Vollständiges Gutachten vom 7. August 2013 im PDF-Format
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Deutscher Verein<br />
für öffentliche<br />
und private Fürsorge e.V.<br />
G 3/13 <strong>vom</strong> 0<strong>7.</strong>08.<strong>2013</strong><br />
Gutachterin: Sabine Gallep<br />
Maria-Teresia Münch<br />
Schein-/Selbständigkeit in der Kindertagespflege<br />
1. Die Einordnung der Tätigkeit einer Kindertagespflegeperson in eine<br />
selbständige oder unselbständige Beschäftigung erfolgt <strong>im</strong> Einzelfall, wobei<br />
alle Umstände der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit in ihrer<br />
Gesamtheit gewürdigt und abgewogen werden müssen.<br />
2. Den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe bleibt es unbenommen, das<br />
Rechtsverhältnis mit Kindetagespflegepersonen als Angestelltenverhältnis<br />
auszugestalten.<br />
0. Am 1. <strong>August</strong> <strong>2013</strong> trat der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in der<br />
Kindertagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in Kraft. 1 Da in<br />
einigen Regionen <strong>im</strong>mer noch nicht ausreichend Betreuungsplätze für die zu erwartende<br />
Inanspruchnahme zur Verfügung stehen, müssen weiterhin Betreuungsplätze geschaffen<br />
werden. 2 Mit einem Anteil von bundesdurchschnittlich 30 Prozent an den neu zu<br />
schaffenden Plätzen wird der Kindertagespflege be<strong>im</strong> Ausbau eine große Bedeutung<br />
zugemessen. 3 Allerdings beträgt der Anteil am derzeitigen Platzangebot erst die Hälfte der<br />
geplanten Zielgröße. 4 Um zunehmend Kindertagespflegepersonen zu gewinnen, sehen die<br />
Kommunen in Vereinbarungen zur näheren Ausgestaltung der Rahmenbedingungen eine<br />
Möglichkeit, die Attraktivität dieses Berufs zu steigern. Dabei besteht unter anderem die<br />
Unsicherheit, dass sich die grundsätzlich als selbständige Tätigkeit ausgestaltete<br />
Kindertagespflege gegebenenfalls in ein Arbeitnehmerverhältnis wandelt. 5 Eine daraus zu<br />
ziehende sogenannte Scheinselbständigkeit hätte gravierende steuerrechtliche,<br />
sozialversicherungsrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen. 6<br />
1 Der Anspruch kann gemäß Neufassung des § 24 Absatz 2 Satz 1 SGB VIII, der am 1.8.<strong>2013</strong> in Kraft<br />
getreten ist, geltend gemacht werden.<br />
2 Vgl. Vierten Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, BMFSFJ, April <strong>2013</strong>.<br />
3 BT-Drucks. 16/9299, S. 14.<br />
4 Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 234 <strong>vom</strong> 11.0<strong>7.</strong><strong>2013</strong>:<br />
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/<strong>2013</strong>/07/PD13_234_225pdf.pdf?__blo<br />
b=publicationFile.<br />
5 Was bleibt?! Tipps und Informationen zur Besteuerung des Einkommens für Tagespflegepersonen und die<br />
sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband<br />
e.V., 2012, 4. Auflage, S. 10; Vierter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes,<br />
BMFSFJ, April <strong>2013</strong>, S. 30.<br />
6 Fischer, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 2012, 5. Aufl., §§ 19, 38 Rn. 40; Langer, in:<br />
Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, 2012, S. 939.<br />
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1. Dem <strong>Gutachten</strong> liegt die Rechtsfrage zu Grunde, ob bei der vorliegenden vertraglichen<br />
Ausgestaltung der Tätigkeit einer Kindertagespflegeperson gemäß § 23 SGB VIII in<br />
Verbindung mit § 24 SGB VIII zwischen Kindertagespflegeperson und dem örtlichen Träger<br />
der öffentlichen Jugendhilfe von einer Scheinselbständigkeit auszugehen ist oder ob eine<br />
selbständige Tätigkeit vorliegt.<br />
2. Nach ständiger <strong>Gutachten</strong>praxis des Deutschen Vereins schließt die Erstattung von<br />
Rechtsgutachten die Beantwortung von Einzelfragen, die Bearbeitung oder Lösung der<br />
rechtlichen Probleme eines Einzelfalles sowie Hinweise zur Entscheidung von Einzelfällen<br />
aus. Nach Maßgabe dieser Grundsätze muss sich die Beantwortung einer<br />
<strong>Gutachten</strong>anfrage auf die ihr zugrunde liegenden allgemeinen rechtlichen Fragen<br />
beschränken. Es bleibt dem anfragenden Mitglied überlassen, aus dem <strong>Gutachten</strong><br />
Rückschlüsse auch für die Beantwortung von Einzelfragen zu ziehen. Danach stellt sich in<br />
der <strong>Gutachten</strong>anfrage die grundsätzliche rechtliche Frage, ob Kindertagespflegepersonen<br />
selbständig sind und wo die Grenzen zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit<br />
zu ziehen sind.<br />
3. Jedes in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Kind hat seit dem 1.8.<strong>2013</strong> gemäß §<br />
24 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 SGB VIII einen Anspruch auf Förderung mit Beginn<br />
des 2. Lebensjahres. Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe wird somit durch das<br />
Gesetz verpflichtet, ausreichend Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dabei ist es<br />
nicht entscheidend, ob diese Plätze in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege<br />
angeboten werden. 7 Bei der Kindertagespflege gemäß §§ 23, 24 SGB VIII handelt es sich<br />
um ein Dreiecksverhältnis zwischen dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw.<br />
dem Jugendamt, den Erziehungsberechtigten des zu betreuenden Kindes und der<br />
Kindertagespflegeperson.<br />
Örtlicher Träger<br />
der öffentlichen<br />
Jugendhilfe<br />
Kindertagespflegestelle<br />
Erziehungsberechtigte<br />
des zu betreuenden<br />
Kindes<br />
Zwischen Kindertagespflegeperson und Jugendamt besteht, sofern sie nicht be<strong>im</strong> örtlichen<br />
Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder einem freien Träger angestellt ist, ein öffentlichrechtliches<br />
Rechtsverhältnis durch Verwaltungsakt, öffentlich-rechtlichen Vertrag oder auf<br />
andere Weise. 8 Häufig wird eine Vereinbarung mit dem Jugendamt geschlossen, damit der<br />
7 OVG NRW Beschluss <strong>vom</strong> 14.08.<strong>2013</strong>, 12 B 793/13.<br />
8 Vgl. <strong>Gutachten</strong> des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V. <strong>vom</strong> 31. Dezember<br />
2006 <strong>im</strong> Auftrag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu Rechtsfragen der<br />
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Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot realisiert werden kann. Die<br />
Kindertagespflegeperson erhält dafür eine laufende Geldleistung, fachliche Beratung und<br />
Begleitung sowie die Qualifizierungsmaßnahmen als Gegenleistung (§ 23 Absatz 1 SGB<br />
VIII). Auf der anderen Seite schließt sie einen privatrechtlichen Betreuungsvertrag mit den<br />
Erziehungsberechtigten des zu betreuenden Kindes. Das Verhältnis zwischen<br />
Erziehungsberechtigten und Jugendamt, welches von gegenseitigen rechtlichen<br />
Ansprüchen geprägt ist, hat die Vermittlung, Prüfung der Geeignetheit der<br />
Kindertagespflegeperson, Sicherstellung des Bedarfs, Beratung und Heranziehung der<br />
Erziehungsberechtigten zu den Kosten zum Gegenstand. 9 Der <strong>Gutachten</strong>anfrage liegt das<br />
Verhältnis zwischen örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der<br />
Kindertagespflegeperson zugrunde. Das Verhältnis zwischen den Erziehungsberechtigten<br />
des zu betreuenden Kindes zur Kindertagespflegeperson sowie zum örtlichen Träger der<br />
öffentlichen Jugendhilfe wird in diesem <strong>Gutachten</strong> nicht untersucht.<br />
4. Der arbeitsrechtliche Status der Kindertagespflegeperson ist gesetzlich nicht<br />
vorgeschrieben. In der Praxis arbeiten jedoch 92 Prozent der Kindertagespflegepersonen<br />
selbständig. 10 Die Abgrenzung von selbständiger zu unselbständiger Tätigkeit ist <strong>vom</strong><br />
Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt. Die Rechtsentwicklung hat auch gezeigt, dass<br />
sich konkrete Definitionen kaum finden lassen. 11 Insbesondere <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />
vielfältige Ausgestaltung der Kindertagespflege ist eine generelle arbeitsrechtliche<br />
Einordnung als selbständige oder unselbständige Tätigkeit nicht möglich. 12 Eine<br />
arbeitsrechtliche Klarstellung durch das Kinderförderungsgesetz (Gesetz zur Förderung<br />
von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege, KiföG,<br />
2008) hat der Gesetzgeber ebenfalls nicht vorgenommen. Die damit einhergegangenen,<br />
unterschiedlichen Gesetzesänderungen bezüglich der Sozialversicherungen und der<br />
Besteuerung des Einkommens machen erkennbar, dass eine hauptberufliche selbständige<br />
Tätigkeit <strong>vom</strong> Gesetzgeber vorgesehen ist. Insbesondere wird in der Gesetzesbegründung<br />
ausdrücklich erwähnt, dass die Kindertagespflegeperson aus ihrer Tätigkeit heraus nicht<br />
der Krankenversicherungspflicht <strong>im</strong> Sinne eines Angestelltenverhältnisses unterliegt. 13 In<br />
der Gesetzesbegründung wird ebenfalls betont, dass die Kindertagespflegepersonen in<br />
ihrer Absicherung angestellten Arbeitnehmer/innen angenähert werden sollen. Da der<br />
Gesetzgeber gesetzlich die arbeitnehmerähnlichen Rechte (Sozialversicherungen,<br />
Besteuerung) festschreibt, wird deutlich, dass der Gestaltungsspielraum für eine<br />
selbständige und unselbständige Tätigkeit weiterhin bestehen bleibt und somit keine<br />
grundsätzliche arbeitsrechtliche Wertung geändert werden sollte. 14<br />
5. Um die Einordnung in eine selbständige oder unselbständige Tätigkeit zu erleichtern,<br />
können vereinzelt Hinweise aus verschiedenen Gesetzen herangezogen werden. § 84<br />
Absatz 1 Satz 2 HGB und § 7 Absatz 1 SGB IV bieten zur Abgrenzung einige<br />
Anhaltspunkte. Gemäß § 84 Absatz 1 Satz 2 HGB ist selbständig, wer <strong>im</strong> Wesentlichen frei<br />
Finanzierung von Kindertagespflege aus öffentlicher Hand – unter Einbeziehung arbeits-, steuer- und<br />
versicherungsrechtlicher Faktoren, S. 53.<br />
9 Vgl. auch Überarbeitete Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur<br />
Ausgestaltung der Kindertagespflege nach den §§ 22, 23, 24 SGB VIII, NDV 2005, 479 ff. (428).<br />
10 Vierter Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes, BMFSFJ, April <strong>2013</strong>, S. 30.<br />
11 Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, <strong>2013</strong>, 13. Auflage, § 230, Rn. 35.<br />
12 Struck, in: Wiesner SGB VIII Kommentar, 2011, 4. Auflage, § 23, Rn. 42.<br />
13 BT-Drucks. 16/9299, S. 14.<br />
14 BT-Drucks. 16/9299, S. 15; vgl. auch JAmt 2009, 126 f. Neue arbeitsrechtliche Einordnung der<br />
Kindertagespflege nach dem KiföG?, § 23 Abs. 2 SGB VIII, § 18 Abs. 1 EStG, DIJuF-Rechtsgutachten<br />
24.2.009.<br />
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seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit best<strong>im</strong>men kann. In dieser<br />
handelsrechtlichen Abgrenzung zwischen selbständigem Handelsvertreter und abhängig<br />
beschäftigten kaufmännischen Angestellten ist über den direkten Anwendungsbereich<br />
hinweg eine allgemeine gesetzgeberische Wertung anzuerkennen. 15 § 7 Absatz 1 SGB IV<br />
gibt ebenfalls Hinweise auf die Unterscheidung zwischen abhängiger Beschäftigung und<br />
Selbständigkeit: „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem<br />
Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach<br />
Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Diese<br />
Anhaltspunkte zugrunde gelegt, setzt nach ständiger Rechtsprechung eine unselbständige<br />
Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers <strong>vom</strong> Arbeitgeber voraus.<br />
Arbeitnehmer ist demnach, wer aufgrund eines Vertrages <strong>im</strong> Dienste eines anderen zur<br />
Leistung weisungsgebundener, fremdbest<strong>im</strong>mter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit<br />
verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der<br />
Tätigkeit betreffen. 16 Eine selbständige Tätigkeit hingegen ist überwiegend durch das<br />
eigene Unternehmerrisiko 17 , das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die<br />
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die <strong>im</strong> Wesentlichen frei gestaltete<br />
Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. 18 Darüber hinaus können Kriterien der<br />
wirtschaftlichen Unabhängigkeit ergänzend herangezogen werden. 19 Wie das<br />
Vertragsverhältnis einzuordnen ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Dabei<br />
sind alle Umstände des Falls in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu<br />
würdigen. Die Vertragstypenwahl ist bei der Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen<br />
und nicht gänzlich bedeutungslos. Maßgebend ist aber stets das Gesamtbild der<br />
Arbeitsleistung. 20 Ob es sich um ein Arbeitsverhältnis oder um eine selbständige Tätigkeit<br />
handelt, ist somit <strong>im</strong> Einzelfall nach den tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Der<br />
jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt und der tatsächlichen<br />
Durchführung, unabhängig von der formalvertraglichen Ausgestaltung. 21<br />
6. In dem <strong>Gutachten</strong> können zur Beurteilung, ob eine selbständige oder unselbständige<br />
Tätigkeit vorliegt, lediglich die formalen Kriterien, die in der Regel in den Vereinbarungen<br />
zwischen Kindertagespflegeperson und örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Inhalt<br />
sind, herangezogen werden. Grundsätzlich spricht für eine selbständige Tätigkeit, dass<br />
<strong>vom</strong> Gesetzgeber diese Form für die Kindertagespflege vorgesehen ist. 22 Entscheidend ist<br />
dann jedoch neben den formalen Vereinbarungen die tatsächliche Ausgestaltung.<br />
Ausgehend von den Formalien sprechen folgende Gesichtspunkte für eine selbständige<br />
Tätigkeit: Die Kindertagespflegeperson hat in der Regel keinen zugewiesenen<br />
Arbeitsplatz, sondern üblicherweise eine eigene Betriebsstätte (ihre private Wohnung).<br />
Die Tatsache, dass dieser Ort der Kontrolle des Jugendamts <strong>im</strong> Rahmen der Prüfung der<br />
Geeignetheit für die Pflegeerlaubnis gemäß § 43 SGB VIII unterliegt, bedeutet nicht, dass<br />
15 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, S. 937; BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 5<br />
AZR 644/98, NZA 2000, S. 1102 ff. (1104).<br />
16 BAG, Urt. v. 19.1.2000 – 5 AZR 644/98, NZA 2000, S. 1102 ff. (1103); BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR<br />
1037/06, NZA 2008, S. 878 ff. (879).<br />
17 Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, <strong>2013</strong>, 13. Auflage, § 230, Rn. 55.<br />
18 Struck, in: Wiesner, SGB VIII Kommentar, 2011, 4. Auflage, § 23, Rn. 42 ff.<br />
19 BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR 1037/06, NZA 2008, S. 878 ff. (879).<br />
20 SG Berlin, Urt. v. 26.10.2012, S 81 KR 2081/10, AuR <strong>2013</strong>, S. 92 ff. (92); BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR<br />
332/09, NZA 2010, S. 877 ff. (879).<br />
21 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, S. 938; Preis, in: Erfurter<br />
Kommentar zum Arbeitsrecht, <strong>2013</strong>, 13. Auflage, § 230, Rn. 47; Hergenröder, in: Henssler/Willemsen/Kalb,<br />
Arbeitsrecht Kommentar, 5. Aufl., Art. 12 GG, Rn. 7<strong>7.</strong><br />
22 BT-Drucks. 16/9299.<br />
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die Kindertagespflegeperson umfassend den Weisungen der Behörde unterworfen ist.<br />
Vielmehr stellt die Pflegeerlaubnis gemäß § 43 SGB VIII die Voraussetzung für die<br />
Tagespflegetätigkeit dar. 23 Dies verbindet den Auftrag des Staates, Kinderbetreuung<br />
öffentlich sicherzustellen und das Wohl eines außerhalb der Familie betreuten Kindes<br />
besonders staatlich zu schützen. 24 Ähnliche Konstellationen kann man in anderen<br />
selbständigen Tätigkeitsfeldern finden. So haben zum Beispiel auch die Betreiber von<br />
Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder Gaststättengewerben Erlaubnisse einzuholen,<br />
die die Örtlichkeit bei der Prüfung mit einbeziehen. Eine weitgehende Weisungsfreiheit<br />
setzt somit nicht das Fehlen jeglicher Kontrolle voraus. 25 Darüber hinaus ist die<br />
Kindertagespflegeperson räumlich nicht an die eine Betriebsstätte gebunden. Sie kann<br />
Ausflüge mit den Kindern unternehmen, sich außerhalb eines Gebäudes (z.B. auf dem<br />
Spielplatz) oder in den Räumen der Kindertagespflegestelle aufhalten. Dabei muss sie<br />
weder Rücksprache halten noch eine Erlaubnis einholen. Vor allem aber ist die<br />
Kindertagespflegeperson nicht in den Betrieb des örtlichen Trägers der öffentlichen<br />
Jugendhilfe eingegliedert. Sie ist weder verpflichtet sonstige Arbeiten auszuüben, wie zum<br />
Beispiel Angestellte, noch gibt es abzust<strong>im</strong>mende Ordnungsgefüge bei der<br />
Kindertagespflege, Dienstpläne oder Vorgaben wie zum Beispiel eine Kleiderordnung.<br />
Zudem gibt es in der Regel keine zugewiesenen Arbeitszeiten. Zwar werden häufig<br />
Kernbetreuungszeiten in den Vereinbarungen zwischen Kindertagespflegeperson und<br />
Jugendamt vorgegeben. Diese werden jedoch überwiegend <strong>im</strong> Betreuungsvertrag mit den<br />
Erziehungsberechtigten der Kinder individuell ausgestaltet und vereinbart. Die<br />
Kindertagespflegeperson erarbeitet darüber hinaus in der Regel ein eigenes Konzept<br />
pädagogischer und strukturell-wirtschaftlicher Art, welches die Grundlage ihrer Tätigkeit<br />
bildet. Das pädagogische Konzept unterliegt teilweise <strong>im</strong> Rahmen der Erlaubniserteilung<br />
gemäß § 43 SGB VIII und der Gesamtverantwortung gemäß § 79 SGB VIII zwar ebenfalls<br />
der Kontrolle des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe und der Eltern der zu<br />
betreuenden Kinder. Es wird jedoch nicht die Anwendung eines best<strong>im</strong>mten Konzeptes<br />
vorgegeben. Bei der Ausübung und Durchführung haben weder die Eltern noch das<br />
Jugendamt ein Weisungsrecht über konkrete Handlungen. Es handelt sich vielmehr um<br />
eine nach eigenen Vorstellungen ausgestaltbare Bildungs-, Erziehungs-, und<br />
Betreuungsarbeit. Dies wird auch aus den §§ 23, 43 SGB VIII deutlich, nach denen die<br />
Geeignetheit der Kindertagespflegeperson neben der Verfügbarkeit von kindgerechten<br />
Räumen aufgrund der Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft<br />
bewertet wird. Die Kindertagespflegeperson kann darüber hinaus die Kinder und bedingt<br />
auch die Anzahl (begrenzt durch Angaben in amtlicher Erlaubnis gemäß § 43 SGB VIII) der<br />
Kinder, die sie betreut, auswählen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da die<br />
Betreuung in der Kindertagespflege sehr individuell ausgestaltet ist und die gegenseitige<br />
Akzeptanz voraussetzt. Sie kann grundsätzlich über die Vermittlung durch das Jugendamt<br />
hinaus auf dem Markt auftreten und Betreuungsverhältnisse eingehen. Sie ist zur eigenen<br />
Werbung zum Auftreten auf dem Markt berechtigt. Problematisch wird es in den Fällen, in<br />
denen gebietsfremde Kinder vertraglich nicht von der Kindertagespflegeperson betreut<br />
werden dürfen. Auch wenn die Auswahl der Kinder aus dem „Pool“ der gebietsinternen<br />
Kinder noch von der Kindertagespflegeperson vorgenommen wird, so wird die Tätigkeit<br />
über die Zusammenarbeit mit dem örtlichen Träger hinaus eingeschränkt. Dies gilt unter<br />
Umständen auch für eine privat vermittelte Betreuung. In diesen Fällen ist neben der<br />
zunehmenden Weisungsgebundenheit zu bedenken, dass in den Landesgesetzen das<br />
23 BSG, Urt. v. 1<strong>7.</strong>2.1998 – B 2 U 3/97 R, NJW 1998, 3141 ff. (3142).<br />
24 Mörsberger, in: Wiesner, SGB VIII Kommentar, 2011, 4. Auflage, vor § 43 Rn. 9, 13, 15, 24.<br />
25 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, 2012, S. 938.<br />
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Wunsch- und Wahlrecht über die kommunalen Gebietsgrenzen hinaus<br />
Kindertagespflegepersonen zu wählen gewährleistet wird. 26 Dies wird je nach<br />
Ausgestaltung zu einer rechtswidrigen Vereinbarung führen. Sofern die Vereinbarung eine<br />
vorrangige Auswahl der Kinder aus der Kommune vorsieht, wird die Rechtmäßigkeit<br />
gegeben sein. Jedoch wird damit ein starkes Indiz für eine weisungsgebundene und somit<br />
unselbständige Tätigkeit gesetzt. Des Weiteren werden die Betriebsausgaben wie zum<br />
Beispiel Hausnebenkosten zwar nur teilweise von der Kindertagespflegeperson getragen,<br />
da sie <strong>vom</strong> Jugendamt gemäß § 23 Absatz 2 Nr. 1 SGB VIII eine sogenannte laufende<br />
Geldleistung erhält, in der ein Betrag für den Sachaufwand enthalten ist.<br />
Verpflegungskosten werden von den Erziehungsberechtigten ersetzt. Die<br />
Kindertagespflegeperson trägt aber grundsätzlich das alleinige Unternehmerrisiko. Die<br />
Erziehungsberechtigten der zu betreuenden Kinder können die Betreuungsverträge<br />
kündigen, wenn sie mit der Betreuung nicht zufrieden sind, örtliche Veränderungen<br />
gewünscht sind oder sonstige Gründe vorliegen. Die Vereinbarung der<br />
Kindertagespflegeperson mit dem Jugendamt ist auch nicht zeitlich unbegrenzt<br />
geschlossen, sondern in der Regel für ein Jahr. Der grundsätzliche Erlaubnisvorbehalt<br />
der Tätigkeit gemäß § 43 SGB VIII spricht ebenfalls für eine selbständige Tätigkeit. Mit der<br />
Erlaubnis kann die Tätigkeit nach eigenen Vorstellungen innerhalb der durch die Erlaubnis<br />
gesetzten grundsätzlichen Grenzen am Markt angeboten und durchgeführt werden. Eine<br />
monatliche oder vierteljährliche Abrechnung der Tätigkeit dem örtlichen Träger der<br />
öffentlichen Jugendhilfe gegenüber ist ebenfalls ein Indiz für eine Selbständigkeit.<br />
<strong>7.</strong> Für eine unselbständige Tätigkeit, also die Begründung einer Scheinselbständigkeit,<br />
spricht, dass die Kindertagespflegeperson in der Regel nur für einen Auftraggeber tätig<br />
ist. Es gibt neben dem Vertag mit dem Jugendamt auch die Betreuungsverträge mit den<br />
Eltern, die in der Regel jedoch an den Vertrag mit dem Jugendamt geknüpft sind.<br />
Allerdings besteht überwiegend die Möglichkeit, unabhängig von der Vermittlung durch das<br />
Jugendamt, Betreuungsverhältnisse einzugehen. Ebenfalls für eine weisungsgebundene<br />
Tätigkeit spricht, dass das Entgelt für die Tätigkeit vorgegeben ist. Die Vergütung nach<br />
Betreuungsstunden, wie sie in der Regel vereinbart wird, entspricht eher einem<br />
Arbeitsentgelt als einer Vergütung für eine selbständige Tätigkeit. 27 Der kommunale Anteil<br />
der Geldleistung für die Kindertagespflegeperson ist fest vorgeschrieben. Die Beiträge der<br />
Eltern an den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind ebenfalls tabellarisch<br />
berechenbar. Darüber hinaus können Kindertagespflegepersonen aber einzelne<br />
zusätzliche Beträge mit den Erziehungsberechtigten individuell aushandeln, was wiederum<br />
eher für eine selbständige Tätigkeit spricht. Dadurch können unter Umständen<br />
Schwierigkeiten bei den bereitzustellenden Betreuungsplätzen entstehen, da eine<br />
ausreichende Anzahl qualifizierter Kindertagespflegepersonen durch den Träger der<br />
öffentlichen Jugendhilfe vorzuhalten ist, die kein zusätzliches Betreuungsgeld erheben. 28<br />
Den Kommunen bleibt es dessen ungeachtet unbenommen, das Rechtsverhältnis mit<br />
Kindertagespflegepersonen als Angestelltenverhältnis auszugestalten, womit auch dieser<br />
Problematik begegnet werden könnte. Außerdem ist zu erwähnen, dass die vertragliche<br />
Beziehung zwischen örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der<br />
26 Vgl. z.B. § 4 SächsKitaG.<br />
27 BSG, Urt. v. 1<strong>7.</strong>2.1998 – B 2 U 3/97 R, NJW, 3141 ff. (3142).<br />
28 Vgl. auch Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) e.V. <strong>vom</strong><br />
25.02.<strong>2013</strong> zur Zulässigkeit der Untersagung der Erhebung von Kostenbeiträgen durch<br />
Kindertagespflegepersonen neben der öffentlich-rechtlichen Kostenbeteiligung des Trägers der öffentlichen<br />
Jugendhilfe, S. 4.<br />
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Kindertagespflegeperson grundsätzlich auf Dauer angelegt ist. In den Verträgen sind in der<br />
Regel Jahresfristen enthalten, jedoch mit einer automatischen Verlängerung. Dies spricht<br />
für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation und eine Scheinselbständigkeit. Der<br />
Umstand, dass die gleiche Arbeit auch Personen in Angestelltenverhältnissen mit<br />
öffentlichen und freien Trägern ausüben, spricht auch dafür, dass diese Tätigkeit in<br />
Scheinselbständigkeit münden könnte. Es steht den Kommunen frei,<br />
Kindertagespflegepersonen <strong>im</strong> Angestelltenverhältnis zu beschäftigen. Neben den<br />
sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Änderungen durch das KiföG, die die<br />
Kindertagespflegeperson einer/m angestellten Arbeitnehmer/in annähern, gibt es oftmals<br />
Regelungen über Urlaubsansprüche, bezahlte Krankentage und Fortbildungstage, um den<br />
Kindertagespflegepersonen entgegenzukommen. Mit der Fortbildung kann die Qualität, die<br />
gesetzlich vorgeschrieben ist, gesichert werden. Bezahlte Krankentage und<br />
Urlaubsansprüche hingegen sind klare arbeitnehmerrechtliche Ansprüche, die <strong>im</strong><br />
Gegensatz zu Unfallversicherungs-, Alterssicherungs- oder Kranken- und<br />
Pflegeversicherungsbeiträgen auch nicht gesondert für Kindertagespflegepersonen<br />
gesetzlich vorgeschrieben sind. Somit spricht die Gewährung solcher Leistungen durch die<br />
örtlichen Träger für eine angestellte Tätigkeit, es sei denn, es steht der<br />
Kindertagespflegeperson frei, nach eigenem Belieben Urlaub zu nehmen. 29 Dies wird in der<br />
Regel nicht der Fall sein, da die Erziehungsberechtigten die Betreuung in die<br />
Jahresplanung mit einbeziehen müssen. Allerdings kann <strong>im</strong> Rahmen der Privatautonomie<br />
der Vertragsparteien die Geltung arbeitsrechtlicher Ansprüche der<br />
Kindertagespflegeperson gewährt werden, solange sie nicht den §§ 138, 242 BGB<br />
widersprechen. 30 Ferner werden häufig in den Vereinbarungen Meldepflichten an das<br />
Jugendamt vorgegeben, wie zum Beispiel über Personalien der Kinder oder wenn Kinder<br />
unentschuldigt fehlen. Eine Anzeigepflicht bei Änderung der Konzeption, Anzahl der Kinder<br />
etc. und Berichtspflicht vermag jedoch die selbstbest<strong>im</strong>mte Gestaltung der Tätigkeit an sich<br />
nicht zu beeinträchtigen. 31<br />
8. Nach alledem überwiegen für die in der Regel bestehenden Vereinbarungen die für eine<br />
Selbständigkeit sprechenden Umstände, wenn auch nicht eindeutig. Dabei ist nicht die<br />
Quantität der Argumente entscheidend. Ausschlaggebend sind die überwiegend<br />
weisungsfreie Tätigkeit bezüglich des Ortes, der Ausgestaltung der Arbeit und die<br />
Übernahme des unternehmerischen Risikos. Der besondere Charakter der<br />
Kindertagespflege, Kinder nach eigenem Konzept zu bilden, zu erziehen und zu betreuen,<br />
wiegt dabei besonders schwer. Mit zunehmender arbeitnehmerähnlicher Ausgestaltung der<br />
Vereinbarung zwischen Kindertagespflegeperson und örtlichem Träger der öffentlichen<br />
Jugendhilfe (zum Beispiel Gewährung von bezahltem Urlaub oder bezahlten<br />
Krankheitstagen, Verpflichtung zu einem konkreten pädagogischem Konzept, territoriale<br />
Einschränkungen, Verbot der Erhebung von Zusatzbeiträgen bei den Eltern) nähert sich<br />
jedoch die Tätigkeit einer weisungsabhängigen unselbständigen Beschäftigung. Dies trägt<br />
grundsätzlich dem Bedürfnis von Kindertagespflegepersonen Rechnung, in einer<br />
Arbeitnehmereigenschaft tätig zu sein. 32 Um weiterhin die Selbständigkeit zu erhalten,<br />
sollte zunehmend darauf geachtet werden, dass die tatsächliche freie Gestaltung der<br />
29 Langer, in: Grobys/Panzer-Heemeier, Arbeitsrecht Stichwortkommentar, 2012, S. 939.<br />
30 Vgl. auch <strong>Gutachten</strong> des DIJuF <strong>vom</strong> 31. Dezember 2006 <strong>im</strong> Auftrag des Deutschen Vereins für öffentliche<br />
und private Fürsorge e.V. zu Rechtsfragen der Finanzierung von Kindertagespflege aus öffentlicher Hand –<br />
unter Einbeziehung arbeits-, steuer- und versicherungsrechtlicher Faktoren, S. 56.<br />
31 Vgl. BAG, Urt. v. 9.6.2010 – 5 AZR 332/09, NZA 2010, 877 ff. (879).<br />
32 Sell/Kukula, Leistungsorientierte Vergütung in der Kindertagespflege, Instituts für Bildungs- und<br />
Sozialpolitik der Hochschule Koblenz (Hrsg.) <strong>im</strong> Auftrag des Bundesverbands für Kindertagespflege, S. 6.<br />
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Tätigkeit gewahrt bleibt. Wie bereits eingangs erwähnt, ist nicht die vertragliche<br />
Ausgestaltung oder die Vorstellung des Gesetzgebers für die Einordnung in eine<br />
selbständige oder unselbständige Tätigkeit entscheidend, sondern die tatsächliche<br />
Ausgestaltung, die <strong>im</strong> Einzelfall differenziert zu prüfen ist.<br />
Im Auftrag<br />
gez. Sabine Gallep<br />
gez. Maria-Theresia Münch<br />
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