Jonathan Franzen Weiter weg - Neue Zürcher Zeitung
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ins Leere. Die<br />
These über die<br />
grosse Ähnlichkeit<br />
zwischen<br />
Wagner und<br />
Brecht etwa ist<br />
nicht nur aufgrund<br />
inhaltlicher,<br />
sondern<br />
auch allgemein<br />
historischer Unschärfen<br />
nicht<br />
haltbar.<br />
Das Problematischste<br />
andieser<br />
Publikation ist jedoch<br />
das konsequente<br />
Ausblenden<br />
vonWagnersAntisemitismus.<br />
Es ist nicht<br />
nachvollziehbar, dass<br />
der Autor gerade diesen<br />
Aspekt in seiner politischen<br />
Ausdeutung von<br />
Wagners Werk vollständig<br />
ignoriert. Dieckmanns vielfach<br />
spannende Opernanalysen<br />
werden in ihrem Aussagewert<br />
dadurch jedenfalls beträchtlich<br />
beschnitten.<br />
Gesamkunstwerk als Idee<br />
Es braucht einen Jens Malte Fischer, der<br />
diese Lücke schliesst und schonungslos<br />
kenntlich macht, wie eng Wagners antisemitische<br />
Theorieschriften mit seinem<br />
Schaffen als Komponist zusammenhängen.<br />
Die vielfach geäusserte Entschuldigung,<br />
Wagners Antisemitismus sei damals<br />
eine reine Modeerscheinung gewesen,<br />
lässt der renommierte Musikhistoriker<br />
nicht gelten. Im Gegensatz zur<br />
damals weitverbreiteten antijüdischen<br />
Stimmung habe man es bei Wagner<br />
nämlich mit einem Frührassismus zu<br />
tun, der den Juden «unabänderliche Unterschiede»<br />
gegenüber der nichtjüdischen<br />
Bevölkerung unterstelle, womit<br />
Wagner bereits bei einer «rassischen»<br />
Distinktion angelangt sei. VonWagner<br />
seien somit Ideen ausgegangen, die<br />
nicht nur von späteren Antisemiten wie<br />
Houston Stewart Chamberlain, Otto<br />
Weininger oder Adolf Hitler, sondern<br />
auch von der gesamten «völkisch-nationalsozialistischen»<br />
Musikpublizistik<br />
übernommen worden seien.<br />
Wagner redet etwa vom «verfluchten<br />
Judengeschmeiss» und vergleicht die<br />
Juden in seinen Tagebüchern mit «natürlichen<br />
schmarotzenden Parasiten».<br />
Im Pamphlet «Das Judenthum in der<br />
Musik», dessen erste Ausgabe von 1850<br />
noch unter dem Pseudonym K. Freigedank<br />
veröffentlicht wurde, appelliert<br />
«Auch wenn Wagner<br />
Handgranaten<br />
bestellt, denkt er an<br />
nichts anderes als an<br />
die Oper»: Richard<br />
Wagner (1813–1883),<br />
Musikrevolutionär<br />
und Nationalist.<br />
AUSTRIAN ARCHIVES/IMAGNO<br />
der Komponist<br />
an die Assimilationsbereitschaft<br />
der Juden,<br />
hält jedoch<br />
zugleich fest:<br />
«Aber bedenkt,<br />
dass nur Eines<br />
Eure Erlösung<br />
von dem auf<br />
Euch lastenden<br />
Fluche sein<br />
kann, die Erlösung<br />
Ahasvers:<br />
Der Untergang!»<br />
Anhand solcher<br />
Zitate erweist sich<br />
Fischers pointierte<br />
Argumentation<br />
durch<strong>weg</strong>s als stichhaltig.<br />
Obwohl die Auseinandersetzung<br />
mit Wagners<br />
Antisemitismus bei<br />
Fischer eine zentrale Rolle<br />
spielt, hat erauch zu anderen<br />
Aspekten von Wagners<br />
Leben und Werk Gewichtiges<br />
beizutragen. Seine detailreichen<br />
Ausführungen zur Geschichte der<br />
Aufführungspraxis etwa, vom frühen<br />
«Rienzi» über «Tristan und Isolde» bis<br />
zum «Ring des Nibelungen» und des<br />
späten «Parsifal», liefern vielerlei neue<br />
Einsichten in Wagners schillernde Idee<br />
des «Gesamtkunstwerks», das Tanz-,<br />
Ton- und Dichtkunst ebenso umfassen<br />
sollte wie Bau-, Bildhauer- und Malerkunst.<br />
Was Wagner daraus fertigte,<br />
könnte man oberflächlich betrachtet<br />
zwar als «Rauschmusik für Unmusikalische»<br />
abtun. Doch ob aller Kritikbereitschaft<br />
gegenüber dem Phänomen Wagner<br />
attestiert Fischer dem revolutionären<br />
Komponisten eine ungebrochene<br />
Vormachtstellung in der Musikgeschichte:<br />
Kein Komponist habe «bis<br />
heute eine solche sengende Strahlung<br />
(im Positiven wie im Negativen) ausgesendet<br />
wie Richard Wagner.» Dem ist<br />
nichts hinzuzufügen. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 17