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Rundbrief - Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.v.

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22<br />

<strong>Rundbrief</strong> Ausgabe 1/2005<br />

AG 2: Musiktherapie als alternative Therapieform<br />

Gleich beim Hereinkommen in den großen Gruppenraum<br />

machten die vielen Instrumente, die in der<br />

Mitte auf einer Decke lagen, neugierig auf das Thema<br />

„Musiktherapie als alternative Therapieform“. Da waren<br />

viele Rhythmusinstrumente versammelt wie Rasseln,<br />

Tambourin, Trommeln, Gong, Ratschen, Muschelketten,<br />

aber auch Klangschalen, Flöten, Tröten,<br />

Fingerklaviere, Xylophone und etliche fernöstliche Instrumente<br />

mit fremdartigen Namen. Das größte Instrument<br />

war ein zweitöniges Monochord, ein harfenähnliches<br />

Instrument mit etwa 15-20 Saiten auf jeder<br />

Seite eines Holzresonanzkörpers, die auf einen einzigen<br />

hohen bzw. tiefen Ton gestimmt waren. Zur Einstimmung<br />

spielte<br />

Prof. Kapteina, der<br />

als Musiktherapeut<br />

an der Uni Siegen<br />

tätig ist, dieses<br />

Monochord und die<br />

Klänge riefen in<br />

mir Bilder von<br />

buddhistischen<br />

Mönchen in ihren<br />

Klöstern hervor,<br />

wie ich sie aus Filmen<br />

kenne.<br />

Jede und jeder<br />

sollte sich nun zwei<br />

bis drei Instrumente aussuchen, an seinen Platz nehmen<br />

und probeweise spielen. Dann schlug Herr Kapteina<br />

ein gemeinsames Musizieren vor zum Thema<br />

„Nach dem Mittagessen“. Zunächst machte die Musik<br />

der etwa 13 Teilnehmerinnen auf mich den Eindruck<br />

eines wilden, chaotischen Durcheinanders der verschiedensten<br />

Instrumente, die jeder zuerst einmal für<br />

sich testete; doch allmählich kristallisierte sich ein<br />

Rhythmus heraus, auf den alle eingingen, es kam zu<br />

einer Art Konversation, einem Mitgestalten an einem<br />

Thema, zu dem sich jede einbrachte; für mich war es<br />

so, als ob alle an einer großen Jazz-Improvisations-<br />

Session teilnähmen. Nach dem gemeinsamen Spiel<br />

gab es jedoch sehr unterschiedliche Bewertungen:<br />

während ich begeistert vom Miteinander war, berichteten<br />

manche, dass das Ende für sie wie eine Erlösung<br />

nach einem stressgeladenen, zu lauten und zu langen<br />

Klanggewirr war.<br />

von Axel Hoff<br />

Im folgenden Gespräch zeigte sich, dass die Instrumentenwahl<br />

kein Zufall war, sondern etwas über unsere<br />

je eigene Geschichte aussagt. Ja, die Instrumente<br />

sind laut Herr Kapteina Symbolträger und bekommen<br />

eine emotionale Aufladung je öfter man sie hört und<br />

spielt. Im offenen Spiel, bei dem alles erlaubt ist, die<br />

Selbstbestimmung des Patienten toleriert wird und der<br />

Therapeut mitspielt und Impulse der Patienten aufnimmt,<br />

tauchen belastende Lebensthemen auf, die im<br />

folgenden Gespräch eingehender betrachtet werden<br />

können. Da die Musik direkt auf die Zentren des Gehirns<br />

wirkt, die Sitz der Gefühle sind – genauso wie<br />

die Psychopharmaka – kommt man an tiefliegende<br />

Konflikte heran. So<br />

berichtete Herr Kapteina<br />

von einem Patienten,<br />

der auf die<br />

Klänge des Monochords<br />

anfänglich<br />

mit großer Angst<br />

vor dem Zerfließen<br />

reagierte, jedoch<br />

nach einigen Monaten<br />

das Instrument<br />

selbst heftig spielte<br />

mit der Aussage<br />

„Mama und Papa<br />

und ich dazwischen...“.<br />

Eine Teilnehmerin fühlte sich durch die Wahl und<br />

das Spiel ihres Xylophons an ihre Kindergartenzeit erinnert.<br />

Dies könnte eine Anregung sein, in der Musik<br />

„Kindergarten“ zu spielen, meinte Herr Kapteina. Im<br />

musikalischen Spiel, das eine Kommunikation jenseits<br />

der Sprache ermöglicht, können zu alten Lebensthemen<br />

neue Erfahrungen gemacht werden.<br />

Die Musiktherapie trägt, laut Herr Kapteina, im<br />

Team mit anderen Therapien deutlich zur Heilung seelischer<br />

Konflikte bei. Doch hat sie im Gegensatz zur<br />

medikamentösen Therapie keine starke Lobby und<br />

wird noch viel zu selten eingesetzt, obwohl sie letztlich<br />

billiger als teure Dauermedikationen ist.<br />

Mich selbst hat die Erfahrung dieser Gruppe angeregt,<br />

wieder mehr aktiv zu musizieren und hörend die heilende<br />

Kraft der Musik zu nutzen.

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