Jonathan Franzen Weiter weg - Neue Zürcher Zeitung
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Operettenhafter<br />
Putschversuch der<br />
Franquistenam<br />
23.Februar 1981:<br />
Oberst Antonio<br />
Tejeromit Pistole<br />
und bewaffneten<br />
Putschistenimspanischen<br />
Parlament.<br />
Aber auch auf einer ernsthafteren<br />
Ebene gibt es sehr gute Gründe, das<br />
Buch zu lesen. Florian Homm geht gnadenlos<br />
mit sich selbst ins Gericht. Er reflektiert<br />
seinen rasanten Auf- und Abstieg<br />
mit einer Radikalität, die seinem<br />
Charakter entsprechen mag, die aber<br />
selbst in seiner von Exzentrikern bestimmten<br />
Branche ihresgleichen sucht.<br />
Homms Leben ist eine Abfolge von<br />
Exzessen. In teils derber Sprache berichtet<br />
er von Prügeleien, Drogen- und<br />
Sexeskapaden. Immer auf der Suche<br />
nach dem nächsten Kick, mit immer<br />
mehr Geld um sich schmeissend. Aber<br />
eines will sich einfach nicht einstellen:<br />
innere Zufriedenheit. «Mein Leben war<br />
äusserst intensivund technisch betrachteterfolgreich»,<br />
schreibt Homm. «Dabei<br />
fühlte ich mich leerer als eine aufgeblasene<br />
Sexpuppe.»<br />
Alles ist dem Ziel untergeordnet, die<br />
Milliarde zu schaffen. Auch eine Ehe<br />
hält so etwas auf Dauer nicht aus, so<br />
dass esschliesslich zu einer hässlichen<br />
Scheidung kommt, bei der ihm seine<br />
Frau die gemeinsame Kunstsammlung<br />
sprichwörtlich vor der Nase <strong>weg</strong>reisst.<br />
Und damit einmal in ihrem Leben<br />
schneller ist als er: Homm hatte dasselbe<br />
vor. WenigeMonate später kommt es<br />
in ihrer Beziehung zu einer weiteren<br />
eindrücklichen Szene. Homm wird in<br />
Venezuela angeschossen und schwer<br />
verletzt, wobei unklar bleibt, ob es sich<br />
um einen Raubüberfall oder ein gezieltes<br />
Attentat handelt. Er fürchtet zu verbluten.<br />
Daher ruft erseine Ex-Frau an.<br />
Undrät ihr,die Aktien seines Unternehmens<br />
zu verkaufen, bevor die Todesnachricht<br />
in den Nachrichten kommt.<br />
«Ich bin nicht völlig psychotisch und gefühlskalt»,<br />
meint Florian Homm rückblickend.<br />
«Ich war zu dem Zeitpunkt<br />
nur stark auf Finanzen fokussiert.»<br />
Das Buch enthält die implizite Botschaft,<br />
dass Geld niemals glücklich<br />
macht –wenn der Rest nicht stimmt. l<br />
wissenschaftliche Karriere schmiss, um<br />
als Ehefrau da zu sein und an der Klinik<br />
Weihnachtsveranstaltungen zu organisieren.<br />
Und zum Schluss eine Würdigung<br />
der wissenschaftlichen Leistungen<br />
Bleulers durch den Chefarzt der Psychiatrischen<br />
Uniklinik Zürich, Paul Hoff,<br />
die Thesen vorlegt, ohne dass zuvor das<br />
Material ausgebreitet worden ist, das<br />
analysiert wird. Das betrifft etwa den<br />
heiklen Punkt der Degenerationslehre.<br />
Der Herausgeber des Buches hatte<br />
seinerzeit als Pfleger im Burghölzli gearbeitet<br />
und ein kleines Hausmuseum<br />
aufgebaut. Nun hat erseine gesammelten<br />
Funde in ein Buch überführt. l<br />
Spanien Opferdes Franquismus fordern eine historische Aufarbeitung<br />
Verdrängte Erinnerung<br />
GeorgPichler: Gegenwart der<br />
Vergangenheit. Die Kontroverseum<br />
Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien.<br />
Rotpunktverlag, Zürich 2013.<br />
250Seiten, Fr.33.90.<br />
VonTobias Kaestli<br />
ULLSTEIN<br />
Spanien leidet nicht nur an ökonomischen<br />
Problemen, sondern auch an seiner<br />
verdrängten Geschichte. Die Regierungszeit<br />
Francos (1939–1975) hatgesellschaftliche<br />
Beschädigungen hinterlassen,<br />
von denen man im Ausland kaum<br />
etwas weiss. Das Buch von Georg Pichler<br />
gibt dazu präzise Auskünfte. Der in<br />
Graz geborene Autor ist Professor für<br />
deutsche Sprache und Literatur in Madrid.<br />
Sein Interesse für die literarische<br />
Verarbeitung politischer Kämpfe zwischen<br />
links und rechts hat ihn dazu motiviert,<br />
ein Buch über die vergangene<br />
Zeit des Franquismus, die danach beginnende<br />
Zeit der «Transición» und die gegenwärtigeVeränderung<br />
des kollektiven<br />
Gedächtnisses zu schreiben. Einen<br />
gutenTeil des Buches machen die eingestreuten<br />
Interviews mit Menschenrechtsaktivisten,<br />
Juristen und Angehörigen<br />
von Opfern des Franquismus aus.<br />
Das Ende eines Unrechtsregimes bedeutet<br />
invielen Fällen, dass früher oder<br />
später die Hauptverantwortlichen für<br />
ihremenschenrechtswidrigePolitik verurteilt<br />
werden. Nicht so in Spanien. General<br />
Franco, der im Juli 1936 mit seinen<br />
nordafrikanischen Truppen gegen die<br />
gewählte links-republikanische Regierung<br />
rebelliert und in einem blutigen<br />
Bürgerkrieg die Macht erobert hatte,<br />
blieb solange ander Spitze des Staates,<br />
dass erzuerst alle linken Gruppierungen<br />
blutig unterdrücken oder ins Exil<br />
treiben konnte, um dann zumindest dem<br />
Anschein nach sein Gewaltregime ein<br />
wenig zu mildern. So blieb ervon der<br />
Justiz unbehelligt.<br />
Der Übergang zu einer parlamentarischen<br />
Monarchie warschon vorbereitet,<br />
als er im November 1975starb.Inder Periode<br />
der «Transición» blieben die Franquisten<br />
vorerst ander Macht und verhinderten<br />
eine neue Sicht auf die von<br />
ihnen schöngeredete Vergangenheit.<br />
1977 verabschiedeten sie das Amnestiegesetz,<br />
das ihnen Straffreiheit für alle<br />
zuvor geschehenen politischen (Un-)<br />
Taten garantierte. Doch die Opfer des<br />
Franquismus bauten zunehmend Druck<br />
auf und forderten Gerechtigkeit. Die<br />
linke Opposition erstarkte. Da drang am<br />
23. Februar 1981 der franquistische<br />
Oberst Antonio Tejero ins spanische<br />
Parlament ein und fuchtelte mit seiner<br />
Pistole herum. Der Putschversuch misslang,<br />
doch die Linken waren gewarnt:<br />
Rührt nicht an die Vergangenheit,<br />
schweigt über die Verbrechen des Franquismus,<br />
sonst droht ein Rückfall in die<br />
blutigen Auseinandersetzungen der<br />
Bürgerkriegszeit!<br />
Viele Gegner Francos waren nach<br />
pauschalen Urteilen erschossen und irgendwo<br />
in Massengräbern verscharrt<br />
worden. Viele Angehörigen verlangten,<br />
dass die Leichen gesucht und anständig<br />
begraben würden. Im Jahr 2000 wurde<br />
ein Verein gegründet, der die Exhumierungen<br />
und die DNA-Analyse der sterblichen<br />
Überresteorganisierteund finanzierte.<br />
Was zuerst als private Angelegenheit<br />
aufgefasst wurde, entwickelte<br />
sich zu einer politischen Be<strong>weg</strong>ung, die<br />
endlich die verdrängte Erinnerung hervorholte<br />
und die historische Aufarbeitung<br />
des Franquismus ermöglichte.<br />
«Memoria histórica» nennen das die<br />
Spanier. Doch das Amnestiegesetz ist<br />
weiterhin in Kraft, wasder mutigeRichterBaltasar<br />
Garzón, der seinerzeit gegen<br />
Pinochet Klage einreichte, schmerzhaft<br />
zu spüren bekam. Als er gegen Franco<br />
und seine Gehilfen posthum Klageerheben<br />
wollte, wurde erimMai 2010 in seinem<br />
Amt suspendiert.<br />
PichlersBuch ist reich an Informationen<br />
über die jüngste Geschichte Spanien,<br />
macht gesellschaftliche Widersprüche<br />
sichtbar und öffnet den Blick für<br />
ähnliche Probleme in anderen Ländern.<br />
Wersich für Spanien oder für Erinnerungspolitik<br />
interessiert, sollte esunbedingt<br />
lesen. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 23