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Der »gräßliche Fatalismus der Geschichte« und die Funktion des ...

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110 Alessandro C ostazza<br />

sie eine Umkehrung <strong>der</strong> im ganzen 18. Jahrhun<strong>der</strong>t sehr beliebten Physikotheologie<br />

darstellen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Existenz Gottes aus <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Vollkommenheit<br />

alles Erschaffenen induzierte, während Payne umgekehrt <strong>die</strong><br />

Nicht-Existenz Gottes aus <strong>der</strong> bloßen Existenz <strong>der</strong> Welt beziehungsweise<br />

aus <strong>der</strong>en Unvollkommenheit ableitet (SW 1, S. 56-60). Nach <strong>die</strong>sen >metaphysischen<<br />

Beweisen führt Payne das wichtigste <strong>und</strong> am schwersten wiegende<br />

Argument gegen <strong>die</strong> Existenz Gottes an, nämlich das Vorhandensein <strong>des</strong><br />

Schmerzes:<br />

Schafft das U n vollkom m ne w eg, dann allein könn t ihr G o tt dem onstrieren, Spin<br />

o za hat es versucht. M an kann das B öse leugnen, aber nicht den Schm erz: nur<br />

<strong>der</strong> Verstand kann G o tt beweisen, das Gefühl em pört sich dagegen. M erke dir es,<br />

A n axagoras, w arum leide ich? D a s ist <strong>der</strong> F els <strong>des</strong> A th eism us. D as leiseste Z u ­<br />

cken <strong>des</strong> Schm erzes <strong>und</strong> rege es sich nur in einem A tom , m acht einen Riß in <strong>der</strong><br />

Sch öpfu n g von oben bis unten. (SW 1, S. 58)<br />

Das »Böse« ist nämlich nur ein Relationsbegriff, <strong>der</strong> vom Verstand durch eine<br />

einfache Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Koordinaten im Bezugssystem leicht ins Positive<br />

gewendet werden kann, indem es zum Beispiel als Mittel zur Erreichung eines<br />

größeren Guten funktionalisiert <strong>und</strong> teleologisch relativiert wird. Genau<br />

so funktionierten tatsächlich <strong>die</strong> meistverbreiteten Argumente <strong>der</strong> vielen<br />

Theodizeen <strong>des</strong> 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts, <strong>die</strong> insofern ausnahmslos rationale Theodizeen<br />

waren6 <strong>und</strong> letztendlich zu dem Ergebnis führten, <strong>die</strong> absolute N otwendigkeit<br />

<strong>des</strong> Bösen <strong>und</strong> <strong>des</strong> Lei<strong>des</strong> auf <strong>die</strong> gleiche Art <strong>und</strong> Weise wie <strong>die</strong><br />

von St. Just vertretene Geschichtsphilosophie zu beweisen. Einer solchen rationalen<br />

<strong>und</strong> vom Individuum abstrahierenden Theodizee setzt also Payne<br />

- <strong>und</strong> mit ihm Büchner - <strong>die</strong> schlechthin individuelle Erfahrung <strong>des</strong> Schmerzes<br />

entgegen, <strong>die</strong> wegen ihrer Partikularität dem Verstand absolut unzugänglich<br />

bleibt <strong>und</strong> somit unmöglich wegrationalisiert werden kann.7<br />

Nach dem Leid wird dann in <strong>der</strong> siebenten Szene <strong>des</strong> dritten Aktes das<br />

an<strong>der</strong>e wichtige Argument gegen <strong>die</strong> Theodizee thematisiert, nämlich <strong>der</strong><br />

Tod. Philippeau versucht, <strong>die</strong> Aporie <strong>des</strong> To<strong>des</strong> durch <strong>die</strong> traditionellen Ar­<br />

Kahl: »D er Fels <strong>des</strong> A theism us«. Epikurs <strong>und</strong> G eorg Büchners Kritik an <strong>der</strong> Theodizee.<br />

In: G eorg Büchner Jahrbuch 2 (1982), S. 99-125.<br />

6 Vgl. O tto Lem pp; D as Problem <strong>der</strong> Theodicee in <strong>der</strong> Philosophie <strong>und</strong> Literatur <strong>des</strong> 18.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts bis auf Kant <strong>und</strong> Schiller. Leipzig 1910. H ans Lindau: Die Theodicee im<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>t. Entw icklungsstufen <strong>des</strong> Problems vom theoretischen D ogm a zum praktischen<br />

Idealism us. Leipzig 1911.<br />

7 Bereits im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t gingen <strong>die</strong> Kritiken an <strong>der</strong> Theodizee von <strong>der</strong> Behauptung <strong>des</strong><br />

Eigenwerts <strong>des</strong> Individuums, seiner Verantwortung, seiner Freiheit <strong>und</strong> seines Gefühls<br />

aus. Vgl. O tto Lempp: D as Problem <strong>der</strong> Theodizee (Anm. 6), S. 107-118, 170-190. N ach<br />

<strong>die</strong>sem Beweis <strong>der</strong> N icht-Existenz G ottes wird von Payne noch <strong>der</strong> »moralische Beweis<<br />

<strong>der</strong> Existenz G ottes als bloße Tautologie entlarvt; H erault zeigt hingegen, wie <strong>die</strong> m ystische<br />

Idee von G ott als coinciäentia oppositorum ins N ichts führt (vgl. SW 1, S. 58f.).

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