Jonathan Franzen Weiter weg - Neue Zürcher Zeitung
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Nr.2|24. Februar 2013<br />
<strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong> <strong>Weiter</strong> <strong>weg</strong>|Shereen El Feki Sexund dieZitadelle |<br />
AmyWaldman Der amerikanische Architekt | David Grossman Aus der Zeit<br />
fallen |Übersetzerin Gunhild Kübler über die Lyrik von Emily Dickinson |<br />
<strong>Neue</strong> Bücher zu RichardWagner |<strong>Weiter</strong>e RezensionenzuFidel Castro,<br />
Andrej Tarkovskij, Verena Stössinger,Wilhelm Genazino und anderen
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Inhalt<br />
VonBrazzaville<br />
bis<br />
Massachusetts<br />
<strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong><br />
(Seite19).<br />
Illustration von<br />
André Carrilho<br />
Wenn ein Stammgast «Zerbrochenes Glas» heisst und der Wirt «Sture<br />
Schnecke»; wenn die Kneipe den Namen trägt «Hier wirdnicht<br />
angeschrieben» und sich dort Leute wie der «Pampers-Typ» oder der<br />
«Drucker» aus dem Irrenhaus ein Stelldichein geben –dann befinden<br />
wir uns in Brazzaville und beim kongolesischen AutorAlain<br />
Mabanckou. Der 42-jährigeinParis ausgebildeteJurist, der zehn Jahre<br />
für einen französischen Wirtschaftskonzern arbeitete, wurdefür seine<br />
Romane mehrfach ausgezeichnet, so mit dem «Grand Prix littérairede<br />
l’Afrique noir». In seinem neusten, furiosen Buch, das David Signer<br />
bespricht, treten Schwadroneureund Dandys aus den Slums auf und<br />
machen den Stammtisch zur Bühne (Seite10). Kurzum: lebenspralle,<br />
witzigeund selbstbewusste Literatur aus Schwarzafrika.<br />
In der Heftmitte nimmt SieGunhild Kübler auf ihreEntdeckungsreise<br />
zu EmilyDickinson (1830–1886) mit, einer amerikanischen Lyrikerin,<br />
die zu Lebzeiten blosszehn Gedichteveröffentlicht hat. Begeistert<br />
erzählt Kübler vonihrer Neuübersetzung der elektrisierenden Verse,<br />
einer Beschäftigung, die ihr Leben verändert habe (S. 12).<br />
Lassen Siesich anstecken vonMabanckou, vonDickinson –oder von<br />
30 weiteren Autorinnen und Autoren, die wir Ihnen in dieser Nummer<br />
vorstellen. Zögern Sienicht, sich in der Bar der Weltliteratur einen zu<br />
genehmigen: Hier wird(an)geschrieben! UrsRauber<br />
Belletristik<br />
4 David Grossman: Ausder Zeit fallen<br />
VonKlaraObermüller<br />
6 Verena Stössinger: Bäume fliehen nicht<br />
VonMartin Zingg<br />
Mitra Devi: Der Blutsfeind<br />
VonCharlotte Jacquemart<br />
7 AmyWaldman: Der amerikanische<br />
Architekt<br />
VonSimone vonBüren<br />
8 AndrejBitow:Der Symmetrielehrer<br />
VonSieglinde Geisel<br />
9 Wilhelm Genazino: Tarzan am Main<br />
VonSandraLeis<br />
Juerg Judin: UweWittwer –Paintings<br />
VonGerhardMack<br />
10 Alain Mabanckou: Zerbrochenes Glas<br />
VonDavid Signer<br />
Kurzkritiken Belletristik<br />
11 Johann Nestroy:Historisch-kritische<br />
Ausgabe<br />
VonManfred Papst<br />
Katherine Mansfield: In einer deutschen<br />
Pension<br />
VonRegula Freuler<br />
Techno der Jaguare<br />
VonRegula Freuler<br />
RobertGernhardt: Hinter der Kurve<br />
VonManfred Papst<br />
E-Krimi des Monats<br />
11 KeigoHigashino: VerdächtigeGeliebte<br />
VonChristine Brand<br />
Essay<br />
12 Endlose Knobeleien<br />
GunhildKübler überdie Schwierigkeiten<br />
des Übersetzens vonLyrik –amBeispiel des<br />
Werksvon EmilyDickinson<br />
Kolumne<br />
15 Charles Lewinsky<br />
Das Zitat vonIsaak Babel<br />
Kurzkritiken Sachbuch<br />
15 Thomas Sprecher: Schweizer Monat1921–<br />
2012<br />
VonUrs Rauber<br />
Toby Lester: Die Symmetrie der Welt<br />
VonKathrin Meier-Rust<br />
RitchiePogorzelski: Die Traianssäule in Rom<br />
VonGenevièveLüscher<br />
Christoph Zürcher: Wieich Kannibalen, die<br />
Taliban und die stärkstenFrauen überlebte<br />
VonUrs Rauber<br />
Sachbuch<br />
16 Udo Bermbach: Mythos Wagner<br />
Friedrich Dieckmann: DasLiebesverbotund<br />
die Revolution<br />
Jens MalteFischer: RichardWagner und seine<br />
Wirkung<br />
VonFritz Trümpi<br />
18 Shereen El Feki: Sexund die Zitadelle<br />
VonSusanne Schanda<br />
19 <strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong>: <strong>Weiter</strong> <strong>weg</strong><br />
VonUrs Rauber<br />
20 Horst Bienek: Workuta<br />
VonAnjaHirsch<br />
PhilippBlom, Veronica Buckley: Dasrussische<br />
Zarenreich<br />
VonGenevièveLüscher<br />
21 AndrejTarkovskij: Leben und Werk<br />
VonChristian Jungen<br />
22 Florian Homm: Kopf Geld Jagd<br />
VonSebastian Bräuer<br />
Rolf Mösli: EugenBleuler –Pionier der<br />
Psychiatrie<br />
VonWilli Wottreng<br />
23 GeorgPichler: Gegenwart der Vergangenheit<br />
VonTobias Kaestli<br />
24 Conradin A. Burga: Oswald Heer 1809–1883<br />
VonGenevièveLüscher<br />
25 Michael Hardt, Antonio Negri: Demokratie!<br />
VonMichael Holmes<br />
Carlos Widmann: DasletzteBuch über Fidel<br />
Castro<br />
VonReinhardMeier<br />
26 Ilma Rakusa: Aufgerissene Blicke<br />
VonIna Boesch<br />
Dasamerikanische Buch<br />
Sonia Sotomayor: My BelovedWorld<br />
VonAndreas Mink<br />
Agenda<br />
27 Pascal Ruedin: Die Schule vonSavièse<br />
VonManfred Papst<br />
Bestseller Februar 2013<br />
Belletristik und Sachbuch<br />
Agenda März2013<br />
Veranstaltungshinweise<br />
Shereen El Feki hält eine Neubewertung der Sexualität in<br />
arabischen Ländern für unabdingbar (Seite18).<br />
KRISTOFARASIM<br />
Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion UrsRauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), GenevièveLüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)<br />
StändigeMitarbeit UrsAltermatt,Urs Bitterli, Manfred Koch, Gunhild Kübler,SandraLeis, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer,Andreas Mink, KlaraObermüller,AngelikaOverath,<br />
Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hans PeterHösli (Art Director), UrsSchilliger (Bildredaktion), Manuela Klingler (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG<br />
Verlag NZZamSonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044258 11 11, Fax04426170 70, E-Mail: redaktion.sonntag@nzz.ch<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 3
Belletristik<br />
Versepos Das neue Buch des israelischen SchriftstellersDavid Grossman ist Totenklageund<br />
Wiederaneignung des Lebens in einem<br />
EinMannsucht<br />
seinen totenSohn<br />
ATEF SAFADI /EPA<br />
David Grossman: Ausder Zeit fallen.<br />
Ausdem Hebräischen vonAnne<br />
Birkenhauer.Hanser,München 2013.<br />
128 Seiten, Fr.23.90.<br />
VonKlaraObermüller<br />
Wenn einen ein grosses Unglück treffe,<br />
sagte David Grossman, als er vor zwei<br />
Jahren in Frankfurt den Friedenspreis<br />
des Deutschen Buchhandels entgegennahm,<br />
dann sei das ein Gefühl, als ob<br />
man aus dem Leben «ins Exil» vertrieben<br />
werde.<br />
David Grossman wusste, wovon er<br />
sprach. Er hatte es selber erlebt, nachdem<br />
sein Sohn Uri am12. August 2006<br />
auf dem Rückzug aus Libanon voneiner<br />
Rakete tödlich getroffen worden war.<br />
Mit einem Schlag hatte er damals alles<br />
David Grossman<br />
1954 in Jerusalem geboren, arbeitete<br />
David Grossman als Radiojournalist,<br />
bevorerRomane und Jugendbücher veröffentlichte.<br />
Journalistische Arbeiten wie<br />
«Der gelbe Wind» (1988) oder politische<br />
Essays wie «Diesen Krieg kann keiner gewinnen»<br />
(2003) liefen stets neben belletristischen<br />
Werken wie «Das Lächeln des<br />
Lammes» (1988), «Der Kindheitserfinder»<br />
(1994)oder «Eine Frau flieht vor<br />
einer Nachricht» (2009) einher.Erist<br />
auch ein bekannter Friedensaktivist.<br />
4 ❘NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
verloren, worauf er bislang hatte bauen<br />
können: alle Gewissheit, alles Vertrauen,<br />
ja selbst das natürliche Recht, sich<br />
im Leben zuhause zu fühlen. Aber er<br />
waraus dem Exil auch wieder zurückgekehrt:<br />
zurück an die Arbeit und zurück<br />
ins Leben. Einen Tagnach der Trauerwoche,<br />
so berichtete er, habe er sich<br />
wieder an seinen Schreibtisch gesetzt,<br />
um an dem Roman weiterzuschreiben,<br />
den er in Arbeit hatte.Und sei sich dabei<br />
vorgekommen wie einer,der nach einem<br />
Erdbeben aus den Trümmern seines<br />
Hauses kriecht, sich umschaut, hinsetzt<br />
und «beginnt, wieder Steine aufeinanderzulegen».<br />
Oder eben Wörter. Zwei Jahre nach<br />
dem Toddes Sohnes erschien in Israel<br />
der Roman «Eine Frau flieht vor einer<br />
Nachricht»: das Buch, in dem der Autor<br />
von den Ängsten einer israelischen<br />
Mutter erzählte, deren Sohn Militärdienst<br />
leistet, und in dem er auf fast<br />
schon prophetische Weise vor<strong>weg</strong>nahm,<br />
was ihm und seiner Familie zustossen<br />
sollte. Ohne es zu wollen, wurde der<br />
Jahre zuvor begonnene Roman zum Requiem<br />
für den toten Sohn und zum Versuch<br />
des Vaters, sich sein Heimatrecht<br />
im Leben zurückzuholen.<br />
Hohes Mass an Empathie<br />
Dass dies nur zum Teil gelungen war,<br />
macht das Erscheinen eines weiteren<br />
Buches deutlich, das in der hervorragenden<br />
Übersetzung vonAnne Birkenhauer<br />
nunmehr auch auf Deutsch vorliegt.<br />
«Aus der Zeit gefallen» heisst es und ist<br />
für einmal kein Roman und auch keine<br />
Erzählung, sondern eine Art Versepos<br />
oder dramatisches Gedicht. Ein Werk<br />
jedenfalls, das sich jeder Gattungsbezeichnung<br />
entzieht, wie sich auch sein<br />
Inhalt jeder Erfahrung entzieht, die der<br />
Autorbisher gemacht hat. «Aus der Zeit<br />
gefallen» ist Totenklage und Wiederaneignung<br />
des Lebens in einem. Es ist surreal<br />
und furchtbar konkret zugleich.<br />
«Ich muss gehen», sagt ein Mann zu<br />
seiner Frau. «Wohin?», fragt sie. «Zu<br />
ihm. Nach dort», antwortet der Mann.<br />
So beginnt der Text und nimmt ein Bild<br />
wieder auf, das aus einem früheren<br />
Roman des Autors bekannt ist: Auch in<br />
«Stichwort: Liebe» war von einem<br />
«Land Dort» die Rede gewesen.<br />
Die Überlebenden der Shoah verwendeten<br />
den Begriff, wenn sie von den Lagern<br />
sprachen, denen sie entkommen<br />
waren, ohne je wieder im Leben Fuss<br />
fassen zu können. Jetzt ist mit «dort»<br />
das Reich des Todes gemeint, das kein<br />
Lebender je betreten wird. Der Mann<br />
bricht gleichwohl auf. Erkann nicht anders.<br />
Er mussseinen totenSohn suchen,<br />
noch einmal in Kontakt zu ihm treten,<br />
noch einmal den Schmerz kosten, die<br />
Trauer durchleben, um danach vielleicht<br />
tatsächlich aus dem Exil ins Leben<br />
zurückkehren zu können. Grossman<br />
gibt hier einer existenziellen Erfahrung<br />
Ausdruck, die er mit unzähligen israelischen<br />
Eltern teilt. Darin lag von jeher<br />
seine Stärke.<br />
Seit er als blutjunger Autor mit dem<br />
Reportage-Band «Der gelbe Wind» das<br />
Augenmerk seiner Landsleute auf «die<br />
israelisch-palästinensische Tragödie»<br />
gelenkt hatte, ist Grossman immer wieder<br />
durch ein untrügliches Gespür für<br />
die Virulenz verdrängter Gefühle innerhalb<br />
der israelischen Gesellschaftaufgefallen.<br />
Ob er in «Das Lächeln des Lammes»<br />
über die Begegnung zwischen<br />
einem jungen Israeli und einem alten<br />
Araber schrieb oder in «Stichwort:<br />
Liebe» dem Trauma der Shoah aus der<br />
Sicht eines Kindes beizukommen versuchte;<br />
ob er sich in «Der Kindheitserfinder»<br />
mit den Mühen des Erwachsenwerdens<br />
in Zeiten des Krieges befasste<br />
oder in seinem jüngsten Roman die permanenten<br />
Vernichtungsängste israelischer<br />
Eltern thematisierte –immer war<br />
er mit seinem Erzählen ganz nah bei<br />
dem, was die israelische Bevölkerung<br />
be<strong>weg</strong>te.<br />
Dabei zeichnete ersich stets durch<br />
ein hohes Mass anEmpathie auch für<br />
die andere, die arabische Seite aus und<br />
nahm Autobiografisches allenfalls zum<br />
Anlass, nie jedoch zum Selbstzweck sei-
RINA CASTELNUOVO /REDUX/LAIF<br />
nes Schreibens. Das ist im Falle seines<br />
neuen Buches nicht anders. David<br />
Grossman weiss, dassdie Trauer um ein<br />
totes Kind an keine ethnischen, religiösen<br />
oder familiären Grenzen gebunden<br />
ist, sondern im wahrsten Sinne des Wortes<br />
eine universale Erfahrung darstellt.<br />
Deshalb ist dies auch sein bis anhin persönlichstes<br />
und zugleich am stärksten<br />
verfremdetes Buch geworden.<br />
Es ist sein ganz persönlicher Schmerz,<br />
und es ist der Schmerz der ganzen Welt,<br />
der hier zum Ausdruck kommt. Zwei<br />
Jahre –sosagt es die Datumszeile am<br />
Ende des Textes –hat David Grossman<br />
an diesem Epitaph für seinen gefallenen<br />
Sohn gearbeitet.<br />
Wasesihn gekostet haben muss, die<br />
Wunden noch einmal aufzureissen und<br />
noch einmal allen Schmerz zu durchleben,<br />
den die Todesnachricht auslöste,<br />
das kann man bei der Lektüre des<br />
schwierigen und streckenweise hermetischen<br />
Textes nur ahnen. Die archaisch<br />
anmutende, hoch artifizielle Form, die<br />
der Autor für seine Totenklage gewählt<br />
hat, war aber wohl nötig, um die Verzweiflung<br />
in Schach halten und überhaupt<br />
schreiben zu können.<br />
Im Gegensatz zu seinen bisherigen<br />
Werken kennt «Aus der Zeit gefallen»<br />
keine Individuen, sondern nur Typen:<br />
den Gehenden Mann und seine Frau,<br />
den Schuster und die Hebamme, die<br />
Netzflickerin, den Greisen Rechenlehrer,<br />
den Zentauren, den Chronisten und<br />
seine Frau, den Herzog. Sie alle –das<br />
kristallisiert sich nach und nach heraus<br />
–sind vereint in der Trauer über den<br />
Verlust eines Kindes. Sie geben dem<br />
Mann Geleit. Siesind, wie er,unter<strong>weg</strong>s<br />
«nach dort», um in Kontakt zu treten zu<br />
ihren toten Kindern: ein vielstimmiger<br />
Chor von Trauernden, der Sprache zu<br />
finden sucht für seine Qual. Grossman<br />
schafft mit seinem Text eine Art Echoraum<br />
für Geschichten, die, zu lange<br />
schon totgeschwiegen, endlich nach<br />
Ausdruck verlangen und nach Erlösung.<br />
<strong>Neue</strong> Poetik des Lebens<br />
In immer wieder neuen Schüben werden<br />
Erinnerungen wach und Bilder lebendig,<br />
die irgendwo in den Tiefen des<br />
Gedächtnisses verschüttet gewesen waren.<br />
Menschen, die in ihrem Leid verstummt<br />
waren, kehren zurück aus dem<br />
Exil ihrer Sprachlosigkeit und fangen an,<br />
Trauern um ein Kind:<br />
David Grossman hat<br />
2006 einen Sohn im<br />
Krieg verloren. Im Bild<br />
eine trauernde Mutter<br />
2008 im israelischen<br />
MilitärfriedhofMount<br />
Herzl in Jerusalem.<br />
von ihren Kindern zu erzählen. Und so<br />
wie die Mutter in Grossmans letztem<br />
Roman ihren Sohn durch Erzählen vor<br />
dem Tod zu bewahren versucht, so<br />
holen hier die trauernden Eltern ihre<br />
toten Kinder durch Erzählen noch einmal<br />
ins Leben zurück.<br />
Die Mauer, die das Land der Lebenden<br />
vom Land der Toten trennt, überwinden<br />
sie damit zwar nicht. Aber<br />
indem sie bis an den äussersten Rand<br />
des Menschenmöglichen gehen, beginnen<br />
die Grenzen zwischen hier und dort<br />
sich zu verwischen. Leben und Tod<br />
«pendeln sich aus» und es entsteht ein<br />
«beinah zartes Gleichgewicht», sagt die<br />
Frau des Chronisten und ahnt, dass es<br />
Zeit wird, die Totenruhen zu lassen und<br />
ins Leben zurückzukehren. «Das Kind<br />
ist tot», sagt der Gehende Mann. «Nichts<br />
mehr von dir wollen, auch nicht dich<br />
selbst», sagt der Chronist. «Und mir<br />
bricht es das Herz, mein Augenstern,<br />
wenn ich daran denk, dass ich – ist’s<br />
möglich?! –, dass ich dafür die Worte<br />
fand», sagt der Zentaur. Auch David<br />
Grossman hat sie gefunden und mit dieser<br />
Poetik der Trauer den Wegzueiner<br />
neuen Poetik des Lebens freigelegt. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 5
Belletristik<br />
Roman In Verena Stössingersberührendem Buch geht es um einen Mann, dessen Biografiesich im<br />
Dunkeln der Geschichteverliert<br />
Aufdas Gedächtnis istkeinVerlass<br />
Verena Stössinger: Bäume fliehen nicht.<br />
Wallimann, Luzern 2012. 189 Seiten,<br />
Fr.29.–.<br />
VonMartin Zingg<br />
Die Reise ist überfällig, und irgendwann<br />
duldet sie keinen Aufschub mehr. Sie<br />
führt einen Mann zurück an die Orte<br />
seiner Kindheit: Jürgen Ramm hat Jahrgang<br />
1934 und ist geboren in Braunsberg,<br />
einer kleinen Stadt ander Ostsee, die<br />
heute Braniewo heisst und zu Polen gehört.<br />
Er ist aufgewachsen in Orten, die<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg zu neuen<br />
Ländern geschlagen wurden und inzwischen<br />
auch andereNamen tragen. Er hat<br />
seine Wurzeln in einer Welt, die längst<br />
eine andere geworden ist.<br />
Die ostpreussische Gegend haterseit<br />
der Flucht nie mehr gesehen, nun will er<br />
auf einer Reise den wenigen Spuren<br />
nachgehen, denen er zu trauen wagt.<br />
Was er in frühen Jahren erlebt hat,<br />
scheint längst geronnen zu einer Handvoll<br />
zeit- und ortloser Geschichten. An<br />
seine Kindheit und frühe Jugend kann<br />
sich Ramm nämlich nur vage erinnern,<br />
was auch darum schwer wiegt, weil ihm<br />
keine Gegenstände geblieben sind, nur<br />
gerade vier Fotografien hat eraus jener<br />
Zeit, mehr nicht.<br />
JürgenRamm und seine Frau Beasind<br />
die zentralen Figuren inVerena Stössingers<br />
berührendem Roman «Bäume fliehen<br />
nicht». Bei ihrer gemeinsamen<br />
Reise zu den Städten, in denen er vor<br />
Kriegsende gelebt hat, wirdesumvieles<br />
gehen, um mehr als nur um Orte, das<br />
steht früh schon fest. Denn vieles in Jürgens<br />
Biografie hat sich im Dunkel der<br />
Geschichte verlaufen. Als er 1945 nach<br />
längerer Irrfahrt in Berlin landet, hat er<br />
Verena Stössinger,geboren 1951 in Luzern, istausgebildeteNordistin,<br />
Mitinitiantin des Literaturhauses Basel und Schriftstellerin.<br />
CLAUDE GIGER<br />
bereits seine Eltern und einen Bruder<br />
verloren. Seine Mutter hat er sogar selber<br />
bestatten müssen, aber immerhin<br />
haterbis zuletzt bei ihr bleiben können.<br />
Von seinem früh verstorbenen Vater<br />
hingegen hat er nur ein undeutliches<br />
Bild vor Augen, der Vater war ein seltener<br />
Gast in der Familie. Geblieben sind<br />
drängende Fragen, die niemand beantworten<br />
kann. Washat er gearbeitet, der<br />
Vater? Und: wo? Wieso kam ernur am<br />
Wochenende nach Hause? War er am<br />
Ende gar mitbeteiligt am Krieg? Und:<br />
Gibt es Zeugen oder Dokumente, die<br />
darüber Aufschluss geben könnten?<br />
VorOrt, unter<strong>weg</strong>s entlang der Ostsee,<br />
wollen sich die ersehnten Klärungen<br />
nur zögernd einstellen. Die beiden<br />
Reisenden sind im Mietwagen unter<strong>weg</strong>s,<br />
aber die Strassen haben inzwischen<br />
andere Namen, vieles ist zerstört<br />
worden, das Gedächtnis gibt lange Zeit<br />
wenig frei. Behutsam be<strong>weg</strong>t sich das<br />
Paar durch das fremde Land, die beiden<br />
fragen und hören und sehen sich um,<br />
offen für alles, was der vagen Erinnerung<br />
helfen könnte. Am ehesten stellen<br />
sich Glücksgefühle ein, wenn der alte<br />
Jürgen auf kulinarische Spezialitäten<br />
stösst, die der junge Jürgen besonders<br />
mochte, etwa «Glumse», bröckeligen<br />
Quark.<br />
Das Essen vermag immer wieder<br />
Kindheitsmomente abzurufen. Daneben<br />
melden sich unvermittelt Liedfetzen,<br />
plötzlich stellen sich kleine, meist randscharfe<br />
Bilder ein, aber es schiessen<br />
auch manche Fragen hoch. So vieles ist<br />
offen und muss wohl offen bleiben. Ein<br />
Glück, das die jüngereFrauinihrem einfühlsamen<br />
Pragmatismus diese Offenheit<br />
schützt.<br />
Auf das Gedächtnis ist bekanntlich<br />
kein Verlass, Präzises steht oft neben<br />
Vagem, und beides infiziert sich wechselseitig.<br />
In ihrer Erzählweise nimmt<br />
Verena Stössinger auf raffinierte Weise<br />
gerade das Unverlässliche der Erinnerung<br />
auf und macht es zu einem tragenden<br />
Moment der Handlung. Bis in deren<br />
Struktur, indie Sätze hinein bildet die<br />
Erzählerin das Instabile ab, und daraus<br />
wird eine lebendige und spannende<br />
Suchbe<strong>weg</strong>ung, die ein Stück weit auch<br />
das Gesuchte selber ist. Denn der ältere<br />
Jürgen, der die Spuren des Jüngeren<br />
sucht, stellt hinter dem eigenen Rücken<br />
auch die Frage nach einem sinnvollen<br />
Leben. Aus einer Existenz, die über ihre<br />
Anfänge nicht genügend wissen kann<br />
und darum mit der Lückenhaftigkeit der<br />
Biografie zurechtkommen muss, wird<br />
hier ein eindrücklicher Lebensroman. l<br />
Kriminalroman Die Zürcher Autorin MitraDevilässt ihrer Privatdetektivin alteFälle lösen<br />
Spannend wiedie TV-Serie «24»<br />
MitraDevi: Der Blutsfeind. Nora Tabanis<br />
fünfterFall. Appenzeller-Verlag, Herisau<br />
2012. 286 S., Fr.38.–, E-Book 17.90.<br />
VonCharlotte Jacquemart<br />
Dass Mord und Totschlag Mitra Devi<br />
faszinieren, ist bekannt. In ihrem fünften<br />
Kriminalroman mit dem Titel «Der<br />
Blutsfeind» gelingt es der Zürcher Autorin,<br />
aktuelle Tatund Vergangenheit so<br />
zu verbinden, dass ungeklärte Fragen<br />
der letzten Krimis beantwortet werden.<br />
So kommt endlich zu Tage, wer für den<br />
gewaltsamen Toddes Vaters der Protagonistin,<br />
der Privatdetektivin Nora Tabani,<br />
verantwortlich ist. Jahrezuvor war<br />
er ermordet worden –eine Tat, die Nora<br />
bis heute nicht verarbeitet hat.<br />
6 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
In «Der Blutsfeind» gerät die leicht<br />
chaotisch veranlagte Privatdetektivin<br />
vermeintlich zufällig an den Tatort.<br />
Aber eben nur vermeintlich: Sie wird<br />
aus ganz bestimmten Gründen in die<br />
Zürich Credit Bank bestellt, in der sich<br />
in der Folge ein Banküberfall abspielt,<br />
der übel endet. Nora löst den Fall nicht<br />
wirklich, sondern ist Teil des makaberen<br />
Geschehens, das sich zwischen sieben<br />
Uhr morgens und sieben Uhr abends an<br />
nur einem Tage abspielt. Werdie Fernsehserie<br />
«24» kennt, weiss, wie unstimmig<br />
die Handlungen in einem solch<br />
engen Zeitkorsett wirken können. Devi<br />
jedoch gelingt der Zeitraffer hervorragend:<br />
Nie wirken Szenerie oder Aktionen<br />
bemüht. Der Banküberfall in der<br />
Mitte Zürichs, mit dramatischer Geiselnahme<br />
und sich in die Haaregeratenden<br />
Gangstern, fesselt selbst abgebrühte<br />
Krimi-Leser.<br />
Der Sinn des Buchtitels «Blutsfeind»<br />
erschliesst sich dabei den Lesern erst<br />
auf den letzten Seiten des Krimis. Die<br />
Wende, die das Buch zum Schluss<br />
nimmt, kommt zwar überraschend und<br />
mag auf den ersten Blick etwas konstruiert<br />
wirken. Devis gelungene Schreibe<br />
jedoch lässt dies in den Hintergrund treten.<br />
Auch lässt das Ende von«Der Blutsfeind»<br />
der Autorin alle Möglichkeiten<br />
offen für die Zukunft: Sie könnte sich<br />
von Nora ein für allemal verabschieden<br />
Ωoder der Privatdetektivin einen sechsten<br />
Fall bescheren. Auch wenn Mitra<br />
Devi an Lesungen in jüngster Zeit ein<br />
mögliches Ende von Nora inden Raum<br />
stellte, deutet der Epilog eher darauf<br />
hin, dass bald ein weiteres Buch folgt. l
Roman Im mehrfach ausgezeichneten Debüt vonAmy Waldman geht es um den Umgang mit 9/11<br />
Wenn eigene Positionen<br />
insWankengeraten<br />
AmyWaldman: Der amerikanische<br />
Architekt. Ausdem Amerikanischen von<br />
Brigitte Walitzek. Schöffling &Co.,<br />
Frankfurt 2013. 512Seiten, Fr.35.50.<br />
VonSimone vonBüren<br />
2003 wurden beim internationalen<br />
Wettbewerb für die 9/11-Gedenkstätte in<br />
Manhattan 5000 Entwürfe aus 63 Ländern<br />
eingereicht. Ausgewählt wurde<br />
«Reflecting Absence» des in Israel geborenen<br />
Architekten Michael Arad und<br />
des amerikanischen Landschaftsarchitekten<br />
Peter Walker: eine riesige baumbepflanzte<br />
Fläche mit zwei Wasserbecken<br />
an der Stelle der zusammengestürzten<br />
Twin Towers.<br />
Bäume und Wasser dominieren auch<br />
den Entwurf, für den sich die Jury in<br />
AmyWaldmans Debütroman «Der amerikanische<br />
Architekt» entscheidet, der<br />
den Wettbewerb für die Gedenkstätte<br />
als Ausgangspunkt nimmt. «Der Garten»<br />
ist ein geometrischer Raum mit<br />
Wasserkanälen sowie echten und aus<br />
den Stahlüberresten der Türme geformten<br />
Bäumen. Für alles <strong>Weiter</strong>e weicht<br />
Waldman von der jüngsten amerikanischen<br />
Geschichte ab. Denn in ihrem<br />
vielfach ausgezeichneten Roman gerät<br />
der demokratisch gefällte Juryentscheid<br />
ins Wanken, als die Identität des Architekten<br />
bekannt wird: Mohammad Khan,<br />
kurz Mo genannt, Sohn indischer Eltern,<br />
in den USA aufgewachsen, ein attraktiver<br />
Enddreissiger, «ein aufsteigender<br />
Stern am Architektenhimmel» – und<br />
Muslim, wenn auch kein gläubiger. Der<br />
Versuch, den Entwurf unter anderem<br />
Namen zu veröffentlichen, scheitert, als<br />
die brisante Information versehentlich<br />
an die Presse gelangt.<br />
Darf ein Muslim den<br />
Ground Zero (im<br />
Bild) gestalten?Um<br />
diese Fragekreistdas<br />
Buch der «NewYork<br />
Times»-Journalistin<br />
AmyWaldman.<br />
Ambitiöse Reporterin<br />
Sofort instrumentalisieren verschiedene<br />
Gruppen und Individuen die Situation<br />
für ihreeigenen Anliegen: Die Gouverneurin<br />
nutzt die Popularität islamfeindlicher<br />
Argumente für ihren Wahlkampf.<br />
Die ambitiöse Reporterin kennt<br />
keine Skrupel in ihrer Jagd auf eine explosive<br />
Exklusivstory.Die Angehörigen-<br />
Vertreterin in der Jury, die für den Gartengekämpft<br />
hatte,gerät unter Beschuss<br />
von Angehörigen, die in einer unguten<br />
Koalition mit der extremistischen Organisation<br />
«Save America from Islam»<br />
gegeneine voneinem Muslim entworfene<br />
Gedenkstätte kämpfen.<br />
Die einen finden, «der Mohammedaner»<br />
sei per definitionem ungeeignet.<br />
Die anderen projizieren ihre Bedenken<br />
gegenüber der Person auf den Entwurf,<br />
indem sie den Garten –vom Historiker<br />
in der Jury als «Fetisch der europäischen<br />
Aristokratie» bezeichnet –als islamische<br />
Tradition und «Märtyrerparadies»<br />
auslegen, mit dem man islamistischen<br />
Extremisten signalisieren würde,<br />
sie hätten gewonnen.<br />
Politische und persönliche Be<strong>weg</strong>gründe<br />
vermischen sich, Haltungen verfestigen<br />
sich, Prinzipien geraten ins<br />
Wanken, Anwältekommen ins Spiel. Die<br />
Situation eskaliert: Es gibt abgerissene<br />
Kopftücher, Drohungen, Demonstrationen,<br />
eine öffentliche Anhörung, einen<br />
Mord. Wie ein «Kind in einem Sorgerechtsstreit<br />
oder wie die Falkland-Inseln»<br />
kann es Mo nicht allen recht machen.<br />
Man wirft ihm vor, den Wettbewerb<br />
als Karriereschritt zunutzen, und<br />
unterstellt ihm «einen verdeckten Versuch<br />
der Islamisierung». Man beschuldigt<br />
ihn, Amerikazuspalten, und erwartet,<br />
dass erfür dessen Prinzip einsteht,<br />
dass«allein die Leistung zählt und nicht<br />
Namen, Religion oder Herkunft». Irritiert<br />
erkennt er, dass sein Bemühen,<br />
nicht wie ein Verbrecher zu wirken,<br />
dazu führt, «dass ersich wie einer verhielt,<br />
sich wie einer fühlte». Er weigert<br />
sich in der Folge, seinen Entwurf zu erklären,<br />
lässt sich einen Bart wachsen,<br />
rasiert sich wieder und fastet zum erstenMal<br />
in seinem Leben, ohne genau zu<br />
wissen, wieso.<br />
Amy Waldman hat als Reporterin der<br />
«New York Times» über 9/11 und dessen<br />
Folgen berichtet. Sie kennt ihr Material<br />
ausgezeichnet und legt das breite Spektrum<br />
der Argumente und Dilemmata in<br />
intellektueller Schärfe offen. Siespiegelt<br />
die kollektive Verunsicherung anhand<br />
individueller Schicksale und bleibt<br />
dabei nahe an der Realität –abgesehen<br />
von der amüsanten Karikierung von Reportern<br />
der Klatschpresse und rechtspolitischen<br />
Aktivisten. IhreFiguren entfalten<br />
sich weniger in der Beschreibung<br />
von Befindlichkeiten und narrativen<br />
Konstrukten –esgibt einige unglaubwürdige<br />
Affären –als in den lebendigen<br />
Dialogen, die die unterschiedlichen Haltungen<br />
in schnörkelloser Sprache auf<br />
den Punkt bringen.<br />
Wer sich wem unterwirft<br />
Geschickt nutzt die 43-jährige Autorin<br />
eine konkrete fiktive Situation, um Konflikte<br />
und Themen freizulegen, die unsere<br />
Gesellschaft verunsichern und die<br />
dem Leser vertraut sind. Der Roman<br />
wirft komplexe Fragen auf über das<br />
westliche Verhältnis zum Islam, über<br />
den Status der Muslime nach 9/11. Aber<br />
auch über kollektives und individuelles<br />
Trauern, privates und öffentliches Erinnern.<br />
Ist der Trauernde moralisch überlegen?<br />
Wie kann ein kollektiver Verlust<br />
erinnert werden? Wer hat welche Ansprüche<br />
an dieses Gedenken? Wer<br />
schlägt Nutzen daraus?<br />
Das Aufräumen der Geschichte im<br />
Epilog maskiert geschickt eine bleibende<br />
Unsicherheit. Auf Letztere weist<br />
auch der Originaltitel «The Submission»<br />
hin: «Submission» bedeutet sowohl<br />
«Eingabe» für einen Wettbewerb<br />
wie «Unterwerfung» und spielt zudem<br />
an auf die Etymologie des arabischen<br />
Wortes «Muslim» als «der sich Gottunterwirft».<br />
Wer sich wem unterwirft,<br />
bleibt als grosse Frage amEnde des Romans<br />
stehen. Und die eigene liberale<br />
Position, aus der man als Leser bestens<br />
unterhalten die Turbulenzen im Text<br />
verfolgt hat, gerät unter Umständen<br />
doch noch ein wenig ins Wanken. l<br />
GÜNTER GOLLNICK /OKAPIA<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 7
Belletristik<br />
Roman Andrej Bitow treibt mit seinen Lesern ein raffiniertes Spiel. Beim Lesen schwankt man<br />
zwischen Frustration und Vergnügen<br />
Nichtschreiben darf manalles<br />
Andrej Bitow:Der Symmetrielehrer.<br />
Ein Echoroman. Ausdem Russischen<br />
vonRosemarie Tietze. Suhrkamp,Berlin<br />
2012. 333 Seiten, Fr.36.90.<br />
VonSieglinde Geisel<br />
Washeisst lesen, was heisst verstehen?<br />
Beim Versuch der Lektüre von Andrej<br />
Bitows Roman «Der Symmetrielehrer»<br />
kann man an solchen Fragen verzweifeln.<br />
Der Autor gibt sich als Übersetzer<br />
eines verschollenen Romans mit dem<br />
Titel «The Symmetry Teacher» aus. Bereits<br />
«in vorschriftstellerischen Jugendjahren»,<br />
so Bitow in der Vorbemerkung,<br />
habe er diesen Text «aus dem Ausländischen»<br />
ins Russische übersetzt, wobei<br />
er längst nicht alles verstanden habe; die<br />
Übersetzung sei verloren gegangen,<br />
doch Jahre später habe sich dieses vergessene<br />
Buch wieder seiner Phantasie<br />
bemächtigt, so dass eraufgeschrieben<br />
habe, anwas er sich erinnerte. «Zurückverfolgen<br />
lässt sich nun kaum mehr<br />
etwas», so das Fazit dieser (traditionsreichen)<br />
literarischen Verdunkelungsstrategie.<br />
In «Anm. d. Ü.» wendet sich<br />
der Übersetzer-Autor gerne direkt an<br />
den Leser, bisweilen tut das auch die<br />
Übersetzerin aus dem Russischen, Rosemarie<br />
Tietze.<br />
Unmöglich zu sagen, worum es in<br />
diesem Buch geht. In seinem «Vorwort<br />
des Übersetzers» gibt uns Bitow Einblick<br />
in eine ausgetüftelte Konstruktion<br />
aus Symmetrien, Zeitebenen und Paradoxien,<br />
samt entsprechenden Tabellen.<br />
Und in der Tat: Spiegeleffekte finden<br />
sich sowohl auf der Ebene der Figuren<br />
wie der einzelnen Sätze. So erweist sich<br />
etwa der Ich-Erzähler Urbino Vanoski<br />
(«ein englischer Dichter von gemischt<br />
polnisch-holländisch-japanischer Herkunft»)<br />
als Autor und Romanfigur zugleich.<br />
Man stösst auf symmetrisch formulierte<br />
Meta-Sentenzen wie: «Verstehen<br />
Sie, Leben ist Text. (…) Aber auch<br />
Text ist Leben!», oder: «Was zuerst da<br />
war, weiss ich nicht. Ob die Romanidee<br />
die Ereignisse modellierte oder die Ereignisse<br />
die Romanidee vorantrieben.»<br />
Dickicht von Bezügen<br />
Eine literarische Anspielung jagt die andere<br />
indiesem «Echoroman». So verdankt<br />
etwa der «Tristram-Club» dem<br />
«Tristram Shandy» vonLaurenceSterne<br />
seinen Namen, diesem Urroman der<br />
ausschweifenden Abschweifung; das abgründig<br />
ironische Kapitel «Die posthumen<br />
Papiere des Tristram-Clubs» (oder<br />
«The Inevitability of the Unwritten»)<br />
handelt von scheiternden Schriftstellern<br />
und somit nicht vom Schreiben,<br />
sondern vom Nichtschreiben: «Nichtschreiben<br />
darf man alles, was man<br />
möchte. Schreiben darfman nur,was gelingt»,<br />
so zwei der Regeln der Satzungen<br />
dieses Clubs, der sich schliesslich in<br />
8 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
Der russische AutorAndrej Bitow,75, hier im Juli 2009 am<br />
Internationalen Literaturfestival in Leukerbad.<br />
«Verein zum Schutz literarischer Helden<br />
vor ihren Autoren» umbenennt.<br />
Es brauche Leser, «die sich unerschrocken<br />
ins akustische Spiegelkabinett»<br />
dieses Romans hineinwagen, heisst es<br />
im Verlagstext. Denn so brillant, ironisch<br />
und vielstimmig die einzelnen Novellen,<br />
Dialogszenen und Miniatur-Essays<br />
mitunter sind –über weiteStrecken<br />
hin<strong>weg</strong> müht sich der «unerschrockene<br />
Leser» (Kommentar des Verlags) vergeblich,<br />
aus dem Dickicht der Bezüge<br />
klug zu werden. Denn natürlich ist die<br />
vermeintlich raffinierte Konstruktion<br />
nur ein Spiel, und zwar eins auf Kosten<br />
des Lesers, dessen Entzifferungs- und<br />
BEATSCHWEIZER<br />
Decodierungsbemühungen vom Autor-<br />
Übersetzer ignoriert, wenn nicht sabotiert<br />
werden. Lauterlose Enden, die sich<br />
nicht zu einem Ganzen fügen lassen.<br />
Wasmachen wir, zum Beispiel, mit<br />
der Insel-Episode? Vanoski strandet auf<br />
einer Insel, die sich, wie es in Mythen<br />
vorkommen kann, als Rücken eines<br />
Wals entpuppt –wenn dieser auch in<br />
den vergangenen fünfzig Jahren kein<br />
einziges Mal abgetaucht sei; ausserdem<br />
ist von Tsunamis die Rede. Zwei weibliche<br />
Wesen hausen auf dieser einsamen<br />
Insel, Lili und Marleen, sie entpuppen<br />
sich als Zwillingsschwestern, und in<br />
beide verliebt sich Vanoski, obwohl eine<br />
von ihnen ein Hund ist, normalerweise<br />
angekettetimKeller.Dann wieder heisst<br />
es, die beiden seien ein einziges Wesen,<br />
doch keines<strong>weg</strong>s eines namens Lili Marleen,<br />
denn: «Das ist ein Lied, kein<br />
Mensch», so die empörte Lili.<br />
Der gebildete Leser mag an Odysseus<br />
auf Ogygia bei der Nymphe Kalypso<br />
denken, doch was bringt’s? Liegt es in<br />
der Verantwortung des Lesers, Sinn zu<br />
finden, oder in der Verantwortung des<br />
Autors,Sinn zu stiften? Haben wir es mit<br />
blossem l’art pour l’art zu tun, oder gibt<br />
es Nachrichten zu entschlüsseln, über<br />
das Leben und die Liebe,ander Vanoski<br />
auf so viele Arten scheitert?<br />
Brillante Formulierungen<br />
Beides dürfte der Fall sein, und deshalb<br />
ist die Lektüreein Wechselbad zwischen<br />
Frustration und luzidem Vergnügen.<br />
Vanoski verzweifelt angesichts der<br />
«schwindelerregend unverständlichen»<br />
auf Englisch radegebrechten Erzählungeneines<br />
Russen, der Anton heisst –wie<br />
Tschechow, natürlich! –und der bei der<br />
Südpol-Expedition von Robert Scott die<br />
Ponysbetreuthaben soll. Vergnügen bereiten<br />
anderseits Sätze wie: «The more<br />
we live –/The more weleave. /The<br />
morewechoose –/The moreweloose.»<br />
Manches gelingt phänomenal, und manches<br />
entgleitet dem Autor, denn waswir<br />
in den Händen halten, ist ein work in<br />
progress.<br />
Seit den frühen siebziger Jahren, so<br />
erfährt man in der editorischen Notiz,<br />
habe Andrej Bitow an dem Text gearbeitet<br />
–imGrunde schreibe er sein ganzes<br />
Leben an einem einzigen Roman. Zu den<br />
Sujets dieses Lebensromans, der zugleich<br />
alle Sujets verfolgt und keines,<br />
gehört das Verhältnis von Leben und<br />
Schreiben. «Sie wüssten gern, wie alles<br />
in Wirklichkeit war?», fragt Urbino Vanoski<br />
den Reporter am Ende seines Lebens<br />
und am Anfang des Buchs. «Ich<br />
erinnere mich aber nicht, was ich geschrieben<br />
habe und was gelebt.»<br />
Wenn wir das Leben deuten, sind wir<br />
gleichzeitig Autorund Figur. Wirerkennen<br />
Sinn, wo keiner ist, und oft sind wir<br />
blind für Zusammenhänge, die in unseremLeben<br />
wirksam sind. Doch will man<br />
Bücher lesen wie das Leben? l
Betrachtungen Zu seinem 70. Geburtstag schreibt Wilhelm Genazino ein Buch über Frankfurt<br />
Chronist desdeutschen Alltags<br />
Wilhelm Genazino: Tarzan am Main.<br />
Spaziergänge in der Mitte Deutschlands.<br />
Hanser,München 2013. 139 Seiten,<br />
Fr.23.90.<br />
VonSandraLeis<br />
«Als die Post noch Deutsche Bundespost<br />
hiess und keine Gewinne machen<br />
musste», schreibt Wilhelm Genazino in<br />
seinem neuen Buch, «gab es in den<br />
Stadtteilen schöne, grosse und – im<br />
Winter –auch geheizte Schalterhallen.»<br />
Bis zu ihrer Privatisierung hatte die Post<br />
eine «Tendenz zur Gemeinnützigkeit»:<br />
Mütter machten ihre Säuglinge frisch,<br />
Rentnerinnen verzehrten ihre mitgebrachten<br />
Brote und alte Herren kontrollierten<br />
ihre Brieftaschen. Heute sind die<br />
grossen Posthallen weitgehend verschwunden<br />
–die Post ist zur Untermiete.Man<br />
könne nicht sagen, dassdie Post<br />
ihre Aufgaben vernachlässige, so Genazino,<br />
esgehe alles seinen Gang wie früher.<br />
«Nur: Beeindruckt ist von dieser<br />
Post niemand mehr.»<br />
Wilhelm Genazino nimmt in seinen<br />
Romanen und Essays wie früher auch in<br />
seinen Hörspielen und Sketches das Unscheinbare<br />
und Alltägliche in den Blick;<br />
er fahndet nicht nach dem Spektakulären,<br />
sondern nach dem Zeittypischen.<br />
Den literarischen Durchbruch schaffte<br />
er mit seiner Romantrilogie «Abschaffel»<br />
(1977), «Die Vernichtung der Sorgen»<br />
(1978) und «Falsche Jahre» (1979)<br />
über das Leben des Büroangestellten<br />
Abschaffel: Diesem wird sein Beruf<br />
fremd, und in der sogenannten Freizeit<br />
weiss erjelänger, desto weniger etwas<br />
mit sich anzufangen. Allmählich kommt<br />
er sich abhanden, und Genazino beschreibt<br />
diese Entwicklung nüchtern<br />
und genau.<br />
Seit vielen Jahren lebt der Autor in<br />
Frankfurt am Main, wo er einst als Redaktor<br />
der Satirezeitschrift «Pardon»<br />
anheuerte. In der Stadt, die sich zum<br />
einen in ihrer «hausbackenen Eppelwoi-<br />
Seligkeit» gefällt und zum anderen als<br />
«Mainhattan» gelten will, ist Wilhelm<br />
Genazino daheim. Und so macht er<br />
Frankfurt regelmässig zum Schauplatz<br />
seiner Bücher.<br />
Auch in «Tarzan am Main», seinem<br />
jüngsten Band, der zum 70. Geburtstag<br />
des Autors erschienen ist. In seinen Betrachtungen<br />
schreibt Genazino detailliert<br />
und trotzdem immer kurz und bündig<br />
über Supermärkte und Kleinmarkthallen,<br />
über den Bahnhof und die U-<br />
Bahn, über Pendler und Ausländer, Verwahrloste<br />
und Bettler und über Trinker,<br />
die diskret ihre leeren Flaschen entsorgen<br />
und den Nachschub verschämt im<br />
Rucksack verstauen. Er schreibt über<br />
den «Verdruss der Enge» und über die<br />
oft lieblose Architektur seiner Stadt, die<br />
nach dem Krieg möglichst schnell wieder<br />
aufgebaut werden musste.<br />
In seinen Prosaminiaturen zu Frankfurt<br />
versammelt Genazino kleine Beobachtungen,<br />
Gedanken und Erinnerungen.<br />
In kurzen, präzisen Betrachtungen<br />
reflektiert er Gegenwart und Vergangenheit<br />
und ist, was erimmer ist: ein<br />
Chronist des deutschen Alltags. Nicht<br />
mehr, aber auch nicht weniger. Aufgemotzt<br />
und irreführend wirken deshalb<br />
Sätze aus der Werbeabteilung des Hanser-Verlags,<br />
gemäss denen das gewöhnliche<br />
Deutschland «exotischer» sei «als<br />
die Ferne, die inzwischen jeder kennt».<br />
«Tarzan am Main» ist nicht nur ein<br />
Buch über Frankfurt, es ist genauso ein<br />
Buch über Genazino selbst –über seine<br />
kleinbürgerliche Herkunft, über seine<br />
Angst vor dem nächsten Buch und über<br />
die Frage, ob ein sinnvoll abgeschlossenes<br />
Ende eines Schriftstellerlebens<br />
überhaupt möglich ist. In einem Kapitel<br />
beschreibt er, wie ihn zwei Herren vom<br />
Malerei Von der Unmöglichkeit, sich ein Bild zu machen<br />
DieSonne scheintzwischenkahlen Bäumen hindurch.<br />
Zwei Pferde warten darauf,dass die Männer<br />
ihnen den Befehl geben, einen Stamm <strong>weg</strong>zuziehen.<br />
Eine winterliche Szene aus einer anderen Zeit. Uwe<br />
Wittwer, der 1954 in Zürich geborene Künstler,hat<br />
nach einer Fotografie gemalt. Er sammelt historische<br />
Aufnahmen. Viele vonihnen findet er im Internet. Ein<br />
Konvolut wurde in Ostpreussen zurZeit des Zweiten<br />
Weltkriegsgemacht. Die Familie seines Vaters<br />
stammt aus der Gegend zwischen Berlin und dem<br />
alten Königsberg. Die biografische Assoziation istfür<br />
Wittwerallerdingsnicht entscheidend. Er schätzt<br />
Deutschen Literaturarchiv besuchen,<br />
um seinen Vorlass zu inspizieren. In<br />
mehr als dreissig Ordnern hat Genazino<br />
Entwürfe, Vorstufen und Kapitelskizzen<br />
zu kommenden Romanen aufbewahrt.<br />
Er schreibt: «Die Aufzeichnungen sind<br />
oft nur deshalb entstanden, weil ich<br />
meiner inneren Mutlosigkeit irgendetwas<br />
entgegenhalten musste. Ohne diese<br />
Vor-Notizen wären die ‹eigentlichen›<br />
Werke nie entstanden.»<br />
Das wäre furchtbar für einen, der bereits<br />
mit 14 wusste,dass erSchriftsteller<br />
werden wollte und sonst nichts. Sein<br />
Glück steckt in der Arbeit. Genauer: Der<br />
Augenblick des Glücks ist der «Augenblick<br />
der Verwandlung» –ineinen, der<br />
bald schreiben wird. l<br />
historische Vorlagen –gerne dürfen es auch Gemälde<br />
berühmter Vorgänger sein –, weil er mit ihnen<br />
leichter austesten kann, wie ein Bild funktioniert. Wie<br />
es sich verändert, wenn man Lichtpunkteund<br />
Schatten setzt. Und vorallem wie ein Bild verblasst,<br />
so dass es eher dem Versinken als dem Wecken einer<br />
Erinnerung gleicht. Denn Wittwerist der Maler des<br />
zerbrechlichen Gedächtnisses. Er führtuns die<br />
Notwendigkeit und die Unmöglichkeit vor, sich ein<br />
Bild zu machen. GerhardMack<br />
JuergJudin u.a. (Hrsg.): UweWittwer –Paintings.<br />
Hatje Cantz, Ostfildern 2012. 208Seiten, Fr.69.90.<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 9
Belletristik<br />
Roman Im Buch des Kongolesen Alain Mabanckou wirdeine Bar in Brazzaville zur Bühne der Welt<br />
Schlussmit allden<br />
Afro-Klischees!<br />
Alain Mabanckou: Zerbrochenes Glas.<br />
Ausdem Französischen vonHolger Fock<br />
und Sabine Müller.Liebeskind,<br />
München 2013. 224Seiten, Fr.27.50.<br />
VonDavid Signer<br />
Afrikanische Literatur hat hierzulande<br />
einen schwerenStand. Die Begeisterung<br />
für «Dritte Welt»-Literatur ist verflogen.<br />
Kommt hinzu, dass auch die Situation<br />
in Afrika selbst für Schriftsteller<br />
desolat ist. In einer Zehn-Millionen-<br />
Stadt wie Kinshasa gibt es inzwischen<br />
keinen einzigen Buchverlag mehr. Die<br />
meisten der zeitgenössischen Autoren<br />
schreiben aus dem Exil, in ihren Texten<br />
geht es nicht mehr um «Authentizität»,<br />
um Palmwein, Strohhütten, Urwald,<br />
Löwen und Trommeln, sondern um Migration,<br />
Modernisierung, Subkulturen,<br />
Rassismus und hybride Identitäten. Im<br />
Allgemeinen wollen sie nicht als «Afrikaner»<br />
etikettiert und schubladisiert,<br />
sondern einfach als Schriftsteller und<br />
Individuen ernstgenommen werden.<br />
Tatsächlich: Schafft es heute ein solcher<br />
Autor ineinen deutschsprachigen Verlag,<br />
dann nicht dank, sondern eher trotz<br />
der Tatsache, dass eraus Afrika kommt.<br />
Auch die Biografie und das Werk von<br />
Alain Mabanckou stehen im Zeichen der<br />
Globalisierung. 1966 in der Republik<br />
Kongo geboren, ging er zum Jurastudium<br />
nach Paris. Im Folgenden war er<br />
zehn Jahre lang als Berater in einem<br />
französischen Wirtschaftskonzern tätig<br />
und veröffentlichte die Romane «African<br />
Psycho», «Black Bazar» und «Stachelschweins<br />
Memoiren». Letztes Jahr<br />
wurde ervon der Académie française<br />
für sein Gesamtwerk mit dem Grand<br />
Prix de Littératureausgezeichnet. Heute<br />
lebt Mabanckou in Santa Monica und<br />
unterrichtet an der University ofCalifornia<br />
in Los Angeles.<br />
Bar in Brazzaville,<br />
Kongo, wie sie im<br />
neuen Roman von<br />
Alain Mabanckou als<br />
Schauplatz auftaucht.<br />
Den Spiegel vorgehalten<br />
Seinen Roman «Zerbrochenes Glas»<br />
könnteman nach den ersten paar Seiten<br />
leicht unterschätzen. Da schwatzt ein<br />
Mann namens «Zerbrochenes Glas»,<br />
Stammgast in der Bar «Angeschrieben<br />
wird nicht» in Brazzaville, drauflos,<br />
ohne Punkt und Absatz, unzensiert,<br />
wild, vulgär.Hellhörig wirdman spätestens<br />
bei der Stelle, woesheisst: «Der<br />
Wirt des ‹Angeschrieben wird nicht›<br />
kann Binsenwahrheiten von der Art<br />
‹Wenn in Afrika ein Greis stirbt, verbrennt<br />
eine Bibliothek› nicht leiden, und<br />
wenn er dieses ausgelatschte Klischee<br />
hört, wirdermehr als sauer und schiesst<br />
sofort zurück: ‹Hängt doch ganz davon<br />
ab, welcher Greis, also hört auf mit dem<br />
Stuss›.» Offensichtlich geht es nicht<br />
mehr um eine Ehrenrettung des afrikanischen<br />
Erbes wie seinerzeit beim malischen<br />
Schriftsteller Hampâté Bâ, von<br />
dem das Greis-Diktum stammt, sondern<br />
darum, den Leuten inBrazzaville schonungslos<br />
den Spiegel vorzuhalten.<br />
Nach und nach werden die Bargäste<br />
vorgestellt. Da ist der «Pampers-Typ»,<br />
der <strong>weg</strong>en seiner Inkontinenz Windeln<br />
tragen muss, von seiner Frau mit dem<br />
Priester betrogen, um Haus und Habe<br />
gebracht und schliesslich sogar ins Gefängnis<br />
abgeschoben wurde. Oder der<br />
«Drucker», der es bis nach Paris schaffte,<br />
eine Französin heiratete, einen guten<br />
Job ergatterte, seinen unehelichen Sohn<br />
zu sich holte, der dann jedoch eine Liaison<br />
mit seiner Stiefmutter begann, was<br />
den armen «Drucker» ins Irrenhaus<br />
brachte, von woaus er schliesslich in<br />
seine Heimat verfrachtet wurde. Eher<br />
als an Bâ erinnert Mabanckou hier an<br />
Céline, und wohl nicht zufällig trägt die<br />
Ehefrau des «Druckers» den Namen des<br />
berühmt-berüchtigten Autors. Jedes<br />
Porträt in «Zerbrochenes Glas» ist eine<br />
kleine Reise ans Ende der Nacht.<br />
Allerdings ändert sich die Perspektive<br />
in der zweiten Hälfte des Buches.<br />
Stellte sich der Ich-Erzähler anfangs<br />
noch als getreuer und relativnüchterner<br />
Chronist des Treibens dar, erzählt er<br />
nun von seinen eigenen Odysseen in<br />
den Bars und Bordellen des Rotlichtviertels<br />
Rex, und je mehr er sich als<br />
armes Opfer seiner bösen Ehefrau darstellt,<br />
umso mehr ahnen wir, dass erals<br />
objektiver Berichterstatter vielleicht<br />
doch nicht über alle Zweifel erhaben ist.<br />
So erscheinen auf einmal auch die<br />
Schicksale im ersten Teil des Buches in<br />
einem anderen Licht. Spätestens bei diesen<br />
Passagenwirdklar,was für ein raffinierter<br />
Autor Mabanckou ist, trotz seines<br />
schnoddrigen Erzählstils. Am Ende<br />
des Buches, wenn man weiss, wer daeigentlich<br />
spricht, hätte man Lust, nochmals<br />
vonvorne zu beginnen. Man würde<br />
die Schilderungen dann nämlich ganz<br />
anders lesen, in Hinblick darauf, was<br />
verdreht oder verschwiegen wird.<br />
Hinreissende Schwadroneure<br />
In einer selbstironischen Wendung<br />
gerät das Notizheft des Ich-Erzählers<br />
kurz vordessen Selbstmorddem Wirt in<br />
die Hände. Er findet, die Geschichten<br />
seien unlesbar: «Das ist nicht normal,<br />
du musst das ein bisschen ins Reine<br />
bringen… du musst noch einmal von<br />
vorne anfangen.» Das kann er nicht.<br />
«Hat man schon einmal gesehen, dass<br />
jemand ein zerbrochenes Glas wieder<br />
reparieren konnte?», fragt er.Zum Glück<br />
hat er das Buch nicht «ins Reine gebracht».<br />
Dessen Faszination besteht gerade<br />
in den Ungereimtheiten und «Fehlern».<br />
Und soberührend all die tragikomischen<br />
Geschichten sind, wird man<br />
doch auch an Mabanckous kontroversen<br />
Essay «Le sanglot de l’homme noir» erinnert,<br />
in dem er sich über die «Wir<br />
armen Opfer»-Jeremiaden vieler Afrikaner<br />
mokiert. Die hinreissenden Schwadroneure<br />
aus der «Angeschrieben wird<br />
nicht»-Bar würden dort gutals anschauliche<br />
Exempel hineinpassen. l<br />
HECTOR MEDIAVILLA /POLARIS /DUKAS<br />
10 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013
Kurzkritiken Belletristik<br />
E-Krimi des Monats<br />
Die Fahnder austricksen<br />
Johann Nestroy:Historisch-kritische<br />
Ausgabe. Ergänzungen. Deuticke,<br />
Wien 2012. 652Seiten, Fr.89.90.<br />
Katherine Mansfield: In einer deutschen<br />
Pension. Erzählungen. Illustriert vonJoe<br />
Villion. Büchergilde,2012. 276 S., Fr.35.40.<br />
KeigoHigashino: VerdächtigeGeliebte.<br />
Ausdem Japanischen vonUrsula Gräfe.<br />
Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 320 Seiten,<br />
Fr.27.90,E-Book 18.90.<br />
Dass der Ergänzungsband einer historisch-kritischen<br />
Ausgabe dem allgemeinen<br />
Publikum zur Lektüre empfohlen<br />
wird, bedarf der Erklärung. Hier ist sie:<br />
Der Wiener Johann Nestroy ist, Grillparzer<br />
hin, Hebbel her, der bedeutendste<br />
deutsche Dramatiker des 19. Jahrhunderts<br />
nach Goethe, Schiller, Kleist und<br />
Büchner. Ein Komiker von Shakespeare’schem<br />
Format. Deshalb ist er in<br />
einer gründlichen, wenngleich hässlichen<br />
Gesamtausgabe gewürdigt worden.<br />
Nun ist jedoch etwas eingetreten,<br />
das der Albtraum aller Editoren, aber<br />
der Traum der geneigten Leser ist. Just<br />
als die emsigen Germanisten ihreArbeit<br />
für abgeschlossen hielten, sind entscheidende<br />
neue Manuskripte aufgetaucht:<br />
jene der Dramen «Der Weltuntergang»<br />
und «Die schlimmen Buben in der Schule».<br />
Sie erscheinen hier erstmals in<br />
authentischer Gestalt. Lustigeres kann<br />
man schwerlich lesen.<br />
Manfred Papst<br />
Techno der Jaguare. <strong>Neue</strong> Erzählerinnen<br />
aus Georgien. Frankfurter Verlags-Anstalt,<br />
Frankfurt a. M. 2013. 256 Seiten, Fr.28.40.<br />
Ist nicht allein der Titel ein Versprechen?<br />
«Techno»: laut und durchdringend.<br />
«Jaguare»: gefährlich und geschmeidig.<br />
Wirlesen hier vier Erzählungen,<br />
einen Auszug aus einer Erzählung,<br />
einen aus einem Roman –der diesem<br />
Sammelband den Titel lieh –sowie ein<br />
Theaterstück. In den Texten der sieben<br />
georgischen Autorinnen, Jahrgängezwischen<br />
1964 und 1983, finden wir zwar<br />
jenen rauen Exotismus, den wir spontan<br />
mit dem Land am Schwarzen Meer verbinden:<br />
Kriege, patriarchalische Strukturen.<br />
Doch dann erleben die Protagonistinnen<br />
auch ganz ähnliche Dramen<br />
wie wir; oder es geht um die Ausgrenzung<br />
von Behinderten. Was «Techno<br />
der Jaguare» zu einer Bereicherung unserer<br />
angelsächsisch dominierten Lektüre<br />
macht, ist mitunter das Suchende,<br />
Fordernde im Ton. Auf jeden Fall möchte<br />
man mehr aus dieser Fremde lesen.<br />
Regula Freuler<br />
Die gebürtige Neuseeländerin Katherine<br />
Mansfield, die vor 90Jahren erst<br />
34-jährig an Tuberkulose starb, gehört<br />
zu den Wegbereiterinnen der modernen<br />
englischen Shortstory: Kühl und knapp<br />
sind ihre Geschichten. In Anbetracht<br />
der Überschaubarkeit ihres Werks von<br />
73 Storys ist Mansfield eine erstaunlich<br />
kontinuierlich rezipierte Autorin. Erst<br />
letztes Jahr hat der Diogenes-Verlag<br />
sämtliche Erzählungen neu aufgelegt, in<br />
Elisabeth Schnacks Übersetzung von<br />
1980. Von diesen gibt die Edition Büchergilde<br />
jene 13 heraus, mit denen die<br />
Autorin 1909 debütierte. Die deutsche<br />
Künstlerin Joe Villion, eine Schülerin<br />
Henning Wagenbreths, hat sie illustriert:<br />
in Konfekt-Farben und mit Art-<br />
Déco-Anleihen. Bei Diogenes bekommt<br />
man für den doppelten Preis zwar fast<br />
sechsmal so viele Texte, aber Villions<br />
Bilder machen die Büchergilde-Ausgabe<br />
zum zigfach schöneren Geschenk.<br />
Regula Freuler<br />
RobertGernhardt: Hinter der Kurve.<br />
Reisen 1978–2005. S. Fischer,Frankfurt 2012.<br />
302 Seiten, mit Abbildungen, Fr.29.90.<br />
Sechs Jahre sind es nun schon her, seit<br />
uns der grosse Lyriker, Erzähler und Essayist,<br />
Maler und Zeichner Robert Gernhardt<br />
(1937–2006) abhandengekommen<br />
ist. Er fehlt uns nach wie vor. Immerhin<br />
erreichen uns mit schöner Regelmässigkeit<br />
Publikationen aus seinem Nachlass.<br />
Deren jüngsteist ein vonKristina Maidt-<br />
Zinke herausgegebener Band mit Erzählungen,<br />
Zeichnungen und Essays von<br />
Reisen, wie sie sich in grosser Zahl in<br />
Gernhardts «Brunnen-Heften» – 675<br />
Notiz- und Zeichenheften der Marke<br />
«Brunnen» –befinden. Die Sammlung<br />
«Hinter der Kurve» vereint Texte zu<br />
Estland, Österreich, der Schweiz, Italien,<br />
Frankreich, Spanien, Portugal, England,<br />
Kanada, den USA, Brasilien, Indonesien,<br />
Thailand, Südafrika, Botswana.<br />
Gerade inihrer pointierten Skizzenhaftigkeit,<br />
in der unverstellten Neugier des<br />
Autors erweist sich ihr besonderer Reiz.<br />
Manfred Papst<br />
Die alleinerziehende MutterYasuko<br />
Hanaokalebtmit ihrer Tochter in<br />
Tokio ein unauffälliges Leben. Bis eines<br />
Tagesihr Ex-Mann vorder Wohnungstür<br />
steht. Er will Geld. Er will Yasuko<br />
zurück. Er belästigt ihreTochter.Diese<br />
schlägt zu, mit der Vase,auf seinen<br />
Kopf.Der Ex-Mann stürzt sich auf die<br />
Tochter,ausser sich vorWut.Yasuko<br />
schlingt ihm ein Kabel um den Hals<br />
und zieht zu. Er wehrt sich heftig. Die<br />
Tochter hilftihrer Mutter. Undplötzlich<br />
rührt er sich nicht mehr,liegt<br />
regungslos da, tot, mitteninYasukos<br />
Wohnung. Undnun, wastun?Sich<br />
stellen –und riskieren, dassauch die<br />
Tochter nicht unbehelligt davonkommt?<br />
In diesem Moment klingelt das<br />
Telefon. Der Nachbar Ishigami ist am<br />
Apparat.«Frau Hanaoko, es ist sehr<br />
schwer, eine menschliche Leiche verschwinden<br />
zu lassen», sagt er.«Eine<br />
Frau schafft das nicht alleine. Wiewäre<br />
es, wenn ich zu ihnen rüberkäme?»<br />
All dies ereignet sich auf den ersten<br />
dreissig Seiten des Romans «Verdächtige<br />
Geliebte» des japanischen Autors<br />
Keigo Higashino. Von Beginn <strong>weg</strong> ist<br />
klar, wer die Täterin ist. Und es<br />
scheint klar, umwelches Delikt es<br />
geht. Auch wenn am Schluss dann<br />
einiges ganz anders kommt.<br />
Nachbar Ishigami, der Yasuko heimlich<br />
liebt, ist ein Mathe-Genie und ein<br />
Experte des logischen Denkens. Sein<br />
Ziel: Den Totschlag nachträglich so<br />
darzustellen, dass Yasuko nicht als<br />
Täterin überführt werden kann, weil<br />
sie über ein nahezu perfektes Alibi<br />
verfügt. Er lässt die Polizei Spuren finden,<br />
die in Wirklichkeit keine sind. Er<br />
macht sich die Blindheit zunutze, die<br />
durch vorgefasste Überzeugungen entsteht.<br />
Er trickst die Fahnder auf dieselbe<br />
Weise aus wie seine Studenten,<br />
die er glauben lässt, sie müssten eine<br />
geometrische Aufgabe lösen, dabei<br />
geht es um Algebra.<br />
Der Plan könnte gelingen. Wäre<br />
sein Widersacher, ein Helfer der<br />
Polizei, nicht ein ehemaliger<br />
Studienkollege mit fast<br />
ebenso hellem Kopf. Dieser<br />
stellt Ishigami die Frage:<br />
«Was ist schwieriger, ein<br />
unlösbares Problem zu<br />
schaffen oder es zu lösen?»<br />
Nicht nur der Buchtitel,<br />
auch Keigo Higashinos<br />
schnörkelloser Stil erinnert<br />
an seinen weit bekannteren<br />
Landsmann Haruki Murakami.<br />
Wasausschliesslich als Kompliment<br />
zu verstehen ist.<br />
Higashino erzählt eine<br />
aussergewöhnliche<br />
Kriminalgeschichte:<br />
spannend und überaus<br />
intelligent.<br />
VonChristine Brand l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 11
Essay<br />
Übersetzungen vonKlassikern boomen. Worin liegt der Reiz, sich<br />
jahrelang mit einer Lyrikerin zu beschäftigen?Unter anderem darin, sich<br />
der Verführungskrafteines grossartigen Werksauszusetzen, schreibt die<br />
Emily-Dickinson-Übersetzerin Gunhild Kübler<br />
Endlose<br />
Knobeleien<br />
Am Anfang war die Freude am Original: ein<br />
verblüfftes Aufhorchen, dann Begeisterung,<br />
eine Art Erhebung –oder, umesmit dem Titel<br />
eines Gedichtbands von Niklaus Meienberg zu<br />
sagen: «Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt<br />
ins Hochgebirge». Wobei das Hochgebirge<br />
in meinem Fall ein orangerotes Reclam-Bändchen<br />
mit etwas über hundert Gedichten der<br />
amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson<br />
(1830–1886) war.<br />
Bald fünfzehn Jahreist das nun her.Einer der<br />
Freunde in einem Lesezirkel, dem ich seit Jahrzehnten<br />
angehöre, hatte vorgeschlagen, Emily<br />
Dickinsons Lyrik auf unser monatliches Lektüreprogramm<br />
zu setzen. Auf diese Idee wäre ich<br />
selbst nie gekommen. Während meines Anglistikstudiums<br />
hatte ich nichts von dieser Dichterin<br />
gehört, was damit zusammenhängen mag,<br />
dass sie zu Lebzeiten von den rund 1800 Gedichten<br />
ihres Gesamtwerks nur 10 anonym veröffentlicht<br />
hat und die spätere Edition ihrer<br />
Lyrik mehr als ein halbes Jahrhundert lang von<br />
Familienfehden behindert war. Auch fand ihre<br />
feministische Entdeckung erst statt, als ich<br />
schon nicht mehr an der Universität war. Und<br />
zudem war mit den Jahren mein früher intensivesInteresse<br />
an Lyrik abgekühlt. Ichkonntemir<br />
nicht vorstellen, dass esnoch einmal aufflammen<br />
würde.<br />
Gewagte Bilder<br />
Unlustig öffneteich also das Reclam-Bändchen<br />
in der ersten Hälfte, und mein Blick fiel auf ein<br />
Gedicht, von dem ich heute weiss, dass esin<br />
Dickinsons Werk nicht gerade zu den bedeutenden<br />
gehört. «If Ishould’nt be alive /When<br />
the Robins come /Give the one in Red Cravat,<br />
/AMemorial crumb», hiess esdainkraftvollen,<br />
gereimten Versen. Rechts davon in umständlicher<br />
deutscher Prosa: «Wenn ich nicht<br />
am Leben sein sollte/Wenn die Drosseln kommen<br />
/Gib der einen in roter Krawatte /Einen<br />
Erinnerungskrumen.»<br />
Ich weiss noch, dass mir diese Vogel-Fütter-<br />
Szene als Ritual des Andenkens an eine verstorbene<br />
Freundin sentimental vorkam –solange,<br />
12 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
bis ich die zweite und letzte Strophe gelesen<br />
hatte: «If Icould’nt thank you, /Being fast asleep,/You<br />
will knowI’m trying /With my Granite<br />
lip!»<br />
Vonseinem Schlussvers her wird der Achtzeiler<br />
wie unter Strom gesetzt. Starkes Zooming<br />
reisst einen beim Lesen plötzlich unter<br />
den Boden, wo die jetzt noch lebendige Freundin<br />
einst mit geschlossenen Augen ruhen wird<br />
wie eine Statue. Riesig vergrössert erscheint ihr<br />
Mund und zeigt sie für immer unerreichbar und<br />
radikal verwandelt, nämlich in Granit –aber<br />
«Metrum, Rhythmus und<br />
Reim bringen den Text im<br />
Original in ein weiches<br />
Wiegen und Ziehen, laden<br />
ihn auf mit Leiden und<br />
mit Leidenschaft.»<br />
trotzdem noch der angeredeten Person liebevoll<br />
zugetan. Anders ist nicht zu erklären, dass<br />
sie auch noch als Tote versucht, mit ihr zu<br />
reden. Der kleine, von seinem Ende her herzzerreissende<br />
Text inszeniert prägnant die brutale<br />
Endgültigkeit des Tods und zugleich den<br />
hinfälligen Versuch eines Einspruchs der Liebe.<br />
Gleich darauf las ich mich fest an einem Liebesgedicht.<br />
Darin gesteht eine Frau, dass sie<br />
alle beneidet, die an ihrer Statt mit dem abgereisten<br />
Geliebten zusammen sein dürfen: das<br />
Meer, auf dem er fortsegelt, die Räder seines<br />
Wagens, die ihm nachblickende Landschaft,<br />
Spatzen auf seinem Dach, Fliegen am Fenster,<br />
zuletzt sogar das pureTageslicht um ihn herum<br />
und ganz besonders die Mittagsglocken. Sie<br />
selbst wolle ihm Mittag sein, heisst es mysteriös.<br />
Ein gewagtes Bild. Wergenauer hinsieht,<br />
erkennt weit mehr als die beiden mittags aufeinanderliegenden<br />
Zeiger einer Turmuhr.<br />
Im Original beginnt das Ganze so: «I envy<br />
Seas, whereon He rides –/Ienvy Spokes of<br />
Wheels /OfChariots, thatHim convey –Ienvy<br />
Crooked Hills // That gaze opon His journey–/<br />
HoweasyAll can see /Whatisforbidden utterly<br />
/AsHeaven –unto me!»<br />
Und soweiter über sechs Strophen hin. Metrum,<br />
Rhythmus und Reim bringen den Text im<br />
Original in ein weiches Wiegen und Ziehen,<br />
laden ihn auf mit Leiden und Leidenschaft. Die<br />
deutsche Version jedoch bleibt bei Prosa und<br />
beginnt mit einem unfreiwilligen Witz: «Ich beneide<br />
das Meer, auf dem er schifft.»<br />
Ihre Stimme zum Leuchten bringen<br />
Trotzdem hat die Lektüre dieses Reclam-Bändchens<br />
–feierlich gesagt –mein Leben verändert.<br />
Nicht nur <strong>weg</strong>enmeiner Freude am Original,<br />
sondern sicher auch weil die Übersetzung<br />
so unbefriedigend war. Hätte ich damals gleich<br />
das Bändchen von Lola Gruenthal in der Hand<br />
gehabt, die mit viel Sinn für den Klang deutscher<br />
Verse circa hundert Gedichte übersetzt<br />
hat, oder die Ausgabe vonWerner vonKoppenfels,<br />
der mehr als dreihundert Gedichte vorlegte<br />
–wer weiss, ob ich selber hätte in Aktion<br />
treten wollen.<br />
So aber drängteesmich, meine Begeisterung<br />
produktiv zumachen, das heisst, diese Dichterin<br />
und ihre Zeit so gründlich wie nur möglich<br />
kennenzulernen und gleichzeitig auszuprobieren,<br />
ob sich das, wasdiese wunderbareGeistesstimme<br />
aus der Vergangenheit einst zum Ausdruck<br />
gebracht hatte,auf Deutsch mit ähnlicher<br />
Leuchtkraft würde sagen lassen. Mehrere<br />
Schulhefte füllten sich nun mit meinen metrisch<br />
strengen und gereimten Versionen des<br />
Reclam-Bändchens: «Ich neid dem Meer, dass<br />
es Ihn trägt –/Beneid des Rades Speichen /An<br />
Wagen, die ihn fahren –/Beneid die Hügelreiche<br />
// Landschaft die Seine Reise sieht –/Wie<br />
leicht fällt jeder Blick /Auf das was ganz verborgen<br />
ist –/Für mich –wie Himmelsglück!»<br />
und so weiter.<br />
Zurgleichen Zeit erschien bei HarvardPress<br />
eine neue dreibändige Dickinson-Ausgabe. Es<br />
war die erste, die auf Grund der Originalhandschriften<br />
eine Chronologie ihrer Lyrik fest-<br />
▼
Emily Dickinson<br />
Die amerikanische Schriftstellerin Emily<br />
Dickinson (1830–1886) entstammt einer streng<br />
puritanischen Familie des College-Städtchens<br />
Amherst (Massachusetts), das sie zeitlebens<br />
kaum verlassen hat. Sie publizierte zu Lebzeiten<br />
nur 10,hinterliess aber rund 1800 Gedichte.<br />
Lieferbaredeutsche Übersetzungen ihrer Lyrik:<br />
•Gertrud Liepe, Reclam, ca. 100Gedichte.<br />
•Lola Gruenthal, Diogenes, ca. 100Gedichte.<br />
•Werner vonKoppenfels, Dieterich’sche<br />
Verlagsbuchhandlung, ca. 300 Gedichte.<br />
•Wolfgang Schlenker,Engeler,<br />
51 Gedichte.<br />
•Gunhild Kübler,Hanser,ca. 600 Gedichte.<br />
Diese 2008 mit dem Paul-Scheerbart-Preis<br />
ausgezeichneteAusgabe gibt es mittlerweile<br />
auch als Fischer-Taschenbuch.<br />
AMHERSTCOLLEGE ARCHIVESAND SPECIAL COLLECTIONS AND THE EMILYDICKINSON /AP<br />
Links: Die einzigeheutenoch existierende Fotografie<br />
vonEmily Dickinson (um1847/1848). Unten: Das<br />
Haus in Amherst,Massachusetts, wo sie Zeit ihres<br />
Lebens wohnte, istheuteein Museum. Ganz unten: Das<br />
Schlafzimmer der Dichterin.<br />
SUSAN PEASE /ALAMY<br />
JESSICAMESTRE /AP<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 13
10CFWMKw4CQRAFT9ST9_qXGVqSdZsVBN-GoLm_IoNDlKuq86wY-HE_rufxKAIewplzacWKMd2LSwfDCkpX0G5MVdLtTxdwpcF6KwIVejNFKbQOZtP2oHcMHZ_X-wtsyfiKfwAAAA==<br />
10CAsNsjY0MDAx1TW0MLOwNAIAFsuL9A8AAAA=<br />
Essay<br />
▼<br />
«Emily Dickinsons Lyrik<br />
ist mutig, frei und radikal,<br />
ver<strong>weg</strong>en bis zur<br />
Blasphemie und mitunter<br />
schockierend rückhaltlos in<br />
ihrer Selbstenthüllung.»<br />
legte und Schluss machte mit der weit verbreiteten<br />
Vorstellung, Dickinson sei eine Dichterin<br />
ohne jede Entwicklung. Ich stürzte mich<br />
drauf. Eswar atemberaubend, zu beobachten,<br />
wie sich dieses riesige Werk inseiner ganzen<br />
Fülle Zug umZug entfaltete. Um meinem Verständnis<br />
auf die Sprünge zuhelfen und mir so<br />
etwaswie eine Vertrautheit aus der Ferne anzueignen,<br />
las ich mich nebenbei durch ganze Regale<br />
von Sekundärliteratur, die ich aus der Zürcher<br />
Zentralbibliothek nach Hause schleppte –<br />
Biografien, Geschichtsbücher und Stapel von<br />
Einzeldarstellungen. Nur die beiden stockfleckigen<br />
Bände eines Websters aus dem Jahr 1832<br />
(fast das gleiche Wörterbuch lag bei Emily Dickinson<br />
ständig auf dem Tisch) mussten im Lesesaal<br />
bleiben.<br />
So viel verstand ich, je mehr ich las: Diese<br />
Dichterin ist weit mehr als hundert Jahre weit<br />
<strong>weg</strong> von der damals von Frauen ihres puritanischen<br />
Milieus geforderten biederen Schicklichkeit.<br />
Ihre Lyrik ist mutig, frei und radikal in der<br />
Erforschung von Lebens- und Liebesfragen,<br />
ver<strong>weg</strong>en bis zur Blasphemie in der Durchleuchtung<br />
von Glaubensinhalten und mitunter<br />
schockierend rückhaltlos im Ausmass der<br />
Selbstenthüllung. Kein Wunder, dass sie ihre<br />
Kühnheiten lebenslang unter Verschluss hielt.<br />
Unerschütterlich ist dabei ihr Vertrauen in<br />
die Bannkraft der poetischen Sprache. Die<br />
akustischen Finessen der lyrischen Tradition<br />
hatte sie von Kirchenliedern her seit Kindertagen<br />
imOhr und setzte sie ein als die zauberischen<br />
Suggestionstechniken, die sie von Alters<br />
her waren –ein das Denken und Sprechen auf<br />
Touren bringendes und seine Logik, Eindringlichkeit<br />
und Schlagkraft erhöhendes Instrument.<br />
Das sollte in meiner Übersetzung hörbar<br />
sein, nahm ich mir vor. Doch genau dagegen<br />
leisten Gedichte, eben weil sie Gedichte sind,<br />
extremen Widerstand. Schillernd vor Vieldeutigkeiten,<br />
spielen sie gleichzeitig auf mehreren<br />
Ebenen. Unmöglich, das alles in einer anderen<br />
Sprache nachzubilden, noch dazu, wenn der<br />
dafür vorgesehene Raum durch Metrum und<br />
Reim so streng eingeengt ist wie sonst nie. Das<br />
Der Grabstein vonEmily Dickinson auf dem Friedhofvon<br />
Amherst (MA), im Nordostender USA.<br />
kann nicht gutgehen. JacobGrimm hatesschon<br />
vorüber 200 Jahren gewusst: «Eine treue Übersetzung<br />
eines wahren Gedichts ist unmöglich,<br />
sie müsste, um nicht schlechter zu sein, mit<br />
dem Original zusammenfallen.»<br />
Also lässt man besser die Finger davon? –<br />
«Impossibility, like Wine /Exhilirates the Man<br />
/Who tastes it» (Unmöglichkeit, wie Wein /<br />
Beschwingt den, der sie kostet) –sobeginnt<br />
eins von Dickinsons Gedichten. Man kann es<br />
auf viele Spielarten der Unmöglichkeit beziehen,<br />
und natürlich sind die hier Angesprochenen<br />
nicht nur Männer. Rechnet man auch die<br />
Unmöglichkeit, Dickinsons Lyrik zu übersetzen,<br />
dazu, dann redet das Gedicht vombelebenden<br />
Bedürfnis, es trotzdem zu tun.<br />
BETH HARPAZ /AP<br />
Dickinson-Liebhaber in aller Welt<br />
Dass esungeachtet aller Hindernisse gelingen<br />
kann, dafür steht kein Geringerer als Paul<br />
Celan. Insgesamt zehn Gedichte von Emily Dickinson<br />
hat er1959 und 1963 mit einer umwerfenden<br />
Prägnanz übersetzt, die mir bewusst<br />
machte, was auf Deutsch möglich ist. Ein Beispiel:<br />
Die Verszeile «We slowly drove – He<br />
knew nohaste» (aus dem Gedicht «Because I<br />
could not stop for Death») übersetzt Celan:<br />
«Ihm gingsauch langsamschnell genug.» Seine<br />
Version mit dem Zusammenprall der antithetischen<br />
Kontraste genau in der Versmitte gefällt<br />
mir noch besser als das Original. Man kann von<br />
ihr lernen. Sie zukopieren, verbietet sich von<br />
selbst. Meine Version desselben Verses ist zwar<br />
näher am Original, aber weniger brillant: «Gemächlich<br />
gings–Ihm eilt es nicht.» Die Ermunterung<br />
durch Celans Version war jedoch beträchtlich.<br />
Sie setzte Massstäbe. Dass man Einfallsreichtum<br />
trainieren kann wie die Fingerfertigkeit<br />
beim Klavierspielen, ist eine alte Übersetzerweisheit.<br />
Weit davon entfernt, meine Tätigkeit<br />
als Dichten einzuschätzen, sehe ich mich<br />
selber als mittlerweile gut trainierte Vermittlerin,<br />
respektvoll hingegeben an eine überwältigende<br />
Arbeit. Die hat mir mit den Jahren auch<br />
ihre elende Seite offenbart, doch will ich hier<br />
nicht jammern. Denn klar steht mir vor Augen,<br />
wasEmilyDickinson mir inzwischen geschenkt<br />
hat zusätzlich zu ihrer Lyrik: ergiebige (wenn<br />
auch oft nur elektronische) Kontakte mit Dickinson-Liebhabern<br />
und -Experten in aller Welt<br />
und viele Freunde, die ich mit meiner Freude<br />
angesteckt habe.<br />
Diese so spät entdeckte Dichterin durchquert<br />
inzwischen Zeiten und Räume. Schon vor<br />
Jahrzehnten ist eine erste japanische Übersetzung<br />
ihrer sämtlichen Gedichte erschienen. Es<br />
gibt italienische und französische Gesamtausgaben.<br />
Zurzeit entsteht eine Übersetzung ins<br />
Chinesische, und in Shanghai wird eine Konferenz<br />
vorbereitet zum Thema «Emily Dickinson<br />
–aWorld Poet».<br />
Skrupulöser geworden<br />
Meine zweisprachige Anthologie mit etwas<br />
über 600 Gedichten ist 2006 bei Hanser erschienen,<br />
und seit zwei Jahren gibt es davon<br />
eine Taschenbuchausgabe bei Fischer.<br />
Doch habe ich mit dem Übersetzen nicht aufgehört<br />
und arbeiteseit Jahren kontinuierlich an<br />
der ersten deutschen Ausgabe sämtlicher Gedichte.<br />
Es geht langsam voran, nicht nur, weil<br />
jetzt auch eine Reihe von fast unlösbar rätselhaften<br />
Gedichten auf dem Programm steht,<br />
sondern auch, weil ich bei der Arbeit in all den<br />
Jahren nicht etwa routinierter,sondern vorsichtiger,skrupulöser<br />
geworden bin. Schier endlose<br />
Knobeleien verfolgen mich weit jenseits vom<br />
Schreibtisch mittlerweile überallhin. Und ich<br />
bin glücklich damit.<br />
EmilyDickinson hat, seit ich ihr Gesamtwerk<br />
in- und auswendig kenne, für mich ein neues<br />
Gesicht bekommen. Jetzt sehe ich den tiefen<br />
Abdruck der Schrecken des amerikanischen<br />
Bürgerkriegs inihren Gedichten. Noch abgründiger<br />
kommt mir nun ihr Reden vom Tod vor,<br />
noch intensiver ihre Diesseitsfreude, noch moderner<br />
ihre Skepsis in religiösen Dingen und<br />
ihre Erforschung der «Keller» unserer Seele.<br />
Und manchmal sehe ich aus dem 19. Jahrhundert<br />
eine Zeitgenossin auf mich zukommen.<br />
Wenn das keine wundersame Erweiterung der<br />
Pupillen ist. l<br />
Gunhild Kübler übersetzt zurzeit sämtliche<br />
1800 Gedichtevon EmilyDickinson. Der<br />
Erscheinungstermin ist noch offen.<br />
14 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013
Kolumne<br />
Charles Lewinskys Zitatenlese<br />
Kurzkritiken Sachbuch<br />
Ichwar schon als kleiner<br />
Jungeein Lügner.<br />
Das kamvom Lesen.<br />
Thomas Sprecher: Schweizer Monat<br />
1921-2012. Eine Geschichteder Zeitschrift.<br />
SMH Verlag,Zürich 2013. 272Seiten, Fr.39.–.<br />
Toby Lester: Die Symmetrie der Welt.<br />
Leonardo und seine berühmtesteZeichnung.<br />
Berlin Verlag,Berlin 2012. 287 S., Fr.37.90.<br />
GAËTAN BALLY/KEYSTONE<br />
Der AutorCharles<br />
Lewinskyarbeitet in<br />
den verschiedensten<br />
Sparten. Sein neues<br />
Buch «Schweizen –<br />
vierundzwanzig<br />
Zukünfte»ist soeben<br />
im Verlag Nagel &<br />
Kimche erschienen.<br />
Isaak Babel<br />
«Alle Autoren sind Lügner», sagt ein<br />
chinesisches Sprichwort. (Und fügt,<br />
gegen alle fernöstliche Höflichkeit<br />
hinzu: «Alle Leser sind Idioten, weil sie<br />
die Lügen glauben.») Der Satz hat was.<br />
(Nur der erste Teil natürlich.) Ein Buch<br />
zu schreiben ist eine der wenigen gesellschaftlich<br />
akzeptierten Arten, die<br />
Unwahrheit zu sagen.<br />
Zugegeben, es gibt auch andere Berufe,<br />
bei denen der ökonomische Umgang<br />
mit der Wahrheit zum professionellen<br />
Alltag gehört. Politiker, zum Beispiel,<br />
oder Werbeleute.<br />
Aber die dürfen den mangelnden<br />
Wirklichkeitsbezug ihrer Aussagen<br />
nicht offen zugeben, sondern müssen<br />
im Brustton der Überzeugung behaupten,<br />
immer nur die Wahrheit und nichts<br />
als die Wahrheit zu sagen. Weil sie<br />
sonst nämlich Gefahr laufen, ihr Amt<br />
zu verlieren. Oder, noch viel schlimmer,<br />
ihren Account.<br />
Wir Schreiberlinge hingegen…<br />
Wir dürfen von Heldentaten erzählen,<br />
die nie stattgefunden haben,<br />
dürfen uns Liebesgeschichten mit<br />
bonbonrosafarbigen Happyends ausdenken,<br />
dürfen unsere Protagonisten<br />
Schlachten schlagen lassen, in denen<br />
wir ganz allein über Sieger und Verlierer<br />
entscheiden.<br />
Wir dürfen alles. Manchmal bekommen<br />
wir sogar Preise dafür.<br />
Und der Leser, dieser nette Mensch,<br />
ist stets bereit, uns unsere Lügen zu<br />
glauben. Nicht etwa, weil er ein Idiot<br />
ist –Schande über den unhöflichen<br />
chinesischen Sprichworterfinder! –,<br />
sondern weil er weiss, dass die sonst so<br />
gut bewachte Grenze zwischen Wahrheit<br />
und Erfindung in einem Buch<br />
durchlässig wird. Und weil die literarische<br />
Lüge manchmal viel wahrer sein<br />
kann als die Wirklichkeit, die sie zu<br />
beschreiben vorgibt.<br />
Einmal, ich erinnere mich gern<br />
daran, ist mir so ein perfektes Täuschungsmanöver<br />
gelungen. Als ein<br />
Kritiker «Melnitz» rezensierte und<br />
meinte, manche der Figuren, die darin<br />
vorkämen, müssten wohl ein reales<br />
Vorbild haben. Weil man nämlich,<br />
schrieb er, so lebendige Charaktere<br />
nicht erfinden könne.<br />
Für den schreibenden Berufslügner<br />
ist so eine Bemerkung schon fast der<br />
Münchhausen-Pokal.<br />
Ja, wir dürfen rund um die Uhr nach<br />
Herzenslust lügen und schummeln.<br />
Und nur schon deshalb ist das Schreiberleben<br />
auch immer ein reines Vergnügen<br />
und hat mit wirklicher Arbeit<br />
überhaupt nichts zu tun.<br />
(Was eben, falls Sie es<br />
nicht gemerkt haben<br />
sollten, auch schon<br />
wieder gelogen war.)<br />
Im Oktober 2012 feierte der «Schweizer<br />
Monat» seine 1000. Ausgabe. Nun wirft<br />
Thomas Sprecher,Jurist und Germanist,<br />
einen Blick auf die wechselvolle Geschichte<br />
des Journals, dessen Verlag er<br />
präsidiert. 1921 gegründet, geriet das<br />
Blatt erst unter frontistisch-deutschfreundlichen<br />
Einfluss bis 1934. ImZweiten<br />
Weltkrieg schaffte es die Wende,<br />
seither versteht es sich als intellektueller<br />
Vorposten des Liberalismus mit stark<br />
kultureller Ausrichtung. Zu den Mitarbeitern<br />
zählten Persönlichkeiten wie<br />
Carl J. Burckhardt, Friedrich August von<br />
Hayek, Ludwig Erhard, Herbert Lüthy,<br />
Hugo Loetscher und François Bondy.<br />
Seit 2008 führt eine freche junge Crew<br />
die Publikation zu neuem Erfolg. Auch<br />
wenn ein paar Kürzungen der Chronik<br />
gut getan hätten, illustriert sie doch lebhaft<br />
das Werden einer Zeitschrift, die<br />
der Autor Rolf Dobelli heute «das intelligenteste<br />
Magazin der Schweiz» nennt.<br />
UrsRauber<br />
Ritchie Pogorzelski: Die Traianssäule in<br />
Rom. Nünnerich-Asmus, Mainz 2012.<br />
146Seiten, Fr.40.90.<br />
Aufdem Forum in Romsteht ganz allein<br />
eine fast 40 Meter hohe, innen begehbare<br />
Marmorsäule. Auf ihrer Aussenseite<br />
windet sich ein 200 Meter langer Fries<br />
in die Höhe; wie ein Comicstreifen stellt<br />
er den Sieg Kaiser Traians über die<br />
Daker dar.Der heutigeBesucher vermag<br />
die Bilder kaum noch zu erkennen,<br />
zumal die ätzende Luft Roms vieles bereits<br />
<strong>weg</strong>gefressen hat. Schade,denn die<br />
vielen Details geben das lebendige Bild<br />
eines Heereszuges ab. 1400 neue Fotos<br />
des steinernen Frieses hat der Autor für<br />
das Buch aufgenommen, am Computer<br />
entzerrt und koloriert, denn auch die<br />
Traianssäule war einst farbig bemalt.<br />
2500 Figuren – Legionäre, Offiziere,<br />
Pferde, Wagen –bevölkern die Bilder,<br />
auch kleinste Details wie Schuhe oder<br />
Waffen sind liebevoll dargestellt. Die<br />
Handlung wirdineinem kurzen Begleittext<br />
erläutert. Für Romfans ein Muss!<br />
GenevièveLüscher<br />
Der nackte Mann im Kreis und Quadrat<br />
ziert heute T-Shirts, Euromünzen und<br />
Kaffeetassen. Leonardo da Vinci hat ihn<br />
wohl im Jahr 1490 als Selbstporträt gezeichnet.<br />
Mit diesem «vitruvianischen<br />
Menschen» gelingt dem 38-jährigen Leonardo<br />
die Visualisierung einer Theorie,die<br />
der römische Architekt Vitruvin<br />
Worten dargelegt hatte und die, von der<br />
Antike ins mittelalterliche Christentum<br />
tradiert, über 2000 Jahre lebendig war:<br />
die Idee nämlich, dass der menschliche<br />
Körper einen Mikrokosmos darstelle, in<br />
dem sich die göttliche Ordnung von<br />
Kosmos und Welt im Kleinen darstellt.<br />
Wo diese Idee auftaucht (in den Visionen<br />
der Hildegard von Bingen etwa, in<br />
frühen Weltkarten, in Christus-Darstellungen)<br />
und wie nach anderen Architekten-Künstlern<br />
der Renaissance gerade<br />
Leonardo ihreideale Darstellung gelang<br />
–dies ist das Thema dieses brillanten<br />
und wunderbar illustrierten Buches.<br />
Kathrin Meier-Rust<br />
Christoph Zürcher: Wieich Kannibalen,<br />
die Taliban und die stärkstenFrauen<br />
überlebte. Orell Füssli 2013. 219 S., Fr.26.90.<br />
Eine Expedition zu Menschenfressern.<br />
Skirennen in Afghanistan. Aufder Suche<br />
nach Bin Laden in Pakistan. Besuch<br />
beim Matriarchat in China. Christoph<br />
Zürchers grosse Reisereportagen im<br />
Gesellschafts-Bund der «NZZ am Sonntag»<br />
sind legendär: weil sie polarisieren,<br />
vom Publikum entweder als «ignorant»<br />
und «despektierlich» verdammt oder<br />
als gnadenlos unterhaltender Lesestoff<br />
verschlungen werden. Der Autor pflegt<br />
einen radikal subjektiven, umwerfend<br />
selbstironischen und gleichzeitig gesellschaftskritischen<br />
Journalismus. Man<br />
kann ihn nur lieben –oder hassen. Auch<br />
ich bekenne mich, nach anfänglicher<br />
Skepsis, als Fander blühenden Abenteuergeschichten.<br />
Das Buch versammelt 18<br />
vonihnen in geballter Wucht. Wierecht<br />
hat doch ein Leser: «Christoph Zürcher<br />
ist der Karl May der Gegenwart –nur<br />
authentischer,humorvoller,packender.»<br />
UrsRauber<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 15
Sachbuch<br />
Musik Vor200 Jahren wurdeRichardWagner geboren. Die radikale politische Haltung des<br />
deutschen Komponisten und Opernregisseurspolarisiert bis heute<br />
Rauschmusik<br />
fürUnmusikalische<br />
Udo Bermbach: Mythos Wagner. Rowohlt,<br />
Berlin 2013. 336 Seiten, Fr.28.50,<br />
E-Book 20.90.<br />
Friedrich Dieckmann: DasLiebesverbot<br />
und die Revolution. Insel, Berlin 2013.<br />
235 Seiten, Fr.32.90.<br />
JensMalte Fischer: RichardWagner und<br />
seine Wirkung. Zsolnay, Wien 2013.<br />
320 Seiten, Fr.27.90.<br />
VonFritzTrümpi<br />
Dass Richard Wagner (1813-1883) bis<br />
heute polarisiert, wird derzeit wieder<br />
besonders deutlich. Aus der Flut an<br />
neuen Publikationen über den Komponisten<br />
und dessen Werk ist eine betonte<br />
Mehrstimmigkeit herauszuhören, vor<br />
allem Wagners politische Positionen erfahren<br />
grosse Aufmerksamkeit. Sie werden<br />
aber auf sehr unterschiedliche<br />
Weise durchleuchtet, wie an drei ausgewählten<br />
<strong>Neue</strong>rscheinungen unschwer<br />
abzulesen ist.<br />
Udo Bermbach spürt dem «Mythos<br />
Wagner» nach. Dessen Entwicklungsgeschichtesieht<br />
der HamburgerPolitologe<br />
Wagner-Jahr 2013<br />
RichardWagners200.Geburtstagliefert<br />
nicht nur für den Musikbetrieb einen<br />
willkommenen Anlass, dem Opernrevolutionär<br />
zu huldigen. Auch die<br />
Buchproduktion läuftdieses Jahr auf<br />
Hochtouren. Unter den weiteren<br />
<strong>Neue</strong>rscheinungen sind zu erwähnen:<br />
•Dieter Borchmeyer: RichardWagner.<br />
Leben –Werk –Zeit (Reclam 2013,<br />
408 Seiten).<br />
•Enrik Lauer,Regine Müller: Der kleine<br />
Wagnerianer.Zehn Lektionen für Anfänger<br />
und Fortgeschrittene (C.H.Beck<br />
2013, 261Seiten).<br />
•SvenOliver Müller: RichardWagner und<br />
die Deutschen (C.H.Beck 2013,<br />
320Seiten).<br />
16 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
eng mit den politischen Konstellationen<br />
verknüpft –jenen zu WagnersLebzeiten<br />
ebenso wie jenen nach dessen Tod1883.<br />
In chronologischer Folge steckt Bermbach<br />
die wichtigsten Stationen der Mythenbildung<br />
ab: Die ärmliche Existenz<br />
in Paris als «Katharsis», das Zürcher<br />
Exil als Schaffensquell für seine Opernproduktion,<br />
die Münchner Jahreals Verwirklichung<br />
seiner politischen Träume,<br />
sodann das luzernische Tribschen als<br />
idyllischer Kraftort, Bayreuth hingegen<br />
als Festspielmekka und Vollendung des<br />
Mythos. Der Ausgangspunkt für diese<br />
Mythenkonstruktion liegt jedoch im<br />
Dresden der 1840er Jahre –das heisst in<br />
Wagners Revolutionsphase.<br />
Schon früh Antisemit<br />
Zweifellos warWagner bereits in jungen<br />
Jahren ein äusserst politischer Kopf,Revolution<br />
und Kunst gehörten für ihn<br />
schon früh untrennbar zusammen. Es<br />
wardarum kein Zufall, dassder Entwurf<br />
sämtlicher späterer Werke – mit Ausnahme<br />
des «Tristan» –zwischen 1842<br />
und 1849entstanden, während der Phase<br />
der bürgerlichen Revolution in Dresden.<br />
In dieser Zeit, so hebt Bermbach hervor,<br />
sei auch Wagnerszentrale Überzeugung<br />
entstanden, dass «das Leben in der<br />
Kunst und die Kunst im Leben aufgehen<br />
sollen». Doch damit dies gelinge, müsse<br />
das Volk zunächst in seine Rechteeingesetzt<br />
werden, so Bermbach über Wagners<br />
Revolutionsanspruch.<br />
Dieser zunächst emanzipatorisch verstandene<br />
Volksbegriff verwandelte sich<br />
aber bald in einen aggressiven völkischen<br />
Nationalismus. Die Ursachen<br />
dafür sucht Bermbach –und dies ist sein<br />
blinder Fleck –allerdingsnicht bei Wagner<br />
selbst, sondern ausschliesslich bei<br />
den Nachlassverwaltern, die sehr früh<br />
ins nationalsozialistische Fahrwasser<br />
gerieten. «Braune Indienstnahme des<br />
Mythos Wagner» nennt dies der Autor<br />
zu Recht –dassder Wagnerclan bald zur<br />
begeisterten Hitler-Anhängerschaft gehörte,<br />
ist hinlänglich bekannt. Doch<br />
ohne Wagnerseigenes Zutun hätte diese<br />
«Indienstnahme» nicht so ungehindert<br />
verlaufen können. WagnersAntisemitismus,<br />
der schon früh in diversen Schriften<br />
auftaucht und in der hetzerischen<br />
Schmähschrift «Das Judenthum in der<br />
Musik» ihren Höhepunkt findet, erwähnt<br />
Bermbach nur nebenher. Als Erklärungshilfe<br />
dafür, warum die braune<br />
Einfärbung gerade beim «Mythos Wagner»<br />
so leicht gelang, zieht er ihn nicht<br />
herbei. Das ist gelinde ausgedrückt erstaunlich.<br />
Noch erstaunlicher ist allerdings,<br />
dass Friedrich Dieckmann ein ganzes<br />
Buch lang ohne einen einzigen Hinweis<br />
auf WagnersAntisemitismus auskommt.<br />
Und dies, obschon der deutsche Publizist<br />
vermeintlich akribisch analysiert,<br />
inwiefern sich die politische Revolutionsbe<strong>weg</strong>ung<br />
in WagnersOpern abbilde.<br />
Unter beträchtlichem sprachlichem<br />
Verzierungsaufwand erzählt Dieckmann<br />
ausführlich von Wagners Dasein als unerschrockenem<br />
Politaktivisten, der allerdings<br />
stets das Theater imKopf gehabt<br />
habe: «Auch wenn Wagner Handgranaten<br />
bestellt, denkt er zuletzt an<br />
nichts anderes als an die Oper.»<br />
Für Dieckmann bildet sich Wagners<br />
politischer Aktivismus deshalb auch<br />
überdeutlich in dessen Werken ab. Der<br />
Autor belegt dies an zahlreichen Analogien<br />
zwischen biografischen Überlieferungen<br />
und werkimmanenten Figuren<br />
und sucht ausserdem nach Parallelen<br />
zwischen der Person Wagner und anderen<br />
Polit-Künstlern. Das ist ein hochspekulativer,<br />
mitunter aber erkenntnisreicher<br />
Ansatz. Durch<strong>weg</strong>s nachvollziehbar<br />
gestaltet Dieckmann etwa das<br />
Motiv von Wagners unterdrückter Geschwisterliebe,die<br />
er mit dem revolutionären<br />
Gestus des Komponisten kurzschliesst<br />
und zur Gesellschaftskritik gewendet<br />
insbesondereinWagnersfrühen<br />
Opern aufspürt – im «Liebesverbot»<br />
etwa, dann aber auch in den «Feen», ja<br />
noch im «Rienzi» und im «Fliegenden<br />
Holländer».<br />
Doch Dieckmanns Analogiebildungen<br />
greifen manchmal auch gründlich
ins Leere. Die<br />
These über die<br />
grosse Ähnlichkeit<br />
zwischen<br />
Wagner und<br />
Brecht etwa ist<br />
nicht nur aufgrund<br />
inhaltlicher,<br />
sondern<br />
auch allgemein<br />
historischer Unschärfen<br />
nicht<br />
haltbar.<br />
Das Problematischste<br />
andieser<br />
Publikation ist jedoch<br />
das konsequente<br />
Ausblenden<br />
vonWagnersAntisemitismus.<br />
Es ist nicht<br />
nachvollziehbar, dass<br />
der Autor gerade diesen<br />
Aspekt in seiner politischen<br />
Ausdeutung von<br />
Wagners Werk vollständig<br />
ignoriert. Dieckmanns vielfach<br />
spannende Opernanalysen<br />
werden in ihrem Aussagewert<br />
dadurch jedenfalls beträchtlich<br />
beschnitten.<br />
Gesamkunstwerk als Idee<br />
Es braucht einen Jens Malte Fischer, der<br />
diese Lücke schliesst und schonungslos<br />
kenntlich macht, wie eng Wagners antisemitische<br />
Theorieschriften mit seinem<br />
Schaffen als Komponist zusammenhängen.<br />
Die vielfach geäusserte Entschuldigung,<br />
Wagners Antisemitismus sei damals<br />
eine reine Modeerscheinung gewesen,<br />
lässt der renommierte Musikhistoriker<br />
nicht gelten. Im Gegensatz zur<br />
damals weitverbreiteten antijüdischen<br />
Stimmung habe man es bei Wagner<br />
nämlich mit einem Frührassismus zu<br />
tun, der den Juden «unabänderliche Unterschiede»<br />
gegenüber der nichtjüdischen<br />
Bevölkerung unterstelle, womit<br />
Wagner bereits bei einer «rassischen»<br />
Distinktion angelangt sei. VonWagner<br />
seien somit Ideen ausgegangen, die<br />
nicht nur von späteren Antisemiten wie<br />
Houston Stewart Chamberlain, Otto<br />
Weininger oder Adolf Hitler, sondern<br />
auch von der gesamten «völkisch-nationalsozialistischen»<br />
Musikpublizistik<br />
übernommen worden seien.<br />
Wagner redet etwa vom «verfluchten<br />
Judengeschmeiss» und vergleicht die<br />
Juden in seinen Tagebüchern mit «natürlichen<br />
schmarotzenden Parasiten».<br />
Im Pamphlet «Das Judenthum in der<br />
Musik», dessen erste Ausgabe von 1850<br />
noch unter dem Pseudonym K. Freigedank<br />
veröffentlicht wurde, appelliert<br />
«Auch wenn Wagner<br />
Handgranaten<br />
bestellt, denkt er an<br />
nichts anderes als an<br />
die Oper»: Richard<br />
Wagner (1813–1883),<br />
Musikrevolutionär<br />
und Nationalist.<br />
AUSTRIAN ARCHIVES/IMAGNO<br />
der Komponist<br />
an die Assimilationsbereitschaft<br />
der Juden,<br />
hält jedoch<br />
zugleich fest:<br />
«Aber bedenkt,<br />
dass nur Eines<br />
Eure Erlösung<br />
von dem auf<br />
Euch lastenden<br />
Fluche sein<br />
kann, die Erlösung<br />
Ahasvers:<br />
Der Untergang!»<br />
Anhand solcher<br />
Zitate erweist sich<br />
Fischers pointierte<br />
Argumentation<br />
durch<strong>weg</strong>s als stichhaltig.<br />
Obwohl die Auseinandersetzung<br />
mit Wagners<br />
Antisemitismus bei<br />
Fischer eine zentrale Rolle<br />
spielt, hat erauch zu anderen<br />
Aspekten von Wagners<br />
Leben und Werk Gewichtiges<br />
beizutragen. Seine detailreichen<br />
Ausführungen zur Geschichte der<br />
Aufführungspraxis etwa, vom frühen<br />
«Rienzi» über «Tristan und Isolde» bis<br />
zum «Ring des Nibelungen» und des<br />
späten «Parsifal», liefern vielerlei neue<br />
Einsichten in Wagners schillernde Idee<br />
des «Gesamtkunstwerks», das Tanz-,<br />
Ton- und Dichtkunst ebenso umfassen<br />
sollte wie Bau-, Bildhauer- und Malerkunst.<br />
Was Wagner daraus fertigte,<br />
könnte man oberflächlich betrachtet<br />
zwar als «Rauschmusik für Unmusikalische»<br />
abtun. Doch ob aller Kritikbereitschaft<br />
gegenüber dem Phänomen Wagner<br />
attestiert Fischer dem revolutionären<br />
Komponisten eine ungebrochene<br />
Vormachtstellung in der Musikgeschichte:<br />
Kein Komponist habe «bis<br />
heute eine solche sengende Strahlung<br />
(im Positiven wie im Negativen) ausgesendet<br />
wie Richard Wagner.» Dem ist<br />
nichts hinzuzufügen. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 17
Sachbuch<br />
Arabischer Frühling Während autoritäreRegimes gestürzt wurden, verharren Sexualität und das<br />
Geschlechterverhältnis in alten Strukturen<br />
Gretchenfrageder Revolution<br />
Shereen El Feki: Sexund die Zitadelle.<br />
Liebesleben in der sichwandelnden<br />
arabischen Welt. Hanser,Berlin 2013.<br />
408Seiten, Fr.34.90.<br />
VonSusanne Schanda<br />
Zwei Jahre nach Beginn der Volksaufstände<br />
in der arabischen Welt ist die<br />
Zeit reif für eine Zwischenbilanz. Was<br />
ist aus der euphorischen Aufbruchsstimmung<br />
geworden? Wo ist die Meinungsfreiheit,<br />
wo sind die Frauenrechte?<br />
Bereits wenige Monate nach dem<br />
Sturz Mubaraks wurden in Ägypten erneutDemonstranten<br />
auf der Strassevon<br />
Sicherheitskräften zusammengeschlagen<br />
und brutal gefoltert. An festgenommenen<br />
Demonstrantinnen führten Polizeiärzte<br />
sogenannte Jungfräulichkeitstests<br />
durch. Gegen diese Akte der Gewalt<br />
wird lautstark protestiert und vor<br />
Gericht prozessiert, aber niemand stellt<br />
die gesellschaftliche Funktion der Jungfräulichkeit<br />
in Frage.<br />
An diesem Punkt setzt Shereen El<br />
Feki mit ihrem Buch an. Die ägyptischbritische<br />
Immunologin und Wissenschaftsjournalistin<br />
untersucht die Rolle<br />
der Sexualität, die Beziehung der Geschlechter<br />
und die Machtbeziehungen<br />
innerhalb der Familie vor dem Hintergrund<br />
des politischen Umbruchprozesses<br />
in Ägypten und anderen arabischen<br />
Ländern. Sie weiss, dass die politischen<br />
Revolutionen zum Scheitern verurteilt<br />
sind, wenn sie nicht von sozialen, sexuellen<br />
und kulturellen Veränderungsprozessen<br />
im Bewusstsein begleitet werden.<br />
«Es ist schwer vorstellbar, wie die<br />
Demokratie in einer Gesellschaft florieren<br />
soll, wenn deren konstitutioneller<br />
und kultureller Eckpfeiler in der Familie<br />
so undemokratisch ist», schreibt die Autorin<br />
und stellt fest, dass esfür junge<br />
Frauen und Männer in Ägypten leichter<br />
ist, den Präsidenten zu stürzen, als von<br />
zu Hause auszuziehen.<br />
Doppelmoral im Islam<br />
Shereen El Feki wuchs als Tochter eines<br />
ägyptischen Muslims und einer britischen<br />
Christin, die zum Islam konvertierte,<br />
in Kanada auf. Der Islam wurde<br />
ihr als Kind weder aufgedrängt, noch interessierte<br />
sie sich dafür. Erst mit den<br />
Terroranschlägen vom 11. September<br />
2001 begann sie, sich mit ihrer ägyptisch-muslimischen<br />
Herkunft zu beschäftigen.<br />
Bei ihren Recherchen im<br />
Rahmen einer UN-Kommission über<br />
Aids im arabischen Raum fiel ihr «die<br />
Kluft zwischen dem öffentlichen Anschein,<br />
wie er sich in den Statistiken niederschlug,<br />
und privater Wirklichkeit»<br />
auf. Diese Kluft zwischen Sein und<br />
Schein geht nirgends so tief wie in der<br />
Sexualität. So wird inJemen und Saudi-<br />
Arabien die voreheliche Beziehung zwischen<br />
Jugendlichen nicht toleriert, aber<br />
mit der Verheiratung von Mädchen an<br />
Die ägyptische Nacktfoto-Revolutionärin<br />
Aliaa Elmahdy (Mitte)<br />
protestiertmit zwei<br />
ukrainischen Femen-<br />
Aktivistinnen in<br />
Stockholm gegendie<br />
neue Verfassung in<br />
Ägypten (Dez. 2012).<br />
ältere Männer der institutionalisierten<br />
Pädophilie Vorschub geleistet. Prostitution<br />
ist in Ägypten illegal, funktioniert<br />
aber unter dem Deckmantel von «Vertragsehen»,<br />
wie sie oft von Touristen<br />
aus den Golfstaaten für die Dauer der<br />
Sommerferien mit Ägypterinnen abgeschlossen<br />
werden.<br />
Während fünf Jahren reiste Shereen<br />
El Feki quer durch die arabische Welt,<br />
sprach mit verheirateten, ledigen und<br />
geschiedenen Frauen und Männern,<br />
Bloggerinnen, Salafisten und Muslimbrüdern,<br />
mit einer Fernseh-Sextherapeutin<br />
und Zuhältern, die sich Ehevermittler<br />
nennen. Dabei kommt ihr die<br />
doppelte Identität als Ägypterin und<br />
Aussenstehende zugute. Sie zeigt sowohl<br />
Einfühlungsvermögen wie kritische<br />
Distanz. Die Menschen vertrauen<br />
ihr, weil sie zu ihnen gehört, und sehen<br />
ihr die etwas anrüchige Beschäftigung<br />
mit der Sexualität nach, weil sie eine<br />
Frau aus dem Westen ist. Die Autorin<br />
spannt den historischen Bogen weit zurück<br />
in die heute vergessene Hochzeit<br />
der islamischen Kultur vom 8.bis zum<br />
10. Jahrhundert. Diese war nicht nur<br />
eine Blütezeit der arabischen Wissenschaft,<br />
sondern auch der Sexualität.<br />
In der «Enzyklopädie der Lust» von<br />
Ali ibn Nasr al-Katib aus dem Bagdad<br />
des 10.Jahrhunderts reicht das Themenspektrum<br />
von Bisexualität über Techniken<br />
des Beischlafs, Eifersucht, die Steigerung<br />
der Lust bei Mann und Frau bis<br />
zur Beschreibung des Geschlechtsverkehrsund<br />
vonanzüglichem Sex. All dies<br />
mit der deutlichen Botschaft, dass Sex<br />
ein Geschenk Gottes andie Menschheit<br />
sei und genossen werden soll. Nichts<br />
davon ist übrig geblieben in der Verteufelung<br />
der Sexualität durch die radikalkonservativen<br />
Salafisten. Den Niedergang<br />
der lustvollen Kultur führt El Feki<br />
auf die Kolonisierung im 19. Jahrhundert<br />
zurück, auf die die Araber mit Abschottung<br />
reagierten. Die einstige sexuelle<br />
Freizügigkeit wurde nun als Symptom<br />
von Dekadenz gesehen, als Gegenbe<strong>weg</strong>ung<br />
entstand der islamische Fundamentalismus.<br />
Dieser droht nun die Kinder<br />
der Revolution zu fressen.<br />
Frauen mit Zivilcourage<br />
Shereen El Feki beschönigt nichts in<br />
ihrem Buch. Sie verschweigt weder die<br />
in Ägypten trotz Verbot weit verbreitete<br />
Genitalverstümmelung bei Frauen noch<br />
die gesellschaftliche Stigmatisierung<br />
vongeschiedenen Frauen oder die heimliche<br />
Prostitution aus materieller Not.<br />
Aber sie zeigt auch, wie es in dieser Gesellschaft<br />
brodelt – dank zahlreicher<br />
Frauen mit Zivilcourage, wie der Studentin<br />
Aliaa Elmahdy, die als «Nacktfoto-Revolutionärin»<br />
die Scheinheiligkeit<br />
der Gesellschaft blossgestellt hat,<br />
oder die Radiomacherin Mahasin Sabir,<br />
die geschiedenen Frauen eine Stimme<br />
gibt. Die arabischen Revolten haben<br />
weit mehr als die Korruptheit des politischen<br />
Systems ans Tageslicht gezerrt<br />
und zur Debatte gestellt. An eine sexuelle<br />
Revolution in der arabischen Welt<br />
glaubt Shereen El Feki nicht –wohl aber<br />
an eine sexuelle Neubewertung. Ein<br />
langwieriger Prozess, der jetzt immerhin<br />
begonnen hat. l<br />
Susanne Schanda ist Ägypten-Expertin;<br />
im April erscheint im Rotpunktverlag ihr<br />
Buch «Literatur der Rebellion».<br />
FEMEN<br />
18 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013
10CFWMoQ7DQAxDvyinOGlySwOrsmpgKg-phvf_aHdlBTawn30caY1vbfv73D8J5kVomEdPC2vSPRHSunmyjJKhKwQOdekPnhjhylqTIR7xUhCCEVDx8oLOh5prlva7vn-mKlRSgAAAAA==<br />
10CAsNsjY0MDAx0gUSZpbmAGVLn9UPAAAA<br />
Essays Der US-Autor<strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong> seziert sein Leben und die Mühen des Schreibens<br />
Mitjedem Buch einneuer Mensch<br />
<strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong>: <strong>Weiter</strong> <strong>weg</strong>. Essays.<br />
Rowohlt, Reinbek 2013. 365 Seiten,<br />
Fr.20.90.<br />
VonUrs Rauber<br />
Als <strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong> mit «Freiheit»<br />
(2010) seinen letzten grossen Erfolg feierte,<br />
stand neben den klassischen Ingredienzen<br />
Liebe, Familie und Betrug ein<br />
Thema im Mittelpunkt seines Romans:<br />
der Einsatz eines fanatischen Umweltaktivisten<br />
(Walter Berglund) für den<br />
Schutz einer bedrohten Vogelart. Im<br />
neuen Sammelband von21Essays,Reden<br />
und Buchbesprechungen, die <strong>Franzen</strong><br />
zwischen 1998 und 2011 verfasst hat, ist<br />
ebenfalls oft von Tierschutz die Rede.<br />
Im Essay «Der leergefegte Himmel»<br />
erzählt der passionierte Vogelbeobachter<br />
<strong>Franzen</strong> von seinen Exkursionen mit<br />
kombattanten Ornithologen auf Zypern,<br />
Malta und Italien. Dort, wo Vögel trotz<br />
strenger EU-Richtlinien immer noch<br />
häufig auf dem Teller landen –inItalien<br />
zum Beispiel als «pulenta eosei». Anschaulich<br />
schildert er,wie die Auseinandersetzung<br />
mit den Wilderern gelegentlich<br />
in einer Schlägerei mit zerstörten<br />
Kameras und in einer Flucht endet. So<br />
grossartig <strong>Franzen</strong>s Landschafts- und<br />
Tierbeschreibungen sind, so furios lässt<br />
er seinem Hass auf «Vogelmörder» und<br />
Umweltzerstörer freien Lauf.<br />
Doch immer bleibt <strong>Franzen</strong> der sensible,<br />
zweifelnde Reporter, der dem<br />
zwiespältigen Ich viel Raum gibt. Einen<br />
jungen italienischen Jäger lässt er sagen:<br />
«Mein Raubtierinstinkt steht in krassem<br />
Widerspruch zur Vernunft, (doch) die<br />
selektive Jagd ist mein Versuch, diesen<br />
Instinkt zu bändigen.» Selbstkritisch<br />
fragt sich der Autor, ob sein eigenes Engagement<br />
für die Artenvielfalt und das<br />
Wohlergehen der Tiere«nicht vielleicht<br />
eine Art Regression in mein Kinderzimmer<br />
und dessen Gemeinschaft der<br />
Plüschtiere ist». Es ist diese schonungslose<br />
Radikalität auch sich gegenüber,<br />
die uns den vehement-fragilen Zivilisationskritiker<br />
so sympathisch macht.<br />
MICHAEL LOCCISANO /GETTY IMAGES<br />
Ein zweites <strong>Franzen</strong>-Thema ist die<br />
Einsamkeit. Nach jedem grossen Roman<br />
und dem damit verbundenen Lese-Marathon<br />
flüchtet er sich ein paar Monate<br />
in das Alleinsein. Nach seinem letzten<br />
Opus suchte ereine 800 Kilometer vor<br />
der chilenischen Küsteliegende Vulkaninsel<br />
im Südpazifik auf, die von Millionen<br />
Seevögeln und Tausenden Seebären<br />
bevölkert ist. Auf dieser Insel namens<br />
«<strong>Weiter</strong> <strong>weg</strong>» (sie gab dem Buch den<br />
Titel) versuchteermit ausreichend Vorräten,<br />
einem Zelt und dem Buch «Robinson<br />
Crusoe» einige Wochen ohne Laptop,<br />
nur mir einem Satellitentelefon und<br />
einem GPS zu leben. Dort zerstreute er<br />
auch eine Zündholzschachtel voll Asche<br />
seines Schriftsteller-Freundes und Rivalen<br />
David Foster WallaceimAuftrag von<br />
dessen Witwe Karen.<br />
<strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong>s Buchrezensionen<br />
über Werke von Alice Munroe, Paula<br />
Fox, Fjodor Dostojewski oder Frank Wedekind<br />
sind derart enthusiastisch geschrieben,<br />
dass man nach der Lektüre<br />
gleich die besprochenen Bücher lesen<br />
möchte. Auf der anderen Seite zeigt der<br />
Romancier, mit welch ungeheurer Anstrengung<br />
sein Handwerk verbunden<br />
ist. «Mit jedem Buch muss man so tief<br />
<strong>Jonathan</strong> <strong>Franzen</strong> ist<br />
auch ein passionierter<br />
Vogelbeobachter.Hier<br />
vorder Premieredes<br />
Films «Birders» im<br />
NewYorker Central<br />
Park (Juni 2012).<br />
wie möglich graben und so weit wie<br />
möglich ausholen.» Und wenn einem<br />
dann ein halb<strong>weg</strong>s gutes Buch gelinge,<br />
müsse man beim nächsten noch tiefer<br />
graben und noch weiter ausholen. Für<br />
jedes neue Buch müsse der Autor ein<br />
anderer Mensch werden, weil er «das<br />
beste Buch, das er schreiben konnte, ja<br />
bereits geschrieben hat».<br />
Berührend an <strong>Franzen</strong>s Essaysammlung<br />
sind nicht nur solche Einsichten,<br />
sondern auch die Verletzlichkeit, mit<br />
der er seiner Leserschaft gegenüber<br />
tritt. Er erzählt von seiner Scham und<br />
den Schuldgefühlen, die er nach seiner<br />
Depression und der gescheiterten ersten<br />
Ehe mit einer erfolglosen Schriftstellerin<br />
überwinden musste; von seinem<br />
«schlimmsten Jahr» 1993, als sein<br />
Vater imSterben lag und ihm das Geld<br />
ausging. «Mitte dreissig schämte ich<br />
mich für so ziemlich alles, wasich in den<br />
fünfzehn vorangegangenen Jahren meines<br />
Lebens getan hatte», schreibt der<br />
heute 53-Jährige. Vielleicht gerade des<strong>weg</strong>en<br />
entstand in jener Zeit sein Meisterwerk<br />
«Die Korrekturen», für das er<br />
2001 mit dem National Book Award geehrt<br />
wurde und das in der Folge zu<br />
einem Welt-Bestseller wurde. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 19
Sachbuch<br />
Gulag Posthum erscheinen die Erinnerungen vonHorst Bienek über seine Zeit in Lagerhaft<br />
«Meine Seelewar wieaus Blei»<br />
Horst Bienek: Workuta. Wallstein,<br />
Göttingen 2013. 80 Seiten, Fr.21.90.<br />
VonAnja Hirsch<br />
Arbeit. Hunger. Liebe/Sex. Beschreibung<br />
der Mithäftlinge. Das waren die<br />
ersten Stichworte, unter denen der<br />
Schriftsteller Horst Bienek (1930–1990),<br />
angeregt von seinem Lektor, dem Hanser-Verleger<br />
Michael Krüger,seine Erinnerung<br />
aufwecken sollte, vierzig Jahre<br />
danach. Mit 22 Jahren war Horst Bienek,<br />
der als Vertriebener aus Oberschlesien<br />
in der damaligen DDR eine neue Heimat<br />
gefunden hatte, indas Lager Workuta<br />
Fotografie Schnappschüsse aus dem Zarenreich<br />
1905 verspürte der russische ZarNikolaus II. den<br />
Wunsch, sein riesiges Land besser kennenzulernen.<br />
Eine Reise warihm aber zu beschwerlich und so<br />
schickteereinen Fotografen los, der ihm Landschaftenund<br />
Menschen bequem in den Palastliefern<br />
sollte. 10 Jahrewar SergeiProkudin-Gorski (1863–<br />
1944) in einem Spezialzug inklusiveDunkelkammer<br />
unter<strong>weg</strong>s, 10000 mit einer eigens entwickelten<br />
Kameraaufgenommene Farbbilder warenseine<br />
Ausbeute. Die Drei-Farben-Fotografien, heuteinder<br />
Library of Congress in Washington archiviert, galten<br />
langeals Geheimtipp. Zusammen mit Schwarz-Weiss-<br />
Fotosanderer zeitgenössischer Fotografen sind nun<br />
20 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
die schönstenunter ihnen erstmals im deutschsprachigen<br />
Raum veröffentlicht. DasPanorama zeigt<br />
das Zarenreich kurz vorseinem Zusammenbruch, mit<br />
seinen schönen und auch weniger schönen Seiten.<br />
Die Reise der AutorenVeronica Buckleyund Philipp<br />
Blom beginnt in St.Petersburg, führtinden Westen<br />
und Nordwesten, dann nach Zentralasien (im Bild:<br />
jüdische Kinder mit ihrem Lehrer in Samarkand,<br />
1911), erreicht den fernen Osten, Sibirien, den Ural<br />
und endet in Moskau. GenevièveLüscher<br />
Philipp Blom, Veronica Buckley(Hrsg.): Das<br />
russische Zarenreich. Eine fotografische Reise 1855–<br />
1918. Brandstätter, Wien 2012. 248Seiten, Fr.66.90.<br />
gebracht worden –ins Polargebiet, wo<br />
grosse Kohlevorkommen unter der Erde<br />
ruhten.<br />
Unter Stalin arbeiteten hier zeitweise<br />
über eine Million Gefangene, oft <strong>weg</strong>en<br />
einer Lappalie als Vorwand verurteilt –<br />
wie Bienek, dem unter anderem ein Telefonbuch,<br />
das er in den Westen brachte,<br />
zum Verhängnis wurde. Das Urteil über<br />
zwanzig Jahre Zwangsarbeit <strong>weg</strong>en<br />
Spionage wurde inzwischen aufgehoben.<br />
Vier Jahre, von 1952 bis 1955, verbrachte<br />
Bienek in Workuta, von einem<br />
Tagauf den anderen herausgerissen aus<br />
dem Leben. Er wollte sich gerade als<br />
Künstler etablieren. Bertolt Brecht hatte<br />
ihn als Schauspielschüler in sein Ensemble<br />
geholt. Nach der skandalösen Verhaftung<br />
rührte Brecht jedoch keinen<br />
Finger für ihn.<br />
Der Autor, Lektor und Kulturredaktor<br />
Horst Bienek, heute bekannt vor allem<br />
durch die literarische Verarbeitung seiner<br />
oberschlesischen Kindheit, hatte<br />
zwar in seinen ersten Roman «Die<br />
Zelle» (1968) schon eigene Erfahrungen<br />
einfliessen lassen, verstand sein damaliges<br />
Buch aber allgemeiner: Die Zelle<br />
war ihm der herausragende Ort des<br />
20. Jahrhunderts schlechthin.<br />
Wieaber wareswirklich?Das erzählt<br />
er in «Workuta»mit grosser Klarheit. Er<br />
schafft allein durch die Chronologie der<br />
Details eine schockierende Nähe. Am<br />
Anfang steht die Ohnmacht in ersten,<br />
nächtlichen Verhören, die mit Willkür<br />
als zermürbender Strategie arbeiten.<br />
«Als ich einmal fragte, warum ich nicht<br />
verhört würde, schob er meine Worte<br />
mit der Hand zurück. Hier hatte nur<br />
einer zu fragen, und das war er. In der<br />
dritten Nacht fing ich an zu schreien.»<br />
Bis Workuta folgt man dem Wirken<br />
dieses Gifts der Mächtigen. Bienek, zeitweise<br />
in der Einzelzelle, beginnt mit absurden<br />
Selbstbefragungen auf der Suche<br />
nach der ihm unterstellten Schuld –weil<br />
er in Berlin eine surrealistische Gruppe<br />
mitgründete? Weil der Mitbegründer als<br />
Trotzkist gebrandmarkt war oder Kontakt<br />
zu einem Jugendfreund bestand, der<br />
sich rühmte, CIA-Agent zu sein?«Meine<br />
Seele war wie aus Blei.»<br />
Man begleitet Bienek mit anderen<br />
Häftlingen auf Transporteins Zwischenlager.<br />
Das anfängliche Abkapseln verschwindet<br />
schnell: «Ich hörte zu, und<br />
ich merkte, ich gehörteschon zu ihnen.»<br />
Selten denkt er noch an den Geschmack<br />
der Sahnebonbons, die er als Kind liebte.<br />
Zwischen die sich immer wiederholenden<br />
Erzählrituale, mit denen man<br />
gegen die Wartezeit angeht, mischt sich<br />
anfangs noch vage Hoffnung. Lieber ein<br />
deutsches Gefängnis als Sibirien. Undes<br />
gibt auch «Humor, der uns überleben<br />
half und der die Zeit verkürzte». Oder<br />
jenen namenlosen Litauer, der den<br />
Schwächeren unter die Fittiche nimmt<br />
und «für zwei schuftete».<br />
Doch der lange, unaufhaltsame Weg<br />
nach Workuta, wo Zehn-Stunden-<br />
Schichten auf Kohleschacht 29 die Regel<br />
sind, ist eine Fallstrecke. Irgendetwas<br />
zerbricht. Das hat sich diesem Erinnerungstext<br />
von Horst Bienek tief eingebrannt,<br />
gerade weil es selten direkt benannt<br />
wird.<br />
Schwierigkeiten bei der Sichtung des<br />
Nachlasses sind auch ein Grund dafür,<br />
warum dieser Text erst heute veröffentlicht<br />
wird. In einem sehr persönlichen<br />
Nachwort schreibt Michael Krüger, wie<br />
er Bienek, der anfangs konsequent alles<br />
klein schrieb, zu normaler Schreibweise<br />
überredete: Inhalt und Form schienen<br />
abstrakt genug; warum unnötig das<br />
Lesen erschweren? Bienek aber wollte<br />
das «Eingesperrtsein» im Vordergrund<br />
haben. Er starb 1990 über den Aufzeichnungen<br />
zu «Workuta», die das abgrundtief<br />
vermitteln. l
Werkbiografie Die Filme Andrej Tarkovskijs sind wuchtige, aber enigmatische Meisterwerke.Eine<br />
Monografieerschliesst nun das grandiose Werk<br />
Russischer Bildmagier<br />
Andrej Tarkovskij, Leben und Werk: Filme,<br />
Schriften, Stills &Polaroids. Schirmer/<br />
Mosel, München 2012. 320 Seiten,<br />
Fr.88.90.<br />
VonChristian Jungen<br />
In den Sechzigerjahren begannen Filmregisseure<br />
sich als Künstler zu verstehen<br />
und prägten mit unverwechselbaren<br />
Handschriften ihre Werke. Ihre Erneuerungen<br />
gingen als neue Wellen in die<br />
Filmgeschichte ein. Aus dieser Epoche<br />
ragen jedoch Monumenten gleich drei<br />
Regisseureheraus, die sich kaum schubladisieren<br />
lassen und die kraft ihrer philosophischen<br />
Durchdringung der Filmkunst<br />
einen ebenso aufmerksamen wie<br />
demütigen Zuschauer erfordern: Ingmar<br />
Bergman, Jean-Luc Godard und Andrej<br />
Tarkovskij. Ihre Œuvres widersetzen<br />
sich der schnellen Aneignung.<br />
Szene aus dem<br />
Filmklassiker<br />
«Stalker» vonAndrej<br />
Tarkovskij (1978), der<br />
sich der rationalen<br />
Analyse entzieht.<br />
Vorbild Ikonenmalerei<br />
Das Werk des russischen Bildmagiers<br />
Tarkovskij (1932–1986) ist für westliche<br />
Filmfreunde vielleicht das schwierigste<br />
der drei, weil unsere rationale Art der<br />
Analyse bei ihm zum Scheitern verurteilt<br />
ist. Im Science-Fiction-Klassiker<br />
«Stalker» (1978) führt der Titelheld<br />
einen Schriftsteller und einen Wissenschafter<br />
in eine geheimnisvolle Zone,<br />
wo es ein Zimmer geben soll, in dem alle<br />
Wünsche in Erfüllung gehen. Kritiker<br />
rätselten vergebens über den Sinn dieser<br />
in Bildern von archaischer Wucht<br />
erzählten Odyssee. «Häufig wurde ich<br />
gefragt, was denn nun eigentlich die<br />
Zone in Stalker symbolisiert», schrieb<br />
Tarkovskij einst. «Derlei Fragen bringen<br />
mich jedes Mal in Verzweiflung und Raserei.<br />
In keinem meiner Filme wird irgendetwas<br />
symbolisiert. Und auch die<br />
Zone tut das nicht. Die Zone ist einfach<br />
die Zone.»<br />
All jenen, die das Schaffen Tarkovskijs<br />
besser verstehen wollen, ist die herausragende<br />
Monografie empfohlen, die<br />
der Filmhistoriker Hans-Joachim Schlegelzusammen<br />
mit Tarkovskijs Sohn Andrej<br />
kuratiert hat. Schlegel ist einer der<br />
profundesten Kenner des osteuropäischen<br />
Kinos. Er hat Tarkovskij persönlich<br />
gekannt und seine Tagebücher wie<br />
auch seine filmtheoretischen Schriften<br />
ins Deutsche übersetzt.<br />
In einem luziden Essay führt er aus,<br />
dass Filme wie «Ivans Kindheit» oder<br />
«Solaris» weniger einen analytisch fragenden<br />
Zuschauer als vielmehr einen<br />
naiven Beobachter erforderten. Denn<br />
Tarkovskij wollte mit seinen Filmen das<br />
eigene Denken transzendieren, die<br />
Suche nach einem filmischen Stil war<br />
ihm Mittel, seine Gefühle auszudrücken<br />
und beim Zuschauer über die ästhetische<br />
Bildwirkung seine Sicht der Welt<br />
fassbarzumachen. Eine wichtigeQuelle<br />
von Tarkovskijs Streben sei das spirituelle<br />
Bildverständnis der Ostkirche gewesen,<br />
insbesonderedie Ikonenmalerei,<br />
die eine Ahnung des Göttlichen gebe.<br />
Schlegel skizziert auch, wie Tarkovskij<br />
früh Probleme mit der Sowjetzensur<br />
bekam. Tarkovskij polemisierte nicht<br />
nur gegen die intellektuelle Montagetheorie<br />
von Sergej Eisenstein, er wehrte<br />
sich auch gegen schulmeisterliche Einwände<br />
der staatlichen Studios: «Eine<br />
dogmatische Sprache kann nicht sprechen.»<br />
Deren Auflagen unterlief er unter<br />
anderem, indem er in seinen Filmen ein<br />
poetisches Ichauftreten liess. Der gegen<br />
die Kirche rebellierende Ikonenmaler in<br />
«Andrej Rubljov» (1969) ist auch ein<br />
Alter ego des Regisseurs, der indirekt<br />
von seinen eigenen Schwierigkeiten<br />
kündet, in einem ideologisch starrsinnigen<br />
Umfeld kreativ zusein.<br />
<strong>Neue</strong> Sehgewohnheiten<br />
Man merkt, dass Schlegel die Schriften<br />
Tarkovskijs übersetzt hat. Er nimmt den<br />
Regisseur oft beim Wort, etwa wenn er<br />
erläutert, warum Tarkovskij sich im<br />
Westen nicht wohl fühlte. «Der Osten<br />
warder ewigen Wahrheit stets näher als<br />
der Westen», schrieb Tarkovskij dazu.<br />
«Man vergleiche nur einmal östliche<br />
Musik und westliche Musik. Der Westen<br />
schreit: Hier –das bin ich! Schaut auf<br />
mich! Hört, wie ich zu leiden und zu lieben<br />
verstehe! Wie unglücklich und<br />
glücklich ich sein kann! Ich! Ich! Ich!!!<br />
Der Osten sagt kein einziges Wort über<br />
sich selbst! Er verliert sich völlig in Gott,<br />
in der Natur, inder Zeit, und er findet<br />
sich in all dem wieder.»<br />
Der Band verdeutlicht, dass Tarkovskijs<br />
grösste Leistung in der Schöpfung<br />
einer eigenen filmischen Zeit war, die<br />
den Betrachter von seiner utilitaristischen,<br />
auf der Einstellung «Zeit ist<br />
Geld» basierenden Sehgewohnheit des<br />
westlichen Kulturkonsums herausreisst.<br />
Nebst Kommentaren zu Filmen, Auszügen<br />
aus Tarkovskijs Schriften und<br />
einer Biografie des Regisseurs enthält<br />
das Buch Zeugnisse von Intellektuellen<br />
wie Jean-Paul Sartre, der 1962 Tarkovskij<br />
gegen schlechte Kritiken verteidigte,<br />
oder von Ingmar Bergman, der 1986<br />
festhielt: «Tarkovskij ist für mich der<br />
Grösste, weil er dem Kino eine neue,besondereSprache<br />
gegeben hat, die es ihm<br />
erlaubt, das Leben als Vision, als ein<br />
Traumbild zu erfassen.»<br />
Die Quellenausschnitte widerspiegeln<br />
die Debatten, welche die Filme Andrej<br />
Tarkovskijs auslösten. Ein Manko<br />
ist, dass die Herausgeber nicht erklären,<br />
wer die Autoren sind. Wernicht weiss,<br />
dassErland Josephson ein schwedischer<br />
Schauspieler ist, der in «Nostalghia»<br />
und «Opfer» für Tarkovskij vor der Kamera<br />
stand, dem hilft das Buch nicht<br />
weiter.<br />
Abgesehen davon ist das Werk allgemeinverständlich.<br />
Es wirddem Schaffen<br />
des Regiepoeten auch insofern gerecht,<br />
als es nebst fundierten Essays auf fast<br />
300 Seiten Filmstills und Polaroidaufnahmen<br />
enthält, die Tarkovskij von<br />
Dreharbeiten und seiner Familie machte.<br />
Und nur über die Bilder lässt sich<br />
dieses Schaffen letztlich ergründen. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 21
Sachbuch<br />
Autobiografie Das exzentrische Leben des untergetauchten deutschen Hedge-Fund-Managers<br />
Florian Homm, vonihm selbst erzählt<br />
Rauchzeicheneines Phantoms<br />
Florian Homm: Kopf Geld Jagd. Wieich in<br />
Venezuela niedergeschossen wurde,<br />
während ich versuchte, Borussia<br />
Dortmund zu retten. Finanzbuch,<br />
München 2013. 362 Seiten, Fr.29.90,<br />
E-Book 19.30.<br />
VonSebastian Bräuer<br />
Inbegriffder<br />
Heuschrecke: der<br />
Hedge-Fund-Manager<br />
Florian Homm. Hier<br />
als Grossaktionär von<br />
Borussia Dortmund,<br />
16.November 2004.<br />
Dies ist kein normales Buch. «Wichtiger<br />
Hinweis: Der Verlag und alle an diesem<br />
Buch beteiligten Personen wissen nicht,<br />
wo sich Florian Homm aufhält», heisst<br />
es noch vor dem Inhaltsverzeichnis in<br />
fett gedruckten Buchstaben, und wer<br />
das für merkwürdig hält, dem sei gesagt:<br />
Auf den folgenden 362 Seiten ist einiges<br />
noch viel merkwürdiger.<br />
Der deutsche Hedge-Fund-Manager<br />
Homm, heute 53 Jahre alt, ist seit September<br />
2007 verschwunden. So lange<br />
vonkeiner Behörde entdeckt zu werden,<br />
wäre schon für einen weniger gefragten<br />
Menschen ein Kunststück. Aber Homm,<br />
mit seinen 2,03 Metern ein Hüne, ausgestattetmit<br />
markanten Gesichtszügen, ist<br />
von der amerikanischen Börsenaufsicht<br />
angeklagt, Bilanzen gefälscht zu haben.<br />
Private Investoren verlangen Schadensersatz:<br />
sie haben viel Geld verloren. Und<br />
sogar die US-Drogenpolizei DEA sucht<br />
Homm, angeblich unterhält er Kontakte<br />
zu südamerikanischen Drogenbossen.<br />
Als würde das nicht reichen, hat vor<br />
einigen Monaten auch noch ein kaum<br />
weniger obskurer Gegenspieler ein<br />
Kopfgeld von 1,5 Millionen Euro auf den<br />
Unternehmer ausgesetzt. Der Mann<br />
meint es ernst: Er hat ein Video ins Internet<br />
gestellt, in dem er das Geld in dicken<br />
Bündeln auf den Tisch legt.<br />
Schon vor seinem Verschwinden galt<br />
er in Deutschland als Inbegriffder skrupellosen<br />
Heuschrecke. Er verdiente an<br />
der Zerschlagung von Firmen und an<br />
fallenden Aktienkursen. Wobei er nicht<br />
davor zurückschreckte, mit der Verbreitung<br />
negativer Analysen dafür zu sorgen,<br />
dass die Kurse auch wirklich in die<br />
Tieferauschen. Am Ende rissermit seinem<br />
abrupten Abgang auch noch die eigene<br />
Firma ACMH in den Abgrund. Und<br />
verschwand mit 500000 Dollar in Aktenkoffer,<br />
Zigarrenkiste und Unterhose.<br />
Dass sojemand aus dem Untergrund<br />
heraus eine Autobiografie schreibt, in<br />
der er mit geschäftlichen und persönlichen<br />
Erfolgen prahlt, ist eine gewaltige<br />
Provokation gegenüber Anlegern und<br />
Mitarbeitern. Dasserdabei auch Details<br />
über seine Flucht verrät, zeugt von seiner<br />
Überheblichkeit. Es ist auch nicht zu<br />
beurteilen, ob sich sämtliche der teils<br />
schrillen Anekdoten wirklich so zugetragen<br />
haben. Homm schreibt im Vorwort,<br />
die Geschichte beruhe auf Tatsachen,<br />
er habe lediglich gewisse Namen<br />
und Orte geändert, um juristische Auseinandersetzungen<br />
zu vermeiden. In<br />
einer früheren Version soll allerdings<br />
auch noch gestanden haben, er habe ein<br />
paar Dingeerfunden, um den «allgemeinen<br />
Unterhaltungswert» zu steigern.<br />
Das wäre nicht schlimm. Es ist nämlich<br />
unterhaltsam, wie sich Homm zeitlebens<br />
aus Prinzip nicht an gesellschaftliche<br />
Konventionen hält. Wie erals Jugendlicher<br />
bei einem Kurzbesuch in<br />
einer Nervenheilanstalt die teils schwerkranken<br />
Patienten dazu gebracht haben<br />
will, «Scheissfaschisten, Psychoterroristen»<br />
zu skandieren. Oder wie er, injungen<br />
Jahren ein begnadeter Basketballer,<br />
angeblich bei einem Freundschaftsspiel<br />
in Detroit zusammen mit der NBA-Legende<br />
Earvin «Magic» Johnson aufläuft.<br />
Wobei sie das gegnerische Team natürlich<br />
nicht besiegen, sondern demütigen.<br />
Die Elite-Uni Harvard absolviert er, obwohl<br />
in dieser Zeit mit Drogengeschäften<br />
beschäftigt, praktisch im Schlaf.<br />
LARS BARON/GETTY IMAGES<br />
Medizin Streiflichter auf Leben und Werk vonBurghölzli-Direktor Eugen Bleuler (1857–1939)<br />
Psychiatrie-Pionierwärenochzuentdecken<br />
Rolf Mösli (Hrsg.): EugenBleuler –Pionier<br />
der Psychiatrie. Römerhof, Zürich 2012.<br />
228 Seiten, Fr.44.–.<br />
VonWilli Wottreng<br />
Der Schweizer PsychiaterEugen Bleuler<br />
(1857–1939) war eine komplexe, spannende<br />
Persönlichkeit. Ein Arzt, der aus<br />
der Praxis lernte und Theorien suchte,<br />
die dem Erlebten entsprachen. Ein<br />
Mensch, der zugleich in sich verschlossen<br />
war, aber offen für das Leiden der<br />
Mitmenschen in seinen Kliniken. Bleuler<br />
hat den Begriff der Schizophrenie<br />
22 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013<br />
entwickelt, welcher die Patienten in<br />
ihrem Leiden widerspiegeln sollte und<br />
der sie nicht wie der bisherigeAusdruck<br />
Demenz abqualifizierte. Doch in der<br />
Praxis hat erBehandlungsmethoden –<br />
etwa die Malaria-Fieberkur – zugelassen,<br />
die den Charakter von Menschenversuchen<br />
hatten.<br />
Die Persönlichkeit Bleulershätte eine<br />
bessereBiografieverdient als das vorliegende<br />
Werk. Genau genommen handelt<br />
es sich nicht um eine Biografie, auch<br />
nicht um eine Darstellung seines Wirkens,<br />
sondern um Textelemente und<br />
Dokumente, die einzeln für sich Interesse<br />
beanspruchen können, aber sich<br />
weder zu einer Biografie noch zu einem<br />
impressionistischen Panoramabild der<br />
psychiatrischen Welt fügen.<br />
Da findet sich etwa ein subtiler Text<br />
des einstigen «Burghölzli»-Direktors<br />
Daniel Hell über Herkunft und junge<br />
Jahre Bleulers, der Neugier weckt über<br />
den weiteren Lebens<strong>weg</strong>–welcher dann<br />
nicht geschildert wird. Denn über weite<br />
Strecken wird die Person Bleulers verlassen<br />
und das Gewicht auf die Wiedergabe<br />
von Pflegerberichten über ihr Tun<br />
in der Klinik gelegt. Eingestreutsind ansprechende<br />
Fotodokumente. Anschaulich<br />
auch die Ausführungen über die<br />
Ehefrau Hedwig Bleuler-Waser, die eine
Operettenhafter<br />
Putschversuch der<br />
Franquistenam<br />
23.Februar 1981:<br />
Oberst Antonio<br />
Tejeromit Pistole<br />
und bewaffneten<br />
Putschistenimspanischen<br />
Parlament.<br />
Aber auch auf einer ernsthafteren<br />
Ebene gibt es sehr gute Gründe, das<br />
Buch zu lesen. Florian Homm geht gnadenlos<br />
mit sich selbst ins Gericht. Er reflektiert<br />
seinen rasanten Auf- und Abstieg<br />
mit einer Radikalität, die seinem<br />
Charakter entsprechen mag, die aber<br />
selbst in seiner von Exzentrikern bestimmten<br />
Branche ihresgleichen sucht.<br />
Homms Leben ist eine Abfolge von<br />
Exzessen. In teils derber Sprache berichtet<br />
er von Prügeleien, Drogen- und<br />
Sexeskapaden. Immer auf der Suche<br />
nach dem nächsten Kick, mit immer<br />
mehr Geld um sich schmeissend. Aber<br />
eines will sich einfach nicht einstellen:<br />
innere Zufriedenheit. «Mein Leben war<br />
äusserst intensivund technisch betrachteterfolgreich»,<br />
schreibt Homm. «Dabei<br />
fühlte ich mich leerer als eine aufgeblasene<br />
Sexpuppe.»<br />
Alles ist dem Ziel untergeordnet, die<br />
Milliarde zu schaffen. Auch eine Ehe<br />
hält so etwas auf Dauer nicht aus, so<br />
dass esschliesslich zu einer hässlichen<br />
Scheidung kommt, bei der ihm seine<br />
Frau die gemeinsame Kunstsammlung<br />
sprichwörtlich vor der Nase <strong>weg</strong>reisst.<br />
Und damit einmal in ihrem Leben<br />
schneller ist als er: Homm hatte dasselbe<br />
vor. WenigeMonate später kommt es<br />
in ihrer Beziehung zu einer weiteren<br />
eindrücklichen Szene. Homm wird in<br />
Venezuela angeschossen und schwer<br />
verletzt, wobei unklar bleibt, ob es sich<br />
um einen Raubüberfall oder ein gezieltes<br />
Attentat handelt. Er fürchtet zu verbluten.<br />
Daher ruft erseine Ex-Frau an.<br />
Undrät ihr,die Aktien seines Unternehmens<br />
zu verkaufen, bevor die Todesnachricht<br />
in den Nachrichten kommt.<br />
«Ich bin nicht völlig psychotisch und gefühlskalt»,<br />
meint Florian Homm rückblickend.<br />
«Ich war zu dem Zeitpunkt<br />
nur stark auf Finanzen fokussiert.»<br />
Das Buch enthält die implizite Botschaft,<br />
dass Geld niemals glücklich<br />
macht –wenn der Rest nicht stimmt. l<br />
wissenschaftliche Karriere schmiss, um<br />
als Ehefrau da zu sein und an der Klinik<br />
Weihnachtsveranstaltungen zu organisieren.<br />
Und zum Schluss eine Würdigung<br />
der wissenschaftlichen Leistungen<br />
Bleulers durch den Chefarzt der Psychiatrischen<br />
Uniklinik Zürich, Paul Hoff,<br />
die Thesen vorlegt, ohne dass zuvor das<br />
Material ausgebreitet worden ist, das<br />
analysiert wird. Das betrifft etwa den<br />
heiklen Punkt der Degenerationslehre.<br />
Der Herausgeber des Buches hatte<br />
seinerzeit als Pfleger im Burghölzli gearbeitet<br />
und ein kleines Hausmuseum<br />
aufgebaut. Nun hat erseine gesammelten<br />
Funde in ein Buch überführt. l<br />
Spanien Opferdes Franquismus fordern eine historische Aufarbeitung<br />
Verdrängte Erinnerung<br />
GeorgPichler: Gegenwart der<br />
Vergangenheit. Die Kontroverseum<br />
Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien.<br />
Rotpunktverlag, Zürich 2013.<br />
250Seiten, Fr.33.90.<br />
VonTobias Kaestli<br />
ULLSTEIN<br />
Spanien leidet nicht nur an ökonomischen<br />
Problemen, sondern auch an seiner<br />
verdrängten Geschichte. Die Regierungszeit<br />
Francos (1939–1975) hatgesellschaftliche<br />
Beschädigungen hinterlassen,<br />
von denen man im Ausland kaum<br />
etwas weiss. Das Buch von Georg Pichler<br />
gibt dazu präzise Auskünfte. Der in<br />
Graz geborene Autor ist Professor für<br />
deutsche Sprache und Literatur in Madrid.<br />
Sein Interesse für die literarische<br />
Verarbeitung politischer Kämpfe zwischen<br />
links und rechts hat ihn dazu motiviert,<br />
ein Buch über die vergangene<br />
Zeit des Franquismus, die danach beginnende<br />
Zeit der «Transición» und die gegenwärtigeVeränderung<br />
des kollektiven<br />
Gedächtnisses zu schreiben. Einen<br />
gutenTeil des Buches machen die eingestreuten<br />
Interviews mit Menschenrechtsaktivisten,<br />
Juristen und Angehörigen<br />
von Opfern des Franquismus aus.<br />
Das Ende eines Unrechtsregimes bedeutet<br />
invielen Fällen, dass früher oder<br />
später die Hauptverantwortlichen für<br />
ihremenschenrechtswidrigePolitik verurteilt<br />
werden. Nicht so in Spanien. General<br />
Franco, der im Juli 1936 mit seinen<br />
nordafrikanischen Truppen gegen die<br />
gewählte links-republikanische Regierung<br />
rebelliert und in einem blutigen<br />
Bürgerkrieg die Macht erobert hatte,<br />
blieb solange ander Spitze des Staates,<br />
dass erzuerst alle linken Gruppierungen<br />
blutig unterdrücken oder ins Exil<br />
treiben konnte, um dann zumindest dem<br />
Anschein nach sein Gewaltregime ein<br />
wenig zu mildern. So blieb ervon der<br />
Justiz unbehelligt.<br />
Der Übergang zu einer parlamentarischen<br />
Monarchie warschon vorbereitet,<br />
als er im November 1975starb.Inder Periode<br />
der «Transición» blieben die Franquisten<br />
vorerst ander Macht und verhinderten<br />
eine neue Sicht auf die von<br />
ihnen schöngeredete Vergangenheit.<br />
1977 verabschiedeten sie das Amnestiegesetz,<br />
das ihnen Straffreiheit für alle<br />
zuvor geschehenen politischen (Un-)<br />
Taten garantierte. Doch die Opfer des<br />
Franquismus bauten zunehmend Druck<br />
auf und forderten Gerechtigkeit. Die<br />
linke Opposition erstarkte. Da drang am<br />
23. Februar 1981 der franquistische<br />
Oberst Antonio Tejero ins spanische<br />
Parlament ein und fuchtelte mit seiner<br />
Pistole herum. Der Putschversuch misslang,<br />
doch die Linken waren gewarnt:<br />
Rührt nicht an die Vergangenheit,<br />
schweigt über die Verbrechen des Franquismus,<br />
sonst droht ein Rückfall in die<br />
blutigen Auseinandersetzungen der<br />
Bürgerkriegszeit!<br />
Viele Gegner Francos waren nach<br />
pauschalen Urteilen erschossen und irgendwo<br />
in Massengräbern verscharrt<br />
worden. Viele Angehörigen verlangten,<br />
dass die Leichen gesucht und anständig<br />
begraben würden. Im Jahr 2000 wurde<br />
ein Verein gegründet, der die Exhumierungen<br />
und die DNA-Analyse der sterblichen<br />
Überresteorganisierteund finanzierte.<br />
Was zuerst als private Angelegenheit<br />
aufgefasst wurde, entwickelte<br />
sich zu einer politischen Be<strong>weg</strong>ung, die<br />
endlich die verdrängte Erinnerung hervorholte<br />
und die historische Aufarbeitung<br />
des Franquismus ermöglichte.<br />
«Memoria histórica» nennen das die<br />
Spanier. Doch das Amnestiegesetz ist<br />
weiterhin in Kraft, wasder mutigeRichterBaltasar<br />
Garzón, der seinerzeit gegen<br />
Pinochet Klage einreichte, schmerzhaft<br />
zu spüren bekam. Als er gegen Franco<br />
und seine Gehilfen posthum Klageerheben<br />
wollte, wurde erimMai 2010 in seinem<br />
Amt suspendiert.<br />
PichlersBuch ist reich an Informationen<br />
über die jüngste Geschichte Spanien,<br />
macht gesellschaftliche Widersprüche<br />
sichtbar und öffnet den Blick für<br />
ähnliche Probleme in anderen Ländern.<br />
Wersich für Spanien oder für Erinnerungspolitik<br />
interessiert, sollte esunbedingt<br />
lesen. l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 23
Sachbuch<br />
Paläontologie Der Naturforscher Oswald Heer (1809 bis<br />
1883) warLehrer Alfred Eschers, Doppelprofessor und<br />
erster Direktor des Botanischen Gartens Zürich<br />
Darwins<br />
kleiner Bruder<br />
Conradin A. Burga(Hrsg.): Oswald Heer<br />
1809–1883. Paläobotaniker,Entomologe,<br />
Gründerpersönlichkeit. NZZLibro,<br />
Zürich 2013. 511Seiten, Fr.64.90.<br />
VonGenevièveLüscher<br />
Sie hatten den gleichen Jahrgang –1809<br />
–und kannten einander. Während aber<br />
der eine zu Weltruhm gelangte, geriet<br />
der andere inVergessenheit. Natürlich<br />
sind die wissenschaftlichen Verdienste<br />
des Schweizers Oswald Heer mit denen<br />
von Charles Darwin nicht vergleichbar.<br />
Aber auch Heer beschäftigte sich mit<br />
der Erdgeschichte, der Evolution, auch<br />
er war, wie Darwin, zuerst Theologe.<br />
Beide lieferten Argumente und fossile<br />
Belege für eine Abfolge von ausgestorbenen<br />
und neu entstandenen Tier- und<br />
Pflanzenarten im Lauf der Zeit. Mehrfach<br />
verwies Darwin in seinen Werken<br />
auf die Funde aus Schweizer Pfahlbausiedlungen<br />
und gabdabei Heer als Informationsquelle<br />
an. Weralso war Oswald<br />
Heer?<br />
Conradin A. Burga, Dozent an der<br />
Universität Zürich, versucht unter Mithilfe<br />
zahlreicher Spezialisten und Spezialistinnen,<br />
eine Antwort auf diese<br />
Frage zugeben. Über 500 Seiten schwer<br />
ist die Biografie geworden und in ihrem<br />
Detailreichtum bisweilen verwirrend.<br />
Von Gott zu den Käfern<br />
1809 kommt Oswald Heer als zweites<br />
von neun Geschwistern im sanktgallischen<br />
Niederuzwil zur Welt. Der Vater<br />
ist Pfarrer und amtet ab 1817 inMatt im<br />
Kanton Glarus, wo Oswald seine Kindheit<br />
verbringt. Vater Heer betreibt<br />
neben dem Pfarramt eine Art privates<br />
Gymnasium, wo er seine Kinder und<br />
auch auswärtige Schüler unterrichtet.<br />
Schon als Kind sammelt Oswald eifrig<br />
Pflanzen, legt Herbarien an, unternimmt<br />
Exkursionen in die Bergwelt. Ab 1828<br />
studiert er Theologie in Halle. Neben<br />
Kirchengeschichte, Exegese und Psalmenstudium<br />
besucht er Vorlesungen in<br />
Entomologie (Insektenkunde), Mineralogie,<br />
Botanik und Zoologie. In Halle<br />
begegnet er auch Arnold Escher vonder<br />
Linth, mit dem ihn eine lebenslange<br />
Freundschaft verbinden wird.<br />
Der Botaniker Oswald<br />
Heer um 1835.<br />
DasAquarell soll<br />
Clementine Stockar-<br />
Escher gemalt haben,<br />
die Schwester von<br />
Alfred Escher.<br />
1831 folgt die Ordination. Heer kehrt<br />
aber der Theologie den Rücken und<br />
nimmt in Zürich eine Stelle als Konservator<br />
der Käfersammlung von Heinrich<br />
Escher an. Gleichzeitig ist er Hauslehrer<br />
der beiden Sprösslinge Alfred und Clementine;<br />
der später sehr einflussreiche<br />
Alfred Escher wird seinen Lehrer Zeit<br />
seines Lebens fördern. 1838 heiratet<br />
Heer Margarethe Trümpy, sie wird ihm<br />
vier Kinder schenken. Er doktoriert und<br />
habilitiert an der neugegründeten Zürcher<br />
Universität, steigt rasch vomExtraordinarius<br />
zum Professor auf und wird<br />
gleichzeitig Direktor des Botanischen<br />
Gartens. 1855 kommt noch die Professur<br />
für Botanik, Paläobotanik und Entomologie<br />
an der neugegründeten ETH dazu.<br />
Erst spät, mit 72 Jahren, tritt eraus gesundheitlichen<br />
Gründen zurück. Zwei<br />
Jahre später, 1883, stirbt er.<br />
Das Hauptinteresse Heers gehörte –<br />
nach den frühen Forschungen zur Höhenverbreitung<br />
von Insekten und Pflanzen–der<br />
paläobotanischen Erforschung<br />
der Schweiz und Europas im Tertiär. Er<br />
schuf dazu die Grundlagen, er entwickelteneue<br />
Bestimmungsmethoden fossiler<br />
Pflanzen und leistete Pionierarbeit<br />
in der Erforschung fossiler Früchte und<br />
Samen. Heer interessierte sich darüber<br />
hinaus auch für die Botanik im Eiszeitalter,<br />
für die Pflanzenfunde aus den prähistorischen<br />
Pfahlbausiedlungen und<br />
sogar für die Landwirtschaft. Seine Publikationen<br />
füllen Regale. Populär wurde<br />
er 1865 mit dem Buch «Die Urwelt der<br />
Schweiz», wo er als erster die Funde aus<br />
300 Millionen Jahren epochenweise zu<br />
anschaulichen Lebensbildern zusammenstellte.<br />
Für sein Werk wurdeervielfach<br />
auch international geehrt.<br />
Der Gelehrte war ein passionierter<br />
Briefschreiber. Die neue Biografie hat<br />
sich verdankenswerterweise dieser<br />
noch kaum angetasteten Quelle besonders<br />
intensiv angenommen und zitiert<br />
zahlreiche Briefpassagen. Die Korrespondenz<br />
in verschiedenen in- und ausländischen<br />
Archiven richtete sich an<br />
über 650Adressaten! Zu den berühmtesten<br />
zählen Alexander von Humboldt<br />
und Charles Darwin, dessen Evolutionstheorie<br />
Heer scharfkritisierte. Heer war<br />
ein vehementer Verfechter der «Umprägungstheorie»,<br />
die von einer unregelmässigen<br />
und sprunghaften Entwicklung<br />
der Organismen ausging. Als gläubiger<br />
Mensch suchte er damit einen<br />
Kompromisszwischen Schöpfungslehre<br />
und Evolutionstheorie. «Ich halte dafür,<br />
dass Gesetze auch einen Gesetzgeber<br />
voraussetzen», schrieb er1859. Mit der<br />
Ablehnung der zukunftsweisenden Evolutionstheorie<br />
hatte sich Heer aber ins<br />
Abseits manövriert, sicher mit ein<br />
Grund, weshalb er heute in Vergessenheit<br />
geraten ist.<br />
Überfülle an Fachlichem<br />
Heer kannte zahlreiche Persönlichkeiten<br />
und gründete etliche Institutionen.<br />
Viele werden im vorliegenden Buch in<br />
aller Breite vorgestellt. Manchmal geht<br />
das so weit, dassbeim Botanischen Garten<br />
auch noch die Obergärtner porträtiert<br />
werden. Unter der überbordenden<br />
Fülle an Informationen, die <strong>weg</strong>en der<br />
Aufsplitterung des Stoffs in zahllose Kapitel<br />
bisweilen redundant sind, droht<br />
der Leser den roten Faden zu verlieren.<br />
Das Ausbreiten von Fachdetails im entsprechenden<br />
Jargon überfordert den<br />
Laien, was insofern schade ist, als damit<br />
die Chance, Heers Werk einem breiten<br />
Publikum bekannt zu machen, verpasst<br />
worden ist. Auf der anderen Seite erfährt<br />
man fast nichts über Heers Leben<br />
ausserhalb der Forschung, zum Beispiel<br />
über sein Wirken imZürcher Kantonsrat,<br />
dem er immerhin von 1850 bis 1868<br />
angehörte. Eine Einbettung in die damalige<br />
Zeit findet kaum statt.<br />
Insgesamt wäre weniger Fachliches<br />
mehr gewesen; eine straffe Lektorierung<br />
und das Beiziehen eines versierten Historikers<br />
hätten dem Werk sicher gut<br />
getan. Dem Laien bleibt aber zum<br />
Schmökern eine Fülle an Wissenswertem<br />
aus dem Leben des grossen Paläontologen<br />
Oswald Heer. l<br />
LANDESARCHIV DESKANTONS GLARUS,FOTOSAMMLUNG 2.1HEER<br />
24 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013
10CFWMsQ4CMQxDvyiVnTS5Cx3RbacbEHsWxMz_T7RsDPZgP_s8hzf8dD-u5_EYBLrKtMh9eHrTLQZT2-YxoLME7UZl0PfIP17ADIPVYgQz7kUVulgvhBdtPdRaQ9vn9f4CVae-AYAAAAA=<br />
10CAsNsjY0MDAx0gUSZpYWAPRWIEUPAAAA<br />
Utopie Das linksradikale Philosophenduo Hardt/Negri kämpft weiter für die echteDemokratie<br />
Alle Machtden Ferienlagern!<br />
Michael Hardt, Antonio Negri:<br />
Demokratie! Wofür wir kämpfen.<br />
Campus, Frankfurt a. M. 2013.<br />
127 Seiten, Fr.18.90.<br />
VonMichael Holmes<br />
Zelte und Feuer, Fahnen und Lieder. Am<br />
Tage wird Räuber und Gendarm gespielt.<br />
Abends erzählt man Geschichten<br />
von tapferen Superhelden, die fest zusammenhalten,<br />
um die Bösewichter zu<br />
vernichten und die Welt zu retten.<br />
WieFerienlager schildert das linksradikale<br />
Philosophenduo Antonio Negri<br />
und Michael Hardt die Protestcamps<br />
der Be<strong>weg</strong>ungen, die sie zur revolutionären<br />
Avantgarde erkoren haben. Ihr<br />
Hauptwerk «Empire» wurde als die<br />
Bibel der Globalisierungsgegner gefeiert.<br />
Ihre neue Kampfschrift «Demokratie!»<br />
glorifiziert die Occupy-Proteste,<br />
die arabischen Aufstände sowie die Unruhen<br />
in Frankreich und England als<br />
Spielarten einer authentischen, tiefen,<br />
lebendigen Demokratie – der «Herrschaft<br />
der Multitude».<br />
Hinter einem Wirrwarr aus Angeberwörtern<br />
verbirgt sich die alte Mär: Die<br />
repräsentativeDemokratie und der liberale<br />
Rechtsstaat verschleierten die<br />
«Kontrolle des gesamten Lebens durch<br />
den Finanzmarkt» und müssten überwunden<br />
werden. Das Kapital habe den<br />
«dauernden Ausnahmezustand» und<br />
«totalen Überwachungsstaat», ja einen<br />
«absoluten Despotismus» geschaffen,<br />
der die Gesellschaftineine Fabrik, einen<br />
Alptraum, ein Gefängnis verwandle. Die<br />
Bürgerseien hypnotisiert, korrupt, blind<br />
für ihre «unsichtbaren Ketten».<br />
Echte Demokratie lässt sich den Autoren<br />
zufolge «nur von einer Multitude<br />
verwirklichen, die in der Lage ist, sie zu<br />
verstehen.» Die Be<strong>weg</strong>ungen kommunizieren<br />
mittels Gebärden und Zurufen<br />
und erfassen «Frequenzen, die Menschen<br />
ausserhalb des Kampfes weder<br />
hören noch verstehen können». Da ihre<br />
kollektive Intelligenz das Wissen aller<br />
nutze, müsse kein Andersdenkender um<br />
seine Stimme bangen.<br />
Michael Hardt und Antonio Negriunterstreichen,<br />
dassdie Multitude Zwangsmittel<br />
gegen Konzerne und Nationalstaaten<br />
einsetzen müsse, um einen<br />
eigentumsfreien Kommunismus zu verwirklichen.<br />
Ihre Macht äussert sich in<br />
Brandstiftungen, Plünderungen und<br />
Guerillakriegen.<br />
Bleibt die Frage, warum sich der Campus-Verlag<br />
in Frankfurt dazu hergibt, die<br />
Hetzschriften dieser militanten Extremisten<br />
zu publizieren. Demokratie ist<br />
kein Kinderspiel. l<br />
Kuba Der deutsche Journalist Carlos Widmann analysiert das Phänomen Fidel Castro<br />
DerVerehrungfolgt dieAbrechnung<br />
Carlos Widmann: DasletzteBuch über<br />
Fidel Castro. Hanser,München2012.<br />
335 Seiten, Fr.27.90,E-Book 19.30.<br />
VonReinhardMeier<br />
An Fidel Castro scheiden sich die Geister<br />
–schon seit einem halben Jahrhundert.<br />
Die heutige kubanische Jugend,<br />
schreibt Carlos Widmann, habe vomRegime<br />
des alten Zuchtmeisters «die<br />
Schnauze voll». In Venezuela und in anderen<br />
lateinamerikanischen Ländern<br />
dagegen wird der Mythos des Revolutionärs<br />
und Herausforderers Amerikas<br />
von linken Populisten neu beschworen.<br />
Widmann, in Argentinien geboren und<br />
aufgewachsen, ist als welterfahrener<br />
Korrespondent mit dem Phänomen Castro<br />
und dessen streckenweise dramatischer<br />
Ausstrahlung weit über die Karibik-Insel<br />
hinaus eng vertraut. Der Titel<br />
seines Buches ist offenbar eine ironische<br />
Anspielung darauf, dass Castros<br />
Herrschaftsexperiment historisch eigentlich<br />
abgelaufen ist, auch wenn der<br />
inzwischen 86-jährige, kranke Revolutionsführer<br />
weiterhin als «charismatisches<br />
Gespenst» umhergeistert. Zeit<br />
also, für eine Abrechnung.<br />
Widmann geht es bei seiner Bilanz<br />
nicht um ideologisches Schwarz-Weiss.<br />
Er schildert packend und mit dem sicheren<br />
Blick des gewieften Reporters für<br />
signifikante Einzelheiten Kernelemente<br />
von Fidel Castros flamboyanter Persönlichkeit.<br />
Dazu gehören seine privilegierte<br />
Herkunft aus einer Grossgrundbesitzerfamilie<br />
und seine skrupellosen, mitunter<br />
stalinistischen Methoden bei der<br />
Durchsetzung seiner Machtansprüche.<br />
Der Autor verhehlt bei seiner Abrechnung<br />
nicht frühere eigene Anfälligkeiten<br />
für die romantische Verklärung<br />
der Diktatur in Kuba. Erberichtet, dass<br />
er 1969 als junger Reporter für die «Süddeutsche<br />
<strong>Zeitung</strong>» die später zum Evangelium<br />
(«Die Geschichtewirdmich freisprechen»)<br />
aufbereitete Verteidigungsrede<br />
Castros von1953 nach dem gescheiterten<br />
Sturm auf eine Kaserne «als eine<br />
der grössten rhetorischen Leistungen<br />
spanischer Sprache im 20. Jahrhundert»<br />
gefeiert hatte. Jetzt fragt sich Carlos<br />
Widmann selbstkritisch, welcher Dämon<br />
ihn damals geritten habe, denn «in<br />
Wirklichkeit troff Fidel Castros 100-mal<br />
nachgebessertes Plädoyer von Eigenlob,<br />
Opportunismus und Klischees…». Ausser<br />
Kraftmeierei sei nichts an dieser<br />
Rhetorik zu finden, «vor allem keine<br />
Substanz». l<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 25
Sachbuch<br />
Berlin Ilma Rakusahat ein Journal über ihren Aufenthalt in der deutschen Hauptstadtgeführt<br />
Ebenso lebendig wiegeschichtsträchtig<br />
Ilma Rakusa: Aufgerissene Blicke. Berlin-<br />
Journal. Droschl, Graz 2013. 112 Seiten,<br />
Fr.24.90.<br />
VonIna Boesch<br />
Die «Vorbemerkung» ist eine Liebeserklärung<br />
an Berlin. Siesei vonBerlin «berührt»,<br />
bekennt die Schriftstellerin Ilma<br />
Rakusa auf der ersten Seite, «gerade<br />
weil die Stadtweh tut». Weil Geschichte<br />
nicht «<strong>weg</strong>retuschiert» wird. Weil Berlin<br />
ein «Scharnier zwischen Ost und<br />
West» ist. Und <strong>weg</strong>en seiner Vitalität:<br />
«Mit Phantasie werden triste Höfe umgenutzt,<br />
Brachen bebaut,marode Räume<br />
in quirlige Galerien verwandelt.»<br />
Tatsächlich ist es dieser lebendige,<br />
widerspenstige und geschichtsträchtige<br />
Charakter, der für viele treue Besucher<br />
den unwiderstehlichen Charme Berlins<br />
ausmacht. Entsprechend hoch sind die<br />
Erwartungen an die Lektüre des Journals,<br />
das die Autorin während ihres Berlin-Aufenthalts<br />
(Oktober 2010 bis Juli<br />
2011) als Fellow amWissenschaftskolleg<br />
geführt hat.<br />
Gleich zu Beginn nimmt die Autorin<br />
uns mit zum S-Bahnhof Grunewald, zu<br />
Gleis 17, von wo Juden deportiert<br />
wurden, schlendert weiter durchs Villenviertel,<br />
erzählt von einer witzigen<br />
Begegnung mit einem Deux-Cheveaux-<br />
Besitzer, umschliesslich den Tagebucheintrag<br />
mit einer Reflexion über ihre<br />
Arbeit am Wissenschaftskolleg zu beenden.<br />
In wenigen Sätzen bringt Rakusa<br />
zusammen, was inder Stadt ebenfalls<br />
auf knappem Raum zu erfahren ist: der<br />
Schrecken des Nationalsozialismus, der<br />
Reichtum Weniger, die Begegnung mit<br />
einem Original, das intellektuelle Leben.<br />
Solche Verdichtungen sind rar, leider.<br />
Auf den folgenden Seiten des schmalen<br />
Bändchens hält Rakusa fest, was sie<br />
an ausgewählten Tagen be<strong>weg</strong>t oder erfahren<br />
hat: Sie notiert, wie das Wetter<br />
war und ob es sie gesundheitlich beeinträchtigt<br />
hat; sie berichtet von Theater-,<br />
Kino-, Konzert- und Ausstellungsbesuchen;<br />
sie erzählt von Begegnungen mit<br />
der internationalen, vor allem osteuropäischen<br />
Kulturprominenz, vom Gulasch-Essen<br />
mit den Ehepaaren Esterhàzy<br />
und Kertèsz oder von Gesprächen<br />
mit dem libanesischen Autor Elias<br />
Khoury.<br />
Ilma Rakusa zitiert auch andere Journale<br />
(beispielsweise von Emine Sevgi<br />
Özdamar) oder was andere Schriftstellerinnen<br />
(zum Beispiel Ingeborg Bachmann)<br />
über Berlin geschrieben haben.<br />
Sieholt die weiteWelt –die Katastrophe<br />
von Fukushima –mittels <strong>Zeitung</strong>slektüre<br />
in ihreStudierstube. Zu selten hält sie<br />
Episoden fest, die Berlin-spezifisch und<br />
berührend sind wie diese: Mit dünner<br />
Stimme preist ein Obdachloser in der U-<br />
Bahn sein Magazin an, doch keiner<br />
blickt auf, worauf er sich verzweifelt<br />
fragt: Mache ich etwas falsch? l<br />
Dasamerikanische Buch Ausder Bronx ins ObersteGericht der USA<br />
«Kleine,stetigeSchritte»haben sie<br />
einen denkbar langen Weggetragen,<br />
schreibt Sonia Sotomayor in ihren<br />
Memoiren My BelovedWorld (Alfred A.<br />
Knopf, 315Seiten): Er führteaus der Armutpuerto-ricanischer<br />
Einwanderer in<br />
der Bronx bis hinter die Marmorsäulen<br />
des amerikanischen Verfassungsgerichts.<br />
VonPräsident Barack Obama<br />
ausgewählt, nahm Sotomayor2009 als<br />
erstePersönlichkeit lateinamerikanischer<br />
HerkunftEinsitz am obersten<br />
Gericht der USA. Siewurde damit eine<br />
historische Figur. Aber dies scheint erst<br />
heute wirklich in der breiten Öffentlichkeit<br />
und auch in ihrer eigenen<br />
«Community» anzukommen. Dafür<br />
spricht das enorme Echo auf «MyBelovedWorld».<br />
Das Buch ist umgehend<br />
an die Spitzeder Bestsellerlisten gesprungen<br />
und die Lesereise der Richterin<br />
im Februar geriet zu einem<br />
Triumphzug mit begeistertem Publikum<br />
in überfüllten Hallen.<br />
Die durch<strong>weg</strong>s positivenKritiken nahmen<br />
diesen Erfolg vor<strong>weg</strong>. Das Buch<br />
endet zwar bereits 1992,als Sotomayor<br />
an das Bundesgericht für den südlichen<br />
Bezirkihrer Heimatstadtberufen<br />
wurde. So vermeidet die Juristin<br />
Diskussionen ihrer vonRepublikanern<br />
bekämpften Nominierung für den<br />
Supreme Court und ihrer Haltung zu<br />
aktuellen Fällen. Dafür wirdder Leser<br />
mit einer packenden und anrührenden<br />
Lebensgeschichtebelohnt. Diese zieht<br />
ihreemotionale Kraftebenso aus der<br />
Offenheit der Autorin, wie aus den<br />
Prüfungen, die sie auf ihrem Wegzu<br />
bestehen hatte.<br />
1955 geboren, wuchs Sotomayormit<br />
einer distanzierten Mutterund einem<br />
alkoholsüchtigen Vaterauf,der nach<br />
Sonia Sotomayor<br />
feiertihren vierten<br />
Geburtstag(1959).<br />
Heuteist sie die<br />
ersteRichterin mit<br />
puerto-ricanischen<br />
Wurzeln am US-<br />
Verfassungsgericht<br />
(unten).<br />
REUTERS<br />
ihrem neunten Geburtstag verstarb.<br />
Erschwert wurdeihreKindheit durch<br />
Diabetes, die sie bereits als Siebenjährigeallein<br />
meistern musste. Die Kleine<br />
lernte, sich selbst die tägliche Insulinspritzezusetzen,<br />
und realisierte, dass<br />
sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen<br />
musste. Rückschlägenahm das mit<br />
einer scharfenIntelligenz begabteMädchen<br />
fortan als Lektionen wahr,die sie<br />
mit Fleissund Beharrlichkeit bewältigenkonnte.<br />
WieSotomayordankbar<br />
hervorhebt, standen ihr dabei an jeder<br />
Station Mentoren zur Seite. Niescheute<br />
sie sich, um Ratzufragen. So gewann sie<br />
an der Princeton Universityund danach<br />
an der Yale LawSchool, bei der New<br />
YorkerStaatsanwaltschaftund schliesslich<br />
als jungePartnerin einer renomiertenKanzlei<br />
in Manhattan lebenslange<br />
PRIVAT<br />
Freunde. Dazu zählt der einflussreiche<br />
Jurist José Cabranes, der heute am Berufungsgericht<br />
für den amerikanischen<br />
Nordosten wirkt.<br />
Sotomayornotiert zudem, dassihre<br />
Karrierenur deshalb möglich war, weil<br />
Institutionen in Staatund Gesellschaft<br />
der USAwährend der 1970er Jahreallmählich<br />
Türen für ehrgeizige«Hispanics»<br />
öffneten. Sieverteidigt die bis<br />
heute umstrittene «affirmative action»,<br />
also die gezielteFörderung vonAngehörigen<br />
farbiger Minoritäten, stellt<br />
aber selbstbewusstfest: «Meine Herkunftmag<br />
mir ein Princeton-Stipendium<br />
ermöglicht haben. Aber den<br />
Abschlusssumma cum laude habe ich<br />
mir aus eigener Kraftverdient!»<br />
Doch, obwohl ihr Buch zu einem Zeitpunkt<br />
erscheint, an dem die Hispanics<br />
auch als politischer Faktor den endgültigen<br />
Durchbruch erzielt haben, ist<br />
«MyBelovedWorld» keines<strong>weg</strong>s eine<br />
Streitschriftauf dem Schlachtfeld der<br />
Identitätspolitik in den USA. SotomayormöchteBeispiel<br />
sein für die Möglichkeit<br />
des klassisch-amerikanischen<br />
Aufstiegsund plädiert für schrittweise<br />
Reformen: Aufgewachsen in Chaos und<br />
Not, hält die Richterin das Recht als<br />
Regelwerk hoch, das speziell Bürgern<br />
aus benachteiligten Milieus Sicherheit<br />
und Chancen gewähren sollte.<br />
Dabei hält sie an ihren Wurzeln fest.<br />
Dazu zählt eine afrokaribische Spiritualität,<br />
die sie an ihrer Grossmutter<br />
Mercedes aus PuertoRicofestmacht.<br />
So würdigt Sotomayorauch den Geist<br />
der geliebten «Abuelita» als Beistand,<br />
der sie auf ihrer imponierenden Lebensreise<br />
mit Ratund Tatbegleitet hat.<br />
VonAndreas Mink l<br />
26 ❘ NZZamSonntag ❘ 24.Februar 2013
Agenda<br />
Künstlerkolonie Die Schule von Savièse<br />
Agenda März 2013<br />
Basel<br />
Freitag, 1.März, 20 Uhr<br />
Emil Steinberger: Drei Engel. Bühnenprogramm<br />
mit Lesung. TheaterFauteuil,<br />
Spalenberg12. Info: www.fauteuil.ch.<br />
Freitag, 8.März, 19 Uhr<br />
Rafik Schami: Poetischer Spaziergang<br />
durch Damaskus. Lesung, Fr.25.–.<br />
Literaturhaus, Barfüssergasse3,<br />
Tel. 061 261 29 50.<br />
M. MARTINEZ /WALLISER KUNSTMUSEUM<br />
UmsJahr1900wurde dasländliche Wallis durch<br />
Künstler aus der Stadt bevölkert, die auf der Suche<br />
nach einer unversehrtenalpinen Welt waren. Als<br />
«Schule vonSavièse»kolonisiertensie die Berglandschaftund<br />
schildertensie als verlorenes<br />
Paradies. Paul Virchaux (1862–1930) stellt auf einem<br />
1901entstandenen Ölgemälde Älplerinnen und Älpler<br />
auf der Heimkehr vonder Messe in Evolène dar.Drei<br />
jungeFrauen führen den Zugan, der in der prallen<br />
Mittagssonne aus der Kirche kommt. Landschaftund<br />
Bestseller Februar 2013<br />
Belletristik<br />
1<br />
2<br />
Paulo<br />
3<br />
Jonas<br />
4<br />
Eveline<br />
5<br />
SandraBrown:<br />
6<br />
Vina<br />
7<br />
MartinSuter:<br />
8<br />
Vina<br />
9<br />
Camilla<br />
10<br />
Jussi Adler-Olsen: DasWashington-Dekret.<br />
Dtv. 656Seiten, Fr. 27.90.<br />
Coelho: Die Schriftenvon Accra.<br />
Diogenes. 192 Seiten, Fr. 25.90.<br />
Jonasson: Der Hundertjährige.<br />
Carl’sBooks.412 Seiten, Fr. 21.90.<br />
Hasler: Mit dem letzten Schiff.<br />
Nagel&Kimche.224 Seiten, Fr. 27.90.<br />
Blinder Stolz.<br />
Blanvalet. 544 Seiten, Fr. 28.50.<br />
Jackson: 80 Days –Die Farbe der Lust.<br />
Carl's Books. 366 Seiten, Fr. 18.90.<br />
Die Zeit, die Zeit.<br />
Diogenes. 296 Seiten, Fr. 29.90.<br />
Jackson: 80 Days –Die Farbe der Erfüllung.<br />
Carl's Books. 352 Seiten, Fr. 18.90.<br />
Läckberg: Der Leuchtturmwärter.<br />
List. 480Seiten, Fr. 28.90.<br />
Timur Vermes: Er istwieder da.<br />
Eichborn. 396 Seiten, Fr. 27.90.<br />
Sachbuch<br />
Erhebung Media Control im Auftragdes SBVV; 12.2.2013. Preise laut Angaben vonwww.buch.ch.<br />
Menschen feiern in realistischer Manier die Heimat.<br />
DasBild istein Beispiel für die Ideologie der heilen<br />
Welt, welche die damaligeKolonie prägte. Im Spannungsfeld<br />
mit anderen künstlerischen Be<strong>weg</strong>ungen<br />
wie jener weit farbigeren und anarchischeren auf dem<br />
MonteVerità im Tessin gewinnt diese Strömung ihre<br />
besondereBedeutung. Manfred Papst<br />
Pascal Ruedin u.a. (Hrsg.): Die Schule vonSavièse.<br />
Eine Künstlerkolonie in den Alpen um 1900.<br />
Kunstmuseum Wallis, Sitten2012. 296S., Fr.59.–.<br />
1<br />
2<br />
Rolf<br />
3<br />
Florian<br />
4<br />
Pola<br />
5<br />
Christoph<br />
6<br />
Rolf<br />
7<br />
Isabelle<br />
8<br />
Guinness<br />
9<br />
Beat<br />
10<br />
Thomas Jaenisch, Felix Rohland: myboshi –<br />
mützenundmehr. Frech. 111 Seiten, Fr. 21.90.<br />
Dobelli: Die Kunst des klarenDenkens.<br />
Hanser. 246 Seiten, Fr. 24.90.<br />
Illies: 1913 –der Sommer des Jahrhunderts.<br />
Fischer.319 Seiten, Fr. 28.90.<br />
Kinski: Kindermund.<br />
Insel.267 Seiten, Fr. 28.40.<br />
Stockar: Der Schweizer Knigge.<br />
Beobachter. 228 Seiten, Fr. 38.90.<br />
Dobelli: Die Kunst des klugenHandelns.<br />
Hanser. 248 Seiten, Fr. 24.90.<br />
Neulinger: Meinen Sohn bekommt<br />
ihr nie. Nagel&Kimche.204 Seiten, Fr. 25.90.<br />
World Records2013.<br />
Bibliographisches Institut. 285S., Fr. 32.40.<br />
Kuhn: Ziemlich wild.<br />
Gassmann. 128 Seiten, Fr. 39.90.<br />
Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 25.<br />
Aufl. Bibliogr.Institut. 1216 Seiten, Fr. 35.90.<br />
Montag, 25.März, 19 Uhr<br />
Ursula Krechel: Landgericht.<br />
Lesung, Fr.17.–. Literaturhaus,<br />
Barfüssergasse3,<br />
Tel. 061 261 29 50.<br />
Bern<br />
Mittwoch, 13.März, 20 Uhr<br />
PedroLenz: Liebesgschichte. Lesung,<br />
Fr.15.–.Buchhandlung Stauffacher,<br />
<strong>Neue</strong>ngasse 25/27, Tel. 031 313 63 63.<br />
Montag, 25.März, 19 Uhr<br />
Ulrich Beseler empfiehlt Bücher zu<br />
Ostern. Lesung, Eintrittfreiinkl. Apéro.<br />
Buchhandlung Haupt, Falkenplatz 14.<br />
Info: www.haupt.ch.<br />
Mittwoch, 27.März, 19 Uhr<br />
7. Bund-Essay-Wettbewerb unter dem<br />
Motto:Der Mutterund die Vaterin;<br />
Preisverleihung und Lesungen. Dampfzentrale,Marzilistrasse<br />
47.Eintrittund<br />
Reservation: www.essay.derbund.ch.<br />
Zürich<br />
Mittwoch, 6.März, 19.30Uhr<br />
KatjaFusek, Valentin Herzog und<br />
Gabriele Markus lesen aus ihren Werken.<br />
ZSVForum im Gartensaal, Cramerstr.7.<br />
Info: www.zsv-online.ch.<br />
Dienstag, 12.März, 20 Uhr<br />
Joey Goebel: Ichgegen Osborne. Lesung,<br />
Fr.25.–. Kaufleuten, Festsaal,<br />
Pelikanplatz 1, Tel. 044225 33 77.<br />
Montag, 18.März, 19.30Uhr<br />
Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren.<br />
Lesung, Fr.18.– inkl. Apéro. Literaturhaus,<br />
Limmatquai 62, Tel. 044254 50 00.<br />
Montag, 25.März, 19.30Uhr<br />
Corina Caduff: Szenen des<br />
Todes. Lesung, Fr.18.– inkl.<br />
Apéro. Literaturhaus<br />
(s. oben).<br />
Mittwoch, 27.März, 19.30Uhr<br />
Zebraoder weisser Tigerund Fledermaus<br />
au Chocolat. Die Lesung zum Tier.Erfundenes<br />
und Erfahrbares aus dem Tierreich.<br />
Restaurant Zeughaushof, Kanonengasse20.<br />
Info: www.zeughaushof.ch.<br />
Bücher am Sonntag Nr.3<br />
erscheint am 31.3.2013<br />
<strong>Weiter</strong>eExemplare der Literaturbeilage«Bücher am<br />
Sonntag» können bestellt werden per Fax044 2581360<br />
oder E-Mail sonderbeilagen@nzz.ch. Oder sind –solange<br />
Vorrat –beim Kundendienstder NZZ, Falkenstrasse 11,<br />
8001Zürich, erhältlich.<br />
EPA<br />
24.Februar 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 27
MIT UNTERSTÜTZUNG VON<br />
Ausgabe Nr.1<br />
IN KOOPERATION MIT<br />
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SMS mit «NZZ26»<br />
an 880<br />
TomBuchananholte kurz und<br />
gezielt aus und brach ihr mit<br />
derflachenHanddie Nase.<br />
Knack.<br />
Aus «Der grosse Gatsby» von F.Scott Fitzgerald<br />
Weltliteratur in Kurzform<br />
10 Klassiker der Weltliteratur, zusammengefasst auf 16Seiten.<br />
Vom 31. März bis 2. Juni 2013 exklusiv in der «NZZ am Sonntag» als kostenlose Beilage.<br />
Jetzt 10 Wochen für nur 25 Franken Probe lesen: SMS mit Keyword NZZ26 sowie<br />
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Unbekannt<br />
Die Erzählungen<br />
aus den Tausendundein<br />
Nächten<br />
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Nibelungenlied<br />
Schi Nai An<br />
Die Räuber<br />
vomLiang<br />
Schan Moor<br />
Jane Austen<br />
Verstand und<br />
Gefühl<br />
Victor Hugo<br />
Die Elenden<br />
Leo Tolstoi<br />
Anna Karenina<br />
Marcel Proust<br />
Auf der Suche<br />
nachder verlorenen<br />
Zeit<br />
Virginia Woolf<br />
MrsDalloway<br />
F. Scott Fitzgerald<br />
Der grosse<br />
Gatsby<br />
Robert Musil<br />
Der Mann ohne<br />
Eigenschaften<br />
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