strong> auch hierbei hat sich die Zweckmäßigkeit der<br />

Modellierung <strong>und</strong> des Ausmaßes an Diaphorie zu erweisen. So etwa in der distanziert<strong>analytischen</strong><br />

Beschreibung des Modells unter Verwendung besonderer Zeichensysteme, in der<br />

modellkritischen Analyse oder auch im punktuellen Zugriff auf einzelne Aspekte oder Vorgänge<br />

im Rahmen anderen Unterrichts. Hierin unterscheidet sich die Arbeit mit der Übungsfirma<br />

strukturell wenig <strong>von</strong> der Arbeit mit einem Globus, mit einem Organigramm oder<br />

anderen Modellvarianten.<br />

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