26.10.2012 Aufrufe

Die Anwaltschaft. - Bezirk Oberfranken

Die Anwaltschaft. - Bezirk Oberfranken

Die Anwaltschaft. - Bezirk Oberfranken

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das Wort „Rechtsanwalt“ war bis zum ausgehenden<br />

18. Jahrhundert im deutschen Sprachraum<br />

nicht geläufig. Erstmals erscheint der „Rechtsanwalt“<br />

in einer Novelle vom 31. August 1804 zur<br />

Bayerischen Gerichtsordnung von 1753 und fand<br />

damit Eingang in den justizamtlichen Sprachgebrauch.<br />

Aber erst die Rechtsanwaltsordnung von<br />

1878 ersetzte das wohltönende Wort „Advokat“<br />

durch die eher blasse Berufsbezeichnung Rechtsanwalt,<br />

auch um die seinerzeit bestehende Zersplitterung<br />

des Berufsstandes in Anwälte, Advokaten,<br />

Advokaturanwälte und Prokuratoren zu<br />

einem einheitlichen Beruf zusammen zu fassen.<br />

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unterlagen<br />

die Advokaten, die nach obrigkeitlich eingeschätztem<br />

Bedarf bei jedem Gericht bestellt wurden,<br />

einer Wohnsitz- und Kanzleipflicht sowie<br />

dem Lokalisierungszwang und unterstanden weiterhin<br />

der Disziplinargewalt der Gerichte, die etwa<br />

die Honorarrechnungen kontrollierten. <strong>Die</strong>se<br />

vielfältigen Abhängigkeiten der Anwälte von obrigkeitlichem<br />

Wohlwollen ließ viele unterwürfig<br />

und angepasst erscheinen, so dass sie neben der<br />

von staatlicher Seite gezeigten Geringschätzung<br />

bei den Rechtssuchenden oft wenig Vertrauen<br />

und Glaubwürdigkeit fanden.<br />

<strong>Die</strong> vor allem auf den Juristentagen 1863 und<br />

1868 in Mainz und Hamburg und dem Anwalts-<br />

<strong>Die</strong> <strong>Anwaltschaft</strong><br />

Von Günter Dippold und Armin Wagner<br />

tag 1867 in Kassel geforderte Abschaffung der<br />

staatsdienerähnliche Stellung der Anwälte und<br />

der damit verbundenen Disziplinar- und Kontrollgewalt<br />

der Gerichte sowie der Ruf nach freiem<br />

Zugang zum Beruf des Rechtsanwaltes fand<br />

schließlich ihren weitgehenden Niederschlag in<br />

der am 1. Oktober 1879 in Kraft tretenden<br />

Rechtsanwaltsordnung von 1878.<br />

Häufig „Magna Charta“ des deutschen Anwaltsstandes<br />

genannt, schaffte sie die Trennung<br />

von Advokatur und Prokuratur ab, begründete<br />

einen freien Zugang zum Beruf ohne Bedürfnisund<br />

Zuverlässigkeitsprüfung durch staatliche Obrigkeit,<br />

abhängig nur von zwei bestandenen juristischen<br />

Examina, und ließ die Disziplinargewalt<br />

der Gerichte entfallen. <strong>Die</strong>se zunächst bis 1936<br />

geltende Rechtsanwaltsordnung, an die die aus<br />

dem Jahr 1959 stammende aktuelle Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

anknüpft, zeigt den Rechtsanwalt<br />

nach wie vor als den „Stand, [...] der überall<br />

als der Ratgeber der Hilfsbedürftigen, als<br />

Vertreter der Bedrängten, als Kontrolle der Richter,<br />

als ewig wacher Beschützer aller Unterdrückten,<br />

als Dolmetscher der ergangenen Urteile, als<br />

Gesetzeserklärer erscheint“, wie einst der Heidelberger<br />

Strafrechtslehrer Carl Joseph Anton Mittermaier<br />

formulierte. Der untertänige „königliche<br />

Advokat“ von einst ist heute als freiberufliches<br />

85


86 Günter Dippold und Armin Wagner<br />

Organ der Rechtspflege selbstbewusster und viel<br />

gefragter <strong>Die</strong>nstleister, der entgegen vielen Vorurteilen<br />

der Prozessfreudigkeit etwa 70 Prozent<br />

der Streitfälle, mit denen er konfrontiert wird,<br />

außergerichtlich klärt.<br />

Vom frühen 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert<br />

gab es zwei Rechtsanwälte in Lichtenfels, genauer:<br />

es existierten zwei Planstellen. Das entsprach<br />

der gesetzlichen Vorgabe durch die „Verordnung<br />

über die Einrichtung der Landgerichte“ vom 24.<br />

März 1802: „Bey einem jeden Landgerichte werden<br />

zwey rechtskundige Prokuratoren nach vorgängiger<br />

Prüfung bey der betreffenden Landesdirektion<br />

zugelassen, um den Unterthanen in ihren<br />

Prozessen und anderen Rechtsangelegenheiten<br />

zu dienen, wenn sie darum ersucht werden. [...]<br />

Für die <strong>Die</strong>nste, welche die Prokuratoren leisten,<br />

sollen sie von den Partheyen, welche sie beygezogen,<br />

oder ihnen die Vollmacht gegeben haben,<br />

unmittelbar die Bezahlung erhalten“.<br />

Später hatte über die Auswahl der Advokaten<br />

das jeweilige Appellationsgericht zu entscheiden.<br />

Das Patrimonialgericht Schney wandte sich 1833<br />

an das Appellationsgericht des Obermainkreises<br />

in Bamberg mit der Bitte, die Stellen der Rechtsanwälte<br />

im Landgerichtsbezirk Lichtenfels neu zu<br />

besetzen. „Von denselben hatte einer den Sitz des<br />

Gerichtes vor vielen Jahren schon gänzlich verlassen,<br />

der andere hält sich nur hie und da dortselbst<br />

auf, so wie es seine Gesundheitsumstände<br />

zulassen.“ 1<br />

Landrichter Michael von Gradl unterstrich, wie<br />

berechtigt die Anwesenheit zweier Advokaten<br />

sei: „Der lebhafte Verkehr im hiesigen <strong>Bezirk</strong>e,<br />

insbesondere wegen der frequenten Land- und<br />

Wasserstraßen, bedeutenden Gewerbs-Verkehr,<br />

Holzhandel, Theilung und Vereinzlung des<br />

Grundvermoegens, die Grenze gegen das Ausland<br />

und noch so manche andere Verhaeltnisse<br />

führen mitunter sehr bedeutende Rechtsstreite,<br />

Concurse und Untersuchungen herbei, welche<br />

die nothwendige Vertrettung der Parteien resp.<br />

Inquisition ausser allen Zweifel sezen.“<br />

Einer der beiden Anwälte, die damals in Lichtenfels<br />

praktizierten – und zwar schon seit Jahrzehnten<br />

–, starb wenig später, am 16. August<br />

1833. Dabei handelte es sich um Augustin Lorenz,<br />

der von 1815 bis 1817 als Oberschützenmeister<br />

an der Spitze der Schützengesellschaft<br />

gestanden hatte 2 . Der andere Advokat, Nikolaus<br />

Mayer (1784–1842) 3 , Sohn eines Bamberger Baumeisters,<br />

in Lichtenfels nachweisbar ab 1813 4 ,<br />

wurde 1834, wie er längst beantragt hatte, nach<br />

Bamberg versetzt.<br />

Im Januar 1834 ernannte König Ludwig I. von<br />

Bayern zwei neue Advokaten für Lichtenfels:<br />

Thomas Güßregen aus Tirschenreuth und Friedrich<br />

Karl Burkhart aus Bamberg, der sogleich das<br />

Ehrenamt des Unterschützenmeisters übernahm 5 .<br />

An die Stelle Güßregens trat 1839 Peter Wolf. Als<br />

Burkhart 1844 nach Bamberg versetzt wurde,<br />

folgte ihm Adam Rapp nach, bis dahin rechtskundiger<br />

Magistratsrat in Bamberg. <strong>Die</strong> Advokaten<br />

Rapp und Wolf gehörten im Revolutionsjahr<br />

1848 zu den Gründern des „Lichtenfelser Volksvereins“,<br />

der sich der Abwehr republikanischer<br />

Gesinnungen verschrieb. 1850 verlegte Rapp seine<br />

Kanzlei nach Bamberg. Zu seinem Nachfolger<br />

in Lichtenfels wurde Friedrich Bauer bestimmt,<br />

bis dahin Advokat in Dinkelsbühl.<br />

Aus den folgenden Jahrzehnten liegen bisher<br />

nur verstreute Nachrichten über die Rechtsanwälte<br />

in Lichtenfels vor. Erst im ausgehenden 19.


<strong>Die</strong> <strong>Anwaltschaft</strong><br />

Jahrhundert ließen sich in der Stadt Advokaten<br />

nieder, über deren Leben Näheres bekannt ist<br />

und die durch ihre über ein halbes Jahrhundert<br />

währende Tätigkeit deutliche Spuren hinterlassen<br />

haben. 6 <strong>Die</strong> Rechtsanwälte Friedrich Schmidt und<br />

Alois Jüngling – beiden wurde 1921 der Ehrentitel<br />

eines Justizrats verliehen 7 – haben die Rechtsanwaltschaft<br />

beim Amtsgericht Lichtenfels geprägt.<br />

Dabei war der eine als Protestant der<br />

„geborene“ Vertreter für evangelische und liberale<br />

Klienten, der andere für die Katholiken und<br />

Zentrums- bzw. BVP-Anhänger. <strong>Die</strong> <strong>Anwaltschaft</strong><br />

spiegelte damit auch die konfessionelle und politische<br />

Lage des Lands am Obermain.<br />

Friedrich Wilhelm Schmidt wurde am 28.<br />

August 1868 als Sohn eines königlich bayerischen<br />

Oberförsters in Gunzenhausen geboren.<br />

Von 1874 bis 1889 besuchte er in seiner Heimatstadt<br />

die Volksschule und das humanistische<br />

Gymnasium. Während seiner Studienjahre an<br />

den Universitäten Erlangen und München hörte<br />

er Rechtswissenschaften, Staatswissenschaft, Philosophie,<br />

Naturwissenschaften, Medizin, deutsches<br />

und römisches Recht sowie Baukunst, ehe<br />

er am 16. Juli 1894 in Erlangen die Referendarprüfung<br />

ablegte. Seine anschließende Ausbildungszeit<br />

als Rechtspraktikant absolvierte er vom<br />

1894 bis 1897 in Bayreuth und Pegnitz, wobei er<br />

dem Stadtmagistrat und dem <strong>Bezirk</strong>samt in Bayreuth,<br />

dem Amtsgericht Pegnitz, dem Amtsgericht<br />

und dem Landgericht Bayreuth sowie den Rechtsanwälten<br />

Mehringer und Gewinner in Bayreuth<br />

zugeteilt war. Im Dezember 1897 legte er bei der<br />

Regierung von <strong>Oberfranken</strong> in Bayreuth die Assessorprüfung<br />

ab. Im Anschluss hieran war er<br />

noch vom 1. Januar bis 27. August 1898 als Gerichtsassessor<br />

beim Amtsgericht München I in der<br />

Abteilung für Nachlasswesen sowie im Grundbuch-<br />

und Hypothekenamt tätig.<br />

Ab dem 3. September 1898 war er als Rechtsanwalt<br />

beim Amtsgericht Lichtenfels zugelassen. 8<br />

Schon während seiner <strong>Die</strong>nstzeit in München<br />

wurden ihm beste Leistungen, vorzüglicher Fleiß<br />

und tadelloses Verhalten bescheinigt. Der Vorstand<br />

des Amtsgerichts Lichtenfels, Franz Neubert,<br />

fand im November 1920 zu folgender „Würdigung“:<br />

„Rechtsanwalt Schmidt besitzt gute<br />

Fähigkeiten und verfügt über umfassende Kenntnisse.<br />

Mit großer Geschäftsgewandtheit vertritt er<br />

die Interessen seiner Partei; der Gegenpartei tritt<br />

er in einwandfreier und nobler Weise gegenüber.<br />

Sein mündlicher Vortrag ist sehr gut und gewandt.<br />

Seine Praxis ist sehr umfangreich. Sein<br />

Auftreten dem Gericht gegenüber ist anständig<br />

und zuvorkommend, auch anderen Rechtsanwälten<br />

begegnet er in anständiger Weise. Irgendwelche<br />

Übergriffe in öffentlicher Sitzung oder in<br />

Schriftstücken sind nicht vorgekommen. Sein<br />

außerdienstliches Verhalten ist gleichfalls einwandfrei,<br />

er erfreut sich allgemeiner Hochachtung<br />

und ist Gauführer der Einwohnerwehr des<br />

Jura-Maingaues. Während des Feldzuges war er<br />

als Offizier eingerückt.“<br />

Friedrich Wilhelm Schmidt gehörte 1907 zu<br />

den Gründern der Privatrealschule Lichtenfels,<br />

aus der das heutige Meranier-Gymnasium erwachsen<br />

ist. Von August 1914 bis März 1919<br />

diente er im Heer zunächst als Hauptmann und<br />

seit August 1916 als Major der Reserve (Infanterie).<br />

Entsprechend seiner Zugehörigkeit zur nationalliberalen<br />

Partei (bis 1912) und zur Deutschnationalen<br />

Volkspartei (bis 1932), stand er ab<br />

1919 der bayerischen Einwohnerwehr, ab 1922<br />

dem Bund Bayern und Reich – jeweils bis zur<br />

87


88 Günter Dippold und Armin Wagner<br />

Auflösung – als Gauhauptmann vor; im bayerischen<br />

Notbann fungierte er von 1926 bis 1928 als<br />

Gauleiter.<br />

Schmidt, seit 21. März 1898 mit Luise Steingraeber<br />

(1870–1943), einer Tochter des wohlhabenden<br />

königlich-bayerischen Hofpianofortefabrikanten<br />

Eduard Steingraeber in Bayreuth,<br />

verheiratet und Vater zweier Söhne, unterhielt<br />

seine Anwaltskanzlei ab Ende 1899 im neu errichteten<br />

Anwesen Kronacher Straße 13 in Lichtenfels<br />

9 , dem etwas später gebauten Amtsgericht<br />

gegenüber. Von 1920 und bis zur Machtübernahme<br />

Hitlers gehörte Friedrich Schmidt dem Vorstand<br />

der Rechtsanwaltskammer beim Oberlandesgericht<br />

Bamberg an und war auch Richter in<br />

Ehrengerichtssachen. Sein durchschnittliches jährliches<br />

Einkommen als Rechtsanwalt bezifferte er<br />

für die Zeit von 1930 bis 1933 auf ca. 5875 RM<br />

pro Jahr, für die Zeit von 1934 bis 1945 auf ca.<br />

2324 RM. <strong>Die</strong> deutliche Einkommensminderung<br />

war hierbei sicherlich auch Folge seiner Einstellung<br />

gegen die NSDAP.<br />

Bei der feierlichen Eröffnung des Amtsgerichts<br />

Lichtenfels durch die amerikanische Militärregierung<br />

am 6. Oktober 1945 wurde Justizrat Schmidt<br />

als Rechtsanwalt im Amtsgerichtsbezirk vereidigt<br />

und gelobte „Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen,<br />

daß ich die Gesetze jederzeit zu niemandes<br />

Vorteil und zu niemandes Nachteil, mit Gerechtigkeit<br />

und Billigkeit gegenüber jedermann, ohne<br />

Rücksicht auf Religion, Rasse, Abstammung oder<br />

politische Überzeugung anwenden und handhaben<br />

werde; daß ich die deutschen Gesetze und<br />

alle Rechtsvorschriften der Militärregierung sowohl<br />

ihrem Wortlaute als auch ihrem Sinne nach<br />

befolgen werde; und daß ich stets mein Bestes<br />

tun werde, um die Gleichheit aller vor dem Ge-<br />

setz zu wahren.“ Nach Abschluss der Entnazifizierung<br />

wurde Justizrat Schmidt ab 31. Juli 1948<br />

vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz<br />

wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.<br />

Nach einem Schlaganfall im Herbst 1951, der<br />

ihm die Berufsausübung zu beschwerlich, ja unmöglich<br />

machte, gab Justizrat Schmidt mit Schreiben<br />

vom 26. Mai 1952 an den Vorstand des Amtsgerichts<br />

Lichtenfels seine Zulassung als Anwalt<br />

zurück und wurde wenige Tage später – nach<br />

mehr als einem halben Jahrhundert – aus der Liste<br />

der hier zugelassenen Anwälte gelöscht. Er<br />

starb am 27. Dezember 1953.<br />

Justizrat Alois Jüngling 10 wurde am 23. Dezember<br />

1869 als Sohn eines Eisenbahners (eines<br />

Wechselwärters) in Hochstadt am Main geboren.<br />

Er besuchte fünf Jahre die Volksschule in Wolfsloch<br />

und dann bis Juli 1889 das Alte (humanistische)<br />

Gymnasium in Bamberg. Das vierjährige<br />

Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er<br />

an der Universität Erlangen – dorthin war sein<br />

Vater 11 versetzt worden – und machte dort am 23.<br />

Oktober 1893 das Examen. Während dieser Zeit<br />

diente er auch als Einjährig-Freiwilliger beim 3.<br />

Bataillon des 5. Bayerischen Infanterieregiments<br />

und ging als Unteroffizier und Offiziersanwärter<br />

ab. Von 1893 bis 1896 war Alois Jüngling beim<br />

<strong>Bezirk</strong>samt, Stadtmagistrat und Amtsgericht Erlangen,<br />

am Landgericht Fürth und bei einem<br />

Rechtsanwalt in Fürth in der Vorbereitungspraxis,<br />

ehe er im Dezember 1896 in Ansbach die Juristische<br />

Staatsprüfung ablegte.<br />

Nach einigen Monaten Hilfstätigkeit bei einem<br />

Rechtsanwalt in Bamberg ließ sich Jüngling im<br />

Juli 1897 in Ebern als Rechtsanwalt nieder. Im<br />

November 1900 heiratete er die Kaufmannstochter<br />

Paulina Grohe (1879–1958) aus Ebern, mit


<strong>Die</strong> <strong>Anwaltschaft</strong><br />

der er sechs Kinder hatte; fünf Söhne erreichten<br />

das Erwachsenenalter. 12<br />

Ab 1. September 1900 war Jüngling als Rechtsanwalt<br />

beim Amtsgericht Lichtenfels zugelassen,<br />

ab 1. Januar 1927 auch beim Landgericht Coburg.<br />

Neben seiner Anwaltstätigkeit engagierte sich<br />

Jüngling kirchlich, politisch und im Vereinsleben.<br />

Seit 1911 gehörte er der katholischen Kirchenverwaltung<br />

an. Der Anhänger des Zentrums bzw. ab<br />

1918 der Bayerischen Volkspartei, wurde 1908<br />

ins Gemeindebevollmächtigtenkollegium gewählt<br />

und 1912 sogar in den Magistrat berufen.<br />

Später gehörte er dann dem Stadtrat an, bis er<br />

Anfang 1927 sein Mandat niederlegte 13 . Ab 1919<br />

fungierte er für einige Zeit als 2. Bürgermeister. 14<br />

Dem Obst- und Gartenbauverein stand er ab<br />

1907 für lange Jahre vor.<br />

Seine Kanzlei betrieb Jüngling erst im Eckhaus<br />

Badgasse /Coburger Straße. Im Mai 1902 verlegte<br />

er sie in das Wohnhaus des Arztes Dr. Gustav<br />

Roßbach (1843–1927) in der Bamberger Straße<br />

29 15 , schließlich 1904 ins eigene Haus Kronacher<br />

Straße 11, vis-á-vis dem Amtsgericht und direkt<br />

neben dem Anwesen seines Kollegen Friedrich<br />

Schmidt 16 . <strong>Die</strong> Kanzlei florierte.<br />

Da Justizrat Jüngling Vorsitzender der Bayerischen<br />

Volkspartei im <strong>Bezirk</strong> Lichtenfels bis zu ihrer<br />

Auflösung 1933 war und aus seiner Abneigung<br />

gegenüber dem Nationalsozialismus kein<br />

Hehl machte, wurde er Ende Juni 1933 auf neun<br />

Tage in „Schutzhaft“ genommen; sein Einkommen<br />

(1930 ca. 7800 RM) fiel 1933 auf ca. 4600<br />

RM, ab 1940 auf unter 3000 RM.<br />

Nach dem Krieg wurde Jüngling am 6. Oktober<br />

1945 erneut als Rechtsanwalt beim Amtsgericht<br />

Lichtenfels vereidigt und blieb bis über seinen<br />

80. Geburtstag hinaus berufstätig. Justizrat<br />

Justizrat Alois Jüngling<br />

(1869–1965)<br />

Dr. Max Jüngling<br />

(1903–1963)<br />

Alois Jüngling verstarb am 4. September 1965 im<br />

Alter von 95 Jahren in Lichtenfels.<br />

Sein ältester Sohn, Dr. Max Joseph Jüngling,<br />

wurde am 7. Mai 1903 in Lichtenfels geboren. Er<br />

besuchte von 1909 bis 1913 die Volksschule und<br />

bis 1917 vier Klassen der Lateinschule in Lichtenfels,<br />

ehe er auf das Alte Gymnasium in Bamberg<br />

überwechselte und dort im März 1922 das Reifezeugnis<br />

erhielt. Er studierte sodann von 1922 bis<br />

1926 an den Universitäten München, Berlin und<br />

Würzburg Rechtswissenschaften, wobei er als<br />

Werkstudent nebenbei arbeitete, etwa in einer<br />

Fabrik, im Forst und beim Bau des Isar-Kanals 17 .<br />

Im Februar 1926 unterzog er sich der Referendarprüfung.<br />

Im Juli 1927 wurde Max Jüngling in<br />

Würzburg mit der Dissertation „<strong>Die</strong> katholischen<br />

Kirchenämter nach geltendem bayerischen<br />

Staatskirchenrecht (die Errichtung, Veränderung,<br />

Aufhebung und Besetzung)“ magna cum laude<br />

zum Doktor der Rechte promoviert.<br />

89


90 Günter Dippold und Armin Wagner<br />

Bis zum April 1929 absolvierte Dr. Jüngling<br />

den Referendardienst beim <strong>Bezirk</strong>samt Bamberg<br />

II, den Amtsgerichten Lichtenfels und Coburg,<br />

dem Landgericht München II und den Rechtsanwälten<br />

Jüngling in Lichtenfels – seinem Vater –<br />

und Dr. Ambrunn in München. In der Landeshauptstadt<br />

legte er auch das Assessorexamen ab.<br />

Am 9. November 1929 wurde Dr. Max Jüngling<br />

zur Rechtsanwaltschaft beim Amtsgericht Lichtenfels<br />

zugelassen und am 13. November 1929 dort<br />

in die Anwaltsliste eingetragen; im Dezember<br />

1934 erfolgte die Simultanzulassung beim Landgericht<br />

Coburg. <strong>Die</strong> angesehene und gefragte<br />

Kanzlei, die er gemeinsam mit seinem Vater führte,<br />

hatte auch nach 1933 den Ruf, eine „schwarze<br />

Kanzlei“ zu sein, da beide Rechtsanwälte aus ihrer<br />

christlich konservativen Einstellung und ihrer<br />

Abneigung gegen die NSDAP – die Kreisleitung<br />

hatte ihren Sitz schräg gegenüber ihrer Kanzlei –<br />

kein Hehl machten. Beide wurden wegen der anwaltschaftlichen<br />

Vertretung und Beratung von jüdischen<br />

Klienten wiederholt, auch über die NSD-<br />

AP-Kreisleitung, verwarnt und in zwei Fällen mit<br />

der – angeblich schon vorbereiteten – öffentlichen<br />

Anprangerung im STÜRMER bedroht.<br />

Im Dezember 1940 wurde Dr. Max Jüngling,<br />

seit November 1932 verheiratet und Vater zweier<br />

(später dreier) Kinder, zum Wehrdienst einberufen.<br />

Nach Verwundung im August 1941 war er<br />

zuletzt bis April 1945 als Oberzahlmeister im<br />

Heeresverwaltungsdienst tätig und befand sich<br />

sodann bis 15. Januar 1946 in amerikanischer<br />

Kriegsgefangenschaft.<br />

Am 14. Februar 1946 wurde Dr. Max Jüngling<br />

von der amerikanischen Militärregierung mit der<br />

Führung der Geschäfte des Landrats im Landkreis<br />

Lichtenfels, stellvertretend auch im Landkreis<br />

Staffelstein (bis 24. Juni 1946), betraut. Der Kreistag<br />

von Lichtenfels bestätigte ihn am 23. September<br />

1946 als Landrat. Dreimal wiedergewählt, amtierte<br />

er bis zu seinem Tod. Gerade in der<br />

Frühzeit seines Wirkens stand Landrat Dr. Jüngling<br />

vor ungeheuren Problemen, Wohnraum zu<br />

schaffen und die Ernährungslage zu stabilisieren.<br />

Immerhin hatte der Landkreis rund 3000 „Flüchtlinge“<br />

und 12 000 Heimatvertriebene aufzunehmen.<br />

Daneben war Jüngling besonders kulturell<br />

interessiert und engagiert; im Colloquium Historicum<br />

Wirsbergense leitete er die Gruppe Lichtenfels.<br />

Vom 23. September 1951 an gehörte der<br />

CSU-Politiker in der Nachfolge des verstorbenen<br />

Anwaltskollegen und Lichtenfelser Bürgermeisters<br />

Dr. Julian Wittmann dem Bayerischen Landtag<br />

an. 18<br />

Seinem Gesuch vom 12. April 1946 an den<br />

Oberrichter des Amtsgerichts Lichtenfels entsprechend,<br />

erhielt Dr. Jüngling, der sein Landratsamt<br />

damals als vorübergehende Aufgabe ansah, im<br />

September 1946 die Genehmigung des Coburger<br />

Landgerichtspräsidenten, seine Rechtsanwaltspraxis<br />

in Lichtenfels wieder aufzunehmen, und wurde<br />

am 27. Januar 1947 vereidigt.<br />

Als Landrat und Abgeordneter verstarb Dr.<br />

Max Jüngling am 14. Dezember 1963 unerwartet<br />

in München.<br />

1938 waren beim Amtsgericht Lichtenfels fünf<br />

Rechtsanwälte, zum 1. September 1939 im gesamten<br />

Landgerichtsbezirk Coburg 21 und zum<br />

15. August 1946 gerade 17 Rechtsanwälte zugelassen.<br />

Bei der feierlichen Wiedereröffnung des<br />

Amtsgerichts Lichtenfels am 6. Oktober 1945<br />

wurden für den „Amtsgerichtsbezirk Lichtenfels –<br />

Staffelstein – Weismain“ vier Rechtsanwälte ver-


<strong>Die</strong> <strong>Anwaltschaft</strong><br />

eidigt, nämlich Justizrat Friedrich Schmidt, Justizrat<br />

Alois Jüngling und Georg Würstlein in Lichtenfels<br />

sowie Dr. Julian Wittmann in Burgkunstadt;<br />

letzterer war bis zu seinem Tod 1951<br />

Bürgermeister der Stadt Lichtenfels und Landtagsabgeordneter.<br />

1968 waren in Lichtenfels neun Rechtsanwälte,<br />

derzeit sind im Amtsgerichtsbezirk (= Landkreis)<br />

Lichtenfels mehr als 25 Rechtsanwälte niedergelassen.<br />

<strong>Die</strong> Leistungen und das Wirken all dieser<br />

Rechtsanwälte der Nachkriegszeit und der Gegenwart<br />

kann im vorgegebenen Rahmen nicht<br />

geschildert werden. Genannt seien Dr. Baptist<br />

Hofmann (1903–1984) aus Marktgraitz, der 1930<br />

in Lichtenfels als Anwalt zugelassen wurde 19 , und<br />

Dr. Günther Kloss (1907–1992) 20 aus Crossen an<br />

der Oder, der sich 1945 in Staffelstein ansässig<br />

machte, als herausragende Vertreter ihres Standes<br />

schon seit den späten 40-er Jahren.<br />

In der Folge haben Carl-Friedrich Sonntag,<br />

Werner Hofmann, Ernst Hofmann, Ewald Bauer,<br />

Dr. Johann Edelmann sowie Bernd Legal und<br />

Manfred Glöckner das alltägliche Justizgeschehen<br />

in Lichtenfels über Jahrzehnte bestimmt.<br />

Nach Wegfall der örtlich beschränkten Zulassung<br />

und der Bildung überregionaler und internationaler<br />

Sozietäten steht die <strong>Anwaltschaft</strong> freilich<br />

in keiner engen, früher geradezu familiären<br />

Bindung zu einem Gericht mehr.<br />

Anmerkungen<br />

1 <strong>Die</strong>ses Schreiben, wie auch die folgenden Zitate, in<br />

StAB, K 100/1, Nr. 181.<br />

2 Meyer, Heinrich: Chronik der Königlich Privilegierten<br />

Scharfschützengesellschaft Lichtenfels. Aus Anlaß ihrer<br />

150jährigen Wiederbegründung. Lichtenfels 1960, S.<br />

110.<br />

3 Über ihn: Neuer Nekrolog der Deutschen. 20. Jg., 1842.<br />

Weimar 1844, S. 1015.<br />

4 AEB, Kirchenbücher Lichtenfels, Bd. 13, pag. 13.<br />

5 Meyer, Chronik (wie Anm. 2), S. 109.<br />

6 Das Folgende, wenn nicht anders angegeben, auf der<br />

Grundlage der Personalakten im Amtsgericht Lichtenfels.<br />

7 Lichtenfelser Tagblatt vom 26.4.1921.<br />

8 <strong>Die</strong> Eröffnung der Kanzlei ist bekannt gemacht im Lichtenfelser<br />

Tagblatt vom 7.9.1898.<br />

9 Lichtenfelser Tagblatt vom 20.12.1899. – Oberamtsrichter<br />

von Melzl erwähnte in einem Schreiben an dem<br />

Oberstaatsanwalt, durch das er die Wohnungsknappheit<br />

in Lichtenfels schilderte, diesen Hausbau und die Beweggründe<br />

des Bauherrn: „Rechtsanwalt Schmidt, welcher<br />

seit Septbr. 1898 dahier seine Praxis ausübt, mußte<br />

wegen Kündigung des Mietverhältnisses durch den<br />

Hauseigentümer zu Lichtmeß 1899 seine Mietwohnung<br />

wieder verlassen u. eine Interimswohnung beziehen; er<br />

war dann gezwungen, zum Baue eines Hauses zu<br />

schreiten, um für sich u. seine Familie Unterkunft zu finden.“<br />

Er habe „den noch nicht ganz fertig gestellten<br />

Neubau bereits bezogen.“ StAB, K 123 Generalakten,<br />

Nr. 19, Schreiben des Amtsgerichts vom 27.11.1899.<br />

10 Neben dem Personalakt vgl. Lichtenfelser Tagblatt vom<br />

23.12.1954.<br />

11 Christoph Jüngling, gestorben 1924 in Zapfendorf. Lichtenfelser<br />

Tagblatt vom 20.12.1924.<br />

12 Der neben Dr. Max Jüngling namhafteste Sohn des Justizrats<br />

war der Industrielle und Wirtschaftswissenschaftler<br />

Hanns Jüngling (1907–1973), der herausgehobene<br />

Funktionen in der Schickedanz-Gruppe bekleidete.<br />

13 Lichtenfelser Tagblatt vom 11.1.1927.<br />

14 Lichtenfelser Tagblatt vom 2.7.1919.<br />

15 Lichtenfelser Tagblatt vom 7.5.1902.<br />

16 Lichtenfelser Tagblatt vom 7.10.1904.<br />

17 Handbuch des Bayerischen Landtags 1954, S. 188.<br />

91


92<br />

18 <strong>Die</strong> Daten zum Landratsamt und Abgeordnetenmandat<br />

nach freundlicher Mitteilung von Herrn Gerhard<br />

Schmidt, Lichtenfels, der das Manuskript seines Vortrags<br />

am 28.10.2003 in freundlichster Weise zur Verfügung<br />

stellte.<br />

19 StAB, K 100/5, Nr. 1495. – Promoviert hatte er 1928 in<br />

Erlangen mit der Arbeit „Der Verlust der Mitgliedschaft<br />

des bayerischen Landtages nach § 41 der bayerischen<br />

Verfassungsurkunde“. Seine Erinnerungen an das<br />

Kriegsende in Lichtenfels – als amtierender Bürgermeister<br />

übergab Hofmann die Stadt an die amerikanischen<br />

Truppen – sind veröffentlicht: Hofmann, Baptist: Ereignisvolle<br />

Tage in der Stadt Lichtenfels gegen Ende des<br />

2. Weltkriegs 1945. Lichtenfels 1979.<br />

20 Über ihn Leutner, Reinhard: Günther Kloss (1907–1992).<br />

In: Dippold, Günter/Meixner, Alfred (Hrsg.): Staffelsteiner<br />

Lebensbilder. Staffelstein 2000 (Staffelsteiner Schriften<br />

11), S. 233f.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!