Lesen - Golf Dornseif
Lesen - Golf Dornseif
Lesen - Golf Dornseif
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Psychologische Kriegführung an sämtlichen Fronten<br />
von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />
Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs bemühten sich Deutsche wie alliierte<br />
Gegner um eine möglichst wirksame “moralische Zersetzung“ des Feindes, was in den<br />
Pionierjahren durchweg jämmerlich missglückte, weil faustdicke Lügen oder Anbiederung<br />
kaum irgendeine Beachtung fanden.<br />
Ab 1940 verfeinerte man die Methoden beträchtlich und vor allem die USA setzten ihre<br />
Psychological Warfare Division erfolgreich ein, formiert aus Deutsch-Amerikanern,<br />
intellektuellen Emigranten und anderen hochbegabten Talenten der Massenkommunikation.<br />
Viele gingen als sogenannte “Ritchie Boys“ in die Kriegsgeschichte ein, und ihr Leben<br />
wurde sogar in jüngster Vergangenheit verfilmt. Nicht alle haben das “Abenteuer Front-<br />
Propaganda“ seinerzeit überlebt.<br />
Einige entwickelten sich in der Nachkriegszeit zu hervorragenden Journalisten und<br />
Schriftstellern wie etwa Stefan Heym.<br />
1
Emigranten in Propaganda Kompanien der US Army<br />
Weil sie psychologische Kriegführung gegen Nazi-Deutschland verfeinern nutzte die US Army das<br />
Intelligenz-Reservoir zahlreicher deutsch-amerikanischer (jüdischer) Emigranten, um sie als Verhör-<br />
Spezialisten, Flugblatt-Texter sowie Frontlautsprecher-Teams auszubilden und nach Europa<br />
einzuschiffen. Zwischen 1942 und 1945 fanden 24 intensive Lehrgänge statt, an denen etwa 20.000<br />
Freiwillige teilnahmen unter strenger Geheimhaltung.<br />
Kern des Unternehmens bildete das Military Intelligence Training Center, Camp Ritchie, Maryland und<br />
die Kursteilnehmer nannten sich lässig einfach „Ritchie Boys“. Die USA verfügten über vielfältige<br />
Organisationen für den Geheimdienst, die untereinander „Konkurrenzkampf“ betrieben: Es gab MID,<br />
Bestandteil des War Departments, dann OSS (Office for Strategie Services), später in CIA<br />
umbenannt, und die PWD (Psychological Warfare Division (neben anderen Zweigunternehmen).<br />
Welche Kenntnisse sollten vermittelt werden? Auswertung von Luftbildern, Verhörtechnik gegenüber<br />
deutschen Kriegsgefangenen, Dolmetscher Service, Analyse von gegnerischen Dokumenten,<br />
Nachrichtentechnik, Zensurmassnahmen, Propaganda Einsätze unter Gefechtsbedingungen<br />
(Lautsprecher, Flugblätter).<br />
Selbstverteidigung und Nahkampfausbildung blieben den Intellektuellen nicht erspart: Orientierung bei<br />
Tag und Nacht ohne Kartenmaterial und Kompass, Überlebenstraining in Notsituationen, Vermeidung<br />
von Tretminen und sonstigen Fallen.<br />
Am wichtigsten erschien die Ausbildung zum IPW (Interrogator for Prisoners of War). Insgesamt<br />
lernten 2642 Deutsch-Amerikaner dieses Metier genauestens kennen. Dass dabei der Humor nicht zu<br />
kurz kam, verrät das folgende Spottgedicht jener Tage:<br />
Was you ever in Camp Ritchie?<br />
The very schönste Camp of all!<br />
Where the Sun comes up with Donner,<br />
And recorded Bugle Call.<br />
Where the Privates are Professors<br />
And the Corporals write Books<br />
And all of them scare Captains<br />
With their supercillious looks!<br />
Fröhliches<br />
Lagerleben:<br />
Ritchie Boys<br />
im Einsatz<br />
hart am Feind<br />
2
Alle Soldaten tragen traditionell um den Hals eine Erkennungsmarke aus Blech,.damit sie bei<br />
Verwundung oder im Todesfall einwandfrei identifiziert werden können: so war es bei der deutschen<br />
Wehrmacht und der US Army während des Zweiten. Weltkriegs gleichermassen.<br />
In die amerikanischen „dog tags“ (Hundemarken) waren jedoch wesentlich mehr Angaben eingestanzt<br />
als bei anderen Streitkräften üblich: Also Name und Dienstnummer des Soldaten, Blutgruppe, Datum<br />
der ersten Tetanus Schutzimpfung gegen den Wundstarrkrampf und - nicht zuletzt - die<br />
Religionszugehörigkeit. Heutzutage verzichtet das Militär darauf, doch im Jahr 1943 hätte der Hinweis<br />
OHNE RELIGION den Träger überall verdächtig gemacht.<br />
„Man muss sich das vorstellen“, kommentierte damals ein deutsch-amerikanischer GI jüdischen<br />
Glaubens voll des ohnmächtigen Zorns. „Die Sesselfurzer im Pentagon haben uns mit einem<br />
gestanzten H für Hebräisch nach Europa geschickt und der Waffen-SS gnadenlos ausgeliefert!“ Unter<br />
solchen dramatischen Umständen liessen sich viele jüdische Yankees auf besonderen Wunsch statt H<br />
lieber ein P (Protestant) auf die Hundemarke stanzen, falls sie den Nazis in die Hände fallen sollten.<br />
Niemand hatte damit gerechnet, dass während der Ardennen Offensive, der letzten Kraftanstrengung<br />
von Wehrmacht und Waffen-SS zwischen Dezember 1944 und Januar 1945, Hunderte<br />
amerikanischer Soldaten (jeglicher Konfession), die sich in aussichtsloser Lage der Waffen-SS<br />
ergaben hatten, kurzerhand auf einem Acker bei Malmedy durch Maschinengewehrfeuer<br />
niedergemetzelt wurden.<br />
Im Ausbildungslager Camp Ritchie wurden die Propaganda-Soldaten auf drastische Weise mit dem<br />
Tod beim Fronteinsatz konfrontiert und zu stets vorsichtigem Verhalten ermahnt: Als “Blickfang“ diente<br />
dieser fiktive Friedhof mit schockierenden Inschriften auf Grabsteinen wie etwa: HIER IST DEIN GRAB<br />
BEREITS GESCHAUFELT !<br />
3
Die Abschlussprüfungen der Trainees waren kein Zuckerschlecken, wie sich Oldtimer erinnerten: 48<br />
Stunden lang mussten zahlreiche „Schulaufgaben“ bewältigt werden. Zunächst erhielt man eine<br />
Funknachricht vorgelegt, die dechiffriert werden sollte. Dann musste der Prüfling auf einer Landkarte<br />
einen Punkt finden, um von dort aus die folgende Aufgabe anzugehen. Jetzt tauchte ein deutscher<br />
Kriegsgefangener auf, dessen Verhör möglichst ergiebig ablaufen sollte. Zuletzt kam es darauf an, 50<br />
unterschiedliche Kennzeichen korrekt benennen zu können, wie sie auf Uniformen und Dokumenten<br />
häufig zu sehen waren.<br />
Zu diesem „Sortiment“ zählte auch ein sogenannter Brieftauben-Meister, der in der Wehrmacht<br />
tatsächlich seinen Dienst versah, falls Funkgeräte versagten. Konnten aber sämtliche Tests<br />
zufriedenstellend verlaufen, hatte man die Chance zum Lieutenant befördert zu werden.<br />
Wer im bisherigen Privatleben keine Ahnung vom Journalismus und der Tätigkeit beim Rundfunk<br />
hatte, durfte sich in Schnellkursen einarbeiten und alle zugehörigen technischen Qualifikationen (Satz,<br />
Druck,Sendung) erlernen. Talent zum griffigen Schreiben musste allerdings mitgebracht werden.<br />
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie kamen die frisch gebackenen sowie die<br />
„altbackenen“ Reporter mitsamt den Radio-Kommentatoren zum Zug. Treffpunkt für ihre Einsätze war<br />
das Schloss Colombiéres in der Normandie.<br />
In einem Augenzeugenbericht jener Tage ist nachzulesen: „Junge Männer in Combat Jackets hocken<br />
im Freien an Tischen, grob zusammen gezimmert. Vor sich haben sie klobige Büroschreibmaschinen,<br />
auf denen hoch konzentriert herum gehämmert wird, denn die nächste Ausgabe der Zeitung für den<br />
Feind muss (zusammengerollt) von der Artillerie pünktlich abgefeuert werden! Die Second Mobile<br />
Radio Broadcasting Company schaukelt mit grossen Lautsprechern, auf Armee-Lastkraftwagen<br />
montiert, probeweise durch den Park. Zwischendurch wissen die Gentlemen der Psychological<br />
Warfare Division natürlich alles besser in ihren massgeschneiderten Salon-Uniformen ...“<br />
Über den deutschen Linien wurde allerlei Druckmaterial abgeworfen (aus Flugzeugen) oder<br />
abgefeuert (mit Hilfe der Artillerie und ihren Pusterohren). Flugblätter, in Granatenhülsen verpackt,<br />
segeln weit ins Hinterland. Wehrmachtleser sollen die FRONTPOST aufgreifen. Am 4. Juli 1944 war<br />
Grossaktion wegen des Unabhängigkeitstages! Abwechselnd schickte man den Deutschen das Organ<br />
NACHRICHTEN FÜR DIE TRUPPE als „zersetzende Lektüre“.<br />
Gepanzerter Lautsprecherwagen rückt zur Front vor<br />
4
Nachdem die Alliierten am 10.September 1944 das Grossherzogtum Luxembourg befreit hatten, wo<br />
sich der stärkste Langwellensender Europas mit 50.000 Kilowatt befand, glückte es den Emigranten<br />
der Psychological Warfare Division, unterstützt von einer Mobile Radio Broadcasting Company, die<br />
Redaktionsräume sowie alle technischen Anlagen unversehrt in ihren Besitz zu bringen.<br />
Nun konnte man alle deutschen Hörer im Reichsgebiet per Funk ansprechen. Zwar hatte die<br />
Wehrmacht viele Sendemasten mit Sprengladungen versehen, jedoch keine Zeit mehr zur Zündung<br />
gefunden. Vor ihrem Rückzug zerstörten die Deutschen indessen die unbedingt notwendigen<br />
Senderöhren, um den Betrieb lahm zu legen. Passende Ersatzteile gab es nur in Berlin beim<br />
Reichsrundfunk.<br />
Wie durch ein Wunder stellte sich heraus, dass ein luxemburgischer Angestellter des Senders<br />
rechtzeitig einen Satz Röhren heimlich beiseite schaffen und den Amerikanern übergeben konnte.<br />
Radio Luxembourg musste nicht länger als 24 Stunden schweigen: danach lief wieder alles<br />
reibungslos!<br />
Reporter schwärmten täglich mit ihren Jeeps aus, um aktuelle Berichte in Frontnähe aufzuzeichnen.<br />
Ein erbeutetes Hellschreibergerät (Vorläufer der späteren Fax-Technik) lieferte ständig Nachrichten<br />
und Kommentare aus dem Goebbels Ministerium brühwarm: Niemand in Berlin ahnte, dass die<br />
Yankees sich diskret in das Fernschreibernetz der Nazi-Bürokratie „einschleusen“ konnten.<br />
OPERATION ANNIE spielte fortan eine bedeutende Rolle, denn Radio Luxembourg hatte jetzt ein<br />
„weisses und ein schwarzes Lautmalerei-Gesicht“. Unter „weisser Propaganda“ verstand man das<br />
offizielle Programm des Senders mit viel Unterhaltung und Nachrichtenstoff. Parallel dazu strahlte<br />
OPERATION ANNIE „schwarze Propaganda“ aus mit einer raffinierten Inszenierung, die beim Zuhörer<br />
den (trügerischen) Eindruck vermitteln sollte, eine kühne Schar geheimnisvoller Männer und Frauen<br />
der Résistance sei irgendwo im Reich verborgen aktiv mit ihrem mobilen Geheimfunk.<br />
Die Hörer erfuhren, dass der Geheimsender von umstürzlerischen höheren Offizieren des Wehrmacht<br />
Nachrichtendienstes konzipiert worden sei, um die Nazis zum Teufel zu jagen. Das Programm startete<br />
Anfang Dezember 1944 unter der Bezeichnung NACHTSENDER 1212 (auf Langwelle 1212 Meter)<br />
und fand bereitwillige Ohren.<br />
Blick aus der Vogelschau auf eine Druckerei im LKW<br />
5
Das erfolgreichste Flugblatt mit der Aufforderung zur Fahnenflucht sah wie ein amtliches Dokument<br />
aus mit deutschem und englischem Wortlaut:<br />
„PASSIERSCHEIN - An alle britischen und amerikanischen Vorposten im Gefechtsfeld! Der deutsche<br />
Soldat, der diesen Passierschein vorzeigt, nutzt ihn als Zeichen seines aufrichtigen Willens sich zu<br />
ergeben. Er ist zu entwaffnen und muss gut behandelt werden. Dieser Angehörige der deutschen<br />
Wehrmacht hat Anspruch auf ausreichende Verpflegung sowie medizinische Versorgung, falls<br />
erforderlich. Der Mann ist so rasch wie möglich aus der Gefahrenzone zu entfernen.“<br />
Unter dem Textblock war die Faksimile-Unterschrift von General Eisenhower sowie ein Stempel der<br />
US Army abgedruckt.<br />
Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten, denn die Zahl der Überläufer nahm beträchtlich zu. Die<br />
Texter der Psychological Warfare Division frohlockten: „Mit einem schönen Stempel und der<br />
Unterschrift eines Generals kann man jeden Deutschen über den Tisch ziehen ...“<br />
Versuchsweise wurden auch Flugblätter verbreitet, die „Fahnenflucht mit Rücktrittsrecht“ den<br />
irritierten Landsern anboten. Laut Text konnten die Überläufer „bei Interesse sich drei Tage zur Probe<br />
in amerikanische Kriegsgefangenschaft begeben mit dem Recht, bei Nichtgefallen wieder zur eigenen<br />
Truppe heimkehren zu dürfen ...“<br />
Mit diesem „schwarzen Humor“ konnten immerhin ein paar deutsche Soldaten angelockt werden,<br />
aber keiner von ihnen wollte nach seiner Probezeit bei den gastfreundlichen Yankees mit ihrem<br />
exzellenten Service wieder der Wehrmacht angehören!<br />
Die Lautsprecherwagen brüllten in Richtung Gegner: „Habt ihr es inzwischen gelernt? Das<br />
Zauberwort heisst in Zukunft EI SÖRRENDER und das ist Englisch, kapiert? Einmal Ausrufen genügt<br />
vollkommen und wir warten auf Euch mit dem Frühstück, also Eier mit Speck! Nur keine Müdigkeit<br />
vorschützen, Leute!“<br />
Damit war der richtige Ton getroffen: die Erfolgsquote machte im Hauptquartier Eindruck. Während<br />
der Ardennen Offensive gerieten die Deutsch-Amerikaner vorübergehend arg ins Schwitzen, wenn sie<br />
zwischen den Fronten im Schneegestöber und Nebel ihre Orientierung verloren und peinliche<br />
Begegnungen erlebten, teils mit amerikanisch uniformierten Kampgruppen der Waffen-SS und teils<br />
mit ahnungslosen Soldaten der US Army, die alle nicht perfekt Englisch sprechenden „Bindestrich-<br />
Yankees“ als Nazi-Spione und Saboteure einschätzten.<br />
Amerikanisches Flugblatt für die deutschen Städte<br />
6
Zum besseren Verständnis des Lesers ist hier anzumerken, dass im Dezember. 1944 SS-<br />
Sturmbannführer Otto Skorzeny unter dem Decknamen OPERATION GREIF eine Kampfgruppe<br />
zusammenstellte aus deutschen Angehörigen der Wehrmacht und Waffen-SS, die möglichst gute<br />
amerikanische Slang-Sprachkenntnisse aufzuweisen hatten, wenn sie längere Zeit in den USA<br />
verbrachten und sich unauffällig „amerikanisch benehmen“ konnten. Ausserdem sollten die Männer<br />
mit den Organisationsformen der US Army einigermassen vertraut sein.<br />
Skorzeny wollte dann seine Agenten, getarnt als amerikanische Soldaten mit Jeeps und kompletter<br />
Ausrüstung, ins Gefechtsfeld einsickern lassen, um dort Verwirrung zu stiften (mit irreführenden<br />
Verkehrsschildern, falschen Militärpolizisten usw.)<br />
Im Idealfall traute man den Saboteuren zu, Treibstoff-Depots und Munitionslager in die Luft jagen zu<br />
können, Kabelstränge zu kappen und strategisch wichtige Brücken über die Maas zu sprengen. Die<br />
Operation missglückte jämmerlich wegen ihrer mangelhaften Vorbereitung.<br />
In einem Buch mit seinen Erinnerungen erwähnte Skorzeny im Jahr 1976, dass er seinerzeit 600<br />
Freiwillige zusammentrommeln konnte, von denen jedoch nur ein Dutzend perfekt Amerikanisch<br />
beherrschten. Etwa 40 verstanden Englisch „mittelmässig“ (mit verräterischem Akzent) und 200<br />
spuckten ein paar Brocken aus wie Schuljungen.<br />
Die falschen Männer in GI Uniform wollten beispielsweise für ihren Jeep Treibstoff in einem Depot der<br />
US Army tanken und fragten dort nach PETROL, womit sie sich sofort enttarnten. PETROL ist<br />
britischer Sprachgebrauch für Benzin, während echte Amerikaner GAS (für Gasoline) verlangt hätten.<br />
Insgesamt wurden als Spione damals mindestens 14 deutsche Soldaten an die Wand gestellt und<br />
erschossen. In einem Archiv der US Army zu Washington existiert ein 16 mm Stummfilm von der<br />
Exekution ertappter Skorzeny Komplizen. Zu sehen sind drei Männer in Zivilkleidung. Ein Schwenk<br />
der Kamera richtete sich auf das Erschiessungskommando beim Feuerbefehl. Mehrere Schützen<br />
schossen in die Luft, andere legten ihr Gewehr nicht an. Letzte Szene: die Erschossenen hängen wie<br />
leblose Marionetten gefesselt an den Pfählen.<br />
Die Aufnahme entstand 1948 in einem<br />
Gefängnis für Kriegsverbrecher, aus<br />
dem Otto Skorzeny entfliehen konnte.<br />
Skorzeny entging der Todesstrafe vor<br />
einem Militärgericht, weil sich ein<br />
britischer Offizier als Entlastungszeuge<br />
meldete und erklärte, dass auch<br />
britische Soldaten in deutschen<br />
Uniformen während des Krieges<br />
Sabotage hinter den Linien der<br />
Wehrmacht verübten.<br />
Die Erinnerungsbücher Skorzenys<br />
wurden später Bestseller und in<br />
zahlreiche Sprachen mit hoher<br />
Auflagen übersetzt.<br />
7
Ausserdem kam eine Live-Reportage zustande von der Erschiessung anderer deutscher Spione,<br />
übertragen von Radio Luxembourg, kommentiert (wahrscheinlich) von dem Schriftsteller Stefan<br />
Heym. Der Zeuge reagierte ergriffen, um Fassung bemüht. Man hört eine Gewehrsalve.<br />
Während der Nürnberger Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher musste auch Skorzeny als<br />
Verantwortlicher der OPERATION GREIF Rede und Antwort stehen wegen des Auftretens seiner<br />
Kommando-Angehörigen in amerikanischen Uniformen, sodass ihm gleichfalls der Galgen drohte.<br />
Unerwartet rettete ein britischer Offizier als Leumundszeuge den SS-Funktionär: Der Brite erklärte,<br />
dass auch englische Soldaten während des Krieges in deutschen Wehrmacht-Uniformen bei<br />
Spezialeinsätzen operierten. Skorzeny musste freigesprochen werden, doch viele seiner<br />
Untergebenen erschoss die US Army als Spione nach Kriegsrecht während der Ardennen Offensive.<br />
Die Mobile Broadcasting Units betrieben ein lebensgefährliches Handwerk als Folge ihrer<br />
mangelhaften Ausrüstung. Ursprünglich montierten Engineers mehrere Lautsprecher auf<br />
Lastkraftwagen der US Army. Unter der Abdeckplane tuckerte ein Strom-Aggregat, doch die<br />
Verstärker verfügten nur über lächerliche 2 Watt, sodass alle Fahrzeuge nahe an die Front vorrücken<br />
mussten und sich dort als bequeme Zielscheiben präsentierten. Mit 25 Watt konnte man maximal 50<br />
Meter weit Botschaften verkünden.<br />
Später ersetzten britische Fabrikate mit 200 Watt Leistung die Schwachpunkte. Zuletzt wurden die<br />
Lautsprecher bei Nacht unter Deckung an Kabelrollen vorgezogen und ferngesteuert, um das<br />
Bedienungspersonal in sicherer Distanz zu schützen. Ideal verlief der Einsatz, wenn es gelang<br />
deutsche Überläufer ans Mikrofon zu holen „mit Lockrufen an die Kameraden“.<br />
Schliesslich organisierten die Propaganda Kompanien sogenannte WHITE FLAG MISSIONS, um<br />
komplette Einheiten des Gegners zur Kapitulation aufzufordern:<br />
Drei Amerikaner, darunter stets ein Offizier, machten sich mit der üblichen weissen Parlamentärflagge<br />
auf den Weg an die Front, um dort ein Angebot zu unterbreiten. Die folgenden Verhandlungen führten<br />
oft, aber nicht immer, zum Ergebnis der Waffen-Niederlegung. Nach Unterlagen der US Army sollen<br />
mehr als 150.000 intensive Interviews mit deutschen Offizieren und Mannschaften stattgefunden<br />
haben.<br />
Unverständliches deutsches Flugblatt für US-Truppen<br />
8
Psychologische Kriegführung 1914 - 1945<br />
Bereits während des Ersten Weltkriegs richteten Deutsche, Franzosen, Briten und Amerikaner<br />
spezielle Propaganda Büros ein, um den Gegner mit Flugblättern, Presseberichten und anderen<br />
Mitteln zu beeinflussen, allerdings auf eine reichlich naive Weise (aus gegenwärtiger Sicht).<br />
1917 erklärten die USA dem Deutschen Kaiserreich mit einiger Verspätung den Krieg und Präsident<br />
Woodrow Wilson sorgte für ein sogenanntes COMMITTEE ON PUBLIC INFORMATION, geleitet von<br />
George Creel, einem erfahrenen Redakteur. Bald sprach man überall vom CREEL BUREAU. Im<br />
Kongress waren nur wenige Abgeordnete von diesem Unterfangen begeistert, weil sie<br />
„Kriegspropaganda“ unmoralisch und als Instrument zur Verbreitung von Lügengeschichten<br />
verachteten.<br />
Zwischen April 1917 und März 1919 arbeiteten die Propagandisten in Washington, D.C. an der<br />
Stärkung der Wehrkraft. Millionen Flugblätter gingen in Druck, Redner wurden zu Vortragsreisen<br />
verpflichtet, Ausstellungen über das Militär kamen zustande, heldenhafte Plakate schmückten viele<br />
Wände. Den Zeitungen wurden honorarfreie Reportagen von der Front in Frankreich vermittelt.<br />
Den Amerikanern erschien es vordringlich, die gute Laune der einheimischen Bevölkerung zu erhalten<br />
und nur intern zu agieren, während die Engländer ihre Propaganda auch im Ausland zu verbreiten<br />
versuchten.<br />
9
Auf deutscher Seite operierte man stümperhaft ohne qualifizierte Leute. Der PR-Experte Saul K.<br />
Padover urteilte in diesem Zusammenhang: „Das Reich Kaiser Wilhelms II. war von einer Kaste aus<br />
Offizieren und hohen Beamten durchsetzt und interessierte sich nicht im geringsten für den<br />
Gemütszustand der einfachen Leute“.<br />
Es war ehrenhaft Krieg zu führen, mochte es dabei auch grausam zugehen, aber mit einer wie immer<br />
gearteten Lügenpropaganda wollten die Herren nichts zu tun haben. Instinktlos erschossen die<br />
Deutschen eine britische Krankenschwester namens Edith Cavell als Spionin, was in England und<br />
USA helle Empörung auslöste. Umgekehrt verpassten aber die Franzosen zwei deutschen<br />
Krankenschwestern tödliche Kugeln, ebenfalls wegen Spionageverdacht. Die deutsche Presse<br />
schwieg dazu eisern.<br />
Als ein amerikanischer Journalist in Berlin den preussischen Offizier der Propaganda-Abteilung wegen<br />
der Krankenschwestern um einen Kommentar bat, weil die Deutschen wegen der Erschiessung nicht<br />
laut protestiert hatten, kam die kaltschnäuzige Reaktion: „Kein Grund zur Aufregung, mein Herr. Die<br />
Franzosen haben doch die Spioninnen zu Recht umgebracht“.<br />
Auf die russische Revolution und den Zusammenbruch des Zarenreichs wussten die Amerikaner<br />
nichts zu antworten anno 1917. Immerhin schickte man als Beobachter Colonel Raymond Robis nach<br />
Moskau und St.Petersburg, damit er später einem Ausschuss des Senats darüber berichten konnte.<br />
Sein Fazit:<br />
„Fotos und Zeitungsartikel sollten aus französischen Quellen den Revolutionären verdeutlichen, dass<br />
die Grande Nation dem Land beistehen wolle. Amerikaner und Briten lieferten ähnliches Material in<br />
russischer Übersetzung, wofür sich kein Mensch in Russland interessierte ...“<br />
Im Zweiten Weltkrieg hatten die Alliierten und auch die Deutschen nicht viel dazu gelernt. Joseph<br />
Goebbels produzierte Lügengeschichten am laufenden Band über Rundfunk, Film, Presse, Literatur<br />
und Theater. Er hatte damit im unterdrückten eigenen Volk gewisse Erfolge zu verzeichnen.<br />
In Grossbritannien durfte das Ministry of Information Propaganda betreiben, eine Zensur der Presse<br />
ausüben, den Rundfunk kontrollieren und sogar in der Briefpost aller Untertanen ihrer Majestät<br />
herumschnüffeln.<br />
In den USA zeichnete das Office of War Information für Propaganda jeder Art verantwortlich, OWI<br />
genannt, ergänzt durch das Office of Inter-American Affairs und das Office of Censorship. OWI erhielt<br />
den Auftrag, Auslandspropaganda zu betreiben über Funk und Presse sowie über spezielle Einheiten<br />
der US Army in Frontnähe (Flugblatt-Aktionen, Radio-Sendungen usw.) Nordafrika, Italien, Frankreich<br />
und Deutschland hiessen die Zielgebiete.<br />
10
Es wird erzählt. dass das beim Gegner beliebteste Flugblatt in fetten Buchstaben die Losung<br />
(phonetisch bequem) EI SÖRRENDER unter die Frontsoldaten streute.<br />
Dicht am Feind operierten in Europa die Experten der Psychological Warfare Division (PWD) im<br />
Verbund mit Supreme Headquarters of the Allied Expeditionary Force (SHAEF). Der Job hiess:<br />
Untergrabung der deutschen militärischen und zivilen Moral. Chef dieser Truppe war Brigadier<br />
General Robert A. McClure.<br />
Lautsprecher-Fahrzeuge übertrugen täglich Botschaften für die Deutschen aus Jeeps und<br />
Lastkraftwagen, stets so dicht wie möglich am Ohr des Gegners. Manche gerieten unter Beschuss<br />
von Scharfschützen und fanden dabei den Tod am Mikrofon. Eine Mobile Radio Broadcasting<br />
Company (MRBC) verfügte über vielseitige Möglichkeiten:<br />
Fahrbare Lautsprecheranlagen, mobile Druckereien für Flugblätter zum Verschiessen mit Artillerie<br />
gehörten zum Standardprogramm solcher Einheiten. Während der letzten Kriegsmonate bat General<br />
Patton sogar um Lautsprecher, die auf Panzern montiert werden sollten, um damit die deutschen<br />
Soldaten anzusprechen. Zu. seinem grossen Bedauern standen nur wenige solche Ausrüstungen<br />
sofort zur Verfügung.<br />
Flugzeuge warfen Flugblätter in riesigen Mengen über der Front und über deutschen Städten ab.<br />
Noch wirksamer als die Lektüre von Flugblättern war das heimliche Abhören der britischen BBC<br />
Nachrichten und ab September 1944 das Programm von Radio Luxembourg, auch wenn man als<br />
ertappter „Schwarzhörer“ riskierte, zur Strafe in ein Konzentrationslager verfrachtet zu werden.<br />
Die Amerikaner druckten regelmässig in deutscher Sprache eine Soldatenzeitung, Titel<br />
NACHRICHTEN FÜR DIE TRUPPE, und liessen die Exemplare aus Flugzeugen herunter regnen. Die<br />
Redakteure achteten dabei auf absolut wahrheitsgetreue Berichterstattung mit nachprüfbaren Fakten<br />
und vermieden alle Varianten der sonst üblichen Propaganda.<br />
Die Briten operierten im Äther mit dem SOLDATENSENDER CALAIS und Ausstrahlungen von<br />
GUSTAV SIEGFRIED EINS. Klatsch und Tratsch über prominente Nazi-Funktionäre erfreuten die<br />
Zuhörer. Zum Beispiel: „Gauleiter XYZ., der berüchtigte Schweinehund, amüsiert sich in seinem<br />
Luxus-Appartement, Adolf Hitler Platz 24, zu München, und hat kürzlich 25.000 Mark aus einer Kasse<br />
der NSDAP veruntreut, wie am 12. Januar bekannt geworden ist.“<br />
Aufschlussreich war auch OPERATION ANNIE des amerikanischen Geheimdienstes OSS mit Sitz in<br />
Luxembourg. Der Sender erweckte den Eindruck bei seinen Zuhörern, dass er von der Gestapo<br />
verfolgt werde und deshalb ständig seinen Sendeplatz verändern müsse. Das erzeugte Spannung<br />
und Neugier! Dieser trickreiche Apparat strahlte sein Nachrichtenprogramm 121 Nächte lang aus bis<br />
zur deutschen Kapitulation.<br />
11
Erstveröffentlichung: November 2013<br />
Dieser Artikel wird bereitgestellt auf: http://www.golf-dornseif.de<br />
Dieser Artikel kann gerne – unter Nennung der Quelle – zu wissenschaftlichen und privaten Zwecken<br />
verwendet werden. Die kommerzielle Veröffentlichung des Artikels – auch auszugsweise – ist nur mit<br />
Einverständnis des Autors in Schrift- oder Textform erlaubt.<br />
Der Artikel ist nach besten Wissen und Gewissen ohne die Verletzung von Rechten Dritter erstellt<br />
worden. Wird eine solche Rechtsverletzung trotzdem vermutet, bittet der Autor um Kontaktaufnahme;<br />
vorzugsweise unter info@golf-dornseif.de .