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Jonathan Franzen Weiter weg - Neue Zürcher Zeitung

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Utopie Das linksradikale Philosophenduo Hardt/Negri kämpft weiter für die echteDemokratie<br />

Alle Machtden Ferienlagern!<br />

Michael Hardt, Antonio Negri:<br />

Demokratie! Wofür wir kämpfen.<br />

Campus, Frankfurt a. M. 2013.<br />

127 Seiten, Fr.18.90.<br />

VonMichael Holmes<br />

Zelte und Feuer, Fahnen und Lieder. Am<br />

Tage wird Räuber und Gendarm gespielt.<br />

Abends erzählt man Geschichten<br />

von tapferen Superhelden, die fest zusammenhalten,<br />

um die Bösewichter zu<br />

vernichten und die Welt zu retten.<br />

WieFerienlager schildert das linksradikale<br />

Philosophenduo Antonio Negri<br />

und Michael Hardt die Protestcamps<br />

der Be<strong>weg</strong>ungen, die sie zur revolutionären<br />

Avantgarde erkoren haben. Ihr<br />

Hauptwerk «Empire» wurde als die<br />

Bibel der Globalisierungsgegner gefeiert.<br />

Ihre neue Kampfschrift «Demokratie!»<br />

glorifiziert die Occupy-Proteste,<br />

die arabischen Aufstände sowie die Unruhen<br />

in Frankreich und England als<br />

Spielarten einer authentischen, tiefen,<br />

lebendigen Demokratie – der «Herrschaft<br />

der Multitude».<br />

Hinter einem Wirrwarr aus Angeberwörtern<br />

verbirgt sich die alte Mär: Die<br />

repräsentativeDemokratie und der liberale<br />

Rechtsstaat verschleierten die<br />

«Kontrolle des gesamten Lebens durch<br />

den Finanzmarkt» und müssten überwunden<br />

werden. Das Kapital habe den<br />

«dauernden Ausnahmezustand» und<br />

«totalen Überwachungsstaat», ja einen<br />

«absoluten Despotismus» geschaffen,<br />

der die Gesellschaftineine Fabrik, einen<br />

Alptraum, ein Gefängnis verwandle. Die<br />

Bürgerseien hypnotisiert, korrupt, blind<br />

für ihre «unsichtbaren Ketten».<br />

Echte Demokratie lässt sich den Autoren<br />

zufolge «nur von einer Multitude<br />

verwirklichen, die in der Lage ist, sie zu<br />

verstehen.» Die Be<strong>weg</strong>ungen kommunizieren<br />

mittels Gebärden und Zurufen<br />

und erfassen «Frequenzen, die Menschen<br />

ausserhalb des Kampfes weder<br />

hören noch verstehen können». Da ihre<br />

kollektive Intelligenz das Wissen aller<br />

nutze, müsse kein Andersdenkender um<br />

seine Stimme bangen.<br />

Michael Hardt und Antonio Negriunterstreichen,<br />

dassdie Multitude Zwangsmittel<br />

gegen Konzerne und Nationalstaaten<br />

einsetzen müsse, um einen<br />

eigentumsfreien Kommunismus zu verwirklichen.<br />

Ihre Macht äussert sich in<br />

Brandstiftungen, Plünderungen und<br />

Guerillakriegen.<br />

Bleibt die Frage, warum sich der Campus-Verlag<br />

in Frankfurt dazu hergibt, die<br />

Hetzschriften dieser militanten Extremisten<br />

zu publizieren. Demokratie ist<br />

kein Kinderspiel. l<br />

Kuba Der deutsche Journalist Carlos Widmann analysiert das Phänomen Fidel Castro<br />

DerVerehrungfolgt dieAbrechnung<br />

Carlos Widmann: DasletzteBuch über<br />

Fidel Castro. Hanser,München2012.<br />

335 Seiten, Fr.27.90,E-Book 19.30.<br />

VonReinhardMeier<br />

An Fidel Castro scheiden sich die Geister<br />

–schon seit einem halben Jahrhundert.<br />

Die heutige kubanische Jugend,<br />

schreibt Carlos Widmann, habe vomRegime<br />

des alten Zuchtmeisters «die<br />

Schnauze voll». In Venezuela und in anderen<br />

lateinamerikanischen Ländern<br />

dagegen wird der Mythos des Revolutionärs<br />

und Herausforderers Amerikas<br />

von linken Populisten neu beschworen.<br />

Widmann, in Argentinien geboren und<br />

aufgewachsen, ist als welterfahrener<br />

Korrespondent mit dem Phänomen Castro<br />

und dessen streckenweise dramatischer<br />

Ausstrahlung weit über die Karibik-Insel<br />

hinaus eng vertraut. Der Titel<br />

seines Buches ist offenbar eine ironische<br />

Anspielung darauf, dass Castros<br />

Herrschaftsexperiment historisch eigentlich<br />

abgelaufen ist, auch wenn der<br />

inzwischen 86-jährige, kranke Revolutionsführer<br />

weiterhin als «charismatisches<br />

Gespenst» umhergeistert. Zeit<br />

also, für eine Abrechnung.<br />

Widmann geht es bei seiner Bilanz<br />

nicht um ideologisches Schwarz-Weiss.<br />

Er schildert packend und mit dem sicheren<br />

Blick des gewieften Reporters für<br />

signifikante Einzelheiten Kernelemente<br />

von Fidel Castros flamboyanter Persönlichkeit.<br />

Dazu gehören seine privilegierte<br />

Herkunft aus einer Grossgrundbesitzerfamilie<br />

und seine skrupellosen, mitunter<br />

stalinistischen Methoden bei der<br />

Durchsetzung seiner Machtansprüche.<br />

Der Autor verhehlt bei seiner Abrechnung<br />

nicht frühere eigene Anfälligkeiten<br />

für die romantische Verklärung<br />

der Diktatur in Kuba. Erberichtet, dass<br />

er 1969 als junger Reporter für die «Süddeutsche<br />

<strong>Zeitung</strong>» die später zum Evangelium<br />

(«Die Geschichtewirdmich freisprechen»)<br />

aufbereitete Verteidigungsrede<br />

Castros von1953 nach dem gescheiterten<br />

Sturm auf eine Kaserne «als eine<br />

der grössten rhetorischen Leistungen<br />

spanischer Sprache im 20. Jahrhundert»<br />

gefeiert hatte. Jetzt fragt sich Carlos<br />

Widmann selbstkritisch, welcher Dämon<br />

ihn damals geritten habe, denn «in<br />

Wirklichkeit troff Fidel Castros 100-mal<br />

nachgebessertes Plädoyer von Eigenlob,<br />

Opportunismus und Klischees…». Ausser<br />

Kraftmeierei sei nichts an dieser<br />

Rhetorik zu finden, «vor allem keine<br />

Substanz». l<br />

24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 25

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