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Thesenpapier Peer Rosenthal / Dr. Jörg Sommer - Friedrich-Ebert ...

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Bremen, im September 2010<br />

<strong>Peer</strong> <strong>Rosenthal</strong> (Arbeitnehmerkammer Bremen)<br />

Tel. 0421 / 36301 992<br />

rosenthal@arbeitnehmerkammer.de<br />

<strong>Dr</strong>. Jörg <strong>Sommer</strong> (Institut Arbeit und Wirtschaft)<br />

Tel. 0421 / 218 7273<br />

jsommer@iaw.uni-bremen.de<br />

<strong>Thesenpapier</strong> zum Vortrag auf dem Workshop des Gesprächskreises Arbeit und Qualifizierung<br />

der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Ebert</strong>-Stiftung zum Thema „Öffentlich geförderte Beschäftigung<br />

– Integrationspolitik für Langzeitarbeitslose“ am 29. September 2010 in Berlin.<br />

„Öffentlich geförderte Beschäftigung im Stadtstaatenvergleich:<br />

Zwischenergebnisse aus einem Forschungsprojekt“<br />

1 Ausgangslage<br />

Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie die Arbeitsmarktpolitik sind in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung ein bundespolitisches Thema und in erster Linie eine „Domäne des Nationalstaats“.<br />

In der tatsächlichen Bearbeitung des gesellschaftlichen Problems verfestigter (Langzeit)Arbeitslosigkeit<br />

entfaltet aber nicht nur der Bundesgesetzgeber seine Wirkung. Es spielt<br />

darüber hinaus neben den Rechtsvorschriften und Förderprogrammen der Europäischen Union<br />

(EU) und der Bundesländer insbesondere die lokale Ebene eine wichtige Rolle: So wurden<br />

auf lokaler Ebene durch die Kommunen bereits seit den späten 1970er Jahren in breitesten<br />

Variationen eigene Instrumentarien und Ansätze zur Abmilderung der mit der (Langzeit)Arbeitslosigkeit<br />

einhergehenden Problemlagen entwickelt. Obgleich durch die Einführung<br />

des Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) völlig neue Governancestrukturen implementiert<br />

worden sind und eine bundesweit einheitliche Rechtsgrundlage geschaffen worden<br />

ist, existieren weiterhin zum Teil große Divergenzen in der Ausgestaltung auf lokaler Ebene,<br />

der eine große Bedeutung zugemessen werden müssen.<br />

Somit bestehen bis heute die in den letzten drei Dekaden entwickelten Varianzen hinsichtlich<br />

der Zielzuschreibungen sowie der Governance der arbeitsmarktpolitischen Beschäftigungsförderung<br />

fort, was sich sowohl in den das Handeln regelnden Strukturen als auch im Prozess<br />

der Regelungen widerspiegelt. Für die Governance arbeitsmarktpolitischer Beschäftigungspolitik<br />

scheint es von Relevanz zu sein, wie auf lokaler Ebene die Handlungsanforderungen<br />

wahrgenommen und politisch umgesetzt werden, d.h. welche Instrumente zum Einsatz gebracht<br />

werden und ob für die Realisierung selbst gesetzter arbeitsmarktpolitischer Zielsetzungen<br />

verfügbare Eigenmittel Verwendung finden. Da aus diesem ausdifferenzierten Problemund<br />

Regelungsgefüge „Politikverflechtungsfallen“ resultieren (können), welche die Steuerungsfähigkeit<br />

der lokalen Ebene aushöhlt, findet politische Steuerung zunehmend in Politiknetzwerken<br />

statt. Hierbei handelt es sich um ein Beziehungsgeflecht, in dem an einem Politik-<br />

1


feld interessierte und einflussreiche Akteure agieren, d.h. staatliche und gesellschaftspolitische<br />

Akteursgruppen gleichermaßen, wie z.B. Regierungen, Parlamente, Verwaltungen, Parteien<br />

oder Verbände. Steuerungserfolge hängen entscheidend davon ab, ob in diesem Netzwerk<br />

Akteure vertreten sind, die in der Lage sind, Interessen gesellschaftlicher Gruppen zu<br />

formieren, zu artikulieren und auf dem Verhandlungswege zu vermitteln, aber auch für die<br />

verbindliche Einhaltung der unter ihrer Beteiligung ausgehandelten Problemlösung zu sorgen.<br />

Häufig variieren zwischen den Akteuren die jeweiligen Handlungsorientierungen sowie<br />

Handlungsrestriktionen und -möglichkeiten, was sich auch in der Schwerpunktsetzung und<br />

konkreten Ausgestaltung der arbeitsmarktpolitischen Beschäftigungsförderung widerspiegeln<br />

dürfte.<br />

Vor diesem Hintergrund wird in einem gemeinsamen Projekt der Arbeitnehmerkammer Bremen<br />

und dem Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen die Governance<br />

der arbeitsmarktpolitischen Beschäftigungsförderung im Stadtstaatenvergleich seit Einführung<br />

des SGB II beschrieben und analysiert. Im Mittelpunkt des Projekts steht die Frage, ob<br />

die unterschiedliche Ausgestaltung in der Beschäftigungsförderung lediglich die Besonderheiten<br />

des lokalen Arbeitsmarktes widerspiegeln, oder ob sich diese Varianzen auch durch die<br />

Eigenschaften des Politiknetzwerkes lokale Arbeitsmarktpolitik und die jeweiligen Akteurskonstellationen<br />

erklären lassen. Diese Fragestellung wird im Rahmen eines Stadtstaatenvergleichs<br />

bearbeitet, da die verantwortlichen Akteure, insbesondere in den zuständigen Fachressorts,<br />

über Voraussetzungen und Kompetenzen verfügen, um aktive Arbeitsmarktpolitik ohne<br />

Hilfe der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu gestalten.<br />

Im Projektverlauf wurde mittels vorliegender Datensätze und offizieller Dokumente die Lage<br />

am Arbeitsmarkt sowie die Strukturen und Zusammensetzung des Politiknetzwerkes lokale<br />

Arbeitsmarktpolitik in den drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin formal beschrieben.<br />

Ergänzt wurde diese Dokumentenanalyse durch insgesamt 20 leitfadengestützte qualitative<br />

Experteninterviews mit Personen aus den Bereichen Politik, Verwaltung, Verbände und<br />

Träger. Im Mittelpunkt der Befragung standen drei Fragenkomplexe, und zwar (1.) zur Situation<br />

am lokalen Arbeitsmarkt, (2.) zur Ausgestaltung der Beschäftigungsförderung, sowie (3.)<br />

zur Zusammensetzung und Arbeitsweise des Politiknetzwerkes lokale Arbeitsmarktpolitik.<br />

Aufgrund der personellen und finanziellen Ressourcen des Projekts musste zwar eine enge<br />

Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner erfolgen, aber es konnte sichergestellt werden,<br />

dass die Interviews mit den entscheidungsrelevanten Akteuren geführt werden konnten.<br />

Die Interviews wurden protokolliert, akustisch aufgezeichnet und anschließend teiltranskribiert.<br />

Zum jetzigen Zeitpunkt wird das empirische Material systematisch ausgewertet.<br />

Nachfolgend werden erste Zwischenergebnisse der empirischen Analyse sowie daraus abgeleitete<br />

offene Fragen für eine verbesserte Steuerung arbeitsmarktpolitischer Beschäftigungsförderung<br />

zur Diskussion gestellt. 1<br />

1<br />

Die Auswertung des vorliegenden empirischen Materials ist noch nicht abgeschlossen, so dass der Aussagegehalt<br />

der Zwischenergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt nicht überinterpretiert werden darf. Überdies<br />

ist darauf hinzuweisen, dass die Befragung in Berlin im Bezirk <strong>Friedrich</strong>shain/Kreuzberg (Agenturbezirk<br />

Berlin-Mitte) durchgeführt worden ist. Inwiefern sich die Befunde auch auf die anderen Berliner<br />

Bezirke übertragen lassen, kann zum jetzigen Zeitpunkt der Untersuchung nicht hinreichend beantwortet<br />

werden.<br />

2


2 Zwischenergebnisse<br />

Auf Basis des vorliegenden empirischen Materials werden nachfolgend sechs Zwischenergebnisse<br />

in Form von Thesen formuliert, die sich auf die Lage am lokalen Arbeitsmarkt (These<br />

1), die Ausgestaltung der Beschäftigungsförderung (These 2-4), sowie auf die Governance<br />

der Politiknetzwerke (These 5-6) beziehen.<br />

These 1<br />

Es ist eine deutliche Spaltung der lokalen Arbeitsmärkte erkennbar, die sich<br />

durch einen Fachkräftemangel einerseits und einer Verfestigung im SGB II<br />

bei bestimmten „Problemgruppen“ des Arbeitsmarktes andererseits auszeichnet.<br />

Die lokalen Arbeitsmärkte in den drei Stadtstaaten sind durch eine durchaus vergleichbare<br />

Ausgangslage gekennzeichnet: Auf der einen Seite zeichnen sich die lokalen Arbeitsmärkte<br />

(trotz des sektoralen Strukturwandels sowie der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise als zentrale<br />

arbeitsmarktpolitische Herausforderungen) durch eine positive Entwicklung aus, namentlich<br />

durch eine hohe Dynamik im Bereich des SGB III und einer wachsenden Arbeitskräftenachfrage,<br />

insbesondere im Dienstleistungssektor. Als problematisch in diesem Zusammenhang<br />

wird der zunehmende Fachkräftemängel wahrgenommen, der sich angesichts der demographischen<br />

Entwicklung weiter zu verstärken droht. Auf der anderen Seite sehen sich die<br />

drei Stadtstaaten aber auch mit einer Verfestigung im Bereich des SGB II konfrontiert, wobei<br />

die Empfängerinnen und Empfänger von SGB II-Leistungen eine relativ heterogene Gruppe<br />

darstellen. Als „Problemgruppen“ des Arbeitsmarktes gelten aber gemeinhin:<br />

- Jugendliche,<br />

- Alleinerziehende,<br />

- Menschen mit Migrationshintergrund,<br />

- ältere Menschen, sowie übergreifend<br />

- Menschen ohne ausreichende schulische / berufliche Qualifizierungen.<br />

Diese Gruppen sind vom Arbeitsmarkt weitestgehend ausgeschlossen, und es werden von den<br />

befragten Akteuren nur wenige Möglichkeiten gesehen, diese Menschen in den ersten Arbeitsmarkt<br />

integrieren zu können. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass sich die aus der<br />

Arbeitslosigkeit resultierenden Problemlagen in einigen Quartieren / Bezirken verfestigt haben,<br />

was die Segregation in den drei Stadtstaaten weiter vorantreibt.<br />

Zu erwarten ist, dass vor dem Hintergrund der identifizierten und in den drei Stadtstaaten anerkannten<br />

Problemlagen die arbeitsmarktpolitische Beschäftigungsförderung vergleichbare<br />

Zielsetzungen verfolgt und auch ähnliche Konzepte zur Anwendung gebracht werden.<br />

These 2<br />

Seit 2005 entwickeln sich das Ausgabenniveau und der Instrumenteneinsatz<br />

für öffentlich geförderte Beschäftigung in Hamburg auf der einen sowie<br />

Bremen und vor allem Berlin auf der anderen Seite deutlich auseinander.<br />

Im Zeitverlauf haben sich sowohl das Ausgabenniveau für öffentlich geförderte Beschäftigung<br />

als auch der Instrumenteneinsatz in den drei Stadtstaaten auseinanderentwickelt. Seit<br />

3


2005 nimmt Beschäftigungsförderung im Leistungsspektrum zwar eine große Bedeutung ein<br />

– allerdings mit abnehmender Tendenz. Entfielen 2005 noch rund zwei <strong>Dr</strong>ittel der SGB-II-<br />

Eingliederungsmittel in Berlin, Hamburg und Bremen auf Beschäftigung schaffende Maßnahmen,<br />

ist der Anteil bis 2008 auf 54 Prozent in Berlin, 43 Prozent in Bremen und 38 Prozent<br />

in Hamburg gesunken.<br />

Während direkt nach Einführung des SGB II in allen drei Städten die Förderungen von Arbeitsgelegenheiten<br />

in der Mehraufwandsvariante (AGH MAE) dominant waren, wurden 2008<br />

in Hamburg 38 Prozent, in Bremen 29 Prozent und in Berlin 24 Prozent des Eingliederungsbudgets<br />

für diese Förderungen verausgabt. In Bremen (14 Prozent) aber vor allem in Berlin<br />

mit 30 Prozent spielen auch andere (sozialversicherungspflichtige) Förderinstrumente (Arbeitsgelegenheiten<br />

in der Entgeltvariante, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Beschäftigungszuschuss)<br />

eine große Rolle, während sie in Hamburg kaum zum Einsatz kommen.<br />

Gleichzeitig spielen auch Ko-Finanzierungen aus Landes- bzw. ESF-Mitteln eine unterschiedliche<br />

Bedeutung: während in Berlin sowohl Landes- als auch ESF-Mittel in die Finanzierung<br />

aktiver Arbeitsmarktpolitik eingebracht werden, beschränkt sich Bremen auf Ko-<br />

Finanzierungen aus dem ESF. In Hamburg spielt dagegen eine Ko-Finanzierung öffentlich geförderter<br />

Beschäftigung eine vergleichweise untergeordnete Rolle.<br />

These 3<br />

Die mit geförderter Beschäftigung verbundenen Zielstellungen unterscheiden<br />

sich zum einen zwischen den drei Städten. Zum anderen wird aber auch<br />

in den drei Städten von den befragten Akteuren vor allem die Arbeitsmarktintegrationsfunktion<br />

unterschiedlich bewertet.<br />

Trotz ähnlicher Beschreibungen der Arbeitsmarktsituation und der Zielgruppendefinition sind<br />

die mit dem Einsatz von Beschäftigungsförderung verbundenen Zielsetzungen in den drei<br />

Städten nicht deckungsgleich. Nach den Ergebnissen der SGB-III-Evaluation von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

können fünf Ziele von Beschäftigungsmaßnahmen identifiziert werden,<br />

und zwar<br />

- Arbeitsmarktintegration,<br />

- Beschäftigungsfähigkeit,<br />

- Strukturwirksamkeit,<br />

- Zielgruppeninklusion und<br />

- Marktersatz.<br />

Diese fünf Ziele werden in den drei untersuchten Stadtstaaten unterschiedlich betont. Während<br />

in Hamburg explizit das Ziel der Arbeitsmarktintegration, dem sich alle weiteren möglichen<br />

Zielsetzungen unterzuordnen haben, prioritär zu sein scheint, ist die Zielsetzung in Bremen<br />

und Berlin differenzierter. So spielt in Bremen die Zielgruppeninklusion und Strukturwirksamkeit<br />

(sozialräumliche Orientierung) eine scheinbar stärkere Rolle. In Berlin wird darüber<br />

hinaus teilweise auch noch die Marktersatzfunktion hervorgehoben.<br />

Allerdings ist dieses Bild (noch) als uneinheitlich zu beschreiben. So deuten die Befragungen<br />

in allen drei Städten in die Richtung, dass die lokale Arbeitsagentur, Grundsicherungsträger<br />

4


und die jeweiligen Fachressorts die Arbeitsmarktintegrationsfunktion deutlich stärker betonen<br />

als die. Landesgesellschaften, Beschäftigungsträger oder die Vertreterinnen und Vertreter der<br />

lokalen Ebene. Somit ist zusammenfassend ein unterschiedlicher Blick auf die Beschäftigungsförderung<br />

zwischen aber auch innerhalb der Städte zu beobachten.<br />

These 4<br />

Die nicht einheitlichen Zielstellungen verweisen darauf, dass in allen drei<br />

Stadtstaaten eine grundsätzliche strategische Zielformulierung nicht stattgefunden<br />

hat bzw. nicht von allen Akteuren getragen wird.<br />

Die uneinheitlichen Zielvorstellungen innerhalb der Städte verweisen darauf, dass eine grundsätzliche<br />

strategische Zielformulierung jeweils nicht stattgefunden hat bzw. nicht von allen<br />

Interviewten getragen wird.<br />

In Hamburg ist eine Konsensfindung zwischen den Akteuren erklärtermaßen nicht angestrebt<br />

worden. In Bremen werden die sozialräumliche Orientierung und der verstärkte Einsatz sozialversicherungspflichtiger<br />

Instrumente zwar von den interviewten Akteuren akzeptiert, jedoch<br />

wird vereinzelt auch weiterhin die Integration in den ersten Arbeitsmarkt betont, während an<br />

anderer Stelle darauf verwiesen wird, dass diese Zielstellung für bestimmte Personengruppen<br />

grundsätzlich nicht realisierbar sei. Schließlich scheint in Berlin allein die Vielzahl der beteiligten<br />

Akteure eine kohärente und strategische Zielformulierung zu erschweren, wenngleich<br />

erste Schritte in diese Richtung mit der Verabschiedung einer „Gemeinsamen Erklärung über<br />

den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ unternommen worden sind.<br />

Die strategische Ausrichtung an dem Ziel „Integration erster Arbeitsmarkt“ wird dabei in den<br />

drei Stadtstaaten zuweilen grundsätzlich als hinderlich angesehen, da es an der Realität bestimmter<br />

erwerbsfähiger Hilfebedürftiger vorbei zielt.<br />

Zudem beeinträchtigen weitere Aspekte eine strategisch ausgerichtete Beschäftigungsförderung:<br />

So werden von den Akteuren u.a. die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen<br />

der Beschäftigungsförderung kritisiert. Insbesondere die jährliche Neuaufstellung des Eingliederungstitels<br />

(EGT) der Grundsicherungsträger erlaube nur kurzfristige Planungen, die auf<br />

eine nachhaltige gezielte Förderung der Problemgruppen kontraproduktiv wirken könne. Hinzu<br />

kommt scheinbar mangelndes Wissen über die Zielgruppe(n) und deren tatsächliche Bedarf.<br />

Bemängelt wird zudem, dass aktive Arbeitsmarktpolitik allein nicht in der Lage sei, die<br />

vielschichtigen Probleme der Zielgruppen abzufedern; vielmehr bedarf es ganzheitlicher<br />

Betreuungsansätze, etwa durch eine Verzahnung von Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Familien- und<br />

Gesundheitspolitik. Wie sich diese Verzahnung aber konkret darstellen könnte, darüber gibt<br />

es höchst unterschiedliche Vorstellungen.<br />

5


These 5<br />

Die konzeptionelle Ausgestaltung in der Beschäftigungsförderung wird nicht<br />

nur durch die bundesgesetzlichen Vorgaben und die Lage am lokalen Arbeitsmarkt,<br />

sondern auch durch die Governance der Politiknetzwerke determiniert.<br />

Die reformierten gesetzlichen Regelungen der Hartz-Gesetzgebung haben die Kooperation<br />

zwischen Kommunalverwaltung und regionalen Arbeitsagenturen verändert, woraus für die<br />

lokale Ebene veränderte Handlungsspielräume resultieren: Zwar werden diese nach wie vor<br />

maßgeblich von den ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der<br />

bundespolitischen Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik und durch unterschiedliche Förde<br />

programme der EU, des Bundes und der Länder beeinflusst. Für die Governance arbeitsmarktpolitischer<br />

Beschäftigungspolitik ist aber auch relevant, wie auf lokaler Ebene die<br />

Handlungsanforderungen wahrgenommen und politisch umgesetzt werden:<br />

Das Politiknetzwerk in Hamburg zeichnet sich durch eine hohe Kontinuität und auch eine<br />

weitestgehend identische und kohärente Zielzuschreibung in der Beschäftigungsförderung<br />

aus. Größere Veränderungen in der Beschäftigungsförderung haben auf der Ziel- wie auch auf<br />

der Instrumentenebene in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Obwohl sich beispielsweise<br />

Bündnis 90/Die Grünen im letzten Wahlkampf stark für eine stärkere sozialräumlichorientierte<br />

Beschäftigungsförderung eingesetzt hatte, fanden auch nach ihrer Regierungsbeteiligung<br />

nur graduelle Verschiebungen statt. Ansonsten stoßen neue Ansätze in der Beschäftigungsförderung,<br />

wie z.B. das Konzept der Bürgerarbeit, auf kein großes Interesse. Sofern dieses,<br />

und auch andere Bundes-Programme, dennoch umgesetzt werden, dann zumeist nicht aus<br />

konzeptionellen Erwägungen, sondern weil es politisch nicht opportun ist, entsprechende Finanzmittel<br />

des Bundes abzulehnen.<br />

In Bremen scheint das Politiknetzwerk relativ offen für Umgestaltungen zu sein, wobei Anstöße<br />

dazu nicht nur von den strategischen, sondern auch von den operativen Akteuren induziert<br />

sein können. Das Verhältnis und die Zusammenarbeit der Akteure im Politiknetzwerk<br />

wird als kollegial wahrgenommen, insbesondere was die Beziehung zwischen Fachressort,<br />

Arbeitsgemeinschaft und Bundesagentur für Arbeit betrifft. In dieser Atmosphäre gelang eine<br />

Umsteuerung in der Beschäftigungsförderung, die durch den neuen grünen Koalitionspartner<br />

forciert worden war: Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante wurden zugunsten<br />

von Sozialversicherungspflichtigen Instrumenten abgebaut. Dieser Prozess wurde von der<br />

bremer arbeit GmbH (bag), die als operatives Dienstleistungsunternehmen für die Umsetzung<br />

der Beschäftigungsförderung verantwortlich zeichnet, von den Sozialpartnern, den Beschäftigungsträgern<br />

bzw. deren Verbänden sowie von den Quartiersmanagern aktiv begleitet. Dennoch<br />

kommt es auch zu Auseinandersetzungen zwischen den Akteuren.<br />

Im Politiknetzwerk in Berlin agieren zahlreiche Akteure, angefangen von der zuständigen Senatsverwaltung,<br />

Arbeitsagenturen über die zwölf Bezirke und den zwölf Jobcentern bis hin<br />

zur Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Als weitere wichtige Akteure sind die Sozialpartner<br />

und Beschäftigungsträger bzw. deren Verbände zu nennen. Aus diesem Grund ist das Berliner<br />

Politiknetzwerk als äußert weitläufig und auf den 1. Blick auch als diffus zu bezeichnen.<br />

Eine wichtige Funktion haben insbesondere die Bezirksämter inne, da in den Trägervertretun-<br />

6


gen der zwölf Berliner JobCenter nicht die Senatsverwaltung, sondern die Bezirksämter den<br />

kommunalen Part wahrnehmen. Die unterschiedlichen Förderphilosophien und Zielsetzungen<br />

des Landes und der Bezirke einerseits sowie der Arbeitsagenturen und Jobcenter andererseits<br />

münden in zahlreiche Arbeitsmarktprogramme und Projekte. Dies führt mitunter zu einer unübersichtlichen<br />

Gemengelage, in denen sich Neuerungen scheinbar relativ leicht implementieren<br />

lassen, aber auch relativ schnell in Frage gestellt werden: So befindet sich zwar seit 2007<br />

ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor (ÖBS) im Aufbau, in dem auch mittlerweile<br />

7.500 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden sind.<br />

Beim ÖBS handelt es sich aber nicht um ein gemeinschaftliches Vorhaben des Politiknetzwerkes,<br />

sondern um ein politisches Projekt der Partei Die Linke, die in Berlin an der Regierung<br />

beteiligt ist. Der ÖBS wird vom Land Berlin aber nur kofinanziert, ein Großteil der Finanzmittel<br />

stammt aus den Eingliederungstiteln (EGT) der 12 Berliner Jobcenter, in denen der<br />

öffentlich geförderte Beschäftigung zunehmend positiv wahrgenommen wird. Die Jobcenter<br />

agieren nicht gegen den Berliner ÖBS, weil zwischen den Akteuren gute persönliche Beziehungen<br />

zu den Bezirken bestehen, und letztere von der Einrichtung der Beschäftigungsverhältnisse<br />

profitieren. Dennoch wird der ÖBS von einigen entscheidungsrelevanten Akteuren,<br />

insbesondere der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, überaus kritisch beurteilt.<br />

These 6<br />

Bei den Politiknetzwerken lokale Arbeitsmarktpolitik sind eine Hierarchisierung<br />

von strategischen und operativen Akteuren sowie unterschiedliche<br />

Steuerungsformen erkennbar.<br />

Die Governance der Politiknetzwerke lokale Arbeitsmarktpolitik weisen einige grundsätzliche<br />

Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede in den beiden Dimensionen Akteursbeziehungen<br />

und Steuerungsformen auf.<br />

Hinsichtlich der Akteursbeziehungen ist festzustellen, dass die Politiknetzwerke lokale Arbeitsmarktpolitik<br />

grundsätzlich in strategische und operative Akteure hierarchisiert sind, deren<br />

Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten unterschiedlich ausgestaltet sind. Als<br />

strategische Akteure in der Beschäftigungsförderung müssen die Bundesagentur für Arbeit,<br />

die Grundsicherungsträger, die Fachressorts sowie eingeschränkt auch die Regierungsfraktionen<br />

gelten. Als operative Akteure können die Landesgesellschaften, Beschäftigungsträger und<br />

Verbände, die Sozialpartner sowie die lokale Ebene (Quartiere, Bezirke) identifiziert werden.<br />

Eine Zwischenstellung nehmen die Regionaldirektionen wahr. Aber nicht nur die Relevanz<br />

einzelner Akteure innerhalb eines Politiknetzwerkes ist divergent, sondern es existieren auch<br />

einige markante Unterschiede zwischen den drei betrachteten Stadtstaaten. In der nachfolgenden<br />

Abbildung wird der Einfluss der Akteure bei der konzeptionellen Ausgestaltung in der<br />

Beschäftigungsförderung zum Ausdruck gebracht: Je weiter ein Akteur vom Mittelpunkt entfernt<br />

ist, desto mehr Einfluss hat er.<br />

7


Regionaldirektionen<br />

Bundesagentur für Arbeit<br />

5<br />

4<br />

3<br />

Grundsicherungsträger<br />

lokale Ebene (Bezirke, Quartiere)<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Senat / Fachressorts<br />

Sozialpartner<br />

Regierungsfraktionen<br />

Beschäftigungsträger und -verbände<br />

operative<br />

Dienstleistungsunternehmen<br />

Bremen Hamburg Berlin<br />

Hinsichtlich der Steuerungsformen ist grundsätzlich feststellbar, dass institutionelle Rahmenbedingungen,<br />

administrative Strukturen und damit auch klare Verantwortungen zwar eine<br />

dominierende Rolle zu spielen scheinen. Aber auch persönliche Netzwerke und informelle<br />

Kontakte zwischen den entscheidungsrelevanten Akteuren werden als überaus wichtig eingeschätzt.<br />

Allerdings scheinen die persönlichen Netzwerke unterschiedlich gut bzw. schlecht zu<br />

funktionieren: die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren in Bremen wird als kollegial bezeichnet,<br />

wohingegen in Berlin die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren eher von Konflikten<br />

geprägt ist. Erschwerend kommt dort hinzu, dass auch die Bezirke (und auch die Regionaldirektion)<br />

in der Beschäftigungsförderung involviert sind, was zusätzliche Spannungen<br />

erzeugt. In Hamburg scheint ein hierarchischer Politikstil vorherrschend zu sein.<br />

Für die konzeptionelle Ausgestaltung der Beschäftigungsförderung scheint es von Bedeutung<br />

zu sein, inwieweit strategische gemeinsam mit operativen Akteuren im Politiknetzwerk zusammenarbeiten<br />

und Governance-Strukturen entwickelt haben. Diese operativen Akteure unterliegen<br />

zwar auch spezifischen Restriktionen und mögen auch andere Handlungsorientierungen<br />

als strategische Akteure verfolgen, was auch zu Spannungen führen kann. Die operativen<br />

Akteure verfügen aber jeweils über eigene Potentiale, die für die Wirkung arbeitsmarktpolitischer<br />

Aktivitäten maßgeblich sind. Vor diesem Hintergrund kann konstatiert werden,<br />

dass sich in festen Netzwerkstrukturen Wandlungsprozesse scheinbar nur schwer durchsetzen<br />

lassen, wohingegen lockere Netzwerkstrukturen unterschiedliche Möglichkeiten bieten, Veränderungen<br />

auf der Ziel- und auf der Instrumentenebene herbeizuführen. Die getroffenen Vereinbarungen<br />

stehen aber unter einem relativ hohen Rechtfertigungsdruck, so dass entsprechende<br />

Entscheidungen auch vergleichsweise schnell wieder revidiert werden.<br />

8


3 Offene Fragen<br />

Vor dem Hintergrund der vorliegenden Zwischenergebnisse sollen abschließend einige offene<br />

Fragen zur Diskussion gestellt werden mit dem Ziel, auf eine verbesserte Steuerung arbeitsmarktpolitischer<br />

Beschäftigungsförderung hinzuwirken.<br />

Folgt man der Zielsetzung einer Ausgestaltung der Arbeitsmarktpolitik „vor Ort“, um diese an<br />

den lokalen Rahmenbedingungen und Bedarfen ausrichten zu können, rücken vier Aspekte ins<br />

Zentrum. Erstens wäre der Übersichtlichkeit halber anzuraten, die Instrumente der Beschäftigungsförderung<br />

auf zwei relativ frei handhabbare Instrumente zu reduzieren. Zweitens zeigen<br />

die Erfahrungen mit BEZ, dass Beschäftigungsförderung nicht in der Lage ist, unbefristete<br />

Arbeitsverhältnisse anzubieten, weil einerseits die Selbstfinanzierungseffekte für die Träger<br />

zu gering und andererseits die Mittelbindungen für die Arbeitsverwaltung zu hoch wären.<br />

<strong>Dr</strong>ittens stellt sich die Frage, inwieweit Sonderprogramme des Bundes wie der Kommunal-<br />

Kombi oder jetzt die Bürgerarbeit zielführend erscheinen oder ob sie nicht vielmehr die bereitgestellten<br />

Mittel der BA filettieren und den Einfallsreichtum und die Handlungsoptionen<br />

der Akteure vor Ort beschränken. Viertens ist erneut zu prüfen, inwieweit durch die Aktivierung<br />

passiver Mittel unter dem Primat ‚Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren’ der Mitteleinsatz<br />

effektiviert werden könnte.<br />

Auf Landes- und kommunaler Ebene ist eine strategische Zielformulierung für Programmkonzeption<br />

und -evaluation unabdingbar, um den ‚Erfolg’ der Maßnahmen auf die Zielformulierung<br />

rückbeziehen zu können.<br />

Darüber hinaus muss auf Landes- und kommunaler Ebene das Spannungsverhältnis von öffentlich<br />

geförderter Beschäftigung und Beschäftigung im öffentlichen Dienst bearbeitet werden.<br />

Insbesondere vor dem Hintergrund der Betonung des Ziels der Infrastrukturverbesserung<br />

stellt sich die Frage vor dem Hintergrund des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst, inwieweit<br />

Übergänge aus geförderter Beschäftigung in reguläre Tätigkeiten im öffentlichen Dienst gelingen<br />

können bzw. gelingen sollen.<br />

Die geplanten Kürzungen im Eingliederungstitel des SGB II ab 2011 stellen die Frage nach<br />

der Zukunft öffentlich geförderter Beschäftigung in verschärfter Form. Die Fokussierung auf<br />

Maßnahmeförderungen unter Effizienzgesichtspunkten läuft dabei Gefahr, das Ziel der Arbeitsmarktintegration<br />

noch stärker in den Mittelpunkt der Arbeitsmarktpolitik zu rücken und<br />

dadurch weitere positive Effekte geförderter Beschäftigung auf der individuellen wie auf der<br />

gesamtwirtschaftlichen Ebene in den Hintergrund treten zu lassen. Hier wäre auch die Arbeitsmarktforschung<br />

aufgerufen, ein Bewertungsraster jenseits der Nettointegrationseffekte<br />

für die Instrumentenbewertung zu entwickeln.<br />

9

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