Peter Bieri Eine Art zu leben - Neue Zürcher Zeitung
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Nr.7|25. August 2013<br />
<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong> <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong> <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> | <strong>Peter</strong>Stamm Nacht ist der Tag | Jennifer<br />
Egan Black Box | Silvia Bovenschen Nur Mut |Soziologe <strong>Peter</strong>Gross im<br />
Porträt | Micheline Calmy-Rey über Nahostdiplomatie | Thilo Sarrazin<br />
bespricht Bücher <strong>zu</strong>r Eurokrise |Weitere Rezensionen <strong>zu</strong> PerOlovEnquist,<br />
Orson Welles, Karl Popper,Mark Pieth u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese
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Nr.7|25. August2013<br />
<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong> <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong> <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> | <strong>Peter</strong>Stamm Nacht ist der Tag | Jennifer<br />
Egan Black Box | Silvia Bovenschen Nur Mut |Soziologe <strong>Peter</strong>Gross im<br />
Porträt | Micheline Calmy-Rey über Nahostdiplomatie | Thilo Sarrazin<br />
bespricht Bücher <strong>zu</strong>r Eurokrise |Weitere Rezensionen <strong>zu</strong> PerOlovEnquist,<br />
Orson Welles, Karl Popper,Mark Pieth u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese<br />
Inhalt<br />
Schlussmit<br />
Larmoyanz und<br />
Betulichkeit<br />
<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong><br />
(Seite18).<br />
Illustration von<br />
André Carrilho<br />
Bücher über Alter,Krankheit und Todsind oft getragen vonRespekt<br />
und Behutsamkeit. Nicht so der neue Roman vonSilvia Bovenschen<br />
(67), die –mit multipler Sklerose konfrontiert –eine furiose Erzählung<br />
über vier alteDamen vorlegt, die dem Todein Schnippchen schlagen<br />
(Seite7). Undebenso präzis wie ironisch rapportiert der todkranke<br />
Christopher Hitchens (61) sein eigenes Sterben (S. 19).<br />
Am meisten aber überrascht der St.Galler Soziologe<strong>Peter</strong> Gross(72).<br />
Er sieht im Alter gerade<strong>zu</strong> einen Sinnspender für unsereGesellschaft,<br />
die vonStress, Depressionen und Burnoutgezeichnet sei. Grossruft<br />
weder <strong>zu</strong>m Fitness-Wahn auf,noch plädiert er schonend für Nachsicht.<br />
Nein, das Alter sei der Abstieg des Lebens nach langem, mühsamem<br />
Aufstieg. <strong>Eine</strong> Welt, in der vier oder fünf Generationen gleichzeitig<br />
<strong>leben</strong>, sei ein Traum –kein Albtraum! Die Alten sollten darin die<br />
«Ruhestifter» spielen auf dem Pfad in «kontemplative, friedliche und<br />
nachhaltigeGesellschaften». <strong>Eine</strong> kühne,aber auch klugeVision, die<br />
pessimistische Altersszenarien radikal umstülpt (S. 12).<br />
Selbstverständlich fehlt auch die «junge» Literatur nicht: der neue<br />
<strong>Peter</strong>Stamm etwa (S. 4), der Twitter-Roman vonJennifer Egan (S. 9)<br />
oder die Lebenswelten pubertierender Jugendlicher (S. 24). Mögen Sie<br />
beim Stöbern in unserer Bücherkisteauf Trouvaillen stossen –unter<br />
den blühenden wie unter den verwelkenden Themen. UrsRauber<br />
Belletristik<br />
4 <strong>Peter</strong>Stamm: Nacht istder Tag<br />
VonManfred Papst<br />
6 Dror Mishani: Vermisst. AviAvraham ermittelt<br />
VonStefana Sabin<br />
Gail Parent: Sheila isttot und lebt in NewYork<br />
VonRegula Freuler<br />
7 Silvia Bovenschen: Nur Mut<br />
VonGunhild Kübler<br />
8 PerOlovEnquist: DasBuch der Gleichnisse<br />
VonSandraLeis<br />
9 Jennifer Egan: Black Box<br />
VonSimone vonBüren<br />
Gert&Uwe Tobias<br />
VonGerhardMack<br />
10 Sabine <strong>Peter</strong>s:Narrengarten<br />
VonJudith Kuckart<br />
11 E-Krimi des Monats<br />
Giampaolo Simi: Vater. Mörder.Kind.<br />
VonChristine Brand<br />
Kurzkritiken Belletristik<br />
11 Stefan Zweig: Habe Bedürfnis nach Freunden<br />
VonManfred Papst<br />
Hedwig Dohm: Sommerlieben<br />
VonRegula Freuler<br />
AnouschMueller: Brandstatt<br />
VonRegula Freuler<br />
Isabella Straub: Südbalkon<br />
VonManfred Papst<br />
Porträt<br />
12 <strong>Peter</strong>Gross, Soziologe und Essayist<br />
Wieder Schlusssatz einer Sonate<br />
VonKathrin Meier-Rust<br />
Kolumne<br />
15 Charles Lewinsky<br />
Das Zitat vonWilliam Shakespeare<br />
Silvia Bovenschen schreibt auch im neuen Buch brillant<br />
und entwaffnend über das Älterwerden (S.7).<br />
Kurzkritiken Sachbuch<br />
15 Esther Girsberger: Livia Leu<br />
VonUrs Rauber<br />
Wulf Rössler,Hans Danuser: Burg aus Holz<br />
VonUrs Rauber<br />
Meriwether Lewis, William Clark: Der weite<br />
Wegnach Westen<br />
VonGenevièveLüscher<br />
Paul B. Rothen: idegottvergässne stedt<br />
VonKathrin Meier-Rust<br />
Sachbuch<br />
16 David Marsh: Beim Geld hörtder Spass auf<br />
Dominik Geppert: Ein Europa,das es nicht<br />
gibt<br />
VonThilo Sarrazin<br />
18 <strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>: <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong><strong>zu</strong><strong>leben</strong><br />
VonKlaraObermüller<br />
VARIO IMAGES<br />
19 Christopher Hitchens: Endlich<br />
VonKathrin Meier-Rust<br />
Jan Whitaker: Wunderwelt Warenhaus<br />
VonGenevièveLüscher<br />
20 Mark Pieth: Der Korruptionsjäger<br />
VonLukas Häuptli<br />
Jenna MiscavigeHill: Meingeheimes Leben<br />
bei Scientology und meine dramatische Flucht<br />
VonBerthold Merkle<br />
21 Kurt O. Wyss: Wirhaben nur dieses Land<br />
VonMicheline Calmy-Rey<br />
22 Brigitte Hamann: Bertha vonSuttner<br />
VonGenevièveLüscher<br />
23 John Lanchester: Warum jeder jedem etwas<br />
schuldet und keiner jemals etwas<strong>zu</strong>rückzahlt<br />
VonSieglinde Geisel<br />
Hardy Bouillon: Philosophie der freien<br />
Gesellschaft<br />
VonKirsten Voigt<br />
24 Beirat Jungenpolitik: Jungen und ihre<br />
Lebenswelten<br />
VonWalter Hollstein<br />
Stefan Ragaz: Luzern im Spiegel der Diebold-<br />
Schilling-Chronik<br />
VonFabian Fellmann<br />
25 Bernd Stöver: Geschichtedes Koreakriegs<br />
VonUrs Rauber<br />
26 Meret Oppenheim: Wortenicht in giftige<br />
Buchstaben einwickeln<br />
VonGerhardMack<br />
Dasamerikanische Buch<br />
Henry Jaglom: My Lunches With Orson.<br />
Conversations<br />
VonAndreas Mink<br />
Agenda<br />
27 Kleopatra.Die ewigeDiva<br />
VonGenevièveLüscher<br />
Bestseller August2013<br />
Belletristik und Sachbuch<br />
Agenda September 2013<br />
Veranstaltungshinweise<br />
Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion UrsRauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), GenevièveLüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)<br />
StändigeMitarbeit UrsAltermatt,Urs Bitterli, Manfred Koch, Gunhild Kübler,SandraLeis, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer,Andreas Mink, KlaraObermüller,AngelikaOverath,<br />
Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hans <strong>Peter</strong>Hösli (<strong>Art</strong> Director), UrsSchilliger (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG<br />
Verlag NZZamSonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044258 1111, Fax04426170 70, E-Mail: redaktion.sonntag@nzz.ch<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 3
Belletristik<br />
Roman <strong>Peter</strong>Stamm erzählt in seinem neuen Roman «Nacht ist der Tag» so lakonisch<br />
und elegant wie eh und je. Doch seine Figurendrohen ihm abhanden<strong>zu</strong>kommen<br />
Sehnsucht<br />
verlorener Seelen<br />
<strong>Peter</strong>Stamm: Nacht istder Tag.<br />
S. Fischer,Frankfurt 2013. 253 Seiten,<br />
Fr.28.90,E-Book 22.-.<br />
VonManfred Papst<br />
Gillian liegt nach einem schwerenAutounfall<br />
in der Silvesternacht verletzt im<br />
Spital. Ihr Mann, der nach dem gemeinsamen<br />
Besuch bei Freunden betrunken<br />
den Wagen lenkte, ist tot, sie selbst hat<br />
Knochenbrüche und ist im Gesicht entstellt.<br />
Die Nase ist weg, mehrereschwierige<br />
Operationen stehen ihr bevor. Sie<br />
wirdnie mehr diejenigesein, die sie einmal<br />
war. Dass sie ihren Beruf als Moderatorin<br />
und Vorzeigefrau einer wöchentlichen<br />
Kultursendung am Schweizer<br />
Fernsehen nochmals aufnimmt, ist kaum<br />
vorstellbar.<br />
Zu den Schmerzen und der Angst, in<br />
den Spiegel <strong>zu</strong> blicken, kommen die<br />
Schuldgefühle. Gillian und Matthias hatten<br />
anjenem Abend Streit. Er hatte Aktfotos<br />
von ihr gefunden, über deren Herkunftsie<br />
sich ausschwieg. Jetzt ist nichts<br />
mehr <strong>zu</strong> erklären, nichts mehr gut<strong>zu</strong>machen.<br />
Gillian hat imdoppelten Sinn ihr<br />
Gesicht verloren und musssich nun eine<br />
neue Identität suchen, ein neues Leben<br />
finden.<br />
<strong>Peter</strong>Stamm<br />
<strong>Peter</strong>Stamm wurde 1963imThurgau<br />
geboren. Er studierte in Zürich Anglistik,<br />
Psychologie, Wirtschaftsinformatik und<br />
Psychopathologie. Seit vielen Jahren lebt<br />
er mit seiner Frau und den beiden Söhnen<br />
in Winterthur.1998erschien sein<br />
Debütroman «Agnes». Es folgten vier<br />
Erzählbände und drei Romane sowie<br />
zahlreiche Theaterstückeund Hörspiele.<br />
«Nacht istder Tag» istStamms fünfter<br />
Roman. Sein Werk istinmehrere<br />
Sprachen übersetzt und international<br />
erfolgreich.<br />
Als sie noch eine mässig begabte<br />
Schauspielerin und nicht im Fernsehen<br />
<strong>zu</strong> sehen war, galt ihr Mann als der prominentere<br />
Journalist. Für eine Zeitschrift,<br />
in der Kultur kaum vorkommt,<br />
schrieb erüber ebendiese. Er gehörte<br />
<strong>zu</strong>r Szene,ohne dassman ihn intellektuell<br />
wirklich ernst genommen hätte.<br />
Man geht <strong>zu</strong> zweit auf Vernissagen<br />
und Premieren, wohnt schick, isst nobel<br />
und fährt übers Wochenende ins Wellness-Hotel.<br />
Man hat alles ausser einer<br />
Perspektive. Doch allmählich überflügelt<br />
die telegene Moderatorin den Journalisten.<br />
Glücklich ist sie gleichwohl<br />
nicht.<br />
Aus Gillian wird Jill<br />
Etwas fehlt ihr, und sie sucht es in einer<br />
<strong>zu</strong>nehmend obsessiven Beziehung <strong>zu</strong><br />
einem Künstler namens Hubert, der einmal<br />
in ihrer Sendung war. Seine Methode<br />
oder Masche: Er spricht Frauen auf<br />
der Strasse anund bittet sie, sich von<br />
ihm in ihrem Alltag nackt fotografieren<br />
<strong>zu</strong> lassen. Später arbeitet er diese Fotografien<br />
in seinem Atelier <strong>zu</strong> Bildern um.<br />
Er nähert sich seinen Objekten nicht sexuell.<br />
Er sucht den bannenden Blick, die<br />
wortlose Begegnung ohne Berührung,<br />
deren Energie sich dann im Kunstwerk<br />
entlädt. Doch die Treffen mit Gillian, <strong>zu</strong><br />
denen ein immer hektischerer E-Mail-<br />
Wechsel der beiden geführt hat, scheitern.<br />
Sie sitzt ihm <strong>zu</strong>nächst tapfer Modell.<br />
Doch als sie mit ihm schlafen will,<br />
weist er sie schroff ab–mit dem Hinweis<br />
darauf, dass seine Freundin<br />
schwanger sei.<br />
Das ist alles vor dem Unfall passiert.<br />
Nach sechs Jahren ist Gillian wieder einigermassen<br />
hergestellt. Sie hat ihr<br />
Leben umgekrempelt, ist nicht <strong>zu</strong>m<br />
Fernsehen <strong>zu</strong>rückgekehrt, sondern ins<br />
Engadin gezogen, ins Ferienhaus ihrer<br />
Eltern, <strong>zu</strong> denen sie ein kühles Verhältnis<br />
hat und die sie selten sieht. Sie organisiert<br />
dort die Animationsprogramme<br />
für Kinder und Erwachsene in einem<br />
Berghotel, spielt manchmal sogar in<br />
einem Schwank mit und fühlt sich dabei<br />
weit besser als in ihrem früheren Leben.<br />
Sie nennt sich nun Jill.<br />
VonHubert hört sie erst wieder, als<br />
der Künstler mit einer Carteblanche ins<br />
alpine Kulturzentrum eingeladen wird.<br />
Auch bei ihm hat sich vieles verändert.<br />
Seine Beziehung geht gerade in die Brüche,<br />
weil Astrid sich in einen Esoteriker<br />
namens Rolf verliebt hat, das Verhältnis<br />
<strong>zu</strong>m Sohn Lukas ist schwierig. Huberts<br />
kreative Kräfte sind seit langem versiegt,<br />
er unterrichtet an einer Hochschule<br />
und fühlt sich dabei wie ein<br />
Hochstapler. Erfährt ins Engadin ohne<br />
die geringsteAhnung, waserdakünstlerisch<br />
inszenieren will. Es kommt <strong>zu</strong>m<br />
Eklat: Als die Vernissage näherrückt,<br />
wird erkurzerhand ausgeladen. Ersatz<br />
ist rasch gefunden, und er bricht <strong>zu</strong>sammen.<br />
Nachdem er sich erholt hat, sucht<br />
er ein ähnlich neues und bescheidenes<br />
Leben wie Jill: Er unterrichtet Hotelgäste<br />
im Zeichnen, fährt nur noch zwei<br />
Tage pro Woche <strong>zu</strong>m Dozieren ins Unterland.<br />
Die ehemaligeModeratorin und<br />
der ehemalige Künstler werden in bescheidenerer<br />
Eigentlichkeit <strong>zu</strong>mindest<br />
vorübergehend ein Paar –bis es auch<br />
ihn wieder weglockt und sie ihre eigenen<br />
Wege geht: «Das Spiel war <strong>zu</strong>Ende,<br />
sie warfreiund konntegehen, wohin sie<br />
wollte.» So lautetder letzteSatzdes Romans.<br />
Diffuse Szenen und Gestalten<br />
Ein anderer Autor hätte aus der Geschichtedieses<br />
Gesichts- und Identitätsverlusts<br />
ein farbiges Drama vonexistenzialistischer<br />
Wucht gemacht. Nicht so<br />
<strong>Peter</strong>Stamm. Seit je versteht er sich aufs<br />
Verhaltene und Ungenaue. Seine Szenerien<br />
sind so diffus wie seine Gestalten.<br />
Diese sagen oft vorgestanzte Sätze oder<br />
zögerliche oder solche, die nirgendwohin<br />
führen. Nachlässigkeit ist das nicht.<br />
<strong>Peter</strong> Stamm schaut genau hin, und er<br />
sucht eine Sprache, die das Halbe und<br />
Vorläufige trifft. Die gemischten Gefühle.<br />
Die Zögerlichkeit des Wahrnehmens,<br />
die Uneigentlichkeit des Benennens.<br />
Damit ist er <strong>zu</strong>m Chronisten einer satu-<br />
<strong>Peter</strong>Stamm istmit<br />
seiner «Reissbrett-<br />
Literatur» <strong>zu</strong>m<br />
Chronisteneiner<br />
saturierten, ratlosen<br />
Generation geworden.<br />
4 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
VERAHARTMANN /13PHOTO<br />
rierten und gleichwohl ratlosen Generation<br />
geworden.<br />
Lange hat der Autor andiesem Buch<br />
gearbeitet. <strong>Eine</strong> frühere Fassung hat er<br />
vor Jahren schon für gescheitert erklärt<br />
und beiseitegelegt, sie dann doch wieder<br />
hervorgenommen und weiter vorangetrieben.<br />
Man merkt dem Werk die<br />
Brüche, die Mühen seiner Entstehung<br />
an. Es ist nicht aus einem Guss wie andereWerke<br />
des für seine kühle und doch<br />
stimmungsvolle «Reissbrett-Literatur»<br />
bekannten Autors. Die Perspektivenwechsel<br />
in den drei Teilen sind nicht<br />
recht plausibel, den eingangs skizzierten<br />
Grundkonflikt verliert der Autor<br />
bald aus den Augen.<br />
Stamm erzählt uns eine Geschichte<br />
von den Nöten und Sehnsüchten seltsam<br />
verlorener Seelen, vom Misslingen<br />
der Liebe, und beiläufig zeichnet er<br />
auch ein spöttisches Bild des Kulturbetriebs.<br />
Witzig etwa, wie Hubert einer<br />
Bündner Lokaljournalistin Auskunft<br />
über seine Konzeptegibt und dabei kein<br />
Klischee auslässt. Hubert als ratloser<br />
Künstler in seiner alpinen Klause,Jill als<br />
Magd im Bauernschwank: Da beginnt<br />
der Text <strong>zu</strong> <strong>leben</strong>.<br />
Langweilig bis kitschig<br />
Der Titel des Romans zitiert Shakespeare:<br />
«Nacht ist der Tag, der mir dein<br />
Bild entzieht /und Tagdie Nacht, die<br />
dich im Traume sieht.» Man könnte die<br />
Verse als Bauplan von Stamms Buch<br />
lesen. Doch der Autor folgt ihm nicht<br />
konsequent, sondern verliert sich in<br />
einem kargen, linearen Erzählen, das oft<br />
nicht mehr als ein Aufzählen und entsprechend<br />
langweilig ist. Was da eins<br />
Kaffee getrunken, geraucht und geschwiegen<br />
wird! Auch übers Wetter ist<br />
viel <strong>zu</strong> erfahren –fast immer in lapidaren<br />
Sätzen, pauschalen Feststellungen,<br />
erstbesten Wörtern. Bisweilen definiert<br />
das Metronom den Sprachrhythmus.<br />
Und wenn Stamm philosophisch wird,<br />
dann überschreitet er mehrfach die<br />
Grenze <strong>zu</strong>r Textsorte «Lebenshilfe».<br />
Mag sein, dass auch diese Sätze nicht<br />
absolut gemeint, sondern den Figuren<br />
<strong>zu</strong>geordnet sind, die es halt nicht besser<br />
wissen. Ermüdend sind sie trotzdem.<br />
Und gegen Schluss wird der Roman<br />
richtig kitschig.<br />
Im Detail blitzt zwar Stamms Klasse<br />
immer wieder einmal auf: dann, wenn er<br />
sich aufssprechende Detail besinnt. Am<br />
Schluss des ersten Teils gibt es so eine<br />
Szene: Gillian fährt, als sie wieder auf<br />
den Beinen ist, mit ihrem Auto <strong>zu</strong>m Unfallort.<br />
Dort entdeckt sie ein <strong>zu</strong>m Gedenken<br />
ihres Mannes abgelegtes Blumengebinde<br />
und eine Grabkerze. Sie<br />
packt beides ein –und wirft es an der<br />
nächsten Autoraststätte in einen Mülleimer,<br />
auf dem in vier Sprachen «Danke»<br />
steht. Auf solche kleine Szenen versteht<br />
<strong>Peter</strong> Stamm sich meisterhaft. Für sie<br />
bewundern wir ihn. Doch in diesem<br />
Buch kommen sie viel <strong>zu</strong> selten vor. l<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 5
Belletristik<br />
Kriminalroman Der Israeli Dror Mishani setzt mehr auf<br />
psychologische Tiefeals auf Lokalkolorit<br />
VorlauterIndizien<br />
dieTat nichtsehen<br />
Dror Mishani: Vermisst. AviAvraham<br />
ermittelt. Ausdem Hebräischen von<br />
Martin Lemke. Zsolnay, Wien 2013.<br />
350Seiten, Fr.27.90,E-Book 19.90.<br />
VonStefana Sabin<br />
Die Stadt Cholon –<br />
hier Neubausiedlung<br />
im Gindi Park –ist<br />
das Wirkungsfeld<br />
vonInspektor Avi<br />
Avraham.<br />
Weil die israelische Literatur als Teil des<br />
nationalen Projekts entstanden ist, hat<br />
sie die Geschichte der Nation und ihre<br />
Befindlichkeit gespiegelt und war gegen<br />
Kriminalromane resistent, behauptet<br />
Dror Mishani, Lektor im Jerusalemer<br />
Keter-Verlag, in einem Gespräch mit der<br />
<strong>Zeitung</strong> «Ha’aretz». Tatsächlich hatte<br />
erst Batya Gur (1947–2005) am Ende des<br />
20. Jahrhunderts mit ihren Romanen um<br />
Oberinspektor Ochajon der israelischen<br />
Kriminalliteratur einen Weggebahnt.<br />
Diesen Weghat Mishani mit einem<br />
vor zwei Jahren erschienenen Roman,<br />
dem inzwischen ein zweiter gefolgt ist,<br />
eingeschlagen. Mishani hat die kleine<br />
StadtCholon in unmittelbarer Nähe von<br />
Tel Aviv <strong>zu</strong>m Ort der Handlung und<br />
einen Sonderermittler der Tel Aviver<br />
Polizei, Inspektor Avi Avraham, <strong>zu</strong>r<br />
Hauptfigurgemacht. Die Fälle,die Avraham<br />
untersuchen muss, scheinen kriminalistisch<br />
eher einfach <strong>zu</strong> sein, jedenfalls<br />
gerät er in keine Schlägerei, muss<br />
keine Waffeziehen und keine Autosverfolgen,<br />
sondern Einfühlungsvermögen<br />
und logisches Denken einsetzen.<br />
Hatte Gur die kriminalistischen<br />
Handlungen mit Beschreibungen der<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse angereichert<br />
und so das Genre des Krimis mit<br />
demjenigen der sozialkritischen Literatur<br />
verbunden, so versucht Mishani seinen<br />
Krimis psychologische Tiefe ein<strong>zu</strong>hauchen,<br />
indem er seinem Ermittler<br />
grüblerische Züge verpasst. Mishanis<br />
Avraham ist, wie die meisten seiner<br />
literarischen Verwandten, ein Einzelgänger,<br />
der zwar die forensische Technik<br />
<strong>zu</strong> Hilfenimmt, aber sich hauptsächlich<br />
auf seine Intuition und seine Erfahrung<br />
verlässt.<br />
Avi Avrahams erster Fall dreht sich<br />
um einen Jungen, der eines Morgens <strong>zu</strong>r<br />
Schule geht und weder dort ankommt<br />
noch nach Hause <strong>zu</strong>rückkehrt. Als die<br />
Mutter auf dem Polizeirevier das Verschwinden<br />
des Jungen meldet, versucht<br />
Avraham <strong>zu</strong>erst, sie <strong>zu</strong> vertrösten. Aber<br />
schon einen Tag später setzt er die<br />
Suche nach dem Jungen in Gang. Er befragt<br />
die Eltern, Nachbarn, Lehrer und<br />
Mitschüler und versucht, aus den Informationen,<br />
die er dabei bekommt, ein Gesamtbild<br />
<strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>stellen. So entwirft<br />
er das Porträt eines ebenso klugen<br />
wie schüchternen Jungen, in dem er ein<br />
Spiegelbild seines eigenen Selbst <strong>zu</strong> erkennen<br />
meint –diese Identifikation mit<br />
dem Opfer erleichtert keineswegs, sondern<br />
erschwert seine Ermittlungen.<br />
Jedes Mal, wenn er glaubt, einer Lösung<br />
nahe <strong>zu</strong> sein, muss ererkennen, dass er<br />
sich irrt.<br />
«Wenn bei uns ein Verbrechen begangen<br />
wird, dann war esinder Regel der<br />
Nachbar oder der Onkel oder der Grossvater<br />
…», hatte Avraham ganz <strong>zu</strong> Beginn<br />
erklärt, aber in den Wirren der Ermittlungen<br />
diesen banalen Grundsatz dann<br />
doch ausser Acht gelassen. Schon kleine<br />
Erkenntnisse lenken ihn von den Realitäten<br />
der Tatab, und er verliert sich in<br />
Vermutungen. Die falschen Fährten,<br />
denen Avraham nachgeht, und seine<br />
Fehlschlüsse fungieren als retardierende<br />
Momente, die die Handlung strukturieren,<br />
bis der Fall gelöst ist. Aber auch<br />
dann muss erfeststellen, dass ersich<br />
verirrt hat. «Ich lese einen Kriminalroman»,<br />
erzählt Avraham einmal einer<br />
Kollegin, «und dabei stelle ich meine<br />
eigene Ermittlung an und beweise, dass<br />
der Kommissar indem Buch sich irrt<br />
oder den Leser bewusst indie Irre führt<br />
und dass die wirkliche Lösung anders<br />
lautet als die, die er präsentiert.» Diese<br />
Lese(an)gewohnheit seiner Ermittlerfigur<br />
macht Mishani <strong>zu</strong>m Gestaltungsprinzip<br />
seines Romans, wenn er den Fall<br />
für gelöst ausgibt und die Lösung <strong>zu</strong>allerletzt<br />
wieder in Frage stellt. Das ist<br />
der geschickteste erzählerische Trick in<br />
einem Kriminalroman, der mit wenig<br />
Spannung und ohne Lokalkolorit auskommt.<br />
l<br />
Chick-Lit Ein Wegbereiter von«Sexand the City»ist erstmals auf Deutsch <strong>zu</strong> entdecken<br />
Singlefrau im Grossstadt-Dschungel<br />
Gail Parent: Sheila Levine isttot und lebt<br />
in NewYork. Roman. Metrolit,<br />
Berlin 2013. 304Seiten, Fr.19.90.<br />
Ab 9. September im Handel.<br />
VonRegula Freuler<br />
Als Helen GurleyBrown 1962 den Ratgeber<br />
«Sex and the Single Girl» veröffentlichte,<br />
legte sie den eigentlichen Grundstein<br />
<strong>zu</strong>r Chick-Lit, jenem belletristischen<br />
Genre mit der festgelegten Storyline:<br />
Finanziell und sexuell unabhängige<br />
Grossstadt-Singlefrau jagt Mr. Right.<br />
Zehn Jahre später, 1972, legte Gail Parent<br />
mit ihrem Roman «Sheila Levine ist<br />
tot und lebt in New York» nach: Sheila,<br />
eine pummelige Grossstadtneurotikerin<br />
Anfang zwanzig, aus jüdischem Elternhaus,<br />
jagt ihren Traummann in den<br />
6 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />
Strassen des Big Apple. Das ist umso<br />
dramatischer, als ihre Mutter nichts anderes<br />
im Kopf hat als eine baldige Eheschliessung<br />
ihrer Tochter.<br />
Also hören wir Sheila Levine <strong>zu</strong>, kichern<br />
ob ihrem selbstironisch-verzweifelten<br />
Plapperton und ihrem tragischkomischen<br />
Rollenspiel und den inneren<br />
Monologen und Dialogen. Ihre Mitbewohnerin<br />
Linda ist ihr schmerzhaft<br />
schönes Gegenstück, die an jedem Finger<br />
einen Mann hat, aber jeden von der<br />
Bettkante stösst, wo<strong>zu</strong> schon reicht,<br />
dass erden «Fänger im Roggen» nicht<br />
mag. Sheila erträgt es –meistens –mit<br />
der Fassung, die ihr möglich ist, lässt<br />
aber nichts unversucht, um auf dem Heiratsmarkt<br />
<strong>zu</strong> reüssieren. Doch auch<br />
nach drei Jahren NewYorksieht es nicht<br />
besser aus. Siehat zwar einen phantastischen<br />
Lover, dieser nimmt sie aber nach<br />
Strich und Faden aus, um seinen Drogenkonsum<br />
<strong>zu</strong> finanzieren. Als sie ihm<br />
schliesslich ihren Suizid ankündigt, bevor<strong>zu</strong>gt<br />
er für den Tagihrer geplanten<br />
Beerdigung, einer Einladung in die<br />
Hamptons <strong>zu</strong> folgen. Ganz so schlimm<br />
wie angekündigt endet es nicht, und immerhin<br />
sind die Sheilas dieser Grossstädte<br />
seither fester Bestandteil unseres<br />
Buchmarktes.<br />
Parent, Jahrgang 1940, wusste, worüber<br />
sie schrieb. Sie war selbst eine beruflich<br />
erfolgreiche Frau aus jüdischem<br />
New Yorker Elternhaus, deren Karriere<br />
als TV-Autorin mit der Sitcom «The<br />
Mary Tyler Moore Show» begann. Mit<br />
ihrem Buch landete sie einen Bestseller,<br />
der später auch verfilmt wurde. Ihr<br />
grösster Erfolg gelang ihr freilich als Autorin<br />
und Produzentin der Serie «The<br />
Golden Girls». l
Roman Im neuen Buch vonSilvia Bovenschen, einer der scharfsinnigsten deutschen Essayistinnen,<br />
stemmen sich vier alteDamen gegenden Tod<br />
Sterben istnichtsfür Feiglinge<br />
Silvia Bovenschen: Nur Mut. S. Fischer,<br />
Frankfurt a. M. 2013. 160 Seiten,<br />
Fr.25.90,E-Book 18.–.<br />
VonGunhild Kübler<br />
Dass man immun ist gegen den Tod, solange<br />
man sich mit einem Projekt beschäftigt,<br />
das einem am Herzen liegt, ist<br />
ein bestechender Gedanke. Kein Wunder,<br />
dass esmanche Schriftsteller da<strong>zu</strong><br />
treibt, im Alter auf diese <strong>Art</strong> um ihr<br />
Leben <strong>zu</strong> schreiben. Auch Elias Canetti,<br />
der sich zeit<strong>leben</strong>s auflehnte gegen den<br />
Tod, hat vermutlich nicht <strong>zu</strong>letzt darum<br />
sein grosses «Totenbuch» nie abgeschlossen.<br />
So <strong>zu</strong> schreiben, als könnteman damit<br />
einen Aufschub erwirken, dieser Impuls<br />
ist auch Silvia Bovenschen nicht fremd.<br />
Die Frankfurter Literaturwissenschafterin,<br />
die mit einer bahnbrechenden Studie<br />
über die «weibliche Imagination»<br />
bekannt wurde und seit bald vier Jahrzehnten<br />
<strong>zu</strong> den scharfsinnigsten unter<br />
den deutschsprachigen Essayistinnen<br />
gehört, wurdefrüh durch ihreKrankheit<br />
multiple Sklerose mit der eigenen Hinfälligkeit<br />
konfrontiert. Wider alle Befürchtungen<br />
erlebte sie im Jahr 2006<br />
ihren 60. Geburtstag, was ihr einen<br />
neuen Schub von Energie und Courage<br />
bescherte.<br />
Noch im selben Jahr veröffentlichte<br />
sie einen Bestseller –furchtlos klarsichtige<br />
und doch gelassene, sehr persönliche<br />
Notizen <strong>zu</strong>m Thema Älterwerden.<br />
Ihrem bisher gepflegten Schreiben war<br />
sie damit in ein anderes Genre entwischt.<br />
Seither hat sie sich Neuland erschlossen<br />
und weitere belletristische<br />
Bücher publiziert – die Erzählungen<br />
«Verschwunden» (2008) und die zwei<br />
Kriminalromane «Wer Weiss Was»<br />
(2009) und «Wie geht es Georg Laub?»<br />
(2011).<br />
Faszinierendes Drama<br />
um alteDamen in<br />
einer weissen Villa.<br />
Diese sieben Personen treten rasch<br />
hintereinander in kurzen Gesprächsszenen<br />
auf und werden dabei mit scharfen<br />
Strichen charakterisiert. Beleuchtet<br />
wird so ihre Lebenssituation und die<br />
<strong>Art</strong>, wie die vier Alten ihr schmerzhaft<br />
reduziertes Leben meistern. Das will<br />
ihnen immer weniger gelingen, und so<br />
schreien sie ihre Wut in die Welt oder<br />
kapseln sich traurig von ihr ab und finden<br />
viele Gründe, warum es besser<br />
wäre, sobald wie möglich ab<strong>zu</strong>treten.<br />
Älterwerden, so viel war inSilvia Bovenschens<br />
Bestseller von 2006 schon<br />
klar, ist nichts für Feiglinge. Altwerden<br />
und Sterben, könnte man nun ergänzen,<br />
erst recht nicht. Mit der Gelassenheit ist<br />
es endgültig vorbei. Die gemeinsame Altersbastion<br />
zerfällt. Das Fazit ziehen<br />
Verse des alten Hölderlin: «Das Angenehme<br />
dieser Welt hab ich genossen, /<br />
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie<br />
lang! verflossen, /April und Mai und Julius<br />
sind ferne,/Ich bin nichts mehr,ich<br />
lebe nicht mehr gerne!»<br />
Vorgeführt wird hier in aller Schärfe<br />
jener unerbittliche Prozess, der Menschen<br />
aus ihren Verankerungen löst und<br />
aus ihren Körpern hinausekelt –Krankheit,<br />
Depression und ein katastrophaler<br />
Betrug, der am Ende allen den Boden<br />
unter den Füssen wegzieht. Und während<br />
vor den Fenstern der Villa noch<br />
einmal ein Sommertag lächelt, tagt nun<br />
im Innern mit Schürhaken und Scherben,<br />
Feuer und Rauch ein Tagdes Zorns.<br />
Dabei geht die Inneneinrichtung <strong>zu</strong><br />
Bruch, und es passiert ein Mord, doch<br />
sollen Täter und Opfer hier nicht verraten<br />
werden. Spukhafte Gestalten treten<br />
auf –halbprivate Allegorien, die teils Literatur,<br />
teils der Oper entstiegen sind,<br />
teils der originelle Inbilder schaffenden<br />
Phantasie der Autorin. Mit hintersinnigen<br />
Reden bieten sich diese Wesen als<br />
Sterbebegleiter an. Am Ende sind die<br />
vier alten Damen wie vom Erdboden<br />
verschluckt.<br />
Dem Tod entwischt<br />
«Bevor er <strong>zu</strong>r Auflösung wird, ist der<br />
Tod Konfrontation. Mut, sich ihm <strong>zu</strong><br />
stellen, jeder Vergeblichkeit <strong>zu</strong>m Trotz,<br />
Mut, dem Todins Gesicht <strong>zu</strong> spucken»,<br />
heisst es bei Canetti. Der Furor, mit dem<br />
sich hier die vier Alten der Mechanik<br />
des Tods entgegenstemmen, hätte ihm<br />
sicher gefallen. Und ebenso die unauffällige<br />
Schlusspointe, die sich in einem<br />
der drei Motti dieses Romans versteckt.<br />
Es soll aus einem «unveröffentlichten<br />
Essayband» stammen, den die Schriftstellerin<br />
Johanna im Jahr 2017, also lange<br />
nach ihrem Verschwinden aus der Villa,<br />
verfasst haben muss. Demnach ist mindestens<br />
eine der vier Frauen vorerst<br />
dem Todentwischt.<br />
Was aus den andern drei wurde,<br />
bleibt offen. Der Erzähler des Ganzen,<br />
ein Grossneffe von Charlotte, der in<br />
einer <strong>zu</strong>kunftsfroh kolorierten Rahmengeschichte<br />
auftritt, weiss amEnde nicht<br />
mehr. Weil er aber Drehbuchautor ist,<br />
wird erwohl wissen, warum ihn dieses<br />
Drama der vier alten Damen so fasziniert:<br />
Es ist ein fast fertiges Drehbuch<br />
mit Glanzrollen für vier grossartige, alte<br />
Schauspielerinnen. l<br />
In der Alters-WG<br />
«Nur Mut» heisst ihr soeben erschienener<br />
jüngster Roman. Darin versammelt<br />
sie vier betagte, miteinander befreundete<br />
Frauen in einer weissen Villa von<br />
grossbürgerlicher Weitläufigkeit und<br />
Pracht: die immer noch kokette Modeexpertin<br />
Nadine,die vergessene Schriftstellerin<br />
Johanna, die einstige Lehrerin<br />
Leonie und die Paläontologin Charlotte.<br />
Alle vier haben schon vor Jahren ihre<br />
Ehemänner verloren. Sie sind kinderlos,<br />
bis auf Charlotte, die diese Alters-WG<br />
mit Hilfe ihrer treuen Haushilfe Janina<br />
in ihrem ehemaligen Elternhaus eingerichtet<br />
hat. Charlotte mag zwar ihren<br />
einzigen Sohn und die Schwiegertochter<br />
nicht mehr sehen, aber immerhin lässt<br />
sie ihre17-jährigeEnkelin Dörtebei sich<br />
wohnen, ein luxusverwahrlostes Girl<br />
mit einer Schnoddersprache, die noch<br />
nicht einmal ihr zaghafter Verehrer versteht,<br />
ein zwei Jahre älterer Schüler mit<br />
dem Spitznamen Flocke.<br />
TIM KLEIN /GALLERYSTOCK<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 7
Belletristik<br />
Roman Der schwedische Romancier PerOlovEnquist erinnert sich an sein stärkstes religiöses<br />
Erlebnis –sein sexuelles Debüt<br />
Wenn dieLiebe erwacht<br />
PerOlovEnquist: DasBuch der<br />
Gleichnisse. Ein Liebesroman. Ausdem<br />
Schwedischen vonWolfgang Butt.<br />
Hanser,München 2013. 223 Seiten,<br />
Fr.29.90.<br />
VonSandraLeis<br />
Wenn ältere Herren am Ende des Lebens<br />
plötzlich über ihre sexuellen Anfänge<br />
berichten, blinken alle Warnlampen<br />
auf. Meistens <strong>zu</strong> Recht, denn oft<br />
taugen solch literarische Ergüsse wenig,<br />
und das Verdikt «Altherrenprosa» trifft<br />
<strong>zu</strong>. Davor gefeit ist nicht einmal der<br />
grandiose Philip Roth. Grösste Vorsicht<br />
also ist geboten –das weiss auch der<br />
bald 80-jährigeschwedische Meister Per<br />
Olov Enquist und flicht vorsichtshalber<br />
immer wieder Passagen ein, in denen<br />
Weggefährten ihn warnen: «Sie standen<br />
schwankend und klagend am Ufer des<br />
Flusses. Und erinnerten daran, dass er<br />
nicht da<strong>zu</strong> taugte, diesen Liebesroman<br />
nieder<strong>zu</strong>schreiben.»<br />
Der bald 80-jährige<br />
schwedische Autor<br />
PerOlovEnquist<br />
schreibt einen<br />
ergreifenden Roman<br />
über den Sinn des<br />
Lebens (Aufnahme<br />
2009).<br />
Reife Frau und Jüngling<br />
Der Romancier, Dramatiker, Essayist<br />
und Kinderbuchautor Enquist gehört<br />
mit Lars Gustafsson und Tomas Tranströmer<br />
<strong>zu</strong> den Grossen der schwedischen<br />
Literatur. Hier<strong>zu</strong>lande bekannt<br />
wurde ermit «Der Besuch des Leibarztes»<br />
(2001), «Das Buch vonBlanche und<br />
Marie» (2005) und mit seiner Autobiografie<br />
«Ein anderes Leben» (2009).<br />
Darin erzählt er souverän und bewegend,<br />
wie er in die Hölle des Suffs stürzte<br />
–und überlebte.<br />
Per Olov Enquist ist beides: Christ<br />
und Zweifler. Und obendrein einer mit<br />
einer gehörigen Portion Selbstironie.<br />
Überschätzt hat Enquist sich nie. Vielleicht<br />
hat ergerade deshalb so lange gezögert,<br />
die Geschichtemit der «Frauauf<br />
dem astfreien Kiefernholzboden» literarisch<br />
<strong>zu</strong> gestalten.<br />
Enquist berichtet in der dritten Person<br />
von sich und denkt <strong>zu</strong>rück an seine<br />
sexuelle Initiation, die zeit seines Lebens<br />
eine unerreichbare Be<strong>zu</strong>gsgrösse<br />
bleibt. Es geschah an einem heissen<br />
Sonntagnachmittag im Juli 1949, als<br />
Ellen, eine Frau von 51Jahren, den Jüngling<br />
in die Wonnen der körperlichen<br />
Liebe einführte. Das war skandalös und<br />
brannte sich ihm ein «wie ein Brenneisen<br />
in ein Tier». Umso mehr, als er<br />
von seiner verwitweten Mutter, die er<br />
liebte und die der Pfingstbewegung angehörte,<br />
streng religiös erzogen wurde.<br />
Doch Gewissensbisse plagten ihn keine,<br />
im Gegenteil: Für ihn war der erste Liebesakt<br />
«das vielleicht stärkste religiöse<br />
Erlebnis seines Lebens».<br />
Seine drei Ehen erwähnt Enquist im<br />
Roman «Das Buch der Gleichnisse» in<br />
einem einzigen Nebensatz, das Buch<br />
kreist um sein sexuelles Debüt. Er<br />
schreibt: «Er hatte,später,die Sexualität<br />
immer so aufgefasst, als sei sie die Öffnung<br />
der innersten Tür <strong>zu</strong> einem anderen<br />
Menschen. Es gab andere Türen,<br />
aber diese war die innerste und die entscheidende.»<br />
Enquist vergleicht in seinem neuen<br />
Roman die irdische Liebe mit der himmlischen<br />
und erzählt davon in neun<br />
Gleichnissen. Ausgangspunkt ist der<br />
Notizblock des toten Vaters –erstarb<br />
1935, als der Junge sechs Monate alt war.<br />
2011 gelangt er in den Besitz dieses Notizblocks,<br />
und er entdeckt darin die<br />
«ganz und gar nicht fragmentarischen<br />
Liebesgedichte», die der Vater an die<br />
Mutter geschrieben hat. Neun Blätter<br />
fehlen; sie bleiben verschollen, und Enquist<br />
weiss, dass erseine Grabrede auf<br />
die Mutter nie vollständig und korrekt<br />
wird revidieren können. Trotzdem versucht<br />
er es: Entstanden ist sein Roman<br />
über die Liebe.<br />
Enquist skizziert in meisterlichen Tableaus<br />
verschiedene Ausprägungen der<br />
Liebe: Er schreibt über eine Grosscousine,<br />
die wegen einer verbotenen Liebe<br />
den Verstand verliert und deren Mutter<br />
kommentierte: «Besser eine verrückte<br />
Tochter im Himmel als eine sündige<br />
Tochter in der Hölle.» Er schreibt von<br />
einer Tante, die jung verwitwet war und<br />
vergeblich der göttlichen Liebe harrte,<br />
bis «die Glaubensflamme» endgültig erkaltet<br />
war. Er schreibt vomPostfräulein,<br />
das seine erotischen Phantasien anfeuerte,<br />
und er schreibt von einem Buben,<br />
der seine Katze abgöttisch liebte und<br />
sich dennoch eines Tages einen Plastiksack<br />
über den Kopf stülpte.<br />
Irdische und himmlische Liebe –wer<br />
sie erfährt, ist dem Wunder ebenso nah<br />
wie dem Wahnsinn. Davon erzählt Per<br />
Olov Enquist mit <strong>leben</strong>skluger Gelassenheit.<br />
Er schreibt: «Die Liebe kann<br />
man nicht erklären. Weraber wären wir,<br />
wenn wir es nicht versuchten?»<br />
Enquist versucht es, und es gelingt<br />
ihm grossartig: Die schwedischen<br />
Schauplätze prägen sich ein, selbst die<br />
kleinste Nebenfigur bekommt Kontur,<br />
und wenn er dialektale Ausdrücke und<br />
Ausrufezeichen verwendet oder ganze<br />
Passagen kursiv setzt, so entspringt dies<br />
nicht nur Einfallsreichtum, sondern<br />
auch einem existentiellen Mitteilungsbedürfnis.<br />
Da hat einer Lust an seinem<br />
Tun–und seinem Übersetzer Wolfgang<br />
Butt gelingt es auf stupende Weise, die<br />
stilistischen Nuancen ins Deutsche <strong>zu</strong><br />
übertragen.<br />
Witzig, skrupulös, zart<br />
Enquist ist witzig und skrupulös <strong>zu</strong>gleich:<br />
Seinen Figuren zollt er Respekt,<br />
<strong>zu</strong> sich selbst hält er ironische Distanz<br />
(beispielsweise wenn er seine eigene<br />
Krankengeschichte reflektiert), und er<br />
wird nachdenklich, wenn er nach der<br />
Verantwortung des Schriftstellers fragt.<br />
Immer wieder schreiben ihm Leser und<br />
erwarten Lebenshilfe. Mit diesem Missverständnis<br />
müsse sich ein Autor abfinden,<br />
notiert Enquist. Gleichwohl gelte:<br />
Der Schriftsteller sei kein Prediger,wohl<br />
aber ein Verkünder.<br />
«Das Buch der Gleichnisse» ist amüsant<br />
und tiefsinnig <strong>zu</strong>gleich. Ein grosser<br />
Roman, der die Fragenach dem Sinn des<br />
Lebens stellt. Es ist die Liebe. Enquist<br />
beschreibt sie assoziativ, abgehackt und<br />
fragmentarisch in der Perspektive des<br />
inneren Monologs. Aber auch wie der<br />
Psalmist im «Hohelied»: zart, ergreifend<br />
und bis in die innersteFaser des Körpers<br />
erlösend. l<br />
PETER PEITSCH<br />
8 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
Science-Fiction Die Amerikanerin Jennifer Egan experimentiert mit modernen Publikationsformen<br />
ProAbschnitt 140Zeichen,<br />
veröffentlicht alsTwitter-Roman<br />
Jennifer Egan: Black Box. Ausdem<br />
Englischen vonBrigitte Walitzek.<br />
Schöffling, Frankfurt a. M. 2013.<br />
96 Seiten, Fr.14.90,E-Book 5.90.<br />
VonSimone vonBüren<br />
«Kalkuliere eventuelle Nachteile von<br />
Tränen, bevor dusie vergiesst.» «Nackte<br />
Füsse auf Steinboden verursachen<br />
praktisch kein Geräusch.» «Die Tatsache,<br />
dass dukeinen Alarm hörst, bedeutetnicht,<br />
dassdukeinen ausgelöst hast.»<br />
«Black Box», der neueste Text der<br />
amerikanischen Autorin Jennifer Egan,<br />
besteht ausschliesslich aus solchen<br />
praktischen Ratschlägen und Feststellungen.<br />
Es sind –soverstehen wir nach<br />
einigen Momenten faszinierter Ratlosigkeit<br />
–«Feldinstruktionen», die eine<br />
Geheimagentin auf einem unter ihrem<br />
Haaransatz implantierten Chip aufzeichnet,<br />
indem sie mit dem linken Daumen<br />
gegen ihren linken Mittelfinger<br />
drückt.<br />
Dieser Serie kurzer Äusserungen<br />
können wir entnehmen, dass die attraktive<br />
33-Jährige von der amerikanischen<br />
Regierung als Zivilagentin eingesetzt<br />
wurde, um zwecks Informationsbeschaffung<br />
ein intimes Verhältnis mit<br />
einem «weithin gefürchteten» Mann in<br />
Südfrankreich ein<strong>zu</strong>gehen und auf diese<br />
Weise da<strong>zu</strong> bei<strong>zu</strong>tragen, «die amerikanische<br />
Lebensart <strong>zu</strong> bewahren». Wir erfahren,<br />
dass «die potenzielle Heldin»<br />
<strong>zu</strong>vor in der Musikbranche gearbeitet<br />
hat und mit einem kenianischen Ingenieur<br />
verheiratet ist, den sie in einem<br />
Robotikseminar kennengelernt hat.<br />
Um sich die gefährliche Mission der<br />
Agentin <strong>zu</strong> erschliessen, muss der Leser<br />
die Lücken in ihrem ungewöhnlichen<br />
«Logbuch» füllen und die isolierten<br />
SätzeinBe<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>einander setzen. Er benötigt<br />
dafür dieselbe Aufmerksamkeit<br />
und genaue Beobachtung, die auch die<br />
Agentin aufbringen muss, wenn sie den<br />
Einsatz über<strong>leben</strong> will. Um ihre Über<strong>leben</strong>schancen<br />
<strong>zu</strong> erhöhen, sind ihr alle<br />
möglichen Apparate inden Körper implantiert<br />
worden: ein Mikrofon hinter<br />
die erste Windung des rechten Gehörgangs;<br />
ein Notrufknopfhinter das rechte<br />
Kniekehlenband; eine Kamera ins linke<br />
Auge und ein Übertragungskabel zwischen<br />
ihre Zehen. Ihr auf diese Weise<br />
<strong>zu</strong>r Black Boxhergerichteter Körper liefert<br />
ihren Auftraggebern die nötigen Informationen<br />
und ist eindeutig mehr<br />
wert als ihr Leben.<br />
Dieser halbwegs <strong>zu</strong>r Maschine umfunktionierte<br />
Körper empfindet aber<br />
immer noch Schmerz, weshalb die Frau<br />
vordem sexuellen Übergriffihres «Auserwählten»<br />
die «Dissoziationstechnik»<br />
anwendet und ihren Nachfolgerinnen<br />
rät, danach so sorgfältig in den Körper<br />
<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren, «als würdest du dich<br />
nach einem Wirbelsturm in dein Haus<br />
PROLITTERIS<br />
<strong>zu</strong>rückwagen». Auf ein emotionales<br />
Wesen mit individueller Geschichte<br />
weisen auch gewisse Bemerkungen, die<br />
sich unter die technischen Anweisungenmischen:<br />
dassdie Frau <strong>zu</strong> Hause auf<br />
der Feuertreppe Tomaten anbaut und es<br />
als tröstlich empfindet, sich in einem<br />
Bett ein<strong>zu</strong>kuscheln, auch wenn es das<br />
ihres Feindes ist.<br />
Egan gelingt es auf phänomenale<br />
Weise, mit dieser eigenwilligen Dramaturgie<br />
und in einer poetisch verknappten<br />
Sprache die spannungsgeladene<br />
Handlung eines Science-Fiction-Thrillers<br />
<strong>zu</strong> erzählen. Sie veröffentlichte<br />
«Black Box» in den USA imMai 2012<br />
über den Twitter-Account des «New<br />
Yorker»: ein Tweet pro Minute, 60<br />
Tweets pro Abend an neun Abenden.<br />
Holzschnitt Freie Fahrt der Phantasie<br />
EinVogel reisstverzweifelt den Schnabel auf,<br />
während seine Federn über einer brennenden Kerze<br />
dahinschmelzen. <strong>Eine</strong> Apfelhälfte macht sich auf den<br />
Weg, als wäresie das Haus einer wanderlustigen<br />
Schnecke. Ein pinkfarbener Schädel hateine Kröte<br />
als Gesicht, die unter dem Knochendach gerade<br />
aufgewacht ist. Der Holzschnittvon Gert&Uwe<br />
Tobias hatkeinen Titel, die beiden Brüder wollen<br />
nicht, dass die Phantasie des Betrachtersineine<br />
Richtung gelenkt wird, während sie sich alle Mühe<br />
geben, jedes und alles miteinander <strong>zu</strong> verbinden. Die<br />
Künstler haben ihrefrühe Kindheit in Siebenbürgen<br />
verbracht, bevorsie mit Eltern und Schwester nach<br />
Deutschland ausgesiedelt sind. Die Neugier auf<br />
Relikteder Volkskultur lebt in ihren Werken ebenso<br />
wie die Fabulierlustdes Barock. Wersich für die Welt<br />
in all ihrer Fülle interessiert, lässtsich vonder<br />
Damit besticht die unermüdlich innovative<br />
Autorin, die ihren jüngsten<br />
Roman «Der grössereTeil der Welt» bereits<br />
mit einer Serie von Powerpoint-<br />
Folien schloss, nicht nur einmal mehr<br />
mit einem gewagten formalen Experiment,<br />
sondern auch mit einer neuen<br />
Publikationsform. Gleichzeitig hat sie<br />
damit die perfekte Form für ihren Stoff<br />
gewählt: Denn die komprimierten, maximal<br />
140Zeichen zählenden Abschnitte<br />
entsprechen der Kürze und Prägnanz<br />
der Botschaften, die die Agentin auf<br />
ihrem Chip aufzeichnen kann. Und die<br />
Intimität der Mission –«Deine Aufgabe<br />
ist die Herstellung von Nähe <strong>zu</strong> deinem<br />
‹Auserwählten›» –wird reflektiert von<br />
der Intimität der Lektüre inSMS-ähnlichen<br />
Happen auf dem eigenen Handy. l<br />
schmalen Logik des Verstandes nicht gerne bremsen.<br />
Der Surrealismus lässtgrüssen. Mit dieser Collagetechnik<br />
sind die beiden Tobias schnell bekannt<br />
geworden. Dass sie dafür den Holzschnittals Medium<br />
gewählt haben, hatdie Karrierenochmals<br />
beschleunigt. DasaltehrwürdigeMedium wirdganz<br />
neu als Bildträger fürsVerschiedenste aufgefasst. Die<br />
Motivewerden separat entwickelt und am Computer<br />
konfiguriert. Ins Holz gefrästsind sie Stück für Stück<br />
mit dem Computer.Das erlaubt einen feinen Schnitt,<br />
drastische Farbnachbarschaftenund gleitende<br />
Übergänge. Der Band, der eine Ausstellung im<br />
Kunstmuseum Ravensburgbegleitet (bis 27.10.), gibt<br />
eine leichtfüssigeEinführung ins Werk. <strong>Eine</strong> schöne<br />
Gelegenheit, es kennen<strong>zu</strong>lernen. GerhardMack<br />
Gert&Uwe Tobias. Hrsg.Nicole Fritz. Kerber,<br />
Bielefeld 2013. 64 Seiten, 37 Farbabb., Fr.39.90.<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 9
Leidenschaften<br />
einer unangepassten<br />
10CFWMrQ6AMBCDn-iWlu32wySZWxAEf4ageX_FhkO0ov3a3qs6fNrafrajEggqC4hQKlVdQRxhcompIjOMyq8EFRoVP17AEj28TUaQhcGI4cJk48vo54N9a7jnul-q7226gAAAAA==<br />
Belletristik<br />
Roman Sabine <strong>Peter</strong>s breitet in ihrem neuen Roman eine Fülle vonFiguren und Geschichten aus<br />
«Entschuldigung,<br />
kennen wiruns?»<br />
Sabine <strong>Peter</strong>s:Narrengarten. Wallstein,<br />
Göttingen 2013. 238 Seiten,<br />
Fr.28.50, E-Book 18.90.<br />
VonJudith Kuckart<br />
«Sie steigen in eine Gondel, schweben<br />
langsam indie Höhe. Unter ihnen die<br />
grellen Buden, das Bismarckdenkmal,<br />
die Elbe mit den falschen Mississippi-<br />
Dampfern. Weiter Blick über die Stadt.<br />
Heller Himmel, alles ganz klar, kein<br />
Schwindel.»<br />
Hermine und Dieter sind auf dem<br />
Rummelplatz, dem Dom in Hamburg,<br />
wo sie sich vor25Jahren <strong>zu</strong>m ersten Mal<br />
trafen. Hermine mit dem schönen roten<br />
Haar, Dieter mit dem Blick eines Abenteurers,<br />
welcher glutvoll vor einem<br />
Vierteljahrhundert mehr versprach, als<br />
er halten konnte. Hermine und nebenbei<br />
auch Dieter lerne ich auf Seite 173 kennen,<br />
nachdem ich wenige Seiten <strong>zu</strong>vor<br />
Hermine und ihr gesundes Haar schon<br />
einmal kurz mit den Augenihres Arbeitgebers,<br />
des Anwalts Heiko, betrachten<br />
konnte. Heiko war dort –abSeite 164 –<br />
mehr beschäftigt mit einer Affäre namens<br />
Almut, der Studienkollegin von<br />
Heikos superschlanker Ehefrau Vera.<br />
Personenkarussell<br />
Ach, als ich Heiko und Almut kennenlernte,<br />
habe ich schon mehr als ein Dutzend<br />
anderer Begegnungen hinter mir.<br />
Deswegen jetzt, auf dem Rummel, auf<br />
Seite 173 meine unsichere, etwas ungeduldige<br />
Frage: Wer ist dieser Dieter?<br />
Habe ich da was nicht mitgekriegt? War<br />
Dieter schon auf Seite 7da? Sass er vielleicht<br />
in der Bibliothek von Gerlinde<br />
oder stand daneben, als Heikos makellose,aber<br />
ehrgeizigeFrauVeraauf Seite14<br />
bei Gerlinde ein Buch über Sturm und<br />
Drang für ihren Sohn Jojo ausleihen<br />
wollte, damit er die volle Punktzahl in<br />
Deutsch bekommt? Oder wardas Dieter,<br />
der Veras dicker Freundin Judith auf irgendeiner<br />
schon länger <strong>zu</strong>rückliegenden<br />
Seite das Handtuch im Hallenbad<br />
geklauthat?Jelänger ich lese,destohäufiger<br />
komme ich im «Narrengarten» –<br />
dem Roman von Sabine <strong>Peter</strong>s –sowie<br />
bei manchen Partys in die Verlegenheit,<br />
Limmat<br />
Laure<br />
Wyss<br />
BarBara<br />
Kopp<br />
«Glänzend geschrieben,<br />
gleichsam Momentaufnahmen<br />
einer Epoche.»<br />
<strong>Neue</strong> Zürcher <strong>Zeitung</strong><br />
10CAsNsjY0MDAx1TUyMDQwsQQAvTzX8w8AAAA=<br />
Barbara Kopp<br />
Laure Wyss<br />
Leidenschaften einer<br />
Unangepassten<br />
352 Seiten, gebunden,<br />
12 Fotos, Fr. 44.–<br />
Limmat Verlag Zürich<br />
fragen <strong>zu</strong> müssen: Entschuldigung, kennen<br />
wir uns?<br />
Sabine <strong>Peter</strong>s, Jahrgang 1961, hat Literatur,<br />
Politikwissenschaft und Philosophie<br />
in Hamburg studiert. Dort spielt<br />
auch ihr Roman. Die Autorin wechselt<br />
alle paar Seiten die Perspektive, manchmal<br />
wechselt sie sie von jener Person<br />
auf diese Person –und das mitten im<br />
Satz. Das ist nicht gut, das ist nicht<br />
schlecht, und vielleicht habe auch nur<br />
ich das Gefühl, dass mit den schnellen<br />
Wechseln etwas herunterfällt, was ich<br />
gern einen Atem<strong>zu</strong>g oder auch länger<br />
noch angeschaut hätte. Vielleicht liegt<br />
es auch daran, dass mit den Personen<br />
manchmal nur unscharf die Tonlage<br />
wechselt. Vor allem bei den Frauen,<br />
deren Verfallsdatum deutlich angesagt<br />
ist, schleicht sich ein ähnlich mürrischer<br />
Unterton ein sowie ein ähnliches Tempo<br />
in den Alleingesprächen.<br />
Der Leser wird<strong>zu</strong>m Zeugen gemacht,<br />
egal, ob es banal oder intim ist, was gesagt<br />
wird. Aber nie ist man Zeuge eines<br />
echten Geheimnisses. Der Leser hockt<br />
in den Köpfen von Hermine, Heiko,<br />
Vera,Judith und, ja,auch vonDieter und<br />
noch vielen anderen, oder er sitzt während<br />
ihrer kurzen Auftritte wie ein Rabe<br />
irgendwann sicher auch auf Dieters<br />
Schulter und möchte vielleicht flüstern:<br />
Riesenrad in<br />
Hamburg: Hier<br />
begegnen sich 2von<br />
rund 25 Personen,<br />
die Sabine <strong>Peter</strong>s’<br />
«Narrengarten»<br />
bevölkern.<br />
KAYLEIGH BIN /BILDAGENTUR HAMBURG<br />
Sei doch nicht so! Wie gesagt, das ist<br />
nicht gut, und das ist nicht schlecht. Bestimmt<br />
ist es sogar gewollt. Aber für<br />
mich ist dieser Erzählreigen nicht gemacht.<br />
Schon klar, eine Autorin hat hier<br />
ihre Form gefunden, und viele andere<br />
Leser werden in den gedrosselten Bewusstseinsströmen<br />
etwas für sich finden,<br />
das aufblitzt, und sie werden rufen:<br />
Das kenn ich, das ist bei mir genau so!<br />
Schon klar, alle Geschichten gehören irgendwie<br />
<strong>zu</strong>sammen.<br />
Vorwärtshastendes Erzählen<br />
Aber im Episodengedränge verliere ich<br />
nicht nur die Erinnerung an die Geschichten<br />
<strong>zu</strong>vor <strong>zu</strong>schnell, ich verliere<br />
auch die Erinnerung an mein Gefühl<br />
beim Lesen. Und das ist schade. In<br />
«Narrengarten» schickt Sabine <strong>Peter</strong>s in<br />
knapper Folge 25Personen oder sogar<br />
mehr auf vier bis sechs oder sieben Seiten<br />
ineiner alltäglichen Situation von A<br />
nach B, von der Apotheke <strong>zu</strong>m Fischladen,<br />
vom Kühlschrank ins Bett, vom<br />
Büro <strong>zu</strong>m Lesesaal, vom Reck <strong>zu</strong>m<br />
Barren, von der Umkleidekabine ins<br />
Schwimmbecken, von der Pommesbude<br />
<strong>zu</strong>m Riesenrad. Die Wege sind kurz, die<br />
Zeit ist bemessen. Werauftritt, ist in der<br />
Hälfte des Lebens, ist alt oder noch<br />
nicht, ist noch erfolgreich, ist ein noch<br />
unbeschriebenes, aber schon angeknicktes<br />
Blatt oder ist bereits durch das Raster<br />
gefallen und lebt, wie es kommt,<br />
nicht, wie er will.<br />
Die Personen sind miteinander verwandt,<br />
befreundet, beruflich verknüpft,<br />
latent verfeindet, verliebt oder verliebt<br />
gewesen. Die Trennung steht aus, aber<br />
findet nicht statt. Ein guter Spruch hier,<br />
ein Bibelwort oder literarisches Zitat da<br />
trösten über Abgründe hinweg. Aber<br />
keiner ist des anderen Heimat. Wirklich<br />
keiner? Doch. Ich erinnere mich jetzt<br />
doch an zwei Tote, die in den Köpfen<br />
ihrer Frauen Marie und Frau Kaiser weiter<strong>leben</strong>.<br />
<strong>Eine</strong>r der Toten wird sogar als<br />
«Die Heimat» angeredet. Nicht als der<br />
geliebteMann Rupert. «Die Heimatverstaute<br />
methodisch ihr Gepäck im Citroën,<br />
wenn sie sich wieder einmal auf<br />
den Wegmachte. Undich sehe dich, wie<br />
du die Hand auf den Mund legst, wie du<br />
sagst: Abschiede kann ich nicht gut ab.»<br />
Hier wird Schmerz in einem Sehnsuchtswort<br />
aufgehoben, Heimat, welches<br />
den Kummer nicht nur sagt, sondern<br />
sich scheu traut, von einem tiefen<br />
Verlust <strong>zu</strong> erzählen. Doch dann verstummt<br />
dieser andere Ton, Kammerton,<br />
wieder. Das Erzählen hastet weiter, und<br />
ich bewundere Sabine <strong>Peter</strong>s dafür, wie<br />
sie ihre 25Pferdchen führt, ohne dass<br />
sich deren Zügel ständig verheddern –<br />
ausser in meinem Kopf. l<br />
Judith Kuckart lebt als Schriftstellerin in<br />
Berlin und Zürich. Zuletzt erschien ihr<br />
Roman «Wünsche».<br />
10 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
E-Krimi des Monats<br />
Bis die Idylle zerbricht<br />
Kurzkritiken Belletristik<br />
Giampaolo Simi: Vater. Mörder.Kind.<br />
Deutschvon AnjaNatteford.<br />
Bertelsmann, München 2013. 304Seiten,<br />
Fr.28.50, E-Book 19.90.<br />
Stefan Zweig: «Ich habe das Bedürfnis<br />
nach Freunden». Sammelband. Styria,<br />
Wien 2013. 528 Seiten, Fr.49.90.<br />
Hedwig Dohm: Sommerlieben.<br />
Freiluftnovelle.Edition Ebersbach,<br />
Berlin 2013. 127 Seiten, Fr.24.90.<br />
GUNER GLÜCKLICH /LAIF<br />
«In meinem zweiten Leben bin ich Furio<br />
Guerri, das Monster.» Der Ich-Erzähler<br />
verrät sich im allerersten Satz,<br />
gibt preis, dasserzweiSeiten hat, wovondie<br />
eine dunkel ist. Unddassesein<br />
Davorgibt und ein Danach in seinem<br />
Leben, in dem nach der Zäsur nichts<br />
mehr warwie vorher.<br />
«Es gibt aber nicht nur Furio Guerri,<br />
das Monster. Indeinem ersten Leben<br />
bist du Furio Guerri, Mitarbeiter im<br />
Aussendienst.» So beginnt der italienische<br />
Autor Giampaolo Simi das zweite<br />
Kapitel in seinem Roman «Vater. Mörder.<br />
Kind.», dem erschütternden Psychogramm<br />
eines Familienvaters, der<br />
eben auch ein Monster ist. Oder eher:<br />
der <strong>zu</strong> einem Monster wird.<br />
Der eine Erzählstrang beginnt an<br />
jenem Punkt in Furio Guerris Leben, in<br />
dem er alles erreicht <strong>zu</strong> haben scheint:<br />
Er hat einen guten Job als Handelsvertreter<br />
einer Druckerei, besitzt ein<br />
Häuschen mit Frau und Kind. <strong>Eine</strong> Vorzeigefamilie.<br />
Doch das Glück entgleitet<br />
ihm. Weil die Frau plötzlich merkt, dass<br />
es auch für sie ein Leben gibt, das nicht<br />
hinter dem Kochherd endet. Und weil<br />
es für Guerri im Job bachab geht.<br />
Das zweite Leben von Guerri –der<br />
zweite Erzählstrang –spielt zehn Jahre<br />
später. Guerri hat eine lange Zeit im<br />
Gefängnis hinter sich und kehrt <strong>zu</strong>rück<br />
in die freie Welt. Sein Ziel: Er will seine<br />
Tochter <strong>zu</strong>rück. Doch Guerri ist nicht<br />
mehr der Gleiche. Er ist jetzt das Monster.<br />
Und einem Monster gibt man keine<br />
jugendliche Tochter <strong>zu</strong>rück. Also greift<br />
er <strong>zu</strong> besonderen Massnahmen: Zum<br />
einen verführt er die Lehrerin der<br />
Tochter. Zum anderen tritt ervia Internet-Chatmit<br />
seiner Tochter in Kontakt,<br />
die nicht ahnt, wer das Gegenüber ist,<br />
mit dem sie sich online so gut versteht.<br />
Den Unterschied zwischen den zwei<br />
Leben des Furio Guerri unterstreicht<br />
Autor Giampaolo Simi mit seiner<br />
aussergewöhnlichen Erzählstruktur:<br />
Das Danach erzählt er in der Ich-Form,<br />
das Davor inder zweiten Person. Die<br />
beiden Erzählstränge sind parallel<br />
montiert, was die Spannung steigert.<br />
Man weiss, dass etwas Schlimmes<br />
passiert sein muss, dass eine<br />
böse Tatdie Grenze zwischen<br />
dem Vorher und dem Nachher<br />
zieht. Und doch weiss man<br />
lange nicht, was genau das<br />
Grauen ist, das hinter jeder<br />
Zeile lauert. Bis die Oberfläche<br />
der trügerischen Idylle zerbirst.<br />
Undman ernüchtert<br />
feststellt, dass Guerri,<br />
dem man so nahe gekommen<br />
ist, tatsächlich<br />
auch ein Monster<br />
ist. Es wäre einem<br />
lieber, wenn es anders<br />
wäre.<br />
VonChristine<br />
Brand l<br />
Klemens Renoldner, seit 2008 Direktor<br />
des Stefan Zweig Centre ander Universität<br />
Salzburg, hat als Herausgeber einige<br />
der populärsten Erzählungen seines<br />
Helden –«Vierundzwanzig Stunden aus<br />
dem Leben einer Frau», «Verwirrung<br />
der Gefühle», «Schachnovelle» – mit<br />
weniger bekannten Texten kombiniert.<br />
Wirbegegnen der Erzählung «Vergessene<br />
Träume» des Zwanzigjährigen, vor<br />
allem aber Aufsätzen, Essays und Porträts<br />
aus dem Wien Altenbergs,Schnitzlers,<br />
Joseph Roths und Sigmund Freuds.<br />
Beim Lesen und Wiederlesen dominiert<br />
der Eindruck, dass der 1881 in Wien geborene,<br />
1942 durch eigene Hand im<br />
brasilianischen Exil gestorbene Stefan<br />
Zweig als Erzähler oft <strong>zu</strong>m Schwülstigen<br />
und Parfümierten neigte. Als Zeitzeuge<br />
und Essayist aber war Zweig immer<br />
interessant. Seine Autobiografie «Die<br />
Welt von gestern» bleibt sein Meisterwerk.<br />
Manfred Papst<br />
Anousch Mueller: Brandstatt.<br />
Debütroman. C. H. Beck, München 2013.<br />
223 Seiten, Fr.27.40,E-Book 17.30.<br />
Anousch Mueller ist mit Jahrgang 1979<br />
strenggenommen noch kein «digital native».<br />
Aber sie ist digital sehr gut immigriert:<br />
Sie schreibt einen Blog und zieht<br />
keine klare Grenze zwischen privat und<br />
öffentlich. So präsentiert sie Hochzeitsfotos,<br />
Babyfotos; liefert uns ein Muttermundöffnungsprotokoll<br />
und berichtet<br />
über ihreNasen-OP.Das sollteman alles<br />
gleich wieder vergessen und stattdessen<br />
ihren Debütroman <strong>zu</strong>r Hand nehmen.<br />
Dort erzählt Annie Veit in Ich-Form, wie<br />
sie in den 90er Jahren in einem thüringischen<br />
Dorf aufwuchs. Es geht um die<br />
alte Liebe ihrer Mutter, das Verschwinden<br />
eines Teenagersund oft um Sexund<br />
Selbstbetrachtung. Die Wortwahl wirkt<br />
manchmal etwasüberkandidelt, und der<br />
Text wurde mit einem ordentlichen<br />
Stoss Hauptstadt-Coolness besprüht.<br />
Dennoch gelingt es Mueller, einen mit<br />
dieser geheimnisvollen Story <strong>zu</strong> packen.<br />
Regula Freuler<br />
Hedwig Dohm war die Grossmutter von<br />
Thomas Manns Gattin Katia. Vorallem<br />
aber ist sie eine der wichtigsten Figuren<br />
in der Geschichte der Frauenfrage. 1831<br />
als eines von 18Geschwistern in Berlin<br />
geboren, heiratete sie 1853 den Chefredakteur<br />
der satirischen Zeitschrift<br />
«Kladderadatsch» und erhielt so Zugang<br />
<strong>zu</strong>r Berliner Kultur- und Politikwelt.<br />
Im Selbststudium eignete sie sich<br />
ein grosses Wissen an. 1872 erschien<br />
ihreerste feministische Schrift. Erst spät<br />
widmete sie sich der Belletristik. 1909<br />
erschien der Novellenband «Sommerlieben».<br />
Darin befindet sich auch die<br />
Novelle, die original «Kinder, Tanten<br />
und allerhand Leute» heisst. In Briefform<br />
erfahren wir von Marie Luise,<br />
einer Frau mittleren Alters, was sich<br />
während der Sommerfrische an der Ostsee<br />
ereignet. Ein schmales, aber wunderbar<br />
luzides und sozialkritisches<br />
Werk, das jede Entdeckung wert ist.<br />
Regula Freuler<br />
Isabella Straub: Südbalkon. Roman.<br />
Blumenbar bei Aufbau, Berlin 2013,<br />
254Seiten, Fr.27.50.<br />
Ruth Amsel heisst die Ich-Erzählerin in<br />
«Südbalkon», dem Erstling der österreichischen<br />
Autorin Isabella Straub. Psychisch<br />
und materiell geht es ihr nicht<br />
gut. Sie hat keine geregelte Arbeit, muss<br />
sich zweimal wöchentlich bei einer<br />
«Gesellschaft für Wiedereingliederung»<br />
melden, ihr Freund ist ein Computer-Nerd.<br />
Sie zählt <strong>zu</strong>m Prekariat,<br />
flüchtet sich aber nicht in eine Opferrolle.<br />
Sie flaniert durch die Stadt, beobachtet<br />
ihre Mitmenschen mit Spott, Neugier,<br />
Zuneigung, denkt sich Geschichten<br />
über sie aus. Ihre Aufmerksamkeit, ihre<br />
Phantasie und ihr Witz bewahren sie vor<br />
Larmoyanz und Depression. Isabella<br />
Straub erzählt frech und wach, wir folgenihr<br />
gern in die absurdesten Situationen<br />
des Alltags. Die 1968 geborene Wienerin<br />
versteht ihr Handwerk, das sie als<br />
Journalistin und Werbetexterin erprobt<br />
hat. Ein starkes Debüt!<br />
Manfred Papst<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 11
Porträt<br />
Mit einem fulminanten Essay<strong>zu</strong>m epochalen Sinn der Langlebigkeit<br />
widerspricht der Soziologe<strong>Peter</strong> Grossden pessimistischen Szenarien<br />
<strong>zu</strong>r Alterung der Bevölkerung. Kathrin Meier-Rust hatden Autorder<br />
«Multioptionsgesellschaft» in St.Gallen besucht<br />
Wieder Schlusssatz<br />
einerSonate<br />
Etwas skeptisch nimmt man das Bändchen <strong>zu</strong>r<br />
Hand. Ein harmloser Titel: «Wir werden älter.<br />
Vielen Dank. Aber wo<strong>zu</strong>?», eine etwas gewolltfröhliche<br />
Aufmachung. Noch ein Buch, das uns<br />
sanft und weise <strong>zu</strong>m Loslassen und Annehmen<br />
ermuntern will? Oder das angesichts der kommenden<br />
Vergreisung der Gesellschaft<strong>zu</strong>m Aufstand<br />
der Alten –oder <strong>zu</strong>m Fitnesstraining –<br />
ruft? Beides soll jung erhalten.<br />
Doch dann das: Hier stellt einer alles auf den<br />
Kopf.<strong>Peter</strong> Gross, ehemals Professor für Soziologie<br />
an der Universität St. Gallen, berühmt<br />
durch sein Buch «Die Multioptionsgesellschaft»,<br />
konstatiert in seinem neuen Essay eine<br />
«gnadenlos einseitige, negativeund parteiische<br />
Sicht» auf die alternde Gesellschaft: «Es fehlt<br />
nur noch die Seniorenklappe.» Statt steigender<br />
Lebenserwartung und sinkender Geburtenrate<br />
wünsche man sich offenbar die altepyramidenförmige<br />
Bevölkerungsstruktur der vormodernen<br />
Gesellschaften<strong>zu</strong>rück –viele Kinder,wenig<br />
Alte–,ohne <strong>zu</strong> bedenken, wasdiese in der Realität<br />
bedeutet haben: nämlich den frühen Tod<br />
für sehr viele Kinder und junge Menschen und<br />
eine tiefe Lebenserwartung.<br />
Ganz im Gegenteil sieht der Soziologe sowohl<br />
die niedrige Geburtenrate als auch die<br />
steigende Lebenserwartung als grossartige zivilisatorische<br />
Errungenschaften: einerseits die<br />
Freiheit, selbst <strong>zu</strong> bestimmen, wie viele Kinder<br />
man will, andererseits den Sieg der Medizin<br />
über den (<strong>zu</strong>) frühen Tod. Weil mit dem langen<br />
<strong>Peter</strong>Gross<br />
<strong>Peter</strong>Gross, 1941 geboren, studierte in Zürich<br />
und Bern. In Bambergwar er Professor für<br />
Soziologie, bevorer1989einem Rufandie<br />
Universität St.Gallen folgte, wo er bis 2006<br />
lehrte.Gross istverheiratet, hatzweiKinder und<br />
drei Enkel. Sein erstes Buch «Die Multioptionsgesellschaft»<br />
(Suhrkamp 1994)war ein<br />
Bestseller.Esfolgten «Die IchJagd» (Suhrkamp<br />
1999), «Jenseits der Erlösung» (Transcript<br />
2007). Nach «Glücksfall Alter» (Herder 2008)<br />
folgt nun «Wir werden älter.Vielen Dank. Aber<br />
wo<strong>zu</strong>? Vier Annäherungen» (Herder,Freiburg<br />
i. Br.2013. 158 Seiten, Fr.22.90).<br />
12 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />
Leben nicht mehr nur zwei, sondern bereits<br />
drei und vier,vielleicht dereinst fünf Generationen<br />
gleichzeitig <strong>leben</strong>, entstehen hohe Generationenbäume:<br />
Die Bevölkerung wächst nicht<br />
mehr in die Breite, aber in die Höhe. Kinder<br />
haben weniger Geschwister und Cousins, aber<br />
dafür umso mehr Gross- und Urgrosseltern.<br />
«Das Alter ist auch ein<br />
Problembär: Er lässt sich<br />
partout nicht vergrämen,<br />
trampt immer wieder<br />
mitten ins Dorf.»<br />
Falsche Horrorszenarien<br />
Die historisch gesehen neue Langlebigkeit eröffne<br />
«ein grosses, in der bisherigen Geschichte<br />
ohne Beispiel aufbrechendes Lebenszeitfenster»<br />
für jeden einzelnen Menschen. Undgerade<br />
das «Massenaltern» könnte auch der sinnlosen<br />
Hektik entgegenwirken, die heute so viele Menschen<br />
an Stress, Depressionen und Burnout erkranken<br />
lässt. Nicht das Altern und nicht der<br />
wachsende Anteil alter Menschen seien deshalb<br />
das Problem, sondern die tiefe «Sinnfinsternis»,<br />
die heute das Altern und die alternde<br />
Gesellschaftumgibt. Überaus eloquent und mit<br />
einem historisch geschärften Blick unternimmt<br />
es der Autor, diesen Sinn dar<strong>zu</strong>stellen, und<br />
zwar in doppelter Hinsicht: sowohl für den einzelnen<br />
alternden Menschen als auch für die alternden<br />
Gesellschaften Europas.<br />
Freundlich steht <strong>Peter</strong> Gross in der Tür und<br />
lädt <strong>zu</strong>m Eintreten. In der schönen alten Wohnung<br />
am steilen Rosenberghang blickt man<br />
weit über St. Gallen <strong>zu</strong>r Stiftskirche und <strong>zu</strong>m<br />
weissgleissenden Säntismassiv. Gross sieht<br />
zehn Jahre jünger aus, als es sein Jahrgang suggeriert.<br />
Natürlich, das tun ja heute alle –dass<br />
wir uns darüber wundern, zeigt bloss, wie sehr<br />
unsere Altersvorstellungen noch immer von<br />
den eigenen Grosseltern geprägt sind.<br />
Grossist dreifacher Grossvater und seit 2006<br />
Pensionär.«Die Pensionierung ist für Professoren<br />
durchaus angenehm: man wird die Pflicht<br />
los und behält die Kür», erzählt er. Aber natürlich<br />
spüre man das Älterwerden: «Das Alter ist<br />
auch mein neuer LAP – mein Lebensabschnittspartner.<br />
Esist ein Problembär: Er lässt<br />
sich partout nicht vergrämen, trampt immer<br />
wieder mitten ins Dorf.» Von den vielen Besuchen<br />
beim Akustiker wolle er lieber nicht erzählen,<br />
«das BesteamHörgerät ist, dassman es<br />
abstellen kann. Dann ist es wunderbar still.»<br />
Hier muss man die Einwände gleich loswerden:<br />
Ist die positive Sicht auf die alternde Gesellschaft<br />
nicht etwas gar verklärend? Wasist<br />
mit den Kosten – den Renten, die aus dem<br />
Ruder laufen?Heute,woschon 50-Jährigekeine<br />
Stelle mehr finden. Wasmit den Krankheiten –<br />
Alzheimer,Demenz?Was mit der Kränkung, alt<br />
<strong>zu</strong> sein, in einer Gesellschaft, in der sich schon<br />
40-Jährige vor dem Altwerden fürchten und<br />
sich 70-Jährige anziehen wie 20-Jährige?<br />
<strong>Peter</strong>Gross kennt die Diskussion. Geradebei<br />
Horrorszenarien <strong>zu</strong>r angeblichen Unfinanzierbarkeit<br />
sehe er oft einen fahrlässigen Umgang<br />
mit Fakten: «Die Diskussion strotzt nur so vor<br />
Ungenauigkeiten und Fehlern.» Schon nur die<br />
gängige Redensart, dass «die Jungen» für «die<br />
Alten» zahlen müssten: «In Wahrheit zahlen<br />
die Erwerbstätigen für beide, für die Alten und<br />
für die Jungen.» Und ein Zusammenhang zwischen<br />
alten Menschen und Gesundheitskosten<br />
gebe es auch nicht. Zudem beruhten die Katastrophenszenarien<br />
immer auf der simplen Verlängerung<br />
der heutigen Regeln in die fernste<br />
Zukunft, was natürlich ein Unsinn sei: Genau<br />
diese Regeln und Gesetze, etwa <strong>zu</strong>m AHV-Pensionsalter,<br />
gelte esja<strong>zu</strong>verändern. Selbstverständlich<br />
müsse die Erwerbstätigkeit verlängert<br />
und das Pensionsalter flexibel, wenn nicht<br />
überhaupt abgeschafft werden.<br />
Gerade<strong>zu</strong> unbegreiflich ist für Gross, dass<br />
Unternehmen in ihrer Anstellungs- und Weiterbildungspraxis<br />
noch immer nicht auf das<br />
Altern der Bevölkerung reagieren: Wenn die<br />
Kundschaft älter werde, müsse die Belegschaft<br />
doch dieser Kundschaftangepasst werden. <strong>Eine</strong><br />
wohlhabende alte Dame, neu <strong>zu</strong>gezogen in<br />
St.Gallen, habe ihm neulich mit Entrüstung von<br />
einer angesehenen Bank berichtet, die ihr «so<br />
ein Jüngelchen» als Berater habe vorsetzen<br />
wollen, das komme für sie nicht mehr in Frage.<br />
Wie die Gender-Diskussion die Unterneh-<br />
▲
«Wer ein Warum <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> hat, erträgt fast jedes Wie»,meint der 72-jährigeSoziologe <strong>Peter</strong>Gross <strong>zu</strong>rSinnfragedes Lebens im Alter.<br />
MARATRUOG<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 13
10CFWMMQ6EMAwEX-RoN46d5FwiOnTFid4Noub_1Qk6iulmZtvCCh6W9buvvyDQTDh8oodNK7V7cNbSzQODrYL6IUzh7vbyBZyu0LwdwRC2JMSqKLK5J_U-5FOjXMf5B1Wqr6SAAAAA<br />
10CAsNsjY0MDAx1TW0MLM0MAcA5-7hVA8AAAA=<br />
Porträt<br />
men <strong>zu</strong> mehr Frauen in allen Positionen gezwungen<br />
habe, werde bald auch die Altersstruktur<br />
eines Betriebes <strong>zu</strong>m Thema werden:<br />
«Ich rate jedem Unternehmen dringend <strong>zu</strong><br />
einem Demografie-Check: die Belegschaft sollte<br />
ungefähr jene Altersstruktur aufweisen wie<br />
die Kundschaft.» Vorderhand warte man allerdings<br />
vergeblich auf Inserate, in denen ältere<br />
Mitarbeiter gesucht würden.<br />
Der angeblichen Kränkung der Alten durch<br />
eine Gesellschaft im Jugendwahn misstraut<br />
Gross<strong>zu</strong>tiefst: «Das Problem machen sich doch<br />
die Alten selbst. Die Babyboomer, die damals<br />
den Jugendkult erfunden haben, leiden nun an<br />
ihrem eigenen Jugendwahn.» Alle Befragungen<br />
zeigten doch, dass sich Menschen im Pensionsalter<br />
glücklicher fühlen als die gestressten Erwerbstätigen.<br />
Auch die Zeiten, in denen sich<br />
ältereMenschen noch vonjedem iPhone demütigen<br />
liessen, seien längst vorbei. Nein –gekränkt<br />
fühle er sich nie, ersage gerne und bei<br />
vielem: «Dafür bin ich <strong>zu</strong> alt.»<br />
Hier unterbricht <strong>Peter</strong> Gross die Diskussion:<br />
«Meinen Sie nicht, dass wir uns <strong>zu</strong> sehr verzetteln?<br />
Wir sollten doch beim wirklich wichtigen<br />
Thema bleiben.» Die praktisch-<strong>leben</strong>snahen<br />
Fragen habe er ja in einem ersten Altersbuch<br />
thematisiert («Glücksfall Alter», s. Kasten).<br />
Also <strong>zu</strong>m Wichtigen. Wirklich wichtig, sagt<br />
Gross, sei für den Menschen nicht die materielle<br />
Assekuranz, sondern die immaterielle: Die<br />
Kernfrage sei die Frage nach dem Sinn. «Wer<br />
ein Warum <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> hat, erträgt fast jedes Wie»,<br />
zitiert er, frei nach Nietzsche. Schon im Ruhestand,<br />
wenn die Sinnsäulen des Familien- und<br />
Erwerbs<strong>leben</strong>s wegbrechen, laufe man der<br />
Sinnfrage förmlich in die Arme, die angesichts<br />
von Behinderung, Krankheit, Vereinsamung<br />
und Leid noch dringender werde. Wo<strong>zu</strong> das<br />
alles –heisse es dann in unserer auf Stärke und<br />
Leistung ausgerichteten Gesellschaft. Und<br />
schon stünden die «Lebensverkür<strong>zu</strong>ngsorganisationen»<br />
bereit: Exit und Dignitas.<br />
▲<br />
Letzte Spielzüge sind oft die besten<br />
Wo<strong>zu</strong> also? «Zum Nachdenken über das eigene<br />
Leben», sagt Gross. Zu Nacharbeit und Erinnerung,<br />
Versöhnung mit und Befriedung des eigenen<br />
Lebens, dem mit einem frühen Tod–und<br />
nichts anderes bedeutet eine Lebenserwartung<br />
von knapp 40 Jahren, wie sie historisch üblich<br />
war –jeder Abschluss fehlte. Altern schenkt<br />
uns Zeit –<strong>Peter</strong> Gross wird inseinem Essay<br />
nicht müde, dieses Geschenk in wunderbaren<br />
Formulierungen <strong>zu</strong> preisen: als Abstieg nach<br />
langem, mühsamem Aufstieg, als «Schlusssatz»<br />
einer unvollendeten Sonate. Als «letzte Spielzüge,<br />
die oft die entscheidenden sind».<br />
Selbst im Nachlassen der Kräfte von Körper<br />
und Geist bis hin <strong>zu</strong> Alzheimer und Demenz<br />
<strong>Peter</strong>Gross in seiner Wohnung in St.Gallen (Juli 2013).<br />
sieht Grosseinen Sinn –nämlich jenen, leichter<br />
sterben <strong>zu</strong> können. «Das hört sich vielleicht<br />
gotteslästerlich an», gesteht er freimütig. Wie<br />
heikel jedes Reden und Schreiben vom «Sinn<br />
der Schwäche» ist, weiss Gross aber gut: <strong>Eine</strong><br />
Alzheimervereinigung habe ihn <strong>zu</strong> einem Referateingeladen,<br />
dann aber schnell wieder ausgeladen,<br />
als man in der Migros-<strong>Zeitung</strong> seinen<br />
<strong>Art</strong>ikel mit dem Titel «Vergessen kann auch<br />
eine Gnade sein» entdeckte. Erinnerungen verschönern<br />
das Leben. Vergessen macht es erträglich,<br />
zitiert Gross Honoré de Balzac.<br />
Die Rede vomSinn des Leids und der Schwäche<br />
hat auch einen religiösen Sinn. Die Nähe<br />
<strong>zu</strong>r Religion ist für Gross fundamental, gerade<br />
hier sieht er einen «epochalen Sinn» des Altwerdens:<br />
Das lange, angesichts von Krankheit,<br />
Gebrechen, Demenz vielleicht sogar <strong>zu</strong> lange<br />
Leben nehme nämlich der Erlösung im Jenseits<br />
so<strong>zu</strong>sagen die Luft. «Die Hochreligionen mit<br />
ihren Jenseitsvorstellungen haben sich ja über<br />
dem frühen Todentfaltet.» Der Mensch könne<br />
den Todnicht verkraften, wenn dieser <strong>zu</strong> früh<br />
komme, erbrauchte deshalb den unbedingten<br />
Glauben an ein Fort<strong>leben</strong>, eine Wiedergutmachung<br />
nach dem Tod. «Heute währt das Leben<br />
im Diesseits so ewig lang, dass wir die andere<br />
Welt des Jenseits nicht mehr brauchen. Ein langes<br />
Altern versöhnt uns mit dem Tod. Im Alter<br />
wird das Aufstehen schwerer und das Sterben<br />
leichter, sosagte esMontaigne. Ist das nicht<br />
wahr?» <strong>Peter</strong> Gross, selbst streng katholisch<br />
aufgewachsen, hat sich in seinen Schriften oft<br />
mit der Macht der biblischen und liturgischen<br />
MARATRUOG<br />
Texte auseinandergesetzt. In der Langlebigkeitsgesellschaft<br />
sieht er diese Macht schwinden.<br />
«<strong>Eine</strong> gewichtige These des Buches, die Vision<br />
einer kommenden Weltmässigung, haben<br />
wir noch nicht berührt.» Gross, aufgestanden,<br />
um ein Buch <strong>zu</strong> holen, spricht nun im Stehen,<br />
seine Professorenstimme würde mühelos einen<br />
Hörsaal füllen. Die Wohlstandsgesellschaft sei<br />
das Ergebnis einer ungeheuren Anstrengung<br />
vieler Menschen, die unter wachsendem Druck<br />
standen, mehr und schneller und besser <strong>zu</strong> produzieren,<br />
<strong>zu</strong> reproduzieren, <strong>zu</strong> konsumieren.<br />
Nunsei die alteWelt erschöpft.Aus sich heraus<br />
produzieredie Gesellschaftdeshalb nicht mehr<br />
viele Kinder, sondern alte Menschen. «Das ist<br />
der epochale Sinn der Alterung –die Beruhigung<br />
der nun mehr als ein halbes Jahrtausend<br />
andauernden rast- und rücksichtslosen Mobilmachung<br />
der Welt.»<br />
Ruhestifter in hektischer Welt<br />
«Ja, die alte Welt altert, das ist das Gegenteil<br />
<strong>zu</strong>m arabischen Frühling –aber wer möchte<br />
diesen denn schon? Mit Millionen von Kindern<br />
und Jugendlichen, die kaum eine Chance<br />
haben?» Für <strong>Peter</strong> Gross ist klar –alle Menschen<br />
wollen ihre Kinderzahl selbst bestimmen,<br />
und alle Menschen wollen lange <strong>leben</strong>.<br />
Deutschland, Österreich und die Schweiz mit<br />
ihren neben Japan ältesten Bevölkerungen der<br />
Welt seien deshalb nicht die «Schlusslichter<br />
der Weltzivilisation, sondern Weltmarktführer».<br />
Man mussesselbst lesen, wie <strong>Peter</strong>Gross<br />
seine geschichtsphilosophische Vision immer<br />
neu umkreist und beschreibt. Der Eintritt der<br />
Alten in die Weltgeschichte als Eintritt der Ruhestifter.<br />
Das Fortschreiten der demografischen<br />
Evolution von Bevölkerungen mit hoher<br />
Kinderzahl und tiefer Lebenserwartung <strong>zu</strong> solchen<br />
mit tiefer Kinderzahl und hoher Lebenserwartung.<br />
Generationenbäume, die in immer<br />
mehr Ländern in die Höhe wachsen, <strong>zu</strong> Hochstammkulturen.<br />
Immer mehr Langlebigkeitsgesellschaften«werden<br />
weltweit in demografisch<br />
beruhigte, kontemplative, friedliche und nachhaltige<br />
Gesellschaften einmünden». Seine<br />
Hoffnung auf eine von Europa ausgehende<br />
«global sich verbreitende Beruhigung und Befriedung<br />
einer unduldsamen und sich selbst andauernd<br />
überfordernden und letztlich sich<br />
selbst verzehrenden Gesellschaft».<br />
Kühn und grandios stellt <strong>Peter</strong> Gross unsere<br />
gängigen säuerlich-pessimistischen Altersszenarien<br />
auf den Kopf.Oder stellt er sie vielleicht,<br />
in echt philosophischer Manier, vom Kopf auf<br />
die Füsse? Wohl eher das Letztere. Die Langlebigen<br />
sind für <strong>Peter</strong> Gross das Fundament<br />
einer Gesellschaft, die ohne sie «bersten und<br />
auseinanderfliegen» würde. l<br />
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14 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
Kolumne<br />
Charles Lewinskys Zitatenlese<br />
Kurzkritiken Sachbuch<br />
Wasist ein Name?<br />
Wasuns Rose heisst,<br />
Wieesauch hiesse,<br />
würde lieblich duften.<br />
Esther Girsberger: Livia Leu. Unsere<br />
Botschafterin in Iran. Wörterseh,<br />
Gockhausen 2013. 176Seiten, Fr.39.90.<br />
Wulf Rössler,Hans Danuser (Hrsg.): Burg<br />
aus Holz. Das Burghölzli. NZZ Libro,<br />
Zürich 2013. 240Seiten, Fr.74.90.<br />
GAËTAN BALLY/KEYSTONE<br />
Der AutorCharles<br />
Lewinskyarbeitet in<br />
den verschiedensten<br />
Sparten. Sein letztes<br />
Buch «Schweizen –<br />
vierundzwanzig<br />
Zukünfte»ist im<br />
Verlag Nagel &<br />
Kimche erschienen.<br />
William Shakespeare<br />
Da hat also Joanne K. Rowling, die<br />
Königin aller Bestsellerlisten, einen<br />
Krimi geschrieben, und davon wurden<br />
im ersten Vierteljahr gerade mal 1500<br />
Exemplare verkauft, Weniger als nichts<br />
für jemanden, von dessen Harry-Potter-<br />
Romanen fast eine halbe Milliarde Exemplare<br />
über die weltweiten Ladentische<br />
gingen.<br />
«The Cuckoo’s Calling» heisst das<br />
Buch, und Frau Rowling hat sich damit<br />
ganz bewusst selber ein Kuckucksei ins<br />
Nest gelegt. Sie liess den Roman nämlich<br />
nicht unter dem umsatzbefördernden<br />
eigenen Namen erscheinen, sondern<br />
unter dem Pseudonym Robert<br />
Galbraith. Und für Herrn Galbraith<br />
interessierten sich weder Literaturkritiker<br />
noch Bücherkäufer.<br />
Bis dann durchsickerte (oder wäre<br />
die korrekte Verbform «durchgesickert<br />
wurde»?), wer sich hinter diesem unbekannten<br />
Mr. Galbraith verbarg. Worauf<br />
der Krimi sofort in den Bestsellerlisten<br />
landete. Für die deutsche Überset<strong>zu</strong>ng<br />
wird eine Startauflage von 200000 Exemplaren<br />
angekündigt.<br />
Wasbewegt eine erfolgreiche Autorin<br />
da<strong>zu</strong>, auf den Startvorteil ihres bekannten<br />
Namens <strong>zu</strong> verzichten und<br />
sich gewissermassen ohne Kopfschutz<br />
und Ellbogenschoner ins Getümmel<br />
des heiss umkämpften Büchermarktes<br />
<strong>zu</strong> stürzen? Wer sich mit hartem Training<br />
in die Weltspitze der Langstreckenläufer<br />
vorgearbeitet hat, startet<br />
beim New York Marathon ja auch nicht<br />
freiwillig aus der achtundzwanzigsten<br />
Reihe.<br />
Warum also? Inden Potter-Romanen<br />
wird der Bösewicht aller Bösewichte<br />
immer mit «Jener, dessen Name nicht<br />
genannt werden darf» bezeichnet.<br />
Aber damit wird eswohl nichts <strong>zu</strong><br />
tun haben.<br />
Ich vermute, dass hinter der scheinbaren<br />
Bescheidenheit eines unbekannten<br />
Namens in Wirklichkeit eine gehörige<br />
Portion Eitelkeit steckt. Vielleicht<br />
wollte sich Frau Rowling beweisen,<br />
dass sie es auch unter anderem Namen<br />
schaffen würde, einen Bestseller <strong>zu</strong> landen.<br />
Wie wenn Usain Bolt die Behauptung<br />
aufstellte: «Ihr könnt mir auch<br />
einen Mehlsack auf den Rücken binden,<br />
und ich laufe die hundert Meter immer<br />
noch schneller als ihr!»<br />
Wenn es so war, hat esnicht geklappt.<br />
Zu Harry-Potter-Zeiten hat sie<br />
wahrscheinlich 1500 Exemplare als<br />
Leseexemplare andie Buchhandlungen<br />
der Fiji-Inseln verschickt.<br />
Übrigens: Wenn Sie Ihren Namen<br />
nicht mehr brauchen, verehrte<br />
Mrs. Rowling, würden Sie ihn mir dann<br />
vielleicht für mein<br />
nächstes Buch ausleihen?<br />
Ich bin sicher, erwäre<br />
dem Umsatz sehr<br />
förderlich.<br />
Livia Leu (52) ist erst die zweite Frau<br />
weltweit, die Botschafterin in Iran<br />
wurde. 1989 trat die Juristin in den diplomatischen<br />
Dienst, wurde stellvertretende<br />
Abteilungschefin im Aussendepartement<br />
in Bern, bevor Micheline<br />
Calmy-Rey sie als Missionschefin nach<br />
Teheran schickte (2009 bis Sommer<br />
2013). Zur Aufgabe der Schweizer Botschaft<br />
gehört dort auch die Vertretung<br />
der US-Interessen. Für den Einsatz <strong>zu</strong>r<br />
Freilassung von drei amerikanischen<br />
Touristen erhielt Leu grosses Lob von<br />
Aussenministerin Hillary Clinton. Dass<br />
die Mutter zweier schulpflichtiger Kinder<br />
den Spagat zwischen Familie und<br />
Beruf scheinbar mühelos meistert, hat<br />
mit ihrer Kompetenz und mit der Leichtigkeit<br />
<strong>zu</strong> tun, mit der sie sich auf gesellschaftlichem<br />
Parkett bewegt. Das Buch<br />
gibt einen Einblick in Leus Alltag in Teheran.<br />
Heute ist sie Leiterin für bilaterale<br />
Wirtschaftsbeziehungen im Seco.<br />
UrsRauber<br />
Meriwether Lewis, William Clark: Der<br />
weiteWeg nach Westen. 1804/06. Edition<br />
Erdmann, Wiesbaden 2013. 368 S., Fr.34.40.<br />
Präsident Jeffersons Auftrag war klar:<br />
Die beiden Captains Meriwether Lewis<br />
und William Clark sollten den Missouri<br />
erkunden und einen Weg durch die<br />
Rocky Mountains <strong>zu</strong>m Pazifik finden.<br />
Nach drei Jahren traf die verschollen geglaubte<br />
Expedition nach 8000 Meilen<br />
vollzählig in St.Louis ein: <strong>Eine</strong>r warumgekommen,<br />
die Dolmetscherin Sacagawea<br />
hatte einen Sohn geboren. Die<br />
Wege waren kartiert, neue Tier- und<br />
Pflanzenarten beschrieben. Die weiten<br />
Prärien mit ihren Bisonherden und die<br />
Rockies wurden erstmals von Weissen<br />
durchquert; für die Indianer war nach<br />
dieser Begegnung nichts mehr wie früher:<br />
Das Tor<strong>zu</strong>m mythischen Go West<br />
der Siedlerströme war aufgestossen. In<br />
einer Neuauflage lässt das Buch auch<br />
den Karl-May-Mythos auf<strong>leben</strong> – nur<br />
eben nicht als Fiktion, sondern als erlebte<br />
Realität. Immer wieder spannend!<br />
GenevièveLüscher<br />
Für die einen Ort der Versenkung, für<br />
andere eine «Ikone der Psychiatrie»:<br />
das Zürcher Burghölzli. Der ehemalige<br />
Klinikdirektor Wulf Rössler lässt in<br />
einem grossformatigen Bild-Text-Band<br />
die Geschichte und klingende Namen<br />
dieser psychiatrischen Institution<br />
Revue passieren: Auguste Forel, Eugen<br />
und Manfred Bleuler, Carl Gustav Jung;<br />
auch «Struwwelpeter»-Autor Heinrich<br />
Hoffmann gehörte <strong>zu</strong>den Gründungsvätern.<br />
Die Innensicht wird ergänzt<br />
durch die Aussenperspektive prominenter<br />
Autoren wie Daniel Libeskind, <strong>Peter</strong><br />
von Matt, Adolf Muschg, Elisabeth<br />
Bronfen, JakobTanner.Sie werfen einen<br />
Blick auf die Psychiatrie und deren «Unterholz»<br />
– aus Sicht von Architektur,<br />
Film, Literatur,Theaterund Geschichte.<br />
Das schmucke Buch ist reich illustriert,<br />
vor allem mit der in verschiedenem<br />
Licht fotografierten klobig-rauen Burg<br />
aus Holz von Hans Danuser.<br />
UrsRauber<br />
Paul BernhardRothen: idegottvergässne<br />
stedt. Mani Matterund das Christentum.<br />
Zytglogge,Oberhofen 2013. 143 S., Fr.27.90.<br />
Als Kind hat Paul Bernhard Rothen,<br />
heute Pfarrer in Hundwil, Mani Matter<br />
noch live erlebt. Später habe er dann<br />
dessen Texte gerne in Predigt und Konfirmandenunterricht<br />
verwendet. Nun<br />
hat ihn Matters «Cambridge Notizheft»<br />
(erschienen 2011) <strong>zu</strong> einer Gesamtinterpretation<br />
des matterschen Denkens und<br />
Schreibens angeregt. Er holt dafür geistesgeschichtlich<br />
weit aus, auch wenn’s<br />
«bloss» ums Zündhölzli geht. Und er<br />
entdeckt bei Matter, der sich für moderne<br />
Theologie interessierte, aber vollkommen<br />
areligiös aufwuchs und blieb,<br />
etwas gar viel Christliches. Doch den<br />
lapidaren Witz und die Alltagsthematik<br />
der Lieder für einmal mit den politischtheologischen<br />
Gedanken der Tagebücher<br />
<strong>zu</strong>sammen <strong>zu</strong> betrachten, erhellt<br />
den geliebten Värslischmied auf neue<br />
Weise: in seiner grossen Doppelbegabung<br />
als Künstler und als Denker.<br />
Kathrin Meier-Rust<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 15
Sachbuch<br />
Eurokrise Die europäische Währungsunion krankt an zwei Grundlagen-Irrtümern des Vertrages von<br />
Maastricht 1992.Thilo Sarrazin rezensiert zwei neue Bücher,die diesen Befund illustrieren<br />
Näher beiEngland<br />
alsbei Frankreich<br />
DDP<br />
David Marsh: Beim Geld hörtder Spass<br />
auf. Warum die Eurokrise nicht mehr<br />
lösbar ist. EuropaVerlag, München 2013.<br />
176Seiten, Fr.16.90,E-Book 9.90.<br />
DominikGeppert: Ein Europa,das es nicht<br />
gibt. Die fatale Sprengkraftdes Euro.<br />
EuropaVerlag, München 2013. 192Seiten,<br />
Fr.25.9o.<br />
VonThilo Sarrazin<br />
Gegenwärtig weiss man kaum, was<br />
schneller steigt: Die Arbeitslosigkeit in<br />
den Euro-Krisenländern oder die Anzahl<br />
der Eurobücher. Beides hängt vielleicht<br />
miteinander <strong>zu</strong>sammen. Die<br />
wachsenden Spannungen im Euroraum<br />
seit 2009 fordern ja <strong>zu</strong>r Analyseund <strong>zu</strong>r<br />
Vergewisserung über den eigenen<br />
Standort heraus. Journalisten grosser<br />
Wirtschaftsblätter berichten mir, dass<br />
sie bei ihren Lesern eine <strong>zu</strong>nehmende<br />
Ermüdung beobachten. Es ist wie beim<br />
Thilo Sarrazin<br />
Thilo Sarrazin, 68, SPD-Politiker,sass<br />
bis 2010imVorstand der Deutschen<br />
Bundesbank. Seine Streitschrift<strong>zu</strong>r<br />
Einwanderung «Deutschland schafft sich<br />
ab»(2010) warein Bestseller.Sein<br />
letztes Buch «Europabraucht den Euro<br />
nicht» (2012) wurde in «Bücher am<br />
Sonntag» vom27. Mai 2012besprochen.<br />
16 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />
Nahost-Konflikt: Ständig neue Facetten<br />
einer fernen Katastrophe und doch<br />
keine Lösung in Sicht –irgendwann mag<br />
man das nicht mehr hören.<br />
Gleichwohl nehme ich jedes neue Eurobuch<br />
mit Interesse <strong>zu</strong>r Hand und versuche<br />
mich auf die Subjektivität des<br />
Verfassers und seine spezifische Mischung<br />
von Weltbild, Zorn, Hoffnung<br />
und Besorgnis ein<strong>zu</strong>lassen. Mit jeder<br />
Lektüre changieren auch meine Ansichten<br />
<strong>zu</strong>m Thema ein wenig, obwohl sie<br />
doch alles in allem recht gefestigt sind.<br />
David Marsh hat mit seinem schmalen<br />
Band «Beim Geld hört der Spass<br />
auf», das in wenigen Stunden <strong>zu</strong> lesen<br />
ist, quasi ein Schlaglicht auf den gegenwärtigen<br />
Stand der Eurokrise geworfen,<br />
dabei aber gleichwohl die Vorgeschichte<br />
der gemeinsamen Währung und die<br />
weiteren Perspektiven miteinbezogen.<br />
Klarsichtig, mit feiner Ironie<br />
David Marsh ist als langjähriger Deutschland-Korrespondent<br />
der «Financial<br />
Times» ein profunder Kenner der Euro-<br />
Vorgeschichte. Er hört <strong>zu</strong> und hält sich<br />
mit Wertungen <strong>zu</strong>rück. Nahe<strong>zu</strong> alle wesentlichen<br />
Akteure des europäischen<br />
Währungsgeschehens in den letzten<br />
drei Jahrzehnten waren oder sind seine<br />
Gesprächspartner,davon profitiert auch<br />
dieses Buch.<br />
Klarsichtig und mit feiner Ironie legt<br />
er logische Widersprüche, Interessengegensätze<br />
und die in den Machtkonstellationen<br />
angelegten Denk- und Entscheidungsblockaden<br />
bloss. Es wird<br />
klar, dass erden Euro unter rein ökonomischen<br />
Aspekten für einen Fehler hält,<br />
das Auseinanderbrechen der Eurozone<br />
aber für unwahrscheinlich. Für Wachstum,<br />
Beschäftigung und Staatsschulden<br />
sowie die Eintracht unter den Völkern<br />
wird dies aus seiner Sicht einen Preis in<br />
noch unbestimmter Höhe mit sich bringen,<br />
den Marsh wie folgt beschreibt:<br />
«Durch eine unglückliche Mischung aus<br />
verspäteter Einsicht und mangelnder<br />
Tatkraft verurteilt sich …der alte Kontinent<br />
da<strong>zu</strong>, künftig im globalen Konzert<br />
der aktivenNationen der Welt nur mehr<br />
eine untergeordnete Rolle <strong>zu</strong> spielen.»<br />
Marsh vermeidet Parteinahmen und<br />
macht auch keine Lösungsvorschläge.<br />
Mit dieser Haltung ist er ganz der beobachtende<br />
Journalist. Und diese freundliche<br />
Äquidistanz <strong>zu</strong> den politischen<br />
Kontrahenten beschert ihm immer wieder<br />
erhellende Zitate. So bekannte der<br />
sicherheitspolitische Berater von Präsident<br />
Mitterrand, Jacques Attali, gegenüber<br />
Marsh offen, der Vertrag vonMaastricht<br />
sei eine äusserst komplizierte<br />
Operation mit einem Hauptziel, die D-<br />
Mark ab<strong>zu</strong>schaffen. Auf deutsch: Niemals<br />
hatten die Franzosen die sonstigen<br />
Vertragsinhalte wirklich ernst genommen,<br />
das erklärt ihr Verhalten bis heute.<br />
Nicht ganz klar ist die Zielset<strong>zu</strong>ng des<br />
Buches von Dominik Geppert «Ein Europa,das<br />
es nicht gibt». Es ist ein flüssig<br />
geschriebenes und angenehm <strong>zu</strong> lesendes<br />
Buch, in dem die historischen Passagen,<br />
der Profession des Autors entsprechend,<br />
den grössten Erkenntniswert<br />
haben, aber auch nichts <strong>Neue</strong>s oder<br />
Überraschendes <strong>zu</strong>tage fördern.<br />
Zu Recht stellt Geppert die gemeinsame<br />
Währung in die historische Tradition<br />
der Bemühungen, ein in der Mitte<br />
Europa liegendes Deutschland, das einerseits<br />
für ein Gleichgewicht der Staaten<br />
<strong>zu</strong>gross, andererseits aber für eine<br />
Hegemonialmacht <strong>zu</strong> klein ist, in ein<br />
transnationales Geflecht ein<strong>zu</strong>binden.<br />
Und <strong>zu</strong>Recht steht dabei die Beziehung<br />
zwischen Deutschland und Frankreich<br />
im Mittelpunkt.<br />
Über der Erzählfreude des Autors geratenaber<br />
ein wenig die beiden grundlegenden<br />
Irrtümer aus dem Blick, die sowohl<br />
die Einführung des Euro wie auch<br />
die heutige Eurokrise erklären:
ULLSTEIN<br />
Die Abschaffung der<br />
D-Mark über den<br />
Maastricht-Vertrag<br />
warein Ziel von<br />
François Mitterrand.<br />
Hier im Gespräch<br />
mit Jacques Attali<br />
(ganz rechts), am<br />
Sozialistentreffenin<br />
Alfortville, 1.1.1980.<br />
• Deutschland wollte die gemeinsame<br />
Währung, weil die verantwortlichen Politiker<br />
mit Helmut Kohl an der Spitze<br />
hofften, die dadurch ausgelösten Sachzwänge<br />
würden die weitere politische<br />
Integration vorantreiben und so die politische<br />
Union quasi durch die Hintertür<br />
erzwingen.<br />
• Frankreich wollte die gemeinsame<br />
Währung, weil seine Politiker glaubten,<br />
die Okkupation der D-Mark durch die<br />
französische Politik werde der wirtschaftlichen<br />
Überlegenheit Deutschlands<br />
ein Ende setzen. Geppert zitiert<br />
François Mitterrand, der Ende der achtziger<br />
Jahre die unabhängige deutsche<br />
Währungspolitik als die «deutsche<br />
Atombombe» bezeichnet.<br />
Norden soll für Süden zahlen<br />
Deutschland irrteamVorabend des Vertrags<br />
von Maastricht, weil es nicht erkannte,<br />
dass eine falsch konzipierte<br />
Währungsunion zwar Volkswirtschaftendestabilisieren,<br />
nicht aber politische<br />
Schritte erzwingen kann, die einige beteiligteStaaten<br />
partoutnicht gehen wollen.<br />
Frankreich irrte am Vorabend des<br />
Vertrags von Maastricht, weil seine verantwortlichen<br />
Politiker die Natur einer<br />
Währung nicht begriffen: <strong>Eine</strong> starke<br />
Währung ist stets die Folge einer starken<br />
Wirtschaft, niemals aber ihre Ursache.<br />
Im Gegenteil: Es kann höchst fatale<br />
Folgen für eine Volkswirtschaft haben,<br />
wenn der Wechselkurs der Währung<br />
höher ist, als es ihrer Wettbewerbsfähigkeit<br />
entspricht.<br />
Voller Entsetzen sehen die französischen<br />
Politiker nun, dassdas wirtschaftliche<br />
und politische Gewicht Deutschlands<br />
in Europa gerade deshalb wächst,<br />
weil der Franc nicht mehr abwerten und<br />
die D-Mark nicht mehr aufwerten kann.<br />
Die deutsche Politik wiederum sieht<br />
sich plötzlich im Besitz einer politischen<br />
und wirtschaftlichen Dominanz,<br />
die sie niemals wollte. Sie scheut sich<br />
aber auch, deutsche Arbeitsplätze und<br />
Exporte quasi willkürlich aufs Spiel <strong>zu</strong><br />
setzen, nur um den Franzosen einen Gefallen<br />
<strong>zu</strong> tun.<br />
Helmut Kohl, der ja auch Historiker<br />
war, hätte es wissen können. Geppert zitiert<br />
ihn mit den Worten, dass«die Mentalität<br />
etwa im Umgang mit staatlichen<br />
Institutionen bis hin <strong>zu</strong>r Staatskasse im<br />
Norden und im Süden von Geburt an<br />
unterschiedlich ist». Kohls ökonomische<br />
Einsicht reichte aber leider nicht<br />
bis <strong>zu</strong>r Erkenntnis, das sich solche Mentalitätsunterschiede<br />
mit einer gemeinsamen<br />
Währung kaum vereinen lassen.<br />
Sehr anschaulich arbeitet Geppert an<br />
verschiedenen Stellen seines Buches die<br />
wachsende Entfremdung und Feindseligkeit<br />
innerhalb der Währungsunion<br />
heraus: Der Norden sieht nicht ein, dass<br />
er für die Fehler und Nachlässigkeit des<br />
Südens bürgen und zahlen soll, egal, ob<br />
man von Rettungsschirmen, Eurobonds<br />
oder einer Fiskalunion spricht. Der<br />
Süden wiederum wehrt sich dagegen,<br />
dassseine wirtschaftlichen und sozialen<br />
Mentalitäten wesentlich «deutscher»<br />
werden müssen, wenn Volkswirtschaften<br />
der südlichen Länder in einem gemeinsamen<br />
Währungsraum ohne Veränderung<br />
von Wechselkursen bestehen<br />
sollen.<br />
Britische Option als Ausweg<br />
Im letzten Kapitel skizziert Geppert drei<br />
denkbare Wege aus der Krise: «erstens<br />
der verspätete Durchbruch <strong>zu</strong> den Vereinigen<br />
Staaten von Europa, zweitens<br />
die Weiterentwicklung der Transferund<br />
Haftungsunion durch die Zusammenarbeit<br />
der nationalen Regierung<br />
oder drittens eine Integration durch Dezentralisierung<br />
und Wettbewerb, innerhalb<br />
derer sich die Mitgliedsländer in<br />
verschiedenen Konstellationen und unterschiedlicher<br />
Intensität bei Teilprojekten<br />
der europäischen Einigung <strong>zu</strong>sammentun.»<br />
Die Beschreibung und Abwägung dieser<br />
drei Wege hätte man sich etwas<br />
gründlicher und analytischer gewünscht.<br />
Geppert bleibt hier leider im<br />
Wesentlichen bei einer Zitatensammlung<br />
stehen.<br />
Aufschlussreich ist jedoch seine Einschät<strong>zu</strong>ng,<br />
dass der offenbar von ihm<br />
bevor<strong>zu</strong>gte dritte Weg aus der Krise<br />
ziemlich genau den Vorstellungen entspricht,<br />
die der britische Ministerpräsident<br />
Davon Cameron in seiner Europarede<br />
im Januar 2013, in der er auch ein<br />
britisches Referendum <strong>zu</strong>r EU in Aussicht<br />
stellte, skizziert hat.<br />
Ganz <strong>zu</strong> Recht stellt Geppert fest,<br />
dassdie tatsächliche Interessenidentität<br />
in Europa zwischen Deutschland und<br />
Grossbritannien viel grösser ist als jene<br />
zwischen Deutschland und Frankreich.<br />
Er schreibt, «mit einer weltoffeneren,<br />
liberaleren EU inklusive Grossbritanniens<br />
(wäre) eine Stärkung der Verbindung<br />
<strong>zu</strong> den USA, etwa in Form einer<br />
transatlantischen Freihandelszone,<br />
leichter <strong>zu</strong> bewerkstelligen als mit<br />
einem auf Süd- und Westeuropa reduzierten<br />
und <strong>zu</strong>m Protektionismus tendierenden<br />
Rumpf, in dem die antiamerikanischen<br />
Reflexe der französischen<br />
Aussenpolitik ein grösseres Gewicht<br />
hätten».<br />
Für die Zukunft der Währungsunion<br />
fordert Geppert verschleiert eine deutsche<br />
Austrittsoption: Die deutsche Regierung<br />
müsse «im Notfall auch <strong>zu</strong> einseitigen<br />
Schritten bereit sein, um dafür<br />
<strong>zu</strong> sorgen, dass die Bestimmungen befolgt<br />
werden.» Ob diese Überlegung in<br />
den künftigen Vermerken der Ministerialbeamten<br />
für Merkel oder Schäuble<br />
auftauchen wird, wenn der nächste Krisengipfel<br />
vorbereitet wird? Der Rezensent<br />
bezweifelt es. l<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 17
Sachbuch<br />
Philosophie <strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>s differenziertes Werk über die menschliche Würde bietet Lesegenussund ist<br />
eine Einladung <strong>zu</strong>m selbständigen Nachdenken<br />
DerinnereKompass<br />
<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>: <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong><strong>zu</strong><strong>leben</strong>. Überdie<br />
Vielfalt menschlicher Würde. Hanser,<br />
München 2013. 384 Seiten, Fr.38.90.<br />
VonKlaraObermüller<br />
«Die Würde des Menschen ist unantastbar»,<br />
sagt das Deutsche Grundgesetz.<br />
«Die Würde des Menschen ist <strong>zu</strong> achten<br />
und <strong>zu</strong> schützen», heisst es in <strong>Art</strong>. 7der<br />
Schweizerischen Bundesverfassung. Die<br />
beiden Sätzesind bekannt. Politiker führen<br />
sie im Munde. Menschenrechtsaktivisten<br />
berufen sich auf sie. Aber was<br />
bedeuten sie wirklich? Was verstehen<br />
wir unter Würde? Wodurch wirdsie verletzt?<br />
Und warum ist das so schlimm?<br />
Bei solchen und ähnlichen Fragen<br />
setzt der in Berlin lehrende Schweizer<br />
Philosoph und Schriftsteller <strong>Peter</strong> <strong>Bieri</strong><br />
ein, wenn er in seinem neuesten Werk<br />
darüber nachdenkt, welche Konsequenzen<br />
die Vorstellung der Menschenwürde<br />
für unsere «<strong>Art</strong> <strong>zu</strong> <strong>leben</strong>» hat. Dabei<br />
geht er nicht von Definitionen aus, sondern<br />
von Erfahrungen, die jedermann<br />
nachvollziehen kann. «Philosophie, wie<br />
ich sie verstehe,ist der Versuch, begriffliches<br />
Licht in wichtigeErfahrungen des<br />
menschlichen Lebens <strong>zu</strong> bringen», so<br />
lautet der erste Satz des vorliegenden<br />
Buches. Er ist wichtig, denn er umschreibt<br />
die Methode, nach der <strong>Bieri</strong> arbeitet,<br />
und er erklärt, warum der Autor<br />
ganz im Sinne eines William James oder<br />
Ludwig Wittgenstein vonder Würde als<br />
«Lebensform» spricht und dabei statt<br />
von Ideen von der «Vielfalt» menschlicher<br />
Erfahrungen ausgeht.<br />
Würde ist unverhandelbar<br />
Getreu diesem Vorsatz nimmt <strong>Bieri</strong><br />
seine Leserinnen und Leser bei der<br />
Hand und lässt sie an den eigenen und,<br />
wie er selber sagt, «unabgeschlossenen»<br />
Gedankenbewegungen teilhaben.<br />
Ähnlich wie schon in seinem letzten<br />
philosophischen Werk, «Das Handwerk<br />
der Freiheit», erweist sich der Philosoph<br />
auch hier immer wieder als Schriftsteller,<br />
der seine Gedanken in Form von<br />
Geschichten präsentiert und anhand literarischer<br />
Beispiele verdeutlicht, um<br />
welche <strong>Art</strong> vonErfahrung es ihm gerade<br />
geht. Leitmotivisch ziehen sich Werke<br />
wie Millers «Tod eines Handlungsreisenden»,<br />
Nabokovs «Lolita», O’Neills<br />
«<strong>Eine</strong>s langen TagesReise in die Nacht»,<br />
Albees «Wer hat Angst vor Virginia<br />
Woolf», Kafkas «Prozess», Orwells<br />
«1984» und anderemehr durch das Buch<br />
und machen deutlich, wie Würde verstanden<br />
und auf wie unterschiedliche<br />
Weise sie auf politischer Ebene, aber<br />
auch im privaten Bereich verletzt werden<br />
kann.<br />
Es ist deshalb kein Zufall, dass jedes<br />
Kapitel die Vorstellung von Würde<br />
Nabokovs«Lolita»<br />
zieht sich, <strong>zu</strong>sammen<br />
mit anderen Werken,<br />
leitmotivisch durch<br />
das neue Buch von<br />
<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>. Szene<br />
aus StanleyKubricks<br />
«Lolita»-Verfilmung<br />
mit Sue Lyon und<br />
James Mason (1962).<br />
unter einem anderen Aspekt –Würde<br />
als Selbständigkeit, Würde als Wahrung<br />
der Intimität, als Selbstachtung, als Anerkennung<br />
der Endlichkeit usw. –behandelt<br />
und versucht, aus der Unterschiedlichkeit<br />
der Erfahrungen das Gemeinsame<br />
heraus<strong>zu</strong>arbeiten. Empfindungen<br />
wie das Bedürfnis nach Selbstbestimmung,<br />
nach Schutz der Intimität, nach<br />
Selbstachtung spielen dabei eine zentrale<br />
Rolle. Werden diese missachtet, etwa<br />
dann, wenn Menschen wie Objekte behandelt,<br />
gequält, gedemütigt und in<br />
ihrer Ohnmacht <strong>zu</strong>r Schau gestellt werden,<br />
dann muss von einer Verlet<strong>zu</strong>ng<br />
ihrer Würde gesprochen werden.<br />
Mehr an Definition ist <strong>Bieri</strong> allerdings<br />
nicht <strong>zu</strong> geben bereit. Ihm ist es<br />
wichtiger, aneiner Fülle von Beispielen<br />
auf<strong>zu</strong>zeigen, unter welchen Bedingungen<br />
und in welchen Situationen dies geschehen<br />
kann: im Beruf wie im Stück<br />
vonMiller,inLiebe,Ehe und Familie wie<br />
bei O’Neill, Nabokov und Albee oder<br />
aber in politischen Systemen, wie Orwell<br />
dies in seinem utopischen Roman<br />
«1984» für alle Zeiten gültig vorweggenommen<br />
hat.<br />
Die Umstände, sogibt der Autor mit<br />
diesem Vorgehen <strong>zu</strong> verstehen, mögen<br />
verschieden sein, die Mechanismen der<br />
Vernichtung sind immer dieselben. Es<br />
gibt keine Rangordnung, Würde ist<br />
Würde und ihre Zerstörung in jedem<br />
Fall eine existenzielle Katastrophe.<br />
Denn die Vorstellung von Würde ist<br />
uns, so <strong>Bieri</strong>, nicht von irgendeiner höheren<br />
Instanz verordnet worden, sondern<br />
wir haben sie entwickelt, «um das<br />
Leben mit seinen Gefährdungen und Zumutungen<br />
besser bestehen <strong>zu</strong> können».<br />
Sie ist der Kompass, der unsere <strong>Art</strong> <strong>zu</strong><br />
<strong>leben</strong> bestimmt, sie ist der Massstab, der<br />
unser Verhalten regelt, und sie setzt die<br />
Grenzen, die nicht überschritten werden<br />
dürfen. Deshalb ist Würde nicht<br />
verhandelbar. Oder doch?<br />
Moralische Sackgassen<br />
Es ist das grosse Verdienst dieses Buches,<br />
dass esauch sagt, wo von einer<br />
Verlet<strong>zu</strong>ng der Würde nicht gesprochen<br />
werden sollte –angesichts von Krankheit<br />
und Gebrechlichkeit <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
–und wo, umgekehrt, die Verlet<strong>zu</strong>ng der<br />
Würde Einzelner hingenommen werden<br />
muss, um das Leben vieler <strong>zu</strong> retten.<br />
<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong> rechtfertigt die Folter an Terroristen<br />
nicht, und er verurteilt auch<br />
niemanden, der einem subjektiv als<br />
würdelos empfundenen Leiden ein vorzeitiges<br />
Ende setzen will. Er zeigt nur<br />
auf, inwelche moralischen Sackgassen<br />
man geraten kann, wenn man den Begriffder<br />
Würde ein für alle Mal definiert<br />
haben will, statt «aus der Situation heraus<br />
selbständig darüber nach<strong>zu</strong>denken»,<br />
was sie bedeutet.<br />
<strong>Bieri</strong>s Werk über die «Vielfalt<br />
menschlicher Würde» ist eine Einladung<br />
<strong>zu</strong> solchem selbständigen Nachdenken.<br />
Es ist bewusstoffen gehalten, es<br />
lässt den Zweifel <strong>zu</strong> und die Widerrede,<br />
und es verhehlt nicht, dass dem Autor<br />
<strong>Bieri</strong> manches nicht klarer ist als dem<br />
<strong>zu</strong>künftigen Leser. Gerade deshalb aber<br />
wird die Lektüre <strong>zu</strong>m intellektuellen<br />
Gewinn. l<br />
FILMBILDARCHIV /COVERPICTURE<br />
18 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
Autobiografie Der brillanteamerikanische Publizist Christopher Hitchens schreibt ebenso ironisch<br />
wie heiter über die Erfahrung mit seiner Krebserkrankung<br />
EinAtheist stirbt<br />
in allerÖffentlichkeit<br />
Christopher Hitchens: Endlich. Mein<br />
Sterben. Pantheon, München 2013.<br />
128 Seiten, Fr.19.90,E-Book 12.90.<br />
VonKathrin Meier-Rust<br />
Als bekannt wurde, dass der scharfzüngige<br />
Christopher Hitchens im Alter von<br />
61 Jahren an Speiseröhrenkrebserkrankt<br />
ist, liess eine überzeugte Christin im Internet<br />
vernehmen, die Krankheit zeige<br />
«Gottes Rache an ihm …, weil er seine<br />
Stimme gebraucht hat, um ihn <strong>zu</strong> lästern».<br />
Für Hitchens war solch «gläubiges<br />
Händereiben» natürlich ein gefundenes<br />
Fressen: weshalb denn nicht ein<br />
Blitz aus heiterem Himmel? –fragte er.<br />
Die rächende Gottheit zeige «ein peinlich<br />
geschrumpftes Arsenal», wenn ihr<br />
nichts anderes einfalle als genau jener<br />
Krebs, den sein Alter, sein Lebensstil<br />
und seine Gene statistisch nahelegten<br />
(sein Vater war an Speiseröhrenkrebs<br />
gestorben). Und erinnert genüsslich<br />
daran, dass viele fromme Menschen<br />
jung gestorben sind, während Atheisten<br />
wie Russell und Voltaire munter uralt<br />
wurden.<br />
Mit Gusto erzählt Hitchens diese Geschichte<br />
inseinem postum erschienen<br />
Buch über seine Krankheit, die <strong>zu</strong>m<br />
Tode führte. Hitch, wie der englische<br />
Journalist und Autor inseiner Wahlheimat<br />
USA hiess, liebte den öffentlichen<br />
Streit mit Argumenten über alles, je bissiger<br />
und polemischer, desto besser, mit<br />
intellektuell ebenbürtigen Gegnern wie<br />
etwa dem Katholiken Tony Blair ebenso<br />
wie –leider –auch mit schlichten gläubigen<br />
Gemütern, die weiss Gott leicht<br />
<strong>zu</strong> schlagen, aber natürlich niemals <strong>zu</strong><br />
überzeugen waren. Wie Richard Dawkins<br />
gehörte er<strong>zu</strong>jenen prominenten<br />
Atheisten, die Religion mit fanatischem<br />
Fundamentalismus gleichsetzen und sie<br />
deshalb mit «Spott, Hass und Verachtung»<br />
bekämpfen, wie Hitchens einmal<br />
in einer Talkshow forderte. Mit derselben<br />
Verve verteidigte der ehemals linke<br />
Publizist aber auch die amerikanische<br />
Invasion in den Irak, was ihn wiederum<br />
nicht daran hinderte, sich selbst dem<br />
Waterboarding aus<strong>zu</strong>setzen, um es aus<br />
eigener Erfahrung als Folter an<strong>zu</strong>prangern.<br />
Sieben Essays sind es geworden,<br />
bevor Hitchens, anderthalb Jahre nach<br />
der vernichtenden Diagnose,imDezember<br />
2011 unerwartet an einer Lungenentzündung<br />
starb. Präzis und immer mit<br />
jener Ironie, die er als «mein Geschäft»<br />
bezeichnet, umkreist er die Themen,<br />
denen er nach der plötzlichen «Deportation<br />
aus dem Land der Gesunden ins<br />
Territorium der Krankheit» begegnet:<br />
die Merkwürdigkeiten von Tumorland,<br />
wo der Humor schwach und die Küche<br />
sehr schlecht sei. Die taktlosen Fragen,<br />
COLLECTION KHARBINE-TAPABOR<br />
unaufgeforderten Ratschläge und Gerüchte<br />
von Wunderkuren, die über<br />
einen Krebspatienten hereinbrechen –<br />
Christopher Hitchens sieht dringenden<br />
Bedarffür ein «Benimm-Handbuch» für<br />
Krebs. Das bizarreDilemma, sich auf ein<br />
stoisches Sterben vor<strong>zu</strong>bereiten bei<br />
gleichzeitig höchstem Interesse am<br />
Über<strong>leben</strong>.<br />
Die zahllosen Schrecklichkeiten und<br />
Schmerzen der Entdeckung, dass man<br />
nicht einen Körper hat, sondern ein<br />
Körper ist. Und schliesslich das Überdenken<br />
von scheinbar verlässlichen Lebensregeln<br />
wie etwa der Satz «Was mich<br />
nicht umbringt, macht mich stärker».<br />
Hitchens erkennt ihn nun als eine Form<br />
von Verdrängung eines unerträglichen<br />
Warenhaus Kathedralen des Konsums<br />
Bisindie Mittedes 19.Jahrhunderts warEinkaufen<br />
eine mühseligeSache: DasSuchen nach dem<br />
richtigen Geschäft, nach der passenden Ware,<br />
das Feilschen um den Preis. Mit dem Wirtschaftsund<br />
Bevölkerungswachstum, der Urbanisierung,<br />
der Entwicklung vonTransportmitteln und der<br />
Massenproduktion änderte sich das. Sie bildeten<br />
den Nährboden für die neuen Warenhäuser,die wie<br />
Pilzeaus dem Boden schossen. Die Modestadt Paris,<br />
wo 1855die Weltausstellung passende Modelle für<br />
Bauweise und Präsentationsmethoden lieferte,<br />
spielteeine Vorreiterrolle. Hier entstanden die<br />
Galeries Lafayette,LaSamaritaine, Bon Marché. Das<br />
KaDeWeinBerlin, das Gum in Moskau, das Macy’sin<br />
Erlebnisses, sei dies Krieg oder Chemotherapie.<br />
Dies alles wird luzide mit viel<br />
geistesgeschichtlichen Bezügen analysiert.<br />
Ein schönes langes Vorwort des deutschen<br />
Schriftstellers <strong>Peter</strong> Schneider<br />
erzählt von den überragenden Schreibund<br />
Trinkfähigkeiten des Freundes<br />
sowie von seinen provokativen politischen<br />
Kehrtwenden, ein kurzes Nachwort<br />
der Ehefrau CarolBlue vomfröhlichen<br />
Familienvater und Ehemann. Da<strong>zu</strong><br />
versammelt ein letztes Kapitel letzte<br />
Notizen, die Hitch bis kurz vor seinem<br />
Todinden Computer tippte. Darunter<br />
diese: «Wenn ich mich bekehre, dann<br />
deswegen, weil es besser ist, dass ein<br />
Gläubiger stirbt als ein Atheist.» l<br />
NewYork folgten. Die Architekten wollten blenden.<br />
Die Kaufhäuser zeigten ein monumentales Äusseres<br />
und ein kathedralenartiges Inneres mit viel Glas, Licht<br />
und filigranen Metallkonstruktionen. AufBildern<br />
werden die Dimensionen verzerrtwiedergegeben, so<br />
auch auf der Postkarteder Magasins Crespin &DufayelinParis<br />
(s.Bild): Die Menschen sind im Verhältnis<br />
<strong>zu</strong>mGebäude zwergenhaftklein. Die Soziologin<br />
Jan Whitaker hateinen schönen, opulenten Bildband<br />
über die untergehende Welt der Warenhäuser<br />
vorgelegt, mit Illustrationen aus einer Zeit, als<br />
Einkaufen noch ein Event war. GenevièveLüscher<br />
Jan Whitaker: Wunderwelt Warenhaus. Gerstenberg,<br />
Hildesheim 2013. 264Seiten, Fr.59.90.<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 19
Sachbuch<br />
Korruption Der Basler Jurist MarkPieth erklärt, wie Geldwäscherei und Bestechung auf dem<br />
internationalen Parkett funktionieren<br />
Jagd aufdie Bestecher<br />
Mark Pieth: Der Korruptionsjäger. Im<br />
Gespräch mit Thomas Brändle und Siri<br />
Schubert. Zytglogge, Oberhofen2013.<br />
176Seiten, Fr.39.90.<br />
VonLukas Häuptli<br />
Mark Pieth ist Professor für Strafrecht<br />
an der Universität Basel. Und Präsident<br />
der OECD-Arbeitsgruppe <strong>zu</strong>r Bekämpfung<br />
der internationalen Korruption.<br />
Und Berater des Präsidenten der Weltbank.<br />
Er war Mitglied des Untersuchungsausschusses<br />
<strong>zu</strong>m Oil-for-Food-<br />
Skandal der UNO. Und Vertreter in der<br />
FATF, der internationalen Organisation<br />
<strong>zu</strong>r Bekämpfung der Geldwäschereibekämpfung.<br />
Kurz: Der 60-Jährige war<br />
und ist ein umtriebiger Mensch.<br />
Jetzt ist Mark Pieth auch noch der<br />
Korruptionsjäger. So heisst das Buch<br />
von Thomas Brändle und Siri Schubert<br />
über den Basler Kriminologen. Es ist der<br />
Versuch, Pieths Wirken und Wissen in<br />
einem 150-seitigen Interview wieder<strong>zu</strong>geben.<br />
Brändle stellt Fragen, Pieth gibt<br />
Antworten, Schubert strukturiert und<br />
schreibt nieder. Um es vorweg<strong>zu</strong>nehmen:<br />
Der Versuch ist ein Wagnis. Ein<br />
grosses Wagnis.<br />
Natürlich hat Pieth viel <strong>zu</strong> erzählen.<br />
Er weiss, wie Bestechung funktioniert,<br />
unter welchen Umständen sie <strong>zu</strong>stande<br />
kommt und wie man sie bekämpft. Er<br />
erklärt, warum Baugewerbe, Ölgeschäft<br />
und Waffenhandel am anfälligsten dafür<br />
sind. Und warum Menschen, die selbst<br />
wenig verdienen, in ihrem Beruf mit<br />
grossen Geldsummen <strong>zu</strong> tun haben.<br />
Ebenso kenntnis- und detailreich erläutert<br />
er die Feinmechanismen der<br />
Geldwäscherei –vom Placement übers<br />
Mehr Licht in die<br />
Vorgängebei der Fifa<br />
und die Vergangenheit<br />
Joseph Blattershätte<br />
man sich vonMark<br />
Pieth gewünscht.<br />
WM-Pokal, 2010.<br />
Layering bis <strong>zu</strong>r Integration von<br />
Schwarzgeld. Dabei zeigt sich, dass Offshore-Gesellschaften<br />
zwar nicht immer<br />
Geldwäscherei-Vehikel sind –aber häufig.<br />
Das ist eine Erkenntnis, die in der<br />
Beurteilung des kürzlich aufgedeckten<br />
Offshore-Leaks hie und da vergessen<br />
ging.<br />
Besonders erhellend sind Pieths Ausführungen<br />
dann, wenn er das Innen<strong>leben</strong><br />
von globalen Institutionen wie Uno<br />
oder Weltbank beschreibt. Da zeigt sich,<br />
wie problematisch deren Wirken ungeachtet<br />
aller hehren Ziele manchmal ist.<br />
So versage die Uno bei humanitären<br />
Aufgaben immer wieder –vielleicht, so<br />
Pieth, weil sie schlicht <strong>zu</strong> grosssei. «Für<br />
viele geht es nur um die Pfründe,die Arbeitsmentalität<br />
ist, gelinde gesagt, nicht<br />
besonders intensiv. Die meiste Energie<br />
wird dafür verwendet, seine Stellung <strong>zu</strong><br />
bewahren, sich <strong>zu</strong> positionieren und andere<br />
<strong>zu</strong>demontieren.»<br />
KURT SCHORRER /FOTO-NET<br />
Das Verdikt des Schweizers über die<br />
Vereinten Nationen wirkt umso ehrlicher,als<br />
dassersich grundsätzlich überzeugt<br />
gibt, dassglobale Probleme nur im<br />
globalen Verbund gelöst werden können.<br />
Überhaupt hat Mark Pieths <strong>Art</strong> etwas<br />
Erfrischendes. Er ist selbstbewusst und<br />
selbstbezogen genug, Missstände beim<br />
Namen <strong>zu</strong> nennen. Das gibt dem Interviewmanchmal<br />
eine Verve, die man von<br />
professoralen Ausführungen nicht unbedingt<br />
erwarten würde. Allerdingshält<br />
die Frische nicht über die 150 Interview-<br />
Seiten an. Zu regelmässig wechseln sich<br />
inhaltliche Höhen und Tiefen ab –und<br />
<strong>zu</strong> ermüdend ist auch der Frage-Antwort-Stil.<br />
Das hatdreiGründe: Erstens geht das<br />
Buch nicht in die Tiefe, wo Tiefe neue<br />
Erkenntnisse mit sich brächten. Am störendsten<br />
ist das dort, wo Pieth über sein<br />
Engagement beim Weltfussballverband<br />
Fifa spricht. Hier möchte man genauer<br />
wissen, was Pieth von Fifa-Präsident Joseph<br />
Blatter und seiner Vergangenheit<br />
hält –<strong>zu</strong>m Beispiel von dessen Rolle in<br />
der ISL-Affäre. Zweitens verzettelt sich<br />
das Interview in thematische Nebenschauplätze.<br />
Werinteressiert sich schon<br />
für Details aus Pieths Schulzeit in England?<br />
Und drittens kann sich Thomas<br />
Brändle nicht entscheiden, in welchem<br />
Verhältnis er <strong>zu</strong> Mark Pieth steht. Ist er<br />
der Unkundige, der dem Sachverständige<br />
voller Bewunderung alles glaubt?<br />
Oder ist er derjenige, der Pieths Ausführungen<br />
auch hinterfragt?<br />
Leider ist Letzteres fast nie der Fall.<br />
Deshalb gelingt der Versuch, ein Sachbuch<br />
über Mark Pieth, Korruption und<br />
Geldwäscherei in Interviewform <strong>zu</strong><br />
schreiben, nur <strong>zu</strong>m Teil. l<br />
Scientology Erinnerungen an die Kindheit in einer Psychosekte<br />
JahreinAngstund Schrecken<br />
Jenna MiscavigeHill: Mein geheimes<br />
Leben bei Scientology und meine<br />
dramatische Flucht. Btb,München2013.<br />
500Seiten, Fr.29.90,E-Book 19.90.<br />
VonBerthold Merkle<br />
20 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />
Jenna Miscavige Hill hat ihre gesamte<br />
Kindheit und Jugend in der «Church of<br />
Scientology» erlebt. In schockierenden<br />
und erschreckenden Details schildert<br />
die heute 29-Jährige ihr Leben auf der<br />
Kinderranch, die auf Aussenstehende<br />
wie ein Straflager wirkt. Schwerste Arbeit<br />
auch für ganz kleine Kinder bis <strong>zu</strong>m<br />
Umfallen. Drill und Demütigungen. Totale<br />
Kontrolle. Ein strenges Sicherheitssystem<br />
umschliesst die Ranch aussen<br />
und innen. Offiziell, um sich vor«Asozialen»<br />
<strong>zu</strong> schützen, wie alle Nicht-Scientologen<br />
und vor allem die Gegner bezeichnet<br />
werden. Die kleine Jenna wird<br />
noch strenger behandelt, als die anderen<br />
Kinder, denn sie ist die Nichte des Sektenführers<br />
Dave Miscavige. Die Angst<br />
vor «Onkel Dave» ist bei ihr allgegenwärtig.<br />
Scientology nennt sich Kirche, aber<br />
es geht hier nicht um Himmel und Hölle.<br />
Es wirdkein Gottangebetet. Stattdessen<br />
werden den Mitgliedern sagenhafte Verbesserungen<br />
ihres ganzen Lebens versprochen.<br />
Alles werde perfekt: Beziehungen,<br />
Ehe, Karriere, Befinden, Verständigung.<br />
Doch in Wahrheit erweist sich Scientology<br />
nicht als harmlose Selbsthilfereligion<br />
für Stars wie TomCruise, Priscilla<br />
Presleyund KellyPreston. Als Kind<br />
und Jugendliche erlebt und erleidet<br />
Jenna Miscavige die Sekte inihrer ganzen<br />
Brutalität. Langsam wird ihr klar,<br />
wasdie ganzen Auditings, die Psychogespräche,sind:<br />
«Es handeltesich um eine<br />
vollkommene Unterdrückung des eigenen<br />
Denkens, nichts weiter.»<br />
Bis <strong>zu</strong> ihrem 21. Lebensjahr kennt die<br />
junge Frau keinerlei Privatsphäre:<br />
Schlafsäle, Uniform, stupider Drill.<br />
Nach ihrer Flucht muss sie erst das<br />
Leben lernen: kochen, Autofahren und<br />
ohne Erlaubnis <strong>zu</strong>r Toilette gehen. So<br />
genau und direkt wie Jenna Miscavige<br />
Hill hatnoch kaum jemand das zerstörerische<br />
Wirken von Scientology auf die<br />
Köpfe und Seelen der Menschen beschrieben.<br />
Ihr langer, schwerer Kampf<br />
und sein glückliches Ende zeigen aber<br />
auch: Der Psychoterror der Sekte ist<br />
nicht allmächtig, es gibt einen Weg<strong>zu</strong>rück<br />
ins Leben. Schlecht für Scientology,<br />
gut für die Freiheit. l
Diplomatie Der frühereSchweizer BotschafterKurt O. Wyss kritisiert die israelische Politik<br />
gegenüber den Palästinensern. Micheline Calmy-Reyunterstützt ihn darin<br />
Warumdie SchweizInteresse<br />
hataneinem FriedeninNahost<br />
Kurt O. Wyss: Wirhaben nur dieses Land.<br />
Der Israel-Palästinenser-Streit als<br />
Mutteraller Nahostkonflikte. Stämpfli,<br />
Bern 2013. 288 Seiten, Fr.39.90.<br />
VonMicheline Calmy-Rey<br />
Ichhabe das Buch vonKurt O. Wyss mit<br />
Interesse gelesen. Es ist kein gewöhnliches<br />
Buch, sondern das Ergebnis einer<br />
langen diplomatischen Berufserfahrung.<br />
Die Aussagensind deshalb ernst <strong>zu</strong> nehmen.<br />
Ich möchte auf zwei darin hervorgehobene<br />
Punkte eingehen: Der erste<br />
betrifft die Komplexität des Konflikts<br />
und seine Auswirkungen im nahöstlichen<br />
Kontext und der zweite die Vorbehalte<br />
der Schweiz gegenüber einer von<br />
den Grossmächten unabhängigen Aussenpolitik.<br />
Der israelisch-palästinensische Konflikt<br />
sei die Mutter aller Nahostkonflikte,<br />
schreibt Kurt O. Wyss. Beim primären<br />
Krisenherd, dem israelisch-palästinensischen<br />
Konflikt, handelt es sich in<br />
erster Linie um eine territoriale Frage:<br />
Israel besetzt das Westjordanland, Gaza<br />
und Ost-Jerusalem – Territorien, die<br />
einen unabhängigen palästinensischen<br />
Staat bilden sollten – sowie die syrischen<br />
Golanhöhen und die libanesische<br />
Region der Shebaa-Farmen.<br />
Mehrere Krisenherde<br />
Beim zweiten Krisenherd stehen sich<br />
die internationale Gemeinschaft und<br />
Iran gegenüber: Iran glaubt das Recht <strong>zu</strong><br />
haben, Nuklearenergie für zivile Zwecke<br />
<strong>zu</strong> entwickeln. Er versucht, seine energiepolitische<br />
Position in der Region und<br />
seinen Einfluss durch die schiitische<br />
Achse <strong>zu</strong> stärken. Die internationale Gemeinschaft<br />
befürchtet, dass Iran unter<br />
dem Deckmantel der zivilen Nut<strong>zu</strong>ng<br />
der Kernenergie in Wirklichkeit versuche,die<br />
Fähigkeit <strong>zu</strong>r militärischen Nut<strong>zu</strong>ng<br />
<strong>zu</strong> erlangen.<br />
Diese Perspektive beunruhigt die israelischen<br />
Strategen, welche die iranische<br />
Absicht als Willen interpretieren,<br />
den Staat Israel <strong>zu</strong> zerstören.<br />
Der dritte Krisenherd, Afghanistan,<br />
ist Schauplatz eines Krieges, der seit<br />
Jahrzehnten andauert. Hier stehen andere<br />
Interessen auf dem Spiel: Es geht<br />
um den Kampfgegen einen Terrorismus<br />
mit globalen Ansprüchen, der den Islam<br />
da<strong>zu</strong> missbraucht, Bevölkerungen <strong>zu</strong> fanatisieren,<br />
die oft Opfer elender sozioökonomischer<br />
Bedingungen sind. Al-<br />
Kaida hatnach wie vorihreSchlupfwinkel<br />
inAfghanistan und in den pakistanischen<br />
Stammesgebieten. Zu diesem<br />
Dunstkreis gehören aber auch Ableger<br />
in Jemen, Nordafrika und seit kurzem in<br />
Syrien.<br />
Aussenministerin<br />
Micheline Calmy-Rey<br />
besucht am 5.2.2005<br />
ein Flüchtlingscamp<br />
im Gaza-Streifen.<br />
KHALIL HAMRA/AP<br />
Die drei Krisenherde sind miteinander<br />
verflochten und komplex: Muslime/<br />
Araber, Sunniten/Schiiten, Iran/westliche<br />
Länder.Die Bruchlinien überschneiden<br />
sich und niemand hält alle Fäden in<br />
der Hand. Diese Verflechtung und diese<br />
Komplexität treten insbesondere imsyrischen<br />
Konflikt, in welchem die Allianzen<br />
jeder Logik widersprechen, offen<br />
<strong>zu</strong>tage: autoritäre Regime unterstützen<br />
die Demokratie, theokratische Regierungen<br />
den Laizismus und die USA bilden<br />
Partnerschaften mit Islamisten.<br />
Die internationale Gemeinschaft hat<br />
gute Gründe, inSyrien nicht ein<strong>zu</strong>greifen.<br />
Der Hauptgrund ist geostrategischer<br />
Natur. <strong>Eine</strong> Intervention in Syrien<br />
hätte einen regionalen Krieg <strong>zu</strong>r Folge,<br />
den niemand will. Der Konflikt radikalisiert<br />
sich und verläuft entlang ethnischreligiöser<br />
Linien. Für die ständigen Mitglieder<br />
des Sicherheitsrates stellen Iran<br />
und seine regionalen Machtansprüche<br />
das wahre Problem dar.<br />
Der zweite Punkt, den Kurt O. Wyss<br />
hervorhebt, betrifft die Schwierigkeit,<br />
angesichts der innenpolitisch immer<br />
wiederkehrenden Kritik eine aktive<br />
Friedenspolitik <strong>zu</strong> betreiben. Wyss stellt<br />
die Existenz Israels, eines Staates, den er<br />
achtet, nicht in Frage, doch er bedauert<br />
den fehlenden Willen seiner Regierung,<br />
den Palästinensern den Platz ein<strong>zu</strong>räumen,<br />
der ihnen in der Staatengemeinschaft<br />
<strong>zu</strong>steht. Unter diesem Blickwinkel<br />
analysiert er die Dialog- und Vermittlungspolitik<br />
der Schweiz.<br />
Plädoyer für Neutralität<br />
Durch ihre zwischenstaatlichen Beziehungen<br />
und ihre Präsenz in internationalen<br />
Organisationen hat sich die<br />
Schweiz als Schiedsrichterin bei der Lösung<br />
bestimmter Konflikte erfolgreich<br />
positioniert. <strong>Eine</strong> solche Positionierung<br />
erfordert jedoch, dass weder die eine<br />
noch die andere Konfliktpartei bevor<strong>zu</strong>gt,<br />
dass mit allen Teilnehmern gesprochen<br />
und mit allen wichtigen Akteuren<br />
kommuniziert wird. In einem<br />
Land, in dem die israelische Position<br />
dominiert, hat eine solche Politik einen<br />
schweren Stand. Das Verdienst des Buches<br />
von Kurt Wyss ist es, auf diese<br />
Schwierigkeiten hin<strong>zu</strong>weisen und sie <strong>zu</strong><br />
analysieren.<br />
Die Schweiz hat ein vitales Interesse<br />
daran, dass sich in den internationalen<br />
Beziehungen das Recht gegenüber der<br />
Gewalt durchsetzt und nicht umgekehrt.<br />
Diese Haltung hat der Schweiz Misstrauen<br />
entgegengebracht, vor allem<br />
wenn ihreKonzeption des Dialogsnicht<br />
mit der quasi religiösen Doktrin der<br />
Grossmächte übereinstimmte oder<br />
wenn sie mit einer restriktivenInterpretation<br />
der schweizerischen Neutralität<br />
in Konflikt geriet. Die Waffenlieferung<br />
an Länder im Kriegs<strong>zu</strong>stand widerspricht<br />
den in den Haager Konventionen<br />
festgehaltenen Regeln über die<br />
Neutralität. Die Entrüstung über die<br />
Tatsache,dassdie Schweiz mit allen Akteuren<br />
spricht, die an der Lösung eines<br />
Konflikts beteiligt sind, einschliesslich<br />
denjenigen, deren Diskursuns provozieren<br />
mag, und der Aufschrei, die Neutralität<br />
werde dabei verletzt, sind jedoch<br />
nicht kohärent. Die Aussenpolitik der<br />
Schweiz muss nachvollziehbar und verständlich<br />
sein, sonst bleibt die Neutralität<br />
eine reine Worthülse. Ich plädiere<br />
für eine aktive Neutralität. l<br />
Micheline Calmy-Rey war2003–2011<br />
Bundesrätin und Chefin des Eidg.Departements<br />
für AuswärtigeAngelegenheiten.<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 21
Sachbuch<br />
Frauengeschichte Bertha vonSuttner (1843–1914) wareine streitbarePazifistin. Sieregtedie<br />
Schaffung des Friedensnobelpreises an –den sie 1905als ersteFrauerhielt<br />
DieWaffennieder!<br />
Brigitte Hamann: Bertha vonSuttner.<br />
Kämpferin für den Frieden. Brandstätter,<br />
Wien 2013. 320 Seiten, Fr.37.90.<br />
VonGenevièveLüscher<br />
Heute prangt ihr Konterfei auf der 2-Euro-Münze<br />
Österreichs, und das Land ist<br />
stolz auf seine Friedensnobelpreisträgerin.<br />
Das war nicht immer so. Als Bertha<br />
Sophia Felicita Baronin von Suttner, geborene<br />
Gräfin Kinsky, noch lebte, war<br />
man in der Donau-Monarchie von ihren<br />
rastlosen und bisweilen unverfrorenen<br />
Aktivitäten gegenKrieg und Aufrüstung<br />
wenig begeistert. Vorallem <strong>zu</strong> Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts, als ganz Europa<br />
aufrüstete, übergoss man die Pazifistin<br />
mit Häme,nanntesie die «dickeBertha»<br />
–seit ihrer Jugend war sie mollig –und<br />
beschimpfte sie in Karikaturen aufs Unflätigste.<br />
Europa wollte vom Frieden<br />
nichts wissen, schon gar nicht von einer<br />
Frau, und stürzte sich mit Begeisterung<br />
in den ersten Weltenbrand.<br />
Sekretärin Alfred Nobels<br />
Bertha wurde der Pazifismus nicht in<br />
die Wiege gelegt. Geboren 1843 in Prag<br />
als Tochter des Generals Franz Michael<br />
Graf Kinsky, erhielt die Komtesse die<br />
übliche Erziehung höherer Töchter,<br />
lernte Sprachen, spielte Klavier, reiste<br />
viel, war belesen und weltoffen. Das<br />
Vermögen, das ihre Mutter nach Kinskys<br />
Tod erbte, war bald aufgezehrt. Bertha<br />
ging auf Arbeitssuche und wurde<br />
1873 in Wien vomIndustriellen Carl von<br />
Suttner als Gouvernante angestellt. Sie<br />
verliebte sich in den sieben Jahre jüngeren<br />
Sohn <strong>Art</strong>hur und wurde entlassen.<br />
In Paris arbeitete sie zwei Wochen lang<br />
als Privatsekretärin Alfred Nobels. Aus<br />
der Bekanntschaft mit dem reichen Dynamiterfinder,<br />
der mit dem Pazifismus<br />
liebäugelte, erwuchs eine <strong>leben</strong>slange,<br />
intellektuelle Freundschaft. Die Liebe<br />
aber zog Bertha nach Wien <strong>zu</strong>rück, und<br />
1876 brannte sie mit <strong>Art</strong>hur durch. Es<br />
folgten neun Jahre inGeorgien, wo sich<br />
das Paar mit Gelegenheitsarbeiten<br />
durchschlug. Erfolg hatten beide mit<br />
journalistischen Arbeiten, Novellen und<br />
Romanen. Beide glaubten an die Entwicklung<br />
des Menschen hin <strong>zu</strong>m «Edelmenschen»,<br />
und Bertha gewann die<br />
Überzeugung, der Friede sei ein Zustand,<br />
«welcher aus dem Fortgang der<br />
Kultur notwendig sich ergeben muss».<br />
Kinder stellten sich keine ein.<br />
Als etablierte Schriftsteller kehrten<br />
Bertha und <strong>Art</strong>hur 1885 nach Wien <strong>zu</strong>rück.<br />
Vier Jahre später veröffentlichte<br />
sie ihren Roman «Die Waffen nieder!»;<br />
er beschreibt realistisch die Schrecken<br />
des Krieges aus der Sicht einer Frau und<br />
prangert die Heuchelei einer Gesellschaft<br />
an, die den Krieg verherrlicht.<br />
Das Werk machte sie schlagartig berühmt<br />
–sie wurdedie wichtigsteVertreterin<br />
der Friedensbewegung. Natürlich<br />
Baronin Bertha<br />
vonSuttner,trotz<br />
finanzieller Not, stets<br />
elegant gekleidet,<br />
erhielt als erste<br />
Frau 1905den<br />
Friedensnobelpreis<br />
(undat. Aufnahme).<br />
stiess sie auch auf Ablehnung, <strong>zu</strong>m Beispiel<br />
in ihrer adligen Verwandtschaft;<br />
neidische Schriftsteller verhöhnten das<br />
Werk als hysterischen Erguss eines<br />
Blaustrumpfs.<br />
Die Friedensbewegung steckte in<br />
ihren Anfängen und warinzahllose Vereine<br />
aufgesplittert, eine zentrale Organisation<br />
fehlte. Nebst der Abrüstung<br />
schlug die Bewegung <strong>zu</strong>r Lösung zwischenstaatlicher<br />
Konflikte die Einset<strong>zu</strong>ng<br />
eines internationalen Schiedsgerichts<br />
vor. Suttner begann sich für die<br />
organisierte internationale Friedensbewegung<br />
<strong>zu</strong> engagieren. Sie hatte da<strong>zu</strong><br />
beste Vorausset<strong>zu</strong>ngen, war sprachenkundig<br />
und ihr untadeliges gesellschaftliches<br />
Auftreten, auf das sie trotz Geldnöten<br />
mit einer eleganten Garderobe<br />
viel Wert legte, sowie ihr Optimismus<br />
halfen mit, viele Türen <strong>zu</strong> öffnen.<br />
Als begehrte Rednerin nahm sie nun<br />
an internationalen Friedenskongressen<br />
teil, so <strong>zu</strong>m Beispiel 1892 inBern. Zur<br />
Verbesserung der Organisation wurde<br />
dort ein Zentralbüroder Friedensgesellschaften<br />
gegründet, Präsident war Elie<br />
Ducommun, sie selbst Vizepräsidentin.<br />
1899 half sie mit, die Erste Friedenskonferenz<br />
in Den Haag <strong>zu</strong> organisieren. Die<br />
Konferenz war kein Erfolg; <strong>zu</strong>dem zeigten<br />
Burenkrieg und Boxeraufstand, dass<br />
die Menschheit weiterhin willens war,<br />
Ansprüche mit Waffen durch<strong>zu</strong>setzen.<br />
Die allgemeine Begeisterung für den<br />
Frieden war ein Strohfeuer gewesen.<br />
Mitgliederbeiträge blieben aus, Geldsorgen<br />
häuften sich, nicht selten half<br />
Nobel aus der Not. Mit ihm diskutierte<br />
Suttner über die Einrichtung eines Friedenspreises.<br />
Nobel starb 1896 und hatte<br />
tatsächlich einen Preis ausgerichtet, der<br />
auf Suttner <strong>zu</strong>geschrieben schien. Sie<br />
hatte aber bis 1905 <strong>zu</strong>warten, als es unumgänglich<br />
wurde, sie endlich <strong>zu</strong> ehren;<br />
<strong>zu</strong>erst mussten ein paar Männer berücksichtigt<br />
werden.<br />
Weltfriede bleibt Utopie<br />
Die letzten JahreSuttnerswaren geprägt<br />
von Enttäuschungen. Der Aufstieg der<br />
Deutschnationalen, die Häufung internationaler<br />
Krisen, die Erfindung des<br />
Luftkriegs, alles lief dem Pazifismus <strong>zu</strong>wider.«So<br />
viel Zündstofflässt sich doch<br />
nicht ansammeln, ohne dass esschliesslich<br />
losgeht», schrieb Bertha von Suttner<br />
in ihr Tagebuch. Siestarb am 21. Juni<br />
1914,sieben Tage später fielen die Schüsse<br />
vonSarajewo. Der Weltfriede,für den<br />
sie sich eingesetzt hatte, blieb Utopie.<br />
Die Historikerin Brigitte Hamann hat<br />
das facettenreiche Leben Bertha von<br />
Suttners neu aufgefächert. Die Gliederung<br />
ihres Buches in Themenkapitel<br />
und der <strong>zu</strong>rückhaltende Gebrauch von<br />
ordnenden Jahreszahlen macht es aber<br />
schwierig, sich ein Bild über die Entwicklung<br />
dieser klugen, unermüdlichen<br />
Kämpferin <strong>zu</strong> machen. Es stellen sich<br />
Redundanzen ein; die in einem späteren<br />
Kapitel behandelten Themen machen<br />
die Entscheide Suttners bisweilen nicht<br />
nachvollziehbar. Auch ein Namenregister,<br />
das mitgeholfen hätte, die verschiedenen<br />
Persönlichkeiten <strong>zu</strong> korrelieren,<br />
fehlt. Dennoch: ein beherzigenswertes<br />
Buch, vor allem angesichts der Flut von<br />
Erst-Weltkrieg-Büchern, die demnächst<br />
<strong>zu</strong> erwarten sind. l<br />
ULLSTEIN<br />
22 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
Geldwirtschaft Kreditmärktegehorchen weder einem Naturgesetz noch göttlichem Gebot<br />
Finanzkrise–einfach erklärt<br />
John Lanchester: Warum jeder jedem<br />
etwasschuldet und keiner jemals etwas<br />
<strong>zu</strong>rückzahlt. Die bizarreGeschichteder<br />
Finanzen. Klett-Cotta, Stuttgart 2013.<br />
300 Seiten, Fr.29.90,E-Book 19.90.<br />
VonSieglinde Geisel<br />
Sich mit den Mechanismen der Finanzwelt<br />
vertraut <strong>zu</strong>machen –das ist<br />
längst eine Forderung für alle, die sich<br />
als aufgeklärte Zeitgenossen und Wähler<br />
verstehen. Allerdings verfügen die<br />
wenigsten über die Qualifikationen, die<br />
nötig sind, sich aus dieser neuen Form<br />
der selbstverschuldeten Unmündigkeit<br />
<strong>zu</strong> befreien. John Lanchestersprovokant<br />
betiteltes Buch «Warum jeder jedem<br />
etwas schuldet und keiner jemals etwas<br />
<strong>zu</strong>rückzahlt» will hier Abhilfe schaffen.<br />
Dabei ist der Brite von Haus aus kein<br />
Ökonom, sondern Schriftsteller: Im<br />
Rahmen von Hintergrundrecherchen<br />
für seinen Roman «Kapital» begann er<br />
2007, die seltsame Welt der Finanzmärkte<br />
für sich <strong>zu</strong> erschliessen. Diese Welt<br />
verblüffte, amüsierte und empörte ihn<br />
so sehr, dass das vorliegende Werk unvermeidlich<br />
wurde.<br />
Waslernt man als Angehöriger der<br />
sprichwörtlich gewordenen 99 Prozent<br />
aus diesem flott und unterhaltsam geschriebenen<br />
Buch? Lanchester setzt<br />
kaum Wissen voraus, so beginnt er bei<br />
den alten Begriffen (Aktien und Anleihen,<br />
Optionen und Futures), bevorer<strong>zu</strong><br />
den abenteuerlichen Finanzinstrumenten<br />
der neueren Zeit übergeht: den<br />
Credit Default Swaps, Collaterized Debt<br />
Obligations und was der Derivate mehr<br />
Dass die Selbstregulierung<br />
des<br />
Marktes spielt,<br />
bezweifelt John<br />
Lanchester.<br />
sind. Diese Konstruktionen strapazieren<br />
das Vorstellungsvermögen von Nichtökonomen<br />
–doch Lanchester gelingt es<br />
anschaulich, sie mit Beispielen auf der<br />
Ebene von «ich und mein Nachbar» so<br />
weit herunter<strong>zu</strong>rechnen, so dass man<br />
tatsächlich begreift, wie eine Versicherung<br />
gegen Kreditausfall funktioniert.<br />
Manches wusste man bereits, anderes<br />
wiederum, so begreift man nun beim<br />
Lesen, hatte man eigentlich schon verstanden,<br />
aber nicht wirklich geglaubt, so<br />
etwa die Tatsache, dass esbei den unter<br />
dem Label «Securitization und Tranchierung»<br />
gebündelt weiterverkauften<br />
Subprime-Hypotheken am Ende tatsächlich<br />
keine Rolle mehr spielt, ob<br />
noch jemand irgendjemandem etwas<strong>zu</strong>rückzahlt,<br />
denn der Kreditgeber will das<br />
Paket nur mit Gewinn weiterverkaufen<br />
ANDREWWINNING /REUTERS<br />
und hat mit dem Kreditnehmer nichts<br />
mehr <strong>zu</strong> tun.<br />
Oder die Tatsache, dass Risikoberechnungen<br />
auf idealtypischen Modellen<br />
beruhen, die die wahre Realität gar<br />
nicht abbilden können –und dass sie<br />
trotzdem als Grundlage für das Jonglieren<br />
mit Milliarden herhalten. Für die<br />
Entstehung der Finanzkrise war das<br />
schlichteIgnorieren des gesunden Menschenverstands<br />
mindestens so wichtig<br />
wie die horrende Verantwortungslosigkeit<br />
vieler Akteure. Lanchester zeichnet<br />
das Versagen der Aufsichtsbehörden<br />
und die Leichtfertigkeit der Banken<br />
nach (mit speziellem Augenmerk auf<br />
dem angelsächsischen Raum), und er<br />
hält sich dabei mit Kopfschütteln und<br />
sarkastischen Kommentaren nicht <strong>zu</strong>rück<br />
–was einem beim Lesen bisweilen<br />
ein wenig auf die Nerven gehen kann.<br />
Doch wie soll man sich nun als aufgeklärter<br />
Zeitgenosse verhalten? Lanchester<br />
hat kein Rezept, und er zweifelt<br />
daran, dassdie aufgestaute Wutder Bürger<br />
sich gegen die Richtigen entladen<br />
werde. Letztlich geht es auch um die<br />
Frage, in was für einer Gesellschaft wir<br />
seit dem Ende des «Schönheitswettbewerbs»<br />
mit dem Kommunismus eigentlich<br />
<strong>leben</strong>.<br />
Lanchester ist kein Gegner des Kapitalismus,<br />
doch er glaubt nicht an das<br />
Märchen vonden Selbstregulationskräftendes<br />
Markts. Die Regeln für das Funktionieren<br />
der Finanzmärkte seien weder<br />
Naturgesetz noch göttliches Gebot,<br />
«sondern von Menschen aufgestellt,<br />
und man musssie immer wieder überarbeiten,<br />
überwachen und auf aktive und<br />
kreative Weise durchsetzen». l<br />
Meisterdenker Ansichten und Einsichten des GesellschaftstheoretikersKarlPopper in Kurzform<br />
«Alles Lebenist Problemlösen»<br />
Hardy Bouillon (Hrsg.): Philosophie der<br />
freien Gesellschaft. Ein KarlPopper-<br />
Brevier.NZZ Libro, Zürich 2013.<br />
96 Seiten, Fr.21.–, E-Book Fr.16.90.<br />
VonKirsten Voigt<br />
Er wurde 1902 in Wien geboren, war <strong>zu</strong>nächst<br />
Tischler und Hauptschullehrer,<br />
1928 promovierte erbeim Sprachphilosophen<br />
Karl Bühler und wurde nach<br />
Christchurch, Neuseeland, berufen, wo<br />
er 1944 «Die offene Gesellschaft und<br />
ihreFeinde» schrieb, jenes Buch, das ihn<br />
<strong>zu</strong> einem der einflussreichen Gesellschaftstheoretiker<br />
des 20. Jahrhunderts<br />
machte.<br />
Offen war für Karl Popper aber nicht<br />
nur die stetig institutionell verbesserungswürdige,<br />
demokratische Gesellschaft,<br />
sondern auch die Zukunft im<br />
Be<strong>zu</strong>g auf jede Form wissenschaftlicher<br />
und philosophischer Erkenntnis. Fehlbarkeit<br />
galt dem an die London School<br />
of Economics Berufenen und 1965 <strong>zu</strong>m<br />
Sir geadelten Denker als anthropologische<br />
Konstante, Falsifizierbarkeit als<br />
Kennzeichen empirischer Wissenschaft<br />
und Falsifikation als Methode der Wahl<br />
<strong>zu</strong>r Annäherung an das, was er, nur mit<br />
grösster Vorsicht, als (zeitbedingte)<br />
«Wahrheit» bezeichnen sollte.<br />
Aufallen Gebieten des Lebens sahder<br />
kritische Rationalist einen Willen <strong>zu</strong>r<br />
Verbesserung –der Einsichten, Techniken,<br />
Lebensumstände –wie eine evolutionäre<br />
Triebfeder wirken, die sich einerseits<br />
des Mittels der (sprachlichen)<br />
Kritik bediente und andererseits vor<br />
allem immer neuer Ideen bedurfte:<br />
«Alles Leben ist Problemlösen» oder<br />
«Das wertvollste Besitztum der Menschen<br />
sind Ideen».<br />
Ein kleines, lesenswertes Brevier der<br />
Ansichten und Einsichten Poppers hat<br />
Hardy Bouillon in der Reihe «Meisterdenker<br />
der Freiheitsphilosophie» ediert.<br />
Auf knapp 100 Seiten gewinnt man Einblick<br />
in Poppers Plädoyers für Wettbewerb<br />
und gegenschrankenlosen Kapitalismus,<br />
in seine Gedanken über Chancen<br />
und Risiken staatlicher Interventionen<br />
ins Ökonomische,die Gefahren einer tyrannischen<br />
Bürokratie, die Definition<br />
des Staatesals Sicherungsinstanz individueller<br />
Freiheit.<br />
Platon, Hegel und Marx lehnte erab,<br />
weil sie ihm im Irrglauben an Entwicklungsgesetze<br />
und Ziele der Geschichte<br />
befangen schienen, und man erfährt von<br />
dem prägenden Schock, den Karl Popper<br />
knapp siebzehnjährig erlebte: Damals<br />
noch Marxist, nahm er in Wien an<br />
einer Demonstration teil, bei der mehrere<br />
kommunistische und sozialistische<br />
Arbeiter von der Polizei erschossen<br />
wurden. Karl Popper fühlte sich prinzipiell,<br />
das heisst ideologisch daran mitschuldig<br />
und war von Stund an nicht<br />
mehr <strong>zu</strong> beeindrucken durch totalitäre<br />
Utopien. l<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 23
Sachbuch<br />
Adoleszenz Buben leiden mehr unter psychischen Störungen und begehen häufiger Suizid als<br />
Mädchen. Nunbetreibt die Politik Ursachenforschung<br />
UnserenSöhnenfehlendie Vorbilder<br />
Beirat Jungenpolitik (Hrsg.): Jungen und<br />
ihreLebenswelten. Barbara Budrich,<br />
Leverkusen 2013. 321 Seiten, Fr.40.90.<br />
VonWalter Hollstein<br />
Viele Jugendliche<br />
sind innerlich einsam<br />
und verzweifelt.<br />
Jungen haben Probleme. Das ist seit längerem<br />
bekannt. Sie sind von den Mädchen<br />
in der Schule überflügelt worden;<br />
sie werden häufiger vor der Einschulung<br />
<strong>zu</strong>rückgestellt, müssen häufiger<br />
eine Klasse wiederholen, müssen vielfach<br />
bessere Leistungen erbringen, um<br />
an eine weiterführende Schule <strong>zu</strong> gelangen,<br />
sind an Sonderschulen überrepräsentiert,<br />
während sie an Gymnasien unterrepräsentiert<br />
sind oder erreichen<br />
deutlich seltener eine Matur.<br />
Gewalt und Ausschreitungen von<br />
Buben haben signifikant <strong>zu</strong>genommen;<br />
psychische und psychosomatische Störungen<br />
sind achtmal häufiger als bei<br />
Mädchen; dreimal so viele Jungen wie<br />
Mädchen sind heute Klienten vonErziehungsberatungsstellen;<br />
die zweithäufigste<br />
Todesursache von Jungen ist der<br />
Suizid, wobei sich Jungen signifikant<br />
häufiger selber umbringen als Mädchen.<br />
«Unsere Söhne haben Probleme»,<br />
schreibt der amerikanische Psychologe<br />
William Pollack, «und diese Probleme<br />
sind gravierender, als wir denken.»<br />
Selbst Buben, die ganz normal wirkten,<br />
seien davon betroffen. «Gemeinsam mit<br />
anderen Forschern musste ich in den<br />
letzten Jahren erkennen, dass sehr viele<br />
Jungen, die nach aussen hin ganz unauffällig<br />
wirken, in ihrem Inneren verzweifelt,<br />
orientierungslos und einsam sind.»<br />
Sie können sich nicht mehr an allgemeingültigen<br />
Bildern von Männlichkeit<br />
orientieren, wie das früher der Fall war.<br />
Stattdessen müssen sie sich allein <strong>zu</strong>rechtfinden<br />
–nicht <strong>zu</strong>letzt, weil das die<br />
männliche Rolle vonihnen verlangt. Der<br />
Hamburger Lehrer Frank Beuster nennt<br />
sein Erfahrungsbuch «Die Jungenkatastrophe».<br />
Der Männerrechtler Arne Hoffmann<br />
titelt gar «Rettet unsere Söhne».<br />
Solche Diagnosen schrecken allmählich<br />
auch die Politik auf. InDeutschland<br />
hat die Bundesregierung einen «Beirat<br />
Jungenpolitik» geschaffen, der inzwischen<br />
einen ersten Abschlussbericht<br />
vorgelegt hat. Der Verlag Barbara Budrich<br />
hat ihn soeben in einem sehr schön<br />
aufgemachten Band herausgegeben. Der<br />
DIRK KRUELL /LAIF<br />
Band versucht, Lebenswelten vonBuben<br />
nach<strong>zu</strong>zeichnen; dabei ist löblich, dass<br />
Jungen auch selber am Vorhaben beteiligt<br />
wurden. Allerdings fehlen Bereiche,<br />
die,wie Medien, Sport oder der Einfluss<br />
von Gleichaltrigen, heute für die Herausbildung<br />
der Geschlechtsidentität besonders<br />
wichtig sind. Noch gravierender<br />
ist der Tatbestand, dass der ganzen<br />
Unternehmung offenbar die Ideologie<br />
wichtiger ist als die Realität.<br />
Solches wird von Ministerin Schröder<br />
in ihrem Vorwort auch vorgegeben:<br />
«Der Abschlussbericht macht deutlich,<br />
dassesden Jungen vorallem um die Befreiung<br />
von Normen geht, die sie einengen<br />
und festlegen». So bemühen sich<br />
denn die Autoren, den Buben gängige<br />
Vorstellungen von Männlichkeit aus<strong>zu</strong>treiben<br />
und sie auf die Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf, Elternzeit, mehr<br />
Partnerschaftlichkeit, mehr Hausarbeit<br />
und verstärkt Teilzeitbeschäftigung<br />
fest<strong>zu</strong>legen. Um solche Positionen <strong>zu</strong><br />
stützen, werden Arbeiten, die Gegenteiliges<br />
belegen, erst gar nicht <strong>zu</strong>r Kenntnis<br />
genommen. Die Autoren konterkarieren<br />
sich dabei allerdings selber, weil<br />
sie –wohl eher verschämt –feststellen<br />
müssen, dass Buben auf die Herausforderungen,<br />
die auf sie <strong>zu</strong>kommen, gar<br />
nicht vorbereitet sind oder dass sie sich<br />
«bei der Berufswahl immer noch mehrheitlich<br />
an tradierten Geschlechterbildern»<br />
orientieren.<br />
So sei die Frage erlaubt: Wie attraktiv<br />
sind die Postulate der Ministerin und<br />
ihrer Wissenschafter für einen Buben,<br />
der um seine Männlichkeit ringt? l<br />
Walter Hollstein ist emeritierter Professor<br />
für Soziologie und Männerforscher.<br />
Geschichte Die schönsteBilderchronik der Schweiz ist in einer Volksausgabe erschienen<br />
So kamLuzern<strong>zu</strong>seinemNamen<br />
Stefan Ragaz: Luzern im Spiegel der<br />
Diebold-Schilling-Chronik. Ragaz<br />
Medien, Adligenswil 2013. 314 Seiten,<br />
Fr.89.–.<br />
VonFabian Fellmann<br />
24 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />
Wie kam die Leuchtenstadt Luzern <strong>zu</strong><br />
ihrem Namen?«Vondes Liechtz wägen»,<br />
schreibt Diebold Schilling <strong>zu</strong> Beginn des<br />
16. Jahrhunderts. Getreu der Überlieferung<br />
malt der Chronist einen Engel an<br />
den Himmel, der mit einer Laterne das<br />
Licht auf die Stadt fallen lässt.<br />
Der wahre Grund ist dem Chronisten<br />
<strong>zu</strong> banal. Luzern ist jener Ort, wo die<br />
Reuss den Vierwaldstättersee verlässt,<br />
der Lieblingsort eines Raubfischs: des<br />
Hechts, lateinisch «luciaria». Doch Luzerns<br />
Anfänge als Fischerdorf sind <strong>zu</strong><br />
wenig attraktiv für einen Chronisten,<br />
dessen Auftrag hauptsächlich in Imagepflege<br />
besteht. Der Chronist, Kaplan<br />
und Söldnerunternehmer betreibt Identitätsbildung<br />
in der frühen Eidgenossenschaft.<br />
Gleichzeitig will er den Machtanspruch<br />
seiner eigenen «heren von<br />
Lucern» gegenüber der ländlichen Umgebung<br />
stärken.<br />
Vor 500 Jahren übergab Diebold<br />
Schilling seine Chronik dem Ratvon Luzern.<br />
Aus diesem Anlass hat der Luzerner<br />
Journalist Stefan Ragaz nun eine<br />
Volksausgabe publiziert. Jahrhundertelang<br />
waren Blicke indas 443 Bildtafeln<br />
starke Werk, das als schönste Bilderchronik<br />
der Eidgenossenschaft gilt, den<br />
Luzerner Amtsträgern vorbehalten, eine<br />
Faksimile-Ausgabe von 1977 erschien in<br />
limitierter Auflage.<br />
Das Werk von Ragaz macht nun 107<br />
Bildtafeln in Originalgrösse und guter<br />
Druckqualität <strong>zu</strong>gänglich. Es spricht in<br />
erster Linie, aber nicht ausschliesslich,<br />
ein Publikum an, das sich in Luzern auskennt;<br />
Ortsunkundigen bieten historische<br />
Karten und aktuelle Fotos Orientierungshilfen.<br />
Die Auswahl der Bildtafeln ist auf die<br />
Geschichte und Entwicklung der Stadt<br />
Luzern fokussiert. Sieumfasst aber auch<br />
Schillings wichtigste Beiträge <strong>zu</strong>r Geschichte<br />
der Eidgenossenschaft, etwa<br />
die Schlacht bei Sempach und die<br />
Schlacht bei Murten.<br />
Zudem zeigt der Autor weniger bekannteAspektedes<br />
Lebens am Ende des<br />
Mittelalters: wie Mönche und Arbeiter<br />
mit Hilfe von Lastkranen Kirchen bauten,<br />
wie Diebe und Hexen gefoltert und<br />
hingerichtet wurden, wie sich Mägde<br />
und Bettler durchs Leben schlugen und<br />
wie die Basler an der Luzerner Fasnacht<br />
mitfeierten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
werden in verständlicher<br />
Sprache präsentiert; so ist der «Comic<br />
für Diplomaten» nun auch für interessierte<br />
Laien <strong>zu</strong>gänglich. l
Nordkoreanische Soldatinnen patrouillieren in der Stadt Sinuiju auf der Uferpromenade des Grenzflusses Yalu, der Nordkorea vonChina trennt (11. April 2013).<br />
JACKYCHEN/REUTERS<br />
Kalter Krieg Die Teilung Koreas geht auf den Zweiten Weltkrieg <strong>zu</strong>rück –bis heute ein Krisenherd<br />
Familiendiktatur vs.Tigerstaat<br />
Bernd Stöver: Geschichtedes<br />
Koreakriegs. Schlachtfeld der<br />
Supermächteund ungelöster Konflikt.<br />
C. H. Beck, München 2013. 268 Seiten,<br />
Fr.18.90,E-Book 12.40.<br />
VonUrs Rauber<br />
Vor60Jahren, Ende August 1953, fand<br />
der «Big Switch», der grosse Gefangenentausch<br />
zwischen Nord- und Südkorea<br />
statt: über 75 000 nordkoreanische<br />
und chinesische Gefangene wurden<br />
gegen rund 13000 Gefangene Südkoreas<br />
und der Uno-Truppen «ausgetauscht».<br />
Vorausgegangen war die Unterzeichnung<br />
des Waffenstillstandsabkommens<br />
am 27. Juli 1953 zwischen US-General<br />
William Harrison und dem nordkoreanischen<br />
General Nam Il–ein Treffen,<br />
das nur gerade 12 Minuten gedauert<br />
hatte. Absurd kurz, nachdem die beiden<br />
Verhandlungsdelegationen <strong>zu</strong>vor anderthalb<br />
Jahre lang gefeilscht und sich<br />
teils stundenlang schweigend gegenübergesessen<br />
hatten. Der deutsche Historiker<br />
Bernd Stöver,der eine Geschichte<br />
des Kalten Krieges (2008) und eine<br />
Geschichte der USA (2012) publiziert<br />
hat, beschreibt die «eisige Unversöhnlichkeit<br />
der beiden Seiten».<br />
Teilung am grünen Tisch<br />
Der Koreakrieg (1950–1953) war der<br />
erste heisse im Kalten Krieg. Nordkoreaner<br />
und Chinesen auf der einen Seite,<br />
Südkoreaner,unterstützt vonUno-Truppen<br />
auf der andern, eroberten abwechslungsweise<br />
fast das ganzeLand und hinterliessen<br />
auf der durch ungeheuren<br />
Bomben- und Napalmeinsatz verbrannten<br />
Erde gegen 4,5 Millionen Tote. Der<br />
«vergessene Krieg» ist bis heute einer<br />
der gefährlichsten Krisenherde der<br />
Welt. Stövers faktenreiche, mit ausführlichen<br />
Tabellen, Karten und Fotosversehene<br />
Geschichte zeichnet die grausame<br />
Konfrontation der Supermächte imGefolge<br />
des Zweiten Weltkriegs nach.<br />
Den Befehl <strong>zu</strong>m Angriff hatte der<br />
nordkoreanische Diktator Kim Il-sung<br />
(der Grossvater des heutigen Despoten)<br />
am Sonntag, 25. Juni 1950, um 4Uhr morgens<br />
mit ausdrücklicher Billigung Stalins<br />
gegeben. Sie wollten die südkoreanische<br />
Hälfte des durch eine Demarkationslinie<br />
am 38. Breitengradgetrennten<br />
Landes «befreien» und «wiedervereinen».<br />
Die Teilung am Reissbrettwar das<br />
Resultat der Machtabsprachen zwischen<br />
Stalin, Churchill und Roosevelt<br />
um Einflusssphären am Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs gewesen. Auf die Seite<br />
Südkoreas schlugen sich die USA und<br />
20 weitere Staaten (Belgien, Frankreich,<br />
Grossbritannien, Griechenland, Luxemburg<br />
u.a.), die sich im Rahmen eines<br />
Uno-Mandates vereinigt hatten.<br />
Die Gegenoffensive auf südkoreanischer<br />
Seite führte der legendäre Douglas<br />
Mac<strong>Art</strong>hur,den man nach PearlHarbor<br />
aus dem Ruhestand geholt hatte.<br />
Dass Mac<strong>Art</strong>hur auch den Atomwaffen-<br />
Einsatz erwog, brachte ihn in Konflikt<br />
mit Präsident Truman, der ihn im April<br />
1951 seines Postens enthob. Der Koreakrieg<br />
war begleitet von unglaublicher<br />
Brutalität und vonKriegsverbrechen auf<br />
beiden Seiten: Erschiessungskommandos,<br />
Massentötung von Zivilisten und<br />
Gefangenen, Säuberungen. Erst Stalins<br />
TodimMärz 1953 machte den Weg<strong>zu</strong>m<br />
Waffenstillstand frei. Seit dem 28. Juli<br />
1953 besteht eine vier Kilometer breite<br />
und 248Kilometer langedemilitarisierte<br />
Zone. Bis heute stehen sich dort die Wachen<br />
zwischen den blauen Uno-Baracken<br />
mit grimmigem Blick gegenüber.<br />
Sonnenscheinpolitik<br />
Während sich nach dem Ende des Bürgerkrieges<br />
in Nordkorea die stalinistische<br />
Familiendiktatur festigte –auf den<br />
«Grossen Führer» Kim Il-sung folgte<br />
1994 der «Geliebte Führer» Kim Jong-il<br />
und auf diesen 2011 der Enkel Kim Jongun<br />
–, entwickelte sich Südkorea <strong>zu</strong>erst<br />
unter Generälen, dann ab 1988 unter gewählten<br />
Präsidenten <strong>zu</strong>m antikommunistischen<br />
Frontstaat. Dieser überholte<br />
den Norden an Wirtschaftskraft 1969<br />
und mutierte inden 1990er-Jahren <strong>zu</strong>m<br />
erfolgreichen Tigerstaat.<strong>Eine</strong> Nation, in<br />
der mehrheitlich von Familien kontrollierte<br />
Grossunternehmen den Aufschwung<br />
antreiben (Samsung, Daewoo,<br />
Hyundai, LG,Hanjin). Heute gilt Südkorea<br />
als einer der führenden Industriestaaten<br />
der Welt.<br />
Als Frucht der «Sonnenscheinpolitik»<br />
des südkoreanischen Präsidenten<br />
Kim Dae-jung entstand schliesslich 2003<br />
das gemeinsame Wirtschaftsgebiet in<br />
Kaesong: Der Hyundai-Konzern pachtete<br />
für 50 Jahre das in Nordkorea gelegene<br />
Gebiet, Südkorea baute die Infrastruktur,<br />
Nordkorea stellt die Arbeitskräfte<br />
–sowie die lückenlose Überwachung.<br />
So erhält der Norden willkommene<br />
Devisen und etwas Wirtschaftswachstum,<br />
während Seoul von billigen<br />
Arbeitskräften für die Produktion von<br />
Schuhen, Kleidung und Uhren profitiert.<br />
Nach der Wiedervereinigung Vietnams<br />
(1975) und Deutschlands (1990) ist<br />
Korea das letzte Land der Welt, dessen<br />
Status auf den Teilungsbeschlüssen des<br />
Kalten Krieges basiert. l<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 25
Sachbuch<br />
Korrespondenz In den Briefen vonMeret Oppenheim spiegelt sich die Leichtigkeit des Surrealismus<br />
Kaleidoskopder Zeit<br />
Meret Oppenheim: Wortenicht in giftige<br />
Buchstaben einwickeln. Hrsg. vonLisa<br />
Wenger und Martina Corgnati.<br />
Scheidegger &Spiess, Zürich 2013.<br />
452 Seiten, Fr.84.90.<br />
VonGerhardMack<br />
Man Ray hat sie nackt hinter einer<br />
Druckpresse fotografiert. Ihre Pelztasse<br />
ist eine Ikone der Kunst des 20.Jahrhunderts:<br />
Meret Oppenheim war nicht nur<br />
die Muse der Surrealisten, sie war auch<br />
die einzigeKünstlerin, die dem Männerclub<br />
wirklich auf Augenhöhe begegnete.<br />
Da verwundert es nicht, dass es <strong>zu</strong><br />
ihrem 100. Geburtstag im Oktober Ausstellungen<br />
und Publikationen hagelt.<br />
Der wichtigste Beitrag <strong>zu</strong>m Jubiläum ist<br />
zweifellos der Band mit rund tausend<br />
Briefen und dem autobiografischen<br />
Album «Von der Kindheit bis 1943», den<br />
die Nichte Lisa Wenger und die Kunsthistorikerin<br />
Martina Corgnati aus dem<br />
Nachlass herausgegeben haben. Dieser<br />
war von der Künstlerin auf 20 Jahre<br />
nach ihrem Tod1985 gesperrt worden.<br />
Meret Oppenheim hatte eine Begabung<br />
für Freundschaften. Geordnet<br />
nach Briefpartnern, fügen sich die Korrespondenzen<br />
<strong>zu</strong> einem Kaleidoskop<br />
der Zeit. In den Briefen an die Eltern<br />
«Mipsli und Pipsli» scheint ein lebhaftes<br />
Familien<strong>leben</strong> auf, das trotz Arztberuf<br />
materielle Nöte kannte. Marcel<br />
Duchamp will die «Chère Meret» ständig<br />
treffenund verspricht vorder Überfahrt<br />
nach Amerika: «T'enverrai les bas<br />
en Nylon.» Mit dem Geliebten Max<br />
Ernst macht «das Meretli» Knall auf Fall<br />
Schluss, bevoresseine Eigenständigkeit<br />
verliert. In anderen Briefen ist von den<br />
Mühen kreativer Tätigkeit während der<br />
18 Jahre dauernden Schaffenskrise die<br />
Rede.<br />
Werdiese vonden Herausgeberinnen<br />
sorgfältig annotierten Briefe liest, erfährt<br />
viel über die Menschen hinter den<br />
heute oft bekannten Werken. Undselbst<br />
da, wo fast nur die Zeilen der Briefpartner<br />
erhalten sind, bekunden diese, wie<br />
sehr diese Künstlerin sie <strong>zu</strong> Offenheit<br />
und Leichtigkeit animiert hat. So heiter,<br />
so begeistert wie der spätereBasler Museumsdirektor<br />
Franz Meyer ihr schrieb,<br />
hat man ihn selten sprechen gehört. An<br />
den schönsten Stellen ist in diesen Briefwechseln<br />
etwasvon der Flüchtigkeit des<br />
Lebens <strong>zu</strong> spüren, die der Surrealismus<br />
vermitteln wollte.<br />
Besonders dankbar ist man für das<br />
reich illustrierte und mit Erläuterungen<br />
versehene «Album», das als Faksimile<br />
eingefügt ist und wohl das Format des<br />
Bandes vorgegeben hat. Hier hat die<br />
Künstlerin frühe Zeichnungen ebenso<br />
eingeklebt wie die Briefe von Alfred<br />
Barr <strong>zu</strong>m Kauf der Pelztasse. Einziges<br />
Ärgernis: Ein Layout wie ein Telefonbuch,<br />
das die Lektüre<strong>zu</strong>m Kampfmacht,<br />
wo es um Leichtigkeit geht. l<br />
Dasamerikanische Buch Tischgespräche mit Orson Welles<br />
Bosnier haben kurzeNacken, der Hollywood-Produzent<br />
Irving Thalberg<br />
(«Grand Hotel») warein Teufel und<br />
RitaHayworth wärelieber ein Heimchen<br />
am Herd gewesen als ein Sex-Idol.<br />
Derlei mitunter bizarre, aber stets kurzweiligeEinsichten<br />
und Urteile vertraute<br />
Orson Welles am Ende seiner<br />
langen Karrieredem Schauspieler und<br />
Regisseur Henry Jaglom an. Welles hielt<br />
bis <strong>zu</strong> seinem Tod1985<strong>zu</strong>Mittagim<br />
Restaurant «Ma Maison» in Hollywood<br />
Hof. Von1983 an teilteJaglom den<br />
Tisch des Regisseursvon «Citizen<br />
Kane» regelmässig mit dessen Zwergpudel<br />
Kiki. Dabei liessder Gast im<br />
Einvernehmen mit Welles einen Kassettenrekorder<br />
laufen, um die Tischgespräche<br />
<strong>zu</strong> dokumentieren. Die Bänder<br />
verstaubten fast 30 Jahrelang in einem<br />
Schuhkarton, ehe Jaglom endlich dem<br />
Drängen seines Freundes <strong>Peter</strong>Biskind<br />
nachgab und ihm die Aufnahmen überliess.<br />
Der Journalist und Filmhistoriker von<br />
Rang –Biskind hatStandardwerke über<br />
Hollywood wie «EasyRiders, Raging<br />
Bulls» geschrieben –hat die Mitschnitte<br />
nun in einer sorgfältig edierten<br />
Fassung als Buch veröffentlicht. My<br />
Lunches With Orson. Conversations Between<br />
Henry Jaglom and Orson Welles<br />
(Metropolitan Books, 306 Seiten) beginnt<br />
mit einer erklärenden Einleitung<br />
Biskinds, der sich 28 Kapitel anschliessen.<br />
Davorkündigt der Autorjeweils in<br />
knappen Sätzen wie «Worin Orson unhöflich<br />
<strong>zu</strong> RichardBurton ist und (den<br />
Gangster)Meyer Lanskyals Langeweiler<br />
bezeichnet» den Inhalt der folgenden<br />
Tischgespräche an. Das erinnert<br />
–wohl nicht <strong>zu</strong>fällig –anden Gargantua<br />
vonRabelais.<br />
Orson Welles<br />
(links)entpuppte<br />
sich in seinen<br />
Tischgesprächen als<br />
dünnhäutiger Mensch.<br />
AutorHenry Jaglom<br />
(rechts und unten).<br />
Welles wardamals bereits <strong>zu</strong> einem gargantuesken<br />
Fettwanst angeschwollen,<br />
aber seine Lust am Argumentieren und<br />
Fabulieren hatte er nicht verloren. In<br />
den Gesprächen werden <strong>zu</strong>dem der<br />
scharfe Witz und die imponierende<br />
Bildung vonWelles deutlich, der von<br />
Architektur über Literatur bis <strong>zu</strong> aktueller<br />
Politik auf vielen Gebieten <strong>zu</strong>hause<br />
war. Undoffensichtlich warWelles zwar<br />
ein Mann grosser,linksliberaler Leidenschaftenund<br />
etwa mit Franklin D. Roosevelt<br />
befreundet gewesen. Aber beim<br />
Hühnersalatim«Ma Maison» konnteer<br />
auch eigene Fehler und Schwächen eingestehen.<br />
So wirdhier der ganzeWelles<br />
serviert, eine komplexe und trotz seiner<br />
Abneigungen grossherzigeFigur.Nicht<br />
<strong>zu</strong>letzt diese Qualität trug «MyLunches<br />
With Orson» in den USAdurchwegpositive<br />
Kritiken ein.<br />
Mitunter hakt Henry Jaglom nach, vor<br />
allem wenn es um das Kino und das<br />
Werk vonWelles selbst geht. Dann gewinnt<br />
der Leser frische Einblickeindas<br />
StudiosystemHollywoods, mit dem das<br />
einstigeWunderkind sein ganzes Berufs<strong>leben</strong><br />
lang gerungen hat. Allerdings<br />
warsich Welles bewusst, dassihm<br />
seine sprudelnde Imagination all<strong>zu</strong><br />
häufig bei der Fertigstellung vonProjekten<br />
in den Wegkam. Gelegentlich<br />
werden die Gespräche auch melancholisch.<br />
Etwawenn Welles über das<br />
Scheitern seiner Ehe mit RitaHayworth<br />
oder seine Weigerung spricht,<br />
<strong>Art</strong>ikel über ihn selbst <strong>zu</strong> lesen.<br />
SchlechtePressewarfihn anscheinend<br />
auch dann noch in tiefeDepressionen,<br />
als «Citizen Kane» längst als bester<br />
Film aller Zeiten gefeiert worden ist. In<br />
den Tischgesprächen wirdklar,dass<br />
die Kino-Legende mit der mächtigen<br />
Stimme bisweilen sehr dünnhäutig sein<br />
konnte.<br />
Jaglom hatte Welles 1971da<strong>zu</strong> überredet,<br />
in seinem ersten Film mit<strong>zu</strong>spielen.<br />
ZumZeitpunkt der Tischgespräche<br />
warerAnfang 40 und ein Vertrautergeworden,<br />
der seinem Idol Welles bei<br />
dessen Suche nach Rollen, Werbeauftrittenund<br />
Geldquellen für Projekte<br />
wie einer Verfilmung der Shakespeare-<br />
Tragödie «König Lear» beisprang. Dabei<br />
mussteWelles immer wieder<br />
Rückschlägeeinstecken. Doch seinem<br />
Schaffensdrang tat dies keinen Abbruch.<br />
WieJaglon in einem Epilog<br />
schreibt, hatte sein Freund eine<br />
Schreibmaschine mit einer Drehbuchseiteauf<br />
dem Schoss, als er 70-jährig in<br />
seinem Bett einem Herzinfarkt erlag.<br />
VonAndreas Mink l<br />
26 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013
Agenda<br />
EwigeDiva Mythos Kleopatra<br />
Agenda September 13<br />
Basel<br />
Montag, 2.September,19.30 Uhr<br />
Franz Renggli: Das goldene Tor<strong>zu</strong>m<br />
Leben. Kulturhaus Bider &Tanner,<br />
Aeschenvorstadt2.Reservation:<br />
Tel. 061 206 99 96.<br />
Samstag, 14.September,ab10Uhr<br />
Tagder Poesie auf dem Theaterplatz und<br />
in der Innenstadt, mit Lesungen und Musik.<br />
Programm: www.tagderpoesie.ch.<br />
Donnerstag, 19.September,19Uhr<br />
Melitta Breznik: Der Sommer hatlange<br />
auf sich warten lassen. Lesung, Fr.17.–.<br />
Literaturhaus, Barfüssergasse3,<br />
Tel. 061 261 29 50.<br />
RUEDES ARCHIVES/KEYSTONE<br />
Werwar Kleopatra?<strong>Eine</strong> Ausstellung in Bonn (bis<br />
6. Oktober)versucht schon garnicht, diese Frage<strong>zu</strong><br />
beantworten, sie legt den Fokusganz auf das Nach<strong>leben</strong><br />
der ägyptischen Diva, die so viel Ägypterin war,<br />
wie Elizabeth Taylor im Film (siehe Bild), nämlich gar<br />
nicht. VonHause aus warsie eine Ptolemäerin, also<br />
eine Griechin, aber da ihreMutterunbekannt ist,<br />
bleibt uns ihrewahreIdentität verschlossen.<br />
Historisch istvon dieser faszinierenden Frau fast<br />
nichts bekannt. Und das wenige, wasdie römischen<br />
Bestseller August 2013<br />
Belletristik<br />
1<br />
2<br />
Martin<br />
3<br />
Franz<br />
4<br />
DanBrown:<br />
5<br />
Jonas<br />
6<br />
<strong>Peter</strong>Stamm:<br />
7<br />
BlancaImboden:<br />
8<br />
Jean-Luc<br />
9<br />
Catharina<br />
10<br />
AlexCapus: Der Fälscher,die Spionin und<br />
der Bombenbauer. Hanser.281 S., Fr.27.90.<br />
Suter: Allmenund die Dahlien.<br />
Diogenes. 224 Seiten, Fr.28.90.<br />
Hohler: Gleis 4.<br />
Luchterhand. 224 Seiten, Fr.27.90.<br />
Inferno.<br />
Bastei Lübbe.685 Seiten, Fr.36.50.<br />
Jonasson: Der Hundertjährige.<br />
Carl’sBooks. 412 Seiten, Fr.21.90.<br />
Nacht istder Tag.<br />
S. Fischer.256 Seiten, Fr.28.90.<br />
Wandern istdoof.<br />
Wörterseh. 224 Seiten, Fr.24.90.<br />
Bannalec: Bretonische Brandung.<br />
Kiepenheuer &Witsch. 368 Seiten, Fr.24.50.<br />
Ingelman-Sundberg: Wirfangen<br />
gerade erst an. S. Fischer.416 Seiten, Fr.21.90.<br />
Jean-Luc Bannalec: Bretonische Verhältnisse.<br />
Kiepenheuer &Witsch. 301 S., Fr.21.90.<br />
Sachbuch<br />
Erhebung Media Control im Auftragdes SBVV; 13.8.2013. Preise laut Angaben vonwww.buch.ch.<br />
Historiker über sie geschrieben haben, muss wohl<br />
eher als üble Nachrede bezeichnet werden. Sie lebte<br />
von69bis 30 vorChristusund dientebereits <strong>zu</strong><br />
Lebzeiten als Projektionsfläche männlicher<br />
Phantasien. Ihr inszenierterSelbstmordrief in den<br />
folgenden Jahrhunderteneine Vielzahl vonMythen<br />
und Darstellungen hervor,deren Akzentejenach<br />
Epoche und Frauenbild variieren. GenevièveLüscher<br />
Kleopatra.Die ewigeDiva. Bundeskunsthalle Bonn /<br />
Hirmer,München 2013. 336Seiten, Fr.64.90.<br />
1<br />
2<br />
Eben<br />
3<br />
Rolf<br />
4<br />
Duden.Die<br />
5<br />
LukasFischer:<br />
6<br />
Rolf<br />
7<br />
Wilfried<br />
8<br />
Zürichgeht<br />
9<br />
PierreFranckh:<br />
10<br />
Bronnie Ware:5Dinge, die Sterbende am<br />
meistenbereuen. Arkana. 351 Seiten, Fr.29.90.<br />
Alexander: Blick in die Ewigkeit.<br />
Ansata. 256 Seiten, Fr.29.90.<br />
Dobelli: Die Kunstdes klaren Denkens.<br />
Hanser.246 Seiten, Fr.24.90.<br />
deutsche Rechtschreibung. 26.<br />
Aufl. Bibliogr.Institut. 1216 Seiten, Fr.39.90.<br />
1001 Ausflugsziele –Familienspass.<br />
Weltbild. 464Seiten, Fr.39.90.<br />
Dobelli: Die Kunstdes klugen Handelns.<br />
Hanser.248 Seiten, Fr.24.90.<br />
Meichtry: Mani Matter.<br />
Nagel&Kimche.320 Seiten, Fr.34.90.<br />
aus! 2013/2014.<br />
Gourmedia. 293 Seiten, Fr.24.50.<br />
Erfinde dich neu –Der<br />
6-Minuten-Coach. Arkana. 180 S., Fr.19.90.<br />
Esther Girsberger: Livia Leu.<br />
Wörterseh. 200 Seiten, Fr.39.90.<br />
Bern<br />
Sonntag, 1. September,11Uhr<br />
LukasHartmann: Abschied<br />
vonSansibar.Buchvernissage.Zentrum<br />
Paul<br />
Klee,Monument im<br />
Fruchtland 3. Reservation:<br />
Tel. 031 3590101.<br />
Mittwoch, 11.September,19Uhr<br />
Henriette Vásárhelyi: immeer.Lesung,<br />
Fr.12.– inkl. Apéro. Haupt Buchhandlung,<br />
Falkenplatz 14.www.haupt.ch.<br />
Freitag, 20.September,20Uhr<br />
Gerlinde Michel: Frei willig. Bistro<br />
Prima Luna, Effingerstrasse 92.<br />
Info: www.prima-luna.ch.<br />
Zürich<br />
Mittwoch, 4. September,20Uhr<br />
Milena Moser: Das wahreLeben.<br />
Buchpremieremit Lesung, Fr.28.–.<br />
Kaufleuten, Festsaal, Pelikanplatz 1,<br />
Tel. 044225 33 77.<br />
Donnerstag, 5. September,19.30 Uhr<br />
<strong>Peter</strong>Stamm: Nacht ist der Tag. Lesung,<br />
Fr.18.– inkl. Apéro. Literaturhaus,<br />
Limmatquai 62, Tel. 044254 50 00.<br />
Dienstag, 17.September,18.30 Uhr<br />
Dagmar Schifferli: Heinrich und Anna<br />
Pestalozzi. Lesung. rüffer&rub,Sachbuchverlag,<br />
Konkordiastrasse 20.<br />
Reservation: Tel. 044381 77 30.<br />
Mittwoch, 18.September,20Uhr<br />
AlexCapus: Der Fälscher,die Spionin<br />
und der Bombenbauer.Lesung, Fr.28.–.<br />
Kaufleuten(s. oben).<br />
Samstag, 28.September,<br />
15 Uhr<br />
Lizzie Doron: Das<br />
Schweigen meiner Mutter.<br />
Lesung, Fr.18.– inkl.<br />
Apéro. Literaturhaus<br />
(s. oben).<br />
Bücher am Sonntag Nr.8<br />
erscheint am 29.9.2013<br />
WeitereExemplare der Literaturbeilage«Bücher am<br />
Sonntag» können bestellt werden per Fax044 2581360<br />
oder E-Mail sonderbeilagen@nzz.ch. Oder sind –solange<br />
Vorrat –beim Kundendienstder NZZ, Falkenstrasse 11,<br />
8001Zürich, erhältlich.<br />
DPA KEYSTONE<br />
25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 27
10CFWMIQ4DMQwEX-Ro144dp4bVsVNBVR5SFff_qHfHClYDdjT7Xt5w7b49XtuzCHQXBUktn950RKVqQx-FZByX3ZCuGKb88wWcYbB1OoIUxgpxih7M5Oxj0c7IugJo3_fnB-LwsB-DAAAA<br />
10CAsNsjY0MDAx1TUyMDQ0NAIAR3uwGA8AAAA=<br />
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