Jonathan Franzen Weiter weg - Neue Zürcher Zeitung

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18.01.2014 Aufrufe

Sachbuch Musik Vor200 Jahren wurdeRichardWagner geboren. Die radikale politische Haltung des deutschen Komponisten und Opernregisseurspolarisiert bis heute Rauschmusik fürUnmusikalische Udo Bermbach: Mythos Wagner. Rowohlt, Berlin 2013. 336 Seiten, Fr.28.50, E-Book 20.90. Friedrich Dieckmann: DasLiebesverbot und die Revolution. Insel, Berlin 2013. 235 Seiten, Fr.32.90. JensMalte Fischer: RichardWagner und seine Wirkung. Zsolnay, Wien 2013. 320 Seiten, Fr.27.90. VonFritzTrümpi Dass Richard Wagner (1813-1883) bis heute polarisiert, wird derzeit wieder besonders deutlich. Aus der Flut an neuen Publikationen über den Komponisten und dessen Werk ist eine betonte Mehrstimmigkeit herauszuhören, vor allem Wagners politische Positionen erfahren grosse Aufmerksamkeit. Sie werden aber auf sehr unterschiedliche Weise durchleuchtet, wie an drei ausgewählten Neuerscheinungen unschwer abzulesen ist. Udo Bermbach spürt dem «Mythos Wagner» nach. Dessen Entwicklungsgeschichtesieht der HamburgerPolitologe Wagner-Jahr 2013 RichardWagners200.Geburtstagliefert nicht nur für den Musikbetrieb einen willkommenen Anlass, dem Opernrevolutionär zu huldigen. Auch die Buchproduktion läuftdieses Jahr auf Hochtouren. Unter den weiteren Neuerscheinungen sind zu erwähnen: •Dieter Borchmeyer: RichardWagner. Leben –Werk –Zeit (Reclam 2013, 408 Seiten). •Enrik Lauer,Regine Müller: Der kleine Wagnerianer.Zehn Lektionen für Anfänger und Fortgeschrittene (C.H.Beck 2013, 261Seiten). •SvenOliver Müller: RichardWagner und die Deutschen (C.H.Beck 2013, 320Seiten). 16 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013 eng mit den politischen Konstellationen verknüpft –jenen zu WagnersLebzeiten ebenso wie jenen nach dessen Tod1883. In chronologischer Folge steckt Bermbach die wichtigsten Stationen der Mythenbildung ab: Die ärmliche Existenz in Paris als «Katharsis», das Zürcher Exil als Schaffensquell für seine Opernproduktion, die Münchner Jahreals Verwirklichung seiner politischen Träume, sodann das luzernische Tribschen als idyllischer Kraftort, Bayreuth hingegen als Festspielmekka und Vollendung des Mythos. Der Ausgangspunkt für diese Mythenkonstruktion liegt jedoch im Dresden der 1840er Jahre –das heisst in Wagners Revolutionsphase. Schon früh Antisemit Zweifellos warWagner bereits in jungen Jahren ein äusserst politischer Kopf,Revolution und Kunst gehörten für ihn schon früh untrennbar zusammen. Es wardarum kein Zufall, dassder Entwurf sämtlicher späterer Werke – mit Ausnahme des «Tristan» –zwischen 1842 und 1849entstanden, während der Phase der bürgerlichen Revolution in Dresden. In dieser Zeit, so hebt Bermbach hervor, sei auch Wagnerszentrale Überzeugung entstanden, dass «das Leben in der Kunst und die Kunst im Leben aufgehen sollen». Doch damit dies gelinge, müsse das Volk zunächst in seine Rechteeingesetzt werden, so Bermbach über Wagners Revolutionsanspruch. Dieser zunächst emanzipatorisch verstandene Volksbegriff verwandelte sich aber bald in einen aggressiven völkischen Nationalismus. Die Ursachen dafür sucht Bermbach –und dies ist sein blinder Fleck –allerdingsnicht bei Wagner selbst, sondern ausschliesslich bei den Nachlassverwaltern, die sehr früh ins nationalsozialistische Fahrwasser gerieten. «Braune Indienstnahme des Mythos Wagner» nennt dies der Autor zu Recht –dassder Wagnerclan bald zur begeisterten Hitler-Anhängerschaft gehörte, ist hinlänglich bekannt. Doch ohne Wagnerseigenes Zutun hätte diese «Indienstnahme» nicht so ungehindert verlaufen können. WagnersAntisemitismus, der schon früh in diversen Schriften auftaucht und in der hetzerischen Schmähschrift «Das Judenthum in der Musik» ihren Höhepunkt findet, erwähnt Bermbach nur nebenher. Als Erklärungshilfe dafür, warum die braune Einfärbung gerade beim «Mythos Wagner» so leicht gelang, zieht er ihn nicht herbei. Das ist gelinde ausgedrückt erstaunlich. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass Friedrich Dieckmann ein ganzes Buch lang ohne einen einzigen Hinweis auf WagnersAntisemitismus auskommt. Und dies, obschon der deutsche Publizist vermeintlich akribisch analysiert, inwiefern sich die politische Revolutionsbewegung in WagnersOpern abbilde. Unter beträchtlichem sprachlichem Verzierungsaufwand erzählt Dieckmann ausführlich von Wagners Dasein als unerschrockenem Politaktivisten, der allerdings stets das Theater imKopf gehabt habe: «Auch wenn Wagner Handgranaten bestellt, denkt er zuletzt an nichts anderes als an die Oper.» Für Dieckmann bildet sich Wagners politischer Aktivismus deshalb auch überdeutlich in dessen Werken ab. Der Autor belegt dies an zahlreichen Analogien zwischen biografischen Überlieferungen und werkimmanenten Figuren und sucht ausserdem nach Parallelen zwischen der Person Wagner und anderen Polit-Künstlern. Das ist ein hochspekulativer, mitunter aber erkenntnisreicher Ansatz. Durchwegs nachvollziehbar gestaltet Dieckmann etwa das Motiv von Wagners unterdrückter Geschwisterliebe,die er mit dem revolutionären Gestus des Komponisten kurzschliesst und zur Gesellschaftskritik gewendet insbesondereinWagnersfrühen Opern aufspürt – im «Liebesverbot» etwa, dann aber auch in den «Feen», ja noch im «Rienzi» und im «Fliegenden Holländer». Doch Dieckmanns Analogiebildungen greifen manchmal auch gründlich

ins Leere. Die These über die grosse Ähnlichkeit zwischen Wagner und Brecht etwa ist nicht nur aufgrund inhaltlicher, sondern auch allgemein historischer Unschärfen nicht haltbar. Das Problematischste andieser Publikation ist jedoch das konsequente Ausblenden vonWagnersAntisemitismus. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Autor gerade diesen Aspekt in seiner politischen Ausdeutung von Wagners Werk vollständig ignoriert. Dieckmanns vielfach spannende Opernanalysen werden in ihrem Aussagewert dadurch jedenfalls beträchtlich beschnitten. Gesamkunstwerk als Idee Es braucht einen Jens Malte Fischer, der diese Lücke schliesst und schonungslos kenntlich macht, wie eng Wagners antisemitische Theorieschriften mit seinem Schaffen als Komponist zusammenhängen. Die vielfach geäusserte Entschuldigung, Wagners Antisemitismus sei damals eine reine Modeerscheinung gewesen, lässt der renommierte Musikhistoriker nicht gelten. Im Gegensatz zur damals weitverbreiteten antijüdischen Stimmung habe man es bei Wagner nämlich mit einem Frührassismus zu tun, der den Juden «unabänderliche Unterschiede» gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung unterstelle, womit Wagner bereits bei einer «rassischen» Distinktion angelangt sei. VonWagner seien somit Ideen ausgegangen, die nicht nur von späteren Antisemiten wie Houston Stewart Chamberlain, Otto Weininger oder Adolf Hitler, sondern auch von der gesamten «völkisch-nationalsozialistischen» Musikpublizistik übernommen worden seien. Wagner redet etwa vom «verfluchten Judengeschmeiss» und vergleicht die Juden in seinen Tagebüchern mit «natürlichen schmarotzenden Parasiten». Im Pamphlet «Das Judenthum in der Musik», dessen erste Ausgabe von 1850 noch unter dem Pseudonym K. Freigedank veröffentlicht wurde, appelliert «Auch wenn Wagner Handgranaten bestellt, denkt er an nichts anderes als an die Oper»: Richard Wagner (1813–1883), Musikrevolutionär und Nationalist. AUSTRIAN ARCHIVES/IMAGNO der Komponist an die Assimilationsbereitschaft der Juden, hält jedoch zugleich fest: «Aber bedenkt, dass nur Eines Eure Erlösung von dem auf Euch lastenden Fluche sein kann, die Erlösung Ahasvers: Der Untergang!» Anhand solcher Zitate erweist sich Fischers pointierte Argumentation durchwegs als stichhaltig. Obwohl die Auseinandersetzung mit Wagners Antisemitismus bei Fischer eine zentrale Rolle spielt, hat erauch zu anderen Aspekten von Wagners Leben und Werk Gewichtiges beizutragen. Seine detailreichen Ausführungen zur Geschichte der Aufführungspraxis etwa, vom frühen «Rienzi» über «Tristan und Isolde» bis zum «Ring des Nibelungen» und des späten «Parsifal», liefern vielerlei neue Einsichten in Wagners schillernde Idee des «Gesamtkunstwerks», das Tanz-, Ton- und Dichtkunst ebenso umfassen sollte wie Bau-, Bildhauer- und Malerkunst. Was Wagner daraus fertigte, könnte man oberflächlich betrachtet zwar als «Rauschmusik für Unmusikalische» abtun. Doch ob aller Kritikbereitschaft gegenüber dem Phänomen Wagner attestiert Fischer dem revolutionären Komponisten eine ungebrochene Vormachtstellung in der Musikgeschichte: Kein Komponist habe «bis heute eine solche sengende Strahlung (im Positiven wie im Negativen) ausgesendet wie Richard Wagner.» Dem ist nichts hinzuzufügen. l 24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 17

Sachbuch<br />

Musik Vor200 Jahren wurdeRichardWagner geboren. Die radikale politische Haltung des<br />

deutschen Komponisten und Opernregisseurspolarisiert bis heute<br />

Rauschmusik<br />

fürUnmusikalische<br />

Udo Bermbach: Mythos Wagner. Rowohlt,<br />

Berlin 2013. 336 Seiten, Fr.28.50,<br />

E-Book 20.90.<br />

Friedrich Dieckmann: DasLiebesverbot<br />

und die Revolution. Insel, Berlin 2013.<br />

235 Seiten, Fr.32.90.<br />

JensMalte Fischer: RichardWagner und<br />

seine Wirkung. Zsolnay, Wien 2013.<br />

320 Seiten, Fr.27.90.<br />

VonFritzTrümpi<br />

Dass Richard Wagner (1813-1883) bis<br />

heute polarisiert, wird derzeit wieder<br />

besonders deutlich. Aus der Flut an<br />

neuen Publikationen über den Komponisten<br />

und dessen Werk ist eine betonte<br />

Mehrstimmigkeit herauszuhören, vor<br />

allem Wagners politische Positionen erfahren<br />

grosse Aufmerksamkeit. Sie werden<br />

aber auf sehr unterschiedliche<br />

Weise durchleuchtet, wie an drei ausgewählten<br />

<strong>Neue</strong>rscheinungen unschwer<br />

abzulesen ist.<br />

Udo Bermbach spürt dem «Mythos<br />

Wagner» nach. Dessen Entwicklungsgeschichtesieht<br />

der HamburgerPolitologe<br />

Wagner-Jahr 2013<br />

RichardWagners200.Geburtstagliefert<br />

nicht nur für den Musikbetrieb einen<br />

willkommenen Anlass, dem Opernrevolutionär<br />

zu huldigen. Auch die<br />

Buchproduktion läuftdieses Jahr auf<br />

Hochtouren. Unter den weiteren<br />

<strong>Neue</strong>rscheinungen sind zu erwähnen:<br />

•Dieter Borchmeyer: RichardWagner.<br />

Leben –Werk –Zeit (Reclam 2013,<br />

408 Seiten).<br />

•Enrik Lauer,Regine Müller: Der kleine<br />

Wagnerianer.Zehn Lektionen für Anfänger<br />

und Fortgeschrittene (C.H.Beck<br />

2013, 261Seiten).<br />

•SvenOliver Müller: RichardWagner und<br />

die Deutschen (C.H.Beck 2013,<br />

320Seiten).<br />

16 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />

eng mit den politischen Konstellationen<br />

verknüpft –jenen zu WagnersLebzeiten<br />

ebenso wie jenen nach dessen Tod1883.<br />

In chronologischer Folge steckt Bermbach<br />

die wichtigsten Stationen der Mythenbildung<br />

ab: Die ärmliche Existenz<br />

in Paris als «Katharsis», das Zürcher<br />

Exil als Schaffensquell für seine Opernproduktion,<br />

die Münchner Jahreals Verwirklichung<br />

seiner politischen Träume,<br />

sodann das luzernische Tribschen als<br />

idyllischer Kraftort, Bayreuth hingegen<br />

als Festspielmekka und Vollendung des<br />

Mythos. Der Ausgangspunkt für diese<br />

Mythenkonstruktion liegt jedoch im<br />

Dresden der 1840er Jahre –das heisst in<br />

Wagners Revolutionsphase.<br />

Schon früh Antisemit<br />

Zweifellos warWagner bereits in jungen<br />

Jahren ein äusserst politischer Kopf,Revolution<br />

und Kunst gehörten für ihn<br />

schon früh untrennbar zusammen. Es<br />

wardarum kein Zufall, dassder Entwurf<br />

sämtlicher späterer Werke – mit Ausnahme<br />

des «Tristan» –zwischen 1842<br />

und 1849entstanden, während der Phase<br />

der bürgerlichen Revolution in Dresden.<br />

In dieser Zeit, so hebt Bermbach hervor,<br />

sei auch Wagnerszentrale Überzeugung<br />

entstanden, dass «das Leben in der<br />

Kunst und die Kunst im Leben aufgehen<br />

sollen». Doch damit dies gelinge, müsse<br />

das Volk zunächst in seine Rechteeingesetzt<br />

werden, so Bermbach über Wagners<br />

Revolutionsanspruch.<br />

Dieser zunächst emanzipatorisch verstandene<br />

Volksbegriff verwandelte sich<br />

aber bald in einen aggressiven völkischen<br />

Nationalismus. Die Ursachen<br />

dafür sucht Bermbach –und dies ist sein<br />

blinder Fleck –allerdingsnicht bei Wagner<br />

selbst, sondern ausschliesslich bei<br />

den Nachlassverwaltern, die sehr früh<br />

ins nationalsozialistische Fahrwasser<br />

gerieten. «Braune Indienstnahme des<br />

Mythos Wagner» nennt dies der Autor<br />

zu Recht –dassder Wagnerclan bald zur<br />

begeisterten Hitler-Anhängerschaft gehörte,<br />

ist hinlänglich bekannt. Doch<br />

ohne Wagnerseigenes Zutun hätte diese<br />

«Indienstnahme» nicht so ungehindert<br />

verlaufen können. WagnersAntisemitismus,<br />

der schon früh in diversen Schriften<br />

auftaucht und in der hetzerischen<br />

Schmähschrift «Das Judenthum in der<br />

Musik» ihren Höhepunkt findet, erwähnt<br />

Bermbach nur nebenher. Als Erklärungshilfe<br />

dafür, warum die braune<br />

Einfärbung gerade beim «Mythos Wagner»<br />

so leicht gelang, zieht er ihn nicht<br />

herbei. Das ist gelinde ausgedrückt erstaunlich.<br />

Noch erstaunlicher ist allerdings,<br />

dass Friedrich Dieckmann ein ganzes<br />

Buch lang ohne einen einzigen Hinweis<br />

auf WagnersAntisemitismus auskommt.<br />

Und dies, obschon der deutsche Publizist<br />

vermeintlich akribisch analysiert,<br />

inwiefern sich die politische Revolutionsbe<strong>weg</strong>ung<br />

in WagnersOpern abbilde.<br />

Unter beträchtlichem sprachlichem<br />

Verzierungsaufwand erzählt Dieckmann<br />

ausführlich von Wagners Dasein als unerschrockenem<br />

Politaktivisten, der allerdings<br />

stets das Theater imKopf gehabt<br />

habe: «Auch wenn Wagner Handgranaten<br />

bestellt, denkt er zuletzt an<br />

nichts anderes als an die Oper.»<br />

Für Dieckmann bildet sich Wagners<br />

politischer Aktivismus deshalb auch<br />

überdeutlich in dessen Werken ab. Der<br />

Autor belegt dies an zahlreichen Analogien<br />

zwischen biografischen Überlieferungen<br />

und werkimmanenten Figuren<br />

und sucht ausserdem nach Parallelen<br />

zwischen der Person Wagner und anderen<br />

Polit-Künstlern. Das ist ein hochspekulativer,<br />

mitunter aber erkenntnisreicher<br />

Ansatz. Durch<strong>weg</strong>s nachvollziehbar<br />

gestaltet Dieckmann etwa das<br />

Motiv von Wagners unterdrückter Geschwisterliebe,die<br />

er mit dem revolutionären<br />

Gestus des Komponisten kurzschliesst<br />

und zur Gesellschaftskritik gewendet<br />

insbesondereinWagnersfrühen<br />

Opern aufspürt – im «Liebesverbot»<br />

etwa, dann aber auch in den «Feen», ja<br />

noch im «Rienzi» und im «Fliegenden<br />

Holländer».<br />

Doch Dieckmanns Analogiebildungen<br />

greifen manchmal auch gründlich

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