August 2013 - Habichtswald-Klinik
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Zusammenfassung: Wie gelingt Heilung?<br />
Heilung hat immer viele Aspekte. Die folgende Aufzählung ist sicher nicht vollständig, hat<br />
sich aber für meinen persönlichen Prozess als entscheidend erwiesen.<br />
1. Visio: Wir brauchen eine Vision, ein großes Ziel, welches wir unbedingt erreichen wollen.<br />
Es sollte ambitioniert genug sein, dass es uns fordert, es sollte aber noch realistisch sein.<br />
Für mich war dies der Halbmarathon als Symbol, wieder körperlich und mental stark zu<br />
sein. Für einen Krebskranken ist es vielleicht die Silberhochzeit in zwei Jahren, die er<br />
erleben möchte. Für den Herzkranken vielleicht die lang erträumte Amerikareise, die<br />
noch einmal möglich werden soll. Zur Erreichung eines solchen Fernzieles benötigen wir<br />
kleine überschaubare Zwischenziele. Für mich waren dies das erste Aufstehen aus dem<br />
Rollstuhl, die ersten zehn Meter allein gehen oder der erste Treppenabsatz. Was eine<br />
Woche vorher noch undenkbar schien, ist geschafft, dann kann das nächste Ziel in<br />
Angriff genommen werden. Das große Fernziel wartet noch am fernen Horizont, kommt<br />
aber immer mehr in Sicht.<br />
2. Ratio: Wir brauchen einen vernünftigen Plan. Von nichts kommt nichts. Und das große<br />
Fernziel fällt uns nicht wie ein reifer Apfel in den Schoß. Wir müssen darauf hinarbeiten.<br />
Und das ist keineswegs ein Zuckerschlecken. Wir schaffen es auch nicht ganz allein. Wir<br />
brauchen Verbündete auf unserem Weg, die uns jeweils ein Stück weit begleiten,<br />
anleiten und fordern. Das können Ärzte, Ergo-, Physio-, Psychotherapeuten, Trainer,<br />
Freunde und Verwandte sein, die uns mit Rat und Tat zur Seite stehen.<br />
3. Motivatio: Kein großes Ziel ohne entsprechende Motivation dafür. Warum will ich wieder<br />
fit, gesund oder schlanker werden? Um mich selbst wieder gut spüren zu können. Um<br />
wieder im Beruf meine(n) Frau/Mann zu stehen. Um für meinen geliebten Partner wieder<br />
attraktiv und begehrenswert zu sein. Jeder mag unterschiedliche Motive haben. Wichtig<br />
ist, sich ihrer bewusst zu sein und zu wissen, warum und für wen man die Anstrengungen<br />
aufbringt. Ich kann mich auch selbst belohnen und mir einen lange gehegten Wunsch<br />
erfüllen, wenn ich mein Ziel erreicht habe.<br />
4. Emotio: Es geht nicht ohne Gefühle! Bei langer Krankheit geht es immer auch um Trauer<br />
und Schwermut. Es geht um Schmerz und um Verzweiflung, manchmal sogar um Wut.<br />
Jede Krankheit ist aber auch von Freude begleitet. Über jeden noch so kleinen Fortschritt<br />
kann ich mich freuen und diese Freude zum Ansporn nehmen, das nächste kleine Ziel<br />
anzuvisieren, um noch mehr Fortschritte und Freude zu erzielen. Ich habe viele<br />
chronisch und schwer kranke Mitpatienten erlebt, die voller Bitterkeit waren (Warum<br />
muss mir das ausgerechnet jetzt passieren? Warum gerade ich? Was habe ich falsch<br />
gemacht?). Doch diese Fragen sind nicht nur nicht hilfreich, sie sind sogar schädlich,<br />
weil der rückwärtige Blick uns davon abhält, das vorwärts gerichtete zu tun. Es ist ein<br />
harter Weg, Bitterkeit in Dankbarkeit zu verwandeln. Dankbarkeit dafür, dass man<br />
überhaupt noch lebt, dass man noch denken und fühlen kann, dass man wieder essen<br />
und trinken kann, wenn dies lange Zeit nicht ging. Ich gehe seit meiner Krankheit<br />
praktisch keine Treppen mehr. Ich habe wochenlang mit meinem Rollstuhl, später mit<br />
meinem Rollator vor einer für mich zum damaligen Zeitpunkt unüberwindlichen Treppe<br />
gestanden und habe diejenigen beneidet, die einfach so eine Treppe hinaufgehen, ohne<br />
sich dabei etwas zu denken oder zu fühlen. Ich gehe heute jede Treppe mit großer<br />
Dankbarkeit, dass ich das wieder kann und darf. Ich bin voller Dankbarkeit für alle meine<br />
Begleiter auf meinem Wege, die mir Mut gemacht haben: Die Mitpatienten, die Ärzte, die<br />
Körper- und die Psychotherapeuten, Angehörige, Freunde, Mitarbeiter und die eigenen<br />
Patienten, die mir während der Krankheit Grüße übermittelt und mich nach der<br />
Arbeitswiederaufnahme bestätigt haben. Ein Partner, der zu einem steht, ist auch ganz<br />
wichtig. Leider erweist sich nicht jeder in der Krise als wahrer Partner. Wenn man einen<br />
solchen hat, ist dies nicht hoch genug einzuschätzen. Humor sollte natürlich auch nicht