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Lesen - Golf Dornseif

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General Pershing war 1917 kein Raketenkrieger<br />

von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />

Als die Vereinigten Staaten von Amerika sich im April 1917 nach langem Zögern zum<br />

Kriegseintritt gegen Deutschland entschlossen, konnte Präsident Woodrow Wilson<br />

keinen besseren Haudegen als General John Pershing entdecken, um ihn mit der<br />

Führung der American Expeditionary Force (AEF) auf den französischen Schlachtfeldern<br />

zu beauftragen.<br />

Pershing zählte damals bereits 57 Jahre, ein Kavallerist der alten Schule, aber die übrige<br />

verfügbare Generalität der USA war nahezu pensionsreif oder kränklich, zumindest in<br />

keiner guten Verfassung zum wagemutigen Einsatz in Europa.<br />

Das in grosser Eile aufgestellte Expeditionskorps, überwiegend aus den missmutig<br />

rekrutierten „Opfern der plötzlich verkündeten Allgemeinen Wehrpflicht“ formiert, erwies<br />

sich alsbald untauglich im weitesten Sinn des Wortes.<br />

In seinen offenherzigen Memoiren beschreibt Pershing „eine Heerschar undisziplinierter<br />

Chaoten und Befehlsverweigerer, nicht im geringsten ideologisch am Kampf gegen die<br />

„Sauerkrautfresser“ interessiert und voller Missachtung gegenüber den „alliierten<br />

Froschmännern“ der Grand Cuisine ...<br />

Tatsächlich drückten sich die Amerikaner, kaum ausgebildet ohne qualifiziertes<br />

Offizierskorps, fast ein Jahr lang vor jeglichem Fronteinsatz bis 1918. Verzweifelt wollte<br />

General Pershing seiner Chaos Truppe Disziplin beibringen und den ebenfalls<br />

missglückten Nachschub koordinieren. Alles vergeblich ...<br />

Nachdem sich Präsident Wilson für Pershings Einsatz in Europa entschieden hatte, mussten<br />

umfangreiche Vorbereitungen zur Verwirklichung des Projekts getroffen werden, teilweise etwas<br />

pedantischer Natur. Senator Warren schickte ein Telegramm nach Fort Sam Houston, Texas, wo<br />

Pershings Hauptquartier residierte, mit folgendem Wortlaut: „Telegraphieren Sie mir sofort, ob Sie und<br />

wie gut Französisch beherrschen, also sprechen, lesen und schreiben können“.<br />

Der General konnte mit (halbwegs) gutem Gewissen antworten, dass er bereits vor 30 Jahren an der<br />

Militär-Akademie West Point Unterricht in der französischen Sprache geniessen durfte und dass er<br />

1908 mit seiner Frau eine längere Reise durch Frankreich zur Auffrischung seiner Sprachkenntnisse<br />

unternommen hatte.<br />

1


Das Antwort-Telegramm lautete, ein wenig frisiert: „Verbrachte 1908 mehrere Monate in Frankreich<br />

mit Sprachstudien. Spreche fast fliessend Französisch, kein Problem mit <strong>Lesen</strong> und Schreiben.<br />

Poliere mein Wissen jetzt neu auf!“.<br />

Unterdessen äusserte Pershing den Wunsch, die Infanterie-Regimenter 16, 18, 26 und 28 nach<br />

Frankreich mitnehmen zu dürfen sowie die Sechste Feld-Artillerie. Später sollte ergänzt werden mit<br />

der 5 th sowie 7 th Field Artillery und Versorgungseinheiten. Künftige Bezeichnung: First Division.<br />

Zur gleichen Zeit äusserten die britischen und französischen Alliierten selbstherrlich den Wunsch,<br />

amerikanische Truppen in ihre eigenen Regimenter aufzunehmen unter einem britischen bzw.<br />

französischem Kommando, sodass man „eigentlich kein Amerikanisches Expeditionskorps benötige“.<br />

Prompt fühlten sich die Yankees vor den Kopf gestossen und lehnten schroff ab.<br />

Pershing erkannte scharfsinnig, dass sowohl die französischen als auch die britischen<br />

Oberbefehlshaber an der Westfront während der ersten Kriegsjahre „keine grossen Heldentaten“<br />

zustande gebracht hatten, was er auf mangelhafte Führungsqualitäten zurückführte. Angesichts<br />

derartiger Zustände war ein amerikanisches Oberkommando mit amerikanischen Truppen<br />

unverzichtbar, um die Deutschen zu schlagen.<br />

Als Secretary (Minister) Baker eines Morgens im War Department auftauchte, entdeckte er im<br />

Erdgeschoss zahllose Kisten gestapelt, die sage und schreibe 12.000 fabrikneue Schreibmaschinen<br />

enthielten. Brigadier General Henry P. McCain hatte sie in seiner Eigenschaft als Adjutant General<br />

übereifrig „gehamstert“.<br />

Verdutzt fragte der Minister:· "Wollen wir die Deutschen jetzt mit Geheimwaffen besiegen, die<br />

äusserlich wie Schreibmaschinen ausschauen sollen?"<br />

General Pershing mit alliierten Stabsoffizieren in Paris<br />

2


Der General erwiderte strahlend: „Gewissermassen ja, Secretary Baker! Ein moderner Krieg erfordert<br />

sehr viel Verwaltungsarbeit und ich habe deshalb alle verfügbaren neuwertigen Schreibmaschinen<br />

sämtlicher Hersteller landesweit vorsorglich aufgekauft. Falls Schreibmaschinen knapp werden<br />

sollten, gewinnen womöglich die Deutschen die Oberhand!“<br />

Geduldig versucht der Minister dem Schreibtischhelden klar zu machen, dass er eine Menge<br />

Schreibmaschinen der Navy und sonstigen Truppen abgeben müsse und nicht alles für sich behalten<br />

dürfe. Murrend fügte sich der General dieser Anordnung.<br />

Die durch diesen Vorfall offenbarte „Geisteshaltung“ im Generalstab war typisch für die<br />

bürokratisierten Zustände der alten Herren, weltfremd und eigenbrödlerisch orientiert in ihren<br />

wuchtigen Ledersesseln fern jedes Kriegsschauplatzes.<br />

Das Vereinigte Königreich Grossbritannien zog in den Ersten Weltkrieg mit 232 Generalstäblern,<br />

Deutschland hatte 650 und die Amerikaner begnügten sich mit bescheidenen 41 klugen Köpfen. In<br />

Washington hockten aber lediglich 19, die zu etwas zu gebrauchen waren. George C. Marshall Junior<br />

äusserte sich sarkastisch nach Kriegsende: „Damals bestand unser Generalstab aus den. Bewohnern<br />

eines militärischen Altenpflegeheims, meistens geistig abwesend“.<br />

Als am 18. Mai 1917 die Allgemeine Wehrpflicht selektiv in den USA verkündet wurde, gab Secretary<br />

Baker bekannt, dass ein Expeditionskorps in Divisionsstärke sich nach Frankreich einschiffen würde.<br />

Zunächst sollte ein Vorauskommando mit General Pershing und 191 Offizieren in See stechen, die<br />

Lage in Europa sondieren und an Bord des Ozeandampfers BALTIC ab New York die Reise antreten.<br />

Unterwegs wollten die Offiziere folgende Fragen diskutieren:<br />

Wieviele Mannschaften und Offiziere sollte das Expeditionskorps zählen?<br />

Woher nehmen wir genügend Schiffe als Truppentransporter?<br />

Wie könnte man das Hauptquartier in Frankreich organisieren?<br />

Wo sollten die eigenen Truppen in der Etappe untergebracht werden?<br />

Wo sollte das Zentrum für den Nachschub eingerichtet werden?<br />

Sollte man eigene Truppenteile den Alliierten versuchsweise zuteilen?<br />

In welchem Sektor dürften die Amerikaner vorzugsweise kämpfen?<br />

Könnten deutsche Vorstösse die amerikanische Planung ernsthaft hindern?<br />

Ab wann müssten amerikanische Einheiten einsatzfähig sein?<br />

Markiert mit dem Balkenkreuz:<br />

Die Bundeswehr begrüsst 1980 amerikanische Pershing Raketen<br />

3


Zur gleichen Zeit tobten sich die Bürokraten in Washington, D.C. fantasievoll aus, wie folgendes<br />

Beispiel demonstriert: Lieutenant Colonel Amos A. Fries, Chef des Beschaffungsamtes, bestellte<br />

40.000 Blätter Schreibpapier, musste aber den wahnwitzigen Auftrag rechtzeitig zurückziehen. Diese<br />

Menge hätte einen Bedarf von mehr als zwei Jahren gedeckt, vorsichtig geschätzt. Später orderte<br />

Fries trotzdem riesige Mengen Büromaterial, ohne um Erlaubnis zu fragen, und niemand wagte zu<br />

bremsen.<br />

An Bord der BALTIC befand sich neben den hohen Offizieren auch ein Stabsarzt als Berater für<br />

Hygiene-Probleme. Pershing war arg besorgt, seine Soldaten könnten sich in Frankreich mit<br />

Geschlechtskrankheiten in Bordellen infizieren. Dr. Young wusste zu berichten, dass sich britische<br />

Prostituierte in Scharen nach Frankreich eingeschifft hätten, um den englischen Frontkämpfern<br />

gefällig zu sein, da die Männer über reichlich Sold verfügten.<br />

Nach einigen Überlegungen kabelte der General nach Washington, dass die amerikanischen Soldaten<br />

nur einen Teil ihres Solds in Frankreich ausbezahlt bekommen sollten, während der grössere Anteil<br />

auf Sparbüchern blockiert werden müsste. Mit geringem Sold in Frontnähe könnte man den Männern<br />

dann Bordellbesuche verleiden.<br />

Am 8. Juni 1917 erreichte die BALTIC das Dock in Liverpool, ohne von deutschen Unterseebooten<br />

torpediert worden zu sein. Während der Überfahrt wurden 15 britische Frachter versenkt nahe der<br />

britischen Küste. Mit einem Sonderzug ging die Fahrt von Liverpool weiter nach London. König Georg<br />

V. empfing die sehnsüchtig erwarteten Yankees im Buckingham Palace.<br />

Pershing präsentiert voller Stolz seinen Sohn Warren<br />

4


„The Yankees are Coming!“ - Das war am 26. Juni 1917<br />

Die Männer trugen lieber Cowboyhüte statt Stahlhelme im Krieg<br />

5


Juni 1917: Ankunft in France<br />

Am 13. Juni 1917 um vier Uhr morgens schifften sich die Amerikaner auf der Kanalfähre INVICTA ein<br />

und erreichten gegen 10 Uhr Boulogne. Eine Blaskapelle intonierte unermüdlich THE STAR-<br />

SPANGLED BANNER bis zum Überdruss, danach die MARSEILLAISE. Ein gutes Dutzend<br />

Würdenträger kamen an Bord, um ihre unverständlichen Grussadressen loszuwerden. Ein<br />

grossartiger Empfang in Paris stand später auf dem Programm und Pershing wurde immer<br />

ungeduldiger und verdrossener. Gegen 18 Uhr fuhr der Sonderzug im Gare du Nord ein.<br />

Das kriegsmüde Volk jubelte lauthals, sah man doch die Rettung vor den Deutschen jetzt zum Greifen<br />

nahe dank der Amerikaner. Amerikanische Truppen liessen jedoch noch auf sich warten, denn ein<br />

„General ohne Armee“ (und sonst niemand) war gerade eingetroffen und grüsste vom Balkon.<br />

Den Amerikanern teilte man die Lothringer Front zu<br />

6


In der deutschen Presse konnte man nachlesen: „In Paris ist ein amerikanischer General namens<br />

Pershing eingetroffen, aber zu seinem Reisegepäck gehörte keine Armee. Trotzdem absolvierte er<br />

einen Triumphmarsch, was auch sonst noch?“ Der britische Militärkritiker Liddell Hart kommentierte in<br />

einer Londoner Zeitung bitter: „Die Amerikaner muss man sich vorstellen wie einen Riesen im<br />

Märchenland, der mit dem Federmesser in der Luft herum fuchtelt“.<br />

Den Franzosen war das Lachen längst in der Kehle stecken geblieben. 35 Monate Krieg und zwei<br />

Millionen Verluste verzeichnete die Bilanz im Juni 1917. Einige französische Truppenteile begannen<br />

zu meutern. Erschiessungen fanden statt. Der unfähige General Robert Nivelle hatte im April sinnlos<br />

120.000 Soldaten geopfert und behauptet, er könne die Deutschen „innerhalb 24 bis 48 Stunden<br />

vernichtend schlagen“. Das Gegenteil war der Fall.<br />

Nur noch zwei Divisionen der Franzosen galten als „zuverlässig“. Gemeutert wurde in 16 Armeekorps.<br />

Als Pershing in Frankreich eintraf, waren die Meutereien noch in vollem Gang und der Amerikaner<br />

beriet mit General Pétain ausführlich die prekäre Situation. Am 16.Juni begegnete Pershing seinem<br />

Waffenbruder Pétain in dessen Hauptquartier bei Compiégne und beide verstanden einander auf<br />

Anhieb.<br />

General Pershing verdankte einem amerikanischen Millionär, der in Frankreich lebte, vor allem das<br />

Vergnügen, während seines Aufenthalts kostenlos eine grossartige Villa mit 40 Zimmern in der Rue de<br />

Varenne 73 zu Paris bewohnen zu dürfen. Das Gebäude stammte aus der Zeit von Louis XIV. und war<br />

von einem wundervollen Park umgeben. Dort zog Pershing am 26. Juni mit seinem ganzen Stab und<br />

genügend Personal ein. Alle übrigen Offiziere mussten sich auf eigene Kosten private Quartiere in der<br />

Hauptstadt besorgen.<br />

Ein historisches Schloss diente Pershing als Hauptquartier<br />

7


Zum Pariser Hauptquartier zählten ausserdem einige Bürohäuser in der Rue de Constantine 27 bis<br />

31. Die Amerikaner standen ziemlich hilflos ihrer fremden Umgebung gegenüber, sprachen kein Wort<br />

Französisch und sollten sich jetzt im Handumdrehen an eigenartige Gepflogenheiten des Gastlandes<br />

gewöhnen, ohne dabei unangenehm aufzufallen.<br />

Zahllose organisatorische Probleme harrten der Lösung bzw. mussten rasch entschieden werden im<br />

Sommer 1917:<br />

Welche Häfen brauchte man zur Landung des Nachschubs?<br />

Wo wollte das Expeditionskorps Lagerhallen in genügender Zahl aufbauen?<br />

Wieviel Bauholz konnten die Franzosen erübrigen?<br />

Mussten die Amerikaner alles allein bewerkstelligen oder helfen Franzosen beim Bauprogramm?<br />

Wieviele neue Bahnstrecken sollten für den Nachschub an die Front sofort verlegt werden?<br />

Wieviele und welche Zugpferde bzw. Maultiere benötigte man ausserdem?<br />

War es möglich, innerhalb Europas Schusswaffen, Munition usw. zu kaufen?<br />

Welcher Bedarf konnte nur aus den USA besorgt werden?<br />

Wieviele Transportschiffe mussten laufend verfügbar sein?<br />

Sämtliche „Vorgänge“ sollten auf dem Schreibtisch Pershings erledigt werden, weil der General sich<br />

starrsinnig weigerte zu delegieren und alles persönlich im Auge behalten wollte. Zum Kriegführen fand<br />

er zunächst keine Zeit!<br />

Der General wollte ökonomisch, militärisch und politisch etwas Sinnvolles auf die Beine stellen: das<br />

zählte zu seinem Ehrgeiz fern der Heimat. Während des ersten Monats Aufenthalt in Frankreich bat<br />

Pershing das War Department in Washington, D.C. dringend, keinem Offizier zu gestatten, die<br />

jeweiligen Ehefrauen (als angenehme Gesellschaft) mit nach Europa zu bringen. So etwas<br />

(argumentierte der General zu Recht) würde die einfachen Soldaten des AEF gründlich verärgern!<br />

Einige Gattinnen versuchten sich „durchzumogeln“ und formal einen Job beim amerikanischen Roten<br />

Kreuz in Paris zu ergattern, doch duldete Pershing in keinem Fall derartigen faulen Zauber: „Wenn ich<br />

so eine Dame der Gesellschaft erwischen sollte, schicke ich sie auf der Stelle zurück in die Staaten!“<br />

Draufgänger D. MacArthur<br />

Tank-Experte G.S. Patton jr.<br />

8


Am 26. Juni 1917 besprach Pershing mit Pétain Einzelheiten über den für die Amerikaner<br />

vorgesehenen Frontabschnitt und schlug Lothringen vor, was dem Franzosen zusagte. Innerhalb 10<br />

Minuten herrschte Einverständnis: Die Engländer legten grossen Wert auf den Schutz der Kanalhäfen<br />

durch eine Pufferzone, während die Franzosen mit ihren eigenen Truppen „exklusiv“ das Vorfeld nahe<br />

Paris absichern wollten ohne fremde Unterstützung.<br />

Folglich blieb nur noch eine Front „zur Aufteilung“ übrig: Lothringen, östlich vom Argonner Wald<br />

gelegen. Von hier aus bot sich die Gelegenheit, offensiv zu operieren und eine wichtige deutsche<br />

Bahnstrecke abzuschneiden, nur 40 Meilen von der neuen Frontlinie entfernt. Die Kohlenbergwerke<br />

an der Saar und die Gruben voller Eisenerz bei Longwy-Briey schienen zum Greifen nah.<br />

Für den amerikanischen Nachschub kamen unter anderen die Knotenpunkte St. Nazaire, La Pallice<br />

sowie Bassens in Frage, abgesehen von drei Tiefseehäfen südlich der wichtigsten alliierten<br />

Versorgungsrouten. Nantes, Pauillac und Bordeaux eigneten sich dagegen für das Anlaufen von<br />

Schiffen mit geringerem Tiefgang. Le Havre und Cherbourg zog man später in Betracht, ebenso<br />

Marseille und Toulon. Brest diente ausschliesslich der Abfertigung von Truppentransportern aus<br />

Übersee.<br />

Am 26. Juni erreichten 14.000 Männer der Ersten Amerikanischen Division französischen Boden in St.<br />

Nazaire, aber erst im September folgten grössere Kontingente Yankees. Kein Wunder, dass die<br />

Franzosen immer ungeduldiger reagierten. First Divison zählte zur Regular US Army auf dem<br />

Papier,doch die Hälfte aller Kompanieführer hatte weniger als einen Monat Ausbildung aufzuweisen.<br />

Es handelte sich um einen bunt zusammen gewürfelten Haufen bei näherer Betrachtung.<br />

Absichtlich hatte man zahlreiche erfahrene Berufsoffiziere und Unteroffiziere in den USA zurück<br />

gehalten, um sie künftigen Transporten mit unausgebildeten Rekruten als Stützen zuzuteilen. Die jetzt<br />

gelandeten „Neulinge“ erschienen undiszipliniert und gelangweilt, um nicht zu sagen unverschämt:<br />

Die Männer brüllten nach dem Festmachen über die Reling zu den Hafenarbeitern: „Hallo, ihr<br />

Schnapsnasen, in welcher Kneipe hocken bei euch die Deutschen und saufen echten Cognac?“ - Als<br />

ein französischer General sich dem amerikanischen Wachtposten am Tor zum Ankerplatz näherte,<br />

präsentierte der Yankee keineswegs sein Gewehr, sondern drückte dem verblüfften Offizier den<br />

Karabiner in die Hände, hockte sich hin und begann eine Zigarette zu drehen. Ständig erreichten<br />

Pershing Nachrichten über das ungehobelte Betragen der Schützen.<br />

Einschiffung in New York mit Siegerlaune und Jubelrufen 1917<br />

9


Enttäuscht reagierte der General auch auf Major General William L. Sibert, den das Kriegsministerium<br />

entsandt hatte, um Pershing als Stellvertreter zu entlasten. Sibert war Tiefbau-Ingenieur und<br />

sammelte Erfahrungen beim Bau des Panama Kanals, wodurch er Karriere machen durfte. Dieser<br />

Offizier besass keinerlei Praxis in der Truppenführung, schaute ganz und gar nicht militärisch aus und<br />

konnte sich nirgendwo mit Autorität durchsetzen. Glücklicherweise erwiesen sich die übrigen höheren<br />

Offiziere als durchweg qualifiziert.<br />

Schnuppervisite in Schützengräben<br />

Die First Division bezog Quartiere in kleinen Dörfern nahe Gondrecourt, etwa 25 bis 50 Meilen von<br />

der Front gelegen. Sechs bis 12 Männer kamen jeweils in Scheunen unter mit Strohsäcken als<br />

Schlafstätten. Einfache Soldaten schnarchten auf dem Heuboden, während Offiziere in Wohnhäusern<br />

bequeme Betten vorfanden. Die Schuppen waren dunkel, muffig und nicht heizbar. Pershing und<br />

Pétain inspizierten die Unterkünfte der Amerikaner und erkundigten sich nach ihrem Wohlbefinden:<br />

Keiner wagte Beschwerden vorzubringen.<br />

Nun drängte die Zeit, endlich mit der Grundausbildung aller Rekruten zu beginnen. Einen Monat lang<br />

lehrte man die Männer, mit ihren Handfeuerwaffen einigermassen richtig umzugehen. Anschliessend<br />

fanden „Schnupperkurse“ in den französischen Schützengraben statt sowie Besuche bei der<br />

französischen Artillerie. Die amerikanische Artillerie übte ihren Einsatz in der Etappe.<br />

Während der dritten Ausbildungsphase (nochmals vier Wochen) trainierte die First Division in voller<br />

Stärke das Zusammenwirken von Infanterie, Artillerie und Flugzeugen. Dieses Programm musste<br />

ausreichen, um die Männer fronttauglich zu machen. Weil die genossene Ausbildung miserabel ablief,<br />

geriet die Praxis an der Front ebenfalls in grosse Schwierigkeiten. Mit anderen Worten: die Rekruten<br />

zeigten wenig Interesse am „Kriegsspiel“ der Nationen …<br />

Erst hiessen sie Tanks 1917: Jahrzehnte später Kettenpanzer<br />

Ein Renault FT-17<br />

bahnt sich den Weg<br />

durch die Gräben<br />

10


Im August 1918 erhielt die Brigade des Generals Douglas MacArthur einige tausend Männer zur<br />

Verstärkung aus den USA zugeteilt. Von etwa 50 Soldaten einer Kompanie hatten höchstens die<br />

Hälfte eine oberflächliche Grundausbildung von drei Wochen erlebt. Es gab sogar Rekruten, die<br />

lediglich eine Woche (!!!) Training in der Heimat mitmachen durften!<br />

Die angebliche Harmonie zwischen den Alliierten zerbröckelte immer mehr. Frankreich beschuldigte<br />

die Engländer, zu wenig an den Fronten zu leisten. Französische und britische Offiziere prügelten sich<br />

in Pariser Cafés nach hitzigen Wortgefechten. Polizei musste die Kampfhähne trennen. Australier und<br />

Kanadier einerseits vertrugen sich nicht länger mit den Inselbriten. Den Belgiern wurde „totale<br />

Unfähigkeit“ nachgesagt auf militärischem Gebiet.<br />

Eine bittere Klage machte die Runde im Volk: „Wir werden solange kämpfen, bis auch der letzte<br />

Belgier vom französischen Territorium vertrieben sein wird!“ Ganz unten im Ansehen standen die<br />

italienischen Verbündeten. Als ein britisches Kriegsschiff irrtümlich im Mittelmeer ein italienisches<br />

Unterseeboot versenkte und die Nachricht im französischen Parlament bekanntgegeben wurde,<br />

klatschten die Abgeordneten „begeistert Beifall“ aus Schadenfreude.<br />

Am Vierten Juli 1917, dem Amerikanischen Nationalfeiertag, drängten die Franzosen General<br />

Pershing, der Pariser Bevölkerung eine ermutigende Parade zu präsentieren. Ein Bataillon des 16.<br />

Infanterie-Regiments der First Division sollte vom Invaliden-Dom mit Napoleons Grab zum Picpus<br />

Friedhof marschieren, wo Lafayettes letzte Ruhestätte zu finden ist.<br />

Pershing zögerte lange, den Wunsch der Franzosen bereitwillig zu erfüllen, weil er ahnte, dass keine<br />

disziplinierte Truppe, sondern ein trostloser Sauhaufen durch die Strassen trampeln würde, dazu mit<br />

schriller Musik.<br />

Genau so lief die Schau ab: eine Horde lässiger Zivilisten in Uniform, trotzdem vom Volk umjubelt.<br />

Frauen am Strassenrand weinten hysterisch, umarmten die Soldaten mit Blumensträussen auf fünf<br />

Kilometer Paradelänge. Manche fielen betend auf die Knie, um die „Retter des Vaterlands“ zu ehren.<br />

Dass es sich in Wirklichkeit um eine Heerschar missmutiger Arbeitsloser (zum grossen Teil) handelte,<br />

ahnte kein Zuschauer.<br />

General H. Pétain<br />

Oberbefehlshaber F. Foch<br />

11


Pershing legte einen Kranz mit 500 Rosen am Grab Lafayettes nieder, der in amerikanischer Erde<br />

(importiert aus den USA) einst bestattet wurde, wie es seinem ausdrücklichen Wunsch entsprach.<br />

Colonel Charles F. Stanton hielt eine temperamentvolle Ansprache, da er fliessend Französisch<br />

beherrschte, ruderte mit den Armen in der Luft herum und entzückte die Menschenmenge mit dem<br />

Ausruf „Lafayette, wir sind hier bei Dir!“ Dieses Wort ging in die Geschichte Frankreichs ein als<br />

Mutmacher-Impuls.<br />

Der Generalstab umfasste bei Kriegsende etwa 200 Offiziere der Amerikaner im AEF-Verbund. Am 6.<br />

Juli 1917 teilte Pershing dem War Department mit, dass er bis zum Mai 1918 „mindestens eine Million<br />

Männer brauche“. Die Antwort lautete: Es würden maximal 635.000 bis zum Juni 1918 in Marsch<br />

gesetzt werden. Wenige Tage später konnte man erfahren, dass das Kriegsministerium<br />

klammheimlich eine Untersuchungskommission aus 12 Herren eingesetzt hatte, um dem General „auf<br />

die Finger zu sehen“. Pershing durfte nicht mitreden und Details erfahren. Mit anderen Worten: ein<br />

Misstrauensvotum. Oder was sonst?<br />

Colonel Chauncey B. Baker, Chef der Kommission, ein Freund des Generals aus Studienzeiten in<br />

West Point, setzte sich über alle Weisungen hinweg und zog zuletzt Pershing doch ins Vertrauen zur<br />

Abstimmung der Untersuchungsergebnisse.<br />

Die alten Kameraden bemühten sich gemeinsam mit den Stabsoffizieren und Untersuchungs-<br />

Offizieren um eine Klärung der Fronten. Pershing brachte 18 Herren seiner nächsten Umgebung mit<br />

an den Konferenztisch, während die Kommision nur 12 Köpfe umfasste. Man verständigte sich über<br />

fast alle Punkte der Tagesordnung, nur nicht über die Artillerie und ihre Bedeutung.<br />

Colonel Charles P. Summerall, Experte für Artilleriefragen, brachte als Angehöriger der Kommission<br />

vor, dass das Expeditionskorps wesentlich mehr Geschütze als zur Zeit vorhanden benötige.<br />

Angesichts der damals verfügbaren Artillerie seien zu hohe Verluste der Amerikaner im weiteren<br />

Kriegsverlauf zu befürchten. Colonel Fox Connor, als Sprecher des Generals, hielt dagegen die<br />

vorhandene Artillerie für ausreichend. Die Abstimmung ergab mit 16 gegen fünf Stimmen, dass<br />

genügend Geschütze vorhanden seien.<br />

Die Briten und Franzosen neben Deutschen verschossen Giftgas<br />

Eine Batterie von Livens-Gas-<br />

Projektoren wird geladen<br />

12


Spätere Gutachten machten, wie Summerall wahrscheinlich zu Recht argumentierte, eine Forderung<br />

nach viel umfangreicherer Artillerie-Unterstützung der Infanterie zur Schonung von Menschenleben im<br />

eigenen Lager deutlich. Pershing war trotz der scharfen Auseinandersetzungen so tief von<br />

Summerall beeindruckt, dass er den Kriegsminister um die Versetzung des Colonels zum AEF-<br />

Generalstab bat. Der Vorschlag fand Gefallen.<br />

Sowohl Pershing als auch Summerall stimmten überein, dass eine Reform der Streitkräfte-Aufstellung<br />

geboten erschien wie folgt:<br />

Platoon (Zug) - Grundstock einer Truppe, 58 Männer unter dem Befehl eines First oder Second<br />

Lieutenants.<br />

Company - Sechs Offiziere und 250 Männer, kommandiert von einem Captain.<br />

Battalion - Vier Kompanien, 1.000 Offiziere und Mannschaften, ein Major.<br />

Regiment - Drei Bataillone, eine MG-Kompanie, etwa 3.800, befehligt von einem Brigadier General.<br />

Division - Zwei Brigaden Infanterie, eine Brigade Feld-Artillerie, ein Regiment Pioniere (Engineers),<br />

ein MG-Bataillon, ein Fernmelde-Bataillon (Signal Corps), eine LKW-Kolonne, 72 Geschütze, 260<br />

Maschinengewehre, 17.666 Gewehre (Schützen), 28.000 Offiziere und Mannschaften, Befehlshaber<br />

ein Generalmajor.<br />

Corps - Zwei oder mehrere Divisionen unter einem Generalmajor.<br />

Army - Zwei oder mehr Korps unter einem Lieutenant General.<br />

Army Group - Zwei oder mehr Armeen unter einem General.<br />

Uneinigkeit herrschte wegen des Umfangs einer Division mit 28.000 Soldaten, zweimal so viel wie<br />

sonst üblich bei anderen Streitkräften. Engländer und Franzosen waren einverstanden und begeistert,<br />

weil ihre eigenen Kräfte nicht für ähnliche Formationen ausreichten und die Amerikaner jetzt als<br />

„leuchtendes Vorbild“ galten.<br />

Die AEF-Stabsoffiziere untermauerten ihre Vorstellungen: Man wollte einen „Puffer“ (staying power)<br />

einrichten, stark genug, um mit Unterstützung einer Division einen bestimmten Frontabschnitt längere<br />

Zeit zuverlässig halten zu können. Eine Division überdurchschnittlicher Feuerkraft und Personalstärke<br />

sollte dazu imstande sein, ohne auf baldige Ablösung (wie bisher praktiziert) warten zu müssen.<br />

Untaugliche Gasmasken behinderten sämtliche Schützen<br />

13


Zu bedenken war ausserdem, dass die AEF nicht genügend erfahrene Offiziere und Mannschaften zur<br />

Hand hatte. Im Rahmen einer vergrösserten Division könnte mit weniger Stabsoffizieren erfolgreich<br />

operiert werden dank solcher „Konzentration“.<br />

Schliesslich wussten die Planungsoffiziere nur zu gut, dass die Kommandeure der National Guard im<br />

Rahmen der American Expeditionary Force mit ihrem Anhang nichts taugten. Man wollte sie<br />

vorsichtshalber ohne nennenswerte Befehlsgewalt in qualifizierte Verbände einbinden und „isolieren“.<br />

Kritiker der neuartigen Reform liessen sich allerdings nicht den Mund verbieten. Haupteinwand:<br />

Pershing hatte nie zuvor eine Division kommandiert. Was durfte man ihm jetzt zutrauen? Die anderen<br />

amerikanischen Offiziere befanden sich in einer vergleichbaren Situation, während Franzosen und<br />

Engländer wesentlich mehr internationale Kampferfahrung (Kolonialkriege usw.) besassen.<br />

Der amerikanische Militärbeobachter Frederick Palmer äusserte sich spöttisch: „Was General<br />

Pershing im Sinn hat, erinnert mich an einen durchgeknallten Bauherrn mit Wolkenkratzer-<br />

Ambitionen. Nachdem alle Pläne sorgsam ausgearbeitet, die Materialien bereit gestellt sind und das<br />

Projekt in Angriff genommen worden ist, wünscht der Eigentümer plötzlich zehn zusätzliche<br />

Stockwerke, möchte die Aufzüge woanders als geplant funktionieren lassen und alle Decken 30<br />

Zentimeter niedriger hängen ...“<br />

Verwahrlosung und Aufsässigkeit<br />

Am 20. Juli traf sich General Pershing mit dem britischen Oberkommandierenden, Field Marshal Sir<br />

Douglas Haig, und die Herren berieten vier Tage die Lage. Haig notierte später in seinem Tagebuch<br />

nachdenklich: „Ich war tief beeindruckt von diesem Amerikaner und seinem Auftreten als Gentleman,<br />

was ja bei Yankees keineswegs selbstverständlich ist. Ein kluger und scharfsinniger Kopf! Pershing<br />

hat begriffen, dass die Franzosen jetzt dastehen wie zerbrochene Schilfrohre, eingeknickt ohne<br />

Wiederbelebung.“<br />

Am 1. August inspizierte Pershing die First Division. Die Männer befanden sich mittlerweile seit einem<br />

Monat in Frankreich und hatten zwei Wochen Training mit der 47. französischen Division hinter sich,<br />

den Chasseurs Alpin (Gebirgsjäger). Der General wirkte enttäuscht beim Anblick seiner Leute.<br />

Kriegsminister N. Baker British CO Sir D. Haig<br />

14


Die Yankees hinterliessen einen verwahrlosten Eindruck und ihre Offiziere zeigten wenig vorbildliche<br />

Haltung. Vorgesetzte zu grüssen fiel den Mannschaften im Traum nicht ein. Stramm stehen war<br />

unbekannt. Die Ausbildung verlief träge und lustlos. Niemand konnte oder wollte ordentlich in einer<br />

Kolonne im Gleichschritt marschieren.<br />

Spötter erzählten einander, dass der General am meisten die biblische Gestalt Joshua bewunderte,<br />

einen Krieger, weil Joshua auf sein Kommando sogar die Sonne stramm stehen liess! Pershing<br />

äusserte voller Respekt, dass man sich von der preussischen Disziplin eine Scheibe abschneiden<br />

sollte, leider zu spät ...<br />

Im Verlauf der Inspektion musste Pershing auch beobachten, dass seine „widerwilligen Helden“ alle<br />

Übungen mit Bajonetten für den Nahkampf einfach ablehnten mit der Begründung, dass „man sich<br />

dabei leicht verletzen könnte“. Sie seien schliesslich keine Messerstecher aus der kriminellen<br />

Unterwelt.<br />

Pershing wendete nunmehr seine Aufmerksamkeit dem Luftkrieg zu und forderte jede Menge<br />

Flugzeuge aus den USA für Bombenabwurf und Aufklärung, MG-Feuer von hoch oben und andere<br />

Zwecke. Im August bestellte er bei den Franzosen 5.000 Maschinen und 8.500 Ersatzmotoren, die bis<br />

Juni 1918 ausgeliefert werden sollten. Das kostete 60 Millionen US Dollar laut Auftrag. Von den Briten<br />

verlangte der General stärkeren Einsatz ihrer Kriegsmarine, allerdings ohne Erfolg.<br />

Überraschend interessierte sich General Pershing auf einmal für den Einsatz von Giftgas an der Front<br />

und formierte die AEF CHEMICAL WARFARE BRANCH unter Leitung von Lieutenant Colonel Amos<br />

A. Fries. Der Offizier versicherte, keine Ahnung von der Materie zu haben, doch Pershing beharrte auf<br />

seiner Anordnung: „Falls Sie keine Ahnung haben, sollten Sie schleunigst Nachhilfe-Unterricht bei<br />

guten Lehrern besuchen“.<br />

Zur Zeit des Waffenstillstands im November 1918 verfügte die amerikanische Streitmacht über mehr<br />

als zehnmal so viele Vorräte an Senfgas wie das deutsche Heer an der Westfront. Sollten die<br />

Deutschen dann noch Senfgas verwenden, wollte Pershing Bomben mit dem tödlichen Gift auf<br />

deutsche Städte abwerfen lassen!<br />

Amerikaner rücken über ein Kraterfeld mit Mauleseln vor<br />

15


Zunächst beschafften die Amerikaner britische Gasmasken, um ihre Soldaten zu schützen. Die<br />

englischen Erzeugnisse waren jedoch unbequem, zu klobig und boten kaum Durchblick. Bei Cantigny<br />

erlitten die AEF Frontkämpfer 900 Verluste im Einsatz innerhalb einer Nacht, weil sie unmöglich ihre<br />

Schutzmasken länger als 12 Stunden ununterbrochen tragen konnten. Nasenklammern und<br />

Mundstücke wirkten sich qualvoll aus.<br />

Später entwickelten die USA eigene Gasmasken wesentlich besserer Konstruktion. Pershing testete<br />

das neue Modell, indem er es aufsetzte und bis zur Erschöpfung Kniebeuge in seinem Büro vorführte.<br />

Sein Urteil fiel zufriedenstellend aus.<br />

Die Amerikaner verfügten Ende 1918 über nahezu zwei Millionen Soldaten auf französischem Boden<br />

und verbrauchten täglich 45.000 Tonnen Nachschub. Die Fachoffiziere des Quartermaster Corps und<br />

die Engineers der Pionier-Einheiten kauften riesige (und zu große) Mengen Lebensmittel, Baustoffe<br />

und sonstige Erzeugnisse auf dem französischen Markt: meistens zu Fantasiepreisen, ohne lange<br />

nachzudenken. Das Geschäft der Einheimischen blühte prächtig.<br />

Um das Chaos der Geldverschwendung zu stoppen, rief General Pershing ein militärisches<br />

Beschaffungsamt ins Leben (General Purchasing Board GPB). 10 Offiziere, das Amerikanische Rote<br />

Kreuz und die Christliche Vereinigung Junger Männer (YMCA) zeichneten verantwortlich als Team. So<br />

konnte man vorteilhafte Rabatte aushandeln bei Sammelbestellungen aller Art.<br />

General Pershing war ohne<br />

Zweifel von Eitelkeit<br />

besessen:<br />

Seine Offiziere mussten laut<br />

Befehl jederzeit blitzblanke<br />

Stiefel sowie glänzende<br />

Koppel mit Schulterriemen<br />

tragen (an der Westfront).<br />

Innerhalb der USA ist eine<br />

derartige Montur bei der US<br />

Army niemals üblich<br />

gewesen.<br />

Trotz der kriegsbedingten<br />

Lederknappheit waren die<br />

AEF-Offiziere gezwungen,<br />

sich auf eigene Kosten das<br />

neuartige „Zaumzeug“ zu<br />

hohen Preisen zu<br />

beschaffen ...<br />

16


Im September 1917 zog Pershing nach Chaumont, um dort sein Hauptquartier einzurichten, am<br />

Oberlauf der Marne gelegen. Dort fühlte er sich wesentlich wohler als in Paris, wo man ihn täglich mit<br />

Einladungen zu Cocktail Parties, offiziellen Diners usw. nervte. Aus den USA kam nun die Anordnung<br />

des Kriegsministers, dass nur vollständig ausgebildete amerikanische Soldaten an die Front geschickt<br />

werden durften.<br />

Natürlich protestierten die Franzosen und Briten gegen derartige Verzögerungen, die Secretary Baker<br />

in Washington, D.C. zu verantworten hatte. Clemenceau und andere bedrängte Politiker reagierten<br />

empört, ebenso die ranghöchsten französischen Kommandeure. Warum mussten die Amerikaner mit<br />

Samthandschuhen angefasst werden, während die Grande Nation zu verbluten drohte?<br />

Das Nachschubsystem geriet unterdessen immer mehr aus allen Fugen wegen Schlamperei und<br />

Inkompetenz sowohl in den USA als auch innerhalb Frankreichs. Den Pionieren fehlten Geräte zum<br />

Strassenbau und Hausbau, zum Verlegen neuer Schienenwege usw. Man benötigte Bagger und<br />

Dampfkräne, Dampfwalzen usw. Das französische Telefonsystem war hoffnungslos „verstopft“ und<br />

musste dringend durch eigene amerikanische Telefonkabel ergänzt werden.<br />

Deutscher Geländegewinn März und April 1918<br />

17


Falsch deklarierte Kisten mit Versorgungsgütern häuften sich bei der Ausschiffung in France. Ein<br />

Drittel der gelieferten Munition für Gewehre wies Mängel auf und war unbrauchbar. Sendungen mit<br />

Gasmasken waren schlecht verarbeitet. Kisten mit angeblicher Unterwäsche für Männer (laut<br />

Anforderung) enthielten Nachthemden in Kindergrössen! Eine Lieferung Gummistiefel bestand aus<br />

Schuhgrössen für Frauen und Kinder.<br />

Lastkraftwagen landeten ohne Motoren, den Maultieren fehlte das zugehörige Geschirr zum Ziehen<br />

von Wagen, LKW-Anhänger trafen ohne Räder ein. Ein Frachter lud riesige Mengen Hobelspäne für<br />

Kühlhäuser aus, die man mühelos auch in Frankreich hätte besorgen können, wo zahllose<br />

Sägemühlen existierten. Ein anderes Transportschiff hatte 800 Tonnen Sand als Ballast geladen für<br />

die Fahrt von France nach USA, kehrte aber mit dem gleichen Ballast später nach Frankreich zurück,<br />

weil man den Sand vergessen hatte ...<br />

Frontverlauf Januar 1918 Argonner Wald<br />

Nachschubwege des amerikanischen Expeditionskorps<br />

18


Pershing geriet ausser sich, nachdem man ihm Einzelheiten über das Durcheinander beim<br />

Nachschub aus der Heimat gemeldet hatte. Er kabelte spontan nach Washington, D.C. voller Zorn:<br />

„Empfehle keine weiteren Lieferungen von Badewannen, Bücherschränken, Metallputzsteinen, Büro-<br />

Regalen, Schreibtischen, Klubsesseln, Spucknäpfen, Bohnerwachs, Rasenmähern, Kühlschränken,<br />

Panzerschränken, Sicheln, Hockern, Sonnenblenden und Polstersofas“.<br />

Grotesk verlief die Ausschiffung einer Fracht mit Stützpfählen, bestellt in Längen zu jeweils 22 Meter<br />

(70 feet), im Hafen zu Bordeaux. Die auf dem Deck verstaute Ladung schien in Ordnung, aber im<br />

Frachtraum (mit beengten Verhältnissen) hatten die Matrosen die Pfeiler „passgerecht“ zersägt:<br />

jeweils 20 oder 50 Fuss lang!<br />

Rasenmäher, Spucknäpfe und Bohnerwachs<br />

Mit Bitterkeit kommentierte General Pershing in seinen Memoiren die grandiose Unfähigkeit der<br />

amerikanischen Militärbürokratie gegenüber sämtlichen Nachschubproblemen, vor allem während der<br />

ersten acht Monate in Europa. „Man wollte einfach den Weltkrieg nicht so richtig zur Kenntnis<br />

nehmen, sei es bewusst oder unterbewusst“, brachte er bissig zu Papier.<br />

Einige wichtige Forderungen Pershings konnten nicht erfüllt werden. Docks an der französischen<br />

Küste mussten vordringlich konstruiert werden für die Entladungsarbeiten, wozu die Tiefbau-<br />

Ingenieure der Truppe (Engineers) grosse Mengen sehr langer Rammpfähle brauchten (wie zuvor bei<br />

der misslungenen bzw. „zerstückelten“ Lieferung erwähnt).<br />

In den USA lautete die Rechtfertigung: Es ist aus technisch zwingenden Rücksichten nicht möglich,<br />

einen Frachter bzw. mehrere solcher Transporter ausschliesslich mit sehr langen und schweren<br />

Rammpfählen an Bord auf die Ozeanreise zu schicken, weil dadurch das Wasserfahrzeug gefährlich<br />

ins Schwanken und Schlingern geraten würde mit dem hohen Risiko unter zu gehen. Gesetze der<br />

Schwerkraft lassen sich nicht leugnen ohne katastrophale Konsequenzen.<br />

Unter Berücksichtigung solcher Umstände durften nur gemischte Ladungen (Pfähle und Stückgut)<br />

verschifft werden, sodass die Dock-Konstruktion unendlich viel Zeit beanspruchte. „Tut uns leid“,<br />

sagten die Experten: „Schiffe müssen stets ordentlich getrimmt werden bei jeder Fracht!“<br />

Charles G. Dawes war offiziell AEF General<br />

Purchasing Agent und somit Leiter des<br />

Beschaffungsamtes der American<br />

Expeditionary Force in Frankreich.<br />

Der Pechvogel verlor alsbald die Übersicht<br />

mangels ausreichender Qualifikation und<br />

musste die Verantwortung für das Chaos der<br />

Versorgung tragen.<br />

Innerhalb der USA erging es seinen Kollegen<br />

nicht besser: es fehlten überall erfahrene<br />

Speditionsfachleute und Organisatoren.<br />

19


Angeblich wollten die Franzosen 7.000 Pferde und Maultiere bereit stellen, woraufhin man in den USA<br />

sämtliche Tiertransporte einstellte. Einige Zeit nach der Bekanntgabe dieser Nachricht teilten die<br />

Franzosen überraschend mit, dass sie leider nicht liefern könnten „wegen anderer Verpflichtungen“.<br />

Erst im November 1917 standen genügend geeignete Frachter zur Verfügung, um wieder Vierbeiner<br />

über den Atlantik zu schicken.<br />

In seinen Erinnerungen schrieb Pershing: „Welcher Vollidiot war wohl dafür verantwortlich, uns<br />

Rasenmäher, Spucknäpfe und Bohnerwachs zukommen zu lassen, während gleichzeitig meine<br />

Soldaten unverzüglich Winterkleidung brauchten?“ - Es gab eine Erklärung: In Washington,D.C.<br />

existierten Listen beim Quartermaster Corps, die routinemässig den üblichen Bedarf von Garnisonen<br />

in den USA summarisch verzeichneten (in Friedenszeiten,deshalb Bohnerwachs).<br />

Im Oktober 1917 besuchten 15 amerikanische Generalmajore die Westfront in Frankreich „zur<br />

Weiterbildung“. Die Herren verbrachten 12 Tage bei den Engländern, weitere 12 unter den Franzosen<br />

und sechs Tage beim Expeditionskorps der Amerikaner „als Zaungäste“, wie spöttisch gemurmelt<br />

wurde.<br />

Pershing belehrte seine hochrangigen Kollegen: „Disziplin, zuverlässiger Schusswaffengebrauch<br />

sowie selbständiges Vordringen im freien Gelände sind Eckpfeiler jedes Ausbildungsprogramms“.<br />

In einem vertraulichen Bericht an den Kriegsminister machte der General aus seinem Herzen keine<br />

Mördergrube: „Diese Delegation bestand aus Versagern, verfetteten Bürotrotteln, pensionsreifen<br />

Schwätzern. Ich möchte keinen hier an der Front wiedersehen!“<br />

20


Lediglich einer fand Gnade vor Pershings kritischen Augen: Major General Hunter Liggett,<br />

kampferprobt auf den Philippinen, umsichtig und wachsam. Liggitt war um die 60 und pensionsreif,<br />

aber trotzdem gut zu gebrauchen. Der General bat ihn zu bleiben und das First Corps zu<br />

übernehmen. Der Senior akzeptierte respektvoll und dankbar.<br />

Am 4. Oktober 1917 schrieb Pershing (streng vertraulich) an Secretary (Kriegsminister) Baker: „Ich<br />

muss Ihnen mitteilen, dass in meiner Umgebung mehrere unfähige Generalstabsoffiziere herum<br />

laufen, die sowohl Berufserfahrung als auch Energie und Schwung vermissen lassen, um ihre<br />

Untergebenen erfolgreich zu führen. Der gegenwärtige Krieg an der Westfront verlangt Männer, die<br />

aus anderem Holz geschnitzt sein sollten!“ Beigefügt war eine Liste mit Namen der Versager,<br />

insgesamt 11 Figuren.<br />

In Washington, D.C. wollte man solche vernichtende Kritik nicht hören und stellte sich taub. Die<br />

Abberufung hätte daheim zu viel Staub aufgewirbelt mit politischen Unannehmlichkeiten, weil<br />

zumindest einige hohe Offiziere auf der Liste einflussreiche Gönner im Senat hatten.<br />

Um Pershing bei guter Laune zu halten, dachte man über eine Beförderung bzw. Ehrung nach. Haig,<br />

Joffre und Hindenburg durften sich Feldmarschall (Generalfeldmarschall) nennen. Pershing trug nur<br />

zwei Sterne auf seiner Uniform zum Vergleich. Zahlreiche Divisionskommandeure europäischer<br />

Truppen hatten ebenfalls zwei Sterne. Nun gab es in den USA keinen Field Marshal und guter Rat war<br />

teuer. Die Problemlösung: Pershing wurde am 6. Oktober der Rang eines Viersterne-Generals (Full<br />

General) verliehen, allerdings beschränkt auf die Zeitspanne des Feldzugs in Europa. Chief of Staff<br />

General Bliss sollte mit der gleichen (vorläufigen) Auszeichnung Pershing jetzt ebenbürtig werden.<br />

Micheline liebte ihren GENERAL DARLING<br />

Es kam selten vor, dass General<br />

Pershing lachend in die Kamera<br />

blickte.<br />

Sein verschlossenes Gemüt liess<br />

keine Gefühlsregungen erkennen,<br />

wie alle Stabsoffiziere<br />

bestätigten.<br />

Um so überraschter war die<br />

Nachwelt beim Tod des<br />

Haudegens im Juli 1948 bzw.<br />

nach der geheimnisvollen<br />

Eheschliessung am Sterbebett:<br />

Pershing schickte Hunderte<br />

leidenschaftlicher Liebesbriefe an<br />

seine spätere Frau über viele<br />

Jahre und offenbarte unbekannte<br />

seelische Regungen ...<br />

21


Am 21. Oktober 1917 durften erstmals 21 ausgebildete amerikanische Soldaten in vorderster<br />

Schützengrabenfront ihren Platz einnehmen. Jedes Regiment der First Divison schickte jeweils einen<br />

Mann jedes Bataillons „probeweise für 10 Tage zu den Franzosen, um den Krieg näher kennen zu<br />

lernen“. Man wählte den Sektor Summerville östlich Nancy, einen ruhigen Abschnitt „zur<br />

Eingewöhnung“. Dort wurde seit 1914 kaum geschossen. Captains befehligten die Männer als Chefs<br />

der Kompanien (also Amerikaner), während jetzt die AEF-Bataillons-Kommandeure sowie<br />

Regimentskommandeure lediglich als „Gastbeobachter“ mitwirkten bei dieser Szenerie.<br />

Der Oktober brachte nasses und saukaltes Wetter mit sich und es fehlten Winter-Uniformen zur<br />

Ausstattung der in Sommerkleidung jämmerlich frierenden Yankees. Pershing hatte sechsmal<br />

hintereinander telegraphisch Winterzeug angefordert sowie Wolldecken und warme Unterwäsche. Im<br />

Beschaffungsamt des Kriegsministeriums reagierten die Bürokraten mit der unverschämten Antwort:<br />

„Wir brauchen die verfügbaren Wintersachen vorrangig für unsere Truppen innerhalb der USA“.<br />

Der General kabelte nochmals zornig: „Das Sauwetter in Frankreich ist wesentlich unangenehmer als<br />

das Klima in den Südstaaten der USA während der Herbst- und Wintermonate. Meine Männer<br />

klappern mit den Zähnen vor Kälte und melden sich krank!“<br />

Ende Oktober riskierten die Franzosen zwei kleine Offensiven am Fort Malmaison und am Chemin<br />

des Dames mit intensivem Einsatz der Artillerie. Das Trommelfeuer dauerte sechs Tage und Nächte.<br />

Danach konnten 10.000 Deutsche gefangen genommen werden ohne nennenswerte eigene Verluste.<br />

Kriegsführung auf eigene Rechnung<br />

Am zweiten und dritten November 1917 entdeckten die Deutschen zu ihrer Überraschung, dass ihnen<br />

plötzlich Amerikaner gegenüber standen. Das führte zu einem Blitzangriff, ausgeführt von 200<br />

Offizieren und Mannschaften des Siebten Bayerischen Landwehr-Regiments, die den Weg durch die<br />

Stacheldrahtzäune mit vorgeschobenen „Torpedo-Sprengkörpern“ frei machten und dadurch eine<br />

Öffnung von 60 Meter Breite schafften.<br />

Ziel des Vorstosses gegen drei Uhr früh war ein abgelegener Vorposten des Company F-16.<br />

Infanterie-Regiments. Diese Männer hatten an der Pariser Parade zum 14. Juli Nationalfeiertag<br />

teilgenommen. So tapfer sie sich auch wehrten, es blieb vergeblich. Drei Amerikaner fanden den Tod,<br />

fünf wurden verwundet, 12 gerieten in deutsche Gefangenschaft.<br />

Die Briten setzten vollkommen nutzlos indische Lanzenreiter ein<br />

22


Auf deutscher Seite gab es zwei Tote, sieben Verwundete und einen Deserteur, der zu den Yankees<br />

überlief. Das alles spielte sich innerhalb 15 Minuten ab, da das deutsche Kommando rasch wieder<br />

verschwand. Die AEF hatte ihre Feuertaufe erhalten. Als Pershing die Nachricht erhielt, liefen ihm<br />

Tränen über das Gesicht.<br />

Die Franzosen würdigten die ersten im Krieg gefallenen Amerikaner mit einer Ehrenformation und<br />

einer Ansprache des Generals Paul E. Bordeaux. Er liess ein Denkmal der Dankbarkeit errichten.<br />

Zitat: „Wir möchten die sterblichen Überreste dieser jungen Männer in tröstender französischer Erde<br />

ruhen lassen. Wer an den Gräbern vorbei geht, wird seinen Hut ziehen. Wer später einmal die<br />

Schlachtfelder des Weltkriegs besucht hier in Lothringen, wird voller Hochachtung stehen bleiben<br />

und sich an diese Amerikaner erinnern: Corporal Gresham, Private Enright und Private Bay. Im<br />

Namen Frankreichs danke ich Euch von Herzen. Gott möge Eure Seelen gnädig empfangen. Lebt<br />

wohl!“<br />

Während sich der Krieg weiter dahin schleppte, bewegungslos in den Schützengräben zu ersticken<br />

drohte, ereiferten sich die Alliierten über ihre Kompetenzen. Der Gedanke an einen gemeinsamen<br />

Oberbefehlshaber blieb unrealistisch. Die Franzosen mit den meisten Truppenteilen beanspruchten<br />

überall Führungspositionen. Die Engländer operierten stets „auf eigene Rechnung“. Man verständigte<br />

sich höchstens unverbindlich in Gremien von Beratern zum Kriegsgeschehen.<br />

Im November 1917 zählte zur American Expeditionary Force (AEF) in Frankreich die First Divison, die<br />

Second Division, die 26th Division sowie die 42nd Division. Den zuerst genannten drei Divisionen<br />

fehlten 20.000 Soldaten zur Sollstärke, sodass sie „aufgefüllt“ werden mussten mit Leuten der 42 nd<br />

Division.<br />

Jene 42 nd Division war eine „Schöpfung“ des Kriegsministers Baker, der damit „glorreiche Pläne“<br />

verfolgte. Gegenüber Douglas MacArthur äusserte Baker den Wunsch, eine Division aufzustellen, in<br />

der sich „Männer aus sämtlichen Bundesstaaten vereinigten“. MacArthur schlug daraufhin vor, am<br />

besten eine „Regenbogen Division“ (Rainbow Division) ins Leben zu rufen und Baker reagierte<br />

begeistert.<br />

Kaum waren die Regenbogenkrieger in Frankreich gelandet, kommandiert von Major General William<br />

A. Mann und MacArthur als Chief of Staff, als auch schon deren „Zerstückelung“ einsetzte.<br />

Senegalesische Wohnhütten im Argonner Wald<br />

23


Pershings Umgebung riet dem General eindringlich, keinen Krach mit Baker zu riskieren und die<br />

Rainbow Division ungeteilt bestehen zu lassen, was dann auch geschah. Die nächste in Frankreich<br />

eintreffende 41 st Division sollte an Stelle der Regenbogen-Männer als Lückenbüsser dienen.<br />

Am meisten beunruhigten Pershing die Truppenteile der National Guard, weil diese Reservisten nur<br />

die Qualifikation von „Wochenend-Soldaten“ auf heimatlichem Terrain aufweisen konnten. Noch 1940<br />

kommentierte der hoch betagte General im Ruhestand, dass die National Guard nach wie vor „ein<br />

Haufen Spielzeug-Soldaten sei, zu nichts zu gebrauchen“.<br />

Die Briten führten „ihren Krieg“ in Flandern bei Ypern mit schweren Verlusten in Schlamm und Kälte.<br />

270.000 Engländer mussten sterben. Am 20. November richtete General Haig seine Aufmerksamkeit<br />

südwärts und durchbrach die deutschen Linien bei Cambrai. Statt Trommelfeuer der Artillerie (wie<br />

bisher) setzte er erstmals 300 Kettenpanzerwagen (Tanks) ein, die alle Drahtverhaue platt walzten<br />

und MG-Nester zermalmten. Der Geländegewinn betrug viereinhalb Meilen innerhalb einer Front von<br />

sechs Meilen. 10 Tage danach fand ein erfolgreicher Gegenangriff der Deutschen statt und nichts<br />

hatte sich verändert.<br />

Der militärische Wert aller amerikanischen Divisionen musste inzwischen als „beklagenswert“<br />

umschrieben werden nach dem Stand vom November des Jahres 1917. Niemand wagte es, diesen<br />

Truppen selbständig einen Frontabschnitt anzuvertrauen. Bis dato hatte nur die First Division<br />

Feindberührung erlebt „an einem überaus friedlichen Sektor“. Inzwischen gewannen die deutschen<br />

Truppen Stärke.<br />

Senegalesen an der Westfront<br />

General Pershing wollte<br />

unbedingt verhindern,<br />

dass seine schwarzen<br />

Regimenter auf weisse<br />

deutsche Soldaten<br />

schiessen müssten und<br />

hielt sie in der Etappe<br />

zurück.<br />

24


Nach dem Zusammenbruch Russlands an der Ostfront und einem Waffenstillstand mit den Deutschen<br />

konnten Kräfte vom Osten nach Westen verlegt werden: Experten rechneten mit 217 Divisionen des<br />

Kaisers. Die Alliierten brachten maximal 169 Divisionen zusammen (ohne die kaum brauchbaren<br />

Amerikaner).<br />

Bis zum Mai 1918 durften die Amerikaner mit höchstens 650.000 Männern aus den USA kalkulieren<br />

für den Fronteinsatz. Etwas später war nur noch von 525.000 Kräften bis Juni 1918 die Rede,<br />

vorsichtig geschätzt. Diese Zahl umfasste aber nicht nur Frontkämpfer, sondern auch das Personal<br />

beim Nachschub, korrekt gerechnet.<br />

Der Unmut der Alliierten über die leistungsschwachen Yankees verstärkte sich erheblich zur<br />

Jahreswende 1917/1918. Der britische Politiker Lloyd George erklärte einer amerikanischen<br />

Delegation freimütig: „Wir können keine Amerikaner gebrauchen, die wie Spaziergänger France<br />

durchwandern ohne Ziel und Zweck. Es scheint diesen Soldaten gleichgültig zu sein, ob wir noch ein<br />

paar Jahre länger oder kürzer uns mit den Deutschen herumschlagen müssen. Das ist ein<br />

unerträglicher Zustand für alle Beteiligten, meine Herren!“<br />

Den Amerikanern fehlte Kapazität, um mehr Männer und Nachschub als bisher nach Frankreich zu<br />

verschiffen. Die Piers und Entlade-Anlagen reichten nicht aus oder waren durch Abnutzung fast<br />

unbrauchbar geworden. In dieser Not schickten die Amerikaner ihre Versorgungsfrachter zur<br />

Entladung in britische Häfen. Dort musste in kleinere Schiffe mühsam umgeladen werden für den<br />

Fährverkehr nach Frankreich. In St. Nazaire stapelten sich Vorräte turmhoch, weil Transportmittel<br />

fehlten. Französische Bahnstrecken und Güterzüge waren überlastet. Ungezählte französische Güter-<br />

Waggons „verirrten“ sich auf Nimmerwiedersehen im Gewirr unbekannter Abstellgleise …<br />

Nur Pfadfinder auf Camping Tour?<br />

Der französischen Winter 1917/1918 brachte die Amerikaner zur Verzweiflung. Die Zugtiere der First<br />

Division hatten nichts mehr zu fressen und kauten ihr Geschirr und Baumrinde, ehe sie vor<br />

Entkräftung zugrunde gingen. Eine Division, die fünf Meilen breit und 10 Meilen lang verstreut im<br />

Gelände kampierte, verfügte nur über zwei klapprige Lastkraftwagen zur Versorgung. Die Männer<br />

froren erbärmlich in ihren Sommer-Uniformen, denn Winter-Uniformen mit Zubehör liessen aus den<br />

USA endlos auf sich warten.<br />

Yankees jubeln über die Nachricht vom Waffenstillstand<br />

25


Die Soldaten schleppten auf Landstrassen Felsbrocken in Säcken und in Kolonnen wie sonst<br />

Sträflinge, um damit Unterkünfte zu improvisieren. Weihnachten weckte Heimweh und Hunger,<br />

Depressionen und Gedanken an Fahnenflucht unter den Männern. War das ihr Krieg? Nein, er war es<br />

gewiss nicht!<br />

Pershing reiste nach Belgien, um König Albert seine Aufwartung zu machen Anfang Januar 1918. Ein<br />

Sonderzug brachte den General nach Adinkerke. Es gelang ihm, den misstrauischen Monarchen<br />

etwas zu beruhigen wegen künftiger militärischer Fortschritte gegen die Deutschen. General Pétain<br />

fand die Lage nicht ermutigend und drängte immer wieder mit der Forderung, endlich die Amerikaner<br />

an die vorderste Front zu entsenden.<br />

Neun Monate nach der Kriegserklärung der USA gegenüber den Deutschen standen lediglich 175.000<br />

Yankees in Frankreich „unter Waffen in Warteposition“. Es handelte sich um vier Divisionen für den<br />

Kampfeinsatz im „einstweiligen Zustand der Ausbildung“. Die Kanadier brachten ihre Division<br />

innerhalb von sechs Monaten in die Schützengräben ohne viel Federlesens. Nach einem Jahr hatten<br />

sie ein komplettes Korps anzubieten. Aus Neuseeland und Australien eilten zwei ANZAC Divisionen<br />

an die türkische Front bei Gallipoli innerhalb von acht Monaten. Sie erlitten furchtbare Verluste als<br />

Folge unfähiger Führungsoffiziere der Briten.<br />

Ein englischer Kriegsreporter äusserte seinen Unmut in der Heimatpresse: „Obwohl die Amerikaner<br />

seit acht Monaten Krieg mit den Jerries führen, haben sie noch keinen Schuss abgefeuert und bleiben<br />

vornehm in der Etappe zurück. Verdammt nochmal, wann werden sich die Yankees endlich aufraffen,<br />

um dem Gegner eine Lektion zu erteilen? Oder sind die Amerikaner nur zu Besuch in Frankreich?“<br />

General Pershings Stabsquartier Val des Écoliers<br />

26


Unter den Franzosen gärte es gleichfalls. Man nannte die Yankees spöttisch „Boy Scouts auf<br />

Camping Tour“. Sie rechneten mit zwei Millionen echter Cowboys, um die Boches zu vertreiben, aber<br />

„die Amerikaner bauen bloss Lagerhallen für ihren Nachschub mit Tausenden von Drückebergern“.<br />

Der Politiker Clemenceau meinte sarkastisch: „General Pershing glänzt nur auf Parties in Paris“.<br />

Im Dezember 1917 wurden „versuchsweise“ amerikanische Abteilungen in französische und britische<br />

Verbände „eingegliedert“. Man sprach dabei von Amalgamation (Verschmelzung) der Streitkräfte als<br />

neues Modell. Später sollten die Amerikaner (wieder) selbständig operieren dürfen (nach ihrer<br />

Feuertaufe mitten unter den Alliierten).<br />

Pershing verfolgte solche Pläne mit einigem Misstrauen. Er stellte fest, dass die Briten zu keiner Zeit<br />

Australier,Neuseeländer, Kanadier und Inder in ihren Reihen absorbiert hatten. Die Franzosen liessen<br />

wiederum ihre Senegalesen, Marokkaner und andere Kolonialtruppen separat operieren. Warum<br />

wollte man also die Amerikaner plötzlich absorbieren?<br />

Der britische Politiker Lloyd George schlug vor, amerikanische Einheiten „vorübergehend“ britischen<br />

Truppen anzuvertrauen wegen der intensiveren Ausbildung an der Front. Anschliessend könnten die<br />

Amerikaner wieder allein vorgehen.<br />

Kriegsminister Baker telegraphierte Pershing: „Wir sind darauf bedacht, die Identität der<br />

amerikanischen Truppen zu bewahren, sollten aber wegen der kritischen Lage auf die Empfehlungen<br />

der Briten eingehen“. Pershing behielt freie Hand und durfte die gewünschte "Verschmelzung" sowohl<br />

fördern als auch bremsen.<br />

Zornig äusserte sich der General vor seinem Stab: „Wenn wir unser Expeditionskorps portionsweise<br />

auf die alliierten Truppen verteilen, kommen diese Männer ja nie wieder zurück in ihre<br />

Ursprungsformation". Und er fuhr fort: „Liefern wir Leiharbeiter für das Schlachtfeld zu günstigen<br />

Konditionen?“<br />

Pershing erwiderte das Telegramm des Secretary Baker am 1. Januar 1918, gab jedoch zu bedenken,<br />

dass die Lage keineswegs so dramatisch sei wie von alliierter Seite behauptet. Er fühle sich durchaus<br />

imstande, das Expeditionskorps konzentriert weiter anzuführen ohne Verzettelung. Der Minister lenkte<br />

ein.<br />

Um General Pétain entgegen zu kommen, überliess er ihm vier schwarze amerikanische Regimenter,<br />

gerade aus den USA eingetroffen, sozusagen „auf Widerruf, falls erforderlich“. Sie sollten notfalls der<br />

93 rd Division zugeordnet werden, wozu es aber nie kam bis zum Waffenstillstand. Die Franzosen<br />

waren sehr zufrieden mit den amerikanischen Farbigen und es gab keine nennenswerten<br />

Sprachprobleme. Im Juni 1918 bat Pétain um zusätzliche schwarze Regimenter, doch Pershing lehnte<br />

bedauernd diesmal ab. Pershing widerstrebte es grundsätzlich, schwarze Amerikaner auf weiße<br />

Deutsche schiessen zu lassen und hielt die Farbigen lieber in der Etappe zurück.<br />

Innerhalb der AEF Organisation existierte eine Schwarze Division Nr. 92, die man an der Meuse-<br />

Argonne Kampagne im September 1918 beteiligte. Drei der vier Regimenter jener Division bewährten<br />

sich ausgezeichnet, während das 368 th Infantry Regiment in Panik geriet und die Flucht vor den<br />

Deutschen ergriff. Teilweise waren weisse Offiziere schuld an den Zusammenbruch, weil sie eine<br />

rassistische Haltung einnahmen und die jungen schwarzen Nachwuchs-Offiziere als Feiglinge<br />

denunzierten.<br />

Pershing setzte sich (vergeblich) als erfahrener Stratege dafür ein, in der Ausbildung weniger auf dem<br />

nutzlosen Grabenkrieg seit 1914 zu beharren und lieber die Männer für einen sorgsam<br />

ausgearbeiteten Angriffskrieg mit beweglichen Kräften und Erkundungen vorzubereiten. Die<br />

Franzosen blieben bei ihrer Überzeugung, dass dieser Krieg im Schützengraben und nirgendwo<br />

anders gewonnen wird!<br />

Am 18. Januar 1918 rückte die First Division zum ersten Mal bis an die Front vor, allein auf sich<br />

angewiesen. Dort kam es immer wieder zu kleineren Gefechten mit den Deutschen und geringen<br />

Verlusten. Unterdessen machten die Briten neue Vorschläge wegen einer besseren Zusammenarbeit:<br />

27


England wollte genügend Schiffstonnage bereit stellen, um zusätzlich sechs amerikanische Divisionen<br />

von USA nach Europa zu transportieren, insgesamt 150.000 Soldaten. Darunter sollten auf Wunsch<br />

der Briten 90.000 Infanteristen sein. Die übrigen zählten zur Artillerie und Versorgungstruppe.<br />

Jene Infanteristen wollten die Engländer auf ihre Art systematisch in England ausbilden. Die<br />

Artilleristen sollten von den Franzosen trainiert werden. Im Ergebnis vermerkte der Plan, dass eine<br />

vorbildliche Streitmacht verfügbar sein würde unter amerikanischer Leitung. Im Februar 1918 teilte<br />

man die Westfront neu auf: Die Franzosen hielten Stellungen auf einer Länge von 340 Meilen, die<br />

Engländer nur 110 Meilen (mit etwa gleich starken Kräften).<br />

Inzwischen gab es lächerliche Streitereien über Fragen der Etikette und Uniformierung, als ob es<br />

nichts Wichtigeres zu tun gebe: Im Mittelpunkt der Reibereien stand der sogenannte „Sam Brown<br />

Belt“ (Koppel mit Schulterriemen), um 1870 von einem britischen Kolonialoffizier dieses Namens in<br />

Indien konzipiert. Ursprünglich sollten damit Säbel, Revolver und Feldstecher neben dem Brotbeutel<br />

befestigt werden in Taillenhöhe. Später verzichtete man auf alle Anhängsel bei den Offizieren, sodass<br />

nur Koppel und Schulterriemen übrig blieben als „modisches Accessoire“.<br />

Man beachte die groteske Flügelhaube!<br />

Sentimentale Postkarte wie diese<br />

sollten den Franzosen in der Angst<br />

vor einer Niederlage 1917/1918<br />

vorgaukeln, dass nur eine<br />

schwarzweisse Verbundenheit die<br />

Nation vor den Deutschen retten<br />

kann und böser Rassismus der<br />

Vergangenheit angehören muss …<br />

FRANCE ZÄHLT AUF EUCH!<br />

HELFEN WOLLEN TUT NOT!<br />

28


Paris bedroht: was tun?<br />

Ab Juni 1917 befahl General Pershing seinen Stabsoffizieren, stets Koppel mit Schulterriemen zur<br />

Uniform zu tragen. Alle übrigen Offiziere des Expeditionskorps musste man genau so einkleiden,<br />

während innerhalb der USA kein Offizier sich derart „schmücken“ durfte (wegen der Lederknappheit<br />

zur Kriegszeit). An der Front brauchte kein Offizier diesen Schnickschnack, denn dort waren<br />

Pistolenhalfter und Hosenträger viel praktischer unter den Vorgesetzten.<br />

Es kostete etwa zwei Millionen US Dollar (aus eigener Tasche), um jeden nach Europa entsandten<br />

amerikanischen Offizier mit Koppel und Schulterriemen auszustatten. Ohne Zweifel wollte General<br />

Pershing das „Symbol der Offizierskaste“ energisch in Ehren halten, um genügend Abstand zu den<br />

Mannschaftsdienstgraden zu betonen.<br />

Am 10. März 1918 entschloss sich Kriegsminister Baker nach langem Zögern zu einer Besuchsreise<br />

Kurs Europa und liess sich in Paris blicken als willkommener Alliierter. George S. Patton Junior<br />

notierte frech: „Baker ist eine kleine Ratte, aber gerissen“. Der Secretary besichtigte viele<br />

Einrichtungen des Expeditionskorps und wagte sich sogar zwei Tage lang bis an die Front. An der<br />

Fliegerschule in Issodoun verrenkte sich Baker fast den Hals, um die tollkühnen Loopings des Majors<br />

Carl A. Spaatz zu beobachten. Im Zweiten Weltkrieg kommandierte Spaatz als Oberbefehlshaber die<br />

US Strategic Airforces Europe.<br />

Unbehaglich erwarteten die Generalstäbler eine deutsche Frühjahrsoffensive, die zum 21. März<br />

tatsächlich einsetzte. Der Kanonendonner war bis in Pétains Hauptquartier bei Compiègne zu<br />

vernehmen. 71 deutsche Divisionen griffen 26 britische Divisionen an, schlugen eine 40 Meilen breite<br />

Bresche. Die Offensive dauerte bis zum 5. April und kostete die Engländer 164.000 Tote, 90.000<br />

Gefangene, 200 Tanks, 1.000 Geschütze, 4.000 Maschinengewehre, 200.000 Gewehre und 70.000<br />

Tonnen Munition.<br />

Senegalesen mit ihrer Regimentsfahne<br />

29


Nun waren zwei Ziele lebenswichtig: Schutz der Kanalhäfen, Schutz von Paris. Sollte die Regierung<br />

nach Bordeaux flüchten? 1914 hatte man das schon einmal erprobt. Ein britischer Reporter fragte<br />

Pershing: „Was werden Sie tun, wenn alle Fronten zusammenbrechen?“ - Der General antwortete<br />

kühl: „Dann ziehen wir uns notfalls bis zu den Pyrenäen zurück!"<br />

Am 20. April unternahmen die Deutschen wiederum eine Offensive, der sich diesmal die First Division<br />

der Amerikaner entgegen stellte, unterstützt durch die 26th Yankee Division. Die Deutschen griffen mit<br />

Giftgas und Schrapnell Geschossen an gegen drei Uhr in der Nacht. Die Verluste der Amerikaner: 81<br />

Tote durch Granatenbeschuss, 214 Tote durch Gasvergiftung, 187 Verwundete, 187 Vermisste<br />

(Gefangen vom Gegner).<br />

Der britische Oberbefehlshaber General Haig nahm kein Blatt vor den Mund, als er öffentlich hinaus<br />

posaunte: „Bevor die Amerikaner zuverlässige und gut ausgebildete Truppen in Frankreich einsetzen<br />

können, müssen wir uns noch mindestens zwei Jahre gedulden!“<br />

Neue fantasievolle Pläne wurden geschmiedet: Bis 1919 sollten 100 amerikanische Divisionen in<br />

France zur Verfügung stehen. Insider flüsterten jedoch, dass man maximal 60 zusammenkratzen<br />

könnte mit viel gutem Willen. Mittlerweile operierten die Deutschen jeden Monat mit einer (ziemlich<br />

schwachen) Offensive, weil sie erschöpft waren.<br />

Im August 1918 häuften sich die amerikanischen Reisegruppen prominenter Politiker, Geschäftsleute<br />

und anderer Wichtigtuer, die unbedingt General Pershing kennenlernen wollten und sich wie<br />

neugierige Touristen benahmen. Man durfte sie aber nicht verärgern, weil sie grossen Einfluss in<br />

Washington, D.C. hatten.<br />

Im November 1918 griff die totale Erschöpfung auf sämtliche Fronten und Kriegsparteien über. Am 11.<br />

November 1918 registrierte das Transportation Corps , dass es nur noch über 61 Prozent des<br />

benötigten Personals verfügte, nur noch 73 Prozent der erforderlichen Lokomotiven einsetzen konnte<br />

und nur noch 32 Prozent der benötigten Waggons nutzen durfte. Hätte man noch länger auf die<br />

Kapitulation der Deutschen warten müssen, wäre der ganze amerikanische Nachschub<br />

zusammengebrochen mit katastrophalen Konsequenzen.<br />

Glücklicherweise trafen sich Anfang November Marschall Foch als Vertreter der Alliierten und Sir<br />

Rosslyn Wemyss, Sprecher der alliierten Seestreitkräfte, heimlich mit deutschen Bevollmächtigten,<br />

um über einen Waffenstillstand zu verhandeln.<br />

Ein deutscher Rückzugplan wurde ausgearbeitet mit genauen Terminen. General Foch gewährte 72<br />

Stunden Bedenkzeit. Letzter Termin: 11. November 1918, 11 Uhr morgens. Die Deutschen<br />

unterzeichneten alle Bedingungen dann am 11. November um 5.10 Uhr früh.<br />

30


117.000 amerikanische Verluste<br />

Wieviel und was im einzelnen hatten die Amerikaner zum Sieg über das Kaiserreich beigetragen?<br />

Statistiken verraten, dass im Kalenderjahr 1918 von jeweils 100 verschossenen Granaten der Artillerie<br />

51 Geschosse aus französischen Kanonenrohren stammten, 43 aus britischen Geschützen und<br />

lediglich sechs aus amerikanischen.<br />

Am Stichtag des Waffenstillstands (10. November 1918) verfügte die American Expeditionary Force<br />

(AEF) über 6287 Flugzeuge (Beobachter, Bomber), aber nur 1216 wurden von Herstellern in den USA<br />

ausgeliefert. Fast alle (mit drei Ausnahmen) nannte man sarkastisch "Flammende Särge". Ihre<br />

technische Zuverlässigkeit war nicht der Rede wert.<br />

Von 2012 Geschützen mit Kaliber 75 mm stammten nur einige aus amerikanischen Rüstungsfabriken.<br />

Sämtliche Haubitzen Kaliber 155 mm waren ausländische Erzeugnisse. Abgesehen von Schrapnell-<br />

Granaten erreichten fast keine in den USA hergestellten Geschosse die Artillerie an der Front.<br />

Lediglich ein Drittel aller automatischen Handfeuerwaffen kamen aus Amerika. Die USA produzierten<br />

keinen einzigen Tank (Kettenpanzer).<br />

Pershing beklagte mehrmals: „Wir standen da wie Bettler vor der Kirchentür und mussten alle<br />

wichtigen Waffen als Almosen entgegen nehmen, abgesehen von den Gewehren“.<br />

Das Expeditionskorps hielt Stellungen in einer Frontlänge von (lächerlichen) 134 Kilometern, während<br />

sich die Briten auf nur 113 Kilometer beschränkten. Franzosen hingegen mussten 343 Kilometer<br />

verteidigen. Die amerikanischen Streitkräfte umfassten zuletzt 2.000.000 Männer unter Waffen und im<br />

Hinterland: umgerechnet 31 Prozent aller Kräfte an der Westfront, auf britischer Seite 28 Prozent und<br />

bei den Franzosen 41 Prozent.<br />

Welche (relativ bescheidenen) „Heldentaten“ vollbrachten die Yankees beim Endspurt? Wohlwollende<br />

Militärkritiker zitieren die Mutprobe bei Cantigny am 28.Mai sowie das Verhalten der Second und Third<br />

Division bei der Strassenblockade Richtung Paris Ende Mai 1918. Man lobte ausserdem die<br />

Bewährung in der Marne-Schlacht und die Kämpfe nahe Saint Mihiel neben der Meuse-Argonne-<br />

Offensive. Die First Army nahm 26.000 Deutsche gefangen, eroberte 874 Geschütze, 3.000<br />

Maschinengewehre und grosse Mengen Kriegsmaterial. Nach Schätzungen machten die Yankees im<br />

Einsatz 100.000 Deutsche kampfunfähig (Tote und Verwundete) und erlitten 117.000 eigene Verluste<br />

(Tote und Verwundete).<br />

Fraternisierung rund um Koblenz<br />

Während Pershing den allergrössten Wert auf eine intensive Ausbildung von treffsicheren Schützen<br />

legte, weil diese Qualifikation entscheidend für den Sieg sei, urteilten Ende 1918 seine Kritiker,<br />

derartige Einschätzungen müssten als „hoffnungslos vorgestrig“ in der Ablage verschwinden. Allein<br />

das moderne Maschinengewehr könne Schlachten entscheiden, wofür es genügend Beweise gebe.<br />

Beim Waffenstillstand besassen die Deutschen keine Divisionen mehr als Reserve, weil ihnen der<br />

Abnutzungskrieg zum Verhängnis geworden war, die neuartige Materialschlacht (Masse statt Klasse).<br />

Pershings Theorien von der immensen Bedeutung der „Offenen Kriegführung“ (Open Warfare), die<br />

dem stumpfsinnigen Stellungskrieg im Schützengraben vorzuziehen sei, wollte niemand mehr hören.<br />

In der Praxis wären seine ausschwärmenden Schützen sofort von zahllosen Maschinengewehren<br />

niedergemäht worden.<br />

31


Eine American Third Army, deren Aufbau erst Anfang November 1918 zustande gekommen war,<br />

erhielt die Aufgabe einer Besatzungsmacht in Germany zugeteilt und übernahm den Brückenkopf<br />

Koblenz. Die einheimische Bevölkerung verstand sich auf Anhieb ausgezeichnet mit den Yankees<br />

ohne jede Scheu oder Unterwürfigkeit. Umgekehrt fanden die Soldaten die Deutschen „real nice“.<br />

Es entwickelte sich eine spontane Fraternisierung: Freundliche Bauern erklärten den anrückenden<br />

Amerikanern den richtigen Weg auf der Landstrasse, weil Soldaten keine Karten besassen. Hungrige<br />

Yankees wurden von Familien an den Mittagstisch gebeten, wenn die Feldküchen auf sich warten<br />

liessen. Kurzum, die „doughboys“ (Landser, wörtlich Pfannkuchen-Mampfer) fühlten sich bei den<br />

Jerries prima aufgehoben, als hätte es nie Krieg gegeben!<br />

Solches Benehmen erboste alle Franzosen bis zur Weissglut und die Beziehungen zwischen den<br />

(ehemaligen) Alliierten verschlechterten sich Tag für Tag. Nach französischer Auffassung sollten<br />

Deutsche streng bestraft werden, wozu den Yankees jegliches Verständnis fehlte. Diese Jerries<br />

„waren doch richtig nette Leute“, wie man Feldpostbriefen nach USA an die Familien entnehmen<br />

durfte.<br />

Spöttisch notierten amerikanische Reporter: „Die Deutschen sind blitzsaubere Zeitgenossen mit guten<br />

Manieren. Die Franzosen haben noch nie eine Zahnbürste in der Schnauze verspürt und müssten<br />

sich öfter mal auch hinter den Ohren waschen!“<br />

Manche verträumten Koblenzer lebten plötzlich in der fantasievollen Vorstellung, dass „das Rheinland<br />

wahrscheinlich eine amerikanische Kolonie werden würde, wogegen nichts einzuwenden sei“. Aber<br />

dann funkten die Franzosen bitterböse dazwischen: General Foch bedrängte General Pershing, die<br />

amerikanische Brückenköpfe Koblenz und Köln „durch französische Truppen als Symbol der<br />

Verbundenheit zu verstärken“. In Köln hatten sich inzwischen Engländer niedergelassen.<br />

Zähneknirschend fügte sich Pershing. Der französische Oberbefehlshaber setzte durch, dass der<br />

amerikanische Standort Koblenz von 60 auf 30 Kilometer Ausdehnung schrumpfen musste. Pershing<br />

tobte: „Das ist eine Beleidigung der US Army“. Ohne Zweifel verfolgte Foch weit gespannte politische<br />

Absichten, um die Deutschen zu beeindrucken.<br />

Foch kündigte an, Koblenz besichtigen zu wollen, und verlangte vorher einen respektvollen Empfang<br />

durch die deutschen Würdenträger des Magistrats mit Verbeugungen. Als Pershing dies zu Ohren<br />

kam, polterte er grimmig: „Koblenz ist zur Zeit amerikanisches Schutzgebiet und keine französische<br />

Enklave. Die Deutschen bleiben gefälligst daheim auf ihrem Sofa sitzen, falls Foch auftauchen sollte!“<br />

Pershing ordnete ebenfalls an, dass sich die französischen Truppen aus Luxembourg zurückzuziehen<br />

hätten, weil das Grossherzogtum amerikanische Garnison sei. Noch unverschämter reagierte General<br />

Foch, als er versuchte amerikanische Einheiten für Strassenbau-Arbeiten und Wiederaufbau<br />

Programme in den Städten anzufordern. Yankees sollten dort die Schützengräben planieren,<br />

Stacheldrahtverhaue wegräumen und auf den Schlachtfeldern „Ordnung schaffen“.<br />

32


Der amerikanische Befehlshaber war empört ob dieses Ansinnens: „Meine Männer sind doch keine<br />

Hilfsarbeiter und Kulis der Franzosen!“ Am 13. Dezember 1918 traf Präsident Woodrow Wilson in<br />

Frankreich ein, fand aber angeblich keine Zeit, um Truppen zu begrüssen, weil ihm politische<br />

Gespräche vordringlich erschienen, also Friedensverhandlungen. Am 25. Dezember eilte Wilson für<br />

wenige Stunden trotzdem zu einer Parade im Schlamm und Regen, hielt eine langweilige Ansprache<br />

und verschwand wieder Richtung London.<br />

Clemenceau verständigte sich mit den Amerikanern, dass die britische Besatzungszone bei Köln<br />

lediglich fünf Jahre bestehen bleiben sollte und dass die Yankees in Koblenz maximal 10 Jahre<br />

herrschen dürften. Tatsächlich räumten Briten wie Amerikaner bereits nach sehr kurzer Zeit das Feld<br />

aus verständlichem Heimweh.<br />

Mittlerweile veröffentlichten die französischen Zeitungen täglich ruhmreiche Artikel über die<br />

grossartigen Leistungen der französischen Armee während des Krieges und schmälerten die<br />

Mitwirkung der Amerikaner sowie Briten auf peinlich geringschätzige Weise. General Pershing<br />

entschloss sich wütend zu einer Gegenoffensive im Geist moderner Publio Relations:<br />

Man trommelte aus den Formationen des Expeditionskorps sämtliche journalistischen Talente<br />

zusammen (Redakteure, Reporter, Schriftsteller, Werbefachleute usw.) und schickte sie auf eine<br />

Tournee zu allen Truppenteilen, um durch eindrucksvolle Interviews und Reportagen imponierenden<br />

Lesestoff für die Heimatpresse zu produzieren. Innerhalb von 14 Tagen mussten genügend packende<br />

Stories entwickelt werden, verfasst von etwa 900 qualifizierten Autoren in Uniform.<br />

Pershing war sich bewusst, dass ein Waffenstillstand kein Friedensvertrag ist, und hielt seine<br />

Soldaten weiter auf Trab mit Manövern vielseitiger Natur. Die Yankees fanden das garnicht lustig und<br />

wollten endlich irgendwo an Bord gehen und heimwärts dampfen. Zwei Millionen heimwehkranke<br />

Männer hatten die Nase voll von France.<br />

Der General machte sich im übrigen ständig Gedanken über die Gesundheit seiner Soldaten „aus<br />

moralischen und hygienischen Gründen“, wie es oft hiess. Mit anderen Worten: Stichwort<br />

Geschlechtskrankheiten. Man wusste, dass Pershing als junger Mann zweimal Infektionen mit<br />

Gonorrhoe überstanden hatte.<br />

Militär-Mediziner konnten es nicht verschweigen: von etwa 20 Rekruten war jeweils einer<br />

geschlechtskrank bei der Musterung in den USA. Pershing hatte jetzt den Ehrgeiz, nur „kerngesunde<br />

Burschen“ heimwärts zu entlassen. Es gelang ihm tatsächlich durch strenge Untersuchungsmethoden<br />

und Behandlungen.<br />

33


Am 14. Juli 1919 fand in Paris auf den Champs Elysées eine Siegesparade statt mit General Pershing<br />

hoch zu Ross, begleitet von Foch und Joffre. Früh am Morgen marschierten tausend blinde, lahme,<br />

verstümmelte Veteranen durch Paris, schweigend in ihrem Schmerz (quasi als Vorhut). Erst später<br />

präsentierte man Glanz und Gloria mit zündender Marschmusik, wehenden Fahnen und strammer<br />

Formation. Alle Alliierten stellten jeweils eine Delegation mit 1500 Männern: Amerikaner, Belgier,<br />

Briten, Tschechen, Griechen, Italiener, Japaner, Portugiesen, Rumänen, Serben, Polen. Zuletzt<br />

paradierten die Franzosen. Die Yankees liessen 90 Flaggen im Vorbeimarsch wehen.<br />

In London erhielt Pershing einen Säbel (Sword of Honor) ehrenhalber und wurde obendrein<br />

Ehrenbürger der City. Ein Jahr zuvor adelten ihn die Briten: Sir John Pershing.<br />

Im Frühling 1920 stationierten die Amerikaner noch 16.000 Soldaten auf deutschem Boden unter<br />

General Henry T. Allen. Bald danach räumten sie das Feld und überliessen es den Franzosen.<br />

Pershing kam im Sommer 1939 noch einmal als kranker Mann nach Frankreich zu Besuch und<br />

äusserte seine Besorgnis über Adolf Hitler und dessen Ambitionen. „Wird sich das Grauen des<br />

Krieges demnächst wiederholen?“, kommentierte er bedrückt. Im September 1944 erlitt Pershing<br />

einen Schlaganfall und im April 1945 traf es ihn erneut. Linksseitig gelähmt und bettlägerig sah der<br />

General seinem Ende entgegen, gefasst und diszipliniert wie immer. Verwirrtheit machte sich<br />

bemerkbar.<br />

Am 2. September 1946 heiratete der todkranke General John Pershing am Hospitalbett seine<br />

langjährige Geliebte Micheline Resco im Walter Reed Klinikum der US Army unter strenger<br />

Geheimhaltung. Die Eheschliessung sollte bis zum Tod der Beteiligten nicht bekannt werden.<br />

(Zum Lebenslauf des Verstorbenen ist zu ergänzen, dass in der Nacht vom 26. zum 27. August 1915<br />

seine erste Ehefrau mit ihren drei Töchtern durch einen Brand in ihrem Haus in San Francisco ums<br />

Leben kam. Nur der Sohn Warren überlebte die Katastrophe).<br />

Pariser Siegesparade mit Pershing im Sattel: 14.07.1919<br />

34


Hagestolz und Spielgefährtin: unvereinbar?<br />

Kaum war General Pershing im Sommer 1917 in Paris eingetroffen, als er sich spontan in eine 34<br />

Jahre jüngere Künstlerin verliebte, in eine naturalisierte Französin rumänischer Herkunft, mit der<br />

Ausstrahlung von 23 Lenzen. Micheline Resco war Malerin, Pianistin, Violinistin. Im Auftrag der<br />

Regierung sollte sie alsbald ein Portrait des Haudegens aus den USA für die Nachwelt schaffen.<br />

Am 13.Juni 1917 begegneten sich Pershing und Resco während eines Empfangs im Hotel Crillon zu<br />

Paris. Drei Wochen später schrieb Pershing fantasievolle Liebesbriefe an die junge Frau und im<br />

September wurden beide ein Liebespaar.<br />

Nachdem Pershing sein Hauptquartier nach Chaumont verlegt hatte, korrespondierte das Paar fast<br />

täglich miteinander und der General fuhr nachts nach Paris, um in Michelines Armen beglückt zu<br />

werden: nur sein diskreter Chauffeur wusste Bescheid. Oft fand das Liebesspiel im Auto statt,<br />

irgendwo unauffällig geparkt (ohne den Wimpel mit der amerikanischen Flagge und vier Sternen).<br />

Oder man kuschelte im Appartement der Künstlerin, 4 rue Descombes. Micheline nannte ihren<br />

Liebsten einfach „General Darling“, weil sie als Französin „Pershing“ nur mühsam aussprechen<br />

konnte. An eine Heirat war in den Kriegsjahren nicht zu denken, aber danach wich Pershing solchen<br />

Vorstellungen geschickt aus. Alles sollte so weiter gehen wie bisher, also „bequem und unverbindlich“.<br />

Im September 1919 kehrte Pershing allein nach Amerika zurück. Angeblich wollte er Micheline<br />

nachkommen lassen, um in New York ihre Karriere besser fördern zu können mit Unterstützung von<br />

Galerien, Ausstellungen usw. Daraus wurde vorerst nichts „wegen ständiger anderweitiger<br />

Verpflichtungen“ des prominenten Heerführers. Pershing drückte sich.<br />

Micheline Resco hält eine<br />

Porträtzeichnung von<br />

General Pershing in der<br />

Hand, die 1919 entstand.<br />

Emigrantin, Künstlerin,<br />

Geliebte eines Generals,<br />

zuletzt dessen Ehefrau<br />

vor dem Trau-Altar des<br />

Klinischen Sterbebetts:<br />

Ein bizarrer Lebenslauf<br />

voller Geheimnisse und<br />

psychologischer Rätsel ...<br />

35


Nach wie vor überquerten Liebesbriefe den Atlantik mit schöner Regelmässigkeit. Im Herbst 1921<br />

reiste Pershing endlich nach Paris zum Wiedersehen, später jedes Jahr einmal. 1922 traf Micheline in<br />

New York ein und eröffnete ein Studio. Pershing vermittelte ihr Portraitaufträge in hochrangigen<br />

Gesellschaftskreisen. Sie hatte bereits General Foch, König Alexander von Jugoslawien sowie König<br />

Feisal I. Im Irak verewigt (als Referenz).<br />

Das Paar kam fast an jedem Wochenende zusammen, besuchte Parties und lernte einflussreiche<br />

Persönlichkeiten näher kennen. Die Presse und die bessere Gesellschaft fragten sich, weshalb der<br />

General nicht den nächsten Schritt zur Eheschliessung in Betracht zog. Gewiss, der General hätte<br />

Michelines Vater sein können. Ein gesellschaftliches Hindernis? In jener Epoche durchaus. Noch<br />

schlimmer: die mutmassliche Braut war eine dubiose „hergelaufene Rumänin mit französischem Pass<br />

und zweifelhafter Abstammung“. Heiraten? Unmöglich für einen hoch dekorierten General, geadelt<br />

vom britischen Königshaus!<br />

Micheline war sich derartiger Hürden bewusst und lehnte (wie erzählt wurde) freimütig eine eheliche<br />

Verbindung ab, um Pershing nicht zu schaden. Die rumänische Pariserin kehrte nach Frankreich<br />

zurück, um klare Verhältnisse zu schaffen, doch die Beziehung hielt weiter stand. Der General<br />

schickte jeden Monat einen grosszügigen Scheck nach Paris als Unterhalt und schloss eine<br />

Lebensversicherung zu Michelines Gunsten ab in Höhe von 25.000 US Dollar mit Datum von 1926. Im<br />

Jahr 1938 kam ein Trust Fund hinzu: lebenslängliche Auszahlung des Ertrags.<br />

Jedes kommende Jahr verbrachte Pershing mehrere Monate in Paris, manchmal sogar ein halbes<br />

Jahr, und schrieb dort seine Memoiren. Die Geliebte hatte mittlerweile ein Appartement in der rue des<br />

Renaudes Nr. 5 bezogen. Er stattete es mit Kunstwerken der Pazifik-Inseln aus.<br />

Am Tag nach Pershings Tod in den USA überbrachte dessen Sohn Warren einen versiegelten Brief für<br />

Micheline, die nach Amerika übergesiedelt war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, begleitet von ihrer<br />

Mutter:<br />

So zeichnete Micheline<br />

Resco ihren geliebten<br />

GENERAL DARLING im<br />

Dezember 1918 in Paris.<br />

Die Abbildung sollte das<br />

erste Blatt eines Buches<br />

schmücken:<br />

MY EXPERIENCES IN<br />

THE WORLD WAR, Bd 2.<br />

36


Am 20. Dezember 1929. - Meine geliebte Michette! Wie wunderbar ist unsere Liebe bis heute immer<br />

gewesen. Wie grossartig war und ist unser Vertrauen zueinander und die innige Verbundenheit. Wie<br />

glücklich bin ich und dankbar für jeden gemeinsam verbrachten Tag. An meinem Lebensabend hat<br />

Dich Gott zu mir entsandt. In den Stunden meiner Verzagtheit hast Du mir wieder Stärke verliehen.<br />

Du hast meine Siege mit mir geteilt und wir haben immer aneinander gedacht - sowohl tagsüber als<br />

auch im Traum bei Nacht ... "<br />

„Du wirst in aller Ewigkeit stets bei mir sein. In einem fernen und ungewissen Land werden wir<br />

gemeinsam Blumen pflücken. Bitte weine nicht um mich! Sei tapfer, sag' nicht Goodbye, sondern<br />

Gute Nacht und viel später in aller Ewigkeit auch Guten Morgen! Nimm mich in Deine Arme, denn ich<br />

bin ein Teil von Dir. Deine Küsse bleiben frisch auf meinen Lippen ..."<br />

Und die Moral der (rührseligen) Geschichte? General John Pershing mag ein mutiger Kriegsheld<br />

gewesen sein ohne Furcht und Tadel, aber aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts hat er kapituliert<br />

im Rahmen des Privatlebens.<br />

Gemäss der Doppelmoral seines Zeitalters in jüngeren Jahren war die Liaison (auf Zeit) mit einer<br />

ebenso gebildeten wie attraktiven Ausländerin (ohne vorzeigbaren Stammbaum) akzeptabel ohne<br />

Rücksicht auf den erheblichen Altersunterschied usw.<br />

John Pershings übereifrige Liebesbeteuerungen (auf dem Briefpapier) sollten davon ablenken, dass<br />

er nicht im Traum daran dachte, jene dubiose Exilantin jemals zu ehelichen, um sie dadurch<br />

gewissermassen „ehrbar“ zu machen an Stelle des Konkubinats im Zwielicht.<br />

Wovor scheute der Hagestolz und Witwer zurück? Karrierebewusst bis ins hohe Alter, eitel und stets<br />

auf Reputation bedacht, hätte Pershing durch eine Heirat mit der „rumänischen Französin“ über Nacht<br />

sein hohes gesellschaftliches Ansehen ein für allemal verspielt, denn diesen Schritt hätte ihm (so<br />

musste er befürchten) das amerikanische prüde Volksempfinden niemals verziehen!<br />

Natürlich durfte sich der Pensionär, (un)glücklich mit Mademoiselle Resco vermählt, wahlweise ins<br />

behagliche Privatleben zurückziehen, aber um welchen Preis? Um den mutmasslichen Preis<br />

gesellschaftlicher Geringschätzung oder gar Ächtung ... Das wäre bitterer Lorbeer gewesen.<br />

Am 18. Juli 1948: Aufbahrung in der Capitol Rotunda<br />

37


Erst kurz vor seinem Tod „riskierte“ Pershing deshalb eine Heirat (quasi als militärisches,Geheimnis),<br />

weil er im Jenseits keine Diskriminierung mehr zu erwarten hatte (nach seinem Glaubensbekenntnis<br />

traditioneller Konstruktion).<br />

Als Überlebende blieb eine jüngere Witwe mit versiegelten Lippen der Nachwelt erhalten,<br />

eingeschworen auf lebenslängliche Diskretion am Sterbelager. Der „schöne Schein“ war gewahrt, der<br />

makellose Kämpfer Uncle Sam's hatte sich einen bibelfesten Rückzug fern irdischer Anfechtungen<br />

gesichert …<br />

Berliner Denkmal für General Pershing in Gatow<br />

38


Quellen<br />

Andrews, A.: My Friend and Classmate John J. Pershing<br />

(Harrisburg 1939)<br />

Braim, P.: The American Expeditionary Force<br />

(University of Delaware 1983)<br />

Broun, H.: With General Pershing and the American Forces<br />

(New York 1918)<br />

Coffman, E.: American Command in World War I.<br />

(San Rafael 1975)<br />

Smythe, D.: Pershing - General of the Armies<br />

(Bloomington 1986)<br />

Editors of the Army Times: The Yanks Are Coming - General J.J.Pershing.<br />

(New York 1960)<br />

Nelson, K.: America and the Allies in Germany 1918 - 1923<br />

(Berkely 1975)<br />

American Battle Monuments Commission<br />

(Washington, D.C. 1938)<br />

US Department of the Army<br />

National Archives USA<br />

Albertine, C.: The Yankee Doughboy<br />

(Boston 1968)<br />

Beaver, D.: Newton D. Baker and the American War Effort 1917 - 1919<br />

(Lincoln 1966)<br />

Cheseldine, R.: In the Rainbow,42 nd Division WW I.<br />

(Columbus 1924)<br />

Crozier, E.: American Reporters on the Western Front 1914 - 1918<br />

(New York 1959)<br />

39


Erstveröffentlichung: August 2013<br />

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