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Peter Bieri Eine Art zu leben - Neue Zürcher Zeitung

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Nr.7|25. August 2013<br />

<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong> <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong> <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> | <strong>Peter</strong>Stamm Nacht ist der Tag | Jennifer<br />

Egan Black Box | Silvia Bovenschen Nur Mut |Soziologe <strong>Peter</strong>Gross im<br />

Porträt | Micheline Calmy-Rey über Nahostdiplomatie | Thilo Sarrazin<br />

bespricht Bücher <strong>zu</strong>r Eurokrise |Weitere Rezensionen <strong>zu</strong> PerOlovEnquist,<br />

Orson Welles, Karl Popper,Mark Pieth u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese


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Nr.7|25. August2013<br />

<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong> <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong> <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> | <strong>Peter</strong>Stamm Nacht ist der Tag | Jennifer<br />

Egan Black Box | Silvia Bovenschen Nur Mut |Soziologe <strong>Peter</strong>Gross im<br />

Porträt | Micheline Calmy-Rey über Nahostdiplomatie | Thilo Sarrazin<br />

bespricht Bücher <strong>zu</strong>r Eurokrise |Weitere Rezensionen <strong>zu</strong> PerOlovEnquist,<br />

Orson Welles, Karl Popper,Mark Pieth u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese<br />

Inhalt<br />

Schlussmit<br />

Larmoyanz und<br />

Betulichkeit<br />

<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong><br />

(Seite18).<br />

Illustration von<br />

André Carrilho<br />

Bücher über Alter,Krankheit und Todsind oft getragen vonRespekt<br />

und Behutsamkeit. Nicht so der neue Roman vonSilvia Bovenschen<br />

(67), die –mit multipler Sklerose konfrontiert –eine furiose Erzählung<br />

über vier alteDamen vorlegt, die dem Todein Schnippchen schlagen<br />

(Seite7). Undebenso präzis wie ironisch rapportiert der todkranke<br />

Christopher Hitchens (61) sein eigenes Sterben (S. 19).<br />

Am meisten aber überrascht der St.Galler Soziologe<strong>Peter</strong> Gross(72).<br />

Er sieht im Alter gerade<strong>zu</strong> einen Sinnspender für unsereGesellschaft,<br />

die vonStress, Depressionen und Burnoutgezeichnet sei. Grossruft<br />

weder <strong>zu</strong>m Fitness-Wahn auf,noch plädiert er schonend für Nachsicht.<br />

Nein, das Alter sei der Abstieg des Lebens nach langem, mühsamem<br />

Aufstieg. <strong>Eine</strong> Welt, in der vier oder fünf Generationen gleichzeitig<br />

<strong>leben</strong>, sei ein Traum –kein Albtraum! Die Alten sollten darin die<br />

«Ruhestifter» spielen auf dem Pfad in «kontemplative, friedliche und<br />

nachhaltigeGesellschaften». <strong>Eine</strong> kühne,aber auch klugeVision, die<br />

pessimistische Altersszenarien radikal umstülpt (S. 12).<br />

Selbstverständlich fehlt auch die «junge» Literatur nicht: der neue<br />

<strong>Peter</strong>Stamm etwa (S. 4), der Twitter-Roman vonJennifer Egan (S. 9)<br />

oder die Lebenswelten pubertierender Jugendlicher (S. 24). Mögen Sie<br />

beim Stöbern in unserer Bücherkisteauf Trouvaillen stossen –unter<br />

den blühenden wie unter den verwelkenden Themen. UrsRauber<br />

Belletristik<br />

4 <strong>Peter</strong>Stamm: Nacht istder Tag<br />

VonManfred Papst<br />

6 Dror Mishani: Vermisst. AviAvraham ermittelt<br />

VonStefana Sabin<br />

Gail Parent: Sheila isttot und lebt in NewYork<br />

VonRegula Freuler<br />

7 Silvia Bovenschen: Nur Mut<br />

VonGunhild Kübler<br />

8 PerOlovEnquist: DasBuch der Gleichnisse<br />

VonSandraLeis<br />

9 Jennifer Egan: Black Box<br />

VonSimone vonBüren<br />

Gert&Uwe Tobias<br />

VonGerhardMack<br />

10 Sabine <strong>Peter</strong>s:Narrengarten<br />

VonJudith Kuckart<br />

11 E-Krimi des Monats<br />

Giampaolo Simi: Vater. Mörder.Kind.<br />

VonChristine Brand<br />

Kurzkritiken Belletristik<br />

11 Stefan Zweig: Habe Bedürfnis nach Freunden<br />

VonManfred Papst<br />

Hedwig Dohm: Sommerlieben<br />

VonRegula Freuler<br />

AnouschMueller: Brandstatt<br />

VonRegula Freuler<br />

Isabella Straub: Südbalkon<br />

VonManfred Papst<br />

Porträt<br />

12 <strong>Peter</strong>Gross, Soziologe und Essayist<br />

Wieder Schlusssatz einer Sonate<br />

VonKathrin Meier-Rust<br />

Kolumne<br />

15 Charles Lewinsky<br />

Das Zitat vonWilliam Shakespeare<br />

Silvia Bovenschen schreibt auch im neuen Buch brillant<br />

und entwaffnend über das Älterwerden (S.7).<br />

Kurzkritiken Sachbuch<br />

15 Esther Girsberger: Livia Leu<br />

VonUrs Rauber<br />

Wulf Rössler,Hans Danuser: Burg aus Holz<br />

VonUrs Rauber<br />

Meriwether Lewis, William Clark: Der weite<br />

Wegnach Westen<br />

VonGenevièveLüscher<br />

Paul B. Rothen: idegottvergässne stedt<br />

VonKathrin Meier-Rust<br />

Sachbuch<br />

16 David Marsh: Beim Geld hörtder Spass auf<br />

Dominik Geppert: Ein Europa,das es nicht<br />

gibt<br />

VonThilo Sarrazin<br />

18 <strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>: <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong><strong>zu</strong><strong>leben</strong><br />

VonKlaraObermüller<br />

VARIO IMAGES<br />

19 Christopher Hitchens: Endlich<br />

VonKathrin Meier-Rust<br />

Jan Whitaker: Wunderwelt Warenhaus<br />

VonGenevièveLüscher<br />

20 Mark Pieth: Der Korruptionsjäger<br />

VonLukas Häuptli<br />

Jenna MiscavigeHill: Meingeheimes Leben<br />

bei Scientology und meine dramatische Flucht<br />

VonBerthold Merkle<br />

21 Kurt O. Wyss: Wirhaben nur dieses Land<br />

VonMicheline Calmy-Rey<br />

22 Brigitte Hamann: Bertha vonSuttner<br />

VonGenevièveLüscher<br />

23 John Lanchester: Warum jeder jedem etwas<br />

schuldet und keiner jemals etwas<strong>zu</strong>rückzahlt<br />

VonSieglinde Geisel<br />

Hardy Bouillon: Philosophie der freien<br />

Gesellschaft<br />

VonKirsten Voigt<br />

24 Beirat Jungenpolitik: Jungen und ihre<br />

Lebenswelten<br />

VonWalter Hollstein<br />

Stefan Ragaz: Luzern im Spiegel der Diebold-<br />

Schilling-Chronik<br />

VonFabian Fellmann<br />

25 Bernd Stöver: Geschichtedes Koreakriegs<br />

VonUrs Rauber<br />

26 Meret Oppenheim: Wortenicht in giftige<br />

Buchstaben einwickeln<br />

VonGerhardMack<br />

Dasamerikanische Buch<br />

Henry Jaglom: My Lunches With Orson.<br />

Conversations<br />

VonAndreas Mink<br />

Agenda<br />

27 Kleopatra.Die ewigeDiva<br />

VonGenevièveLüscher<br />

Bestseller August2013<br />

Belletristik und Sachbuch<br />

Agenda September 2013<br />

Veranstaltungshinweise<br />

Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion UrsRauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), GenevièveLüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)<br />

StändigeMitarbeit UrsAltermatt,Urs Bitterli, Manfred Koch, Gunhild Kübler,SandraLeis, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer,Andreas Mink, KlaraObermüller,AngelikaOverath,<br />

Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Hans <strong>Peter</strong>Hösli (<strong>Art</strong> Director), UrsSchilliger (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG<br />

Verlag NZZamSonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044258 1111, Fax04426170 70, E-Mail: redaktion.sonntag@nzz.ch<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 3


Belletristik<br />

Roman <strong>Peter</strong>Stamm erzählt in seinem neuen Roman «Nacht ist der Tag» so lakonisch<br />

und elegant wie eh und je. Doch seine Figurendrohen ihm abhanden<strong>zu</strong>kommen<br />

Sehnsucht<br />

verlorener Seelen<br />

<strong>Peter</strong>Stamm: Nacht istder Tag.<br />

S. Fischer,Frankfurt 2013. 253 Seiten,<br />

Fr.28.90,E-Book 22.-.<br />

VonManfred Papst<br />

Gillian liegt nach einem schwerenAutounfall<br />

in der Silvesternacht verletzt im<br />

Spital. Ihr Mann, der nach dem gemeinsamen<br />

Besuch bei Freunden betrunken<br />

den Wagen lenkte, ist tot, sie selbst hat<br />

Knochenbrüche und ist im Gesicht entstellt.<br />

Die Nase ist weg, mehrereschwierige<br />

Operationen stehen ihr bevor. Sie<br />

wirdnie mehr diejenigesein, die sie einmal<br />

war. Dass sie ihren Beruf als Moderatorin<br />

und Vorzeigefrau einer wöchentlichen<br />

Kultursendung am Schweizer<br />

Fernsehen nochmals aufnimmt, ist kaum<br />

vorstellbar.<br />

Zu den Schmerzen und der Angst, in<br />

den Spiegel <strong>zu</strong> blicken, kommen die<br />

Schuldgefühle. Gillian und Matthias hatten<br />

anjenem Abend Streit. Er hatte Aktfotos<br />

von ihr gefunden, über deren Herkunftsie<br />

sich ausschwieg. Jetzt ist nichts<br />

mehr <strong>zu</strong> erklären, nichts mehr gut<strong>zu</strong>machen.<br />

Gillian hat imdoppelten Sinn ihr<br />

Gesicht verloren und musssich nun eine<br />

neue Identität suchen, ein neues Leben<br />

finden.<br />

<strong>Peter</strong>Stamm<br />

<strong>Peter</strong>Stamm wurde 1963imThurgau<br />

geboren. Er studierte in Zürich Anglistik,<br />

Psychologie, Wirtschaftsinformatik und<br />

Psychopathologie. Seit vielen Jahren lebt<br />

er mit seiner Frau und den beiden Söhnen<br />

in Winterthur.1998erschien sein<br />

Debütroman «Agnes». Es folgten vier<br />

Erzählbände und drei Romane sowie<br />

zahlreiche Theaterstückeund Hörspiele.<br />

«Nacht istder Tag» istStamms fünfter<br />

Roman. Sein Werk istinmehrere<br />

Sprachen übersetzt und international<br />

erfolgreich.<br />

Als sie noch eine mässig begabte<br />

Schauspielerin und nicht im Fernsehen<br />

<strong>zu</strong> sehen war, galt ihr Mann als der prominentere<br />

Journalist. Für eine Zeitschrift,<br />

in der Kultur kaum vorkommt,<br />

schrieb erüber ebendiese. Er gehörte<br />

<strong>zu</strong>r Szene,ohne dassman ihn intellektuell<br />

wirklich ernst genommen hätte.<br />

Man geht <strong>zu</strong> zweit auf Vernissagen<br />

und Premieren, wohnt schick, isst nobel<br />

und fährt übers Wochenende ins Wellness-Hotel.<br />

Man hat alles ausser einer<br />

Perspektive. Doch allmählich überflügelt<br />

die telegene Moderatorin den Journalisten.<br />

Glücklich ist sie gleichwohl<br />

nicht.<br />

Aus Gillian wird Jill<br />

Etwas fehlt ihr, und sie sucht es in einer<br />

<strong>zu</strong>nehmend obsessiven Beziehung <strong>zu</strong><br />

einem Künstler namens Hubert, der einmal<br />

in ihrer Sendung war. Seine Methode<br />

oder Masche: Er spricht Frauen auf<br />

der Strasse anund bittet sie, sich von<br />

ihm in ihrem Alltag nackt fotografieren<br />

<strong>zu</strong> lassen. Später arbeitet er diese Fotografien<br />

in seinem Atelier <strong>zu</strong> Bildern um.<br />

Er nähert sich seinen Objekten nicht sexuell.<br />

Er sucht den bannenden Blick, die<br />

wortlose Begegnung ohne Berührung,<br />

deren Energie sich dann im Kunstwerk<br />

entlädt. Doch die Treffen mit Gillian, <strong>zu</strong><br />

denen ein immer hektischerer E-Mail-<br />

Wechsel der beiden geführt hat, scheitern.<br />

Sie sitzt ihm <strong>zu</strong>nächst tapfer Modell.<br />

Doch als sie mit ihm schlafen will,<br />

weist er sie schroff ab–mit dem Hinweis<br />

darauf, dass seine Freundin<br />

schwanger sei.<br />

Das ist alles vor dem Unfall passiert.<br />

Nach sechs Jahren ist Gillian wieder einigermassen<br />

hergestellt. Sie hat ihr<br />

Leben umgekrempelt, ist nicht <strong>zu</strong>m<br />

Fernsehen <strong>zu</strong>rückgekehrt, sondern ins<br />

Engadin gezogen, ins Ferienhaus ihrer<br />

Eltern, <strong>zu</strong> denen sie ein kühles Verhältnis<br />

hat und die sie selten sieht. Sie organisiert<br />

dort die Animationsprogramme<br />

für Kinder und Erwachsene in einem<br />

Berghotel, spielt manchmal sogar in<br />

einem Schwank mit und fühlt sich dabei<br />

weit besser als in ihrem früheren Leben.<br />

Sie nennt sich nun Jill.<br />

VonHubert hört sie erst wieder, als<br />

der Künstler mit einer Carteblanche ins<br />

alpine Kulturzentrum eingeladen wird.<br />

Auch bei ihm hat sich vieles verändert.<br />

Seine Beziehung geht gerade in die Brüche,<br />

weil Astrid sich in einen Esoteriker<br />

namens Rolf verliebt hat, das Verhältnis<br />

<strong>zu</strong>m Sohn Lukas ist schwierig. Huberts<br />

kreative Kräfte sind seit langem versiegt,<br />

er unterrichtet an einer Hochschule<br />

und fühlt sich dabei wie ein<br />

Hochstapler. Erfährt ins Engadin ohne<br />

die geringsteAhnung, waserdakünstlerisch<br />

inszenieren will. Es kommt <strong>zu</strong>m<br />

Eklat: Als die Vernissage näherrückt,<br />

wird erkurzerhand ausgeladen. Ersatz<br />

ist rasch gefunden, und er bricht <strong>zu</strong>sammen.<br />

Nachdem er sich erholt hat, sucht<br />

er ein ähnlich neues und bescheidenes<br />

Leben wie Jill: Er unterrichtet Hotelgäste<br />

im Zeichnen, fährt nur noch zwei<br />

Tage pro Woche <strong>zu</strong>m Dozieren ins Unterland.<br />

Die ehemaligeModeratorin und<br />

der ehemalige Künstler werden in bescheidenerer<br />

Eigentlichkeit <strong>zu</strong>mindest<br />

vorübergehend ein Paar –bis es auch<br />

ihn wieder weglockt und sie ihre eigenen<br />

Wege geht: «Das Spiel war <strong>zu</strong>Ende,<br />

sie warfreiund konntegehen, wohin sie<br />

wollte.» So lautetder letzteSatzdes Romans.<br />

Diffuse Szenen und Gestalten<br />

Ein anderer Autor hätte aus der Geschichtedieses<br />

Gesichts- und Identitätsverlusts<br />

ein farbiges Drama vonexistenzialistischer<br />

Wucht gemacht. Nicht so<br />

<strong>Peter</strong>Stamm. Seit je versteht er sich aufs<br />

Verhaltene und Ungenaue. Seine Szenerien<br />

sind so diffus wie seine Gestalten.<br />

Diese sagen oft vorgestanzte Sätze oder<br />

zögerliche oder solche, die nirgendwohin<br />

führen. Nachlässigkeit ist das nicht.<br />

<strong>Peter</strong> Stamm schaut genau hin, und er<br />

sucht eine Sprache, die das Halbe und<br />

Vorläufige trifft. Die gemischten Gefühle.<br />

Die Zögerlichkeit des Wahrnehmens,<br />

die Uneigentlichkeit des Benennens.<br />

Damit ist er <strong>zu</strong>m Chronisten einer satu-<br />

<strong>Peter</strong>Stamm istmit<br />

seiner «Reissbrett-<br />

Literatur» <strong>zu</strong>m<br />

Chronisteneiner<br />

saturierten, ratlosen<br />

Generation geworden.<br />

4 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


VERAHARTMANN /13PHOTO<br />

rierten und gleichwohl ratlosen Generation<br />

geworden.<br />

Lange hat der Autor andiesem Buch<br />

gearbeitet. <strong>Eine</strong> frühere Fassung hat er<br />

vor Jahren schon für gescheitert erklärt<br />

und beiseitegelegt, sie dann doch wieder<br />

hervorgenommen und weiter vorangetrieben.<br />

Man merkt dem Werk die<br />

Brüche, die Mühen seiner Entstehung<br />

an. Es ist nicht aus einem Guss wie andereWerke<br />

des für seine kühle und doch<br />

stimmungsvolle «Reissbrett-Literatur»<br />

bekannten Autors. Die Perspektivenwechsel<br />

in den drei Teilen sind nicht<br />

recht plausibel, den eingangs skizzierten<br />

Grundkonflikt verliert der Autor<br />

bald aus den Augen.<br />

Stamm erzählt uns eine Geschichte<br />

von den Nöten und Sehnsüchten seltsam<br />

verlorener Seelen, vom Misslingen<br />

der Liebe, und beiläufig zeichnet er<br />

auch ein spöttisches Bild des Kulturbetriebs.<br />

Witzig etwa, wie Hubert einer<br />

Bündner Lokaljournalistin Auskunft<br />

über seine Konzeptegibt und dabei kein<br />

Klischee auslässt. Hubert als ratloser<br />

Künstler in seiner alpinen Klause,Jill als<br />

Magd im Bauernschwank: Da beginnt<br />

der Text <strong>zu</strong> <strong>leben</strong>.<br />

Langweilig bis kitschig<br />

Der Titel des Romans zitiert Shakespeare:<br />

«Nacht ist der Tag, der mir dein<br />

Bild entzieht /und Tagdie Nacht, die<br />

dich im Traume sieht.» Man könnte die<br />

Verse als Bauplan von Stamms Buch<br />

lesen. Doch der Autor folgt ihm nicht<br />

konsequent, sondern verliert sich in<br />

einem kargen, linearen Erzählen, das oft<br />

nicht mehr als ein Aufzählen und entsprechend<br />

langweilig ist. Was da eins<br />

Kaffee getrunken, geraucht und geschwiegen<br />

wird! Auch übers Wetter ist<br />

viel <strong>zu</strong> erfahren –fast immer in lapidaren<br />

Sätzen, pauschalen Feststellungen,<br />

erstbesten Wörtern. Bisweilen definiert<br />

das Metronom den Sprachrhythmus.<br />

Und wenn Stamm philosophisch wird,<br />

dann überschreitet er mehrfach die<br />

Grenze <strong>zu</strong>r Textsorte «Lebenshilfe».<br />

Mag sein, dass auch diese Sätze nicht<br />

absolut gemeint, sondern den Figuren<br />

<strong>zu</strong>geordnet sind, die es halt nicht besser<br />

wissen. Ermüdend sind sie trotzdem.<br />

Und gegen Schluss wird der Roman<br />

richtig kitschig.<br />

Im Detail blitzt zwar Stamms Klasse<br />

immer wieder einmal auf: dann, wenn er<br />

sich aufssprechende Detail besinnt. Am<br />

Schluss des ersten Teils gibt es so eine<br />

Szene: Gillian fährt, als sie wieder auf<br />

den Beinen ist, mit ihrem Auto <strong>zu</strong>m Unfallort.<br />

Dort entdeckt sie ein <strong>zu</strong>m Gedenken<br />

ihres Mannes abgelegtes Blumengebinde<br />

und eine Grabkerze. Sie<br />

packt beides ein –und wirft es an der<br />

nächsten Autoraststätte in einen Mülleimer,<br />

auf dem in vier Sprachen «Danke»<br />

steht. Auf solche kleine Szenen versteht<br />

<strong>Peter</strong> Stamm sich meisterhaft. Für sie<br />

bewundern wir ihn. Doch in diesem<br />

Buch kommen sie viel <strong>zu</strong> selten vor. l<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 5


Belletristik<br />

Kriminalroman Der Israeli Dror Mishani setzt mehr auf<br />

psychologische Tiefeals auf Lokalkolorit<br />

VorlauterIndizien<br />

dieTat nichtsehen<br />

Dror Mishani: Vermisst. AviAvraham<br />

ermittelt. Ausdem Hebräischen von<br />

Martin Lemke. Zsolnay, Wien 2013.<br />

350Seiten, Fr.27.90,E-Book 19.90.<br />

VonStefana Sabin<br />

Die Stadt Cholon –<br />

hier Neubausiedlung<br />

im Gindi Park –ist<br />

das Wirkungsfeld<br />

vonInspektor Avi<br />

Avraham.<br />

Weil die israelische Literatur als Teil des<br />

nationalen Projekts entstanden ist, hat<br />

sie die Geschichte der Nation und ihre<br />

Befindlichkeit gespiegelt und war gegen<br />

Kriminalromane resistent, behauptet<br />

Dror Mishani, Lektor im Jerusalemer<br />

Keter-Verlag, in einem Gespräch mit der<br />

<strong>Zeitung</strong> «Ha’aretz». Tatsächlich hatte<br />

erst Batya Gur (1947–2005) am Ende des<br />

20. Jahrhunderts mit ihren Romanen um<br />

Oberinspektor Ochajon der israelischen<br />

Kriminalliteratur einen Weggebahnt.<br />

Diesen Weghat Mishani mit einem<br />

vor zwei Jahren erschienenen Roman,<br />

dem inzwischen ein zweiter gefolgt ist,<br />

eingeschlagen. Mishani hat die kleine<br />

StadtCholon in unmittelbarer Nähe von<br />

Tel Aviv <strong>zu</strong>m Ort der Handlung und<br />

einen Sonderermittler der Tel Aviver<br />

Polizei, Inspektor Avi Avraham, <strong>zu</strong>r<br />

Hauptfigurgemacht. Die Fälle,die Avraham<br />

untersuchen muss, scheinen kriminalistisch<br />

eher einfach <strong>zu</strong> sein, jedenfalls<br />

gerät er in keine Schlägerei, muss<br />

keine Waffeziehen und keine Autosverfolgen,<br />

sondern Einfühlungsvermögen<br />

und logisches Denken einsetzen.<br />

Hatte Gur die kriminalistischen<br />

Handlungen mit Beschreibungen der<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse angereichert<br />

und so das Genre des Krimis mit<br />

demjenigen der sozialkritischen Literatur<br />

verbunden, so versucht Mishani seinen<br />

Krimis psychologische Tiefe ein<strong>zu</strong>hauchen,<br />

indem er seinem Ermittler<br />

grüblerische Züge verpasst. Mishanis<br />

Avraham ist, wie die meisten seiner<br />

literarischen Verwandten, ein Einzelgänger,<br />

der zwar die forensische Technik<br />

<strong>zu</strong> Hilfenimmt, aber sich hauptsächlich<br />

auf seine Intuition und seine Erfahrung<br />

verlässt.<br />

Avi Avrahams erster Fall dreht sich<br />

um einen Jungen, der eines Morgens <strong>zu</strong>r<br />

Schule geht und weder dort ankommt<br />

noch nach Hause <strong>zu</strong>rückkehrt. Als die<br />

Mutter auf dem Polizeirevier das Verschwinden<br />

des Jungen meldet, versucht<br />

Avraham <strong>zu</strong>erst, sie <strong>zu</strong> vertrösten. Aber<br />

schon einen Tag später setzt er die<br />

Suche nach dem Jungen in Gang. Er befragt<br />

die Eltern, Nachbarn, Lehrer und<br />

Mitschüler und versucht, aus den Informationen,<br />

die er dabei bekommt, ein Gesamtbild<br />

<strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>stellen. So entwirft<br />

er das Porträt eines ebenso klugen<br />

wie schüchternen Jungen, in dem er ein<br />

Spiegelbild seines eigenen Selbst <strong>zu</strong> erkennen<br />

meint –diese Identifikation mit<br />

dem Opfer erleichtert keineswegs, sondern<br />

erschwert seine Ermittlungen.<br />

Jedes Mal, wenn er glaubt, einer Lösung<br />

nahe <strong>zu</strong> sein, muss ererkennen, dass er<br />

sich irrt.<br />

«Wenn bei uns ein Verbrechen begangen<br />

wird, dann war esinder Regel der<br />

Nachbar oder der Onkel oder der Grossvater<br />

…», hatte Avraham ganz <strong>zu</strong> Beginn<br />

erklärt, aber in den Wirren der Ermittlungen<br />

diesen banalen Grundsatz dann<br />

doch ausser Acht gelassen. Schon kleine<br />

Erkenntnisse lenken ihn von den Realitäten<br />

der Tatab, und er verliert sich in<br />

Vermutungen. Die falschen Fährten,<br />

denen Avraham nachgeht, und seine<br />

Fehlschlüsse fungieren als retardierende<br />

Momente, die die Handlung strukturieren,<br />

bis der Fall gelöst ist. Aber auch<br />

dann muss erfeststellen, dass ersich<br />

verirrt hat. «Ich lese einen Kriminalroman»,<br />

erzählt Avraham einmal einer<br />

Kollegin, «und dabei stelle ich meine<br />

eigene Ermittlung an und beweise, dass<br />

der Kommissar indem Buch sich irrt<br />

oder den Leser bewusst indie Irre führt<br />

und dass die wirkliche Lösung anders<br />

lautet als die, die er präsentiert.» Diese<br />

Lese(an)gewohnheit seiner Ermittlerfigur<br />

macht Mishani <strong>zu</strong>m Gestaltungsprinzip<br />

seines Romans, wenn er den Fall<br />

für gelöst ausgibt und die Lösung <strong>zu</strong>allerletzt<br />

wieder in Frage stellt. Das ist<br />

der geschickteste erzählerische Trick in<br />

einem Kriminalroman, der mit wenig<br />

Spannung und ohne Lokalkolorit auskommt.<br />

l<br />

Chick-Lit Ein Wegbereiter von«Sexand the City»ist erstmals auf Deutsch <strong>zu</strong> entdecken<br />

Singlefrau im Grossstadt-Dschungel<br />

Gail Parent: Sheila Levine isttot und lebt<br />

in NewYork. Roman. Metrolit,<br />

Berlin 2013. 304Seiten, Fr.19.90.<br />

Ab 9. September im Handel.<br />

VonRegula Freuler<br />

Als Helen GurleyBrown 1962 den Ratgeber<br />

«Sex and the Single Girl» veröffentlichte,<br />

legte sie den eigentlichen Grundstein<br />

<strong>zu</strong>r Chick-Lit, jenem belletristischen<br />

Genre mit der festgelegten Storyline:<br />

Finanziell und sexuell unabhängige<br />

Grossstadt-Singlefrau jagt Mr. Right.<br />

Zehn Jahre später, 1972, legte Gail Parent<br />

mit ihrem Roman «Sheila Levine ist<br />

tot und lebt in New York» nach: Sheila,<br />

eine pummelige Grossstadtneurotikerin<br />

Anfang zwanzig, aus jüdischem Elternhaus,<br />

jagt ihren Traummann in den<br />

6 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />

Strassen des Big Apple. Das ist umso<br />

dramatischer, als ihre Mutter nichts anderes<br />

im Kopf hat als eine baldige Eheschliessung<br />

ihrer Tochter.<br />

Also hören wir Sheila Levine <strong>zu</strong>, kichern<br />

ob ihrem selbstironisch-verzweifelten<br />

Plapperton und ihrem tragischkomischen<br />

Rollenspiel und den inneren<br />

Monologen und Dialogen. Ihre Mitbewohnerin<br />

Linda ist ihr schmerzhaft<br />

schönes Gegenstück, die an jedem Finger<br />

einen Mann hat, aber jeden von der<br />

Bettkante stösst, wo<strong>zu</strong> schon reicht,<br />

dass erden «Fänger im Roggen» nicht<br />

mag. Sheila erträgt es –meistens –mit<br />

der Fassung, die ihr möglich ist, lässt<br />

aber nichts unversucht, um auf dem Heiratsmarkt<br />

<strong>zu</strong> reüssieren. Doch auch<br />

nach drei Jahren NewYorksieht es nicht<br />

besser aus. Siehat zwar einen phantastischen<br />

Lover, dieser nimmt sie aber nach<br />

Strich und Faden aus, um seinen Drogenkonsum<br />

<strong>zu</strong> finanzieren. Als sie ihm<br />

schliesslich ihren Suizid ankündigt, bevor<strong>zu</strong>gt<br />

er für den Tagihrer geplanten<br />

Beerdigung, einer Einladung in die<br />

Hamptons <strong>zu</strong> folgen. Ganz so schlimm<br />

wie angekündigt endet es nicht, und immerhin<br />

sind die Sheilas dieser Grossstädte<br />

seither fester Bestandteil unseres<br />

Buchmarktes.<br />

Parent, Jahrgang 1940, wusste, worüber<br />

sie schrieb. Sie war selbst eine beruflich<br />

erfolgreiche Frau aus jüdischem<br />

New Yorker Elternhaus, deren Karriere<br />

als TV-Autorin mit der Sitcom «The<br />

Mary Tyler Moore Show» begann. Mit<br />

ihrem Buch landete sie einen Bestseller,<br />

der später auch verfilmt wurde. Ihr<br />

grösster Erfolg gelang ihr freilich als Autorin<br />

und Produzentin der Serie «The<br />

Golden Girls». l


Roman Im neuen Buch vonSilvia Bovenschen, einer der scharfsinnigsten deutschen Essayistinnen,<br />

stemmen sich vier alteDamen gegenden Tod<br />

Sterben istnichtsfür Feiglinge<br />

Silvia Bovenschen: Nur Mut. S. Fischer,<br />

Frankfurt a. M. 2013. 160 Seiten,<br />

Fr.25.90,E-Book 18.–.<br />

VonGunhild Kübler<br />

Dass man immun ist gegen den Tod, solange<br />

man sich mit einem Projekt beschäftigt,<br />

das einem am Herzen liegt, ist<br />

ein bestechender Gedanke. Kein Wunder,<br />

dass esmanche Schriftsteller da<strong>zu</strong><br />

treibt, im Alter auf diese <strong>Art</strong> um ihr<br />

Leben <strong>zu</strong> schreiben. Auch Elias Canetti,<br />

der sich zeit<strong>leben</strong>s auflehnte gegen den<br />

Tod, hat vermutlich nicht <strong>zu</strong>letzt darum<br />

sein grosses «Totenbuch» nie abgeschlossen.<br />

So <strong>zu</strong> schreiben, als könnteman damit<br />

einen Aufschub erwirken, dieser Impuls<br />

ist auch Silvia Bovenschen nicht fremd.<br />

Die Frankfurter Literaturwissenschafterin,<br />

die mit einer bahnbrechenden Studie<br />

über die «weibliche Imagination»<br />

bekannt wurde und seit bald vier Jahrzehnten<br />

<strong>zu</strong> den scharfsinnigsten unter<br />

den deutschsprachigen Essayistinnen<br />

gehört, wurdefrüh durch ihreKrankheit<br />

multiple Sklerose mit der eigenen Hinfälligkeit<br />

konfrontiert. Wider alle Befürchtungen<br />

erlebte sie im Jahr 2006<br />

ihren 60. Geburtstag, was ihr einen<br />

neuen Schub von Energie und Courage<br />

bescherte.<br />

Noch im selben Jahr veröffentlichte<br />

sie einen Bestseller –furchtlos klarsichtige<br />

und doch gelassene, sehr persönliche<br />

Notizen <strong>zu</strong>m Thema Älterwerden.<br />

Ihrem bisher gepflegten Schreiben war<br />

sie damit in ein anderes Genre entwischt.<br />

Seither hat sie sich Neuland erschlossen<br />

und weitere belletristische<br />

Bücher publiziert – die Erzählungen<br />

«Verschwunden» (2008) und die zwei<br />

Kriminalromane «Wer Weiss Was»<br />

(2009) und «Wie geht es Georg Laub?»<br />

(2011).<br />

Faszinierendes Drama<br />

um alteDamen in<br />

einer weissen Villa.<br />

Diese sieben Personen treten rasch<br />

hintereinander in kurzen Gesprächsszenen<br />

auf und werden dabei mit scharfen<br />

Strichen charakterisiert. Beleuchtet<br />

wird so ihre Lebenssituation und die<br />

<strong>Art</strong>, wie die vier Alten ihr schmerzhaft<br />

reduziertes Leben meistern. Das will<br />

ihnen immer weniger gelingen, und so<br />

schreien sie ihre Wut in die Welt oder<br />

kapseln sich traurig von ihr ab und finden<br />

viele Gründe, warum es besser<br />

wäre, sobald wie möglich ab<strong>zu</strong>treten.<br />

Älterwerden, so viel war inSilvia Bovenschens<br />

Bestseller von 2006 schon<br />

klar, ist nichts für Feiglinge. Altwerden<br />

und Sterben, könnte man nun ergänzen,<br />

erst recht nicht. Mit der Gelassenheit ist<br />

es endgültig vorbei. Die gemeinsame Altersbastion<br />

zerfällt. Das Fazit ziehen<br />

Verse des alten Hölderlin: «Das Angenehme<br />

dieser Welt hab ich genossen, /<br />

Die Jugendstunden sind, wie lang! wie<br />

lang! verflossen, /April und Mai und Julius<br />

sind ferne,/Ich bin nichts mehr,ich<br />

lebe nicht mehr gerne!»<br />

Vorgeführt wird hier in aller Schärfe<br />

jener unerbittliche Prozess, der Menschen<br />

aus ihren Verankerungen löst und<br />

aus ihren Körpern hinausekelt –Krankheit,<br />

Depression und ein katastrophaler<br />

Betrug, der am Ende allen den Boden<br />

unter den Füssen wegzieht. Und während<br />

vor den Fenstern der Villa noch<br />

einmal ein Sommertag lächelt, tagt nun<br />

im Innern mit Schürhaken und Scherben,<br />

Feuer und Rauch ein Tagdes Zorns.<br />

Dabei geht die Inneneinrichtung <strong>zu</strong><br />

Bruch, und es passiert ein Mord, doch<br />

sollen Täter und Opfer hier nicht verraten<br />

werden. Spukhafte Gestalten treten<br />

auf –halbprivate Allegorien, die teils Literatur,<br />

teils der Oper entstiegen sind,<br />

teils der originelle Inbilder schaffenden<br />

Phantasie der Autorin. Mit hintersinnigen<br />

Reden bieten sich diese Wesen als<br />

Sterbebegleiter an. Am Ende sind die<br />

vier alten Damen wie vom Erdboden<br />

verschluckt.<br />

Dem Tod entwischt<br />

«Bevor er <strong>zu</strong>r Auflösung wird, ist der<br />

Tod Konfrontation. Mut, sich ihm <strong>zu</strong><br />

stellen, jeder Vergeblichkeit <strong>zu</strong>m Trotz,<br />

Mut, dem Todins Gesicht <strong>zu</strong> spucken»,<br />

heisst es bei Canetti. Der Furor, mit dem<br />

sich hier die vier Alten der Mechanik<br />

des Tods entgegenstemmen, hätte ihm<br />

sicher gefallen. Und ebenso die unauffällige<br />

Schlusspointe, die sich in einem<br />

der drei Motti dieses Romans versteckt.<br />

Es soll aus einem «unveröffentlichten<br />

Essayband» stammen, den die Schriftstellerin<br />

Johanna im Jahr 2017, also lange<br />

nach ihrem Verschwinden aus der Villa,<br />

verfasst haben muss. Demnach ist mindestens<br />

eine der vier Frauen vorerst<br />

dem Todentwischt.<br />

Was aus den andern drei wurde,<br />

bleibt offen. Der Erzähler des Ganzen,<br />

ein Grossneffe von Charlotte, der in<br />

einer <strong>zu</strong>kunftsfroh kolorierten Rahmengeschichte<br />

auftritt, weiss amEnde nicht<br />

mehr. Weil er aber Drehbuchautor ist,<br />

wird erwohl wissen, warum ihn dieses<br />

Drama der vier alten Damen so fasziniert:<br />

Es ist ein fast fertiges Drehbuch<br />

mit Glanzrollen für vier grossartige, alte<br />

Schauspielerinnen. l<br />

In der Alters-WG<br />

«Nur Mut» heisst ihr soeben erschienener<br />

jüngster Roman. Darin versammelt<br />

sie vier betagte, miteinander befreundete<br />

Frauen in einer weissen Villa von<br />

grossbürgerlicher Weitläufigkeit und<br />

Pracht: die immer noch kokette Modeexpertin<br />

Nadine,die vergessene Schriftstellerin<br />

Johanna, die einstige Lehrerin<br />

Leonie und die Paläontologin Charlotte.<br />

Alle vier haben schon vor Jahren ihre<br />

Ehemänner verloren. Sie sind kinderlos,<br />

bis auf Charlotte, die diese Alters-WG<br />

mit Hilfe ihrer treuen Haushilfe Janina<br />

in ihrem ehemaligen Elternhaus eingerichtet<br />

hat. Charlotte mag zwar ihren<br />

einzigen Sohn und die Schwiegertochter<br />

nicht mehr sehen, aber immerhin lässt<br />

sie ihre17-jährigeEnkelin Dörtebei sich<br />

wohnen, ein luxusverwahrlostes Girl<br />

mit einer Schnoddersprache, die noch<br />

nicht einmal ihr zaghafter Verehrer versteht,<br />

ein zwei Jahre älterer Schüler mit<br />

dem Spitznamen Flocke.<br />

TIM KLEIN /GALLERYSTOCK<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 7


Belletristik<br />

Roman Der schwedische Romancier PerOlovEnquist erinnert sich an sein stärkstes religiöses<br />

Erlebnis –sein sexuelles Debüt<br />

Wenn dieLiebe erwacht<br />

PerOlovEnquist: DasBuch der<br />

Gleichnisse. Ein Liebesroman. Ausdem<br />

Schwedischen vonWolfgang Butt.<br />

Hanser,München 2013. 223 Seiten,<br />

Fr.29.90.<br />

VonSandraLeis<br />

Wenn ältere Herren am Ende des Lebens<br />

plötzlich über ihre sexuellen Anfänge<br />

berichten, blinken alle Warnlampen<br />

auf. Meistens <strong>zu</strong> Recht, denn oft<br />

taugen solch literarische Ergüsse wenig,<br />

und das Verdikt «Altherrenprosa» trifft<br />

<strong>zu</strong>. Davor gefeit ist nicht einmal der<br />

grandiose Philip Roth. Grösste Vorsicht<br />

also ist geboten –das weiss auch der<br />

bald 80-jährigeschwedische Meister Per<br />

Olov Enquist und flicht vorsichtshalber<br />

immer wieder Passagen ein, in denen<br />

Weggefährten ihn warnen: «Sie standen<br />

schwankend und klagend am Ufer des<br />

Flusses. Und erinnerten daran, dass er<br />

nicht da<strong>zu</strong> taugte, diesen Liebesroman<br />

nieder<strong>zu</strong>schreiben.»<br />

Der bald 80-jährige<br />

schwedische Autor<br />

PerOlovEnquist<br />

schreibt einen<br />

ergreifenden Roman<br />

über den Sinn des<br />

Lebens (Aufnahme<br />

2009).<br />

Reife Frau und Jüngling<br />

Der Romancier, Dramatiker, Essayist<br />

und Kinderbuchautor Enquist gehört<br />

mit Lars Gustafsson und Tomas Tranströmer<br />

<strong>zu</strong> den Grossen der schwedischen<br />

Literatur. Hier<strong>zu</strong>lande bekannt<br />

wurde ermit «Der Besuch des Leibarztes»<br />

(2001), «Das Buch vonBlanche und<br />

Marie» (2005) und mit seiner Autobiografie<br />

«Ein anderes Leben» (2009).<br />

Darin erzählt er souverän und bewegend,<br />

wie er in die Hölle des Suffs stürzte<br />

–und überlebte.<br />

Per Olov Enquist ist beides: Christ<br />

und Zweifler. Und obendrein einer mit<br />

einer gehörigen Portion Selbstironie.<br />

Überschätzt hat Enquist sich nie. Vielleicht<br />

hat ergerade deshalb so lange gezögert,<br />

die Geschichtemit der «Frauauf<br />

dem astfreien Kiefernholzboden» literarisch<br />

<strong>zu</strong> gestalten.<br />

Enquist berichtet in der dritten Person<br />

von sich und denkt <strong>zu</strong>rück an seine<br />

sexuelle Initiation, die zeit seines Lebens<br />

eine unerreichbare Be<strong>zu</strong>gsgrösse<br />

bleibt. Es geschah an einem heissen<br />

Sonntagnachmittag im Juli 1949, als<br />

Ellen, eine Frau von 51Jahren, den Jüngling<br />

in die Wonnen der körperlichen<br />

Liebe einführte. Das war skandalös und<br />

brannte sich ihm ein «wie ein Brenneisen<br />

in ein Tier». Umso mehr, als er<br />

von seiner verwitweten Mutter, die er<br />

liebte und die der Pfingstbewegung angehörte,<br />

streng religiös erzogen wurde.<br />

Doch Gewissensbisse plagten ihn keine,<br />

im Gegenteil: Für ihn war der erste Liebesakt<br />

«das vielleicht stärkste religiöse<br />

Erlebnis seines Lebens».<br />

Seine drei Ehen erwähnt Enquist im<br />

Roman «Das Buch der Gleichnisse» in<br />

einem einzigen Nebensatz, das Buch<br />

kreist um sein sexuelles Debüt. Er<br />

schreibt: «Er hatte,später,die Sexualität<br />

immer so aufgefasst, als sei sie die Öffnung<br />

der innersten Tür <strong>zu</strong> einem anderen<br />

Menschen. Es gab andere Türen,<br />

aber diese war die innerste und die entscheidende.»<br />

Enquist vergleicht in seinem neuen<br />

Roman die irdische Liebe mit der himmlischen<br />

und erzählt davon in neun<br />

Gleichnissen. Ausgangspunkt ist der<br />

Notizblock des toten Vaters –erstarb<br />

1935, als der Junge sechs Monate alt war.<br />

2011 gelangt er in den Besitz dieses Notizblocks,<br />

und er entdeckt darin die<br />

«ganz und gar nicht fragmentarischen<br />

Liebesgedichte», die der Vater an die<br />

Mutter geschrieben hat. Neun Blätter<br />

fehlen; sie bleiben verschollen, und Enquist<br />

weiss, dass erseine Grabrede auf<br />

die Mutter nie vollständig und korrekt<br />

wird revidieren können. Trotzdem versucht<br />

er es: Entstanden ist sein Roman<br />

über die Liebe.<br />

Enquist skizziert in meisterlichen Tableaus<br />

verschiedene Ausprägungen der<br />

Liebe: Er schreibt über eine Grosscousine,<br />

die wegen einer verbotenen Liebe<br />

den Verstand verliert und deren Mutter<br />

kommentierte: «Besser eine verrückte<br />

Tochter im Himmel als eine sündige<br />

Tochter in der Hölle.» Er schreibt von<br />

einer Tante, die jung verwitwet war und<br />

vergeblich der göttlichen Liebe harrte,<br />

bis «die Glaubensflamme» endgültig erkaltet<br />

war. Er schreibt vomPostfräulein,<br />

das seine erotischen Phantasien anfeuerte,<br />

und er schreibt von einem Buben,<br />

der seine Katze abgöttisch liebte und<br />

sich dennoch eines Tages einen Plastiksack<br />

über den Kopf stülpte.<br />

Irdische und himmlische Liebe –wer<br />

sie erfährt, ist dem Wunder ebenso nah<br />

wie dem Wahnsinn. Davon erzählt Per<br />

Olov Enquist mit <strong>leben</strong>skluger Gelassenheit.<br />

Er schreibt: «Die Liebe kann<br />

man nicht erklären. Weraber wären wir,<br />

wenn wir es nicht versuchten?»<br />

Enquist versucht es, und es gelingt<br />

ihm grossartig: Die schwedischen<br />

Schauplätze prägen sich ein, selbst die<br />

kleinste Nebenfigur bekommt Kontur,<br />

und wenn er dialektale Ausdrücke und<br />

Ausrufezeichen verwendet oder ganze<br />

Passagen kursiv setzt, so entspringt dies<br />

nicht nur Einfallsreichtum, sondern<br />

auch einem existentiellen Mitteilungsbedürfnis.<br />

Da hat einer Lust an seinem<br />

Tun–und seinem Übersetzer Wolfgang<br />

Butt gelingt es auf stupende Weise, die<br />

stilistischen Nuancen ins Deutsche <strong>zu</strong><br />

übertragen.<br />

Witzig, skrupulös, zart<br />

Enquist ist witzig und skrupulös <strong>zu</strong>gleich:<br />

Seinen Figuren zollt er Respekt,<br />

<strong>zu</strong> sich selbst hält er ironische Distanz<br />

(beispielsweise wenn er seine eigene<br />

Krankengeschichte reflektiert), und er<br />

wird nachdenklich, wenn er nach der<br />

Verantwortung des Schriftstellers fragt.<br />

Immer wieder schreiben ihm Leser und<br />

erwarten Lebenshilfe. Mit diesem Missverständnis<br />

müsse sich ein Autor abfinden,<br />

notiert Enquist. Gleichwohl gelte:<br />

Der Schriftsteller sei kein Prediger,wohl<br />

aber ein Verkünder.<br />

«Das Buch der Gleichnisse» ist amüsant<br />

und tiefsinnig <strong>zu</strong>gleich. Ein grosser<br />

Roman, der die Fragenach dem Sinn des<br />

Lebens stellt. Es ist die Liebe. Enquist<br />

beschreibt sie assoziativ, abgehackt und<br />

fragmentarisch in der Perspektive des<br />

inneren Monologs. Aber auch wie der<br />

Psalmist im «Hohelied»: zart, ergreifend<br />

und bis in die innersteFaser des Körpers<br />

erlösend. l<br />

PETER PEITSCH<br />

8 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


Science-Fiction Die Amerikanerin Jennifer Egan experimentiert mit modernen Publikationsformen<br />

ProAbschnitt 140Zeichen,<br />

veröffentlicht alsTwitter-Roman<br />

Jennifer Egan: Black Box. Ausdem<br />

Englischen vonBrigitte Walitzek.<br />

Schöffling, Frankfurt a. M. 2013.<br />

96 Seiten, Fr.14.90,E-Book 5.90.<br />

VonSimone vonBüren<br />

«Kalkuliere eventuelle Nachteile von<br />

Tränen, bevor dusie vergiesst.» «Nackte<br />

Füsse auf Steinboden verursachen<br />

praktisch kein Geräusch.» «Die Tatsache,<br />

dass dukeinen Alarm hörst, bedeutetnicht,<br />

dassdukeinen ausgelöst hast.»<br />

«Black Box», der neueste Text der<br />

amerikanischen Autorin Jennifer Egan,<br />

besteht ausschliesslich aus solchen<br />

praktischen Ratschlägen und Feststellungen.<br />

Es sind –soverstehen wir nach<br />

einigen Momenten faszinierter Ratlosigkeit<br />

–«Feldinstruktionen», die eine<br />

Geheimagentin auf einem unter ihrem<br />

Haaransatz implantierten Chip aufzeichnet,<br />

indem sie mit dem linken Daumen<br />

gegen ihren linken Mittelfinger<br />

drückt.<br />

Dieser Serie kurzer Äusserungen<br />

können wir entnehmen, dass die attraktive<br />

33-Jährige von der amerikanischen<br />

Regierung als Zivilagentin eingesetzt<br />

wurde, um zwecks Informationsbeschaffung<br />

ein intimes Verhältnis mit<br />

einem «weithin gefürchteten» Mann in<br />

Südfrankreich ein<strong>zu</strong>gehen und auf diese<br />

Weise da<strong>zu</strong> bei<strong>zu</strong>tragen, «die amerikanische<br />

Lebensart <strong>zu</strong> bewahren». Wir erfahren,<br />

dass «die potenzielle Heldin»<br />

<strong>zu</strong>vor in der Musikbranche gearbeitet<br />

hat und mit einem kenianischen Ingenieur<br />

verheiratet ist, den sie in einem<br />

Robotikseminar kennengelernt hat.<br />

Um sich die gefährliche Mission der<br />

Agentin <strong>zu</strong> erschliessen, muss der Leser<br />

die Lücken in ihrem ungewöhnlichen<br />

«Logbuch» füllen und die isolierten<br />

SätzeinBe<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>einander setzen. Er benötigt<br />

dafür dieselbe Aufmerksamkeit<br />

und genaue Beobachtung, die auch die<br />

Agentin aufbringen muss, wenn sie den<br />

Einsatz über<strong>leben</strong> will. Um ihre Über<strong>leben</strong>schancen<br />

<strong>zu</strong> erhöhen, sind ihr alle<br />

möglichen Apparate inden Körper implantiert<br />

worden: ein Mikrofon hinter<br />

die erste Windung des rechten Gehörgangs;<br />

ein Notrufknopfhinter das rechte<br />

Kniekehlenband; eine Kamera ins linke<br />

Auge und ein Übertragungskabel zwischen<br />

ihre Zehen. Ihr auf diese Weise<br />

<strong>zu</strong>r Black Boxhergerichteter Körper liefert<br />

ihren Auftraggebern die nötigen Informationen<br />

und ist eindeutig mehr<br />

wert als ihr Leben.<br />

Dieser halbwegs <strong>zu</strong>r Maschine umfunktionierte<br />

Körper empfindet aber<br />

immer noch Schmerz, weshalb die Frau<br />

vordem sexuellen Übergriffihres «Auserwählten»<br />

die «Dissoziationstechnik»<br />

anwendet und ihren Nachfolgerinnen<br />

rät, danach so sorgfältig in den Körper<br />

<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren, «als würdest du dich<br />

nach einem Wirbelsturm in dein Haus<br />

PROLITTERIS<br />

<strong>zu</strong>rückwagen». Auf ein emotionales<br />

Wesen mit individueller Geschichte<br />

weisen auch gewisse Bemerkungen, die<br />

sich unter die technischen Anweisungenmischen:<br />

dassdie Frau <strong>zu</strong> Hause auf<br />

der Feuertreppe Tomaten anbaut und es<br />

als tröstlich empfindet, sich in einem<br />

Bett ein<strong>zu</strong>kuscheln, auch wenn es das<br />

ihres Feindes ist.<br />

Egan gelingt es auf phänomenale<br />

Weise, mit dieser eigenwilligen Dramaturgie<br />

und in einer poetisch verknappten<br />

Sprache die spannungsgeladene<br />

Handlung eines Science-Fiction-Thrillers<br />

<strong>zu</strong> erzählen. Sie veröffentlichte<br />

«Black Box» in den USA imMai 2012<br />

über den Twitter-Account des «New<br />

Yorker»: ein Tweet pro Minute, 60<br />

Tweets pro Abend an neun Abenden.<br />

Holzschnitt Freie Fahrt der Phantasie<br />

EinVogel reisstverzweifelt den Schnabel auf,<br />

während seine Federn über einer brennenden Kerze<br />

dahinschmelzen. <strong>Eine</strong> Apfelhälfte macht sich auf den<br />

Weg, als wäresie das Haus einer wanderlustigen<br />

Schnecke. Ein pinkfarbener Schädel hateine Kröte<br />

als Gesicht, die unter dem Knochendach gerade<br />

aufgewacht ist. Der Holzschnittvon Gert&Uwe<br />

Tobias hatkeinen Titel, die beiden Brüder wollen<br />

nicht, dass die Phantasie des Betrachtersineine<br />

Richtung gelenkt wird, während sie sich alle Mühe<br />

geben, jedes und alles miteinander <strong>zu</strong> verbinden. Die<br />

Künstler haben ihrefrühe Kindheit in Siebenbürgen<br />

verbracht, bevorsie mit Eltern und Schwester nach<br />

Deutschland ausgesiedelt sind. Die Neugier auf<br />

Relikteder Volkskultur lebt in ihren Werken ebenso<br />

wie die Fabulierlustdes Barock. Wersich für die Welt<br />

in all ihrer Fülle interessiert, lässtsich vonder<br />

Damit besticht die unermüdlich innovative<br />

Autorin, die ihren jüngsten<br />

Roman «Der grössereTeil der Welt» bereits<br />

mit einer Serie von Powerpoint-<br />

Folien schloss, nicht nur einmal mehr<br />

mit einem gewagten formalen Experiment,<br />

sondern auch mit einer neuen<br />

Publikationsform. Gleichzeitig hat sie<br />

damit die perfekte Form für ihren Stoff<br />

gewählt: Denn die komprimierten, maximal<br />

140Zeichen zählenden Abschnitte<br />

entsprechen der Kürze und Prägnanz<br />

der Botschaften, die die Agentin auf<br />

ihrem Chip aufzeichnen kann. Und die<br />

Intimität der Mission –«Deine Aufgabe<br />

ist die Herstellung von Nähe <strong>zu</strong> deinem<br />

‹Auserwählten›» –wird reflektiert von<br />

der Intimität der Lektüre inSMS-ähnlichen<br />

Happen auf dem eigenen Handy. l<br />

schmalen Logik des Verstandes nicht gerne bremsen.<br />

Der Surrealismus lässtgrüssen. Mit dieser Collagetechnik<br />

sind die beiden Tobias schnell bekannt<br />

geworden. Dass sie dafür den Holzschnittals Medium<br />

gewählt haben, hatdie Karrierenochmals<br />

beschleunigt. DasaltehrwürdigeMedium wirdganz<br />

neu als Bildträger fürsVerschiedenste aufgefasst. Die<br />

Motivewerden separat entwickelt und am Computer<br />

konfiguriert. Ins Holz gefrästsind sie Stück für Stück<br />

mit dem Computer.Das erlaubt einen feinen Schnitt,<br />

drastische Farbnachbarschaftenund gleitende<br />

Übergänge. Der Band, der eine Ausstellung im<br />

Kunstmuseum Ravensburgbegleitet (bis 27.10.), gibt<br />

eine leichtfüssigeEinführung ins Werk. <strong>Eine</strong> schöne<br />

Gelegenheit, es kennen<strong>zu</strong>lernen. GerhardMack<br />

Gert&Uwe Tobias. Hrsg.Nicole Fritz. Kerber,<br />

Bielefeld 2013. 64 Seiten, 37 Farbabb., Fr.39.90.<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 9


Leidenschaften<br />

einer unangepassten<br />

10CFWMrQ6AMBCDn-iWlu32wySZWxAEf4ageX_FhkO0ov3a3qs6fNrafrajEggqC4hQKlVdQRxhcompIjOMyq8EFRoVP17AEj28TUaQhcGI4cJk48vo54N9a7jnul-q7226gAAAAA==<br />

Belletristik<br />

Roman Sabine <strong>Peter</strong>s breitet in ihrem neuen Roman eine Fülle vonFiguren und Geschichten aus<br />

«Entschuldigung,<br />

kennen wiruns?»<br />

Sabine <strong>Peter</strong>s:Narrengarten. Wallstein,<br />

Göttingen 2013. 238 Seiten,<br />

Fr.28.50, E-Book 18.90.<br />

VonJudith Kuckart<br />

«Sie steigen in eine Gondel, schweben<br />

langsam indie Höhe. Unter ihnen die<br />

grellen Buden, das Bismarckdenkmal,<br />

die Elbe mit den falschen Mississippi-<br />

Dampfern. Weiter Blick über die Stadt.<br />

Heller Himmel, alles ganz klar, kein<br />

Schwindel.»<br />

Hermine und Dieter sind auf dem<br />

Rummelplatz, dem Dom in Hamburg,<br />

wo sie sich vor25Jahren <strong>zu</strong>m ersten Mal<br />

trafen. Hermine mit dem schönen roten<br />

Haar, Dieter mit dem Blick eines Abenteurers,<br />

welcher glutvoll vor einem<br />

Vierteljahrhundert mehr versprach, als<br />

er halten konnte. Hermine und nebenbei<br />

auch Dieter lerne ich auf Seite 173 kennen,<br />

nachdem ich wenige Seiten <strong>zu</strong>vor<br />

Hermine und ihr gesundes Haar schon<br />

einmal kurz mit den Augenihres Arbeitgebers,<br />

des Anwalts Heiko, betrachten<br />

konnte. Heiko war dort –abSeite 164 –<br />

mehr beschäftigt mit einer Affäre namens<br />

Almut, der Studienkollegin von<br />

Heikos superschlanker Ehefrau Vera.<br />

Personenkarussell<br />

Ach, als ich Heiko und Almut kennenlernte,<br />

habe ich schon mehr als ein Dutzend<br />

anderer Begegnungen hinter mir.<br />

Deswegen jetzt, auf dem Rummel, auf<br />

Seite 173 meine unsichere, etwas ungeduldige<br />

Frage: Wer ist dieser Dieter?<br />

Habe ich da was nicht mitgekriegt? War<br />

Dieter schon auf Seite 7da? Sass er vielleicht<br />

in der Bibliothek von Gerlinde<br />

oder stand daneben, als Heikos makellose,aber<br />

ehrgeizigeFrauVeraauf Seite14<br />

bei Gerlinde ein Buch über Sturm und<br />

Drang für ihren Sohn Jojo ausleihen<br />

wollte, damit er die volle Punktzahl in<br />

Deutsch bekommt? Oder wardas Dieter,<br />

der Veras dicker Freundin Judith auf irgendeiner<br />

schon länger <strong>zu</strong>rückliegenden<br />

Seite das Handtuch im Hallenbad<br />

geklauthat?Jelänger ich lese,destohäufiger<br />

komme ich im «Narrengarten» –<br />

dem Roman von Sabine <strong>Peter</strong>s –sowie<br />

bei manchen Partys in die Verlegenheit,<br />

Limmat<br />

Laure<br />

Wyss<br />

BarBara<br />

Kopp<br />

«Glänzend geschrieben,<br />

gleichsam Momentaufnahmen<br />

einer Epoche.»<br />

<strong>Neue</strong> Zürcher <strong>Zeitung</strong><br />

10CAsNsjY0MDAx1TUyMDQwsQQAvTzX8w8AAAA=<br />

Barbara Kopp<br />

Laure Wyss<br />

Leidenschaften einer<br />

Unangepassten<br />

352 Seiten, gebunden,<br />

12 Fotos, Fr. 44.–<br />

Limmat Verlag Zürich<br />

fragen <strong>zu</strong> müssen: Entschuldigung, kennen<br />

wir uns?<br />

Sabine <strong>Peter</strong>s, Jahrgang 1961, hat Literatur,<br />

Politikwissenschaft und Philosophie<br />

in Hamburg studiert. Dort spielt<br />

auch ihr Roman. Die Autorin wechselt<br />

alle paar Seiten die Perspektive, manchmal<br />

wechselt sie sie von jener Person<br />

auf diese Person –und das mitten im<br />

Satz. Das ist nicht gut, das ist nicht<br />

schlecht, und vielleicht habe auch nur<br />

ich das Gefühl, dass mit den schnellen<br />

Wechseln etwas herunterfällt, was ich<br />

gern einen Atem<strong>zu</strong>g oder auch länger<br />

noch angeschaut hätte. Vielleicht liegt<br />

es auch daran, dass mit den Personen<br />

manchmal nur unscharf die Tonlage<br />

wechselt. Vor allem bei den Frauen,<br />

deren Verfallsdatum deutlich angesagt<br />

ist, schleicht sich ein ähnlich mürrischer<br />

Unterton ein sowie ein ähnliches Tempo<br />

in den Alleingesprächen.<br />

Der Leser wird<strong>zu</strong>m Zeugen gemacht,<br />

egal, ob es banal oder intim ist, was gesagt<br />

wird. Aber nie ist man Zeuge eines<br />

echten Geheimnisses. Der Leser hockt<br />

in den Köpfen von Hermine, Heiko,<br />

Vera,Judith und, ja,auch vonDieter und<br />

noch vielen anderen, oder er sitzt während<br />

ihrer kurzen Auftritte wie ein Rabe<br />

irgendwann sicher auch auf Dieters<br />

Schulter und möchte vielleicht flüstern:<br />

Riesenrad in<br />

Hamburg: Hier<br />

begegnen sich 2von<br />

rund 25 Personen,<br />

die Sabine <strong>Peter</strong>s’<br />

«Narrengarten»<br />

bevölkern.<br />

KAYLEIGH BIN /BILDAGENTUR HAMBURG<br />

Sei doch nicht so! Wie gesagt, das ist<br />

nicht gut, und das ist nicht schlecht. Bestimmt<br />

ist es sogar gewollt. Aber für<br />

mich ist dieser Erzählreigen nicht gemacht.<br />

Schon klar, eine Autorin hat hier<br />

ihre Form gefunden, und viele andere<br />

Leser werden in den gedrosselten Bewusstseinsströmen<br />

etwas für sich finden,<br />

das aufblitzt, und sie werden rufen:<br />

Das kenn ich, das ist bei mir genau so!<br />

Schon klar, alle Geschichten gehören irgendwie<br />

<strong>zu</strong>sammen.<br />

Vorwärtshastendes Erzählen<br />

Aber im Episodengedränge verliere ich<br />

nicht nur die Erinnerung an die Geschichten<br />

<strong>zu</strong>vor <strong>zu</strong>schnell, ich verliere<br />

auch die Erinnerung an mein Gefühl<br />

beim Lesen. Und das ist schade. In<br />

«Narrengarten» schickt Sabine <strong>Peter</strong>s in<br />

knapper Folge 25Personen oder sogar<br />

mehr auf vier bis sechs oder sieben Seiten<br />

ineiner alltäglichen Situation von A<br />

nach B, von der Apotheke <strong>zu</strong>m Fischladen,<br />

vom Kühlschrank ins Bett, vom<br />

Büro <strong>zu</strong>m Lesesaal, vom Reck <strong>zu</strong>m<br />

Barren, von der Umkleidekabine ins<br />

Schwimmbecken, von der Pommesbude<br />

<strong>zu</strong>m Riesenrad. Die Wege sind kurz, die<br />

Zeit ist bemessen. Werauftritt, ist in der<br />

Hälfte des Lebens, ist alt oder noch<br />

nicht, ist noch erfolgreich, ist ein noch<br />

unbeschriebenes, aber schon angeknicktes<br />

Blatt oder ist bereits durch das Raster<br />

gefallen und lebt, wie es kommt,<br />

nicht, wie er will.<br />

Die Personen sind miteinander verwandt,<br />

befreundet, beruflich verknüpft,<br />

latent verfeindet, verliebt oder verliebt<br />

gewesen. Die Trennung steht aus, aber<br />

findet nicht statt. Ein guter Spruch hier,<br />

ein Bibelwort oder literarisches Zitat da<br />

trösten über Abgründe hinweg. Aber<br />

keiner ist des anderen Heimat. Wirklich<br />

keiner? Doch. Ich erinnere mich jetzt<br />

doch an zwei Tote, die in den Köpfen<br />

ihrer Frauen Marie und Frau Kaiser weiter<strong>leben</strong>.<br />

<strong>Eine</strong>r der Toten wird sogar als<br />

«Die Heimat» angeredet. Nicht als der<br />

geliebteMann Rupert. «Die Heimatverstaute<br />

methodisch ihr Gepäck im Citroën,<br />

wenn sie sich wieder einmal auf<br />

den Wegmachte. Undich sehe dich, wie<br />

du die Hand auf den Mund legst, wie du<br />

sagst: Abschiede kann ich nicht gut ab.»<br />

Hier wird Schmerz in einem Sehnsuchtswort<br />

aufgehoben, Heimat, welches<br />

den Kummer nicht nur sagt, sondern<br />

sich scheu traut, von einem tiefen<br />

Verlust <strong>zu</strong> erzählen. Doch dann verstummt<br />

dieser andere Ton, Kammerton,<br />

wieder. Das Erzählen hastet weiter, und<br />

ich bewundere Sabine <strong>Peter</strong>s dafür, wie<br />

sie ihre 25Pferdchen führt, ohne dass<br />

sich deren Zügel ständig verheddern –<br />

ausser in meinem Kopf. l<br />

Judith Kuckart lebt als Schriftstellerin in<br />

Berlin und Zürich. Zuletzt erschien ihr<br />

Roman «Wünsche».<br />

10 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


E-Krimi des Monats<br />

Bis die Idylle zerbricht<br />

Kurzkritiken Belletristik<br />

Giampaolo Simi: Vater. Mörder.Kind.<br />

Deutschvon AnjaNatteford.<br />

Bertelsmann, München 2013. 304Seiten,<br />

Fr.28.50, E-Book 19.90.<br />

Stefan Zweig: «Ich habe das Bedürfnis<br />

nach Freunden». Sammelband. Styria,<br />

Wien 2013. 528 Seiten, Fr.49.90.<br />

Hedwig Dohm: Sommerlieben.<br />

Freiluftnovelle.Edition Ebersbach,<br />

Berlin 2013. 127 Seiten, Fr.24.90.<br />

GUNER GLÜCKLICH /LAIF<br />

«In meinem zweiten Leben bin ich Furio<br />

Guerri, das Monster.» Der Ich-Erzähler<br />

verrät sich im allerersten Satz,<br />

gibt preis, dasserzweiSeiten hat, wovondie<br />

eine dunkel ist. Unddassesein<br />

Davorgibt und ein Danach in seinem<br />

Leben, in dem nach der Zäsur nichts<br />

mehr warwie vorher.<br />

«Es gibt aber nicht nur Furio Guerri,<br />

das Monster. Indeinem ersten Leben<br />

bist du Furio Guerri, Mitarbeiter im<br />

Aussendienst.» So beginnt der italienische<br />

Autor Giampaolo Simi das zweite<br />

Kapitel in seinem Roman «Vater. Mörder.<br />

Kind.», dem erschütternden Psychogramm<br />

eines Familienvaters, der<br />

eben auch ein Monster ist. Oder eher:<br />

der <strong>zu</strong> einem Monster wird.<br />

Der eine Erzählstrang beginnt an<br />

jenem Punkt in Furio Guerris Leben, in<br />

dem er alles erreicht <strong>zu</strong> haben scheint:<br />

Er hat einen guten Job als Handelsvertreter<br />

einer Druckerei, besitzt ein<br />

Häuschen mit Frau und Kind. <strong>Eine</strong> Vorzeigefamilie.<br />

Doch das Glück entgleitet<br />

ihm. Weil die Frau plötzlich merkt, dass<br />

es auch für sie ein Leben gibt, das nicht<br />

hinter dem Kochherd endet. Und weil<br />

es für Guerri im Job bachab geht.<br />

Das zweite Leben von Guerri –der<br />

zweite Erzählstrang –spielt zehn Jahre<br />

später. Guerri hat eine lange Zeit im<br />

Gefängnis hinter sich und kehrt <strong>zu</strong>rück<br />

in die freie Welt. Sein Ziel: Er will seine<br />

Tochter <strong>zu</strong>rück. Doch Guerri ist nicht<br />

mehr der Gleiche. Er ist jetzt das Monster.<br />

Und einem Monster gibt man keine<br />

jugendliche Tochter <strong>zu</strong>rück. Also greift<br />

er <strong>zu</strong> besonderen Massnahmen: Zum<br />

einen verführt er die Lehrerin der<br />

Tochter. Zum anderen tritt ervia Internet-Chatmit<br />

seiner Tochter in Kontakt,<br />

die nicht ahnt, wer das Gegenüber ist,<br />

mit dem sie sich online so gut versteht.<br />

Den Unterschied zwischen den zwei<br />

Leben des Furio Guerri unterstreicht<br />

Autor Giampaolo Simi mit seiner<br />

aussergewöhnlichen Erzählstruktur:<br />

Das Danach erzählt er in der Ich-Form,<br />

das Davor inder zweiten Person. Die<br />

beiden Erzählstränge sind parallel<br />

montiert, was die Spannung steigert.<br />

Man weiss, dass etwas Schlimmes<br />

passiert sein muss, dass eine<br />

böse Tatdie Grenze zwischen<br />

dem Vorher und dem Nachher<br />

zieht. Und doch weiss man<br />

lange nicht, was genau das<br />

Grauen ist, das hinter jeder<br />

Zeile lauert. Bis die Oberfläche<br />

der trügerischen Idylle zerbirst.<br />

Undman ernüchtert<br />

feststellt, dass Guerri,<br />

dem man so nahe gekommen<br />

ist, tatsächlich<br />

auch ein Monster<br />

ist. Es wäre einem<br />

lieber, wenn es anders<br />

wäre.<br />

VonChristine<br />

Brand l<br />

Klemens Renoldner, seit 2008 Direktor<br />

des Stefan Zweig Centre ander Universität<br />

Salzburg, hat als Herausgeber einige<br />

der populärsten Erzählungen seines<br />

Helden –«Vierundzwanzig Stunden aus<br />

dem Leben einer Frau», «Verwirrung<br />

der Gefühle», «Schachnovelle» – mit<br />

weniger bekannten Texten kombiniert.<br />

Wirbegegnen der Erzählung «Vergessene<br />

Träume» des Zwanzigjährigen, vor<br />

allem aber Aufsätzen, Essays und Porträts<br />

aus dem Wien Altenbergs,Schnitzlers,<br />

Joseph Roths und Sigmund Freuds.<br />

Beim Lesen und Wiederlesen dominiert<br />

der Eindruck, dass der 1881 in Wien geborene,<br />

1942 durch eigene Hand im<br />

brasilianischen Exil gestorbene Stefan<br />

Zweig als Erzähler oft <strong>zu</strong>m Schwülstigen<br />

und Parfümierten neigte. Als Zeitzeuge<br />

und Essayist aber war Zweig immer<br />

interessant. Seine Autobiografie «Die<br />

Welt von gestern» bleibt sein Meisterwerk.<br />

Manfred Papst<br />

Anousch Mueller: Brandstatt.<br />

Debütroman. C. H. Beck, München 2013.<br />

223 Seiten, Fr.27.40,E-Book 17.30.<br />

Anousch Mueller ist mit Jahrgang 1979<br />

strenggenommen noch kein «digital native».<br />

Aber sie ist digital sehr gut immigriert:<br />

Sie schreibt einen Blog und zieht<br />

keine klare Grenze zwischen privat und<br />

öffentlich. So präsentiert sie Hochzeitsfotos,<br />

Babyfotos; liefert uns ein Muttermundöffnungsprotokoll<br />

und berichtet<br />

über ihreNasen-OP.Das sollteman alles<br />

gleich wieder vergessen und stattdessen<br />

ihren Debütroman <strong>zu</strong>r Hand nehmen.<br />

Dort erzählt Annie Veit in Ich-Form, wie<br />

sie in den 90er Jahren in einem thüringischen<br />

Dorf aufwuchs. Es geht um die<br />

alte Liebe ihrer Mutter, das Verschwinden<br />

eines Teenagersund oft um Sexund<br />

Selbstbetrachtung. Die Wortwahl wirkt<br />

manchmal etwasüberkandidelt, und der<br />

Text wurde mit einem ordentlichen<br />

Stoss Hauptstadt-Coolness besprüht.<br />

Dennoch gelingt es Mueller, einen mit<br />

dieser geheimnisvollen Story <strong>zu</strong> packen.<br />

Regula Freuler<br />

Hedwig Dohm war die Grossmutter von<br />

Thomas Manns Gattin Katia. Vorallem<br />

aber ist sie eine der wichtigsten Figuren<br />

in der Geschichte der Frauenfrage. 1831<br />

als eines von 18Geschwistern in Berlin<br />

geboren, heiratete sie 1853 den Chefredakteur<br />

der satirischen Zeitschrift<br />

«Kladderadatsch» und erhielt so Zugang<br />

<strong>zu</strong>r Berliner Kultur- und Politikwelt.<br />

Im Selbststudium eignete sie sich<br />

ein grosses Wissen an. 1872 erschien<br />

ihreerste feministische Schrift. Erst spät<br />

widmete sie sich der Belletristik. 1909<br />

erschien der Novellenband «Sommerlieben».<br />

Darin befindet sich auch die<br />

Novelle, die original «Kinder, Tanten<br />

und allerhand Leute» heisst. In Briefform<br />

erfahren wir von Marie Luise,<br />

einer Frau mittleren Alters, was sich<br />

während der Sommerfrische an der Ostsee<br />

ereignet. Ein schmales, aber wunderbar<br />

luzides und sozialkritisches<br />

Werk, das jede Entdeckung wert ist.<br />

Regula Freuler<br />

Isabella Straub: Südbalkon. Roman.<br />

Blumenbar bei Aufbau, Berlin 2013,<br />

254Seiten, Fr.27.50.<br />

Ruth Amsel heisst die Ich-Erzählerin in<br />

«Südbalkon», dem Erstling der österreichischen<br />

Autorin Isabella Straub. Psychisch<br />

und materiell geht es ihr nicht<br />

gut. Sie hat keine geregelte Arbeit, muss<br />

sich zweimal wöchentlich bei einer<br />

«Gesellschaft für Wiedereingliederung»<br />

melden, ihr Freund ist ein Computer-Nerd.<br />

Sie zählt <strong>zu</strong>m Prekariat,<br />

flüchtet sich aber nicht in eine Opferrolle.<br />

Sie flaniert durch die Stadt, beobachtet<br />

ihre Mitmenschen mit Spott, Neugier,<br />

Zuneigung, denkt sich Geschichten<br />

über sie aus. Ihre Aufmerksamkeit, ihre<br />

Phantasie und ihr Witz bewahren sie vor<br />

Larmoyanz und Depression. Isabella<br />

Straub erzählt frech und wach, wir folgenihr<br />

gern in die absurdesten Situationen<br />

des Alltags. Die 1968 geborene Wienerin<br />

versteht ihr Handwerk, das sie als<br />

Journalistin und Werbetexterin erprobt<br />

hat. Ein starkes Debüt!<br />

Manfred Papst<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 11


Porträt<br />

Mit einem fulminanten Essay<strong>zu</strong>m epochalen Sinn der Langlebigkeit<br />

widerspricht der Soziologe<strong>Peter</strong> Grossden pessimistischen Szenarien<br />

<strong>zu</strong>r Alterung der Bevölkerung. Kathrin Meier-Rust hatden Autorder<br />

«Multioptionsgesellschaft» in St.Gallen besucht<br />

Wieder Schlusssatz<br />

einerSonate<br />

Etwas skeptisch nimmt man das Bändchen <strong>zu</strong>r<br />

Hand. Ein harmloser Titel: «Wir werden älter.<br />

Vielen Dank. Aber wo<strong>zu</strong>?», eine etwas gewolltfröhliche<br />

Aufmachung. Noch ein Buch, das uns<br />

sanft und weise <strong>zu</strong>m Loslassen und Annehmen<br />

ermuntern will? Oder das angesichts der kommenden<br />

Vergreisung der Gesellschaft<strong>zu</strong>m Aufstand<br />

der Alten –oder <strong>zu</strong>m Fitnesstraining –<br />

ruft? Beides soll jung erhalten.<br />

Doch dann das: Hier stellt einer alles auf den<br />

Kopf.<strong>Peter</strong> Gross, ehemals Professor für Soziologie<br />

an der Universität St. Gallen, berühmt<br />

durch sein Buch «Die Multioptionsgesellschaft»,<br />

konstatiert in seinem neuen Essay eine<br />

«gnadenlos einseitige, negativeund parteiische<br />

Sicht» auf die alternde Gesellschaft: «Es fehlt<br />

nur noch die Seniorenklappe.» Statt steigender<br />

Lebenserwartung und sinkender Geburtenrate<br />

wünsche man sich offenbar die altepyramidenförmige<br />

Bevölkerungsstruktur der vormodernen<br />

Gesellschaften<strong>zu</strong>rück –viele Kinder,wenig<br />

Alte–,ohne <strong>zu</strong> bedenken, wasdiese in der Realität<br />

bedeutet haben: nämlich den frühen Tod<br />

für sehr viele Kinder und junge Menschen und<br />

eine tiefe Lebenserwartung.<br />

Ganz im Gegenteil sieht der Soziologe sowohl<br />

die niedrige Geburtenrate als auch die<br />

steigende Lebenserwartung als grossartige zivilisatorische<br />

Errungenschaften: einerseits die<br />

Freiheit, selbst <strong>zu</strong> bestimmen, wie viele Kinder<br />

man will, andererseits den Sieg der Medizin<br />

über den (<strong>zu</strong>) frühen Tod. Weil mit dem langen<br />

<strong>Peter</strong>Gross<br />

<strong>Peter</strong>Gross, 1941 geboren, studierte in Zürich<br />

und Bern. In Bambergwar er Professor für<br />

Soziologie, bevorer1989einem Rufandie<br />

Universität St.Gallen folgte, wo er bis 2006<br />

lehrte.Gross istverheiratet, hatzweiKinder und<br />

drei Enkel. Sein erstes Buch «Die Multioptionsgesellschaft»<br />

(Suhrkamp 1994)war ein<br />

Bestseller.Esfolgten «Die Ich­Jagd» (Suhrkamp<br />

1999), «Jenseits der Erlösung» (Transcript<br />

2007). Nach «Glücksfall Alter» (Herder 2008)<br />

folgt nun «Wir werden älter.Vielen Dank. Aber<br />

wo<strong>zu</strong>? Vier Annäherungen» (Herder,Freiburg<br />

i. Br.2013. 158 Seiten, Fr.22.90).<br />

12 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />

Leben nicht mehr nur zwei, sondern bereits<br />

drei und vier,vielleicht dereinst fünf Generationen<br />

gleichzeitig <strong>leben</strong>, entstehen hohe Generationenbäume:<br />

Die Bevölkerung wächst nicht<br />

mehr in die Breite, aber in die Höhe. Kinder<br />

haben weniger Geschwister und Cousins, aber<br />

dafür umso mehr Gross- und Urgrosseltern.<br />

«Das Alter ist auch ein<br />

Problembär: Er lässt sich<br />

partout nicht vergrämen,<br />

trampt immer wieder<br />

mitten ins Dorf.»<br />

Falsche Horrorszenarien<br />

Die historisch gesehen neue Langlebigkeit eröffne<br />

«ein grosses, in der bisherigen Geschichte<br />

ohne Beispiel aufbrechendes Lebenszeitfenster»<br />

für jeden einzelnen Menschen. Undgerade<br />

das «Massenaltern» könnte auch der sinnlosen<br />

Hektik entgegenwirken, die heute so viele Menschen<br />

an Stress, Depressionen und Burnout erkranken<br />

lässt. Nicht das Altern und nicht der<br />

wachsende Anteil alter Menschen seien deshalb<br />

das Problem, sondern die tiefe «Sinnfinsternis»,<br />

die heute das Altern und die alternde<br />

Gesellschaftumgibt. Überaus eloquent und mit<br />

einem historisch geschärften Blick unternimmt<br />

es der Autor, diesen Sinn dar<strong>zu</strong>stellen, und<br />

zwar in doppelter Hinsicht: sowohl für den einzelnen<br />

alternden Menschen als auch für die alternden<br />

Gesellschaften Europas.<br />

Freundlich steht <strong>Peter</strong> Gross in der Tür und<br />

lädt <strong>zu</strong>m Eintreten. In der schönen alten Wohnung<br />

am steilen Rosenberghang blickt man<br />

weit über St. Gallen <strong>zu</strong>r Stiftskirche und <strong>zu</strong>m<br />

weissgleissenden Säntismassiv. Gross sieht<br />

zehn Jahre jünger aus, als es sein Jahrgang suggeriert.<br />

Natürlich, das tun ja heute alle –dass<br />

wir uns darüber wundern, zeigt bloss, wie sehr<br />

unsere Altersvorstellungen noch immer von<br />

den eigenen Grosseltern geprägt sind.<br />

Grossist dreifacher Grossvater und seit 2006<br />

Pensionär.«Die Pensionierung ist für Professoren<br />

durchaus angenehm: man wird die Pflicht<br />

los und behält die Kür», erzählt er. Aber natürlich<br />

spüre man das Älterwerden: «Das Alter ist<br />

auch mein neuer LAP – mein Lebensabschnittspartner.<br />

Esist ein Problembär: Er lässt<br />

sich partout nicht vergrämen, trampt immer<br />

wieder mitten ins Dorf.» Von den vielen Besuchen<br />

beim Akustiker wolle er lieber nicht erzählen,<br />

«das BesteamHörgerät ist, dassman es<br />

abstellen kann. Dann ist es wunderbar still.»<br />

Hier muss man die Einwände gleich loswerden:<br />

Ist die positive Sicht auf die alternde Gesellschaft<br />

nicht etwas gar verklärend? Wasist<br />

mit den Kosten – den Renten, die aus dem<br />

Ruder laufen?Heute,woschon 50-Jährigekeine<br />

Stelle mehr finden. Wasmit den Krankheiten –<br />

Alzheimer,Demenz?Was mit der Kränkung, alt<br />

<strong>zu</strong> sein, in einer Gesellschaft, in der sich schon<br />

40-Jährige vor dem Altwerden fürchten und<br />

sich 70-Jährige anziehen wie 20-Jährige?<br />

<strong>Peter</strong>Gross kennt die Diskussion. Geradebei<br />

Horrorszenarien <strong>zu</strong>r angeblichen Unfinanzierbarkeit<br />

sehe er oft einen fahrlässigen Umgang<br />

mit Fakten: «Die Diskussion strotzt nur so vor<br />

Ungenauigkeiten und Fehlern.» Schon nur die<br />

gängige Redensart, dass «die Jungen» für «die<br />

Alten» zahlen müssten: «In Wahrheit zahlen<br />

die Erwerbstätigen für beide, für die Alten und<br />

für die Jungen.» Und ein Zusammenhang zwischen<br />

alten Menschen und Gesundheitskosten<br />

gebe es auch nicht. Zudem beruhten die Katastrophenszenarien<br />

immer auf der simplen Verlängerung<br />

der heutigen Regeln in die fernste<br />

Zukunft, was natürlich ein Unsinn sei: Genau<br />

diese Regeln und Gesetze, etwa <strong>zu</strong>m AHV-Pensionsalter,<br />

gelte esja<strong>zu</strong>verändern. Selbstverständlich<br />

müsse die Erwerbstätigkeit verlängert<br />

und das Pensionsalter flexibel, wenn nicht<br />

überhaupt abgeschafft werden.<br />

Gerade<strong>zu</strong> unbegreiflich ist für Gross, dass<br />

Unternehmen in ihrer Anstellungs- und Weiterbildungspraxis<br />

noch immer nicht auf das<br />

Altern der Bevölkerung reagieren: Wenn die<br />

Kundschaft älter werde, müsse die Belegschaft<br />

doch dieser Kundschaftangepasst werden. <strong>Eine</strong><br />

wohlhabende alte Dame, neu <strong>zu</strong>gezogen in<br />

St.Gallen, habe ihm neulich mit Entrüstung von<br />

einer angesehenen Bank berichtet, die ihr «so<br />

ein Jüngelchen» als Berater habe vorsetzen<br />

wollen, das komme für sie nicht mehr in Frage.<br />

Wie die Gender-Diskussion die Unterneh-<br />


«Wer ein Warum <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> hat, erträgt fast jedes Wie»,meint der 72-jährigeSoziologe <strong>Peter</strong>Gross <strong>zu</strong>rSinnfragedes Lebens im Alter.<br />

MARATRUOG<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 13


10CFWMMQ6EMAwEX-RoN46d5FwiOnTFid4Noub_1Qk6iulmZtvCCh6W9buvvyDQTDh8oodNK7V7cNbSzQODrYL6IUzh7vbyBZyu0LwdwRC2JMSqKLK5J_U-5FOjXMf5B1Wqr6SAAAAA<br />

10CAsNsjY0MDAx1TW0MLM0MAcA5-7hVA8AAAA=<br />

Porträt<br />

men <strong>zu</strong> mehr Frauen in allen Positionen gezwungen<br />

habe, werde bald auch die Altersstruktur<br />

eines Betriebes <strong>zu</strong>m Thema werden:<br />

«Ich rate jedem Unternehmen dringend <strong>zu</strong><br />

einem Demografie-Check: die Belegschaft sollte<br />

ungefähr jene Altersstruktur aufweisen wie<br />

die Kundschaft.» Vorderhand warte man allerdings<br />

vergeblich auf Inserate, in denen ältere<br />

Mitarbeiter gesucht würden.<br />

Der angeblichen Kränkung der Alten durch<br />

eine Gesellschaft im Jugendwahn misstraut<br />

Gross<strong>zu</strong>tiefst: «Das Problem machen sich doch<br />

die Alten selbst. Die Babyboomer, die damals<br />

den Jugendkult erfunden haben, leiden nun an<br />

ihrem eigenen Jugendwahn.» Alle Befragungen<br />

zeigten doch, dass sich Menschen im Pensionsalter<br />

glücklicher fühlen als die gestressten Erwerbstätigen.<br />

Auch die Zeiten, in denen sich<br />

ältereMenschen noch vonjedem iPhone demütigen<br />

liessen, seien längst vorbei. Nein –gekränkt<br />

fühle er sich nie, ersage gerne und bei<br />

vielem: «Dafür bin ich <strong>zu</strong> alt.»<br />

Hier unterbricht <strong>Peter</strong> Gross die Diskussion:<br />

«Meinen Sie nicht, dass wir uns <strong>zu</strong> sehr verzetteln?<br />

Wir sollten doch beim wirklich wichtigen<br />

Thema bleiben.» Die praktisch-<strong>leben</strong>snahen<br />

Fragen habe er ja in einem ersten Altersbuch<br />

thematisiert («Glücksfall Alter», s. Kasten).<br />

Also <strong>zu</strong>m Wichtigen. Wirklich wichtig, sagt<br />

Gross, sei für den Menschen nicht die materielle<br />

Assekuranz, sondern die immaterielle: Die<br />

Kernfrage sei die Frage nach dem Sinn. «Wer<br />

ein Warum <strong>zu</strong> <strong>leben</strong> hat, erträgt fast jedes Wie»,<br />

zitiert er, frei nach Nietzsche. Schon im Ruhestand,<br />

wenn die Sinnsäulen des Familien- und<br />

Erwerbs<strong>leben</strong>s wegbrechen, laufe man der<br />

Sinnfrage förmlich in die Arme, die angesichts<br />

von Behinderung, Krankheit, Vereinsamung<br />

und Leid noch dringender werde. Wo<strong>zu</strong> das<br />

alles –heisse es dann in unserer auf Stärke und<br />

Leistung ausgerichteten Gesellschaft. Und<br />

schon stünden die «Lebensverkür<strong>zu</strong>ngsorganisationen»<br />

bereit: Exit und Dignitas.<br />

▲<br />

Letzte Spielzüge sind oft die besten<br />

Wo<strong>zu</strong> also? «Zum Nachdenken über das eigene<br />

Leben», sagt Gross. Zu Nacharbeit und Erinnerung,<br />

Versöhnung mit und Befriedung des eigenen<br />

Lebens, dem mit einem frühen Tod–und<br />

nichts anderes bedeutet eine Lebenserwartung<br />

von knapp 40 Jahren, wie sie historisch üblich<br />

war –jeder Abschluss fehlte. Altern schenkt<br />

uns Zeit –<strong>Peter</strong> Gross wird inseinem Essay<br />

nicht müde, dieses Geschenk in wunderbaren<br />

Formulierungen <strong>zu</strong> preisen: als Abstieg nach<br />

langem, mühsamem Aufstieg, als «Schlusssatz»<br />

einer unvollendeten Sonate. Als «letzte Spielzüge,<br />

die oft die entscheidenden sind».<br />

Selbst im Nachlassen der Kräfte von Körper<br />

und Geist bis hin <strong>zu</strong> Alzheimer und Demenz<br />

<strong>Peter</strong>Gross in seiner Wohnung in St.Gallen (Juli 2013).<br />

sieht Grosseinen Sinn –nämlich jenen, leichter<br />

sterben <strong>zu</strong> können. «Das hört sich vielleicht<br />

gotteslästerlich an», gesteht er freimütig. Wie<br />

heikel jedes Reden und Schreiben vom «Sinn<br />

der Schwäche» ist, weiss Gross aber gut: <strong>Eine</strong><br />

Alzheimervereinigung habe ihn <strong>zu</strong> einem Referateingeladen,<br />

dann aber schnell wieder ausgeladen,<br />

als man in der Migros-<strong>Zeitung</strong> seinen<br />

<strong>Art</strong>ikel mit dem Titel «Vergessen kann auch<br />

eine Gnade sein» entdeckte. Erinnerungen verschönern<br />

das Leben. Vergessen macht es erträglich,<br />

zitiert Gross Honoré de Balzac.<br />

Die Rede vomSinn des Leids und der Schwäche<br />

hat auch einen religiösen Sinn. Die Nähe<br />

<strong>zu</strong>r Religion ist für Gross fundamental, gerade<br />

hier sieht er einen «epochalen Sinn» des Altwerdens:<br />

Das lange, angesichts von Krankheit,<br />

Gebrechen, Demenz vielleicht sogar <strong>zu</strong> lange<br />

Leben nehme nämlich der Erlösung im Jenseits<br />

so<strong>zu</strong>sagen die Luft. «Die Hochreligionen mit<br />

ihren Jenseitsvorstellungen haben sich ja über<br />

dem frühen Todentfaltet.» Der Mensch könne<br />

den Todnicht verkraften, wenn dieser <strong>zu</strong> früh<br />

komme, erbrauchte deshalb den unbedingten<br />

Glauben an ein Fort<strong>leben</strong>, eine Wiedergutmachung<br />

nach dem Tod. «Heute währt das Leben<br />

im Diesseits so ewig lang, dass wir die andere<br />

Welt des Jenseits nicht mehr brauchen. Ein langes<br />

Altern versöhnt uns mit dem Tod. Im Alter<br />

wird das Aufstehen schwerer und das Sterben<br />

leichter, sosagte esMontaigne. Ist das nicht<br />

wahr?» <strong>Peter</strong> Gross, selbst streng katholisch<br />

aufgewachsen, hat sich in seinen Schriften oft<br />

mit der Macht der biblischen und liturgischen<br />

MARATRUOG<br />

Texte auseinandergesetzt. In der Langlebigkeitsgesellschaft<br />

sieht er diese Macht schwinden.<br />

«<strong>Eine</strong> gewichtige These des Buches, die Vision<br />

einer kommenden Weltmässigung, haben<br />

wir noch nicht berührt.» Gross, aufgestanden,<br />

um ein Buch <strong>zu</strong> holen, spricht nun im Stehen,<br />

seine Professorenstimme würde mühelos einen<br />

Hörsaal füllen. Die Wohlstandsgesellschaft sei<br />

das Ergebnis einer ungeheuren Anstrengung<br />

vieler Menschen, die unter wachsendem Druck<br />

standen, mehr und schneller und besser <strong>zu</strong> produzieren,<br />

<strong>zu</strong> reproduzieren, <strong>zu</strong> konsumieren.<br />

Nunsei die alteWelt erschöpft.Aus sich heraus<br />

produzieredie Gesellschaftdeshalb nicht mehr<br />

viele Kinder, sondern alte Menschen. «Das ist<br />

der epochale Sinn der Alterung –die Beruhigung<br />

der nun mehr als ein halbes Jahrtausend<br />

andauernden rast- und rücksichtslosen Mobilmachung<br />

der Welt.»<br />

Ruhestifter in hektischer Welt<br />

«Ja, die alte Welt altert, das ist das Gegenteil<br />

<strong>zu</strong>m arabischen Frühling –aber wer möchte<br />

diesen denn schon? Mit Millionen von Kindern<br />

und Jugendlichen, die kaum eine Chance<br />

haben?» Für <strong>Peter</strong> Gross ist klar –alle Menschen<br />

wollen ihre Kinderzahl selbst bestimmen,<br />

und alle Menschen wollen lange <strong>leben</strong>.<br />

Deutschland, Österreich und die Schweiz mit<br />

ihren neben Japan ältesten Bevölkerungen der<br />

Welt seien deshalb nicht die «Schlusslichter<br />

der Weltzivilisation, sondern Weltmarktführer».<br />

Man mussesselbst lesen, wie <strong>Peter</strong>Gross<br />

seine geschichtsphilosophische Vision immer<br />

neu umkreist und beschreibt. Der Eintritt der<br />

Alten in die Weltgeschichte als Eintritt der Ruhestifter.<br />

Das Fortschreiten der demografischen<br />

Evolution von Bevölkerungen mit hoher<br />

Kinderzahl und tiefer Lebenserwartung <strong>zu</strong> solchen<br />

mit tiefer Kinderzahl und hoher Lebenserwartung.<br />

Generationenbäume, die in immer<br />

mehr Ländern in die Höhe wachsen, <strong>zu</strong> Hochstammkulturen.<br />

Immer mehr Langlebigkeitsgesellschaften«werden<br />

weltweit in demografisch<br />

beruhigte, kontemplative, friedliche und nachhaltige<br />

Gesellschaften einmünden». Seine<br />

Hoffnung auf eine von Europa ausgehende<br />

«global sich verbreitende Beruhigung und Befriedung<br />

einer unduldsamen und sich selbst andauernd<br />

überfordernden und letztlich sich<br />

selbst verzehrenden Gesellschaft».<br />

Kühn und grandios stellt <strong>Peter</strong> Gross unsere<br />

gängigen säuerlich-pessimistischen Altersszenarien<br />

auf den Kopf.Oder stellt er sie vielleicht,<br />

in echt philosophischer Manier, vom Kopf auf<br />

die Füsse? Wohl eher das Letztere. Die Langlebigen<br />

sind für <strong>Peter</strong> Gross das Fundament<br />

einer Gesellschaft, die ohne sie «bersten und<br />

auseinanderfliegen» würde. l<br />

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14 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


Kolumne<br />

Charles Lewinskys Zitatenlese<br />

Kurzkritiken Sachbuch<br />

Wasist ein Name?<br />

Wasuns Rose heisst,<br />

Wieesauch hiesse,<br />

würde lieblich duften.<br />

Esther Girsberger: Livia Leu. Unsere<br />

Botschafterin in Iran. Wörterseh,<br />

Gockhausen 2013. 176Seiten, Fr.39.90.<br />

Wulf Rössler,Hans Danuser (Hrsg.): Burg<br />

aus Holz. Das Burghölzli. NZZ Libro,<br />

Zürich 2013. 240Seiten, Fr.74.90.<br />

GAËTAN BALLY/KEYSTONE<br />

Der AutorCharles<br />

Lewinskyarbeitet in<br />

den verschiedensten<br />

Sparten. Sein letztes<br />

Buch «Schweizen –<br />

vierundzwanzig<br />

Zukünfte»ist im<br />

Verlag Nagel &<br />

Kimche erschienen.<br />

William Shakespeare<br />

Da hat also Joanne K. Rowling, die<br />

Königin aller Bestsellerlisten, einen<br />

Krimi geschrieben, und davon wurden<br />

im ersten Vierteljahr gerade mal 1500<br />

Exemplare verkauft, Weniger als nichts<br />

für jemanden, von dessen Harry-Potter-<br />

Romanen fast eine halbe Milliarde Exemplare<br />

über die weltweiten Ladentische<br />

gingen.<br />

«The Cuckoo’s Calling» heisst das<br />

Buch, und Frau Rowling hat sich damit<br />

ganz bewusst selber ein Kuckucksei ins<br />

Nest gelegt. Sie liess den Roman nämlich<br />

nicht unter dem umsatzbefördernden<br />

eigenen Namen erscheinen, sondern<br />

unter dem Pseudonym Robert<br />

Galbraith. Und für Herrn Galbraith<br />

interessierten sich weder Literaturkritiker<br />

noch Bücherkäufer.<br />

Bis dann durchsickerte (oder wäre<br />

die korrekte Verbform «durchgesickert<br />

wurde»?), wer sich hinter diesem unbekannten<br />

Mr. Galbraith verbarg. Worauf<br />

der Krimi sofort in den Bestsellerlisten<br />

landete. Für die deutsche Überset<strong>zu</strong>ng<br />

wird eine Startauflage von 200000 Exemplaren<br />

angekündigt.<br />

Wasbewegt eine erfolgreiche Autorin<br />

da<strong>zu</strong>, auf den Startvorteil ihres bekannten<br />

Namens <strong>zu</strong> verzichten und<br />

sich gewissermassen ohne Kopfschutz<br />

und Ellbogenschoner ins Getümmel<br />

des heiss umkämpften Büchermarktes<br />

<strong>zu</strong> stürzen? Wer sich mit hartem Training<br />

in die Weltspitze der Langstreckenläufer<br />

vorgearbeitet hat, startet<br />

beim New York Marathon ja auch nicht<br />

freiwillig aus der achtundzwanzigsten<br />

Reihe.<br />

Warum also? Inden Potter-Romanen<br />

wird der Bösewicht aller Bösewichte<br />

immer mit «Jener, dessen Name nicht<br />

genannt werden darf» bezeichnet.<br />

Aber damit wird eswohl nichts <strong>zu</strong><br />

tun haben.<br />

Ich vermute, dass hinter der scheinbaren<br />

Bescheidenheit eines unbekannten<br />

Namens in Wirklichkeit eine gehörige<br />

Portion Eitelkeit steckt. Vielleicht<br />

wollte sich Frau Rowling beweisen,<br />

dass sie es auch unter anderem Namen<br />

schaffen würde, einen Bestseller <strong>zu</strong> landen.<br />

Wie wenn Usain Bolt die Behauptung<br />

aufstellte: «Ihr könnt mir auch<br />

einen Mehlsack auf den Rücken binden,<br />

und ich laufe die hundert Meter immer<br />

noch schneller als ihr!»<br />

Wenn es so war, hat esnicht geklappt.<br />

Zu Harry-Potter-Zeiten hat sie<br />

wahrscheinlich 1500 Exemplare als<br />

Leseexemplare andie Buchhandlungen<br />

der Fiji-Inseln verschickt.<br />

Übrigens: Wenn Sie Ihren Namen<br />

nicht mehr brauchen, verehrte<br />

Mrs. Rowling, würden Sie ihn mir dann<br />

vielleicht für mein<br />

nächstes Buch ausleihen?<br />

Ich bin sicher, erwäre<br />

dem Umsatz sehr<br />

förderlich.<br />

Livia Leu (52) ist erst die zweite Frau<br />

weltweit, die Botschafterin in Iran<br />

wurde. 1989 trat die Juristin in den diplomatischen<br />

Dienst, wurde stellvertretende<br />

Abteilungschefin im Aussendepartement<br />

in Bern, bevor Micheline<br />

Calmy-Rey sie als Missionschefin nach<br />

Teheran schickte (2009 bis Sommer<br />

2013). Zur Aufgabe der Schweizer Botschaft<br />

gehört dort auch die Vertretung<br />

der US-Interessen. Für den Einsatz <strong>zu</strong>r<br />

Freilassung von drei amerikanischen<br />

Touristen erhielt Leu grosses Lob von<br />

Aussenministerin Hillary Clinton. Dass<br />

die Mutter zweier schulpflichtiger Kinder<br />

den Spagat zwischen Familie und<br />

Beruf scheinbar mühelos meistert, hat<br />

mit ihrer Kompetenz und mit der Leichtigkeit<br />

<strong>zu</strong> tun, mit der sie sich auf gesellschaftlichem<br />

Parkett bewegt. Das Buch<br />

gibt einen Einblick in Leus Alltag in Teheran.<br />

Heute ist sie Leiterin für bilaterale<br />

Wirtschaftsbeziehungen im Seco.<br />

UrsRauber<br />

Meriwether Lewis, William Clark: Der<br />

weiteWeg nach Westen. 1804/06. Edition<br />

Erdmann, Wiesbaden 2013. 368 S., Fr.34.40.<br />

Präsident Jeffersons Auftrag war klar:<br />

Die beiden Captains Meriwether Lewis<br />

und William Clark sollten den Missouri<br />

erkunden und einen Weg durch die<br />

Rocky Mountains <strong>zu</strong>m Pazifik finden.<br />

Nach drei Jahren traf die verschollen geglaubte<br />

Expedition nach 8000 Meilen<br />

vollzählig in St.Louis ein: <strong>Eine</strong>r warumgekommen,<br />

die Dolmetscherin Sacagawea<br />

hatte einen Sohn geboren. Die<br />

Wege waren kartiert, neue Tier- und<br />

Pflanzenarten beschrieben. Die weiten<br />

Prärien mit ihren Bisonherden und die<br />

Rockies wurden erstmals von Weissen<br />

durchquert; für die Indianer war nach<br />

dieser Begegnung nichts mehr wie früher:<br />

Das Tor<strong>zu</strong>m mythischen Go West<br />

der Siedlerströme war aufgestossen. In<br />

einer Neuauflage lässt das Buch auch<br />

den Karl-May-Mythos auf<strong>leben</strong> – nur<br />

eben nicht als Fiktion, sondern als erlebte<br />

Realität. Immer wieder spannend!<br />

GenevièveLüscher<br />

Für die einen Ort der Versenkung, für<br />

andere eine «Ikone der Psychiatrie»:<br />

das Zürcher Burghölzli. Der ehemalige<br />

Klinikdirektor Wulf Rössler lässt in<br />

einem grossformatigen Bild-Text-Band<br />

die Geschichte und klingende Namen<br />

dieser psychiatrischen Institution<br />

Revue passieren: Auguste Forel, Eugen<br />

und Manfred Bleuler, Carl Gustav Jung;<br />

auch «Struwwelpeter»-Autor Heinrich<br />

Hoffmann gehörte <strong>zu</strong>den Gründungsvätern.<br />

Die Innensicht wird ergänzt<br />

durch die Aussenperspektive prominenter<br />

Autoren wie Daniel Libeskind, <strong>Peter</strong><br />

von Matt, Adolf Muschg, Elisabeth<br />

Bronfen, JakobTanner.Sie werfen einen<br />

Blick auf die Psychiatrie und deren «Unterholz»<br />

– aus Sicht von Architektur,<br />

Film, Literatur,Theaterund Geschichte.<br />

Das schmucke Buch ist reich illustriert,<br />

vor allem mit der in verschiedenem<br />

Licht fotografierten klobig-rauen Burg<br />

aus Holz von Hans Danuser.<br />

UrsRauber<br />

Paul BernhardRothen: idegottvergässne<br />

stedt. Mani Matterund das Christentum.<br />

Zytglogge,Oberhofen 2013. 143 S., Fr.27.90.<br />

Als Kind hat Paul Bernhard Rothen,<br />

heute Pfarrer in Hundwil, Mani Matter<br />

noch live erlebt. Später habe er dann<br />

dessen Texte gerne in Predigt und Konfirmandenunterricht<br />

verwendet. Nun<br />

hat ihn Matters «Cambridge Notizheft»<br />

(erschienen 2011) <strong>zu</strong> einer Gesamtinterpretation<br />

des matterschen Denkens und<br />

Schreibens angeregt. Er holt dafür geistesgeschichtlich<br />

weit aus, auch wenn’s<br />

«bloss» ums Zündhölzli geht. Und er<br />

entdeckt bei Matter, der sich für moderne<br />

Theologie interessierte, aber vollkommen<br />

areligiös aufwuchs und blieb,<br />

etwas gar viel Christliches. Doch den<br />

lapidaren Witz und die Alltagsthematik<br />

der Lieder für einmal mit den politischtheologischen<br />

Gedanken der Tagebücher<br />

<strong>zu</strong>sammen <strong>zu</strong> betrachten, erhellt<br />

den geliebten Värslischmied auf neue<br />

Weise: in seiner grossen Doppelbegabung<br />

als Künstler und als Denker.<br />

Kathrin Meier-Rust<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 15


Sachbuch<br />

Eurokrise Die europäische Währungsunion krankt an zwei Grundlagen-Irrtümern des Vertrages von<br />

Maastricht 1992.Thilo Sarrazin rezensiert zwei neue Bücher,die diesen Befund illustrieren<br />

Näher beiEngland<br />

alsbei Frankreich<br />

DDP<br />

David Marsh: Beim Geld hörtder Spass<br />

auf. Warum die Eurokrise nicht mehr<br />

lösbar ist. EuropaVerlag, München 2013.<br />

176Seiten, Fr.16.90,E-Book 9.90.<br />

DominikGeppert: Ein Europa,das es nicht<br />

gibt. Die fatale Sprengkraftdes Euro.<br />

EuropaVerlag, München 2013. 192Seiten,<br />

Fr.25.9o.<br />

VonThilo Sarrazin<br />

Gegenwärtig weiss man kaum, was<br />

schneller steigt: Die Arbeitslosigkeit in<br />

den Euro-Krisenländern oder die Anzahl<br />

der Eurobücher. Beides hängt vielleicht<br />

miteinander <strong>zu</strong>sammen. Die<br />

wachsenden Spannungen im Euroraum<br />

seit 2009 fordern ja <strong>zu</strong>r Analyseund <strong>zu</strong>r<br />

Vergewisserung über den eigenen<br />

Standort heraus. Journalisten grosser<br />

Wirtschaftsblätter berichten mir, dass<br />

sie bei ihren Lesern eine <strong>zu</strong>nehmende<br />

Ermüdung beobachten. Es ist wie beim<br />

Thilo Sarrazin<br />

Thilo Sarrazin, 68, SPD-Politiker,sass<br />

bis 2010imVorstand der Deutschen<br />

Bundesbank. Seine Streitschrift<strong>zu</strong>r<br />

Einwanderung «Deutschland schafft sich<br />

ab»(2010) warein Bestseller.Sein<br />

letztes Buch «Europabraucht den Euro<br />

nicht» (2012) wurde in «Bücher am<br />

Sonntag» vom27. Mai 2012besprochen.<br />

16 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />

Nahost-Konflikt: Ständig neue Facetten<br />

einer fernen Katastrophe und doch<br />

keine Lösung in Sicht –irgendwann mag<br />

man das nicht mehr hören.<br />

Gleichwohl nehme ich jedes neue Eurobuch<br />

mit Interesse <strong>zu</strong>r Hand und versuche<br />

mich auf die Subjektivität des<br />

Verfassers und seine spezifische Mischung<br />

von Weltbild, Zorn, Hoffnung<br />

und Besorgnis ein<strong>zu</strong>lassen. Mit jeder<br />

Lektüre changieren auch meine Ansichten<br />

<strong>zu</strong>m Thema ein wenig, obwohl sie<br />

doch alles in allem recht gefestigt sind.<br />

David Marsh hat mit seinem schmalen<br />

Band «Beim Geld hört der Spass<br />

auf», das in wenigen Stunden <strong>zu</strong> lesen<br />

ist, quasi ein Schlaglicht auf den gegenwärtigen<br />

Stand der Eurokrise geworfen,<br />

dabei aber gleichwohl die Vorgeschichte<br />

der gemeinsamen Währung und die<br />

weiteren Perspektiven miteinbezogen.<br />

Klarsichtig, mit feiner Ironie<br />

David Marsh ist als langjähriger Deutschland-Korrespondent<br />

der «Financial<br />

Times» ein profunder Kenner der Euro-<br />

Vorgeschichte. Er hört <strong>zu</strong> und hält sich<br />

mit Wertungen <strong>zu</strong>rück. Nahe<strong>zu</strong> alle wesentlichen<br />

Akteure des europäischen<br />

Währungsgeschehens in den letzten<br />

drei Jahrzehnten waren oder sind seine<br />

Gesprächspartner,davon profitiert auch<br />

dieses Buch.<br />

Klarsichtig und mit feiner Ironie legt<br />

er logische Widersprüche, Interessengegensätze<br />

und die in den Machtkonstellationen<br />

angelegten Denk- und Entscheidungsblockaden<br />

bloss. Es wird<br />

klar, dass erden Euro unter rein ökonomischen<br />

Aspekten für einen Fehler hält,<br />

das Auseinanderbrechen der Eurozone<br />

aber für unwahrscheinlich. Für Wachstum,<br />

Beschäftigung und Staatsschulden<br />

sowie die Eintracht unter den Völkern<br />

wird dies aus seiner Sicht einen Preis in<br />

noch unbestimmter Höhe mit sich bringen,<br />

den Marsh wie folgt beschreibt:<br />

«Durch eine unglückliche Mischung aus<br />

verspäteter Einsicht und mangelnder<br />

Tatkraft verurteilt sich …der alte Kontinent<br />

da<strong>zu</strong>, künftig im globalen Konzert<br />

der aktivenNationen der Welt nur mehr<br />

eine untergeordnete Rolle <strong>zu</strong> spielen.»<br />

Marsh vermeidet Parteinahmen und<br />

macht auch keine Lösungsvorschläge.<br />

Mit dieser Haltung ist er ganz der beobachtende<br />

Journalist. Und diese freundliche<br />

Äquidistanz <strong>zu</strong> den politischen<br />

Kontrahenten beschert ihm immer wieder<br />

erhellende Zitate. So bekannte der<br />

sicherheitspolitische Berater von Präsident<br />

Mitterrand, Jacques Attali, gegenüber<br />

Marsh offen, der Vertrag vonMaastricht<br />

sei eine äusserst komplizierte<br />

Operation mit einem Hauptziel, die D-<br />

Mark ab<strong>zu</strong>schaffen. Auf deutsch: Niemals<br />

hatten die Franzosen die sonstigen<br />

Vertragsinhalte wirklich ernst genommen,<br />

das erklärt ihr Verhalten bis heute.<br />

Nicht ganz klar ist die Zielset<strong>zu</strong>ng des<br />

Buches von Dominik Geppert «Ein Europa,das<br />

es nicht gibt». Es ist ein flüssig<br />

geschriebenes und angenehm <strong>zu</strong> lesendes<br />

Buch, in dem die historischen Passagen,<br />

der Profession des Autors entsprechend,<br />

den grössten Erkenntniswert<br />

haben, aber auch nichts <strong>Neue</strong>s oder<br />

Überraschendes <strong>zu</strong>tage fördern.<br />

Zu Recht stellt Geppert die gemeinsame<br />

Währung in die historische Tradition<br />

der Bemühungen, ein in der Mitte<br />

Europa liegendes Deutschland, das einerseits<br />

für ein Gleichgewicht der Staaten<br />

<strong>zu</strong>gross, andererseits aber für eine<br />

Hegemonialmacht <strong>zu</strong> klein ist, in ein<br />

transnationales Geflecht ein<strong>zu</strong>binden.<br />

Und <strong>zu</strong>Recht steht dabei die Beziehung<br />

zwischen Deutschland und Frankreich<br />

im Mittelpunkt.<br />

Über der Erzählfreude des Autors geratenaber<br />

ein wenig die beiden grundlegenden<br />

Irrtümer aus dem Blick, die sowohl<br />

die Einführung des Euro wie auch<br />

die heutige Eurokrise erklären:


ULLSTEIN<br />

Die Abschaffung der<br />

D-Mark über den<br />

Maastricht-Vertrag<br />

warein Ziel von<br />

François Mitterrand.<br />

Hier im Gespräch<br />

mit Jacques Attali<br />

(ganz rechts), am<br />

Sozialistentreffenin<br />

Alfortville, 1.1.1980.<br />

• Deutschland wollte die gemeinsame<br />

Währung, weil die verantwortlichen Politiker<br />

mit Helmut Kohl an der Spitze<br />

hofften, die dadurch ausgelösten Sachzwänge<br />

würden die weitere politische<br />

Integration vorantreiben und so die politische<br />

Union quasi durch die Hintertür<br />

erzwingen.<br />

• Frankreich wollte die gemeinsame<br />

Währung, weil seine Politiker glaubten,<br />

die Okkupation der D-Mark durch die<br />

französische Politik werde der wirtschaftlichen<br />

Überlegenheit Deutschlands<br />

ein Ende setzen. Geppert zitiert<br />

François Mitterrand, der Ende der achtziger<br />

Jahre die unabhängige deutsche<br />

Währungspolitik als die «deutsche<br />

Atombombe» bezeichnet.<br />

Norden soll für Süden zahlen<br />

Deutschland irrteamVorabend des Vertrags<br />

von Maastricht, weil es nicht erkannte,<br />

dass eine falsch konzipierte<br />

Währungsunion zwar Volkswirtschaftendestabilisieren,<br />

nicht aber politische<br />

Schritte erzwingen kann, die einige beteiligteStaaten<br />

partoutnicht gehen wollen.<br />

Frankreich irrte am Vorabend des<br />

Vertrags von Maastricht, weil seine verantwortlichen<br />

Politiker die Natur einer<br />

Währung nicht begriffen: <strong>Eine</strong> starke<br />

Währung ist stets die Folge einer starken<br />

Wirtschaft, niemals aber ihre Ursache.<br />

Im Gegenteil: Es kann höchst fatale<br />

Folgen für eine Volkswirtschaft haben,<br />

wenn der Wechselkurs der Währung<br />

höher ist, als es ihrer Wettbewerbsfähigkeit<br />

entspricht.<br />

Voller Entsetzen sehen die französischen<br />

Politiker nun, dassdas wirtschaftliche<br />

und politische Gewicht Deutschlands<br />

in Europa gerade deshalb wächst,<br />

weil der Franc nicht mehr abwerten und<br />

die D-Mark nicht mehr aufwerten kann.<br />

Die deutsche Politik wiederum sieht<br />

sich plötzlich im Besitz einer politischen<br />

und wirtschaftlichen Dominanz,<br />

die sie niemals wollte. Sie scheut sich<br />

aber auch, deutsche Arbeitsplätze und<br />

Exporte quasi willkürlich aufs Spiel <strong>zu</strong><br />

setzen, nur um den Franzosen einen Gefallen<br />

<strong>zu</strong> tun.<br />

Helmut Kohl, der ja auch Historiker<br />

war, hätte es wissen können. Geppert zitiert<br />

ihn mit den Worten, dass«die Mentalität<br />

etwa im Umgang mit staatlichen<br />

Institutionen bis hin <strong>zu</strong>r Staatskasse im<br />

Norden und im Süden von Geburt an<br />

unterschiedlich ist». Kohls ökonomische<br />

Einsicht reichte aber leider nicht<br />

bis <strong>zu</strong>r Erkenntnis, das sich solche Mentalitätsunterschiede<br />

mit einer gemeinsamen<br />

Währung kaum vereinen lassen.<br />

Sehr anschaulich arbeitet Geppert an<br />

verschiedenen Stellen seines Buches die<br />

wachsende Entfremdung und Feindseligkeit<br />

innerhalb der Währungsunion<br />

heraus: Der Norden sieht nicht ein, dass<br />

er für die Fehler und Nachlässigkeit des<br />

Südens bürgen und zahlen soll, egal, ob<br />

man von Rettungsschirmen, Eurobonds<br />

oder einer Fiskalunion spricht. Der<br />

Süden wiederum wehrt sich dagegen,<br />

dassseine wirtschaftlichen und sozialen<br />

Mentalitäten wesentlich «deutscher»<br />

werden müssen, wenn Volkswirtschaften<br />

der südlichen Länder in einem gemeinsamen<br />

Währungsraum ohne Veränderung<br />

von Wechselkursen bestehen<br />

sollen.<br />

Britische Option als Ausweg<br />

Im letzten Kapitel skizziert Geppert drei<br />

denkbare Wege aus der Krise: «erstens<br />

der verspätete Durchbruch <strong>zu</strong> den Vereinigen<br />

Staaten von Europa, zweitens<br />

die Weiterentwicklung der Transferund<br />

Haftungsunion durch die Zusammenarbeit<br />

der nationalen Regierung<br />

oder drittens eine Integration durch Dezentralisierung<br />

und Wettbewerb, innerhalb<br />

derer sich die Mitgliedsländer in<br />

verschiedenen Konstellationen und unterschiedlicher<br />

Intensität bei Teilprojekten<br />

der europäischen Einigung <strong>zu</strong>sammentun.»<br />

Die Beschreibung und Abwägung dieser<br />

drei Wege hätte man sich etwas<br />

gründlicher und analytischer gewünscht.<br />

Geppert bleibt hier leider im<br />

Wesentlichen bei einer Zitatensammlung<br />

stehen.<br />

Aufschlussreich ist jedoch seine Einschät<strong>zu</strong>ng,<br />

dass der offenbar von ihm<br />

bevor<strong>zu</strong>gte dritte Weg aus der Krise<br />

ziemlich genau den Vorstellungen entspricht,<br />

die der britische Ministerpräsident<br />

Davon Cameron in seiner Europarede<br />

im Januar 2013, in der er auch ein<br />

britisches Referendum <strong>zu</strong>r EU in Aussicht<br />

stellte, skizziert hat.<br />

Ganz <strong>zu</strong> Recht stellt Geppert fest,<br />

dassdie tatsächliche Interessenidentität<br />

in Europa zwischen Deutschland und<br />

Grossbritannien viel grösser ist als jene<br />

zwischen Deutschland und Frankreich.<br />

Er schreibt, «mit einer weltoffeneren,<br />

liberaleren EU inklusive Grossbritanniens<br />

(wäre) eine Stärkung der Verbindung<br />

<strong>zu</strong> den USA, etwa in Form einer<br />

transatlantischen Freihandelszone,<br />

leichter <strong>zu</strong> bewerkstelligen als mit<br />

einem auf Süd- und Westeuropa reduzierten<br />

und <strong>zu</strong>m Protektionismus tendierenden<br />

Rumpf, in dem die antiamerikanischen<br />

Reflexe der französischen<br />

Aussenpolitik ein grösseres Gewicht<br />

hätten».<br />

Für die Zukunft der Währungsunion<br />

fordert Geppert verschleiert eine deutsche<br />

Austrittsoption: Die deutsche Regierung<br />

müsse «im Notfall auch <strong>zu</strong> einseitigen<br />

Schritten bereit sein, um dafür<br />

<strong>zu</strong> sorgen, dass die Bestimmungen befolgt<br />

werden.» Ob diese Überlegung in<br />

den künftigen Vermerken der Ministerialbeamten<br />

für Merkel oder Schäuble<br />

auftauchen wird, wenn der nächste Krisengipfel<br />

vorbereitet wird? Der Rezensent<br />

bezweifelt es. l<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 17


Sachbuch<br />

Philosophie <strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>s differenziertes Werk über die menschliche Würde bietet Lesegenussund ist<br />

eine Einladung <strong>zu</strong>m selbständigen Nachdenken<br />

DerinnereKompass<br />

<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>: <strong>Eine</strong> <strong>Art</strong><strong>zu</strong><strong>leben</strong>. Überdie<br />

Vielfalt menschlicher Würde. Hanser,<br />

München 2013. 384 Seiten, Fr.38.90.<br />

VonKlaraObermüller<br />

«Die Würde des Menschen ist unantastbar»,<br />

sagt das Deutsche Grundgesetz.<br />

«Die Würde des Menschen ist <strong>zu</strong> achten<br />

und <strong>zu</strong> schützen», heisst es in <strong>Art</strong>. 7der<br />

Schweizerischen Bundesverfassung. Die<br />

beiden Sätzesind bekannt. Politiker führen<br />

sie im Munde. Menschenrechtsaktivisten<br />

berufen sich auf sie. Aber was<br />

bedeuten sie wirklich? Was verstehen<br />

wir unter Würde? Wodurch wirdsie verletzt?<br />

Und warum ist das so schlimm?<br />

Bei solchen und ähnlichen Fragen<br />

setzt der in Berlin lehrende Schweizer<br />

Philosoph und Schriftsteller <strong>Peter</strong> <strong>Bieri</strong><br />

ein, wenn er in seinem neuesten Werk<br />

darüber nachdenkt, welche Konsequenzen<br />

die Vorstellung der Menschenwürde<br />

für unsere «<strong>Art</strong> <strong>zu</strong> <strong>leben</strong>» hat. Dabei<br />

geht er nicht von Definitionen aus, sondern<br />

von Erfahrungen, die jedermann<br />

nachvollziehen kann. «Philosophie, wie<br />

ich sie verstehe,ist der Versuch, begriffliches<br />

Licht in wichtigeErfahrungen des<br />

menschlichen Lebens <strong>zu</strong> bringen», so<br />

lautet der erste Satz des vorliegenden<br />

Buches. Er ist wichtig, denn er umschreibt<br />

die Methode, nach der <strong>Bieri</strong> arbeitet,<br />

und er erklärt, warum der Autor<br />

ganz im Sinne eines William James oder<br />

Ludwig Wittgenstein vonder Würde als<br />

«Lebensform» spricht und dabei statt<br />

von Ideen von der «Vielfalt» menschlicher<br />

Erfahrungen ausgeht.<br />

Würde ist unverhandelbar<br />

Getreu diesem Vorsatz nimmt <strong>Bieri</strong><br />

seine Leserinnen und Leser bei der<br />

Hand und lässt sie an den eigenen und,<br />

wie er selber sagt, «unabgeschlossenen»<br />

Gedankenbewegungen teilhaben.<br />

Ähnlich wie schon in seinem letzten<br />

philosophischen Werk, «Das Handwerk<br />

der Freiheit», erweist sich der Philosoph<br />

auch hier immer wieder als Schriftsteller,<br />

der seine Gedanken in Form von<br />

Geschichten präsentiert und anhand literarischer<br />

Beispiele verdeutlicht, um<br />

welche <strong>Art</strong> vonErfahrung es ihm gerade<br />

geht. Leitmotivisch ziehen sich Werke<br />

wie Millers «Tod eines Handlungsreisenden»,<br />

Nabokovs «Lolita», O’Neills<br />

«<strong>Eine</strong>s langen TagesReise in die Nacht»,<br />

Albees «Wer hat Angst vor Virginia<br />

Woolf», Kafkas «Prozess», Orwells<br />

«1984» und anderemehr durch das Buch<br />

und machen deutlich, wie Würde verstanden<br />

und auf wie unterschiedliche<br />

Weise sie auf politischer Ebene, aber<br />

auch im privaten Bereich verletzt werden<br />

kann.<br />

Es ist deshalb kein Zufall, dass jedes<br />

Kapitel die Vorstellung von Würde<br />

Nabokovs«Lolita»<br />

zieht sich, <strong>zu</strong>sammen<br />

mit anderen Werken,<br />

leitmotivisch durch<br />

das neue Buch von<br />

<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong>. Szene<br />

aus StanleyKubricks<br />

«Lolita»-Verfilmung<br />

mit Sue Lyon und<br />

James Mason (1962).<br />

unter einem anderen Aspekt –Würde<br />

als Selbständigkeit, Würde als Wahrung<br />

der Intimität, als Selbstachtung, als Anerkennung<br />

der Endlichkeit usw. –behandelt<br />

und versucht, aus der Unterschiedlichkeit<br />

der Erfahrungen das Gemeinsame<br />

heraus<strong>zu</strong>arbeiten. Empfindungen<br />

wie das Bedürfnis nach Selbstbestimmung,<br />

nach Schutz der Intimität, nach<br />

Selbstachtung spielen dabei eine zentrale<br />

Rolle. Werden diese missachtet, etwa<br />

dann, wenn Menschen wie Objekte behandelt,<br />

gequält, gedemütigt und in<br />

ihrer Ohnmacht <strong>zu</strong>r Schau gestellt werden,<br />

dann muss von einer Verlet<strong>zu</strong>ng<br />

ihrer Würde gesprochen werden.<br />

Mehr an Definition ist <strong>Bieri</strong> allerdings<br />

nicht <strong>zu</strong> geben bereit. Ihm ist es<br />

wichtiger, aneiner Fülle von Beispielen<br />

auf<strong>zu</strong>zeigen, unter welchen Bedingungen<br />

und in welchen Situationen dies geschehen<br />

kann: im Beruf wie im Stück<br />

vonMiller,inLiebe,Ehe und Familie wie<br />

bei O’Neill, Nabokov und Albee oder<br />

aber in politischen Systemen, wie Orwell<br />

dies in seinem utopischen Roman<br />

«1984» für alle Zeiten gültig vorweggenommen<br />

hat.<br />

Die Umstände, sogibt der Autor mit<br />

diesem Vorgehen <strong>zu</strong> verstehen, mögen<br />

verschieden sein, die Mechanismen der<br />

Vernichtung sind immer dieselben. Es<br />

gibt keine Rangordnung, Würde ist<br />

Würde und ihre Zerstörung in jedem<br />

Fall eine existenzielle Katastrophe.<br />

Denn die Vorstellung von Würde ist<br />

uns, so <strong>Bieri</strong>, nicht von irgendeiner höheren<br />

Instanz verordnet worden, sondern<br />

wir haben sie entwickelt, «um das<br />

Leben mit seinen Gefährdungen und Zumutungen<br />

besser bestehen <strong>zu</strong> können».<br />

Sie ist der Kompass, der unsere <strong>Art</strong> <strong>zu</strong><br />

<strong>leben</strong> bestimmt, sie ist der Massstab, der<br />

unser Verhalten regelt, und sie setzt die<br />

Grenzen, die nicht überschritten werden<br />

dürfen. Deshalb ist Würde nicht<br />

verhandelbar. Oder doch?<br />

Moralische Sackgassen<br />

Es ist das grosse Verdienst dieses Buches,<br />

dass esauch sagt, wo von einer<br />

Verlet<strong>zu</strong>ng der Würde nicht gesprochen<br />

werden sollte –angesichts von Krankheit<br />

und Gebrechlichkeit <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

–und wo, umgekehrt, die Verlet<strong>zu</strong>ng der<br />

Würde Einzelner hingenommen werden<br />

muss, um das Leben vieler <strong>zu</strong> retten.<br />

<strong>Peter</strong><strong>Bieri</strong> rechtfertigt die Folter an Terroristen<br />

nicht, und er verurteilt auch<br />

niemanden, der einem subjektiv als<br />

würdelos empfundenen Leiden ein vorzeitiges<br />

Ende setzen will. Er zeigt nur<br />

auf, inwelche moralischen Sackgassen<br />

man geraten kann, wenn man den Begriffder<br />

Würde ein für alle Mal definiert<br />

haben will, statt «aus der Situation heraus<br />

selbständig darüber nach<strong>zu</strong>denken»,<br />

was sie bedeutet.<br />

<strong>Bieri</strong>s Werk über die «Vielfalt<br />

menschlicher Würde» ist eine Einladung<br />

<strong>zu</strong> solchem selbständigen Nachdenken.<br />

Es ist bewusstoffen gehalten, es<br />

lässt den Zweifel <strong>zu</strong> und die Widerrede,<br />

und es verhehlt nicht, dass dem Autor<br />

<strong>Bieri</strong> manches nicht klarer ist als dem<br />

<strong>zu</strong>künftigen Leser. Gerade deshalb aber<br />

wird die Lektüre <strong>zu</strong>m intellektuellen<br />

Gewinn. l<br />

FILMBILDARCHIV /COVERPICTURE<br />

18 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


Autobiografie Der brillanteamerikanische Publizist Christopher Hitchens schreibt ebenso ironisch<br />

wie heiter über die Erfahrung mit seiner Krebserkrankung<br />

EinAtheist stirbt<br />

in allerÖffentlichkeit<br />

Christopher Hitchens: Endlich. Mein<br />

Sterben. Pantheon, München 2013.<br />

128 Seiten, Fr.19.90,E-Book 12.90.<br />

VonKathrin Meier-Rust<br />

Als bekannt wurde, dass der scharfzüngige<br />

Christopher Hitchens im Alter von<br />

61 Jahren an Speiseröhrenkrebserkrankt<br />

ist, liess eine überzeugte Christin im Internet<br />

vernehmen, die Krankheit zeige<br />

«Gottes Rache an ihm …, weil er seine<br />

Stimme gebraucht hat, um ihn <strong>zu</strong> lästern».<br />

Für Hitchens war solch «gläubiges<br />

Händereiben» natürlich ein gefundenes<br />

Fressen: weshalb denn nicht ein<br />

Blitz aus heiterem Himmel? –fragte er.<br />

Die rächende Gottheit zeige «ein peinlich<br />

geschrumpftes Arsenal», wenn ihr<br />

nichts anderes einfalle als genau jener<br />

Krebs, den sein Alter, sein Lebensstil<br />

und seine Gene statistisch nahelegten<br />

(sein Vater war an Speiseröhrenkrebs<br />

gestorben). Und erinnert genüsslich<br />

daran, dass viele fromme Menschen<br />

jung gestorben sind, während Atheisten<br />

wie Russell und Voltaire munter uralt<br />

wurden.<br />

Mit Gusto erzählt Hitchens diese Geschichte<br />

inseinem postum erschienen<br />

Buch über seine Krankheit, die <strong>zu</strong>m<br />

Tode führte. Hitch, wie der englische<br />

Journalist und Autor inseiner Wahlheimat<br />

USA hiess, liebte den öffentlichen<br />

Streit mit Argumenten über alles, je bissiger<br />

und polemischer, desto besser, mit<br />

intellektuell ebenbürtigen Gegnern wie<br />

etwa dem Katholiken Tony Blair ebenso<br />

wie –leider –auch mit schlichten gläubigen<br />

Gemütern, die weiss Gott leicht<br />

<strong>zu</strong> schlagen, aber natürlich niemals <strong>zu</strong><br />

überzeugen waren. Wie Richard Dawkins<br />

gehörte er<strong>zu</strong>jenen prominenten<br />

Atheisten, die Religion mit fanatischem<br />

Fundamentalismus gleichsetzen und sie<br />

deshalb mit «Spott, Hass und Verachtung»<br />

bekämpfen, wie Hitchens einmal<br />

in einer Talkshow forderte. Mit derselben<br />

Verve verteidigte der ehemals linke<br />

Publizist aber auch die amerikanische<br />

Invasion in den Irak, was ihn wiederum<br />

nicht daran hinderte, sich selbst dem<br />

Waterboarding aus<strong>zu</strong>setzen, um es aus<br />

eigener Erfahrung als Folter an<strong>zu</strong>prangern.<br />

Sieben Essays sind es geworden,<br />

bevor Hitchens, anderthalb Jahre nach<br />

der vernichtenden Diagnose,imDezember<br />

2011 unerwartet an einer Lungenentzündung<br />

starb. Präzis und immer mit<br />

jener Ironie, die er als «mein Geschäft»<br />

bezeichnet, umkreist er die Themen,<br />

denen er nach der plötzlichen «Deportation<br />

aus dem Land der Gesunden ins<br />

Territorium der Krankheit» begegnet:<br />

die Merkwürdigkeiten von Tumorland,<br />

wo der Humor schwach und die Küche<br />

sehr schlecht sei. Die taktlosen Fragen,<br />

COLLECTION KHARBINE-TAPABOR<br />

unaufgeforderten Ratschläge und Gerüchte<br />

von Wunderkuren, die über<br />

einen Krebspatienten hereinbrechen –<br />

Christopher Hitchens sieht dringenden<br />

Bedarffür ein «Benimm-Handbuch» für<br />

Krebs. Das bizarreDilemma, sich auf ein<br />

stoisches Sterben vor<strong>zu</strong>bereiten bei<br />

gleichzeitig höchstem Interesse am<br />

Über<strong>leben</strong>.<br />

Die zahllosen Schrecklichkeiten und<br />

Schmerzen der Entdeckung, dass man<br />

nicht einen Körper hat, sondern ein<br />

Körper ist. Und schliesslich das Überdenken<br />

von scheinbar verlässlichen Lebensregeln<br />

wie etwa der Satz «Was mich<br />

nicht umbringt, macht mich stärker».<br />

Hitchens erkennt ihn nun als eine Form<br />

von Verdrängung eines unerträglichen<br />

Warenhaus Kathedralen des Konsums<br />

Bisindie Mittedes 19.Jahrhunderts warEinkaufen<br />

eine mühseligeSache: DasSuchen nach dem<br />

richtigen Geschäft, nach der passenden Ware,<br />

das Feilschen um den Preis. Mit dem Wirtschaftsund<br />

Bevölkerungswachstum, der Urbanisierung,<br />

der Entwicklung vonTransportmitteln und der<br />

Massenproduktion änderte sich das. Sie bildeten<br />

den Nährboden für die neuen Warenhäuser,die wie<br />

Pilzeaus dem Boden schossen. Die Modestadt Paris,<br />

wo 1855die Weltausstellung passende Modelle für<br />

Bauweise und Präsentationsmethoden lieferte,<br />

spielteeine Vorreiterrolle. Hier entstanden die<br />

Galeries Lafayette,LaSamaritaine, Bon Marché. Das<br />

KaDeWeinBerlin, das Gum in Moskau, das Macy’sin<br />

Erlebnisses, sei dies Krieg oder Chemotherapie.<br />

Dies alles wird luzide mit viel<br />

geistesgeschichtlichen Bezügen analysiert.<br />

Ein schönes langes Vorwort des deutschen<br />

Schriftstellers <strong>Peter</strong> Schneider<br />

erzählt von den überragenden Schreibund<br />

Trinkfähigkeiten des Freundes<br />

sowie von seinen provokativen politischen<br />

Kehrtwenden, ein kurzes Nachwort<br />

der Ehefrau CarolBlue vomfröhlichen<br />

Familienvater und Ehemann. Da<strong>zu</strong><br />

versammelt ein letztes Kapitel letzte<br />

Notizen, die Hitch bis kurz vor seinem<br />

Todinden Computer tippte. Darunter<br />

diese: «Wenn ich mich bekehre, dann<br />

deswegen, weil es besser ist, dass ein<br />

Gläubiger stirbt als ein Atheist.» l<br />

NewYork folgten. Die Architekten wollten blenden.<br />

Die Kaufhäuser zeigten ein monumentales Äusseres<br />

und ein kathedralenartiges Inneres mit viel Glas, Licht<br />

und filigranen Metallkonstruktionen. AufBildern<br />

werden die Dimensionen verzerrtwiedergegeben, so<br />

auch auf der Postkarteder Magasins Crespin &DufayelinParis<br />

(s.Bild): Die Menschen sind im Verhältnis<br />

<strong>zu</strong>mGebäude zwergenhaftklein. Die Soziologin<br />

Jan Whitaker hateinen schönen, opulenten Bildband<br />

über die untergehende Welt der Warenhäuser<br />

vorgelegt, mit Illustrationen aus einer Zeit, als<br />

Einkaufen noch ein Event war. GenevièveLüscher<br />

Jan Whitaker: Wunderwelt Warenhaus. Gerstenberg,<br />

Hildesheim 2013. 264Seiten, Fr.59.90.<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 19


Sachbuch<br />

Korruption Der Basler Jurist MarkPieth erklärt, wie Geldwäscherei und Bestechung auf dem<br />

internationalen Parkett funktionieren<br />

Jagd aufdie Bestecher<br />

Mark Pieth: Der Korruptionsjäger. Im<br />

Gespräch mit Thomas Brändle und Siri<br />

Schubert. Zytglogge, Oberhofen2013.<br />

176Seiten, Fr.39.90.<br />

VonLukas Häuptli<br />

Mark Pieth ist Professor für Strafrecht<br />

an der Universität Basel. Und Präsident<br />

der OECD-Arbeitsgruppe <strong>zu</strong>r Bekämpfung<br />

der internationalen Korruption.<br />

Und Berater des Präsidenten der Weltbank.<br />

Er war Mitglied des Untersuchungsausschusses<br />

<strong>zu</strong>m Oil-for-Food-<br />

Skandal der UNO. Und Vertreter in der<br />

FATF, der internationalen Organisation<br />

<strong>zu</strong>r Bekämpfung der Geldwäschereibekämpfung.<br />

Kurz: Der 60-Jährige war<br />

und ist ein umtriebiger Mensch.<br />

Jetzt ist Mark Pieth auch noch der<br />

Korruptionsjäger. So heisst das Buch<br />

von Thomas Brändle und Siri Schubert<br />

über den Basler Kriminologen. Es ist der<br />

Versuch, Pieths Wirken und Wissen in<br />

einem 150-seitigen Interview wieder<strong>zu</strong>geben.<br />

Brändle stellt Fragen, Pieth gibt<br />

Antworten, Schubert strukturiert und<br />

schreibt nieder. Um es vorweg<strong>zu</strong>nehmen:<br />

Der Versuch ist ein Wagnis. Ein<br />

grosses Wagnis.<br />

Natürlich hat Pieth viel <strong>zu</strong> erzählen.<br />

Er weiss, wie Bestechung funktioniert,<br />

unter welchen Umständen sie <strong>zu</strong>stande<br />

kommt und wie man sie bekämpft. Er<br />

erklärt, warum Baugewerbe, Ölgeschäft<br />

und Waffenhandel am anfälligsten dafür<br />

sind. Und warum Menschen, die selbst<br />

wenig verdienen, in ihrem Beruf mit<br />

grossen Geldsummen <strong>zu</strong> tun haben.<br />

Ebenso kenntnis- und detailreich erläutert<br />

er die Feinmechanismen der<br />

Geldwäscherei –vom Placement übers<br />

Mehr Licht in die<br />

Vorgängebei der Fifa<br />

und die Vergangenheit<br />

Joseph Blattershätte<br />

man sich vonMark<br />

Pieth gewünscht.<br />

WM-Pokal, 2010.<br />

Layering bis <strong>zu</strong>r Integration von<br />

Schwarzgeld. Dabei zeigt sich, dass Offshore-Gesellschaften<br />

zwar nicht immer<br />

Geldwäscherei-Vehikel sind –aber häufig.<br />

Das ist eine Erkenntnis, die in der<br />

Beurteilung des kürzlich aufgedeckten<br />

Offshore-Leaks hie und da vergessen<br />

ging.<br />

Besonders erhellend sind Pieths Ausführungen<br />

dann, wenn er das Innen<strong>leben</strong><br />

von globalen Institutionen wie Uno<br />

oder Weltbank beschreibt. Da zeigt sich,<br />

wie problematisch deren Wirken ungeachtet<br />

aller hehren Ziele manchmal ist.<br />

So versage die Uno bei humanitären<br />

Aufgaben immer wieder –vielleicht, so<br />

Pieth, weil sie schlicht <strong>zu</strong> grosssei. «Für<br />

viele geht es nur um die Pfründe,die Arbeitsmentalität<br />

ist, gelinde gesagt, nicht<br />

besonders intensiv. Die meiste Energie<br />

wird dafür verwendet, seine Stellung <strong>zu</strong><br />

bewahren, sich <strong>zu</strong> positionieren und andere<br />

<strong>zu</strong>demontieren.»<br />

KURT SCHORRER /FOTO-NET<br />

Das Verdikt des Schweizers über die<br />

Vereinten Nationen wirkt umso ehrlicher,als<br />

dassersich grundsätzlich überzeugt<br />

gibt, dassglobale Probleme nur im<br />

globalen Verbund gelöst werden können.<br />

Überhaupt hat Mark Pieths <strong>Art</strong> etwas<br />

Erfrischendes. Er ist selbstbewusst und<br />

selbstbezogen genug, Missstände beim<br />

Namen <strong>zu</strong> nennen. Das gibt dem Interviewmanchmal<br />

eine Verve, die man von<br />

professoralen Ausführungen nicht unbedingt<br />

erwarten würde. Allerdingshält<br />

die Frische nicht über die 150 Interview-<br />

Seiten an. Zu regelmässig wechseln sich<br />

inhaltliche Höhen und Tiefen ab –und<br />

<strong>zu</strong> ermüdend ist auch der Frage-Antwort-Stil.<br />

Das hatdreiGründe: Erstens geht das<br />

Buch nicht in die Tiefe, wo Tiefe neue<br />

Erkenntnisse mit sich brächten. Am störendsten<br />

ist das dort, wo Pieth über sein<br />

Engagement beim Weltfussballverband<br />

Fifa spricht. Hier möchte man genauer<br />

wissen, was Pieth von Fifa-Präsident Joseph<br />

Blatter und seiner Vergangenheit<br />

hält –<strong>zu</strong>m Beispiel von dessen Rolle in<br />

der ISL-Affäre. Zweitens verzettelt sich<br />

das Interview in thematische Nebenschauplätze.<br />

Werinteressiert sich schon<br />

für Details aus Pieths Schulzeit in England?<br />

Und drittens kann sich Thomas<br />

Brändle nicht entscheiden, in welchem<br />

Verhältnis er <strong>zu</strong> Mark Pieth steht. Ist er<br />

der Unkundige, der dem Sachverständige<br />

voller Bewunderung alles glaubt?<br />

Oder ist er derjenige, der Pieths Ausführungen<br />

auch hinterfragt?<br />

Leider ist Letzteres fast nie der Fall.<br />

Deshalb gelingt der Versuch, ein Sachbuch<br />

über Mark Pieth, Korruption und<br />

Geldwäscherei in Interviewform <strong>zu</strong><br />

schreiben, nur <strong>zu</strong>m Teil. l<br />

Scientology Erinnerungen an die Kindheit in einer Psychosekte<br />

JahreinAngstund Schrecken<br />

Jenna MiscavigeHill: Mein geheimes<br />

Leben bei Scientology und meine<br />

dramatische Flucht. Btb,München2013.<br />

500Seiten, Fr.29.90,E-Book 19.90.<br />

VonBerthold Merkle<br />

20 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />

Jenna Miscavige Hill hat ihre gesamte<br />

Kindheit und Jugend in der «Church of<br />

Scientology» erlebt. In schockierenden<br />

und erschreckenden Details schildert<br />

die heute 29-Jährige ihr Leben auf der<br />

Kinderranch, die auf Aussenstehende<br />

wie ein Straflager wirkt. Schwerste Arbeit<br />

auch für ganz kleine Kinder bis <strong>zu</strong>m<br />

Umfallen. Drill und Demütigungen. Totale<br />

Kontrolle. Ein strenges Sicherheitssystem<br />

umschliesst die Ranch aussen<br />

und innen. Offiziell, um sich vor«Asozialen»<br />

<strong>zu</strong> schützen, wie alle Nicht-Scientologen<br />

und vor allem die Gegner bezeichnet<br />

werden. Die kleine Jenna wird<br />

noch strenger behandelt, als die anderen<br />

Kinder, denn sie ist die Nichte des Sektenführers<br />

Dave Miscavige. Die Angst<br />

vor «Onkel Dave» ist bei ihr allgegenwärtig.<br />

Scientology nennt sich Kirche, aber<br />

es geht hier nicht um Himmel und Hölle.<br />

Es wirdkein Gottangebetet. Stattdessen<br />

werden den Mitgliedern sagenhafte Verbesserungen<br />

ihres ganzen Lebens versprochen.<br />

Alles werde perfekt: Beziehungen,<br />

Ehe, Karriere, Befinden, Verständigung.<br />

Doch in Wahrheit erweist sich Scientology<br />

nicht als harmlose Selbsthilfereligion<br />

für Stars wie TomCruise, Priscilla<br />

Presleyund KellyPreston. Als Kind<br />

und Jugendliche erlebt und erleidet<br />

Jenna Miscavige die Sekte inihrer ganzen<br />

Brutalität. Langsam wird ihr klar,<br />

wasdie ganzen Auditings, die Psychogespräche,sind:<br />

«Es handeltesich um eine<br />

vollkommene Unterdrückung des eigenen<br />

Denkens, nichts weiter.»<br />

Bis <strong>zu</strong> ihrem 21. Lebensjahr kennt die<br />

junge Frau keinerlei Privatsphäre:<br />

Schlafsäle, Uniform, stupider Drill.<br />

Nach ihrer Flucht muss sie erst das<br />

Leben lernen: kochen, Autofahren und<br />

ohne Erlaubnis <strong>zu</strong>r Toilette gehen. So<br />

genau und direkt wie Jenna Miscavige<br />

Hill hatnoch kaum jemand das zerstörerische<br />

Wirken von Scientology auf die<br />

Köpfe und Seelen der Menschen beschrieben.<br />

Ihr langer, schwerer Kampf<br />

und sein glückliches Ende zeigen aber<br />

auch: Der Psychoterror der Sekte ist<br />

nicht allmächtig, es gibt einen Weg<strong>zu</strong>rück<br />

ins Leben. Schlecht für Scientology,<br />

gut für die Freiheit. l


Diplomatie Der frühereSchweizer BotschafterKurt O. Wyss kritisiert die israelische Politik<br />

gegenüber den Palästinensern. Micheline Calmy-Reyunterstützt ihn darin<br />

Warumdie SchweizInteresse<br />

hataneinem FriedeninNahost<br />

Kurt O. Wyss: Wirhaben nur dieses Land.<br />

Der Israel-Palästinenser-Streit als<br />

Mutteraller Nahostkonflikte. Stämpfli,<br />

Bern 2013. 288 Seiten, Fr.39.90.<br />

VonMicheline Calmy-Rey<br />

Ichhabe das Buch vonKurt O. Wyss mit<br />

Interesse gelesen. Es ist kein gewöhnliches<br />

Buch, sondern das Ergebnis einer<br />

langen diplomatischen Berufserfahrung.<br />

Die Aussagensind deshalb ernst <strong>zu</strong> nehmen.<br />

Ich möchte auf zwei darin hervorgehobene<br />

Punkte eingehen: Der erste<br />

betrifft die Komplexität des Konflikts<br />

und seine Auswirkungen im nahöstlichen<br />

Kontext und der zweite die Vorbehalte<br />

der Schweiz gegenüber einer von<br />

den Grossmächten unabhängigen Aussenpolitik.<br />

Der israelisch-palästinensische Konflikt<br />

sei die Mutter aller Nahostkonflikte,<br />

schreibt Kurt O. Wyss. Beim primären<br />

Krisenherd, dem israelisch-palästinensischen<br />

Konflikt, handelt es sich in<br />

erster Linie um eine territoriale Frage:<br />

Israel besetzt das Westjordanland, Gaza<br />

und Ost-Jerusalem – Territorien, die<br />

einen unabhängigen palästinensischen<br />

Staat bilden sollten – sowie die syrischen<br />

Golanhöhen und die libanesische<br />

Region der Shebaa-Farmen.<br />

Mehrere Krisenherde<br />

Beim zweiten Krisenherd stehen sich<br />

die internationale Gemeinschaft und<br />

Iran gegenüber: Iran glaubt das Recht <strong>zu</strong><br />

haben, Nuklearenergie für zivile Zwecke<br />

<strong>zu</strong> entwickeln. Er versucht, seine energiepolitische<br />

Position in der Region und<br />

seinen Einfluss durch die schiitische<br />

Achse <strong>zu</strong> stärken. Die internationale Gemeinschaft<br />

befürchtet, dass Iran unter<br />

dem Deckmantel der zivilen Nut<strong>zu</strong>ng<br />

der Kernenergie in Wirklichkeit versuche,die<br />

Fähigkeit <strong>zu</strong>r militärischen Nut<strong>zu</strong>ng<br />

<strong>zu</strong> erlangen.<br />

Diese Perspektive beunruhigt die israelischen<br />

Strategen, welche die iranische<br />

Absicht als Willen interpretieren,<br />

den Staat Israel <strong>zu</strong> zerstören.<br />

Der dritte Krisenherd, Afghanistan,<br />

ist Schauplatz eines Krieges, der seit<br />

Jahrzehnten andauert. Hier stehen andere<br />

Interessen auf dem Spiel: Es geht<br />

um den Kampfgegen einen Terrorismus<br />

mit globalen Ansprüchen, der den Islam<br />

da<strong>zu</strong> missbraucht, Bevölkerungen <strong>zu</strong> fanatisieren,<br />

die oft Opfer elender sozioökonomischer<br />

Bedingungen sind. Al-<br />

Kaida hatnach wie vorihreSchlupfwinkel<br />

inAfghanistan und in den pakistanischen<br />

Stammesgebieten. Zu diesem<br />

Dunstkreis gehören aber auch Ableger<br />

in Jemen, Nordafrika und seit kurzem in<br />

Syrien.<br />

Aussenministerin<br />

Micheline Calmy-Rey<br />

besucht am 5.2.2005<br />

ein Flüchtlingscamp<br />

im Gaza-Streifen.<br />

KHALIL HAMRA/AP<br />

Die drei Krisenherde sind miteinander<br />

verflochten und komplex: Muslime/<br />

Araber, Sunniten/Schiiten, Iran/westliche<br />

Länder.Die Bruchlinien überschneiden<br />

sich und niemand hält alle Fäden in<br />

der Hand. Diese Verflechtung und diese<br />

Komplexität treten insbesondere imsyrischen<br />

Konflikt, in welchem die Allianzen<br />

jeder Logik widersprechen, offen<br />

<strong>zu</strong>tage: autoritäre Regime unterstützen<br />

die Demokratie, theokratische Regierungen<br />

den Laizismus und die USA bilden<br />

Partnerschaften mit Islamisten.<br />

Die internationale Gemeinschaft hat<br />

gute Gründe, inSyrien nicht ein<strong>zu</strong>greifen.<br />

Der Hauptgrund ist geostrategischer<br />

Natur. <strong>Eine</strong> Intervention in Syrien<br />

hätte einen regionalen Krieg <strong>zu</strong>r Folge,<br />

den niemand will. Der Konflikt radikalisiert<br />

sich und verläuft entlang ethnischreligiöser<br />

Linien. Für die ständigen Mitglieder<br />

des Sicherheitsrates stellen Iran<br />

und seine regionalen Machtansprüche<br />

das wahre Problem dar.<br />

Der zweite Punkt, den Kurt O. Wyss<br />

hervorhebt, betrifft die Schwierigkeit,<br />

angesichts der innenpolitisch immer<br />

wiederkehrenden Kritik eine aktive<br />

Friedenspolitik <strong>zu</strong> betreiben. Wyss stellt<br />

die Existenz Israels, eines Staates, den er<br />

achtet, nicht in Frage, doch er bedauert<br />

den fehlenden Willen seiner Regierung,<br />

den Palästinensern den Platz ein<strong>zu</strong>räumen,<br />

der ihnen in der Staatengemeinschaft<br />

<strong>zu</strong>steht. Unter diesem Blickwinkel<br />

analysiert er die Dialog- und Vermittlungspolitik<br />

der Schweiz.<br />

Plädoyer für Neutralität<br />

Durch ihre zwischenstaatlichen Beziehungen<br />

und ihre Präsenz in internationalen<br />

Organisationen hat sich die<br />

Schweiz als Schiedsrichterin bei der Lösung<br />

bestimmter Konflikte erfolgreich<br />

positioniert. <strong>Eine</strong> solche Positionierung<br />

erfordert jedoch, dass weder die eine<br />

noch die andere Konfliktpartei bevor<strong>zu</strong>gt,<br />

dass mit allen Teilnehmern gesprochen<br />

und mit allen wichtigen Akteuren<br />

kommuniziert wird. In einem<br />

Land, in dem die israelische Position<br />

dominiert, hat eine solche Politik einen<br />

schweren Stand. Das Verdienst des Buches<br />

von Kurt Wyss ist es, auf diese<br />

Schwierigkeiten hin<strong>zu</strong>weisen und sie <strong>zu</strong><br />

analysieren.<br />

Die Schweiz hat ein vitales Interesse<br />

daran, dass sich in den internationalen<br />

Beziehungen das Recht gegenüber der<br />

Gewalt durchsetzt und nicht umgekehrt.<br />

Diese Haltung hat der Schweiz Misstrauen<br />

entgegengebracht, vor allem<br />

wenn ihreKonzeption des Dialogsnicht<br />

mit der quasi religiösen Doktrin der<br />

Grossmächte übereinstimmte oder<br />

wenn sie mit einer restriktivenInterpretation<br />

der schweizerischen Neutralität<br />

in Konflikt geriet. Die Waffenlieferung<br />

an Länder im Kriegs<strong>zu</strong>stand widerspricht<br />

den in den Haager Konventionen<br />

festgehaltenen Regeln über die<br />

Neutralität. Die Entrüstung über die<br />

Tatsache,dassdie Schweiz mit allen Akteuren<br />

spricht, die an der Lösung eines<br />

Konflikts beteiligt sind, einschliesslich<br />

denjenigen, deren Diskursuns provozieren<br />

mag, und der Aufschrei, die Neutralität<br />

werde dabei verletzt, sind jedoch<br />

nicht kohärent. Die Aussenpolitik der<br />

Schweiz muss nachvollziehbar und verständlich<br />

sein, sonst bleibt die Neutralität<br />

eine reine Worthülse. Ich plädiere<br />

für eine aktive Neutralität. l<br />

Micheline Calmy-Rey war2003–2011<br />

Bundesrätin und Chefin des Eidg.Departements<br />

für AuswärtigeAngelegenheiten.<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 21


Sachbuch<br />

Frauengeschichte Bertha vonSuttner (1843–1914) wareine streitbarePazifistin. Sieregtedie<br />

Schaffung des Friedensnobelpreises an –den sie 1905als ersteFrauerhielt<br />

DieWaffennieder!<br />

Brigitte Hamann: Bertha vonSuttner.<br />

Kämpferin für den Frieden. Brandstätter,<br />

Wien 2013. 320 Seiten, Fr.37.90.<br />

VonGenevièveLüscher<br />

Heute prangt ihr Konterfei auf der 2-Euro-Münze<br />

Österreichs, und das Land ist<br />

stolz auf seine Friedensnobelpreisträgerin.<br />

Das war nicht immer so. Als Bertha<br />

Sophia Felicita Baronin von Suttner, geborene<br />

Gräfin Kinsky, noch lebte, war<br />

man in der Donau-Monarchie von ihren<br />

rastlosen und bisweilen unverfrorenen<br />

Aktivitäten gegenKrieg und Aufrüstung<br />

wenig begeistert. Vorallem <strong>zu</strong> Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts, als ganz Europa<br />

aufrüstete, übergoss man die Pazifistin<br />

mit Häme,nanntesie die «dickeBertha»<br />

–seit ihrer Jugend war sie mollig –und<br />

beschimpfte sie in Karikaturen aufs Unflätigste.<br />

Europa wollte vom Frieden<br />

nichts wissen, schon gar nicht von einer<br />

Frau, und stürzte sich mit Begeisterung<br />

in den ersten Weltenbrand.<br />

Sekretärin Alfred Nobels<br />

Bertha wurde der Pazifismus nicht in<br />

die Wiege gelegt. Geboren 1843 in Prag<br />

als Tochter des Generals Franz Michael<br />

Graf Kinsky, erhielt die Komtesse die<br />

übliche Erziehung höherer Töchter,<br />

lernte Sprachen, spielte Klavier, reiste<br />

viel, war belesen und weltoffen. Das<br />

Vermögen, das ihre Mutter nach Kinskys<br />

Tod erbte, war bald aufgezehrt. Bertha<br />

ging auf Arbeitssuche und wurde<br />

1873 in Wien vomIndustriellen Carl von<br />

Suttner als Gouvernante angestellt. Sie<br />

verliebte sich in den sieben Jahre jüngeren<br />

Sohn <strong>Art</strong>hur und wurde entlassen.<br />

In Paris arbeitete sie zwei Wochen lang<br />

als Privatsekretärin Alfred Nobels. Aus<br />

der Bekanntschaft mit dem reichen Dynamiterfinder,<br />

der mit dem Pazifismus<br />

liebäugelte, erwuchs eine <strong>leben</strong>slange,<br />

intellektuelle Freundschaft. Die Liebe<br />

aber zog Bertha nach Wien <strong>zu</strong>rück, und<br />

1876 brannte sie mit <strong>Art</strong>hur durch. Es<br />

folgten neun Jahre inGeorgien, wo sich<br />

das Paar mit Gelegenheitsarbeiten<br />

durchschlug. Erfolg hatten beide mit<br />

journalistischen Arbeiten, Novellen und<br />

Romanen. Beide glaubten an die Entwicklung<br />

des Menschen hin <strong>zu</strong>m «Edelmenschen»,<br />

und Bertha gewann die<br />

Überzeugung, der Friede sei ein Zustand,<br />

«welcher aus dem Fortgang der<br />

Kultur notwendig sich ergeben muss».<br />

Kinder stellten sich keine ein.<br />

Als etablierte Schriftsteller kehrten<br />

Bertha und <strong>Art</strong>hur 1885 nach Wien <strong>zu</strong>rück.<br />

Vier Jahre später veröffentlichte<br />

sie ihren Roman «Die Waffen nieder!»;<br />

er beschreibt realistisch die Schrecken<br />

des Krieges aus der Sicht einer Frau und<br />

prangert die Heuchelei einer Gesellschaft<br />

an, die den Krieg verherrlicht.<br />

Das Werk machte sie schlagartig berühmt<br />

–sie wurdedie wichtigsteVertreterin<br />

der Friedensbewegung. Natürlich<br />

Baronin Bertha<br />

vonSuttner,trotz<br />

finanzieller Not, stets<br />

elegant gekleidet,<br />

erhielt als erste<br />

Frau 1905den<br />

Friedensnobelpreis<br />

(undat. Aufnahme).<br />

stiess sie auch auf Ablehnung, <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

in ihrer adligen Verwandtschaft;<br />

neidische Schriftsteller verhöhnten das<br />

Werk als hysterischen Erguss eines<br />

Blaustrumpfs.<br />

Die Friedensbewegung steckte in<br />

ihren Anfängen und warinzahllose Vereine<br />

aufgesplittert, eine zentrale Organisation<br />

fehlte. Nebst der Abrüstung<br />

schlug die Bewegung <strong>zu</strong>r Lösung zwischenstaatlicher<br />

Konflikte die Einset<strong>zu</strong>ng<br />

eines internationalen Schiedsgerichts<br />

vor. Suttner begann sich für die<br />

organisierte internationale Friedensbewegung<br />

<strong>zu</strong> engagieren. Sie hatte da<strong>zu</strong><br />

beste Vorausset<strong>zu</strong>ngen, war sprachenkundig<br />

und ihr untadeliges gesellschaftliches<br />

Auftreten, auf das sie trotz Geldnöten<br />

mit einer eleganten Garderobe<br />

viel Wert legte, sowie ihr Optimismus<br />

halfen mit, viele Türen <strong>zu</strong> öffnen.<br />

Als begehrte Rednerin nahm sie nun<br />

an internationalen Friedenskongressen<br />

teil, so <strong>zu</strong>m Beispiel 1892 inBern. Zur<br />

Verbesserung der Organisation wurde<br />

dort ein Zentralbüroder Friedensgesellschaften<br />

gegründet, Präsident war Elie<br />

Ducommun, sie selbst Vizepräsidentin.<br />

1899 half sie mit, die Erste Friedenskonferenz<br />

in Den Haag <strong>zu</strong> organisieren. Die<br />

Konferenz war kein Erfolg; <strong>zu</strong>dem zeigten<br />

Burenkrieg und Boxeraufstand, dass<br />

die Menschheit weiterhin willens war,<br />

Ansprüche mit Waffen durch<strong>zu</strong>setzen.<br />

Die allgemeine Begeisterung für den<br />

Frieden war ein Strohfeuer gewesen.<br />

Mitgliederbeiträge blieben aus, Geldsorgen<br />

häuften sich, nicht selten half<br />

Nobel aus der Not. Mit ihm diskutierte<br />

Suttner über die Einrichtung eines Friedenspreises.<br />

Nobel starb 1896 und hatte<br />

tatsächlich einen Preis ausgerichtet, der<br />

auf Suttner <strong>zu</strong>geschrieben schien. Sie<br />

hatte aber bis 1905 <strong>zu</strong>warten, als es unumgänglich<br />

wurde, sie endlich <strong>zu</strong> ehren;<br />

<strong>zu</strong>erst mussten ein paar Männer berücksichtigt<br />

werden.<br />

Weltfriede bleibt Utopie<br />

Die letzten JahreSuttnerswaren geprägt<br />

von Enttäuschungen. Der Aufstieg der<br />

Deutschnationalen, die Häufung internationaler<br />

Krisen, die Erfindung des<br />

Luftkriegs, alles lief dem Pazifismus <strong>zu</strong>wider.«So<br />

viel Zündstofflässt sich doch<br />

nicht ansammeln, ohne dass esschliesslich<br />

losgeht», schrieb Bertha von Suttner<br />

in ihr Tagebuch. Siestarb am 21. Juni<br />

1914,sieben Tage später fielen die Schüsse<br />

vonSarajewo. Der Weltfriede,für den<br />

sie sich eingesetzt hatte, blieb Utopie.<br />

Die Historikerin Brigitte Hamann hat<br />

das facettenreiche Leben Bertha von<br />

Suttners neu aufgefächert. Die Gliederung<br />

ihres Buches in Themenkapitel<br />

und der <strong>zu</strong>rückhaltende Gebrauch von<br />

ordnenden Jahreszahlen macht es aber<br />

schwierig, sich ein Bild über die Entwicklung<br />

dieser klugen, unermüdlichen<br />

Kämpferin <strong>zu</strong> machen. Es stellen sich<br />

Redundanzen ein; die in einem späteren<br />

Kapitel behandelten Themen machen<br />

die Entscheide Suttners bisweilen nicht<br />

nachvollziehbar. Auch ein Namenregister,<br />

das mitgeholfen hätte, die verschiedenen<br />

Persönlichkeiten <strong>zu</strong> korrelieren,<br />

fehlt. Dennoch: ein beherzigenswertes<br />

Buch, vor allem angesichts der Flut von<br />

Erst-Weltkrieg-Büchern, die demnächst<br />

<strong>zu</strong> erwarten sind. l<br />

ULLSTEIN<br />

22 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


Geldwirtschaft Kreditmärktegehorchen weder einem Naturgesetz noch göttlichem Gebot<br />

Finanzkrise–einfach erklärt<br />

John Lanchester: Warum jeder jedem<br />

etwasschuldet und keiner jemals etwas<br />

<strong>zu</strong>rückzahlt. Die bizarreGeschichteder<br />

Finanzen. Klett-Cotta, Stuttgart 2013.<br />

300 Seiten, Fr.29.90,E-Book 19.90.<br />

VonSieglinde Geisel<br />

Sich mit den Mechanismen der Finanzwelt<br />

vertraut <strong>zu</strong>machen –das ist<br />

längst eine Forderung für alle, die sich<br />

als aufgeklärte Zeitgenossen und Wähler<br />

verstehen. Allerdings verfügen die<br />

wenigsten über die Qualifikationen, die<br />

nötig sind, sich aus dieser neuen Form<br />

der selbstverschuldeten Unmündigkeit<br />

<strong>zu</strong> befreien. John Lanchestersprovokant<br />

betiteltes Buch «Warum jeder jedem<br />

etwas schuldet und keiner jemals etwas<br />

<strong>zu</strong>rückzahlt» will hier Abhilfe schaffen.<br />

Dabei ist der Brite von Haus aus kein<br />

Ökonom, sondern Schriftsteller: Im<br />

Rahmen von Hintergrundrecherchen<br />

für seinen Roman «Kapital» begann er<br />

2007, die seltsame Welt der Finanzmärkte<br />

für sich <strong>zu</strong> erschliessen. Diese Welt<br />

verblüffte, amüsierte und empörte ihn<br />

so sehr, dass das vorliegende Werk unvermeidlich<br />

wurde.<br />

Waslernt man als Angehöriger der<br />

sprichwörtlich gewordenen 99 Prozent<br />

aus diesem flott und unterhaltsam geschriebenen<br />

Buch? Lanchester setzt<br />

kaum Wissen voraus, so beginnt er bei<br />

den alten Begriffen (Aktien und Anleihen,<br />

Optionen und Futures), bevorer<strong>zu</strong><br />

den abenteuerlichen Finanzinstrumenten<br />

der neueren Zeit übergeht: den<br />

Credit Default Swaps, Collaterized Debt<br />

Obligations und was der Derivate mehr<br />

Dass die Selbstregulierung<br />

des<br />

Marktes spielt,<br />

bezweifelt John<br />

Lanchester.<br />

sind. Diese Konstruktionen strapazieren<br />

das Vorstellungsvermögen von Nichtökonomen<br />

–doch Lanchester gelingt es<br />

anschaulich, sie mit Beispielen auf der<br />

Ebene von «ich und mein Nachbar» so<br />

weit herunter<strong>zu</strong>rechnen, so dass man<br />

tatsächlich begreift, wie eine Versicherung<br />

gegen Kreditausfall funktioniert.<br />

Manches wusste man bereits, anderes<br />

wiederum, so begreift man nun beim<br />

Lesen, hatte man eigentlich schon verstanden,<br />

aber nicht wirklich geglaubt, so<br />

etwa die Tatsache, dass esbei den unter<br />

dem Label «Securitization und Tranchierung»<br />

gebündelt weiterverkauften<br />

Subprime-Hypotheken am Ende tatsächlich<br />

keine Rolle mehr spielt, ob<br />

noch jemand irgendjemandem etwas<strong>zu</strong>rückzahlt,<br />

denn der Kreditgeber will das<br />

Paket nur mit Gewinn weiterverkaufen<br />

ANDREWWINNING /REUTERS<br />

und hat mit dem Kreditnehmer nichts<br />

mehr <strong>zu</strong> tun.<br />

Oder die Tatsache, dass Risikoberechnungen<br />

auf idealtypischen Modellen<br />

beruhen, die die wahre Realität gar<br />

nicht abbilden können –und dass sie<br />

trotzdem als Grundlage für das Jonglieren<br />

mit Milliarden herhalten. Für die<br />

Entstehung der Finanzkrise war das<br />

schlichteIgnorieren des gesunden Menschenverstands<br />

mindestens so wichtig<br />

wie die horrende Verantwortungslosigkeit<br />

vieler Akteure. Lanchester zeichnet<br />

das Versagen der Aufsichtsbehörden<br />

und die Leichtfertigkeit der Banken<br />

nach (mit speziellem Augenmerk auf<br />

dem angelsächsischen Raum), und er<br />

hält sich dabei mit Kopfschütteln und<br />

sarkastischen Kommentaren nicht <strong>zu</strong>rück<br />

–was einem beim Lesen bisweilen<br />

ein wenig auf die Nerven gehen kann.<br />

Doch wie soll man sich nun als aufgeklärter<br />

Zeitgenosse verhalten? Lanchester<br />

hat kein Rezept, und er zweifelt<br />

daran, dassdie aufgestaute Wutder Bürger<br />

sich gegen die Richtigen entladen<br />

werde. Letztlich geht es auch um die<br />

Frage, in was für einer Gesellschaft wir<br />

seit dem Ende des «Schönheitswettbewerbs»<br />

mit dem Kommunismus eigentlich<br />

<strong>leben</strong>.<br />

Lanchester ist kein Gegner des Kapitalismus,<br />

doch er glaubt nicht an das<br />

Märchen vonden Selbstregulationskräftendes<br />

Markts. Die Regeln für das Funktionieren<br />

der Finanzmärkte seien weder<br />

Naturgesetz noch göttliches Gebot,<br />

«sondern von Menschen aufgestellt,<br />

und man musssie immer wieder überarbeiten,<br />

überwachen und auf aktive und<br />

kreative Weise durchsetzen». l<br />

Meisterdenker Ansichten und Einsichten des GesellschaftstheoretikersKarlPopper in Kurzform<br />

«Alles Lebenist Problemlösen»<br />

Hardy Bouillon (Hrsg.): Philosophie der<br />

freien Gesellschaft. Ein KarlPopper-<br />

Brevier.NZZ Libro, Zürich 2013.<br />

96 Seiten, Fr.21.–, E-Book Fr.16.90.<br />

VonKirsten Voigt<br />

Er wurde 1902 in Wien geboren, war <strong>zu</strong>nächst<br />

Tischler und Hauptschullehrer,<br />

1928 promovierte erbeim Sprachphilosophen<br />

Karl Bühler und wurde nach<br />

Christchurch, Neuseeland, berufen, wo<br />

er 1944 «Die offene Gesellschaft und<br />

ihreFeinde» schrieb, jenes Buch, das ihn<br />

<strong>zu</strong> einem der einflussreichen Gesellschaftstheoretiker<br />

des 20. Jahrhunderts<br />

machte.<br />

Offen war für Karl Popper aber nicht<br />

nur die stetig institutionell verbesserungswürdige,<br />

demokratische Gesellschaft,<br />

sondern auch die Zukunft im<br />

Be<strong>zu</strong>g auf jede Form wissenschaftlicher<br />

und philosophischer Erkenntnis. Fehlbarkeit<br />

galt dem an die London School<br />

of Economics Berufenen und 1965 <strong>zu</strong>m<br />

Sir geadelten Denker als anthropologische<br />

Konstante, Falsifizierbarkeit als<br />

Kennzeichen empirischer Wissenschaft<br />

und Falsifikation als Methode der Wahl<br />

<strong>zu</strong>r Annäherung an das, was er, nur mit<br />

grösster Vorsicht, als (zeitbedingte)<br />

«Wahrheit» bezeichnen sollte.<br />

Aufallen Gebieten des Lebens sahder<br />

kritische Rationalist einen Willen <strong>zu</strong>r<br />

Verbesserung –der Einsichten, Techniken,<br />

Lebensumstände –wie eine evolutionäre<br />

Triebfeder wirken, die sich einerseits<br />

des Mittels der (sprachlichen)<br />

Kritik bediente und andererseits vor<br />

allem immer neuer Ideen bedurfte:<br />

«Alles Leben ist Problemlösen» oder<br />

«Das wertvollste Besitztum der Menschen<br />

sind Ideen».<br />

Ein kleines, lesenswertes Brevier der<br />

Ansichten und Einsichten Poppers hat<br />

Hardy Bouillon in der Reihe «Meisterdenker<br />

der Freiheitsphilosophie» ediert.<br />

Auf knapp 100 Seiten gewinnt man Einblick<br />

in Poppers Plädoyers für Wettbewerb<br />

und gegenschrankenlosen Kapitalismus,<br />

in seine Gedanken über Chancen<br />

und Risiken staatlicher Interventionen<br />

ins Ökonomische,die Gefahren einer tyrannischen<br />

Bürokratie, die Definition<br />

des Staatesals Sicherungsinstanz individueller<br />

Freiheit.<br />

Platon, Hegel und Marx lehnte erab,<br />

weil sie ihm im Irrglauben an Entwicklungsgesetze<br />

und Ziele der Geschichte<br />

befangen schienen, und man erfährt von<br />

dem prägenden Schock, den Karl Popper<br />

knapp siebzehnjährig erlebte: Damals<br />

noch Marxist, nahm er in Wien an<br />

einer Demonstration teil, bei der mehrere<br />

kommunistische und sozialistische<br />

Arbeiter von der Polizei erschossen<br />

wurden. Karl Popper fühlte sich prinzipiell,<br />

das heisst ideologisch daran mitschuldig<br />

und war von Stund an nicht<br />

mehr <strong>zu</strong> beeindrucken durch totalitäre<br />

Utopien. l<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 23


Sachbuch<br />

Adoleszenz Buben leiden mehr unter psychischen Störungen und begehen häufiger Suizid als<br />

Mädchen. Nunbetreibt die Politik Ursachenforschung<br />

UnserenSöhnenfehlendie Vorbilder<br />

Beirat Jungenpolitik (Hrsg.): Jungen und<br />

ihreLebenswelten. Barbara Budrich,<br />

Leverkusen 2013. 321 Seiten, Fr.40.90.<br />

VonWalter Hollstein<br />

Viele Jugendliche<br />

sind innerlich einsam<br />

und verzweifelt.<br />

Jungen haben Probleme. Das ist seit längerem<br />

bekannt. Sie sind von den Mädchen<br />

in der Schule überflügelt worden;<br />

sie werden häufiger vor der Einschulung<br />

<strong>zu</strong>rückgestellt, müssen häufiger<br />

eine Klasse wiederholen, müssen vielfach<br />

bessere Leistungen erbringen, um<br />

an eine weiterführende Schule <strong>zu</strong> gelangen,<br />

sind an Sonderschulen überrepräsentiert,<br />

während sie an Gymnasien unterrepräsentiert<br />

sind oder erreichen<br />

deutlich seltener eine Matur.<br />

Gewalt und Ausschreitungen von<br />

Buben haben signifikant <strong>zu</strong>genommen;<br />

psychische und psychosomatische Störungen<br />

sind achtmal häufiger als bei<br />

Mädchen; dreimal so viele Jungen wie<br />

Mädchen sind heute Klienten vonErziehungsberatungsstellen;<br />

die zweithäufigste<br />

Todesursache von Jungen ist der<br />

Suizid, wobei sich Jungen signifikant<br />

häufiger selber umbringen als Mädchen.<br />

«Unsere Söhne haben Probleme»,<br />

schreibt der amerikanische Psychologe<br />

William Pollack, «und diese Probleme<br />

sind gravierender, als wir denken.»<br />

Selbst Buben, die ganz normal wirkten,<br />

seien davon betroffen. «Gemeinsam mit<br />

anderen Forschern musste ich in den<br />

letzten Jahren erkennen, dass sehr viele<br />

Jungen, die nach aussen hin ganz unauffällig<br />

wirken, in ihrem Inneren verzweifelt,<br />

orientierungslos und einsam sind.»<br />

Sie können sich nicht mehr an allgemeingültigen<br />

Bildern von Männlichkeit<br />

orientieren, wie das früher der Fall war.<br />

Stattdessen müssen sie sich allein <strong>zu</strong>rechtfinden<br />

–nicht <strong>zu</strong>letzt, weil das die<br />

männliche Rolle vonihnen verlangt. Der<br />

Hamburger Lehrer Frank Beuster nennt<br />

sein Erfahrungsbuch «Die Jungenkatastrophe».<br />

Der Männerrechtler Arne Hoffmann<br />

titelt gar «Rettet unsere Söhne».<br />

Solche Diagnosen schrecken allmählich<br />

auch die Politik auf. InDeutschland<br />

hat die Bundesregierung einen «Beirat<br />

Jungenpolitik» geschaffen, der inzwischen<br />

einen ersten Abschlussbericht<br />

vorgelegt hat. Der Verlag Barbara Budrich<br />

hat ihn soeben in einem sehr schön<br />

aufgemachten Band herausgegeben. Der<br />

DIRK KRUELL /LAIF<br />

Band versucht, Lebenswelten vonBuben<br />

nach<strong>zu</strong>zeichnen; dabei ist löblich, dass<br />

Jungen auch selber am Vorhaben beteiligt<br />

wurden. Allerdings fehlen Bereiche,<br />

die,wie Medien, Sport oder der Einfluss<br />

von Gleichaltrigen, heute für die Herausbildung<br />

der Geschlechtsidentität besonders<br />

wichtig sind. Noch gravierender<br />

ist der Tatbestand, dass der ganzen<br />

Unternehmung offenbar die Ideologie<br />

wichtiger ist als die Realität.<br />

Solches wird von Ministerin Schröder<br />

in ihrem Vorwort auch vorgegeben:<br />

«Der Abschlussbericht macht deutlich,<br />

dassesden Jungen vorallem um die Befreiung<br />

von Normen geht, die sie einengen<br />

und festlegen». So bemühen sich<br />

denn die Autoren, den Buben gängige<br />

Vorstellungen von Männlichkeit aus<strong>zu</strong>treiben<br />

und sie auf die Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf, Elternzeit, mehr<br />

Partnerschaftlichkeit, mehr Hausarbeit<br />

und verstärkt Teilzeitbeschäftigung<br />

fest<strong>zu</strong>legen. Um solche Positionen <strong>zu</strong><br />

stützen, werden Arbeiten, die Gegenteiliges<br />

belegen, erst gar nicht <strong>zu</strong>r Kenntnis<br />

genommen. Die Autoren konterkarieren<br />

sich dabei allerdings selber, weil<br />

sie –wohl eher verschämt –feststellen<br />

müssen, dass Buben auf die Herausforderungen,<br />

die auf sie <strong>zu</strong>kommen, gar<br />

nicht vorbereitet sind oder dass sie sich<br />

«bei der Berufswahl immer noch mehrheitlich<br />

an tradierten Geschlechterbildern»<br />

orientieren.<br />

So sei die Frage erlaubt: Wie attraktiv<br />

sind die Postulate der Ministerin und<br />

ihrer Wissenschafter für einen Buben,<br />

der um seine Männlichkeit ringt? l<br />

Walter Hollstein ist emeritierter Professor<br />

für Soziologie und Männerforscher.<br />

Geschichte Die schönsteBilderchronik der Schweiz ist in einer Volksausgabe erschienen<br />

So kamLuzern<strong>zu</strong>seinemNamen<br />

Stefan Ragaz: Luzern im Spiegel der<br />

Diebold-Schilling-Chronik. Ragaz<br />

Medien, Adligenswil 2013. 314 Seiten,<br />

Fr.89.–.<br />

VonFabian Fellmann<br />

24 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013<br />

Wie kam die Leuchtenstadt Luzern <strong>zu</strong><br />

ihrem Namen?«Vondes Liechtz wägen»,<br />

schreibt Diebold Schilling <strong>zu</strong> Beginn des<br />

16. Jahrhunderts. Getreu der Überlieferung<br />

malt der Chronist einen Engel an<br />

den Himmel, der mit einer Laterne das<br />

Licht auf die Stadt fallen lässt.<br />

Der wahre Grund ist dem Chronisten<br />

<strong>zu</strong> banal. Luzern ist jener Ort, wo die<br />

Reuss den Vierwaldstättersee verlässt,<br />

der Lieblingsort eines Raubfischs: des<br />

Hechts, lateinisch «luciaria». Doch Luzerns<br />

Anfänge als Fischerdorf sind <strong>zu</strong><br />

wenig attraktiv für einen Chronisten,<br />

dessen Auftrag hauptsächlich in Imagepflege<br />

besteht. Der Chronist, Kaplan<br />

und Söldnerunternehmer betreibt Identitätsbildung<br />

in der frühen Eidgenossenschaft.<br />

Gleichzeitig will er den Machtanspruch<br />

seiner eigenen «heren von<br />

Lucern» gegenüber der ländlichen Umgebung<br />

stärken.<br />

Vor 500 Jahren übergab Diebold<br />

Schilling seine Chronik dem Ratvon Luzern.<br />

Aus diesem Anlass hat der Luzerner<br />

Journalist Stefan Ragaz nun eine<br />

Volksausgabe publiziert. Jahrhundertelang<br />

waren Blicke indas 443 Bildtafeln<br />

starke Werk, das als schönste Bilderchronik<br />

der Eidgenossenschaft gilt, den<br />

Luzerner Amtsträgern vorbehalten, eine<br />

Faksimile-Ausgabe von 1977 erschien in<br />

limitierter Auflage.<br />

Das Werk von Ragaz macht nun 107<br />

Bildtafeln in Originalgrösse und guter<br />

Druckqualität <strong>zu</strong>gänglich. Es spricht in<br />

erster Linie, aber nicht ausschliesslich,<br />

ein Publikum an, das sich in Luzern auskennt;<br />

Ortsunkundigen bieten historische<br />

Karten und aktuelle Fotos Orientierungshilfen.<br />

Die Auswahl der Bildtafeln ist auf die<br />

Geschichte und Entwicklung der Stadt<br />

Luzern fokussiert. Sieumfasst aber auch<br />

Schillings wichtigste Beiträge <strong>zu</strong>r Geschichte<br />

der Eidgenossenschaft, etwa<br />

die Schlacht bei Sempach und die<br />

Schlacht bei Murten.<br />

Zudem zeigt der Autor weniger bekannteAspektedes<br />

Lebens am Ende des<br />

Mittelalters: wie Mönche und Arbeiter<br />

mit Hilfe von Lastkranen Kirchen bauten,<br />

wie Diebe und Hexen gefoltert und<br />

hingerichtet wurden, wie sich Mägde<br />

und Bettler durchs Leben schlugen und<br />

wie die Basler an der Luzerner Fasnacht<br />

mitfeierten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

werden in verständlicher<br />

Sprache präsentiert; so ist der «Comic<br />

für Diplomaten» nun auch für interessierte<br />

Laien <strong>zu</strong>gänglich. l


Nordkoreanische Soldatinnen patrouillieren in der Stadt Sinuiju auf der Uferpromenade des Grenzflusses Yalu, der Nordkorea vonChina trennt (11. April 2013).<br />

JACKYCHEN/REUTERS<br />

Kalter Krieg Die Teilung Koreas geht auf den Zweiten Weltkrieg <strong>zu</strong>rück –bis heute ein Krisenherd<br />

Familiendiktatur vs.Tigerstaat<br />

Bernd Stöver: Geschichtedes<br />

Koreakriegs. Schlachtfeld der<br />

Supermächteund ungelöster Konflikt.<br />

C. H. Beck, München 2013. 268 Seiten,<br />

Fr.18.90,E-Book 12.40.<br />

VonUrs Rauber<br />

Vor60Jahren, Ende August 1953, fand<br />

der «Big Switch», der grosse Gefangenentausch<br />

zwischen Nord- und Südkorea<br />

statt: über 75 000 nordkoreanische<br />

und chinesische Gefangene wurden<br />

gegen rund 13000 Gefangene Südkoreas<br />

und der Uno-Truppen «ausgetauscht».<br />

Vorausgegangen war die Unterzeichnung<br />

des Waffenstillstandsabkommens<br />

am 27. Juli 1953 zwischen US-General<br />

William Harrison und dem nordkoreanischen<br />

General Nam Il–ein Treffen,<br />

das nur gerade 12 Minuten gedauert<br />

hatte. Absurd kurz, nachdem die beiden<br />

Verhandlungsdelegationen <strong>zu</strong>vor anderthalb<br />

Jahre lang gefeilscht und sich<br />

teils stundenlang schweigend gegenübergesessen<br />

hatten. Der deutsche Historiker<br />

Bernd Stöver,der eine Geschichte<br />

des Kalten Krieges (2008) und eine<br />

Geschichte der USA (2012) publiziert<br />

hat, beschreibt die «eisige Unversöhnlichkeit<br />

der beiden Seiten».<br />

Teilung am grünen Tisch<br />

Der Koreakrieg (1950–1953) war der<br />

erste heisse im Kalten Krieg. Nordkoreaner<br />

und Chinesen auf der einen Seite,<br />

Südkoreaner,unterstützt vonUno-Truppen<br />

auf der andern, eroberten abwechslungsweise<br />

fast das ganzeLand und hinterliessen<br />

auf der durch ungeheuren<br />

Bomben- und Napalmeinsatz verbrannten<br />

Erde gegen 4,5 Millionen Tote. Der<br />

«vergessene Krieg» ist bis heute einer<br />

der gefährlichsten Krisenherde der<br />

Welt. Stövers faktenreiche, mit ausführlichen<br />

Tabellen, Karten und Fotosversehene<br />

Geschichte zeichnet die grausame<br />

Konfrontation der Supermächte imGefolge<br />

des Zweiten Weltkriegs nach.<br />

Den Befehl <strong>zu</strong>m Angriff hatte der<br />

nordkoreanische Diktator Kim Il-sung<br />

(der Grossvater des heutigen Despoten)<br />

am Sonntag, 25. Juni 1950, um 4Uhr morgens<br />

mit ausdrücklicher Billigung Stalins<br />

gegeben. Sie wollten die südkoreanische<br />

Hälfte des durch eine Demarkationslinie<br />

am 38. Breitengradgetrennten<br />

Landes «befreien» und «wiedervereinen».<br />

Die Teilung am Reissbrettwar das<br />

Resultat der Machtabsprachen zwischen<br />

Stalin, Churchill und Roosevelt<br />

um Einflusssphären am Ende des Zweiten<br />

Weltkriegs gewesen. Auf die Seite<br />

Südkoreas schlugen sich die USA und<br />

20 weitere Staaten (Belgien, Frankreich,<br />

Grossbritannien, Griechenland, Luxemburg<br />

u.a.), die sich im Rahmen eines<br />

Uno-Mandates vereinigt hatten.<br />

Die Gegenoffensive auf südkoreanischer<br />

Seite führte der legendäre Douglas<br />

Mac<strong>Art</strong>hur,den man nach PearlHarbor<br />

aus dem Ruhestand geholt hatte.<br />

Dass Mac<strong>Art</strong>hur auch den Atomwaffen-<br />

Einsatz erwog, brachte ihn in Konflikt<br />

mit Präsident Truman, der ihn im April<br />

1951 seines Postens enthob. Der Koreakrieg<br />

war begleitet von unglaublicher<br />

Brutalität und vonKriegsverbrechen auf<br />

beiden Seiten: Erschiessungskommandos,<br />

Massentötung von Zivilisten und<br />

Gefangenen, Säuberungen. Erst Stalins<br />

TodimMärz 1953 machte den Weg<strong>zu</strong>m<br />

Waffenstillstand frei. Seit dem 28. Juli<br />

1953 besteht eine vier Kilometer breite<br />

und 248Kilometer langedemilitarisierte<br />

Zone. Bis heute stehen sich dort die Wachen<br />

zwischen den blauen Uno-Baracken<br />

mit grimmigem Blick gegenüber.<br />

Sonnenscheinpolitik<br />

Während sich nach dem Ende des Bürgerkrieges<br />

in Nordkorea die stalinistische<br />

Familiendiktatur festigte –auf den<br />

«Grossen Führer» Kim Il-sung folgte<br />

1994 der «Geliebte Führer» Kim Jong-il<br />

und auf diesen 2011 der Enkel Kim Jongun<br />

–, entwickelte sich Südkorea <strong>zu</strong>erst<br />

unter Generälen, dann ab 1988 unter gewählten<br />

Präsidenten <strong>zu</strong>m antikommunistischen<br />

Frontstaat. Dieser überholte<br />

den Norden an Wirtschaftskraft 1969<br />

und mutierte inden 1990er-Jahren <strong>zu</strong>m<br />

erfolgreichen Tigerstaat.<strong>Eine</strong> Nation, in<br />

der mehrheitlich von Familien kontrollierte<br />

Grossunternehmen den Aufschwung<br />

antreiben (Samsung, Daewoo,<br />

Hyundai, LG,Hanjin). Heute gilt Südkorea<br />

als einer der führenden Industriestaaten<br />

der Welt.<br />

Als Frucht der «Sonnenscheinpolitik»<br />

des südkoreanischen Präsidenten<br />

Kim Dae-jung entstand schliesslich 2003<br />

das gemeinsame Wirtschaftsgebiet in<br />

Kaesong: Der Hyundai-Konzern pachtete<br />

für 50 Jahre das in Nordkorea gelegene<br />

Gebiet, Südkorea baute die Infrastruktur,<br />

Nordkorea stellt die Arbeitskräfte<br />

–sowie die lückenlose Überwachung.<br />

So erhält der Norden willkommene<br />

Devisen und etwas Wirtschaftswachstum,<br />

während Seoul von billigen<br />

Arbeitskräften für die Produktion von<br />

Schuhen, Kleidung und Uhren profitiert.<br />

Nach der Wiedervereinigung Vietnams<br />

(1975) und Deutschlands (1990) ist<br />

Korea das letzte Land der Welt, dessen<br />

Status auf den Teilungsbeschlüssen des<br />

Kalten Krieges basiert. l<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 25


Sachbuch<br />

Korrespondenz In den Briefen vonMeret Oppenheim spiegelt sich die Leichtigkeit des Surrealismus<br />

Kaleidoskopder Zeit<br />

Meret Oppenheim: Wortenicht in giftige<br />

Buchstaben einwickeln. Hrsg. vonLisa<br />

Wenger und Martina Corgnati.<br />

Scheidegger &Spiess, Zürich 2013.<br />

452 Seiten, Fr.84.90.<br />

VonGerhardMack<br />

Man Ray hat sie nackt hinter einer<br />

Druckpresse fotografiert. Ihre Pelztasse<br />

ist eine Ikone der Kunst des 20.Jahrhunderts:<br />

Meret Oppenheim war nicht nur<br />

die Muse der Surrealisten, sie war auch<br />

die einzigeKünstlerin, die dem Männerclub<br />

wirklich auf Augenhöhe begegnete.<br />

Da verwundert es nicht, dass es <strong>zu</strong><br />

ihrem 100. Geburtstag im Oktober Ausstellungen<br />

und Publikationen hagelt.<br />

Der wichtigste Beitrag <strong>zu</strong>m Jubiläum ist<br />

zweifellos der Band mit rund tausend<br />

Briefen und dem autobiografischen<br />

Album «Von der Kindheit bis 1943», den<br />

die Nichte Lisa Wenger und die Kunsthistorikerin<br />

Martina Corgnati aus dem<br />

Nachlass herausgegeben haben. Dieser<br />

war von der Künstlerin auf 20 Jahre<br />

nach ihrem Tod1985 gesperrt worden.<br />

Meret Oppenheim hatte eine Begabung<br />

für Freundschaften. Geordnet<br />

nach Briefpartnern, fügen sich die Korrespondenzen<br />

<strong>zu</strong> einem Kaleidoskop<br />

der Zeit. In den Briefen an die Eltern<br />

«Mipsli und Pipsli» scheint ein lebhaftes<br />

Familien<strong>leben</strong> auf, das trotz Arztberuf<br />

materielle Nöte kannte. Marcel<br />

Duchamp will die «Chère Meret» ständig<br />

treffenund verspricht vorder Überfahrt<br />

nach Amerika: «T'enverrai les bas<br />

en Nylon.» Mit dem Geliebten Max<br />

Ernst macht «das Meretli» Knall auf Fall<br />

Schluss, bevoresseine Eigenständigkeit<br />

verliert. In anderen Briefen ist von den<br />

Mühen kreativer Tätigkeit während der<br />

18 Jahre dauernden Schaffenskrise die<br />

Rede.<br />

Werdiese vonden Herausgeberinnen<br />

sorgfältig annotierten Briefe liest, erfährt<br />

viel über die Menschen hinter den<br />

heute oft bekannten Werken. Undselbst<br />

da, wo fast nur die Zeilen der Briefpartner<br />

erhalten sind, bekunden diese, wie<br />

sehr diese Künstlerin sie <strong>zu</strong> Offenheit<br />

und Leichtigkeit animiert hat. So heiter,<br />

so begeistert wie der spätereBasler Museumsdirektor<br />

Franz Meyer ihr schrieb,<br />

hat man ihn selten sprechen gehört. An<br />

den schönsten Stellen ist in diesen Briefwechseln<br />

etwasvon der Flüchtigkeit des<br />

Lebens <strong>zu</strong> spüren, die der Surrealismus<br />

vermitteln wollte.<br />

Besonders dankbar ist man für das<br />

reich illustrierte und mit Erläuterungen<br />

versehene «Album», das als Faksimile<br />

eingefügt ist und wohl das Format des<br />

Bandes vorgegeben hat. Hier hat die<br />

Künstlerin frühe Zeichnungen ebenso<br />

eingeklebt wie die Briefe von Alfred<br />

Barr <strong>zu</strong>m Kauf der Pelztasse. Einziges<br />

Ärgernis: Ein Layout wie ein Telefonbuch,<br />

das die Lektüre<strong>zu</strong>m Kampfmacht,<br />

wo es um Leichtigkeit geht. l<br />

Dasamerikanische Buch Tischgespräche mit Orson Welles<br />

Bosnier haben kurzeNacken, der Hollywood-Produzent<br />

Irving Thalberg<br />

(«Grand Hotel») warein Teufel und<br />

RitaHayworth wärelieber ein Heimchen<br />

am Herd gewesen als ein Sex-Idol.<br />

Derlei mitunter bizarre, aber stets kurzweiligeEinsichten<br />

und Urteile vertraute<br />

Orson Welles am Ende seiner<br />

langen Karrieredem Schauspieler und<br />

Regisseur Henry Jaglom an. Welles hielt<br />

bis <strong>zu</strong> seinem Tod1985<strong>zu</strong>Mittagim<br />

Restaurant «Ma Maison» in Hollywood<br />

Hof. Von1983 an teilteJaglom den<br />

Tisch des Regisseursvon «Citizen<br />

Kane» regelmässig mit dessen Zwergpudel<br />

Kiki. Dabei liessder Gast im<br />

Einvernehmen mit Welles einen Kassettenrekorder<br />

laufen, um die Tischgespräche<br />

<strong>zu</strong> dokumentieren. Die Bänder<br />

verstaubten fast 30 Jahrelang in einem<br />

Schuhkarton, ehe Jaglom endlich dem<br />

Drängen seines Freundes <strong>Peter</strong>Biskind<br />

nachgab und ihm die Aufnahmen überliess.<br />

Der Journalist und Filmhistoriker von<br />

Rang –Biskind hatStandardwerke über<br />

Hollywood wie «EasyRiders, Raging<br />

Bulls» geschrieben –hat die Mitschnitte<br />

nun in einer sorgfältig edierten<br />

Fassung als Buch veröffentlicht. My<br />

Lunches With Orson. Conversations Between<br />

Henry Jaglom and Orson Welles<br />

(Metropolitan Books, 306 Seiten) beginnt<br />

mit einer erklärenden Einleitung<br />

Biskinds, der sich 28 Kapitel anschliessen.<br />

Davorkündigt der Autorjeweils in<br />

knappen Sätzen wie «Worin Orson unhöflich<br />

<strong>zu</strong> RichardBurton ist und (den<br />

Gangster)Meyer Lanskyals Langeweiler<br />

bezeichnet» den Inhalt der folgenden<br />

Tischgespräche an. Das erinnert<br />

–wohl nicht <strong>zu</strong>fällig –anden Gargantua<br />

vonRabelais.<br />

Orson Welles<br />

(links)entpuppte<br />

sich in seinen<br />

Tischgesprächen als<br />

dünnhäutiger Mensch.<br />

AutorHenry Jaglom<br />

(rechts und unten).<br />

Welles wardamals bereits <strong>zu</strong> einem gargantuesken<br />

Fettwanst angeschwollen,<br />

aber seine Lust am Argumentieren und<br />

Fabulieren hatte er nicht verloren. In<br />

den Gesprächen werden <strong>zu</strong>dem der<br />

scharfe Witz und die imponierende<br />

Bildung vonWelles deutlich, der von<br />

Architektur über Literatur bis <strong>zu</strong> aktueller<br />

Politik auf vielen Gebieten <strong>zu</strong>hause<br />

war. Undoffensichtlich warWelles zwar<br />

ein Mann grosser,linksliberaler Leidenschaftenund<br />

etwa mit Franklin D. Roosevelt<br />

befreundet gewesen. Aber beim<br />

Hühnersalatim«Ma Maison» konnteer<br />

auch eigene Fehler und Schwächen eingestehen.<br />

So wirdhier der ganzeWelles<br />

serviert, eine komplexe und trotz seiner<br />

Abneigungen grossherzigeFigur.Nicht<br />

<strong>zu</strong>letzt diese Qualität trug «MyLunches<br />

With Orson» in den USAdurchwegpositive<br />

Kritiken ein.<br />

Mitunter hakt Henry Jaglom nach, vor<br />

allem wenn es um das Kino und das<br />

Werk vonWelles selbst geht. Dann gewinnt<br />

der Leser frische Einblickeindas<br />

StudiosystemHollywoods, mit dem das<br />

einstigeWunderkind sein ganzes Berufs<strong>leben</strong><br />

lang gerungen hat. Allerdings<br />

warsich Welles bewusst, dassihm<br />

seine sprudelnde Imagination all<strong>zu</strong><br />

häufig bei der Fertigstellung vonProjekten<br />

in den Wegkam. Gelegentlich<br />

werden die Gespräche auch melancholisch.<br />

Etwawenn Welles über das<br />

Scheitern seiner Ehe mit RitaHayworth<br />

oder seine Weigerung spricht,<br />

<strong>Art</strong>ikel über ihn selbst <strong>zu</strong> lesen.<br />

SchlechtePressewarfihn anscheinend<br />

auch dann noch in tiefeDepressionen,<br />

als «Citizen Kane» längst als bester<br />

Film aller Zeiten gefeiert worden ist. In<br />

den Tischgesprächen wirdklar,dass<br />

die Kino-Legende mit der mächtigen<br />

Stimme bisweilen sehr dünnhäutig sein<br />

konnte.<br />

Jaglom hatte Welles 1971da<strong>zu</strong> überredet,<br />

in seinem ersten Film mit<strong>zu</strong>spielen.<br />

ZumZeitpunkt der Tischgespräche<br />

warerAnfang 40 und ein Vertrautergeworden,<br />

der seinem Idol Welles bei<br />

dessen Suche nach Rollen, Werbeauftrittenund<br />

Geldquellen für Projekte<br />

wie einer Verfilmung der Shakespeare-<br />

Tragödie «König Lear» beisprang. Dabei<br />

mussteWelles immer wieder<br />

Rückschlägeeinstecken. Doch seinem<br />

Schaffensdrang tat dies keinen Abbruch.<br />

WieJaglon in einem Epilog<br />

schreibt, hatte sein Freund eine<br />

Schreibmaschine mit einer Drehbuchseiteauf<br />

dem Schoss, als er 70-jährig in<br />

seinem Bett einem Herzinfarkt erlag.<br />

VonAndreas Mink l<br />

26 ❘ NZZamSonntag ❘ 25. August 2013


Agenda<br />

EwigeDiva Mythos Kleopatra<br />

Agenda September 13<br />

Basel<br />

Montag, 2.September,19.30 Uhr<br />

Franz Renggli: Das goldene Tor<strong>zu</strong>m<br />

Leben. Kulturhaus Bider &Tanner,<br />

Aeschenvorstadt2.Reservation:<br />

Tel. 061 206 99 96.<br />

Samstag, 14.September,ab10Uhr<br />

Tagder Poesie auf dem Theaterplatz und<br />

in der Innenstadt, mit Lesungen und Musik.<br />

Programm: www.tagderpoesie.ch.<br />

Donnerstag, 19.September,19Uhr<br />

Melitta Breznik: Der Sommer hatlange<br />

auf sich warten lassen. Lesung, Fr.17.–.<br />

Literaturhaus, Barfüssergasse3,<br />

Tel. 061 261 29 50.<br />

RUEDES ARCHIVES/KEYSTONE<br />

Werwar Kleopatra?<strong>Eine</strong> Ausstellung in Bonn (bis<br />

6. Oktober)versucht schon garnicht, diese Frage<strong>zu</strong><br />

beantworten, sie legt den Fokusganz auf das Nach<strong>leben</strong><br />

der ägyptischen Diva, die so viel Ägypterin war,<br />

wie Elizabeth Taylor im Film (siehe Bild), nämlich gar<br />

nicht. VonHause aus warsie eine Ptolemäerin, also<br />

eine Griechin, aber da ihreMutterunbekannt ist,<br />

bleibt uns ihrewahreIdentität verschlossen.<br />

Historisch istvon dieser faszinierenden Frau fast<br />

nichts bekannt. Und das wenige, wasdie römischen<br />

Bestseller August 2013<br />

Belletristik<br />

1<br />

2<br />

Martin<br />

3<br />

Franz<br />

4<br />

DanBrown:<br />

5<br />

Jonas<br />

6<br />

<strong>Peter</strong>Stamm:<br />

7<br />

BlancaImboden:<br />

8<br />

Jean-Luc<br />

9<br />

Catharina<br />

10<br />

AlexCapus: Der Fälscher,die Spionin und<br />

der Bombenbauer. Hanser.281 S., Fr.27.90.<br />

Suter: Allmenund die Dahlien.<br />

Diogenes. 224 Seiten, Fr.28.90.<br />

Hohler: Gleis 4.<br />

Luchterhand. 224 Seiten, Fr.27.90.<br />

Inferno.<br />

Bastei Lübbe.685 Seiten, Fr.36.50.<br />

Jonasson: Der Hundertjährige.<br />

Carl’sBooks. 412 Seiten, Fr.21.90.<br />

Nacht istder Tag.<br />

S. Fischer.256 Seiten, Fr.28.90.<br />

Wandern istdoof.<br />

Wörterseh. 224 Seiten, Fr.24.90.<br />

Bannalec: Bretonische Brandung.<br />

Kiepenheuer &Witsch. 368 Seiten, Fr.24.50.<br />

Ingelman-Sundberg: Wirfangen<br />

gerade erst an. S. Fischer.416 Seiten, Fr.21.90.<br />

Jean-Luc Bannalec: Bretonische Verhältnisse.<br />

Kiepenheuer &Witsch. 301 S., Fr.21.90.<br />

Sachbuch<br />

Erhebung Media Control im Auftragdes SBVV; 13.8.2013. Preise laut Angaben vonwww.buch.ch.<br />

Historiker über sie geschrieben haben, muss wohl<br />

eher als üble Nachrede bezeichnet werden. Sie lebte<br />

von69bis 30 vorChristusund dientebereits <strong>zu</strong><br />

Lebzeiten als Projektionsfläche männlicher<br />

Phantasien. Ihr inszenierterSelbstmordrief in den<br />

folgenden Jahrhunderteneine Vielzahl vonMythen<br />

und Darstellungen hervor,deren Akzentejenach<br />

Epoche und Frauenbild variieren. GenevièveLüscher<br />

Kleopatra.Die ewigeDiva. Bundeskunsthalle Bonn /<br />

Hirmer,München 2013. 336Seiten, Fr.64.90.<br />

1<br />

2<br />

Eben<br />

3<br />

Rolf<br />

4<br />

Duden.Die<br />

5<br />

LukasFischer:<br />

6<br />

Rolf<br />

7<br />

Wilfried<br />

8<br />

Zürichgeht<br />

9<br />

PierreFranckh:<br />

10<br />

Bronnie Ware:5Dinge, die Sterbende am<br />

meistenbereuen. Arkana. 351 Seiten, Fr.29.90.<br />

Alexander: Blick in die Ewigkeit.<br />

Ansata. 256 Seiten, Fr.29.90.<br />

Dobelli: Die Kunstdes klaren Denkens.<br />

Hanser.246 Seiten, Fr.24.90.<br />

deutsche Rechtschreibung. 26.<br />

Aufl. Bibliogr.Institut. 1216 Seiten, Fr.39.90.<br />

1001 Ausflugsziele –Familienspass.<br />

Weltbild. 464Seiten, Fr.39.90.<br />

Dobelli: Die Kunstdes klugen Handelns.<br />

Hanser.248 Seiten, Fr.24.90.<br />

Meichtry: Mani Matter.<br />

Nagel&Kimche.320 Seiten, Fr.34.90.<br />

aus! 2013/2014.<br />

Gourmedia. 293 Seiten, Fr.24.50.<br />

Erfinde dich neu –Der<br />

6-Minuten-Coach. Arkana. 180 S., Fr.19.90.<br />

Esther Girsberger: Livia Leu.<br />

Wörterseh. 200 Seiten, Fr.39.90.<br />

Bern<br />

Sonntag, 1. September,11Uhr<br />

LukasHartmann: Abschied<br />

vonSansibar.Buchvernissage.Zentrum<br />

Paul<br />

Klee,Monument im<br />

Fruchtland 3. Reservation:<br />

Tel. 031 3590101.<br />

Mittwoch, 11.September,19Uhr<br />

Henriette Vásárhelyi: immeer.Lesung,<br />

Fr.12.– inkl. Apéro. Haupt Buchhandlung,<br />

Falkenplatz 14.www.haupt.ch.<br />

Freitag, 20.September,20Uhr<br />

Gerlinde Michel: Frei willig. Bistro<br />

Prima Luna, Effingerstrasse 92.<br />

Info: www.prima-luna.ch.<br />

Zürich<br />

Mittwoch, 4. September,20Uhr<br />

Milena Moser: Das wahreLeben.<br />

Buchpremieremit Lesung, Fr.28.–.<br />

Kaufleuten, Festsaal, Pelikanplatz 1,<br />

Tel. 044225 33 77.<br />

Donnerstag, 5. September,19.30 Uhr<br />

<strong>Peter</strong>Stamm: Nacht ist der Tag. Lesung,<br />

Fr.18.– inkl. Apéro. Literaturhaus,<br />

Limmatquai 62, Tel. 044254 50 00.<br />

Dienstag, 17.September,18.30 Uhr<br />

Dagmar Schifferli: Heinrich und Anna<br />

Pestalozzi. Lesung. rüffer&rub,Sachbuchverlag,<br />

Konkordiastrasse 20.<br />

Reservation: Tel. 044381 77 30.<br />

Mittwoch, 18.September,20Uhr<br />

AlexCapus: Der Fälscher,die Spionin<br />

und der Bombenbauer.Lesung, Fr.28.–.<br />

Kaufleuten(s. oben).<br />

Samstag, 28.September,<br />

15 Uhr<br />

Lizzie Doron: Das<br />

Schweigen meiner Mutter.<br />

Lesung, Fr.18.– inkl.<br />

Apéro. Literaturhaus<br />

(s. oben).<br />

Bücher am Sonntag Nr.8<br />

erscheint am 29.9.2013<br />

WeitereExemplare der Literaturbeilage«Bücher am<br />

Sonntag» können bestellt werden per Fax044 2581360<br />

oder E-Mail sonderbeilagen@nzz.ch. Oder sind –solange<br />

Vorrat –beim Kundendienstder NZZ, Falkenstrasse 11,<br />

8001Zürich, erhältlich.<br />

DPA KEYSTONE<br />

25. August 2013 ❘NZZamSonntag ❘ 27


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gute Literatur.<br />

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