Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2012-03
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Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2012-03
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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 1 von 68,<br />
Editorial<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
liebe Leserinnen und Leser,<br />
erneut könnte man den Eindruck gewinnen, dass AGG-Verfahren im Trend liegen<br />
und eine Vielzahl von Gerichten beschäftigen. So veröffentlichen wir, wie<br />
schon im vorangegangenen Heft der AE, einige <strong>Entscheidungen</strong> insbesondere<br />
zu Entschädigungen öffentlicher Kommunen, die schwerbehinderte Bewerber<br />
im Auswahlverfahren nicht berücksichtigt hatten (VGH B-W Nr. 165 –<br />
am selben Tag vier gleichlautende <strong>Entscheidungen</strong> mit demselben Kläger,<br />
derselbe Kläger auch LAG B-W Nr. 164; s. aber auch ArbG Leipzig Nr. 174). Bei<br />
genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass die Verfahren fast durchweg einen<br />
Kläger betreffen. Dies ist kein AGG-Hopper, sondern nur ein schwerbehinderter<br />
Mensch, der auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben will und der,<br />
mit anwaltlicher Vertretung konsequent die ihm zustehenden Rechte einfordert.<br />
Kommunen, nicht nur in der süddeutschen Provinz, könnten ihre Haushalte<br />
schonen, wenn sie, ggf. auch mit anwaltlicher Beratung, ihre Bewerbungsverfahren<br />
konsequent gesetzesgemäß ausgestalten und schwerbehinderte<br />
Bewerber bei Eignung zum Vorstellungsgespräch einladen würden.<br />
Über Schikanen am Arbeitsplatz, die ungeachtet des sozialen Status stattfinden<br />
– hier ein habilitierter Oberarzt –, wird nicht allzu oft entschieden; es<br />
dürfte eine große Dunkelziffer geben, denn sog. Mobbingopfer sind schon<br />
gesundheitlich oft nicht mehr in der Lage, die Belastungen eines Verfahrens<br />
durchzustehen. Umso bemerkenswerter erscheint eine Entscheidung wie die<br />
des Arbeitsgerichts Leipzig (Nr. 173), das versucht hat, Kriterien zur Bemessung<br />
des Schmerzensgeldes zu finden. Die Anknüpfung an § 1a KSchG ist allerdings<br />
problematisch, denn dies unterstellt einen Beendigungsstreit. Tatsächlich<br />
bedarf es einer Steuerung durch das Unternehmens-Management,<br />
damit systematische Schikanen effektiv verhindert werden – es kann schließlich<br />
jeden treffen.<br />
Übrigens: Das Verfahren dauerte einschließlich zwischenzeitlicher, durchaus<br />
hilfreicher Mediation allein in der ersten Instanz über 4 Jahre – die Verfolgung<br />
eines bloßen Anspruchs auf vertragsgemäße Beschäftigung über einen solchen,<br />
überaus langen Zeitraum grenzt an Rechtsverweigerung. Noch vor Ablauf<br />
der Berufungseinlegungsfrist konnte der Schmerzensgeldbetrag einvernehmlich<br />
um ca. 50 % gegenüber dem durchaus beachtlichen Verurteilungsbetrag<br />
auf 78.000 EUR angehoben und ein abschließender (Beendigungs-!)<br />
Vergleich geschlossen werden. Das Mobbingopfer hatte zwischenzeitlich eine<br />
neue Anstellung und seine alte, ausgezeichnete, persönliche und fachliche<br />
Performance (wieder-)gefunden; in die Mobbingstruktur wollte es nicht mehr<br />
zurück.<br />
Die Auseinandersetzung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, also die<br />
bloße Feststellung, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung „hinreichende<br />
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint“ (§ 114 ZPO), erfordert<br />
mittlerweile oft einen Argumentationsaufwand, der im nachfolgenden<br />
Hauptsacheverfahren kaum noch gesteigert werden kann. Lichtblick, wenn<br />
auch nicht unter Vergütungsgesichtspunkten, kann es dann sein, wenn vom<br />
Obergericht das Eingangsgericht einige unmissverständliche Hinweise zur<br />
Rechtslage bekommt. So z.B. hinsichtlich einer kritischen Anmerkung einer<br />
Telefonkundin über einen Anbieter in facebook – bei dem sie allerdings auch<br />
beschäftigt ist (so BayVGH 195). Der Leser möge daran denken: Es ging (noch)<br />
„nur“ um die Bewilligung von PKH für einen Kündigungsschutzrechtsstreit.<br />
<strong>03</strong>/12 129
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 2 von 68,<br />
Editorial<br />
Ein Thema für die Zukunft: Viele Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit „experimentieren“<br />
mit dem elektronischen Rechtsverkehr; in einigen Bundesländern<br />
ist er offiziell bereits eingeführt, andere befinden sich in Testphasen, reduziert<br />
auf einen allenfalls elektronischen Posteingang, der auch von den teilnehmenden<br />
Anwälten zusätzlich die Schriftsatzübermittlung per Normalpost erfordert.<br />
Nirgends wird workflow zwischen Anwälten und Gerichten koordiniert;<br />
Maßstab sind ausschließlich Gerichtsanforderungen. Kein Wunder, dass<br />
Akzeptanz und Beteiligung bei Anwälten knapp über Null liegen. Dies wird<br />
sicherlich nicht gesteigert, wenn von Gerichten, wie jüngst von dem Sächsischen<br />
LAG, auch noch Risikosteigerungen durch erhöhte Anforderungen gesetzt<br />
werden:<br />
„Uns ist bekannt, dass die wohl herrschende Meinung in der Literatur auf der<br />
Grundlage einer Entscheidung des BFH vom 18.10.2006 – XI R 22/06 – zitiert<br />
nach juris, Nr. 39 eine gegenteilige Auffassung vertritt. Die Entscheidung des<br />
BFH enthält jedoch keine vertiefte Begründung und wird dem aus unserer<br />
Sicht eindeutigen Gesetzeswortlaut sowie der Unterschriftsfunktion der Signatur<br />
nicht gerecht.<br />
Vor diesem Hintergrund erlaube ich mir die Empfehlung, zur Vermeidung von<br />
Rechtsnachteilen im Rahmen des Regelbetriebs ab dem 1.7.<strong>2012</strong> jeweils<br />
(auch) den Anhang zu signieren, der den maßgeblichen Schriftsatz enthält.“<br />
(aus einer Stellungnahme der Richterschaft des LAG Chemnitz vom<br />
28.6.<strong>2012</strong>).<br />
Das zur Verfügung gestellte und zwingend zur Nutzung vorgeschriebene Programm<br />
EGVP sieht aber nur die beanstandete Containersignatur vor. Damit<br />
hat die Anwaltschaft sowohl ein technisches wie vor allem auch ein rechtliches<br />
Problem. Man müsste die Finger davon lassen – nur ist das perspektivisch<br />
auch keine Lösung. Vielleicht sollte man – zur Risikominimierung – parallel<br />
zur EGVP-Post stets vorsorglich auch faxen.<br />
Mut machend: Das BAG bietet ebenfalls EGVP an und unterstützt, nach bisherigen<br />
Erfahrungen, konstruktiv und kritisch die teilnehmenden Anwälte. Noch<br />
nutzerfreundlicher übrigens: europäische Gerichte und Behörden. Warum<br />
geht es dort, aber nicht in der deutschen Provinz? Tatsächlich lässt sich nur<br />
gemeinsam von Gerichten und Anwaltschaft der elektronische Rechtsverkehr,<br />
der diese Bezeichnung verdient, gestalten.<br />
Eine Bitte: Übermitteln Sie der Redaktion Ihre Erfahrungsberichte und Eindrücke<br />
vom elektronischen Rechtsverkehr und seinen Vorstadien. Wir versuchen,<br />
die Entwicklung zu begleiten.<br />
Danke für die Einsendung von <strong>Entscheidungen</strong> durch unsere Leser.<br />
Bleiben Sie dabei. Die <strong>Entscheidungen</strong><br />
mögen allen nutzen!<br />
Leipzig, im Juli <strong>2012</strong><br />
Mit freundlich-sommerlichen und<br />
kollegialen Grüßen<br />
Ihr<br />
Roland Gross<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />
Arbeitsrecht<br />
130<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 3 von 68,<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Einsenderliste 132<br />
Beitrag<br />
Dr. Hans-Georg Meier, Chefredakteur missbraucht die AE? 133<br />
Dr. Hans-Georg Meier, Rechtsschutzversicherungen – Mandatsverteilung: ein hausgemachtes Problem der Anwaltschaft?<br />
133<br />
Inhaltsverzeichnis der <strong>Entscheidungen</strong> 135<br />
<strong>Entscheidungen</strong> 137<br />
Allgemeines Vertragsrecht 137<br />
Bestandsschutz 156<br />
Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht 175<br />
Tarifrecht 177<br />
Prozessuales 180<br />
Sonstiges 188<br />
Streitwert und Gebühren 188<br />
Rezensionen 191<br />
Conze/Karb, Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst 191<br />
Hromadka, Arbeitsrecht für Vorgesetzte 192<br />
Küttner, Personalbuch <strong>2012</strong> 192<br />
Lemke, Arbeitsvertrag für Führungskräfte 193<br />
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz-Kommentar 193<br />
Impressum 194<br />
Stichwortverzeichnis 195<br />
<strong>03</strong>/12 131
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 4 von 68,<br />
Liste der AE-Einsender<br />
Liste der AE-Einsender<br />
AE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele <strong>Entscheidungen</strong> aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />
Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank und Lob diejenigen, die sich um die AE<br />
besonders verdient gemacht haben.<br />
Einsender mit mehr als 40 <strong>Entscheidungen</strong><br />
Bauer Bertram Ansbach<br />
Berrisch Hansjörg Gießen<br />
Graumann Ingo Iserlohn<br />
Mansholt Werner Darmstadt<br />
Puhr-Westerheide Christian Duisburg<br />
Schrader, Dr. Peter Hannover<br />
Einsender mit mehr als 20 <strong>Entscheidungen</strong><br />
Brötzmann, Dr. Ulrich Mainz<br />
Franzen Klaus-Dieter Bremen<br />
Gussen, Dr. Heinrich Rheda-Wiedenbrück<br />
Hilligus Kurt-Jörg Neustadt i.Holst.<br />
Höser, Dr. Jürgen Frechen<br />
Kelber, Dr. Markus Berlin<br />
Koch, Dr. Friedemann Berlin<br />
Link Jochen Villingen<br />
Lodzik Michael Darmstadt<br />
Müller Steffen Iserlohn<br />
Neef, Prof. Dr. Klaus Hannover<br />
Rütte Klemens Hamm<br />
Schmitt Jürgen Stuttgart<br />
Seidemann, Dr. Gisbert Berlin<br />
Tschöpe, Dr. Ulrich Gütersloh<br />
Weberling, Prof. Dr. Johannes Berlin<br />
Zeißig, Dr. Rolf Berlin<br />
Einsender mit mehr als 10 <strong>Entscheidungen</strong><br />
Banse, Dr. Thomas Düren<br />
Bauer Dietmar Wiehl<br />
Behrens Walter Hamburg<br />
Chaudry Ijaz Frankfurt/M.<br />
Clausen Dirk Nürnberg<br />
Cornelius Astrid Darmstadt<br />
Dribusch Bernhard Detmold<br />
Faecks Friedhelm Marburg<br />
Geus Franz Schweinfurt<br />
Gosda Ralf Ahlen<br />
Gravenhorst, Dr. Wulf Düsseldorf<br />
Heinemann Bernd St. Augustin<br />
Hertwig, Dr. Volker Bremen<br />
Hesse, Dr. Walter Berlin<br />
Jung Nikolaus Oberursel<br />
Krügermeyer-<br />
Kalthoff Rolf Köln<br />
Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.<br />
Lampe, Dr. Christian Berlin<br />
Matyssek Rüdiger Ratingen<br />
Müller-Knapp Klaus Hamburg<br />
Müller-Wiechards Wolfram Lübeck<br />
Pauly, Dr. Stephan Bonn<br />
Peter Michael Bad Honnef<br />
Schäder, Dr. Gerhard München<br />
Schaefer Rolf Hannover<br />
Schmalenberg, Dr. Werner Bremen<br />
Schramm Joachim Lübbecke<br />
Schulz, Dr. Georg R. München<br />
Sparla Franz Aachen<br />
Straub, Dr. Dieter München<br />
Thiele Volker Düren<br />
Weber Axel Frankfurt/M.<br />
Zahn Thomas Berlin<br />
Einsender mit 5–9<strong>Entscheidungen</strong><br />
Beckmann Paul-Werner Herford<br />
Böse Rainer Essen<br />
Brammertz, Dr. Dieter Aachen<br />
Clemens, Dr. Susanne Gütersloh<br />
Crämer Eckart Dortmund<br />
Daniels Wolfgang Berlin<br />
Eckert, Dr. Helmut Offenbach<br />
Fischer Ulrich Frankfurt/Main<br />
Fromlowitz Horst Essen<br />
Gehrmann Dietrich Aachen<br />
Goergens Dorothea Hamburg<br />
Greinert, Jaqueline Kassel<br />
Grimm, Dr. Detlev Köln<br />
Heimann Marco Cham<br />
Hennige, Dr. Susanne Gütersloh<br />
Herbert, Dr. Ulrich Coburg<br />
Hjort Jens Hamburg<br />
Karle Gerd Balingen<br />
Keller Thomas München<br />
Kern Jan H. Hamburg<br />
Kistner Heinz Hannover<br />
Krafft Alexander Öhringen<br />
Kühn Stefan Karlsruhe<br />
Kunzmann, Dr. Walter Euskirchen<br />
Matissek Reinhard Kaiserslautern<br />
Pouyadou, Dr. Richard M. Augsburg<br />
Preßer Wolfgang Neunkirchen<br />
Pütter, Dr. Albrecht Flensburg<br />
Richter Klaus Bremen<br />
Richter, Dr. Hanns-Uwe Heidelberg<br />
Schäfer Dieter Essen<br />
Schipp, Dr. Johannes Gütersloh<br />
Schneider-Bodien Marcus Düsseldorf<br />
Striegel Bernhard Kassel<br />
Struckhoff Michael H. München<br />
Sturm Joachim Bottrop<br />
Theissen-<br />
Graf Schweinitz Ingo Hagen<br />
Thieme Hans Frankfurt/M.<br />
Thon Horst Offenbach<br />
Vrana-Zentgraf Silke Darmstadt<br />
Zirnbauer Ulrich Nürnberg<br />
132<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 5 von 68,<br />
Aufsatz/Beitrag<br />
Chefredakteur missbraucht die AE?<br />
Die Leser dieser Zeitschrift sind nahezu ausschließlich Mitglieder<br />
der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV. Als Initiator<br />
und langjähriger alleiniger Redakteur war es für mich immer<br />
selbstverständlich, dass es sich bei der AE nicht nur um eine<br />
Publikation zur Veröffentlichung von <strong>Entscheidungen</strong> und<br />
Fachbeiträgen handelt, sondern auch um ein der Pressefreiheit<br />
unterliegendes innerverbandliches Mitteilungsorgan, u.a.<br />
berichtend über die Aktivitäten des Vorstandes, wie z.B. die<br />
Koordinierungsstelle Rechtsschutzversicherung.<br />
Als nun im Vorstand beschlossen wurde, die Mitgliederversammlung<br />
über die Unterstützung eines neuen Veranstaltungsformats<br />
beschließen zu lassen, habe ich deshalb meine<br />
Meinung dazu in den AE veröffentlicht. Von dieser Absicht<br />
hatte ich alle Vorstandsmitglieder vorab unterrichtet und aufgefordert,<br />
die Mehrheitsmeinung in einem gleichzeitig veröffentlichten<br />
Beitrag darzustellen. Bekanntlich wurde von dieser<br />
Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. Stattdessen gab es<br />
nachträglich eine Rundmail an alle Mitglieder. Das ist aus meiner<br />
Sicht völlig in Ordnung. Niemand muss sich äußern und<br />
wenn doch, stehen ihm alle allgemeinen Übermittlungswege<br />
offen.<br />
Das soll aber wohl nicht für den Chefredakteur dieser Zeitung<br />
gelten, denn nach der Rundmail der Vorstandsmehrheit ging<br />
ein Schreiben ein, verfasst von einem langjährigen Mitglied<br />
der Arbeitsgemeinschaft (kein Mitglied des Vorstands). Darin<br />
heißt es, mit meinem Beitrag zum Deutschen Arbeitsrechtstag<br />
hätte ich die AE „missbraucht“. Weder mein „Aufruf“ noch die<br />
Stellungnahme der weiteren Vorstandsmitglieder seien „professionell“.<br />
Es würde uns allen schaden, wenn der Meinungsbildungsprozess<br />
in dieser Weise „in die Öffentlichkeit getragen<br />
wird“. Wir würden uns „entblößen … als Mitglieder einer<br />
streitsüchtigen Berufsgruppe, der demokratische Meinungsprozesse<br />
fremd“ sind. Den Autor dieser Zeilen nenne ich nicht,<br />
weil es nicht auf die Person, sondern auf die inhaltliche Aussage<br />
ankommt.<br />
Ich war bisher der Auffassung, dass die öffentliche Verbreitung<br />
unterschiedlicher Meinungen ein wesentlicher Teil (Art.<br />
5 GG) des demokratischen Meinungsbildungsprozesses ist.<br />
Aber vielleicht täusche ich mich da ja. Was meinen Sie, was<br />
uns nützt, ein öffentlicher Meinungsaustausch oder die Diskussion<br />
nur im geschlossenen Raum der Mitgliederversammlung,<br />
die aller Erfahrung nach von allenfalls 10 % der Mitglieder<br />
besucht wird (viele sind beruflich oder privat aus sehr<br />
nachvollziehbaren Gründen verhindert).<br />
Sagen Sie also Ihre Meinung, schriftlich oder in der Mitgliederversammlung!<br />
Ihr<br />
Dr. Hans-Georg Meier<br />
Rechtsschutzversicherungen – Mandatsverteilung: ein<br />
hausgemachtes Problem der Anwaltschaft?<br />
Dr. Hans-Georg Meier, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />
Kürzlich legte mir ein Mandant die Mitteilung seines Rechtsschutzversicherers<br />
vor, in der ihm für seine Kündigungsschutzklage<br />
die Deckungszusage erteilt wurde, verbunden<br />
mit der „Empfehlung“, eine bestimmte Kanzlei zu beauftragen,<br />
deren Kontaktdaten sogleich umfänglich mitgeteilt wurden.<br />
Sollte der Versicherungsnehmer dieser Anwaltsempfehlung<br />
folgen, würde eine Rückstufung in der Schadensfreiheitsklasse<br />
und damit eine höhere Selbstbeteiligung im nächsten<br />
Rechtsschutzfall vermieden.<br />
Dieser Vorgang ist kein Einzelfall. Nahezu alle Rechtsschutzversicherer<br />
haben sich inzwischen ein Bonus-/Malus-System<br />
ausgedacht, um Einfluss auf die freie Anwaltswahl ihrer Versicherungsnehmer<br />
auszuüben. Mit dem Vorwurf, durch dieses<br />
System gegen das Recht auf freie Anwaltswahl zu verstoßen,<br />
hat die Rechtsanwaltskammer München sozusagen ein Musterverfahren<br />
gegen die HUK-Coburg eingeleitet und nach einer<br />
erstinstanzlichen Niederlage soeben vor dem Oberlandes-<br />
gericht Bamberg mit Urt. v. 20.6.<strong>2012</strong>, 3 U 236/11, obsiegt. Allerdings<br />
handelt es sich dabei nur um einen zwar erfreulichen<br />
und wichtigen, aber eben doch nur um einen Etappensieg,<br />
denn aus nachvollziehbaren Gründen hat das OLG Bamberg<br />
die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen und es darf<br />
vermutet werden, dass die HUK-Coburg im Falle ihres weiteren<br />
Unterliegens auch alle sonst noch denkbaren Rechtsbehelfe<br />
ausschöpfen wird.<br />
Auch der Deutsche Anwaltverein ist nicht untätig geblieben.<br />
Er hat eine große Veranstaltung in Hamburg durchgeführt, die<br />
ebenfalls von dem Thema freie Anwaltswahl bestimmt wurde,<br />
zusätzlich aber noch von kartellrechtlichen Fragen, und ist mit<br />
einer speziellen Arbeitsgruppe im Gespräch mit den großen<br />
Rechtsschutzversicherern. Das ist ein löbliches Unterfangen.<br />
Zum einen sind Gespräche bei unterschiedlichen Interessen<br />
immer sinnvoll, zum anderen ist die große Verbreitung von<br />
Rechtsschutzversicherungen eine wichtige Stütze der Rechtsanwaltschaft.<br />
Ein ansehnlicher Teil unserer Fälle beruht sicher-<br />
<strong>03</strong>/12 133
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 6 von 68,<br />
Aufsatz/Beitrag<br />
lich auf dieser Absicherung der Mandanten oder wird mindestens<br />
dadurch erleichtert.<br />
Allerdings ist bei der quasi Mandantenzuweisung durch<br />
Rechtsschutzversicherer mit der geschilderten Vorgehensweise<br />
nur die eine Seite der Medaille angesprochen, wenn<br />
auch die aktivere Seite. Dennoch kann eine noch so aktive<br />
Rechtsschutzversicherung in dieser Angelegenheit nicht ohne<br />
die kooperierenden Anwälte handeln. Es ist wie beim Doping-<br />
Problem, der initiierende Trainer oder Arzt kann sein Ziel nicht<br />
erreichen ohne den das Dopingmittel einnehmenden Sportler.<br />
Die Rechtsschutzversicherung empfiehlt ja bestimmte Anwälte<br />
vor allem deshalb (angeblich sollen auch Qualitätsfragen<br />
eine Rolle spielen), weil diese mit ihnen Vereinbarungen<br />
über ihre Vergütung treffen, sicher nicht mit dem Ziel, die gesetzlichen<br />
Gebühren zu überschreiten, sondern um das Gebührenaufkommen<br />
zu beschränken, mit welchen Modifikationen<br />
auch immer.<br />
Im Ergebnis berechnet der Rechtsanwalt dem Versicherer also<br />
geringere Gebühren, als er gesetzlich könnte. Den so herausgehandelten<br />
Vorteil gibt die Versicherung – bestimmt nicht<br />
vollständig – an ihren Versicherungsnehmer weiter. Der Versicherungsnehmer<br />
erhält also einen – wenn auch kleinen – Vor-<br />
teil, den letztlich der ihm „zugewiesene“ Anwalt durch seine<br />
Vergütungsvereinbarung bezahlt. Vor allem aber kann man<br />
den Vorgang so bewerten, dass der Anwalt dem Rechtsschutzversicherer<br />
einen Vorteil (man könnte auch sagen: eine<br />
Provision) dafür gewährt, dass ihm Mandanten vermittelt werden.<br />
Den Sachverhalt auf diese Weise betrachtend, liegt der<br />
Verdacht nahe, dass der beteiligte Anwalt sich hier eines Verstoßes<br />
gegen § 49b Abs. 3 BRAO schuldig macht. Zugleich<br />
kann man sagen, dass die beteiligten Anwälte, und das sind<br />
vermutlich nicht wenige, einen nicht unbedeutenden Anteil<br />
daran haben, die freie Anwaltswahl durch wirtschaftliche<br />
Zwänge zu beeinträchtigen.<br />
Warum das Anwälte tun, hat sicherlich viele Gründe, alle aber<br />
sind wirtschaftliche und eine Einsparung zugunsten des Mandanten<br />
dürfte eher eine zu vernachlässigende Größe sein.<br />
Soweit für mich ersichtlich, gibt es weder von den Rechtsanwaltskammern<br />
noch vom DAV Initiativen, das hier aufgezeigte<br />
Problem unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens von Teilen<br />
der Anwaltschaft zu diskutieren. Ich meine, dass die Anwaltschaft<br />
das Problem auch durch „Kehren im eigenen Hause“<br />
bearbeiten sollte und bitte Sie sehr, sich durch Beiträge in dieser<br />
Zeitschrift, aber auch an jedem anderen geeigneten Ort,<br />
an einer solchen Diskussion zu beteiligen.<br />
134<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 7 von 68,<br />
Inhalt: <strong>Entscheidungen</strong><br />
Inhaltsverzeichnis der <strong>Entscheidungen</strong><br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Seite<br />
162. AGB, Transparenzgebot, Tantieme 137<br />
163. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung, Entschädigung<br />
138<br />
164. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung, Vorstellungsgespräch,<br />
Entschädigung 139<br />
165. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung, Vorstellungsgespräch,<br />
Entschädigung, öffentlicher Arbeitgeber<br />
142<br />
166. AGG, Geschlechtsdiskriminierung, Entschädigung;<br />
Anspruch gegen Vorgesetzte, Prozesskostenerstattung<br />
wegen sittenwidriger Schädigung 144<br />
167. Arbeitnehmerstatus, Cutterin, Programmgestaltung,<br />
Dienstplanfreiheit 146<br />
168. Arbeitszeit, Verrechnung von Minderstunden nur<br />
bei Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos, Annahmeverzug<br />
146<br />
169. Ausgleichsklausel, Auslegung, keine Erstreckung<br />
auf Betriebsrentenansprüche 146<br />
170. Betriebliche Altersversorgung, Zusage, Bekanntmachung<br />
146<br />
171. Betriebliche Altersversorgung, Berechnung 147<br />
172. Direktionsrecht, Beschäftigungsanspruch, Feststellungsantrag<br />
148<br />
173. Leiharbeit: Annahmeverzugslohn bei fehlender<br />
Beschäftigung und Zeitkonto 149<br />
174. Mobbing, Aufgabenentzug, Schmerzensgeld 149<br />
175. Sonderurlaub, Beendigung, Rückwirkung 151<br />
176. Urlaubsanspruch, Mindesturlaub während EU-<br />
Rente 151<br />
177. Urlaubsanspruch, Verfall, eigenes Urlaubsregime,<br />
Abgeltung nach gerichtlicher Auflösungsentscheidung<br />
151<br />
178. Urlaubsanspruch, Übertragungsanspruch, betriebliche<br />
Übung 152<br />
179. Urlaubsanspruch, Abgeltungsanspruch 153<br />
180. Urlaubsanspruch, Urlaubsgewährung, Verfügungsanspruch<br />
153<br />
181. Urlaub, Kürzung wegen Krankheit 154<br />
182. Vergütung, Sonderzahlung, Freiwilligkeitsvorbehalt<br />
154<br />
Seite<br />
183. Vertragsabschluss mit fremdsprachlichem Arbeitnehmer,<br />
wirksame Willenserklärung, keine Übersetzungspflicht<br />
155<br />
184. Verwirkung, Geltendmachung von Ansprüchen<br />
nach langfristiger Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen<br />
155<br />
Bestandsschutz<br />
185. Abberufung, Abfallbeauftragter, Bedeutung des<br />
vertraglichen Hintergrunds 156<br />
186. Änderungskündigung zwecks Tarifvertragswechsel,<br />
Allgemeine Geschäftsbedingung: Tarifwechselklausel<br />
als Änderungsvorbehalt 157<br />
187. Änderungskündigung, Zumutbarkeit von Alternativangeboten<br />
157<br />
188. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, Kausalität einer<br />
Drohung 158<br />
189. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, alkoholbedingte<br />
Geschäftsunfähigkeit; Zurückweisung verspäteten<br />
Vorbringens 158<br />
190. Außerordentliche Kündigung, ungerechtfertigte<br />
Anschuldigung, Prozessverhalten 160<br />
191. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />
in der Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses 161<br />
192. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />
oder Vorbereitungshandlung 161<br />
193. Außerordentliche Kündigung, Schwerbehinderte,<br />
Zustimmung Integrationsamt 162<br />
194. Außerordentliche Kündigung, whistleblowing,<br />
Verdachtskündigung 163<br />
195. Außerordentliche Kündigung während der<br />
Schwangerschaft, abträgliche Meinungsäußerung<br />
bei Facebook, ausführliche Diskussion von<br />
Schmähkritik 163<br />
196. Außerordentliche Kündigung, wirtschaftliche Verhältnisse,<br />
Bankkauffrau, Ansehen einer Bank in der<br />
Öffentlichkeit, Bedeutung interner Anweisungen 167<br />
197. Befristung, Kombination von Probezeitbefristung<br />
mit sachgrundloser Zeitbefristung intransparent 168<br />
198. Befristung des Arbeitsverhältnisses, programmgestaltender<br />
Mitarbeiter, Rundfunk 168<br />
199. Betriebsbedingte Kündigung, keine besondere<br />
Dokumentation der Unternehmerentscheidung<br />
<strong>03</strong>/12 135
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 8 von 68,<br />
Inhalt: <strong>Entscheidungen</strong><br />
Seite<br />
erforderlich, greifbare Form der Umsetzung, Rücksicht<br />
auf erstinstanzliche vorläufige Weiterbeschäftigungspflicht<br />
169<br />
200. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />
Anforderungen an die Betriebsratsanhörung, Unterscheidung<br />
zwischen Kurz- und Langzeit- und<br />
Dauererkrankung, Kosten der Vertretungskräfte 170<br />
201. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />
nicht durchgeführtes BEM, kein Ersatz durch Verfahren<br />
vor dem Integrationsamt 172<br />
202. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnung,<br />
Melde- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit<br />
173<br />
2<strong>03</strong>. Verhaltensbedingte Kündigung, beharrliche Arbeitsverweigerung<br />
im Prozessarbeitsverhältnis ist<br />
kein Kündigungsgrund 175<br />
Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht<br />
204. Einigungsstelle, gerichtliche Einsetzung gemäß<br />
§ 98 ArbGG, Informationspflicht des Arbeitgebers,<br />
Scheitern der Verhandlungen 175<br />
205. Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten<br />
und bei betrieblicher Berufsbildung,<br />
Bestimmtheit des Unterlassungsantrages, Verfügungsgrund,<br />
Vorrang der Einigungsstelle auch für<br />
vorläufige Regelung bezüglich eines Unterlassungsbegehrens,<br />
Vorrang des § 101 BetrVG für<br />
personelle Maßnahmen 175<br />
206. Personalrat, kein Übergangsmandat bei Privatisierung<br />
177<br />
207. Sozialplan, AGG, Altersdiskriminierung 177<br />
Seite<br />
211. Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erwerbsminderung,<br />
Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsanspruchs<br />
180<br />
212. Tariffähigkeit der CGZP, Aussetzung des Verfahrens<br />
zur Feststellung der Tariffähigkeit 180<br />
Prozessuales<br />
213. Aktenlageentscheidung in der Güteverhandlung?,<br />
Zurückverweisung an Arbeitsgericht 180<br />
214. Aussetzung, Vorgreiflichkeit, sozialgerichtliche<br />
Entscheidung, Folge einer fehlerhaften Ermessensausübung<br />
durch das Arbeitsgericht 183<br />
215. Beweiskraft einer Quittung 183<br />
216. Nichtzulassungsbeschwerde, Anforderungen an<br />
die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs 184<br />
217. Rechtsschutzbedürfnis, keine Klage auf Entgeltmitteilung<br />
an Krankenversicherungsträger 184<br />
218. Rechtsweg, arbeitsgerichtliche Zuständigkeit für<br />
Klagen gegen Gesellschafter und Rechtsnachfolger<br />
des Arbeitgebers 184<br />
219. Rechtsweg, Arbeitnehmerbegriff, Organ im Eigenbetrieb,<br />
Bedeutung vertraglicher Vereinbarungen<br />
zum Arbeitsrechtsstatus 185<br />
220. Zwangsvollstreckung, Unzulässigkeitserklärung,<br />
mangelnde Bestimmtheit 187<br />
Sonstiges<br />
221. PKH, Abzugsfähigkeit von Strom- und Rundfunkkosten<br />
188<br />
222. PKH, Verwertung einer Kapitallebensversicherung,<br />
Wirtschaftlichkeit der Verwertung 188<br />
Tarifrecht<br />
208. Gebäudereinigerhandwerk – Rahmentarifvertrag,<br />
Feststellungsantrag zur Eingruppierung, Herausfallen<br />
aus Rahmentarifvertrag mangels spezieller<br />
Vergütungsgruppe? Auslegung von Tarifverträgen 177<br />
209. Gebäudereinigerhandwerk, tarifliche Vergütung<br />
arbeitsfreier Zwischenzeiten 179<br />
210. Rechtsstreit über Wirksamkeit des Tarifvertrages,<br />
Feststellungsinteresse 179<br />
Streitwert und Gebühren<br />
223. Einigungsgebühr; Anrechnung der Geschäftsgebühr,<br />
Rückwirkung des § 15a RVG; Entscheidung<br />
im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung<br />
188<br />
224. Streitwert, Beschwerde gegen Wertfestsetzung 189<br />
225. Streitwert im Beschlussverfahren, Freistellung Betriebsrat<br />
189<br />
226. Streitwert, Wettbewerbsverbot 190<br />
136<br />
<strong>03</strong>/12
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
162. AGB, Transparenzgebot, Tantieme<br />
Aus dem Tatbestand<br />
Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte über eine Klage eines Arbeitnehmers<br />
auf Zahlung einer Tantieme zu entscheiden. Der<br />
Kläger war als Regionaldirektor einer Bank tätig; das Arbeitsverhältnis<br />
endete durch Aufhebungsvertrag mit Ablauf des<br />
28.2.2010. Der Kläger machte gegenüber der Beklagten nach<br />
Grund und Höhe einen Tantiemeanspruch geltend aufgrund<br />
von § 6 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages.<br />
Dieser lautet auszugsweise:<br />
§ 6 – Entgelt<br />
Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit feste Jahresbezüge<br />
entsprechend Anlage 1 zu diesem Vertrag.<br />
Eventuelle Tantiemezahlungen sind abhängig vom Erfolg,<br />
dem Engagement und der Zielerreichung der Führungskraft.<br />
Sie werden im Abrechnungsmonat nach der Hauptversammlung<br />
bezahlt.<br />
Bei einem evtl. Austritt aus der Bank hat der Mitarbeiter im<br />
Ausscheidungsjahr keinen Anspruch auf Zahlung der Tantieme.<br />
3. Die über das Monatsgehalt x 12 hinausgehenden Bezüge<br />
werden freiwillig und<br />
unter Widerrufsvorbehalt gewährt. (...)<br />
Zwischen den Parteien ist insoweit die Höhe der Tantieme des<br />
Klägers unstreitig, streitig ist jedoch das Bestehen eines Tantiemeanspruchs<br />
für das Jahr 2009 dem Grunde nach.<br />
Der Kläger ist der Auffassung, er habe Anspruch auf Zahlung<br />
der Tantieme, obwohl diese erst im Jahr seines Ausscheidens<br />
fällig wurde. Die Beklagte meint, dass der Kläger keinen Anspruch<br />
habe. Mit der ausdrücklichen Regelung der Tantiemezahlung<br />
im jeweiligen Folgejahr sei klar ersichtlich, dass eine<br />
Betriebstreue bis zum Schluss des Folgejahres Voraussetzung<br />
für das Entstehen des Anspruchs sei.<br />
Aus den Gründen<br />
Die zulässige Klage ist begründet. Bereits die Auslegung der<br />
Regelungen in § 6 des Arbeitsvertrages ergibt nach Auffassung<br />
der erkennenden Kammer eindeutig das Bestehen des<br />
Tantiemeanspruchs des Klägers<br />
(a) Selbst wenn man jedoch die Regelung dergestalt auslegen<br />
würde, wie die Beklagte es meint, wäre der Anspruch des Klägers<br />
gegeben, da die Klausel dann nach §§ 305 ff. BGB zu Lasten<br />
der Beklagten gehen würde.<br />
(b) § 6.3 des Arbeitsvertrages steht dem nicht entgegen.<br />
(c) a) Aus einer Auslegung von § 6.2 des Arbeitsvertrages folgt<br />
der Anspruch des Klägers. Bei § 6 des Arbeitsvertrages handelt<br />
es sich unstreitig um von der Beklagten gestellte Allgemeine<br />
Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB,<br />
die Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden sind.<br />
Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven<br />
Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter<br />
Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise<br />
verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten<br />
des konkreten, sondern die des durchschnittlichen<br />
Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen<br />
sind. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen<br />
ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen<br />
Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten.<br />
Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein<br />
nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäße § 305c Abs. 2<br />
BGB zu Lasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregelung<br />
des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus,<br />
dass die Auslegung der einzelnen AGB-Bestimmung mindestens<br />
zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von<br />
diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen<br />
„erhebliche" Zweifel an der richtigen Auslegung bestehen.<br />
Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu<br />
kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht.<br />
Nach diesen Grundsätzen ergibt bereits eine Auslegung von<br />
§ 6.2 des Arbeitsvertrages nach Auffassung der erkennenden<br />
Kammer, dass der Anspruch des Klägers für das Jahr 2009 besteht.<br />
So ist der Wortlaut von § 6.2 S. 2 des Arbeitsvertrages eindeutig<br />
dahin zu verstehen, dass damit eine reine Fälligkeitsregelung<br />
getroffen werden soll, auch wenn der genaue Abrechnungsmonat<br />
sich allein aus der Regelung nicht ergibt. Die<br />
Hauptversammlung der Beklagten findet jeweils im Mai statt,<br />
womit die Fälligkeit der Zahlung jeweils im Juni des Folgemonats<br />
feststeht. Darüber hinaus folgt aus § 6.2 S. 3 des Arbeitsvertrages,<br />
dass im Jahr des Ausscheidens des Arbeitnehmers<br />
bei der Beklagten ein Anspruch auf Tantiemezahlung nicht<br />
besteht. Ein darüber hinausgehendes Entfallen des Anspruchs<br />
auch für das Jahr vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers<br />
lässt sich dem dagegen nicht entnehmen. Ein konkreter Stichtag<br />
für das Entstehen des vollen Tantiemeanspruchs ist nicht<br />
geregelt. § 6.2 S. 2 ist insoweit eine reine Fälligkeitsregelung<br />
ohne Nennung eines konkreten Stichtages. Sollte § 6.2 S. 3<br />
des Arbeitsvertrages sowohl ein Entfallen des Anspruchs für<br />
das Vorjahr der Fälligkeit als auch für das Ausscheidejahr bewirken,<br />
so müsste dies aus der Regelung zumindest im Ansatz<br />
ersichtlich sein. Ein Entfallen der Tantiemeansprüche gleich<br />
für zwei Jahre ist aus dem Wortlaut der Regelung jedoch nicht<br />
ableitbar. Darüber hinaus enthält die Klausel gerade keine<br />
Stichtagsregelung in dem Sinne, dass eine Betriebstreue des<br />
tantiemeberechtigten Arbeitnehmers bis zu einem bestimmten<br />
Termin vorausgesetzt ist. Der reinen Fälligkeitsbestimmung<br />
lässt sich dies auch nicht entnehmen.<br />
b) Auch wenn man § 6.2 S. 3 des Arbeitsvertrages mit der Beklagten<br />
dahingehend auslegen würde, dass der Tantiemeanspruch<br />
des Klägers für das Jahr 2009 aufgrund seines Ausscheidens<br />
im Jahr 2010 nicht besteht, würde dies an vorstehendem<br />
Ergebnis nichts ändern, da eine solche Regelung unwirksam<br />
wäre.<br />
<strong>03</strong>/12 137
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 10 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Insoweit kann dahinstehen, ob eine so verstandene Klausel<br />
bereits mit der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB<br />
in Konflikt geraten würde. Sie wäre jedenfalls aufgrund Verstoßes<br />
gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB<br />
unwirksam. Vorstehende Auslegung von § 6.2 des Arbeitsvertrages<br />
zeigt nämlich, dass dieser eindeutig dahin zu verstehen<br />
ist, dass nur der Tantiemeanspruch im Jahr des tatsächlichen<br />
Ausscheidens bei der Beklagten nicht bestehen soll. Wenn<br />
nun zusätzlich auch der Anspruch auf Tantieme aus dem Vorjahr<br />
betroffen sein soll, so lässt sich dies der Regelung keinesfalls<br />
klar und eindeutig entnehmen. Eine Rückzahlungsklausel<br />
ist nicht vereinbart; der Arbeitnehmer könnte der Regelung<br />
jedoch nicht eindeutig entnehmen, ob er zur Rückzahlung<br />
verpflichtet ist.<br />
c) Der in § 6.3 des Arbeitsvertrages enthaltene Freiwilligkeitsund<br />
Widerrufsvorbehalt ist nach ständiger Rechtsprechung<br />
des Bundesarbeitsgerichts in dieser Form unwirksam, womit<br />
er dem Anspruch des Klägers auch nicht wirksam entgegen<br />
gehalten werden kann.<br />
■ Arbeitsgericht Stuttgart<br />
vom 1.9.2011, 17 Ca 1788/11<br />
eingereicht und ausgearbeitet von<br />
Rechtsanwalt Jürgen Schmitt<br />
Friedrichstraße 5 (Zeppelin Carré), 70174 Stuttgart<br />
Tel.: 0711/22 41 99-0, Fax: 0711/22 41 99-79<br />
www.shp-anwaltskanzlei.de, E-Mail: kanzlei@shp-anwaltskanzlei.de<br />
163. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung,<br />
Entschädigung<br />
Die Klage ist auch begründet.<br />
Die Klägerin hat Anspruch auf Entschädigungszahlung in<br />
Höhe von 3 Monatseinkommen wegen Benachteiligung als<br />
Schwerbehinderte durch die Beklagte.<br />
1. Die Beklagte hat gegen das Benachteiligungsverbot nach<br />
AGG verstoßen, so dass sie zur Zahlung einer angemessenen<br />
Entschädigung an die Klägerin verpflichtet ist.<br />
Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist<br />
es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der<br />
ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung,<br />
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen<br />
Identität zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG).<br />
Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines<br />
in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch<br />
dann, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das<br />
Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung<br />
nur annimmt.<br />
Die Dienststellen der Öffentlichen Arbeitgeber melden den<br />
Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende und neu zu besetzende<br />
sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte<br />
Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder<br />
sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von<br />
dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen<br />
worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.<br />
Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung<br />
offensichtlich fehlt (§ 82 Sätze 1–3SGBIX).<br />
§ 82 Satz 2 und 3 SGB IX begründet eine solche Handlungspflicht,<br />
bei deren Nichterfüllung eine unmittelbare Benachteiligung<br />
durch Unterlassen anzunehmen ist. Danach haben öffentliche<br />
Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen oder die<br />
ihnen gleichgestellten behinderten Menschen, die sich um einen<br />
frei werdenden und neu zu besetzenden sowie neue Arbeitsplätze<br />
beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch<br />
einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich.<br />
Das Bundesverwaltungsgericht führt hierzu aus, dass der<br />
Gesetzgeber damit schwerbehinderte Menschen und die ihnen<br />
gleichgestellten behinderten Menschen zum Ausgleich<br />
ihrer im Allgemeinen tatsächlich schlechteren Chancen auf<br />
dem Arbeitsmarkt im Bewerbungsverfahren besserstellt, als<br />
die nicht schwerbehinderten Konkurrentinnen und Konkurrenten.<br />
Anders als diese sollen schwerbehinderte Menschen<br />
und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen die Gelegenheit<br />
erhalten, den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch<br />
von ihrer Leistungsfähigkeit und Eignung zu<br />
überzeugen, auch wenn ihre fachliche Eignung für die zu besetzende<br />
Stelle zweifelhaft sein mag, solange sie nicht offensichtlich<br />
ausgeschlossen ist. Der öffentliche Arbeitgeber hat<br />
sich in diesem Fall über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen<br />
hinaus einen persönlichen Eindruck von der schwerbehinderten<br />
Bewerberin oder dem schwerbehinderten Bewerber<br />
und dem ihnen gleichgestellten behinderten Menschen,<br />
insbesondere von ihrem positiven Leistungsprofil zu verschaffen<br />
(vgl. Bundesverwaltungsgericht, v. 3.3.2011 –5C16/10,<br />
Rn 18 – zitiert nach juris).<br />
Auch das Bundesarbeitsgericht verweist darauf, dass die<br />
Pflicht zur Einladung nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX nur dann<br />
nicht besteht, wenn dem schwerbehinderten Menschen die<br />
fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Ein schwerbehinderter<br />
Bewerber muss bei einem Öffentlichen Arbeitgeber die<br />
Chance eines Vorstellungsgespräches bekommen, wenn seine<br />
fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen<br />
ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber<br />
aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet<br />
hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet,<br />
dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die<br />
nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber<br />
nach dem Gesetzesziel einladen. Der schwerbehinderten<br />
Bewerber soll den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch<br />
von seiner Eignung überzeugen können. Wird<br />
ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger<br />
günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher<br />
Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für<br />
erforderlich hält. Der Ausschluss aus den weiteren Bewerbungsverfahren<br />
ist eine Benachteiligung, die in einem ursächlichen<br />
Zusammenhang mit der Behinderung steht (vgl. BAG,<br />
v. 21.7.2009 – 9 AZR 431/08 Rn 22 m.w.N. – zitiert nach juris).<br />
138<br />
<strong>03</strong>/12
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Ob ein Bewerber offensichtlich nicht die notwendige fachliche<br />
Eignung hat, beurteilt sich nach den Ausbildungs- oder<br />
Prüfungsvoraussetzungen für die zu besetzende Stelle und<br />
den einzelnen Aufgabengebieten. Diese Erfordernisse werden<br />
von den in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationsmerkmalen<br />
konkretisiert. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils<br />
für einen Dienstposten legt der Dienstherr<br />
die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest. Das Anforderungsprofil<br />
muss die objektiven Anforderungen der Stelle abbilden,<br />
die Ausschreibung dient der Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs<br />
potentieller Bewerber (vgl. BAG, v.<br />
21.7.2009, Rn 24, a.a.O.).<br />
Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil<br />
den Umfang seiner der eigenen Auswahlentscheidung<br />
vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtungen<br />
nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX. Denn schwerbehinderte<br />
Menschen und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen,<br />
die nach den schriftlichen Bewerbungsunterlagen eine<br />
ihrerseits diskriminierungsfrei bestimmte fachliche Eignungsvoraussetzung,<br />
die im Anforderungsprofil ausdrücklich und<br />
eindeutig bezeichnet ist, nicht erfüllen, müssen nicht zu einem<br />
Vorstellungsgespräch eingeladen werden.<br />
Seiner Aufgabe als Grundlage der leistungsbezogenen Auswahl<br />
entsprechend muss das Anforderungsprofil zwingend<br />
vor Beginn der Auswahlentscheidung festgelegt werden. Es<br />
ist für den öffentlichen Arbeitgeber während des Auswahlverfahrens<br />
verbindlich (vgl. Bundesverwaltungsgericht, v.<br />
3.3.2011, Rn 22, 23, a.a.O.). (…)<br />
3. Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann wegen eines Schadens, der<br />
nicht Vermögensschaden ist, der oder die Beschäftigte eine<br />
angemessene Entschädigung verlangen. Die Entschädigung<br />
darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht<br />
übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier<br />
Auswahl nicht eingestellt worden wäre.<br />
Vorliegend beruft sich die Beklagte darauf, dass es – unabhängig<br />
von der aus ihrer Sicht fehlenden fachlichen Eignung der<br />
Klägerin – jedenfalls besser geeignete Bewerber gegeben<br />
habe, ohne dass dem die Klägerin widerspricht. Der Entschädigungsanspruch<br />
der Klägerin ist daher auf drei Monatsgehälter<br />
begrenzt, da sie nach dem bisher unwidersprochenen Vortrag<br />
der Beklagten auch bei Einladung zu einem Vorstellungsgespräch<br />
nicht eingestellt worden wäre.<br />
Das monatliche Bruttoeinkommen in der Entgeltgruppe 15<br />
TV-L, welche für die ausgeschriebene Stelle in Aussicht gestellt<br />
wurde, beträgt 3.729,43 EUR. Der Klägerin steht daher<br />
eine Entschädigungszahlung in Höhe von insgesamt<br />
11.188,29 EUR zu.<br />
Bei der Festlegung der Höhe der Entschädigungszahlung war<br />
zu berücksichtigen, dass die Beklagte die vom Gesetzgeber<br />
vorgenommene bewusste Besserstellung von schwerbehinderten<br />
Menschen ignoriert und damit die Klägerin unmittelbar<br />
wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt hat. Erschwerend<br />
kommt dabei hinzu, dass die Beklagte die Rege-<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
lung des § 82 SGB IX nach ihren Einlassungen in der mündlichen<br />
Verhandlung eher als Förmelei in den Fällen ansieht, in<br />
denen von vornherein nicht mit einer Einstellung des Schwerbehinderten<br />
Bewerbers zu rechnen ist. Dabei ignoriert die Beklagte<br />
beharrlich die Intention des Gesetzgebers, gerade für<br />
schwerbehinderte Bewerber eine Besserstellung zu erreichen.<br />
Da sich die Beklagte als öffentlicher Arbeitgeber dieser Zielsetzung<br />
verschließt, ist es gerechtfertigt, auch den Höchstrahmen<br />
nach § 15 Abs. 2 AGG auszuschöpfen.<br />
■ Arbeitsgericht Leipzig<br />
vom 12.4.<strong>2012</strong>, 7 Ca 19/12<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Roland Gross<br />
Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />
Neumarkt 16-18, 04109 Leipzig<br />
Tel.: <strong>03</strong>41/984620, Fax: <strong>03</strong>41/9846224<br />
leipzig@advo-gross.de<br />
164. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung,<br />
Vorstellungsgespräch, Entschädigung<br />
1. Die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruches sind<br />
vorliegend erfüllt. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG können Beschäftigte,<br />
zu denen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch Bewerber<br />
für ein Beschäftigungsverhältnis zählen, wegen eines<br />
Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene<br />
Entschädigung in Geld verlangen. Der Entschädigungsanspruch<br />
setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot<br />
gemäß §§ 7 Abs. 1, 1 AGG voraus. Hiernach dürfen Beschäftigte<br />
unter anderem nicht wegen einer Behinderung benachteiligt<br />
werden. Außerdem bestimmt § 81 Abs. 2 Satz 1<br />
SGB IX, dass Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht<br />
wegen ihrer Behinderung benachteiligen dürfen. Bei einer<br />
Verletzung des Benachteiligungsverbots schuldet der Arbeitgeber<br />
nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 AGG eine angemessene<br />
Entschädigung in Geld, die drei Monatsvergütungen nicht<br />
übersteigen darf, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier<br />
Auswahl nicht eingestellt worden wäre.<br />
a) (…)<br />
b) Es lag auch eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers<br />
i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG vor, weil er in einer vergleichbaren Situation<br />
weniger günstig behandelt wurde, als derjenige Bewerber,<br />
den die Beklagte letztlich eingestellt hat. An einer vergleichbaren<br />
Situation würde es nach der Rechtsprechung des<br />
Bundesarbeitsgerichts fehlen, wenn der Kläger von vornherein<br />
objektiv für die ausgeschriebene Position ungeeignet gewesen<br />
wäre (vgl. BAG, v. 18.3.2010 – 8 AZR 77/09 = NZA 2010,<br />
872, Rn 22). Maßgeblich für die objektive Eignung ist dabei<br />
nicht das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber<br />
erstellt hat, sondern sind die Anforderungen, die an die<br />
jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden<br />
Verkehrsanschauung gestellt werden. Die objektive Eignung<br />
ist zu trennen von der individuellen fachlichen und persönlichen<br />
Qualifikation des Bewerbers, die nur als Kriterium der<br />
Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen<br />
<strong>03</strong>/12 139
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 12 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt<br />
(vgl. BAG a.a.O.). Der Kläger war aufgrund seiner Ausbildung<br />
für die ausgeschriebene Stelle im vorgenannten Sinne objektiv<br />
geeignet.<br />
c) Der Kläger hat mit der unterlassenen Einladung zu einem<br />
Vorstellungsgespräch und der unterbliebenen Meldung der<br />
ausgeschriebenen Stelle bei der Agentur für Arbeit, worauf<br />
der Kläger den Entschädigungsanspruch zuletzt gestützt hat,<br />
zwei hinreichende Indizien i.S.d. § 22 AGG vorgetragen, die<br />
eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lassen.<br />
Der Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu<br />
widerlegen.<br />
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,<br />
der sich die erkennende Kammer anschließt, lässt die<br />
entgegen § 82 Satz 2 SGB IX unterbliebene Einladung eines<br />
als schwerbehindert anerkannten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch<br />
eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung<br />
vermuten, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung<br />
des Bewerbers bekannt gewesen ist (vgl. BAG, v.<br />
13.10.2011 – 8 AZR 08/10 = juris Rn 38).<br />
(1) Mit der Regelung des § 82 Satz 2 SGB IX wollte der Gesetzgeber<br />
dem schwerbehinderten Bewerber im Bewerbungsverfahren<br />
dadurch einen Vorteil verschaffen, dass diesem die<br />
Möglichkeit eröffnet wird, den öffentlichen Arbeitgeber in einem<br />
Vorstellungsgespräch von seiner Eignung zu überzeugen.<br />
Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine<br />
weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung<br />
gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern<br />
für erforderlich hält (vgl. BAG , v. 21.7.2009 – 9 AZR<br />
431/08, NZA 2009, 1087 Rn 22). Die Pflicht nach § 82 Satz 2<br />
SGB IX besteht nur dann nicht, wenn dem schwerbehinderten<br />
Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.<br />
(2) (…) Die Pflicht zur Einladung ist auch nicht entfallen, wenn<br />
man den Vortrag der Beklagten bezüglich des Erscheinungsbildes<br />
der Bewerbungsunterlagen des Klägers und des Anrufs<br />
des Klägers beim Hauptamtsleiter zu deren Gunsten unterstellt.<br />
Der Kläger erfüllt ausweislich der Stellenausschreibung<br />
die fachlichen Anforderungen an die ausgeschriebene Stelle.<br />
Der Beklagten ist zuzugestehen, dass ein unterstellt schlechter<br />
Zustand der Bewerbungsunterlagen und ein inadäquater<br />
Anruf beim Hauptamtsleiter bei der Auswahl der Teilnehmer<br />
für ein Vorstellungsgespräch außerhalb des Anwendungsbereichs<br />
des § 82 Satz 2 SGB IX hätte berücksichtigt werden können.<br />
Auf eine offensichtlich fehlende Eignung des Klägers im<br />
Sinne des § 82 Satz 3 SGB IX kann hieraus jedoch nicht geschlossen<br />
werden, so dass die Beklagte dennoch verpflichtet<br />
war, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.<br />
(…) die Beklagte (hat) mit der unterlassenen Einladung des<br />
Klägers zu einem Vorstellungsgespräch diesem die Möglichkeit<br />
genommen, den bei der Beklagten etwaig durch den Zustand<br />
der Bewerbungsunterlagen und den Anruf beim Hauptamtsleiter<br />
entstandenen Eindruck auszuräumen oder zu relativieren.<br />
Soweit die Beklagte eine fehlende Praxistauglichkeit des Klägers<br />
behauptet, weil dieser die von ihm erworbenen fachlichen<br />
Qualifikationen in der Vergangenheit nicht in dauerhaften<br />
Beschäftigungsverhältnissen habe umsetzen können,<br />
lässt dies ebenfalls nicht auf eine offensichtliche Ungeeignetheit<br />
des Klägers schließen. Die Beklagte hat sich mit der Stellenausschreibung<br />
ausdrücklich an Abgänger der Fachhochschule<br />
für öffentliche Verwaltung gewandt, d.h. an Berufsanfänger,<br />
so dass nach dem Anforderungsprofil der Stelle Berufserfahrung<br />
nicht erforderlich war. Selbst wenn der Kläger<br />
die von ihm erworbenen Qualifikationen in anderen Bereichen<br />
nicht in die Praxis umzusetzen vermochte, kann hieraus<br />
nicht geschlossen werden, dass dies auch bei der von der Beklagten<br />
ausgeschriebenen Stelle der Fall sein würde. Die Einladung<br />
des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch war demnach<br />
nicht entbehrlich.<br />
bb) Die Beklagte hat zudem ihre Prüf- und Meldepflichten<br />
gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX verletzt.<br />
(1) (…)<br />
(2) Den vorgenannten Prüf- und Meldepflichten ist die Beklagte<br />
unstreitig nicht nachgekommen. Als schwerbehinderter<br />
Mensch kann sich der Kläger auf Verstöße gegen § 81<br />
SGB IX berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,<br />
der sich die erkennende Kammer anschließt, begründet<br />
der zurechenbare Pflichtverstoß der Beklagten eine überwiegende<br />
Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Kläger zuteil<br />
gewordene benachteiligende Behandlung auf dem Merkmal<br />
der Behinderung beruht. Mit ihrem Verhalten erweckt die<br />
Beklagte den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung<br />
schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern<br />
auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen<br />
von arbeitssuchenden schwerbehinderten Menschen aus<br />
dem Weg gehen zu wollen (vgl. BAG, v. 13.10.2011 – 8 AZR<br />
608/11 = juris Rn 47).<br />
cc) Vorliegend ist ein Kausalzusammenhang zwischen der<br />
nachteiligen Behandlung des Klägers und seiner Behinderung<br />
gegeben.<br />
Beweist ein schwerbehinderter Bewerber Indizien, die eine<br />
Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen,<br />
trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür,<br />
dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor<br />
Benachteiligungen vorliegt. Dies nachzuweisen ist der Beklagten<br />
nicht gelungen.<br />
Unter das Benachteiligungsverbot fallen auch Verfahrenshandlungen.<br />
Sind die Chancen eines Bewerbers bereits durch<br />
ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden,<br />
kommt es nicht darauf an, ob die Schwerbehinderung bei der<br />
abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare<br />
Rolle gespielt hat. Der Arbeitgeber muss beweisen,<br />
dass in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives<br />
noch die fehlende Behinderung als positives Kriterien<br />
enthalten ist. Für die Berücksichtigung einer fehlenden Behinderung<br />
als positives Kriterium reicht es aus, dass vom Arbeit-<br />
140<br />
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
geber unterlassene Maßnahmen – etwa die Einladung zu einem<br />
Vorstellungsgespräch oder die Erfüllung von Prüf- und<br />
Meldepflichten – objektiv geeignet sind, schwerbehinderten<br />
Bewerbern keine oder weniger günstige Chancen einzuräumen,<br />
als sie nach dem Gesetz zu gewähren sind (vgl. BAG, v.<br />
21.7.2009 – 9 AZR 431/08 = NZA 2009, 1087, Rn 33, 42, 44).<br />
(2) Der Verstoß gegen die Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 1<br />
und Satz 2 SGB IX und § 82 Satz 2 SGB IX deuten darauf hin,<br />
dass das Merkmal der Behinderung Teil eines Motivbündels<br />
der Beklagten bei der benachteiligenden Behandlung von<br />
Schwerbehinderten und damit auch des schwerbehinderten<br />
Klägers war. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche<br />
Vorkehrungen zu gewährende Schutz vor einer<br />
Benachteiligung weitgehend leerlaufen. Ob sich ein solcher<br />
Verfahrensverstoß in der Auswahlentscheidung konkret ausgewirkt<br />
hat, ist unerheblich, da § 15 Abs. 2 AGG auch bei der<br />
besseren Eignung von Mitbewerbern eine Entschädigung gewährt<br />
(vgl. BAG, v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 = juris Rn 47).<br />
d) Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist auch nicht<br />
ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs<br />
gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.<br />
aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet eine allen<br />
Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung,<br />
wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende<br />
Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen<br />
einer Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen wird.<br />
§ 242 BGB eröffnet damit die Möglichkeit jede atypische Interessenlage<br />
zu berücksichtigen, bei der ein Abweichen von der<br />
gesetzlichen Rechtslage zwingend erscheint. Zur Konkretisierung<br />
atypischer Interessenlagen wurden Fallgruppen gebildet,<br />
in denen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nahe liegt.<br />
Hierzu zählt die Fallgruppe des unredlichen Erwerbs der eigenen<br />
Rechtsstellung (vgl. BAG, v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10,<br />
Rn 52). Im Fall von Ansprüchen nach § 15 AGG kann unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der<br />
Rechtstellung als Bewerber dann als unredlich erscheinen,<br />
wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche<br />
zu erlangen. Für die fehlende subjektive<br />
Ernsthaftigkeit, d.h. den Rechtsmissbrauch ist der Arbeitgeber<br />
darlegungs- und beweisbelastet, wobei der Arbeitgeber Indizien<br />
vortragen muss, die geeignet sind, den Schluss für die<br />
fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (vgl. BAG, a.a.O., Rn 54).<br />
bb) Geht man hiervon aus, hat die Beklagte keine ausreichenden<br />
Indizien für die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung<br />
des Klägers vorgetragen.<br />
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom<br />
13.10.2011 – 8 AZR 608/10, die eine vom Kläger angestrengte<br />
Entschädigungsklage betraf, Folgendes ausgeführt:<br />
„Auch wenn der Kläger eine Vielzahl von Entschädigungsklagen<br />
gegen öffentliche Arbeitgeber in Folge der Vielzahl seiner<br />
Bewerbungen angestrengt hat, so liegt hierin allein kein ausreichender<br />
Umstand, der die Bewerbung bei der Beklagten als<br />
subjektiv nicht ernsthaft erscheinen ließe (vgl. BAG, v.<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
21.7.2009 – 9 AZR 431/08 – BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82<br />
Nr. 1 = EzA SBG IX § 82 Nr. 1; Däubler/Bertzbach-Deinert, 2.<br />
Aufl., § 15 Rn 54). Der Kläger hat im fortgeschrittenen Alter<br />
trotz vorhandener anderer Berufsabschlüsse das Studium an<br />
der Fachhochschule K mit der Staatsprüfung im September<br />
2008 abgeschlossen und sich entsprechend dieser Ausbildung<br />
bei einer Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften<br />
beworben. Der Kläger stand zum Zeitpunkt der<br />
Bewerbung in keinem anderweitigen Arbeitsverhältnis. Die<br />
Vielzahl der Bewerbungen spricht – auch angesichts des Lebenslaufs<br />
des Klägers mehr für die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung<br />
als dafür, dass es dem Kläger nur um die Erlangung<br />
einer Entschädigung gegangen sein könnte. Gegen eine fehlende<br />
Ernsthaftigkeit spricht vor allem aber, dass sich der Kläger<br />
auch erfolgreich beworben und eine entsprechende Tätigkeit<br />
bei einem öffentlichen Arbeitgeber im Zeitraum<br />
12.1.2010 bis 31.3.2010 in Oberbayern ausgeübt hat. ..."(vgl.<br />
Rn 56).<br />
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer in vollem Umfang<br />
an. Sie gelten gleichermaßen für die vorliegende Bewerbung<br />
des Klägers. Gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung<br />
des Klägers spricht auch nicht, dass dieser Einladungen zu<br />
Vorstellungsgesprächen nicht wahrgenommen hat. Angesichts<br />
der auch von der Beklagten behaupteten Vielzahl von<br />
Bewerbungsverfahren des Klägers bieten diese vereinzelten<br />
Absagen keinen hinreichenden Anlass, von einer fehlenden<br />
Ernsthaftigkeit der Bewerbungsabsicht auszugehen. Etwas<br />
anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der<br />
Kläger trotz des Antritts der Stelle in Bayern weitere Bewerbungen<br />
einreichte. Gerade zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses<br />
kann ein Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass dieses<br />
dauerhaft Bestand haben würde, ganz abgesehen davon, dass<br />
mit dem Antritt einer Stelle das Streben nach einer möglicherweise<br />
attraktiver erscheinenden Beschäftigung nicht ausgeschlossen<br />
ist (vgl. LAG Baden-Württemberg, v. 30.3.2011 – 3 Sa<br />
72/10, zu II. 3. c der Gründe). Auch die Ausführungen des Klägers<br />
in dem von der Beklagten vorgelegten Schriftsatz an das<br />
Arbeitsgericht Freiburg vom 10.2.<strong>2012</strong> rechtfertigen keine andere<br />
Bewertung. Soweit der Kläger hierin auf Seite 2 ausführt,<br />
befristete Beschäftigungen für nur 1 Jahr seien für ihn uninteressant<br />
(vgl. Blatt 93 der Akte), bezieht sich dies ausweislich<br />
des Schriftsatzes auf wesentlich schlechter dotierte Stellen als<br />
die von der Beklagten ausgeschriebene. Zum anderen beziehen<br />
sich die Ausführungen des Klägers auf Stellen, die wesentlich<br />
später ausgeschrieben wurden als die bei der Beklagten<br />
zu besetzende Stelle, so dass nicht darauf geschlossen<br />
werden kann, der Kläger habe bereits bei seiner Bewerbung<br />
bei der Beklagten eine befristete Beschäftigung ausgeschlossen.<br />
2. Mit einer Entschädigung in Höhe von 3.000,00 EUR hat das<br />
Arbeitsgericht eine angemessene Entschädigung nach § 15<br />
Abs. 2, festgesetzt.<br />
a) Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG muss die Entschädigung angemessen<br />
sein. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstel-<br />
<strong>03</strong>/12 141
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 14 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
lung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder<br />
die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl<br />
nicht eingestellt worden wäre, § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Für die<br />
Höhe der festzusetzenden Entschädigung sind Art und<br />
Schwere der Verstöße sowie die Folgen für den schwerbehinderten<br />
Kläger von Bedeutung. Daneben sind auch Anlass und<br />
Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit<br />
des Arbeitgebers und auch der Sanktionszweck der Norm zu<br />
berücksichtigen (BAG, v. 21.7.2009 – 9 AZR 431/08 = NZA 2009<br />
1087, Rn 54, 55).<br />
b) Hiernach ist die vom Arbeitsgericht zugesprochene Entschädigung,<br />
die die Höhe eines Bruttomonatsverdienstes<br />
knapp übersteigt, angemessen. Das Arbeitsgericht ist hiermit<br />
deutlich unter der zu beachtenden Höchstgrenze von drei<br />
Monatsverdiensten gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG geblieben.<br />
Das Arbeitsgericht hat Art und Schwere der Verstöße der Beklagten<br />
sowie die Bedeutung der Sache für den Kläger zutreffend<br />
gewürdigt, so dass das Landesarbeitsgericht keinen Anlass<br />
sieht, von der Höhe der festgesetzten Entschädigung abzuweichen.<br />
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag<br />
der Beklagten bezüglich der an den Kläger im Zusammenhang<br />
mit Benachteiligungen durch andere Arbeitgeber<br />
gezahlten Entschädigungsleistungen. Diese wurden an den<br />
Kläger als Ausgleich für andere Benachteiligungen und nicht<br />
für die Benachteiligung durch die Beklagte gezahlt.<br />
■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg<br />
vom 22.3.<strong>2012</strong>, 3 Sa 74/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Jochen Link<br />
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165. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung,<br />
Vorstellungsgespräch, Entschädigung, öffentlicher<br />
Arbeitgeber<br />
Entscheidungsgründe:<br />
(...) der Kläger (hätte) (…) gemäß § 82 Satz 2 SGB IX zu einem<br />
Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, weil ihm<br />
nach § 82 Satz 3 SGB IX die fachliche Eignung für die angestrebte<br />
Stelle auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen<br />
dem Anforderungsprofil der Stelle – unter besonderer Berücksichtigung<br />
der konstitutiven Elemente – und seinem Leistungsprofil<br />
nicht offensichtlich fehlte. Als „konstitutiv" einzustufen<br />
sind diejenigen Merkmale des Anforderungsprofils, die<br />
zwingend vorgegeben und anhand objektiv überprüfbarer<br />
Kriterien, also insbesondere ohne Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume<br />
des Dienstherrn, als tatsächlich gegeben<br />
letztlich eindeutig und unschwer festzustellen sind. Demgegenüber<br />
kennzeichnet das „beschreibende", nicht konstitutive<br />
Anforderungsprofil solche Qualifikationsmerkmale, die entweder<br />
ausdrücklich nicht zwingend vorliegen müssen oder<br />
die schon von ihrer Art her nicht allein anhand objektiv überprüfbarer<br />
Fakten – bejahend oder verneinend – festgestellt<br />
werden können. Bei Letzteren geht es um Merkmale, die sich<br />
erst auf der Grundlage eines persönlichkeitsbedingten, das<br />
betreffende Element des Eignungs- und Befähigungsprofils<br />
näher in den Blick nehmenden Werturteils erschließen (vgl.<br />
dazu Senatsbeschluss vom 7.12.2010 – 4 S 2057/10, NVwZ-RR<br />
2011, 290). Die in der Stellenausschreibung der Beklagten geforderte<br />
Qualifikation „Dipl.-Verwaltungswirt (FH) oder vergleichbare<br />
Ausbildung" als konstitutives Merkmal des Anforderungsprofils<br />
erfüllt der Kläger offensichtlich. Ein Examensergebnis<br />
mit einer Mindestpunktzahl wird nicht verlangt. Soweit<br />
der Bewerber „idealerweise über einige Berufserfahrung"<br />
verfügen oder sonst „schon fachlich sehr versiert" sein soll,<br />
handelt es sich ersichtlich nicht um eine zwingende Einstellungsvoraussetzung.<br />
Die von der Beklagten gewählte Formulierung<br />
lässt gerade aus der Sicht schwerbehinderter Bewerber<br />
die Erwartung zu, dass ihnen beim durchzuführenden<br />
Vorstellungsgespräch die Möglichkeit eröffnet ist, fehlende<br />
Berufserfahrung durch sonstige fachliche und persönliche<br />
Kompetenz auszugleichen. Dass dem Kläger die fachliche Eignung<br />
für die angestrebte Stelle offensichtlich fehlte, ergibt<br />
sich danach nicht.<br />
Dem Kläger kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten<br />
werden, er sei deshalb für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich<br />
ungeeignet, weil ihm die Berufs- bzw. Leitungstauglichkeit<br />
fehle. Mit dem Hinweis auf eine bestimmte berufliche<br />
Qualifikation verbindet sich in der Regel die Erwartung, dass<br />
die in der Stellenbeschreibung genannten Aufgabenstellungen<br />
auf der Grundlage der beruflichen Qualifikation bewältigt<br />
werden können. Das gilt grundsätzlich auch für Aufgabengebiete,<br />
in denen der Bewerber noch keine Erfahrung gesammelt<br />
hat (BAG, Urt. v. 16.9.2008 – 9 AZR 791/07, BAGE 127,<br />
367). Weil der öffentliche Arbeitgeber in der Verantwortung<br />
steht, ein Anforderungsprofil festzulegen und vorab nachvollziehbar<br />
zu dokumentieren, können auch andere Gesichtspunkte<br />
schon im rechtlichen Ansatz grundsätzlich nicht zur<br />
Ergänzung des Anforderungsprofils herangezogen werden.<br />
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob überhaupt<br />
Fälle denkbar sind, in denen sich bei feststehender<br />
fachlicher Eignung aus den Bewerbungsunterlagen und ggf.<br />
zusätzlich bekannt gewordenen Umständen eine Praxisuntauglichkeit<br />
für eine (Leitungs-)Aufgabe im Sinne einer offensichtlichen<br />
Ungeeignetheit nach § 82 Satz 3 SGB IX ergeben<br />
kann. Denn von deren Vorliegen kann hier nicht ausgegangen<br />
werden; der Umstand, dass sich an die verschiedenen beruflichen<br />
Ausbildungen des Klägers nie eine entsprechend nachhaltige<br />
berufliche Tätigkeit angeschlossen hat, führt nicht auf<br />
eine offensichtliche Berufs- bzw. Praxisuntauglichkeit. Für die<br />
Biographie des Klägers können unterschiedlichste Gründe<br />
vorliegen, deren Evaluierung gerade einem Vorstellungsgespräch<br />
und dem hieraus resultierenden persönlichen Eindruck<br />
vorbehalten bleibt. Dass sich aus den Bewerbungsunterlagen<br />
ergäbe, dass der Kläger offensichtlich nicht für die ausgeschriebene<br />
Stelle des Leiters des Hauptamts geeignet wäre,<br />
lässt sich insgesamt nicht feststellen.<br />
142<br />
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
1.3. Zwischen der Schwerbehinderung des Klägers und seiner<br />
Benachteiligung im Bewerbungsverfahren besteht ein Kausalzusammenhang.<br />
Einer pflichtwidrig unterlassenen Einladung<br />
zu einem Vorstellungsgespräch ist eine Indizwirkung im Sinne<br />
des § 22 AGG beizumessen. Die Beklagte hat die Kausalitätsvermutung<br />
nicht widerlegt. (…)<br />
Die Beklagte macht geltend, Kriterium für die Auswahl der 5<br />
eingeladenen Bewerber zum Vorstellungsgespräch bzw. für<br />
die Nichteinladung des Klägers sei nicht seine Behinderung,<br />
sondern die Berufserfahrung der eingeladenen Bewerber<br />
bzw. die fehlende Berufserfahrung des Klägers gewesen sowie<br />
seine mit 7 Punkten eher durchschnittliche Abschlussnote.<br />
Damit aber bezieht sich die Beklagte auf ein Merkmal,<br />
das die fachliche Eignung des Klägers berührt. Dies ist aber<br />
gerade nicht ausreichend, um die Indizwirkung zu entkräften,<br />
und belegt nicht, dass es ausschließlich andere Gründe waren<br />
als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung<br />
führten. Die bessere Eignung von Mitbewerbern schließt<br />
eine Benachteiligung nicht aus. Das folgt schon aus § 15<br />
Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach selbst dann eine Entschädigung<br />
zu leisten ist, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei<br />
benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden<br />
wäre. Sind die Chancen eines Bewerbers – wie hier – bereits<br />
durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden,<br />
kommt es nicht mehr darauf an, ob die (Schwer-)Behinderung<br />
bei der abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine<br />
nachweisbare Rolle gespielt hat. Für diesen verfahrensrechtlichen<br />
Anspruch gelten deshalb andere Kriterien als für die Bestenauslese<br />
nach Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. auch BAG, Urt. v.<br />
21.7.2009 – 9 AZR 431/08, NJW 2009, 3319). Nach dem Vorbringen<br />
der Beklagten ist nicht ausgeschlossen, dass die Behinderung<br />
in ihrem Motivbündel nicht doch enthalten war;<br />
die Vermutung der Benachteiligung des Klägers hat sie nicht<br />
widerlegt.<br />
1.4. (…)<br />
1.5. Der Entschädigungsanspruch ist nicht ausnahmsweise<br />
nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz<br />
von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt<br />
des Rechtsmissbrauchs, insbesondere wegen mangelnder<br />
Ernsthaftigkeit der Bewerbung, ausgeschlossen. Mit Rücksicht<br />
auf die Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen<br />
Rechtsschutzes vor Benachteiligungen in Beschäftigung und<br />
Beruf ist an einen derartigen Anspruchsausschluss ein strenger<br />
Maßstab anzulegen. Eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen<br />
allein lässt nicht darauf schließen, der Bewerber sei nicht<br />
ernsthaft interessiert. Von einem solchen Ausnahmefall ist<br />
vielmehr nur dann auszugehen, wenn von vornherein der<br />
Wille fehlt, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich einzunehmen,<br />
also in Wirklichkeit nur eine Entschädigung angestrebt<br />
wird (BAG, Urteile vom 21.7.2009 und vom 16.9.2008, jeweils<br />
a.a.O.). Dies kann hier nicht festgestellt werden. Der Kläger hat<br />
mit seinen Bewerbungen von seinem Recht, den Arbeitsplatz<br />
frei zu wählen, Gebrauch gemacht. Ihm kann nicht vorgehalten<br />
werden, dass er, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen,<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
sich – auch unter Verwendung von Textbausteinen – um eine<br />
Vielzahl ausgeschriebener Stellen beworben hat. Auch wenn<br />
er in der Folge zahlreiche Entschädigungsklagen gegen öffentliche<br />
Arbeitgeber erhoben hat, steht dieser Umstand seinem<br />
Entschädigungsanspruch nicht entgegen. Denn dass offenbar<br />
eine Vielzahl von öffentlichen Arbeitgebern in Unkenntnis<br />
war über die besonderen gesetzlichen Verpflichtungen<br />
aus § 82 SGB IX, kann dem Kläger nicht angelastet werden.<br />
Hinreichende Anhaltspunkte für ein „AGG-Hopping" des<br />
Klägers ergeben sich nicht. Auch in der Verwendung von standardisierten<br />
Anwaltsschreiben, mit denen Entschädigungsansprüche<br />
geltend gemacht werden, liegt kein hinreichendes Indiz<br />
für eine nicht ernsthafte Bewerbung des Klägers. Ein Bewerber<br />
ist nicht daran gehindert, aus seiner Sicht bestehende<br />
Rechte auszuüben. Unerheblich ist auch, dass sich der Kläger<br />
im vorliegenden Fall zu einem Zeitpunkt beworben hat, als er<br />
bereits eine Zusage für die – letztlich nur kurzfristige – Beschäftigung<br />
bei einer bayerischen Gemeinde hatte. Abgesehen<br />
davon, dass der letztgenannte Umstand belegt, dass der<br />
Kläger gewillt ist, eine ihm angebotene Stelle auch anzunehmen,<br />
hat er plausibel vorgetragen, er habe immer eine Beamtenstelle<br />
und nicht nur ein Angestelltenverhältnis angestrebt<br />
und bevorzuge räumlich eindeutig eine Beschäftigung in Baden-Württemberg.<br />
Dass er sich aus diesen Gründen weiterhin<br />
um eine Beamtenstelle in Baden-Württemberg beworben hat,<br />
kann ihm deshalb nicht vorgeworfen werden. Ob der Arbeitgeber<br />
das der Bewerbung zugrunde liegende Motiv nachvollziehen<br />
kann, ist demgegenüber nicht entscheidend. Eine<br />
mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung folgt auch nicht<br />
daraus, dass der Kläger im Herbst 2009 und zu Beginn des<br />
Jahres 2010 einzelne Vorstellungsgespräche abgesagt hat.<br />
Daraus kann nicht geschlossen werden, dass er auch ein etwaiges<br />
Vorstellungsgespräch bei der Beklagten nicht hätte<br />
wahrnehmen wollen. Er hat nachvollziehbar dargetan, dass er<br />
sich grundsätzlich bemüht hat, jedes ihm angetragene Vorstellungsgespräch<br />
wahrzunehmen oder sich – sofern ihm dies<br />
etwa wegen gleichzeitig stattfindender anderer Vorstellungsgespräche<br />
oder wegen Krankheit nicht möglich war – um einen<br />
Ersatztermin nachzusuchen. Form und Inhalt seiner Bewerbung<br />
lassen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden<br />
hat, ebenfalls nicht den Schluss zu, es habe sich um<br />
eine nicht ernsthafte Bewerbung gehandelt.<br />
2. Die Höhe des hiernach dem Kläger dem Grunde nach zustehenden<br />
Entschädigungsanspruchs ist nach § 15 Abs. 2 Satz 2<br />
AGG begrenzt. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig und<br />
der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Kläger auch<br />
bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden<br />
wäre. (…)<br />
Innerhalb des danach geltenden Rahmens von drei Bruttomonatsgehältern<br />
richtet sich die Festsetzung der angemessenen<br />
Entschädigung nach den Umständen des Einzelfalls, wobei<br />
etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, die Folgen für<br />
den Kläger hinsichtlich seines Persönlichkeitsrechts, der Grad<br />
der Verantwortlichkeit der Beklagten, der Anlass und Beweg-<br />
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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 16 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
grund ihres Handeln sowie der Sanktionszweck und die damit<br />
verbundene abschreckende Wirkung zu berücksichtigen sind<br />
(vgl. dazu BAG, Urt. v. 17.8.2010 – 9 AZR 839/08, NJW 2011,<br />
550). Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt,<br />
die Entscheidung der Beklagten, den Kläger wegen fehlender<br />
Berufserfahrung nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen,<br />
sei eher einem fahrlässigen Verfahrensverstoß zuzuordnen.<br />
Dass sowohl gegen die Verpflichtung zur Einladung<br />
zu einem Vorstellungsgespräch als auch gegen die Pflicht zur<br />
Einschaltung der Agentur für Arbeit verstoßen worden sei<br />
und es sich bei der vom Kläger angestrebten Stelle nicht um<br />
eine nur kurzfristige Beschäftigung, sondern um eine dauerhafte<br />
Beamtenstelle gehandelt habe, die für den seit langer<br />
Zeit arbeitslosen Kläger von besonderer Bedeutung gewesen<br />
wäre, sei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass<br />
das letztlich entscheidende Kriterium der Berufserfahrung in<br />
der Stellenbeschreibung bereits – wenn auch nicht als Ausschlusskriterium<br />
– angesprochen worden sei und insofern die<br />
Absage an den Kläger hinsichtlich der Auswirkungen auf sein<br />
Selbstwertgefühl und sein Persönlichkeitsrecht abgemildert<br />
erscheine. Dies ist nicht zu beanstanden. Danach ist die vom<br />
Verwaltungsgericht festgesetzte Entschädigung in Höhe von<br />
zwei Monatsgehältern angemessen; (…).<br />
■ Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg<br />
vom 7.2.<strong>2012</strong>, 4 S 82/12<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Jochen Link<br />
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Anmerkung:<br />
Entsprechender Verfahrensausgang in dem vom selben Kläger<br />
geführten ebenfalls am 7.2.<strong>2012</strong> vom Verwaltungsgerichtshof<br />
entschiedenen Verfahren zu Az 4 S 1813/11; 4 S<br />
1814/11. (gr)<br />
166. AGG, Geschlechtsdiskriminierung, Entschädigung;<br />
Anspruch gegen Vorgesetzte, Prozesskostenerstattung<br />
wegen sittenwidriger Schädigung<br />
1. Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist in Höhe eines Entschädigungsanspruchs<br />
von 12.000,00 EUR begründet. Der<br />
Klägerin steht dieser Anspruch auf Entschädigung zu, weil die<br />
Beklagte sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt hat, § 15<br />
Abs. 2 Satz 1 AGG. Diese Benachteiligung ist gemäß § 3 Abs. 1<br />
Satz 2 AGG zu bejahen, weil die Beklagte zu 1) die Klägerin<br />
wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt hat als<br />
sie andere Personen behandelt hätte.<br />
a) Eine solche diskriminierende Behandlung hat die Beklagte<br />
zu 1) vorgenommen, als sie versucht hat, das Arbeitsverhältnis<br />
mit der Klägerin aufgrund von deren Schwangerschaft nachträglich<br />
zu befristen und damit zu verkürzen. Es ist zwischen<br />
den Parteien nicht mehr im Streit, dass die Beklagte zu 1), vertreten<br />
durch den Beklagten zu 2), den Vorschlag unterbreitet<br />
hat, den Arbeitsvertrag so zu befristen, dass das Arbeitsver-<br />
hältnis unmittelbar vor Beginn des Mutterschutzes ausgelaufen<br />
wäre. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach<br />
dem ohnehin bestrittenen und wenig substantiierten Vortrag<br />
der Beklagten zu 1) nach Feststellung ihrer Schwangerschaft<br />
angeblich erhebliche Zweifel mitgeteilt habe, die arbeitsvertraglich<br />
geschuldete Tätigkeit noch erbringen zu können. Dieser<br />
– hier unterstellte – Hinweis auf solche Schwierigkeiten,<br />
verbunden mit dem angeblichen Wunsch der Klägerin auf<br />
eine irgendwie geartete finanzielle Absicherung der Klägerin<br />
im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, lässt sich jedoch nicht<br />
einmal ansatzweise als eine alleinige Initiative der Klägerin<br />
dahin verstehen, ihr Arbeitsverhältnis nachträglich auf die<br />
Zeit bis zum Eintritt des Mutterschutzes zu befristen. (…)<br />
War es mithin die Beklagte zu 1) und nicht die Klägerin, die<br />
auf eine nachträgliche Befristung gedrängt hat, kann nur die<br />
Schwangerschaft der Klägerin der Grund für dieses Vorgehen<br />
gewesen sein. Es ist nicht ersichtlich, dass es irgendeinen anderen<br />
plausiblen Grund gab, der die Beklagte zu 1) veranlasst<br />
haben könnte, im Falle einer nichtschwangeren Arbeitnehmerin<br />
ebenso vorzugehen. Der Beklagten zu 1) ist es nicht gelungen,<br />
einen Sachverhalt vorzutragen, der plausibel gemacht<br />
hätte, dass das Arbeitsverhältnis schon vor der Kenntnis von<br />
der Schwangerschaft in einer ernsthaften Krise war. Eine Abmahnung<br />
hat die Klägerin unstreitig nicht erhalten. Der Hinweis<br />
im Schriftsatz der Beklagten vom 30.6.2011, der Beklagte<br />
zu 2) habe wiederholt die fachlichen Leistungen der Klägerin<br />
kritisch gewürdigt, hat keinen konkreten nachvollziehbaren,<br />
jedenfalls der Annahme einer Diskriminierung entgegenstehenden<br />
Inhalt. Der Vorwurf, eine einzelne von der Klägerin<br />
gefertigte Aufstellung sei völlig unzureichend erbracht worden,<br />
kann keinesfalls erklären, wieso die Beklagte Anlass haben<br />
konnte, die Befristung und damit Verkürzung des Arbeitsverhältnisses<br />
anzustreben.<br />
Eine gerecht und sozial denkende Arbeitgeberin, die sich<br />
nicht von der Schwangerschaft der Klägerin in ihrem Vorgehen<br />
hätte beeinflussen lassen, hätte solche angeblichen Mängel<br />
einer Arbeitsleistung mit der Klägerin besprochen und mit<br />
ihr diskutiert, wie künftig in einem ähnlichen Arbeitskontext<br />
eine Verbesserung erreicht werden könnte. Ein solcher normaler<br />
Mangel auf der Arbeitsebene rechtfertigte es jedoch<br />
zweifellos nicht, eine Veränderung des Status der Arbeitnehmerin<br />
anzustreben.<br />
b) Das der Beklagten zu 1) gemäß § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnende<br />
Verhalten des Beklagten zu 2) wiegt nach der Art der<br />
Benachteiligung, dem Anlass und dem Beweggrund her so<br />
schwer, dass eine Geldentschädigung für die Klägerin geboten<br />
ist, um die immateriellen Nachteile angemessen auszugleichen<br />
und die Beklagte zu 1) vor künftigen Diskriminierungen<br />
abzuhalten.<br />
Dem steht nicht entgegen, dass es im Laufe des Rechtsstreits<br />
durch die insoweit übereinstimmenden Erledigungserklärungen<br />
der Parteien dazu gekommen ist, dass das Arbeitsverhältnis<br />
nun doch entsprechend dem Inhalt der tatsächlich getroffenen<br />
Vereinbarung unbefristet fortgesetzt wird. Das Verhal-<br />
144<br />
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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 17 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
ten der Beklagten war unabhängig von seinem letztlich ausgebliebenen<br />
sachlichen Erfolg für die Klägerin verletzend. Die<br />
Beklagte zu 1) bzw. ihr Geschäftsführer, der Beklagte zu 2), die<br />
immerhin einen nicht kleinen Betrieb führen, können nicht<br />
verkannt haben, dass es die Zielrichtung des gesetzlichen<br />
Mutterschutzes ist, die Arbeitnehmerin als werdende Mutter<br />
in der physischen wie psychisch nicht leichten Zeit der<br />
Schwangerschaft von der belastenden Sorge um den Verlust<br />
des Arbeitsplatzes freizuhalten.<br />
Dadurch, dass die Beklagte an die Klägerin das Angebot herangetragen<br />
hat, einen den tatsächlichen Verhältnissen nicht<br />
entsprechenden Vertrag abzuschließen, durch den sie faktisch<br />
diesen gesetzlichen Schutz verloren hätte, hat sie diese besondere<br />
Rechtsstellung der Klägerin und ihr Schutzbedürfnis<br />
nicht beachtet, sondern in grober Weise zu umgehen gesucht.<br />
Das damit verbundene Ansinnen, den tatsächlich geschlossenen<br />
Arbeitsvertrag herauszugeben und die Klägerin, die<br />
durch den neuen Vertrag keine Vorteile, sondern nur Nachteile<br />
erlitten hätte, auf diese Weise in die Täuschung dritter<br />
Personen und Institutionen, z.B. Sozialversicherungsträger<br />
oder Arbeitsämter, zu verstricken, verstärkt das diskriminierende<br />
Gewicht dieses Handelns.<br />
Nicht übersehen werden darf schließlich, dass die Klägerin immerhin<br />
erst klagen musste, um die Sicherheit für den Fortbestand<br />
des Arbeitsverhältnisses zurückzuerlangen, die ihr nach<br />
dem Gesetz von Anbeginn ihrer Schwangerschaft an zustand.<br />
Ausgegangen werden muss auf dieser Grundlage auch von<br />
dem Vortrag der Klägerin, dass der Beklagte zu 2) massiv<br />
Druck auf die Klägerin ausgeübt hat, um sich mit seiner Vorstellung<br />
durchzusetzen, das Arbeitsverhältnis zu beenden, bevor<br />
das Beschäftigungsverbot eintritt. (…)<br />
c) Die zu oben b) genannten Gesichtspunkte machen es erforderlich,<br />
auch von der Höhe her eine für die Beklagte zu 1) fühlbare<br />
Entschädigung auszusprechen. Die Entschädigung<br />
konnte und musste höher liegen als die in § 15 Abs. 2 Satz 2<br />
AGG bestimmte Grenze von drei Monatsgehältern. Denn die<br />
durch das Handeln der Beklagten hervorgerufene Sorge der<br />
Klägerin um den Verlust des Arbeitsplatzes, verbunden mit<br />
der Sorge, auf diese Weise eine als gefestigt geglaubte finanzielle<br />
Existenzgrundlage zu verlieren, wiegt schwerer als das<br />
durch § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG gesicherte Vertrauen auf Durchführung<br />
eines benachteiligungsfreien, wenn auch nicht<br />
zwangsläufig zu einem Arbeitsplatz führenden Einstellungsverfahrens.<br />
Zum anderen war eine fühlbare Entschädigung auch veranlasst,<br />
um der Beklagten unmissverständlich zu verdeutlichen,<br />
dass eine Fortsetzung von diskriminierenden Verhaltensweisen<br />
gegenüber der Klägerin nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit,<br />
sehr hohe finanzielle Nachteile zur Folge haben<br />
konnte.<br />
2. Unbegründet ist die Klage gegen den Beklagten zu 2). Ein<br />
Anspruch ergibt sich nicht aus § 15 AGG. Denn der Beklagte<br />
zu 2) ist nicht, wie es diese Vorschrift voraussetzt, Arbeitgeber<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
der Klägerin, dies ist die Beklagte zu 1). Ein Anspruch ergibt<br />
sich auch nicht aus Deliktsrecht, weder aus § 826 Abs. 1 BGB<br />
noch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.<br />
Es kann dahinstehen, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />
auch das Diskriminierungsverbot des AGG mit umfasst. Eine<br />
Geldentschädigung für immaterielle Schäden, die sich, wie im<br />
vorliegenden Fall, nicht aus den Rechtsgütern ergeben, die in<br />
§ 253 Abs. 2 BGB genannt sind (körperliche Unversehrtheit,<br />
Gesundheit, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung), ist selbst<br />
bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter<br />
dem Gesichtspunkt der Genugtuung und der Prävention<br />
nur dann geboten, wenn die Benachteiligung nicht in anderer<br />
Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Hier aber hat<br />
die Klägerin durch den Anspruch, den die Kammer ihr gegen<br />
ihre Arbeitgeberin, die Beklagte zu 1) zugebilligt hat, einen<br />
solchen hinreichenden Ausgleich auch in Bezug auf das Verhalten<br />
des Beklagten zu 2) erhalten. Eine Notwendigkeit, aus<br />
Gründen der Prävention daneben gegen diesen Beklagten<br />
noch einen Schmerzensgeldanspruch zuzusprechen, um ihn<br />
persönlich künftig von Diskriminierungen abzuhalten, gibt es<br />
nicht. Es ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 2) ausschließlich<br />
für die Beklagte zu 1) aufgetreten ist. Wenn dieser<br />
Beklagten durch das vorliegende Urteil deutlich gemacht<br />
worden ist, dass sie bei diskriminierendem Verhalten der für<br />
sie verantwortlich handelnden Personen mit Entschädigungszahlungen<br />
rechnen muss, stellt dies für die Klägerin auch hinsichtlich<br />
des Beklagten zu 2) eine genügende Absicherung<br />
dar: Denn der Beklagte zu 2) ist gegenüber der Beklagen zu<br />
1) und deren Gesellschaftern für vermeidbare finanzielle Lasten,<br />
die der Gesellschaft entstehen, verantwortlich. Auch<br />
ohne eine Verurteilung zu einer Entschädigung tut er deshalb<br />
gut daran, diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber der<br />
Klägerin strikt zu unterlassen.<br />
3. Ein Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten ist gleichfalls<br />
nicht begründet. Die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes,<br />
die im Gegensatz zum allgemeinen Zivilprozess einen<br />
Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei gegenüber<br />
der unterliegenden Partei ausschließen (§ 12a Abs. 1<br />
Satz 1 ArbGG), verdrängen in ihrem Anwendungsbereich auch<br />
materiell rechtliche Erstattungsansprüche, denn sonst wären<br />
sie wirkungslos.<br />
Offen bleiben kann, ob eine Kostenerstattung auch für den<br />
Fall einer sittenwidrige Schädigung, § 826 BGB, ausgeschlossen<br />
wäre. Eine solche vorsätzlich sittenwidrige Schädigung<br />
des Beklagten zu 2) in Bezug auf die Prozesskosten wäre nur<br />
dann anzunehmen, wenn es einem Schädiger gerade darum<br />
ginge, seinen Gegner gerade dadurch zu schädigen, dass er<br />
diesem Prozesskosten gerade in dem Bewusstsein erwachsen<br />
lässt, dass er für diese wegen § 12a ArbGG keine Erstattung<br />
erlangen kann. Hier aber ging ein Vorsatz des Beklagten zu 2)<br />
erkennbar nicht dahin, der Klägerin einen Schaden gerade in<br />
Form der Belastung mit Prozesskosten zuzufügen. Im Gegenteil<br />
zielte das Verhalten des Beklagten zu 2) gerade darauf,<br />
<strong>03</strong>/12 145
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 18 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
dass es zu keinem Prozess kommen sollte, sondern das Arbeitsverhältnis<br />
der Klägerin durch einen Vertragstext, der eine<br />
fingierte Befristung beinhaltete, ohne großes Aufsehen ein<br />
Ende finden sollte.<br />
■ Arbeitsgericht Berlin<br />
vom 27.10.2011, 17 Ca 6099/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Bernhard Steinkühler<br />
Schillerstraße 3, 10625 Berlin<br />
Tel.: <strong>03</strong>0/31805940, Fax: <strong>03</strong>0/318059499<br />
kontakt@steinkuehler-arbeitsrecht.de<br />
167. Arbeitnehmerstatus, Cutterin, Programmgestaltung,<br />
Dienstplanfreiheit<br />
1. Eine Cutterin, die überwiegend für ein regionales Nachrichtenmagazin<br />
beschäftigt wird, ist nicht programmgestaltend<br />
tätig. 2. Der Umstand, dass der Dienstplan erst aufgestellt<br />
wird, nachdem telefonisch die Dienstbereitschaft abgefragt<br />
wurde, steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft<br />
nicht entgegen.<br />
■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />
vom 8.2.<strong>2012</strong>, 15 Sa 2287/11<br />
168. Arbeitszeit, Verrechnung von Minderstunden nur<br />
bei Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos,<br />
Annahmeverzug<br />
Der Arbeitgeber ist nicht zur Verrechnung sog. Minusstunden<br />
berechtigt, die aufgrund einer Unterschreitung der vereinbarten<br />
Wochenarbeitszeit aus betrieblichen Gründen entstanden<br />
sind, wenn er mit dem Arbeitnehmer keine Vereinbarung<br />
über ein Arbeitszeitkonto mit der Möglichkeit eines negativen<br />
Kontostands getroffen hat. Fehlt es an einer wirksamen Vereinbarung<br />
eines Arbeitszeitkontos, kommt es bei betriebsbedingt<br />
veranlassten Minusstunden nicht zu einem vom Arbeitnehmer<br />
auszugleichenden Vergütungsvorschuss, da der Arbeitgeber<br />
das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen hat und sich<br />
deshalb nach § 615 Satz 1 und 3 BGB im Annahmeverzug befunden<br />
hat.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 15.11.2011, 3 Sa 493/11<br />
169. Ausgleichsklausel, Auslegung, keine Erstreckung<br />
auf Betriebsrentenansprüche<br />
Gesamterledigungsklauseln sind im Regelfall dahin auszulegen,<br />
dass sie Betriebsrentenansprüche nicht erfassen. Die<br />
große Bedeutung von Versorgungsansprüchen erfordert eine<br />
unmissverständliche Erklärung; ein Verzicht muss eindeutig<br />
und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden. Dies ist bei<br />
einer allgemeinen Ausgleichsklausel („Mit Erfüllung der vorstehenden<br />
Verpflichtungen sind alle gegenseitigen Ansprüche<br />
der Parteien – egal aus welchem Rechtsgrund und egal<br />
ob bekannt oder nicht – erledigt.") nicht der Fall.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 23.2.<strong>2012</strong>, 2 Sa 635/11<br />
170. Betriebliche Altersversorgung, Zusage,<br />
Bekanntmachung<br />
Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die<br />
Beklagte ihren Mitarbeitern betriebliche Altersversorgung<br />
durch die Beklagte nach deren Leistungsrichtlinien zugesagt<br />
hat.<br />
Gründet ein Arbeitgeber eine rechtlich selbstständige Einrichtung<br />
zum Zweck der Altersversorgung seiner Mitarbeiter, liegt<br />
darin regelmäßig die Zusage an die Arbeitnehmer ihnen<br />
durch diese Einrichtung betriebliche Altersversorgung nach<br />
deren Satzung oder Richtlinien zu gewähren. Dies gilt jedenfalls<br />
dann, wenn das Bestehen der Einrichtung bei den Arbeitnehmern<br />
bekannt ist. Hat der Arbeitgeber eine solche Einrichtung<br />
gegründet, ist es seine Sache darzulegen und gegebenenfalls<br />
zu beweisen, dass ausnahmsweise die Einrichtung<br />
und deren Zweck den Arbeitnehmern nicht bekannt gemacht<br />
wurden. Der erste Anschein spricht dafür, dass die Gründung<br />
und der Bestand einer solchen Einrichtung im Betrieb bekannt<br />
gemacht worden ist. Das entspricht dem regelmäßigen<br />
Geschehensablauf.<br />
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte eine Stiftung mit dem<br />
satzungsmäßigen Zweck der freiwilligen einmaligen oder laufenden<br />
Unterstützung von Betriebsangehörigen und ehemaligen<br />
Betriebsangehörigen sowie deren Angehörigen bei Hilfsbedürftigkeit,<br />
Berufsunfähigkeit und im Alter gegründet. Die<br />
Beklagte hat damit eine Unterstützungskasse gegründet, die<br />
nach ihrer Satzung ihre Einkünfte aus freiwilligen Zuwendungen<br />
der Beklagten und aus Erträgen des Stiftungsvermögens<br />
erzielen sollte. Dass diese Stiftung, die Klägerin auf ihre Leistungen<br />
keinen Rechtsanspruch gewährt, gehört gerade zur<br />
Definition der Unterstützungskasse nach § 1b Abs. 4 BetrAVG.<br />
Unbestritten hat die Klägerin in der Vergangenheit stets entsprechend<br />
ihrer Satzung und den Leistungsbestimmungen<br />
betriebliche Altersversorgung an ehemalige und gegenwärtige<br />
Arbeitnehmer der Beklagten geleistet. Auch damit ist die<br />
Leistung von Altersversorgung durch eine von der Beklagten<br />
gegründete Unterstützungskasse bekannt gemacht worden.<br />
Im Übrigen geht auch die Arbeitsordnung der Beklagten bis<br />
1991 von der Versorgung durch die Klägerin aus, genauso wie<br />
verschiedene Schriftwechsel mit dem Betriebsrat der Beklagten<br />
und Betriebsvereinbarungen.<br />
Die Klägerin hat damit die betriebliche Altersversorgung an<br />
die ehemaligen Mitarbeiter der Beklagten in deren Auftrag<br />
geleistet, wie das Arbeitsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt<br />
hat.<br />
Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass ihre Zuwendungen<br />
freiwillig seien, gilt für diese Freiwilligkeit der Zuwendungen<br />
das gleiche, wie für die Freiwilligkeit der Leistungen einer<br />
Unterstützungsklasse: Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt kann<br />
nur zum Widerruf aus sachlichem Grund berechtigen (vgl.<br />
ständige Rechtsprechung seit BAG E 25, 194 (200 f.) = AP Nr. 6<br />
zu § 242 BGB Ruhegehalt – Unterstützungskassen; BAG v.<br />
10.11.1977 – 3 AZR 705/76 – AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhge-<br />
146<br />
<strong>03</strong>/12
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
halt – Unterstützungskassen). Einen sachlichen Grund für einen<br />
Widerruf hat die Beklagte aber nicht dargetan. Dass sich<br />
das Verhältnis zwischen Versorgungsempfängern und aktiven<br />
Arbeitnehmern zu Lasten letzterer stark verändert hat, stellt<br />
einen solchen sachlichen Grund nicht dar. Wer Versorgung<br />
verspricht, muss dafür sorgen, dass er sie auch leisten kann.<br />
Ein Recht zum Widerruf einer Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher<br />
Notlage besteht nicht mehr seit der Sicherungsfall<br />
der „wirtschaftlichen Notlage" im Betriebsrentengesetz<br />
gestrichen ist (BAG, v. 31.7.2007 – 3 AZR 372/06, NZA 2008,<br />
320). Dies gilt auch hinsichtlich des Widerrufsrechts von Unterstützungskassen<br />
(BAG, v. 18.11.2008 – 3 AZR 417/07, DB<br />
2009, 1079).<br />
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urt. v. 10.11.1977 (3<br />
AZR 705/76, a.a.O.) für eine gleichartige Fallgestaltung – Unterstützungskasse,<br />
die keinen Rechtsanspruch gewährt und<br />
mit einer Satzungsbestimmung, wonach die Einkünfte auf<br />
freiwilligen Zuwendung des Trägerunternehmens beruhen –<br />
ausgeführt, dass der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass der<br />
Unterstützungseinrichtung die Mittel zur Vergütung stehen,<br />
die sie benötigt, um die Versorgungsleistungen zu erbringen.<br />
Die Kammer folgt den zutreffenden Ausführungen in diesem<br />
Urteil. Die Beklagte kann auch aus diesem Grund den zumindest<br />
konkludent erteilten Auftrag an die Klägerin, für sie die<br />
Erfüllung der Betriebsrentenansprüche ihrer Arbeitnehmer zu<br />
erfüllen, nicht widerrufen.<br />
Jedenfalls wäre ein Widerruf dieses Auftrags rechtsmissbräuchlich.<br />
Die Beklagte bliebe bei Mittellosigkeit der Klägerin<br />
nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG zur Leistung an die Betriebsrentner<br />
nach den Leistungsrichtlinien der Klägerin verpflichtet.<br />
Sie müsste jedenfalls das, was der Klägerin zur Erfüllung<br />
der Rentenansprüche fehlt und was sie einklagt, unmittelbar<br />
an die Betriebsrentner zahlen. Es ist als rechtsmissbräuchlich<br />
anzusehen, wenn ein Arbeitgeber seiner Unterstützungskasse<br />
die Mittel zur Erfüllung der Betriebsrentenansprüche seiner<br />
früheren Mitarbeiter verweigert, nur um dadurch die Betriebsrentner<br />
zu zwingen, unmittelbar gegen ihn zu klagen. Die<br />
Rechtsmissbräuchlichkeit eines solchen Widerrufs entspricht<br />
dem rechtsmissbräuchlichen Handeln desjenigen, der etwas<br />
verlangt, was er sogleich zurückzuerstatten hat (dolo agit qui<br />
petit quad statim redditurus esset). Die Beklagte darf durch<br />
ihr Verhalten nicht den Vorteil erlangen, dass in der Regel<br />
nicht alle, insbesondere die besonders alten oder hilflosen Betriebsrentner<br />
ihre Ansprüche nicht gerichtlich geltend machen.<br />
■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />
vom 14.12.2011, 8 Sa 777/11<br />
171. Betriebliche Altersversorgung, Berechnung<br />
Die gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungsklage ist<br />
nicht begründet. Es folgt eine kurze Zusammenfassung der<br />
Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher<br />
und rechtlicher Hinsicht beruht, § 313 Abs. 3 ZPO.<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine<br />
monatliche Rente auf der Grundlage der von ihr begehrten<br />
Berechnungsmethode. Denn entgegen ihrer Auffassung hat<br />
die Beklagte den Rentenanspruch der Klägerin korrekt errechnet,<br />
indem sie bei der Berechnung die fiktive, zum Zeitpunkt<br />
der Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin zu zahlende<br />
Sozialversicherungsrente in Höhe von unstreitig 1.826,82 EUR<br />
angerechnet hat.<br />
Soweit die Klägerin auf § 17 Ziffer 3 2. Absatz des Versorgungswerkes<br />
verweist und meint, ausschließlich der tatsächlich<br />
gezahlte Sozialversicherungsrentenbetrag sei anzurechnen,<br />
führt dies zu keiner anderen Beurteilung der Streitfrage.<br />
Denn § 17 des Versorgungswerkes bezieht sich eindeutig auf<br />
den Rentenanspruch und es handelt sich hierbei um den Anspruch<br />
des Versorgungsempfängers, der bei Ausscheiden aus<br />
dem Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Vollendung des 65.<br />
Lebensjahres zu zahlen wäre.<br />
So liegt der Fall bei der Klägerin aber nicht. Sie schied vorzeitig<br />
aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Damit<br />
war sie sog. Anwartschaftsberechtigte. Ihr Anspruch richtet<br />
sich daher – darauf hat die Beklagte zu Recht hingewiesen –<br />
nach § 20 VO 83 und damit nach § 2 Abs. 1 BetrAVG. Dementsprechend<br />
hat die Beklagte die Anwartschaft errechnet, indem<br />
sie zunächst den der Klägerin zustehenden Vollanspruch<br />
errechnete. Dabei handelt es sich um den Anspruch, den die<br />
Klägerin erreicht hätte, wenn sie bis zur Vollendung ihres 65.<br />
Lebensjahres im Arbeitsverhältnis verblieben wäre. Diesen<br />
sog. Vollanspruch hat die Beklagte sodann ins Verhältnis gesetzt<br />
zur tatsächlichen Betriebszugehörigkeit der Klägerin.<br />
Zum Errechnen des Vollanspruches gehört aber die Anrechnung<br />
der Rente, die im Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres<br />
zu zahlen gewesen wäre. Das wäre im Falle der<br />
Klägerin der fiktiv hochgerechnete Rentenbetrag von<br />
1.826,82 EUR gewesen.<br />
Diese Berechnungsweise entspricht – wie bereits weiter oben<br />
dargelegt – der Regelung des § 17 Ziffer 3 2. Absatz des Versorgungswerkes.<br />
Das wäre nämlich der Betrag gewesen, den<br />
die Klägerin im Zeitpunkt der Vollendung ihres 65. Lebensjahres<br />
"erhalten" hätte.<br />
Dass nur diese Berechnungsweise berechtigt ist und dem Versorgungswerk<br />
der Beklagten entspricht, ergibt sich auch aus<br />
folgender Überlegung: Würde man die Rente der Klägerin<br />
entsprechend ihrer Methode errechnen, würde sie ungerechtfertigt<br />
bevorzugt. Sie würde nämlich mehr Rente erhalten als<br />
derjenige Arbeitnehmer, der bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres<br />
im Arbeitsverhältnis verblieben wäre und sich deshalb<br />
bei Einrechnung seines Rentenanspruches die auch zu<br />
diesem Zeitpunkt höhere Sozialversicherungsrente anrechnen<br />
lassen müsste. Für eine solche Bevorzugung von Arbeitnehmern,<br />
die lediglich mit einer Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis<br />
ausscheiden und die darüber hinaus vorgezo-<br />
<strong>03</strong>/12 147
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 20 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
genes Altersruhegeld beziehen, ergibt sich im gesamten Versorgungswerk<br />
kein Anhaltspunkt.<br />
Entgegen ihrer Ansicht hat die Klägerin auch nicht einen Anspruch<br />
auf eine monatliche Rente von mindestens 586,45<br />
EUR. Mit Rücksicht auf die Tatsache nämlich, dass die Klägerin<br />
mit Vollendung ihres 60. Lebensjahres vorgezogenes Altersruhegeld<br />
erhält, war dieser Betrag um einen versicherungsmathematischen<br />
Abschlag zu kürzen, so dass letztlich der an die<br />
Klägerin gezahlte Rentenbetrag korrekt ist.<br />
■ Arbeitsgericht Köln<br />
vom 15.12.2011, 6 Ca 3277/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen Höser<br />
Kölner Straße 2, 50226 Frechen<br />
Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />
office@hdup.de<br />
172. Direktionsrecht, Beschäftigungsanspruch,<br />
Feststellungsantrag<br />
1. Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren sind insoweit<br />
§§ 611, 613, 241 Abs. 2, 242 i.V.m. Art. 1, 2 GG (seit BAG,<br />
GS Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84). Der Beschäftigungsanspruch<br />
beruht unmittelbar auf der arbeitsvertraglichen Interessenwahrungspflicht<br />
(§ 241 Abs. 2 BGB), die das Beschäftigungsinteresse<br />
des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung<br />
der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung über den Persönlichkeitsschutz<br />
umfasst (§ 242 BGB, Art. 1, 2 GG). Welche<br />
Aufgaben vom Arbeitgeber zu übertragen sind, richtet sich<br />
nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Ein Anspruch<br />
auf Beschäftigung mit ganz bestimmten Tätigkeiten steht<br />
dem Arbeitnehmer nur dann zu, wenn die Arbeitspflicht des<br />
Arbeitnehmers nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages auf<br />
diese Tätigkeiten beschränkt ist. Dies ist nicht der Fall, wenn<br />
der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund seines Direktionsrechts<br />
auch andere Tätigkeiten zuweisen kann (LAG<br />
Hamm, Urt. v. 8.3.2005 – 19 Sa 2128/04, juris).<br />
Im Streitfall vereinbarten die Parteien im Rahmen der Vertragsumwandlung<br />
vom 25.6.2004, dass die Klägerin mit Wirkung<br />
ab dem 1.7.2004 als Mitverantwortliche für den Bereich<br />
Nachtreinigung eingesetzt wird. Das bedeutet nach Auffassung<br />
der erkennenden Kammer aber nicht, dass sie danach<br />
nicht mehr verpflichtet gewesen ist, Reinigungstätigkeiten<br />
durchzuführen. Vielmehr verweist die „Umwandlung des Arbeitsvertrages<br />
vom 18.9.20<strong>03</strong>" ausdrücklich auf die Weitergeltung<br />
der vertraglichen Vereinbarungen des Vertrages vom<br />
18.9.20<strong>03</strong> (gemeint ist der der Kammer vorliegende Vertrag<br />
vom 18.3./16.9.20<strong>03</strong>) im Übrigen. Danach erfolgte die Einstellung<br />
der Klägerin als Reinigungskraft, mit der Folge, dass die<br />
Klägerin auch in der Position als Mitverantwortliche für den<br />
Bereich Nachtreinigung Reinigungsarbeiten zu erledigen hat.<br />
Denn der vorliegenden Vertragsumwandlung ist ein Entzug<br />
von Tätigkeiten, die die bloße Reinigung betreffen, nicht zu<br />
entnehmen. (…)<br />
3. Schließlich ist auch keine Konkretisierung der Tätigkeiten<br />
der Klägerin auf den im Antrag genannten Umfang anzunehmen.<br />
Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers kann sich zwar während<br />
der Dauer des Arbeitsverhältnisses auf einen ganz bestimmten<br />
Arbeitsplatz konkretisieren mit der Folge, dass der Arbeitnehmer<br />
aufgrund einer stillschweigenden Änderung des Arbeitsvertrages<br />
nur noch eine ganz bestimmte Tätigkeit schuldet.<br />
An die Annahme einer solchen Konkretisierung der Arbeitspflicht<br />
sind aber wegen der damit verbundenen Rechtsfolgen<br />
strenge Anforderungen zu stellen. Dementsprechend<br />
reicht es für die Konkretisierung der Arbeitspflicht nicht aus,<br />
dass der Arbeitnehmer während einer längeren Zeit eine bestimmte<br />
Tätigkeit ausgeübt hat. Vielmehr müssen besondere<br />
Umstände hinzukommen, die die Annahme rechtfertigen,<br />
dass der Arbeitnehmer nach dem übereinstimmenden Willen<br />
beider Vertragsparteien künftig nur noch eine ganz bestimmte<br />
Tätigkeit schulden sollte (LAG Hamm, a.a.O., Rn 47).<br />
Wenn die Klägerin auch behauptet, beanstandungslos nach<br />
dem Gespräch mit X seit ca. 6 Jahren grundsätzlich keine Reinigungsarbeiten<br />
mehr erledigt zu haben, insoweit mit den<br />
von ihr in der verfassten Aufgabenbeschreibung dargestellten<br />
Tätigkeiten beschäftigt und ausgelastet gewesen zu sein, so<br />
hilft ihr das nicht weiter. Allein die bloße Tätigkeit reicht nicht<br />
aus. Zusätzlichen Umstände, die ein schutzwürdiges Vertrauen<br />
auf die Beibehaltung ausschließlich dieser Tätigkeiten<br />
für die Zukunft begründen könnten, hat sie nicht vorgetragen,<br />
zumal der Beklagten überhaupt nicht bekannt war, dass<br />
sie nachts nicht mehr reinigt. Insoweit scheidet eine Konkretisierung<br />
der Beschäftigungspflicht der Klägerin mit ausschließlich<br />
den im Klageantrag begehrten Tätigkeiten aus.<br />
4. Letztlich konnte dahinstehen, ob die Beklagte die Klägerin<br />
nach Rückkehr an den Arbeitsplatz am 17.10.2011 anweisen<br />
durfte, Reinigungsarbeiten durchzuführen.<br />
Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass die Zuweisung<br />
einer anderen bestimmten Tätigkeit nicht vom Direktionsrecht<br />
des Arbeitgebers gedeckt ist, so kann er dies nicht dadurch<br />
erreichen, dass er die Verurteilung des Arbeitgebers zu<br />
einer Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz begehrt.<br />
Denn ein bestimmter Beschäftigungsanspruch steht dem Arbeitnehmer<br />
mangels Konkretisierung der Arbeitspflicht nicht<br />
zu. Vielmehr kann er dieses Ziel nur erreichen, indem er sich<br />
gegen die Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen mit<br />
einer Feststellungsklage wehrt (LAG Hamm, a.a.O., Rn 50).<br />
Trotz gerichtlichen Hinweises hat die Klägerin ihren Antrag<br />
aber nicht umgestellt, sondern weiterhin Beschäftigung mit<br />
den im Antrag bezeichneten Tätigkeiten gestellt. Da die Klägerin<br />
zwar als Mitverantwortliche für den Bereich Nachtreinigung<br />
aber nicht ausschließlich und abschließend mit den von<br />
ihm im Antrag bezeichneten Tätigkeiten, sondern auch mit<br />
148<br />
<strong>03</strong>/12
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Reinigungstätigkeiten zu beschäftigen ist, war ihr Begehren<br />
abzuweisen.<br />
■ Arbeitsgericht Hamm<br />
vom 14.3.<strong>2012</strong>, 3 Ca 2174/2011<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Gosda<br />
Von-Geismar-Straße 2, 59227 Ahlen<br />
Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />
r.gosda@sozietaet-quast.de<br />
173. Leiharbeit: Annahmeverzugslohn bei fehlender<br />
Beschäftigung und Zeitkonto<br />
1. § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG steht der Einrichtung eines Arbeitszeitkontos<br />
nicht entgegen, wenn der Vergütungsanspruch durch<br />
ein verstetigtes Monatseinkommen nicht abbedungen wird.<br />
2. Einsatzfreie Zeiten dürfen über ein vereinbartes Zeitkonto<br />
mit bereits zuvor geleisteter, d.h., vorverlagerter oder noch zu<br />
erbringender, d.h., nachzuholender Arbeit auch in der Arbeitnehmerüberlassung<br />
verrechnet werden.<br />
■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />
vom 16.11.2011, 7 Sa 567/11<br />
Eingereicht und ausgearbeitet durch<br />
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Brötzmann<br />
Bonifaziusplatz 1b, 55118 Mainz<br />
Tel.: 06131/61 81 56, Fax: 06131/61 81 57<br />
post@kanzlei-broetzmann.de; www.kanzlei-broetzmann.de<br />
Anmerkung:<br />
Revision eingelegt, AZ. beim BAG 5 AZR 181/12.<br />
Vgl. auch LAG Baden-Württemberg vom 24.9.2009, 17 Sa 4/09<br />
(bestätigend); LAG Rheinland-Pfalz vom 24.4.2008, 10 Sa 19/<br />
08 (ablehnend). (gr)<br />
174. Mobbing, Aufgabenentzug, Schmerzensgeld<br />
1. Zugunsten des Klägers besteht ein Anspruch auf Zahlung<br />
von Schmerzensgeld, weil die Beklagte ihrer Verpflichtung,<br />
das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu schützen, nicht in hinreichendem<br />
Umfang entsprochen hat.<br />
Der Arbeitgeber haftet dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber<br />
gemäß § 278 BGB für schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechts-<br />
oder Gesundheitsverletzungen durch von ihm<br />
als Erfüllungsgehilfen eingesetzte andere Arbeitnehmer und<br />
Vorgesetzte. Der Arbeitgeber hat demzufolge für die schuldhafte<br />
Verletzung der auf seine Erfüllungsgehilfen übertragenen<br />
arbeitsvertraglichen Schutzpflichten, etwa die Pflicht<br />
zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der<br />
Gesundheit, einzustehen. Notwendig ist jedoch immer, dass<br />
die schuldhafte Handlung in einem inneren sachlichen Zusammenhang<br />
mit den Aufgaben steht, die der Schuldner dem<br />
Erfüllungsgehilfen im Hinblick auf die Vertragserfüllung zugewiesen<br />
hat. Dies wird (...) regelmäßig nur dann der Fall sein,<br />
wenn die Erfüllungsgehilfen gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer<br />
die Fürsorgepflicht konkretisieren bzw. ihm ge-<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
genüber Weisungsbefugnisse haben (vgl. zu alledem BAG,<br />
Urt. v. 18.5.2007 – 8 AZR 709106 = NZA 2007, 1154 zu Rn 80,<br />
81 der Entscheidung, zitiert nach juris).<br />
b) Die nach dem Gesetz geforderte schuldhaft begangene<br />
Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt nach Ansicht der hier<br />
entscheidenden Kammer durch den Teilentzug von den dem<br />
Kläger obliegenden Arbeitsaufgaben seit dem Jahr 2007 vor.<br />
Denn der wesentliche Entzug der Arbeitsaufgabe, der Ausübung<br />
der Tätigkeit als verantwortlicher Operateur, der Entzug<br />
von anderen als Tagesdiensten und auch der Teilentzug<br />
von Tätigkeiten des Oberarztes in Bezug auf die Stationsleitung,<br />
rechtfertigen die Annahme, der Kläger sei infolge dieses<br />
Aufgabenentzugs in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt<br />
worden.<br />
aa) Als wesentlichen Ausgangspunkt nimmt die Kammer das<br />
Personalgespräch vom 8.1.2007, in welchem der Chefarzt X<br />
unter Bezugnahme auf die herangezogene Operationsstatistik<br />
des Jahres 2006 dem Kläger die vorstehend beschriebenen<br />
Tätigkeiten im Wesentlichen entzogen hat und diesem darüber<br />
hinaus die Trennung von der Beklagten binnen der nächsten<br />
6 Monate mindestens nahegelegt hat. Für diese ultimative<br />
und uneingeschränkte Aufgabenentziehung und Trennungsaufforderung<br />
gibt es nach Ansicht der Kammer keinen rechtfertigenden<br />
Grund, der so weitgehende Maßnahmen decken<br />
könnte.<br />
bb) Dabei ist im Wesentlichen zunächst festzustellen, dass die<br />
behaupteten fachlichen Minderleistungen des Klägers, die im<br />
Wesentlichen in der erhöhten Letalitätsrate nach durchgeführten<br />
Herzoperationen durch den Kläger als Verantwortlichem<br />
bestehen sollen, jedenfalls hinsichtlich ihres Verschuldens<br />
durch den Kläger nicht belegt sind. Es kann nach Auffassung<br />
der Kammer jedenfalls für die Entscheidung des vorliegenden<br />
Falles dahinstehen, ob die Letalitätsstatistik des Jahres<br />
2006 überhaupt verwendet werden darf im Zivilprozess,<br />
ob sie fachlich und sachlich richtige Angaben enthält oder ob<br />
sie auch durch Tatsachen beeinflusst worden ist, die jedenfalls<br />
darauf hinweisen, dass der Kläger diese Letalitätsrate im engeren<br />
Sinne gar nicht beeinflussen konnte, wie z.B. durch die<br />
vermehrte Zuweisung von risikobehafteten Patienten. Es mag<br />
auch dahinstehen, ob eine solche statistische Erhebung überhaupt<br />
einen Aussagewert hat in Bezug auf tatsächlich überdurchschnittlich<br />
schlechte Leistungen, die also von einem allgemeinen<br />
Maßstab (Welchem?) bis zu welchem Grad abweichen<br />
dürfen, das heißt also, welche Letalitätsrate in einer<br />
Herzklinik noch objektiv vertretbar sein soll.<br />
cc) Für die Kammer ist insoweit schon entscheidend, dass für<br />
keinen einzigen der behaupteten Letalitätsfälle des Jahres<br />
2006, die während oder nach der Operation durch den Kläger<br />
als verantwortlichen Operateur stattgefunden haben, ein belastbarer<br />
Beleg dahingehend vorliegt, dass tatsächlich dem<br />
Kläger eine Schlechtleistung insoweit vorzuhalten ist. Jedenfalls<br />
für die offenkundig im Fachkollegium durchgeführten<br />
Auswertungen, sofern Patienten verstorben sind, ergibt sich<br />
kein Hinweis auf Fehlleistungen des Klägers und auch nicht in<br />
<strong>03</strong>/12 149
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 22 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Bezug auf konkrete Vorhaltungen durch weitere Operateure<br />
bzw. Kollegen, die bei den Operationen zugegen gewesen<br />
sind. Offenkundig beruht vielmehr die fachliche Einschätzung<br />
allein auf der Meinung des Chefarztes X, wobei auch dessen<br />
Einschätzung eben einer objektiven und belegbaren Verschuldensbehauptung<br />
gegenüber dem Kläger ermangelt.<br />
dd) Im Ergebnis kommt die Kammer also zu dem Ergebnis,<br />
dass nicht in einem einzigen Fall einer behaupteten konkreten<br />
Fehlleistung des Klägers dieselbe objektiv belegt ist. Die<br />
getroffenen Maßnahmen des Chefarztes entsprechen also keiner<br />
adäquaten Lösung. Insoweit hält die Kammer insbesondere<br />
die in dem Personalgespräch am 8.3.2007 angekündigte<br />
unbedingte Trennungsabsicht der Beklagten vom Kläger für<br />
überzogen und darüber hinaus aber auch den unbefristeten<br />
und endgültigen Entzug von Tätigkeiten, die im Wesentlichen<br />
die bis dato ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Oberarzt<br />
kennzeichneten. Es mag zutreffen, dass der Kläger auch seit<br />
dem Jahr 2007 dann noch mit Tätigkeiten beschäftigt wurde,<br />
die den Anforderungen an eine oberärztliche Tätigkeit gerecht<br />
wurden. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass zwischen<br />
den Parteien im Streit steht, ob und auch in welchem<br />
Zeitumfang solche Tätigkeiten eines Oberarztes vom Kläger<br />
überhaupt noch zu erbringen gewesen sein sollen. Die Kammer<br />
nimmt jedoch aus vorstehender Auffassung zur Begründung<br />
des Aufgabenentzugs an den Kläger das Ergebnis, dass<br />
in wesentlichen Teilen tatsächlich eine Aufgabenänderung<br />
stattgefunden hat, die mit einer Degradierung des Klägers in<br />
den Augen der übrigen Beschäftigten bei der Beklagten verbunden<br />
gewesen sein muss. Dabei mag im Einzelnen konkret<br />
dahinstehen, ob der Kläger nun tatsächlich zeitweise gar<br />
keine Beschäftigung fand, ob er gegebenenfalls gegenteilig<br />
überwiegend Aufgaben der studentischen Ausbildung oder<br />
der Facharztausbildung und auch Aufgaben der Stationsleitung<br />
mit übernommen hat. Wesentlich ist für die Kammer,<br />
dass ein essentieller Aufgabenentzug stattgefunden hat, für<br />
den es in Bezug auf den Ausschluss jeglicher eigenverantwortlicher<br />
Operationstätigkeit und auf den Entzug von Diensten<br />
außerhalb der Tagschichten und in Bezug auf die Leitung<br />
einer Station eben keine hinreichende Rechtfertigung gab.<br />
ee) Maßgeblich ist für die Kammer insoweit auch, dass mildere<br />
Mittel insoweit offenbar gar nicht erwogen worden sind<br />
beziehungsweise tatsächlich auch praktisch nicht angewendet<br />
wurden. Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund,<br />
dass auch ein möglicher Leistungsabfall des Klägers keinesfalls<br />
auf Dauer unvermeidlich war und deswegen die Beklagte<br />
also selbst für den Fall, dass Leistungseinschränkungen beim<br />
Kläger in objektiver Hinsicht festzustellen waren, diese mit geeigneten<br />
Maßnahmen zu beheben gewesen waren oder aber<br />
der Kläger für eine bestimmte Zeit an die Ausübung bisher<br />
geschuldeter Tätigkeiten durch fachkundige Leitung und<br />
Überwachung wieder herangeführt wurde.<br />
c) Damit liegt für die Kammer (bis hierhin) das bestimmte Gesamtverhalten<br />
des Chefarztes der Beklagten X als der rechtswidrige<br />
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitneh-<br />
mers, der den Anspruch gegenüber der Beklagten auf Einhaltung<br />
der übertragenen arbeitsvertraglichen Schutzpflichten<br />
und, weil es an diesen auch spätestens nach dem Personalgespräch<br />
vom 20.11.2007 noch immer mangelte, auch auf Zahlung<br />
eines Schmerzensgeldes wegen des beeinträchtigten<br />
Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. (…)<br />
2. Bei der Höhe des festzusetzenden Schmerzensgeldes hat<br />
sich die Kammer vom äußeren Leitbild des § 1a i.V.m. § 10<br />
KSchG leiten lassen, weil jedenfalls ein Bezug zu einer faktischen<br />
Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vorliegt. Dabei<br />
geht die Kammer von einer monatlichen Bruttovergütung, die<br />
die Beklagte dem Kläger schuldete (die Mehr- und zusätzliche<br />
Dienste als Tagesdienste einschließt), von 98.000,00 EUR jährlich<br />
aus und nimmt hiernach den 6,5-fachen Monatsbezug<br />
zum Anhaltspunkt, 53.000,00 EUR als angemessene Entschädigung<br />
festzusetzen. Dies ist nach Auffassung der Kammer ein<br />
angemessener Schmerzensgeldbetrag für die Feststellung der<br />
Tatsache, dass der Kläger seine Anstellung bei der Beklagten<br />
faktisch verloren hat, dass sein Ruf in der Fachwelt jedenfalls<br />
zeitweise beschädigt gewesen ist und dass er auch in Bezug<br />
auf die Durchführung seiner Tätigkeiten innerhalb des Betriebes<br />
der Beklagten einen wesentlichen Ansehensverlust erlitten<br />
hat. Nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt wird bei<br />
der Höhe des festzusetzenden Schmerzensgeldes die behauptete<br />
Tatsache, die die Kammer als nicht erwiesen ansieht,<br />
dass der Kläger wegen seiner Tätigkeit als Betriebsrat in der<br />
geschehenen Weise diskriminiert worden wäre und auch<br />
nicht die weiteren Auseinandersetzungen, die der Kläger im<br />
Einzelnen im Vortrag geschildert hat, die beispielhaft in dem<br />
„Zusammenstauchen" bei der Visite am 6.11.2007 geschehen<br />
sind. Dies alles sind nach Auffassung der Kammer zwar keine<br />
alltäglichen Geschehnisse in einer Klinik, in der vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit stattfinden sollte, aber sie gewinnen<br />
nicht das Maß eines vom Kläger behaupteten systematischen<br />
Mobbings durch den Chefarzt X, der den Kläger also permanent<br />
und mit einer gewissen Intensität verächtlich behandelt.<br />
Solche rechtswidrigen Handlungen anzunehmen, die bei der<br />
Bemessung des Schmerzensgeldes eine Rolle spielten, ist der<br />
Kammer aus den vorgenannten Gründen nicht möglich. In Bezug<br />
auf die behauptete erlittene gesundheitliche Schädigung<br />
des Klägers ist auch vorstehend schon ausgeführt, dass für die<br />
Kammer eine Kausalität insoweit durch das Handeln des X<br />
nicht vorliegt. Für eine weitergehende Forderung auf Schmerzensgeld<br />
der Höhe nach durch den Kläger besteht nach Auffassung<br />
der Kammer keine Grundlage.<br />
■ Arbeitsgericht Leipzig<br />
vom 24.2.<strong>2012</strong>, 9 Ca 3854/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Roland Gross<br />
Anwaltshaus im Messehof Leipzig, Neumarkt 16-18,<br />
04109 Leipzig<br />
Tel.: <strong>03</strong>41/984620, Fax: <strong>03</strong>41/9846224<br />
leipzig@advo-gross.de<br />
150<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 23 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
175. Sonderurlaub, Beendigung, Rückwirkung<br />
Die zulässige, auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtete,<br />
Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen<br />
Anspruch auf Annahme ihres Angebots auf Beendigung<br />
des vereinbarten – unbezahlten – Sonderurlaubs sowie auf<br />
Entgeltfortzahlung für sechs Wochen ab Montag, den<br />
24.10.2011.<br />
1. Die Beklagte hat der Beendigung der seit 29.3.2011 bestehenden<br />
Freistellung zuzustimmen.<br />
a) Der Arbeitgeber ist an sich nur dann verpflichtet, in die vorzeitige<br />
Beendigung eines gewährten Sonderurlaubs einzuwilligen,<br />
wenn diese Möglichkeit einzelvertraglich vereinbart<br />
worden ist (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl.,<br />
§ 105, Rz 15). Weder der Arbeitsvertrag noch die Sonderurlaubsvereinbarung<br />
der Parteien enthalten eine entsprechende<br />
Abrede. Ebenso wenig enthält die Sonderurlaubsvereinbarung<br />
eine konkrete zeitliche Befristung. Ob die Pflegetätigkeit<br />
der Klägerin während der Strahlentherapie ihrer Tochter<br />
Gegenstand der Absprache gewesen war, ist zwischen den<br />
Parteien streitig geblieben (vgl. BI. 43 d.A.). Ob damit gegebenenfalls<br />
eine zweckbefristete Sonderbeurlaubung oder eine<br />
auflösende Bedingung vereinbart worden ist, konnte jedoch<br />
nach Auffassung der Kammer dahinstehen, da ein Anspruch<br />
der Klägerin auf Zustimmung zur Beendigung der Freistellung<br />
der Klägerin vorliegend aus der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht<br />
folgt.<br />
Eine solche kann allenfalls dann einen entsprechenden Anspruch<br />
begründen, wenn der Grund für die Bewilligung des<br />
Sonderurlaubs weggefallen ist und die Beschäftigung des Arbeitnehmers<br />
dem Arbeitgeber möglich und zumutbar ist (vgl.<br />
BAG, Urt. v. 6.9.1994 – AP Nr. 17 zu § 50 BAT, für einen nach<br />
tarifvertraglichen Bestimmungen gewährten unbezahlten<br />
Sonderurlaub).<br />
Diese Rechtsprechung kann auf den vorliegenden Fall übertragen<br />
werden. Zwischen den Parteien war mündlich geregelt,<br />
dass die Freistellung zur Pflege der erkrankten Tochter<br />
erfolgen sollte (vgl. Sitzungsniederschrift vom 14.12.2011, BI.<br />
21 d.A.). Die Beklagte hat weiter nicht bestritten, dass die Pflegebedürftigkeit<br />
der Tochter der Klägerin mit Beendigung der<br />
Radiotherapie entfallen ist (vgl. Attest vom 10.2.<strong>2012</strong>; BI. 38<br />
d.A.) und eingeräumt, dass ein geeigneter Arbeitsplatz für die<br />
Klägerin frei war (vgl. Sitzungsniederschrift vom 25.1.<strong>2012</strong>, BI.<br />
29 d.A.) und ist (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 12.3.<strong>2012</strong>),<br />
wonach „es im Verantwortungsbereich der Klägerin liegt,<br />
wenn der von ihr bezahlte Sonderurlaub seine Beendigung<br />
findet" und „sie den Sonderurlaub durch Arbeitsaufnahme jederzeit<br />
beenden kann" (vgl. BI. 42, 43 d.A.)). Die Beklagte verweigert<br />
die Zustimmung zur Beendigung des Sonderurlaubs<br />
also nicht, weil ihr die Beschäftigung unzumutbar ist, sondern<br />
nur, weil die Klägerin nach wie vor arbeitsunfähig erkrankt ist<br />
(und die Krankenkasse eine Lohnfortzahlungs-Erstattung<br />
über die U-1-Umlage ablehnt – vgl. Schriftsatz der AOK vom<br />
24.10.2011, Bl. 19 d.A.).<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Somit ist der geltend gemachte Anspruch auf Annahme des<br />
Angebots auf Beendigung des vereinbarten Sonderurlaubs<br />
aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht der Beklagten begründet.<br />
b) Dieser Anspruch kann auch rückwirkend geltend gemacht<br />
werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
ist der rückwirkende Abschluss eines Arbeitsvertrags möglich<br />
(vgl. BAG, Urt. v. 9.11.2006, DB 07, 861). Obwohl nach § 894<br />
ZPO eine Willenserklärung erst mit Rechtskraft des Urteils als<br />
abgegeben gilt, kann der Arbeitnehmer nach materiellem<br />
Recht Wiedereinstellung auch rückwirkend ab dem Zeitpunkt<br />
verlangen, zu dem er berechtigt war, den Abschluss eines<br />
neuen Arbeitsvertrags vom Arbeitgeber zu verlangen. Hat<br />
dieser keinen Grund, dem Arbeitnehmer den Abschluss eines<br />
neuen Arbeitsvertrags zu verweigern, so ist er ab diesem Zeitpunkt<br />
verpflichtet, das Angebot des Arbeitnehmers anzunehmen<br />
und ihm einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung<br />
zu stellen. Unterlässt er dies, so regeln sich die Rechtsfolgen<br />
nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. BAG, Urt. v.<br />
9.11.2006, a.a.O.).<br />
Entsprechend hat die Beklagte das Angebot der Klägerin auf<br />
Beendigung des vereinbarten Sonderurlaubs rückwirkend<br />
zum 21.10.2011 anzunehmen.<br />
■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />
vom 21.3.<strong>2012</strong>, 1 Ca 6894/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dirk Clausen<br />
Kaiserstraße 31–35, 904<strong>03</strong> Nürnberg<br />
Tel.: 0911/205510, Fax: 0911/2055140<br />
info@clausen-doll.de<br />
176. Urlaubsanspruch, Mindesturlaub während EU-Rente<br />
1. Der Mindesturlaubsanspruch im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der<br />
Richtlinie 20<strong>03</strong>/88/EG (sog. Arbeitszeitrichtlinie) und §§ 1, 3<br />
BUrlG entsteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis wegen<br />
Bezugs einer befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente ruht. (…)<br />
■ Landesarbeitsgericht Köln<br />
vom 10.8.2011, 9 Sa 394/11<br />
177. Urlaubsanspruch, Verfall, eigenes Urlaubsregime,<br />
Abgeltung nach gerichtlicher Auflösungsentscheidung<br />
Die Klage ist aber unbegründet.<br />
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß<br />
§§ 611 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG bezüglich nicht genommenen<br />
Urlaubs der Jahre 2001 bis 2004. Etwaige Urlaubsansprüche<br />
sind verfallen.<br />
1. Gemäß § 7 Abs. 4 ist Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht<br />
mehr gewährt werden kann. Zum Zeitpunkt der Beendigung<br />
müssen also noch Urlaubsansprüche bestanden haben.<br />
Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr<br />
gewährt und genommen werden. Eine Übertragung<br />
des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft,<br />
wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeit-<br />
<strong>03</strong>/12 151
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 24 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
nehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung<br />
muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden<br />
Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Der<br />
gesetzliche Urlaubsanspruch nach § 1 BUrlG ist somit grundsätzlich<br />
für die Dauer des Urlaubsjahres befristet. Sofern kein<br />
Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 gegeben ist und der am<br />
Jahresende noch nicht genommene und nicht gewährte Urlaub<br />
deshalb auf das erste Quartal des Folgejahres nicht übergeht,<br />
erlischt der am Ende des Urlaubsjahres nicht genommene<br />
Urlaub (vgl. ErfK/Dörner, 11. Aufl., § 7 BUrlG Rn 38). Bei<br />
Vorliegen der Übertragungsvoraussetzungen verfällt der Urlaub<br />
zum 31.3. des Folgejahres.<br />
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
sind im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen<br />
Gerichtshof (Entscheidung vom 20.1.2009, C-350/06, „Schultz-<br />
Hoff”) die Absätze drei und vier des § 7 BUrlG nach den Vorgaben<br />
des Art. 7 der Richtlinie 20<strong>03</strong>/88/EG jedoch gemeinschaftsrechtskonform<br />
dahingehend fortzubilden, dass § 7<br />
Abs. 3 BUrlG so zu verstehen ist, dass gesetzliche Urlaubsansprüche<br />
nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum<br />
Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums<br />
erkrankt und deswegen arbeitsunfähig ist (BAG, v. 24.3.2009 –<br />
9 AZR 983/07, NZA 2009, S. 538). Der Arbeitnehmer hat sonst<br />
keine Möglichkeit seinen Urlaubsanspruch zu verwirklichen.<br />
Die Parteien eines Arbeitsvertrages können für den Arbeitnehmer<br />
günstigere Übertragungsregelungen vereinbaren<br />
und zum Beispiel regeln, dass der Urlaubsanspruch eines Jahres<br />
ohne Vorliegen von Gründen bis zum 31.3. des Folgejahres<br />
erfüllt werden kann oder auf das gesamte folgende Kalenderjahr<br />
übertragen wird. Ein Anspruch auf Übertragung kann<br />
auch auf der Grundlage einer betrieblichen Übung entstehen<br />
(BAG, v. 21.6.2005 – 9 AZR 200/04 – AP Nr. 11 zu § 55 InsO).<br />
Der Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch,<br />
der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution<br />
gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig<br />
verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner<br />
Befristung verfällt (ständige Rechtsprechung vgl. BAG, v.<br />
11.4.2006 – 9 AZR 523/05 – AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG Übertragung).<br />
Kann der als Schadensersatz geschuldete Urlaub wegen<br />
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt<br />
werden, ist der Arbeitnehmer gemäß § 251 Abs. 1 BGB in Geld<br />
zu entschädigen.<br />
2. Im vorliegenden Fall ist die Voraussetzung eines beendeten<br />
Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG erfüllt, da das Arbeitsverhältnis<br />
aufgrund gerichtlicher Auflösungsentscheidung<br />
zum 30.6.2005 geendet hat. Dem Vortrag des Klägers<br />
kann allerdings nicht entnommen werden, dass noch bestehende<br />
Urlaubsansprüche abzugelten wären.<br />
Der Kläger hat nicht behauptet, zu irgendeinem Zeitpunkt Urlaub<br />
verlangt zu haben. Da der Arbeitnehmer auch im gekündigten<br />
Arbeitsverhältnis seinen Urlaubsanspruch ausdrücklich<br />
geltend machen muss, indem er den Arbeitgeber auffordert,<br />
den Urlaub zeitlich festzulegen (BAG, v. 18.9.2001 – 9 AZR<br />
570/00, NZA 2002, S. 895), bleibt es ohne Bedeutung, dass das<br />
Arbeitsverhältnis nach dem Vortrag des Klägers zumindest ab<br />
dem 8.10.20<strong>03</strong> gekündigt war. Einen Übertragungstatbestand<br />
gem. § 7 Abs. 3 BUrlG hat der Kläger nicht behauptet. Nach<br />
der gesetzlichen Vorgabe des § 7 Abs. 3 BUrlG ist der Urlaub<br />
der Jahre 2000 bis 20<strong>03</strong> jeweils zum Jahresende daher verfallen.<br />
Eine Ausnahme bildet der Jahresurlaub für das Jahr 2004.<br />
Nach dem Vortrag des Klägers war er vom 31.1.2004 bis zum<br />
31.12.2004 arbeitsunfähig erkrankt. Er war aber nach seinem<br />
eigenen Vortrag ab dem 1.1.2005 wieder arbeitsfähig. Folglich<br />
konnte er den gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG bis zum 31.3.2005 übertragenen<br />
Urlaub im ersten Quartal des Jahres 2005 nehmen.<br />
Da er keinen Urlaubsantrag stellte, verfiel der Urlaub zum<br />
31.3.2005. Es bedarf insoweit keines Rückgriffs auf die dargestellte<br />
neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu<br />
den Fällen längerer Erkrankungen. Diese Rechtsprechung bezieht<br />
sich auf die Fallgestaltung, dass § 7 Abs. 3 BUrlG dem Arbeitnehmer<br />
zu keiner Zeit die Möglichkeit eröffnet, den bezahlten<br />
Jahresurlaub zu nehmen.<br />
Die Beantragung der Urlaubsgewährung zur Vermeidung des<br />
Verfalls der Urlaubsansprüche wäre nur dann entbehrlich,<br />
wenn zwischen den Parteien einzelvertraglich eine Absprache<br />
dahingehend getroffen worden wäre, dass Urlaubsansprüche<br />
ohne Bindung an Verfallfristen unbegrenzt fortbestehen. Der<br />
Kläger hat insoweit behauptet, dass es eine betriebliche<br />
Übung gebe, wonach nicht genommener Urlaub „stets und<br />
immer ins Folgejahr" übertragen wird. Dieser Sachvortrag ist<br />
nicht hinreichend substantiiert. Der Kläger bezieht die betriebliche<br />
Übung auf „grundsätzlich alle Arbeitnehmer im Betrieb.<br />
Dies bedeutet, dass der Kläger von bestehenden Arbeitsverhältnissen<br />
ausgeht, nicht aber von gekündigten Arbeitsverhältnissen.<br />
Durchaus viele Arbeitgeber betreiben eine<br />
betriebliche Übung dahingehend, dass Urlaubsansprüche<br />
nicht verfallen und die Arbeitnehmer auf diese Weise beachtliche<br />
„Urlaubskonten" erreichen können. Im gekündigten Arbeitsverhältnis<br />
macht eine solche Ausgestaltung der Urlaubsansprüche<br />
jedoch keinen Sinn. Nach Auffassung des erkennenden<br />
Gerichts hätte der Kläger die Ausgestaltung der betrieblichen<br />
Übung bei gekündigten Arbeitsverhältnissen darlegen<br />
müssen.<br />
■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />
vom 17.1.2011, 3 Ca 9805/09<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer<br />
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178. Urlaubsanspruch, Übertragungsanspruch,<br />
betriebliche Übung<br />
Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass ein Anspruch auf<br />
Abgeltung des Urlaubs nur dann bestehen könnte, wenn eine<br />
betriebliche Übung dahingehend bestanden hätte, dass der<br />
152<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 25 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Urlaub ohne Beschränkungen übertragen werden konnte.<br />
Nach gesetzlichen Vorgaben wäre der Jahresurlaub jeweils<br />
am Ende des Jahres verfallen. Die Darlegungslast für das Vorliegen<br />
einer solchen betrieblichen Übung trägt der Kläger<br />
nach allgemeinen Regelungen. Um die Anspruchsgrundlage<br />
"betriebliche Übung" zu begründen, ist dabei die Darstellung<br />
eines Sachverhaltes erforderlich, aus dem im Wege der Auslegung<br />
auf den aus Sicht der Arbeitnehmer gegebenen Verpflichtungswillen<br />
des Arbeitgebers geschlossen werden soll,<br />
die Vergünstigung bzw. Leistung auch zukünftig so zu erbringen.<br />
Bei "Übertragung von Urlaub" bedarf es insoweit einer<br />
konkreten Darlegung, wann und wem vom Arbeitgeber in der<br />
Vergangenheit Urlaub des Vorjahres im Folgejahr gewährt<br />
worden ist. Die Arbeitnehmer sind namentlich zu bezeichnen<br />
und hierauf bezogen die Jahre anzugeben, in denen Urlaub<br />
des Vorjahres nach dem 31.3. des Folgejahres genommen<br />
wurde. Andernfalls kann schon nicht beurteilt werden, ob der<br />
Arbeitgeber diese Vergünstigung wiederholt gewährt hat<br />
(BAG, v. 21.6.2005 – AP Nr. 11 zu § 55 InsO).<br />
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers<br />
nicht. Er behauptet lediglich unsubstantiiert, dass eine betriebliche<br />
Übung insoweit bestanden habe. Dies ist aber lediglich<br />
eine Rechtsbehauptung. Der Kläger hat keinen einzigen<br />
Fall vorgetragen, bei dem es einem Arbeitnehmer gestattet<br />
gewesen wäre, seinen Urlaub im gesamten Folgejahr zu<br />
nehmen. Damit genügt der Kläger seiner Darlegungslast<br />
nicht. Die Nennung von Zeugen ersetzt den erforderlichen<br />
Sachvortrag nicht. Die Vernehmung der Zeugen würde eine<br />
unzulässige Ausforschung darstellen. Es ist nicht Aufgabe von<br />
Zeugen, die entscheidungserheblichen Tatsachen erstmals<br />
vorzutragen. Damit ist der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast<br />
nicht nachgekommen. Die Urlaubsabgeltungsansprüche<br />
für die Jahre 2001 bis 20<strong>03</strong> bestehen deshalb nicht.<br />
Bezüglich des Urlaubs 2004 ist zu berücksichtigen, dass der<br />
Kläger vom 31.1.2004 bis 31.12.2004 arbeitsunfähig erkrankt<br />
war und deshalb in diesem Jahr seinen Urlaub nicht nehmen<br />
konnte. Dieser Urlaubsanspruch trotz langwährender krankheitsbedingter<br />
Arbeitsunfähigkeit erlischt aber, wenn der Arbeitnehmer<br />
im Übertragungszeitraum so rechtzeitig gesund<br />
und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden Zeit seinen<br />
Urlaub nehmen kann (BAG, v. 19.8.2011 – NZA <strong>2012</strong>, 29<br />
f.). Nachdem der Kläger den Urlaub 2004 somit in der Zeit bis<br />
zum 31.3.2005 hätte nehmen können, da er nach seinem eigenen<br />
Sachvortrag in diesem Zeitraum wieder arbeitsfähig<br />
war, ist der Urlaub 2004 damit mit dem 31.3.2005 verfallen, da<br />
er in diesem Zeitraum nicht geltend gemacht wurde.<br />
■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />
vom 30.3.<strong>2012</strong>, 8 Sa 236/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer<br />
Martin-Luther-Platz 6-8, 91522 Ansbach,<br />
Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127<strong>03</strong>0<br />
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Allgemeines Vertragsrecht<br />
179. Urlaubsanspruch, Abgeltungsanspruch<br />
1. Gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG muss der Urlaub im laufenden<br />
Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Mit Ablauf der<br />
Befristung erlischt der noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch<br />
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG, v. 20.6.2000 – 9 AZR<br />
405/99). Erlischt der Urlaub zum Jahresende und scheidet der<br />
Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt aus, so entsteht kein Abgeltungsanspruch<br />
(BAG, v. 7.12.1993 – 9 AZR 683/92). (…)<br />
3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des als Urlaubsabgeltung<br />
eingeklagten Betrages unter dem Gesichtspunkt<br />
des Schadensersatzes, weil die Beklagte einen beantragten<br />
Urlaub nicht gewährt hat und dadurch Verfall eingetreten<br />
ist (vgl. BAG, v. 26.6.1986 – 8 AZR 75/83; v. 17.1.1995 –<br />
9 AZR 664/93).<br />
Der Kläger hat im Jahr 2010 zu keinem Zeitpunkt die Gewährung<br />
von Urlaub verlangt. Insbesondere das Schreiben vom<br />
25.5.2010 stellt keine Geltendmachung des Urlaubs dar. In<br />
diesem Schreiben wird nur die Übertragung eines eventuell<br />
nicht genommenen Urlaubs auf das Folgejahr bzw. die Abgeltung<br />
noch offenen Urlaubs für den Fall der Beendigung des<br />
Arbeitsverhältnisses begehrt. Ein konkretes Begehren auf Urlaubsgewährung,<br />
gegebenenfalls zu einem bestimmten Termin,<br />
liegt hierin nicht. Auch aus den gleichlautenden Formulierungen<br />
in der Klageschrift des Kündigungsschutzverfahrens<br />
ist keine Geltendmachung einer Urlaubsgewährung zu<br />
sehen.<br />
■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />
vom 29.3.<strong>2012</strong>, 4 Ca 2307/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Ingo Graumann<br />
Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />
Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />
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180. Urlaubsanspruch, Urlaubsgewährung,<br />
Verfügungsanspruch<br />
Aus den Gründen:<br />
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem<br />
die Antragsgegner verpflichtet werden sollen, die Antragstellerin<br />
in der Zeit vom 23.11.2011 bis 30.11.2011 zu Urlaubszwecken<br />
von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen,<br />
ist unbegründet, weil der Antragstellerin nach ihrem eigenen<br />
Vorbringen der gewünschte Urlaub bereits gewährt worden<br />
und der behauptete Verfügungsanspruch damit bereits erfüllt<br />
ist.<br />
Die beantragte Freistellung zum Zwecke des Urlaubs ist die<br />
zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche Leistungshandlung<br />
des Arbeitgebers. Diese hat die Antragsgegnerin zu<br />
2) nach dem Vorbringen der Antragstellerin in der Antragsschrift<br />
und in ihrer zur Glaubhaftmachung eingereichten eidesstattlichen<br />
Versicherung bereits vorgenommen, nachdem<br />
Frau J sich zur Vertretung der Klägerin bereit erklärt hatte.<br />
Diese behauptete Urlaubserteilung ist nach wie vor wirksam,<br />
auch wenn die Antragsgegner in späteren Erklärungen von ihr<br />
<strong>03</strong>/12 153
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 26 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Abstand genommen haben. Hat der Arbeitgeber den gewünschten<br />
Urlaub bereits erteilt und beruft er sich später auf<br />
einen rechtlich nicht zulässigen Widerruf dieser Genehmigung,<br />
ist eine Verfügungsklage des Arbeitnehmers auf Gewährung<br />
des Urlaubs unbegründet (ArbG Frankfurt a.M., Urt.<br />
v. 30.7.1998 – 2 Ga 169/98 – m.w.N.), weil sie letztlich nur auf<br />
die Erstellung eines gerichtlichen Rechtsgutachtens hinausläuft<br />
(Corts, NZA 1998, 357, 358 unter VII.; Reinhard/Kliemt,<br />
NZA 2005, 545, 550 unter II 5 b) je m.w.N.).<br />
Der Urlaubsanspruch ist ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen<br />
den Arbeitgeber, von seiner Arbeitspflicht befreit zu werden,<br />
ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts berührt<br />
wird (BAG, Urt. v. 25.1.1994, AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG unter<br />
II 1. der Gründe m.w.N.). Er erlischt gemäß § 362 Abs. 1 BGB<br />
durch Erfüllung, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub<br />
gewährt und der Arbeitnehmer den Urlaub nimmt (§ 7<br />
Abs. 3 S. 1 BUrlG). Die vom Arbeitgeber geforderte Leistungshandlung<br />
ist die Gewährung des Urlaubs durch Bestimmung<br />
der Urlaubszeit (Leinemann, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht<br />
Band.1, 2. Aufl. 2000, § 89 Rn 77). In ihr ist die Befreiung<br />
des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht für den genehmigten<br />
Zeitraum enthalten (Schütz/Hauck: Gesetzliches<br />
und tarifliches Urlaubsrecht, Neuwied u.a. 1996, Rn 355). Mit<br />
der Festlegung von Beginn und Ende der Urlaubszeit und der<br />
entsprechenden Mitteilung an den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber<br />
die für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche<br />
Leistungshandlung vorgenommen (BAG, Urt. v.<br />
9.8.1994, AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG unter 2 a) und b) der Gründe;<br />
Urt. v. 14.3.2006, AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG unter A 13 b) der<br />
Gründe).<br />
Die Bestimmung der Urlaubszeit durch den Arbeitgeber ist<br />
eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die gemäß<br />
§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB mit ihrem Zugang bei dem Arbeitnehmer<br />
wirksam wird (BAG, Urt. v. 23.1.1996, AP Nr. 10 zu § 5<br />
BUrlG unter II 1 a) der Gründe; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht,<br />
2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn 4 m.w.N.). Sie kann grundsätzlich<br />
nur bis zu ihrem Zugang widerrufen werden (§ 130 Abs. 1 S. 2<br />
BGB). Ab ihrem Zugang ist sie für den Arbeitgeber bindend<br />
(BAG, Urt. v. 14.3.2006, AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG unter A 13 b)<br />
der Gründe m.w.N.; Düwell in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht<br />
Band 1, 3. Aufl. 2009, § 80 Rn 39) und kann nur einvernehmlich<br />
wieder abgeändert werden (Leinemann/Linck:<br />
Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn 60; Schütz/Hauck: Gesetzliches<br />
und tarifliches Urlaubsrecht, Neuwied u.a. 1996,<br />
Rn 450).<br />
Die Festlegung des Urlaubszeitraums durch den Arbeitgeber<br />
kann nach ihrem Zugang nicht einseitig widerrufen werden<br />
(LAG Hamm, Urt. v. 11.12.2002, NZA-RR 20<strong>03</strong>, 347, 348 unter<br />
II 2 a) der Gründe; ArbG Frankfurt a.M., Urt. v. 30.7.1998–2Ga<br />
169/98 – m.w.N.; Düwell in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht,<br />
Band 1, 3. Aufl. 2009, § 80 Rn 39; Leinemann/Linck:<br />
Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn 55 m.w.N.; Schütz/<br />
Hauck: Gesetzliches und tarifliches Urlaubsrecht, 1996, Rn 448;<br />
Bachmann, GK-BUrlG, 5. Aufl. 1992, §7Rn50m.w.N.; Korinth,<br />
Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 1.<br />
Aufl. Berlin 2000, Anh. zu §§ 935, 940 ZPO Rn 127).<br />
■ Arbeitsgericht Köln<br />
vom 8.11.2011, 16 Ga 104/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen Höser<br />
Kölner Straße 2, 50226 Frechen<br />
Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />
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181. Urlaub, Kürzung wegen Krankheit<br />
1. Die Vereinbarung zur Kürzung von übergesetzlichen Urlaubsansprüchen<br />
wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten des<br />
Arbeitnehmers unterfällt dem Anwendungsbereich des § 4a<br />
EFZG zumindest dann, wenn der Urlaubsanspruch mit einem<br />
Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld akzessorisch verknüpft<br />
ist und der Urlaub dadurch eine geldwerte Leistung<br />
beinhaltet.<br />
2. Werden dem Arbeitnehmer mehrere Sondervergütungen<br />
gemäß § 4a EFZG gewährt, so ist die Kürzungsgrenze nach<br />
§ 4a S. 2 EFZG für alle Sondervergütungen insgesamt zu betrachten.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 15.11.2011, 3 Sa 493/11<br />
182. Vergütung, Sonderzahlung, Freiwilligkeitsvorbehalt<br />
Aus den Gründen:<br />
a) Bei der von der Beklagten in § 2 des Änderungsvertrages<br />
vorformulierten Vertragsbedingung handelt es sich um eine<br />
allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1<br />
BGB. Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven<br />
Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen,<br />
wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter<br />
Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten<br />
Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeit<br />
des konkreten, sondern die des durchschnittlichen<br />
Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen<br />
sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner<br />
zu orientierende Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen<br />
ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist<br />
dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend<br />
darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise<br />
an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise<br />
zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger<br />
und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss.<br />
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein<br />
Freiwilligkeitsvorbehalt das Entstehen eines Rechtsanspruches<br />
auf eine künftige Sonderzahlung wirksam verhindern<br />
(BAG, v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09 in EzA BGB 2002 § 307<br />
Nr. 51). Der Arbeitgeber kann – außer bei laufendem Arbeitsentgelt<br />
(vgl. BAG, v. 25.4.2007 – 5 ZR 627/06, BAGE 122, 182) –<br />
einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ausschließen<br />
und sich eine Entscheidung vorbehalten, ob und in<br />
welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewährt. Er<br />
154<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 27 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
bleibt grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob und auch<br />
unter welchen Voraussetzungen er zum laufenden Arbeitsentgelt<br />
eine zusätzliche Leistung erbringen will. Gibt es einen klar<br />
und verständlich formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt, der jeden<br />
Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung<br />
ausschließt, fehlt es an einer versprochenen Leistung im<br />
Sinne des § 308 Nr. 4 BGB. In diesen Fällen wird eine Verpflichtung<br />
des Arbeitgebers zur Leistung der Sonderzahlung unabhängig<br />
von dem mit der Sonderzuwendung verfolgten Zweck<br />
von vornherein nicht begründet. Allerdings muss ein solcher<br />
Freiwilligkeitsvorbehalt klar und verständlich im Sinne des<br />
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB formuliert sein, um den Rechtsanspruch<br />
des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung eindeutig<br />
auszuschließen (BAG, v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09). Er darf<br />
insbesondere nicht im Widerspruch zu anderen Vereinbarungen<br />
der Arbeitsvertragsparteien stehen (BAG, v. 30.7.2008 –<br />
10 AZR 606/07, BAGE 127, 185).<br />
b) Die streitgegenständliche Vereinbarung in § 2 des Änderungsvertrages<br />
verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil<br />
die Regelung über einen Freiwilligkeitsvorbehalt nicht klar<br />
und verständlich ist.<br />
Wortlaut des § 2 Abs. 1c ist entgegen der Auffassung der Beklagten<br />
nicht eindeutig. Lediglich die Worte „gegebenenfalls"<br />
sowie „Entscheidung über die Vergabe" könnten einen Freiwilligkeitsvorbehalt<br />
vermuten lassen. Gemessen an den<br />
Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung<br />
vom 30.7.2008 – 10 AZR 06/07, ist ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt<br />
jedoch nicht eindeutig und präzise formuliert.<br />
Die Zielerreichungsbedingungen für die Bonuszahlungen<br />
sind eindeutig und klar festgelegt. Dadurch wird dem Arbeitnehmer<br />
diese Zahlung in Aussicht gestellt, um seine Leistungsbereitschaft<br />
zu erhöhen. Für den Leser ergibt sich im Zusammenhang<br />
mit der tabellarisch ausgeführten Bonushöhe in<br />
Abhängigkeit zum Ausprägungsgrad geschäftspolitischer<br />
Zielerreichung unter Definition des Bonus als Pauschale jährlicher<br />
Erfolgskomponente, die das Gesamtgeschäftsergebnis<br />
der BA widerspiegelt, dass Voraussetzung für die Zahlung des<br />
Bonus allein die Erreichung der jeweiligen Ausprägungsgrade<br />
geschäftspolitischer Zielerreichung sein soll. Dies wird noch<br />
unterstützt durch die Festlegung, dass bis zum Ausprägungsgrad<br />
geschäftspolitischer Zielerreichung 50 % kein Bonus gezahlt<br />
wird. Eine solche Formulierung wäre überflüssig, wenn<br />
sich der Vorstand in jedem Fall die Zahlung des Bonus vorbehalten<br />
würde. Dem gegenüber ist die Regelung in § 3 Abs. 1c<br />
des Arbeitsvertrages eher geeignet, die Ansicht des Arbeitgebers<br />
zu unterstützen. Hier ist formuliert, dass gegebenenfalls<br />
ein Bonus gezahlt wird, der den Gesamterfolg der BA im Sinne<br />
einer gemeinschaftlichen Verantwortung honoriert. Dieser<br />
Bonus soll allerdings nicht den Gesamterfolg widerspiegeln,<br />
sondern honorieren. Des Weiteren soll die Entscheidung über<br />
die Vergabe des Bonus vom Vorstand jährlich getroffen werden.<br />
Auch hier findet sich die tabellarische Verknüpfung des<br />
Ausprägungsgrades geschäftspolitischer Zielerreichung mit<br />
differenzierter Höhe des Bonus, die beim Leser den Eindruck<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
erweckt, ein Bonus stünde bis 50 % Zielerreichung nicht zu<br />
und darüber hinaus aber schon. Auch hier bleibt festzuhalten,<br />
dass die Angabe von Mindestvoraussetzungen für den Bonus<br />
bei einer völlig freien Entscheidung des Vorstandes keinen<br />
Sinn ergibt. Damit ist auch nach der Formulierung im Arbeitsvertrag<br />
die Auslegung möglich, dass der Vorstand jährlich lediglich<br />
über den Ausprägungsgrad geschäftspolitischer Zielerreichung<br />
entscheidet und danach den Bonus vergibt. Beide<br />
Auslegungen sind nach dem Vertragswortlaut möglich und<br />
keine ist eindeutig vorzuziehen. Weil nach der Regelung in<br />
§ 18 des Arbeitsvertrages ersichtlich der Arbeitsvertrag den<br />
Stand der Verhandlung zwischen den Parteien wiedergeben<br />
soll, kommt es auf vorherige Gespräche zwischen der Klagepartei<br />
und den Mitarbeitern der Beklagten nicht entscheidend<br />
an. Nach § 305c Abs. 2 BGB, gehen Zweifel bei der Auslegung<br />
allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders.<br />
Es fällt damit allerdings nicht die gesamte Klausel<br />
weg, sondern es ist die der Klagepartei günstigere Auslegung<br />
zu wählen. Weil unstreitig ein Ausprägungsgrad geschäftspolitischer<br />
Zielerreichung von über 100 % vorliegt, steht der Klagepartei<br />
der Bonus in unstreitiger Höhe zu.<br />
■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />
vom 7.3.<strong>2012</strong>, 11 Ca 4304/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dirk Clausen<br />
Kaiserstraße 31-35, 904<strong>03</strong> Nürnberg<br />
Tel.: 0911/205510, Fax: 0911/2055140<br />
info@clausen-doll.de<br />
183. Vertragsabschluss mit fremdsprachlichem<br />
Arbeitnehmer, wirksame Willenserklärung, keine<br />
Übersetzungspflicht<br />
Es besteht keine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitsvertrag<br />
unaufgefordert in die Muttersprache des Arbeitnehmers<br />
zu übersetzen (Hessisches LAG, 11.9.1986 – 9 Sa 421/<br />
86). Eine generelle Übersetzungspflicht für Schriftstücke, die<br />
von fremdsprachlichen Arbeitnehmern unterzeichnet werden<br />
sollen, ist dem geltenden Recht nicht zu entnehmen (Hessisches<br />
LAG, v. 1.4.20<strong>03</strong> – 13 Sa 1240/02). Dies gilt auch, wenn<br />
die Verhandlungen in der Muttersprache des Arbeitnehmers<br />
geführt werden, der erkennbar der deutschen Sprache nicht<br />
mächtig ist. Das Unterzeichnen des Vertrages in Unkenntnis<br />
seines Inhalts fällt in den Risikobereich des Arbeitnehmers. Er<br />
muss sich so behandeln lassen wie eine Person, die einen Vertrag<br />
ungelesen unterschreibt.<br />
■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />
vom 2.2.<strong>2012</strong>, 11 Sa 569/11<br />
184. Verwirkung, Geltendmachung von Ansprüchen nach<br />
langfristiger Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen<br />
Ein Arbeitnehmer disponiert durch seine widerspruchslose<br />
Weiterarbeit in einer 38-Stunden-Woche ohne Lohnansprüche<br />
über einen längeren Zeitraum über die geltenden Arbeitsbedingungen<br />
nicht ohne Weiteres. Eine spätere Geltendma-<br />
<strong>03</strong>/12 155
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 28 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
chung des Rechts kann auch in diesem Fall noch möglich sein.<br />
Entscheidend sich die Umstände des Einzelfalls. Die Erhebung<br />
eines Anspruchs erst zweieinhalb Jahre nach Zugang des Informationsschreibens<br />
erfüllt zwar das Zeitmoment. Durch die<br />
bloße Untätigkeit wird allerdings kein Vertrauenstatbestand<br />
geschaffen, günstigere Arbeitsbedingungen auch in Zukunft<br />
nicht einfordern zu wollen.<br />
■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />
vom 13.2.<strong>2012</strong>, 8 Sa 263/11<br />
Bestandsschutz<br />
185. Abberufung, Abfallbeauftragter, Bedeutung des<br />
vertraglichen Hintergrunds<br />
Die Beklagte war berechtigt, die Bestellung des Klägers zum<br />
Betriebsbeauftragten für Abfälle zu widerrufen.<br />
Zwischen den Parteien ist es unstreitig, dass die Beklagte gemäß<br />
§ 54 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet ist, einen Betriebsbeauftragten<br />
für Abfälle zu bestellen und diese Aufgabe dem<br />
Kläger wirksam übertragen worden ist (vgl. die Entscheidung<br />
der 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts v. 25.5.2011, 3 Sa<br />
243/11). Die Bestellung des Abfallbeauftragten richtet sich gemäß<br />
§ 55 Abs. 3 KrW-/AbfG nach § 55 Abs. 1 Satz 1 BlmSchG.<br />
Danach ist die konkrete Zuweisung der Aufgaben eines Abfallbeauftragten<br />
erforderlich. Zu ihrer Wirksamkeit bedarf sie<br />
der Schriftform (vgl. hierzu BAG, v. 26.3.2009 – 2 AZR 633/07,<br />
NZA 2011, 166).<br />
Im Gegensatz zur Bestellung enthalten die maßgeblichen gesetzlichen<br />
Vorschriften jedoch keine Regelung der Abberufung<br />
des Abfallbeauftragten. Auch insoweit finden gemäß<br />
§ 55 Abs. 3 KrW-/AbfG die §§ 55 bis 58 BlmSchG entsprechende<br />
Anwendung. § 58 Abs. 1 BlmSchG enthält hinsichtlich<br />
der persönlichen Stellung auch des Abfallbeauftragten lediglich<br />
ein Benachteiligungsverbot. § 58 Abs. 2 BlmSchG schützt<br />
den Beauftragten zwar vor der ordentlichen Kündigung seines<br />
Arbeitsverhältnisses, indem er zur Voraussetzung für eine<br />
zulässige Kündigung das Vorliegen eines wichtigen Grundes<br />
erhebt. Zugleich ist dieser Vorschrift jedoch auch zu entnehmen,<br />
dass die Abberufung als Beauftragter unabhängig davon<br />
ist, ob ein solcher Grund vorliegt. Ist ein Beauftragter abberufen,<br />
so genießt er für den Zeitraum eines Jahres nachwirkenden<br />
Kündigungsschutz.<br />
Damit unterscheidet sich die Position sowohl des Abfallbeauftragten<br />
als auch des Immissionsschutzbeauftragten von der<br />
des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Dieser genießt<br />
einen besonderen Abberufungsschutz gemäß § 4f Abs. 3 Satz<br />
4 BDSG, indem die Bestellung nur in entsprechender Anwendung<br />
des § 626 BGB widerrufen werden kann. Damit wird die<br />
Stellung des Datenschutzbeauftragten gestärkt, der nicht nur<br />
persönlich vor dem Verlust seines Arbeitsverhältnisses durch<br />
eine ordentliche Kündigung geschützt wird, sondern seiner<br />
Tätigkeit im Interesse des Datenschutzes ohne Furcht vor ei-<br />
ner Abberufung nachgehen kann (s. hierzu BAG vom<br />
23.3.2011 – 10 AZR 562/09, NZA 2011, 1<strong>03</strong>6). Eine solche<br />
starke Stellung besitzt der betriebliche Abfallbeauftragte dagegen<br />
nicht. Seine Abberufung ist vielmehr nur durch das Benachteiligungsverbot<br />
des § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG i.V.m. § 58<br />
Abs. 1 BlmSchG begrenzt.<br />
Die Beklagte hat mit der Abberufung des Klägers als Abfallbeauftragter<br />
nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen.<br />
Der Kläger ist vielmehr deshalb als Abfallbeauftragter abberufen<br />
worden, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit<br />
dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen beenden wollte.<br />
Wegen eines schwerwiegenden Umsatzrückgangs hat die Beklagte<br />
mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich<br />
mit Namensliste vereinbart, der die Entlassung<br />
von insgesamt 49 Arbeitnehmern vorsah. Hierunter befand<br />
sich auch der Kläger, der als einer von vier Meistern deshalb<br />
entlassen werden sollte, weil sein Meisterbereich aufgelöst<br />
und die Fertigungsstellen auf die anderen Meisterbereiche<br />
aufgeteilt werden sollten. Nach dem Interessenausgleich waren<br />
für die Führung der verbleibenden Meisterbereiche Spezialkenntnisse<br />
erforderlich, die beim Kläger nicht vorhanden<br />
waren. Dementsprechend ist der Kläger als zu entlassener Arbeitnehmer<br />
in der Namensliste des Interessenausgleichs aufgeführt.<br />
Danach liegen sachliche Gründe für die Abberufung des Klägers<br />
vor. Die Beklagte ist nicht gehalten, dem Kläger die Position<br />
des Abfallbeauftragten zu belassen, obwohl sie für seine<br />
Haupttätigkeit kein Beschäftigungsbedürfnis hat. Dabei<br />
kommt es nicht darauf an, ob der Kläger für die Aufgaben des<br />
Abfallbeauftragten einen Arbeitstag in der Woche oder, wie<br />
die Beklagte vorträgt, lediglich eine Arbeitsstunde pro Woche<br />
aufzubringen hat. Auch bei einem, zeitlichen Umfang von einem<br />
Arbeitstag pro Woche für die Aufgaben eines Abfallbeauftragten<br />
ist das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis<br />
mit dem Kläger beenden zu können, was eine Abberufung<br />
als Abfallbeauftragter voraussetzt, sachlich gerechtfertigt.<br />
In diesem Zusammenhang braucht nicht entschieden zu werden,<br />
ob eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 1<br />
KSchG sozial gerechtfertigt ist. Sie ist, wie sich aus dem vorgelegten<br />
Interessenausgleich ergibt, jedenfalls nicht offensichtlich<br />
unwirksam. Ist das Vorliegen betriebsbedingter Gründe<br />
für das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
nicht von vornherein ausgeschlossen, so<br />
scheidet eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Tätigkeit<br />
als Abfallbeauftragter aus.<br />
Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf<br />
Beschäftigung als Abfallbeauftragter aufgrund seines Arbeitsvertrages.<br />
Dabei kann zu seinen Gunsten davon ausgegangen<br />
werden, dass die Übertragung dieses Amtes und der damit<br />
verbundenen Aufgaben nicht durch Ausübung des Direktionsrechtes<br />
möglich war, sodass sie ihm auch nicht in Ausübung<br />
des Direktionsrechtes als actus contrarius entzogen<br />
werden konnte. Anders als in dem Fall, den das Landesarbeitsgericht<br />
Düsseldorf zu entscheiden hatte (Urt. v. 29.9.2009, 6<br />
156<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 29 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
Sa 492/09, juris) war diese Tätigkeit nicht Teil der vertraglich<br />
geschuldeten Leistung. Mit der Übernahme dieser Aufgabe<br />
erweiterten sich die arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten<br />
des Klägers um die Tätigkeit eines Abfallbeauftragten durch<br />
gegebenenfalls auch konkludente Vereinbarung (vgl. zur Berufung<br />
eines Datenschutzbeauftragten BAG, v. 29.9.2010, 10<br />
AZR 588/09, NZA 2011, 151).<br />
Mit welchem konkreten Inhalt der Arbeitsvertrag geändert<br />
und angepasst wird, ist durch Auslegung der Vereinbarung<br />
nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Regelmäßig wird bei einer<br />
Bestellung einzelner Arbeitnehmer zu Beauftragten, insoweit<br />
auch zum Abfallbeauftragten, im bestehenden Arbeitsverhältnis<br />
der Arbeitsvertrag nach Maßgabe der Bestimmung um die<br />
mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erweitert. Nimmt der<br />
Arbeitnehmer dieses Angebot durch Übernahme der Tätigkeit<br />
an und dokumentiert er damit sein Einverständnis mit der Bestellung,<br />
wird der Arbeitsvertrag für die Zeitspanne der Amtsübertragung<br />
entsprechend geändert und angepasst. Der Arbeitgeber<br />
will mit der Berufung seiner gesetzlichen Verpflichtung<br />
genügen und die dafür erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen<br />
treffen, aber keine weitergehenden Verpflichtungen<br />
eingehen. Der Arbeitnehmer strebt regelmäßig<br />
keine – für, ihn nachteilige – vertragliche Einschränkung auf<br />
die Tätigkeit des Amtes an. Notwendig ist die Änderung des<br />
Arbeitsvertrages für die Zeitspanne, für die der Arbeitnehmer<br />
das Amt nach den gesetzlichen Bestimmungen ausübt.<br />
Nimmt der Arbeitnehmer dieses Angebot durch sein Einverständnis<br />
mit der Bestellung an, wird der Arbeitsvertrag für die<br />
Zeitspanne der Übertragung des Amtes geändert. Wird die<br />
Bestellung wirksam widerrufen oder entfällt das Funktionsamt<br />
auf andere Weise, ist die Tätigkeit nicht mehr Bestandteil<br />
der vertraglich geschuldeten Leistung (vgl. BAG, v. 29.9.2010,<br />
10 AZR 588/09, NZA 2011, 151, 152, v. 23.3.2011, 10 AZR<br />
562109, NZA 2011; 1<strong>03</strong>6, 1<strong>03</strong>8, jeweils zur Position des Datenschutzbeauftragten).<br />
Auch im vorliegenden Fall sind diese<br />
Grundsätze anwendbar. Dies wird schon daraus erkennbar,<br />
dass die Tätigkeit des Abfallbeauftragten nur einen Teil der<br />
Aufgaben des Klägers ausmachte. Der Kläger war weiterhin,<br />
und zwar im Umfang von mindestens vier Arbeitstagen, als<br />
Meister der Endmontage beschäftigt. Ist dies aber der Fall, so<br />
sprechen auch die Interessen des Klägers dagegen, dass die<br />
Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten an die Tätigkeit<br />
des Abfallbeauftragten gebunden ist.<br />
Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass ein Verstoß gegen<br />
das Maßregelungsverbot des § 612a BGB nicht vorliegt. Zwar<br />
hat die Beklagte die Bestellung des Klägers zum Abfallbeauftragten<br />
widerrufen, nachdem der Kläger die Kündigung vom<br />
18.5.2010 erstinstanzlich erfolgreich angegriffen hatte. Die Beklagte<br />
hat zum einen unwidersprochen vorgetragen, dass ihr<br />
der besondere Kündigungsschutz des Klägers aufgrund seiner<br />
Position als Abfallbeauftragter nicht bekannt gewesen sei.<br />
Unabhängig davon war die Abberufung des Klägers als Abfallbeauftragter<br />
notwendig, um ihre nachvollziehbaren Interessen<br />
am Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung um-<br />
Bestandsschutz<br />
setzen zu können, die durch den abgeschlossenen Interessenausgleich<br />
dokumentiert sind.<br />
■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />
vom 1.2.<strong>2012</strong>, 16 Sa 1195/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann<br />
Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />
Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />
info@gm-arbeitsrecht.de<br />
186. Änderungskündigung zwecks Tarifvertragswechsel,<br />
Allgemeine Geschäftsbedingung: Tarifwechselklausel als<br />
Änderungsvorbehalt<br />
1. Die soziale Rechtfertigung einer Änderungskündigung, die<br />
darauf gerichtet ist, andere als die bisher im Arbeitsvertrag in<br />
Bezug genommenen Tarifverträge in Bezug zu nehmen, folgt<br />
nicht allein aus dem Interesse des Arbeitgebers an einer Vereinheitlichung<br />
der Arbeitsbedingungen.<br />
2. Eine Klausel in einem Formulararbeitsvertrag, nach der der<br />
Arbeitgeber berechtigt sein soll, durch schriftliche Erklärung<br />
gegenüber dem Mitarbeiter die im Arbeitsvertrag zunächst in<br />
Bezug genommenen Tarifverträge für die Zukunft durch solche<br />
zu ersetzen, die von einem anderen für den Arbeitgeber<br />
zuständigen Arbeitgeberverband geschlossen werden, ist<br />
nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 2.3.<strong>2012</strong>, 9 Sa 627/11<br />
187. Änderungskündigung, Zumutbarkeit von<br />
Alternativangeboten<br />
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.<br />
Die Änderungskündigung der Beklagten erweist sich als sozialwidrig.<br />
Die Kammer konnte offen lassen, ob die Sozialwidrigkeit der<br />
Änderungskündigung bereits darauf beruhen könnte, dass<br />
die alternativen Änderungsangebote der Beklagten nicht<br />
dem Bestimmtheitsgrundsatz genügten. Anders als im Fall<br />
des BAG, v. 15.1.2009 – 2 AZR 6 41/07 tendiert die Kammer<br />
dahin, dass beide Alternativangebote jeweils für sich inhaltlich<br />
ausreichend bestimmt sind, was die Tätigkeit, den Arbeitszeitumfang<br />
und die Vergütung angeht.<br />
Lässt man jedoch eine Änderungskündigung nicht bereits im<br />
Ansatz daran scheitern, dass der Arbeitgeber in seinem Änderungsangebot<br />
mehrere Alternativen unterbreitet – wie z.B.<br />
das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 7.9.2007 – 4 SA<br />
423/07 (LAGE KSchG § 2 Nr. 60) –, ist zumindest zu fordern,<br />
dass jedes dieser Angebote für sich genommen den Anforderungen<br />
an §2KSchGgenügt.<br />
Könnte dies nach dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten<br />
für das 1. Alternativangebot – die Arbeitszeitreduzierung im<br />
bisherigen Tätigkeitsbereich – noch der Fall sein, erschließt<br />
sich der Kammer die Zumutbarkeit des Alternativangebotes<br />
<strong>03</strong>/12 157
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 30 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
einer Arbeitsaufnahme im Bereich der Küche nicht. Außer<br />
dem Umstand, dass die Klägerin vor knapp 30 Jahren vom<br />
1.8.1981 bis 31.7.1982 die einjährige Berufsfachschule der<br />
Richtung Ernährungs- und Hauswirtschaft erfolgreich besucht<br />
hat (Blatt 34 f der Akte), handelt es sich um eine mit der bisherigen<br />
10-jährigen Tätigkeit der Klägerin komplett nicht vergleichbare<br />
Aufgabe. Auch reduziert sich die Vergütung der<br />
Klägerin nach Angaben der Beklagten im Kammertermin bei<br />
Eingruppierung in Vergütungsgruppe 11 auf etwa 60 % der<br />
bisherigen Vergütung. Da ansonsten jegliche Begründung<br />
und jeglicher Vortrag der Beklagten für eine alternative Tätigkeit<br />
als Helferin im Küchenbereich fehlen, erachtet die Kammer<br />
das Änderungsangebot in der 2. Alternative als sozialwidrig.<br />
■ Arbeitsgericht Aachen<br />
vom 17.11.2011, 8 Ca 2777/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Thomas Banse<br />
Tivolistraße 4, 52349 Düren<br />
Tel.: 02421/407680, Fax: 02421/4076825<br />
info@kanzlei-banse.de<br />
188. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, Kausalität einer<br />
Drohung<br />
Aus den Gründen:<br />
b) Unabhängig von den Ausführungen zu a) scheidet eine Anfechtung<br />
des Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher<br />
Drohung aber auch deshalb aus, weil der Kläger in der Situation<br />
des 8.7.2011 nicht durch die in Aussicht gestellte fristlose<br />
Kündigung zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages bestimmt<br />
worden ist. Es fehlt an der für den Anfechtungsgrund<br />
der widerrechtlichen Drohung erforderlichen finalen und kausalen<br />
Verbindung zwischen dem Inaussichtstellen der Kündigung<br />
und dem Abschluss des Aufhebungsvertrages. Die Anfechtung<br />
wegen Drohung setzt voraus, dass der Drohende die<br />
Abgabe der Willenserklärung durch den Bedrohten bezweckt<br />
und dass die Drohung für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich<br />
geworden ist (Palandt-Ellenberger, BGB, 71. Aufl. <strong>2012</strong>,<br />
§ 123 BGB Rn 23, 24; MKBGB-Armbrüster, 6. Aufl. <strong>2012</strong>, § 123<br />
BGB Rn 112–114). Diese Voraussetzungen waren in der Gesprächssituation<br />
am 8.7.2011 nicht gegeben. Die Beklagte bezweckte<br />
am 8.7.2011 nicht, den Kläger (jetzt noch) zum Abschluss<br />
eines Aufhebungsvertrags zu bewegen. Die Beklagte<br />
hatte das Kündigungsverfahren bereits eingeleitet. Der Antrag<br />
an das Integrationsamt war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme<br />
bereits gestellt. Die Möglichkeit eines Aufhebungsvertrages<br />
ist in der Gesprächssituation des 8.7.2011 erst<br />
auf Initiative der Rechtsanwältin des Klägers wieder zum Gesprächsgegenstand<br />
geworden. Die Rechtsanwältin hat angefragt,<br />
ob ein Aufhebungsvertrag in Betracht komme. Diesen<br />
Vorschlag hat die Beklagte zunächst reserviert aufgenommen.<br />
Erst nach Gesprächsunterbrechung und Zwischenberatung<br />
hat die Beklagte dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages<br />
zugestimmt.<br />
■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />
vom 26.4.<strong>2012</strong>, 11 Sa 1788/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Gosda<br />
Von-Geismar-Straße 2, 59227 Ahlen<br />
Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />
r.gosda@sozietaet-quast.de<br />
189. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, alkoholbedingte<br />
Geschäftsunfähigkeit; Zurückweisung verspäteten<br />
Vorbringens<br />
Der Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien ist wirksam zustande<br />
gekommen. Die Annahmeerklärung des Klägers ist<br />
nicht gemäß § 105 Abs. 2 BGB nichtig.<br />
Nach dieser Vorschrift ist eine Willenserklärung die im Zustand<br />
der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung<br />
der Geistestätigkeit abgegeben wird, nichtig. Der Kläger hat<br />
sich darauf berufen, partiell geschäftsunfähig gewesen zu<br />
sein. In Betracht kommt daher eine vorübergehende Störung<br />
der Geistestätigkeit im Sinne der Vorschrift.<br />
Die Störung der Geistestätigkeit muss die freie Willensbestimmung<br />
ausschließen (Palandt, 63. Aufl., § 105, Rn 3). Eine ansonsten<br />
bestehende Geschäftsfähigkeit kann für einen gegenständlich<br />
beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen<br />
sein (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit).<br />
Das ist der Fall, wenn es der betreffenden Person infolge einer<br />
krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht möglich ist, in<br />
diesem Lebensbereich ihren Willen frei und unbeeinflusst von<br />
der vorliegenden Störung zu bilden oder nach einer zutreffend<br />
gewonnenen Einsicht zu handeln, während das für andere<br />
Lebensbereiche nicht zutrifft. Dagegen gibt es nach der<br />
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine auf besonders<br />
schwierige Geschäfte – z.B. im Grundstücksverkehr – beschränkte<br />
sogenannte relative Geschäftsunfähigkeit. Die Geschäftsunfähigkeit<br />
nach § 104 Nr. 2 BGB ist kein medizinischer<br />
Befund, sondern eine Rechtsfolge, deren Voraussetzungen<br />
das Gericht unter kritischer Würdigung eines Sachverständigengutachtens<br />
festzustellen hat (BGH, Urt. v. 18.5.2001 – V ZR<br />
126/00 – juris, Rn 8 f.). Dieser Auffassung des Bundesgerichtshofs<br />
hat sich auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen.<br />
Es hat zur Begründung ergänzend ausgeführt, eine relative<br />
Geschäftsunfähigkeit, die durch den jeweiligen Schwierigkeitsgrad<br />
der vorgenommenen Geschäfte bestimmt werde,<br />
führe zu einer für den Rechtsverkehr schwer erträglichen<br />
Rechtsunsicherheit. Es ließe sich dann keine klare Grenze zwischen<br />
Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit ziehen<br />
(BAG, Urt. v. 28.021980 – 2 AZR 330/78 – juris, Rn 44).<br />
Substantiiert dargelegt ist ein Ausschluss der freien Willensbestimmung<br />
nach allgemeinen Grundsätzen festzustellen, wenn<br />
das Gericht auf der Grundlage des Klägervorbringens zu dem<br />
Ergebnis kommen muss, die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2<br />
BGB lägen vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags<br />
158<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 31 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
kommt es nicht an (BGH – Urt. v. 5.12.1995 – XI ZR 70/95 –<br />
juris, Rn 12). Hinsichtlich der Substantiiertheit der hier in Rede<br />
stehenden vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit<br />
nach § 105 Abs. 2 BGB gilt nichts anderes.<br />
1. Danach ist der Vortrag des Klägers zum Vorliegen partieller<br />
Geschäftsunfähigkeit am 9.7.2009 – jedenfalls in der Berufungsinstanz<br />
– schlüssig. Der Kläger hat seinen Vortrag in erster<br />
Instanz (Schriftsatz vom 6.8.2010, S. 2, BI. 170 d. A.), wonach<br />
er sich im maßgeblichen Zeitpunkt alkoholsuchtbedingt<br />
derart verändert hatte, dass der behandelnde Arzt hinsichtlich<br />
der Fassung von <strong>Entscheidungen</strong> weitreichender Bedeutung<br />
für ein bestehendes Arbeitsverhältnis eine partielle Geschäftsunfähigkeit<br />
festgestellt habe, in der Berufungsbegründung<br />
weiter präzisiert und klar gestellt. Während der Vortrag erster<br />
Instanz aus dem gerade genannten Schriftsatz tatsächlich –<br />
wie das Arbeitsgericht angenommen hat – eher für das Vorliegen<br />
einer relativen Geschäftsunfähigkeit spricht, weil der behandelnde<br />
Arzt sich nur hinsichtlich der Fassung von <strong>Entscheidungen</strong><br />
„weitreichender Bedeutung" für ein bestehendes<br />
Arbeitsverhältnis äußert, hat der Kläger in der Berufungsbegründung<br />
(S. 5, BI. 221 d. A.) ausgeführt, mit dem Vortrag,<br />
dass der behandelnde Arzt hinsichtlich der Fassung von <strong>Entscheidungen</strong><br />
weitreichender Bedeutung für ein bestehendes<br />
Arbeitsverhältnis eine partielle Geschäftsunfähigkeit festgestellt<br />
habe, sei das Arbeitsverhältnis im Ganzen gemeint. Die<br />
partielle Geschäftsunfähigkeit bezöge sich auf den Bereich<br />
des Arbeitsverhältnisses. Er hat diesen Vortrag weiter substantiiert<br />
durch Vorlage eines ärztlichen Gutachtens seines behandelndes<br />
Arztes vom 5.8.2010, in dem dieser ausführt (BI. 227<br />
d. A.), dass die Zustimmung zur Entlassung durch den Kläger<br />
im Rahmen partieller Geschäftsunfähigkeit erfolge. Einer weiteren<br />
Darlegung bedarf es für einen schlüssigen Vortrag nicht.<br />
Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es nicht an.<br />
2. Der Vortrag des Klägers aus der Berufungsbegründung ist<br />
auch zu berücksichtigen.<br />
a) Der Vortrag ist nicht nach § 67 Abs. 1 ArbGG zurückzuweisen.<br />
Nach § 67 Abs. 1 ArbGG bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel,<br />
die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden<br />
sind, ausgeschlossen.<br />
Danach scheidet vorliegend eine Zurückweisung des gerade<br />
genannten Vorbringens aus, unabhängig davon, ob dies auch<br />
Gegenstand des vom Arbeitsgericht als verspätet zurückgewiesenen<br />
Schriftsatzes vom 9.9.2010 war. Denn die Zurückweisung<br />
des Vorbringens aus dem Schriftsatz vom 9.9.2010<br />
durch das Arbeitsgericht war nicht rechtmäßig.<br />
aa) Nach § 61a Abs. 5 ArbGG sind Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
die erst nach Ablauf der nach Abs. 3 oder 4 gesetzten<br />
Fristen vorgebracht werden, nur zuzulassen, wenn nach der<br />
freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung<br />
des Rechtsstreits nicht verzögert oder wenn die Partei<br />
die Verzögerung genügend entschuldigt.<br />
Bestandsschutz<br />
Eine Verzögerung des Rechtsstreits kann vorliegen, wenn das<br />
Gericht durch neues Vorbringen einer Partei gezwungen wird,<br />
dem Gegner noch Gelegenheit zur schriftsätzlichen Stellungnahme<br />
zu diesem neuen Vorbringen zu gewähren. Dies gilt<br />
auch dann, wenn das Gericht einen Verkündungstermin anberaumt,<br />
in dem noch keine Entscheidung wegen des verspäteten<br />
Vorbringens getroffen werden kann. Kann in dem Verkündungstermin<br />
allerdings eine Entscheidung getroffen werden,<br />
ist selbst dann nicht von einer Verzögerung des Rechtsstreits<br />
auszugehen, wenn dieser Verkündungstermin über den Zeitraum<br />
des § 310 Abs. 1 ZPO hinaus angesetzt wird (Germelmann,<br />
Komm. z. ArbGG, 7. Aufl., § 56, Rn 35).<br />
bb) Danach hätte das Arbeitsgericht dem Beklagten auf den<br />
Schriftsatz des Klägers vom 9.9.2010 einen Schriftsatznachlass<br />
gewähren und einen Verkündungstermin anberaumen müssen.<br />
Erst wenn sich aufgrund des Inhalts des nachgelassenen<br />
Schriftsatzes des Beklagten herausgestellt hätte, dass das Vorbringen<br />
des Klägers streitig war und es deswegen die Anberaumung<br />
eines neuen Termins erforderlich machen würde,<br />
hätte das Arbeitsgericht den Vortrag als verspätet zurückweisen<br />
dürfen.<br />
b) Die Zurückweisung des Vortrags aus der Berufungsbegründung<br />
zur partiellen Geschäftsunfähigkeit kommt auch nicht<br />
nach § 67 Abs. 2 S. 1 ArbGG in Betracht. Nach dieser Vorschrift<br />
sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten<br />
Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 1<br />
oder § 61a Abs. 3 oder 4 gesetzten Frist nicht vorgebracht<br />
werden, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung<br />
des Landesarbeitsgerichts ihre Zulassung die Erledigung des<br />
Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die<br />
Verspätung genügend entschuldigt.<br />
Mit der Berufung auf das Vorliegen partieller Geschäftsunfähigkeit<br />
in der Berufungsbegründung hat der Kläger kein<br />
neues Angriffsmittel im Sinne der Vorschrift vorgebracht. Der<br />
Kläger hat sich stets auf seine mangelnde Geschäftsunfähigkeit<br />
berufen und ausgeführt, er habe unter partieller Geschäftsunfähigkeit<br />
gelitten. Seinen diesbezüglichen Vortrag<br />
hat er in der Berufungsinstanz nur konkretisiert. Dem steht<br />
§ 67 Abs. 2 ArbGG nicht entgegen. (…)<br />
d) In Betracht kommt damit für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses<br />
nicht eine partielle Geschäftsunfähigkeit des Klägers<br />
wohl aber eine Geschäftsunfähigkeit im Hinblick auf die<br />
Folgen eines Alkoholentzugs.<br />
Nach den Feststellungen der Sachverständigen und dem unstreitigen<br />
Ablauf der Ereignisse am 9.7.2009 bei Unterzeichnung<br />
des Aufhebungsvertrags ist die Kammer nicht mit der<br />
notwendigen Gewissheit davon überzeugt, dass sich der Kläger<br />
bei Abschluss dieses Aufhebungsvertrags in einem Entzugsstadium<br />
befand, das seine freie Willensbildung ausschloss.<br />
Hiergegen spricht maßgeblich und für das Gericht<br />
ausschlaggebend das Verhalten des Klägers im Rahmen des<br />
Gesprächs über den Aufhebungsvertrag selbst. Dieses Gespräch<br />
ist auf Wunsch des Klägers unterbrochen worden, weil<br />
<strong>03</strong>/12 159
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 32 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
er den ihm vorgelegten Aufhebungsvertrag in der vorgelegten<br />
Form nicht unterzeichnen wollte. Spätestens damit hat<br />
der Kläger demonstriert, dass er in der Lage war seinen Willen<br />
zu bilden und rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben<br />
oder eben nicht abzugeben. Der Druck, den er sich in dem Gespräch<br />
ausgesetzt sah, war kein anderer als der, den jeder andere<br />
Arbeitnehmer in einer entsprechenden Situation auch<br />
ertragen muss. Allein der Umstand, dass man einem Druck<br />
des Arbeitgebers im Hinblick auf eine angekündigte fristlose<br />
Kündigung nachgibt, belegt keine Geschäftsunfähigkeit. Dies<br />
kommt in der täglichen Praxis regelmäßig vor, wie die zahlreichen<br />
<strong>Entscheidungen</strong> der Arbeitsgerichte hierzu belegen. Es<br />
mag sein, dass der Kläger Entzugssymptome aufwies, diese<br />
erreichten jedoch nicht das Stadium des Ausschlusses der<br />
freien Willensbildung und damit der Geschäftsunfähigkeit.<br />
Damit ist der Vortrag des Klägers zu seiner Geschäftsunfähigkeit<br />
nicht bewiesen.<br />
■ Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein<br />
vom 3.4.<strong>2012</strong>, 1 Sa 577a/10<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Arfst H. Hansen,<br />
Stuhrs Allee 35, 24937 Flensburg<br />
Tel.: 0461/520770, Fax: 0461/5207777<br />
info@khs-flensburg.de<br />
190. Außerordentliche Kündigung, ungerechtfertigte<br />
Anschuldigung, Prozessverhalten<br />
Aus den Gründen:<br />
b) Nach Auffassung der Kammer ist die seitens der Beklagten<br />
am 24.10.2011 ausgesprochene fristlose Kündigung begründet,<br />
so dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien hierdurch<br />
bereits vor Ablauf des 31.12.2011 beendet wurde.<br />
aa) (…) Ein „an sich" geeigneter Grund für eine außerordentliche<br />
Kündigung kann insbesondere dann angenommen werden,<br />
wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wider besseren<br />
Wissens Drohungen unterstellt und diesen hierdurch<br />
letztlich einer Straftat bezichtigt.<br />
Vorliegend besteht der „an sich" geeignete Grund darin, dass<br />
der Kläger im Rahmen der öffentlichen Kammersitzung vom<br />
20.9.2011 der Beklagten unterstellte, diesen bedroht zu haben,<br />
um mit ihm einen Aufhebungsvertrag abzuschließen.<br />
Aufgrund der Einlassung des Klägers zu dem diesbezüglichen<br />
Vorbringen der Beklagten steht zur Überzeugung der Kammer<br />
fest, dass der Kläger die Unterstellung tätigte, obwohl er<br />
wusste, dass es eine derartige Drohung nicht gegeben hatte.<br />
Hierdurch bezichtigte der Kläger die Beklagte einer versuchten<br />
Nötigung im Sinne des §§ 240 Abs. 1 2. Alt. Abs. 3, 22, 23<br />
Abs. 1 2. Alt. StGB.<br />
bb) Nach der Auffassung der Kammer war der Beklagten die<br />
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung<br />
der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der<br />
Interessen beider Vertragsteile nicht – auch nicht bis zum Ablauf<br />
der Kündigungsfrist – zumutbar.<br />
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung<br />
des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen<br />
Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />
zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse<br />
des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen<br />
Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls<br />
unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />
zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob<br />
dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder<br />
nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen<br />
sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen<br />
einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf<br />
das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und<br />
ihre wirtschaftlichen Folgen –, der Grad des Verschuldens des<br />
Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie<br />
die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier<br />
Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht,<br />
wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis<br />
fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen<br />
Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere<br />
Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche<br />
Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel,<br />
wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen<br />
Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung<br />
des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG, v.<br />
10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231).<br />
Vorliegend war insoweit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen,<br />
dass dieser bereits seit dem 11.4.1996 bei der Beklagten<br />
beschäftigt war. Demgegenüber war aber zu berücksichtigen,<br />
dass es sich bei der bewusst falschen Unterstellung der Drohung<br />
beziehungsweise der versuchten Nötigung um eine<br />
massive Pflichtverletzung handelt. Erschwerend kommt insoweit<br />
hinzu, dass diese Unterstellung nicht bloß im üblichen<br />
Rechtsverkehr von dem Kläger getätigt wurde, sondern im<br />
Rahmen einer öffentlichen Kammersitzung, sodass die Vorwürfe<br />
zusätzlich in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurden<br />
und aufgrund der Öffentlichkeit der Sitzung auch von jedermann<br />
zur Kenntnis genommen werden konnten. Zudem<br />
hatte die Kammer zu berücksichtigen, dass der Kläger insoweit<br />
wissentlich handelte. Auch hatte die Kammer zu berücksichtigen,<br />
dass der Kläger bereits wegen vergleichbaren Fehlverhaltens<br />
im April 2011 abgemahnt worden war. Zwar richtete<br />
sich diese Abmahnung auf ein Fehlverhalten des Klägers<br />
gegenüber einem anderen Beschäftigten der Beklagten und<br />
nicht auf direkt gegen die Beklagte bezogenes Fehlverhalten.<br />
Die Kammer erachtete diese Abmahnung allerdings auch insoweit<br />
für ausreichend, da der Kläger einschlägig dahingehend<br />
abgemahnt war, dass dieser bei erneutem Fehlverhalten<br />
mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen<br />
musste. Dies auch unabhängig davon, ob sich selbiges direkt<br />
gegen die Beklagte oder aber erneut gegen deren weitere Beschäftigte<br />
richtete. Eine weitere Abmahnung des Klägers als<br />
mildere Reaktionsmöglichkeit war der Beklagten nicht zuzu-<br />
160<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 33 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
muten, da der Kläger durch sein erneutes Fehlverhalten eindeutig<br />
zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm gegenüber erteilte<br />
Abmahnungen nicht geeignet sind, das Risiko künftiger<br />
Störungen zu vermeiden. Da der Kläger nicht verheiratet und<br />
niemandem gegenüber unterhaltsverpflichtet, folglich also<br />
flexibel ist, geht die Kammer trotz des Alters des Klägers davon<br />
aus, dass dieser zügig einen neuen adäquaten Arbeitsplatz<br />
finden wird.<br />
■ Arbeitsgericht Aachen<br />
vom 21.1.<strong>2012</strong>, 6 Ca 1881/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Franz Sparla<br />
Kackertstraße 11, 52072 Aachen,<br />
Tel.: 0241/9329596, Fax: 0241/9329597<br />
kontakt@ask.ac<br />
Anmerkung:<br />
Das Arbeitsgericht sieht den „Grund“ an sich im Prozessverhalten<br />
des Klägers, einer vermeintlich falschen Anschuldigung.<br />
Zu diesem „Grund“ wurde aber sichtlich der Betriebsrat<br />
nicht vor Ausspruch der Kündigung angehört. (gr)<br />
191. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />
in der Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses<br />
Daher ist die Kammer bei wertender Betrachtung des gegenseitigen<br />
Sachvortrags der Auffassung, dass davon auszugehen<br />
ist, dass die Klägerin Wettbewerbshandlungen zu Lasten<br />
der Beklagten während des laufenden Arbeitsverhältnisses<br />
begangen hat. Diese Wettbewerbstätigkeiten stellen nach<br />
Auffassung der Kammer einen an sich geeigneten Grund für<br />
eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Der Arbeitnehmer<br />
ist während des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />
grundsätzlich verpflichtet, die Interessen seines Arbeitgebers<br />
zu berücksichtigen. Diese Rücksichtnahmeverpflichtung<br />
beinhaltet insbesondere auch das Verbot, Wettbewerbshandlungen<br />
zu Lasten des Arbeitgebers durchzuführen: Da die Klägerin<br />
ihre Wettbewerbshandlungen zu Lasten der Beklagten<br />
ausgeübt hat, hat sie schwerwiegend die Verpflichtungen aus<br />
ihrem Arbeitsvertrag verletzt. Diese schwerwiegende vertragliche<br />
Pflichtverletzung stellt einen an sich geeigneten Grund<br />
für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar.<br />
Auch die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sowie<br />
die Abwägung beider Interessen führen zu keinem anderen<br />
Ergebnis.<br />
Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt<br />
der Wettbewerbshandlungen bereits unwiderruflich freigestellt<br />
war und zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung<br />
das Arbeitsverhältnis nur noch sechs Wochen dauern sollte.<br />
Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass zwischen<br />
der Beklagten und der Firma X eine besondere Wettbewerbssituation<br />
bestand, wovon die Klägerin infolge der Auseinandersetzung<br />
der handelnden Personen auch wusste. Es war daher<br />
nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung<br />
der nur noch relativ kurzen Dauer des Restarbeitsver-<br />
Bestandsschutz<br />
hältnisses für die Beklagte unzumutbar, das Arbeitsverhältnis<br />
bis zum 31.8.2011 fortzusetzen. Das gilt umso mehr, als mit einer<br />
Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.8.2011 auch<br />
die Verpflichtung zur Zahlung einer nicht unerheblichen Abfindung<br />
an die Klägerin verbunden wäre.<br />
Daher ist auch unter Berücksichtigung aller Umstände des<br />
Einzelfalles nach Auffassung der Kammer ein wichtiger Grund<br />
für die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben.<br />
■ Arbeitsgericht Hameln<br />
vom 19.1.<strong>2012</strong>, 1 Ca 319/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Heinz Gussen<br />
Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück<br />
Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920449<br />
info@drgussen.de<br />
192. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />
oder Vorbereitungshandlung<br />
Aus den Gründen:<br />
c) Die Beklagte wirft dem Kläger vor, gegen das während des<br />
Arbeitsverhältnis bestehende Wettbewerbsverbot verstoßen<br />
zu haben, als er das Gewerbe „Schwimmbadservice und<br />
Schwimmbadzubehör“ anmeldete und sein Partner unter Angabe<br />
seiner Anschrift einen Lieferanten anschrieb. Diese Auffassung<br />
teilt die Kammer nicht. Der Kläger hat mit diesem Verhalten<br />
lediglich Wettbewerb vorbereitet.<br />
aa) Der Arbeitnehmer verletzt zwar seine Pflicht zur Rücksichtnahme<br />
auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2<br />
BGB erheblich, wenn er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />
eine Konkurrenztätigkeit ausübt.<br />
Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses<br />
ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit<br />
zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt (st. Rspr.,<br />
BAG, v. 28.10.2010 – 2 AZR 1008/08 – juris; 20.6.2008 – 2 AZR<br />
190/07 – juris). Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung<br />
des § 60 Abs. 1 HGB konkretisiert dabei einen allgemeinen<br />
Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen<br />
seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer<br />
darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste<br />
und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll<br />
dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer<br />
nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen.<br />
Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem<br />
Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens<br />
oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten<br />
(BAG, v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07 – juris). Interne Vorbereitungshandlungen,<br />
die auf die Schaffung der formalen und<br />
organisatorischen Voraussetzungen für ein geplantes eigenes<br />
Handelsunternehmen gerichtet sind, stellen damit noch keinen<br />
Wettbewerb dar (LAG Düsseldorf, v. 12.1.2007 – 9 Sa<br />
1637/05 – juris). Dies gilt etwa für die Anmietung von Ge-<br />
<strong>03</strong>/12 161
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 34 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
schäftsräumen oder den Ankauf von Waren. Ihre Grenze finden<br />
solche vorbereitenden Maßrahmen allerdings dort, wo<br />
die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt<br />
werden können. Das ist regelmäßig bei einer nach außen wirkenden,<br />
werbenden Tätigkeit der Fall. Deshalb stellt sich auch<br />
schon der Versuch einer Abwerbung von Geschäftsverbindungen<br />
oder Kunden als eine Verletzung des Wettbewerbsverbotes<br />
generell (§ 60 Abs. 1 HGB) dar; d.h. alle Tätigkeiten, die geeignet<br />
sind, die Geschäftsverbindungen des Arbeitgebers zu<br />
Kunden, Lieferanten usw. zu beeinträchtigen, sind dem Handlungsgehilfen<br />
untersagt (BAG, v. 23.5.1985 – 2 AZR 268/84, juris;<br />
LAG Köln, v. 24.1.1997 – 11 Sa 1219/96 – juris).<br />
bb) Eine werbende Tätigkeit im Geschäftsbereich der Beklagten<br />
hat der Kläger mit der Gewerbeanmeldung und dem<br />
Schreiben des Herrn X an die Firma Y noch nicht aufgenommen.<br />
Die Gewerbeanmeldung ist auch aus Sicht der Beklagten<br />
noch als reine Vorbereitungshandlung zu qualifizieren, sie<br />
dient der Schaffung eines formalen Rahmens für die spätere<br />
Geschäftsaufnahme. Aber auch mit dem an die Firma Z gerichteten<br />
Schreiben hat der Kläger, ungeachtet dessen, ob er<br />
nun von diesem Schreiben gewusst hat oder nicht, die maßgebliche<br />
Schwelle zum arbeitsvertraglich beachtlichen Wettbewerb<br />
noch nicht überschritten. Denn das damit beabsichtigte<br />
Abfragen von Produktinformationen dient ebenfalls nur<br />
der Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen für<br />
eine spätere Geschäftstätigkeit. Die Kenntnis dieser Informationen<br />
und der Produktpreise ist notwendige Voraussetzung<br />
für ein späteres Tätigwerden gegenüber Kunden. Selbst das<br />
auf der Grundlage der erteilten Informationen erfolgende Ankaufen<br />
von Produkten der Firma X stellte nach den oben dargestellten<br />
Grundsätzen noch keinen Wettbewerb i.S.d. § 60<br />
HGB dar. Der Kläger hat damit auch nicht in bestehende Geschäftsverbindungen<br />
der Beklagten zu der Firma X eingegriffen.<br />
Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass diese Verbindung<br />
durch die Kontaktaufnahme des Herrn Z Schaden genommen<br />
haben oder Schaden hätten nehmen können, insbesondere<br />
kann von einem Versuch des Abwerbens dieses Geschäftspartners<br />
nicht die Rede sein. Auch der Umstand, dass<br />
in dem Schreiben von einem Kundenstamm die Rede ist, lässt<br />
ohne weitere Anhaltspunkte nicht den zwingenden Schluss<br />
darauf zu, dass bereits Wettbewerb betrieben wird. So behauptet<br />
die Beklagte nicht, der Kläger sei an Kunden i.S. des<br />
von ihr erwähnten „Vorfühlens" herangetreten oder betreue<br />
mit seinem Gewerbe bereits Baustellen.<br />
■ Arbeitsgericht Köln<br />
vom 21.2.<strong>2012</strong>, 14 Ca 4700/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Carsten Keunecke<br />
Kölner Straße 2, 50226 Frechen<br />
Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />
office@hdup.de<br />
193. Außerordentliche Kündigung, Schwerbehinderte,<br />
Zustimmung Integrationsamt<br />
Die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung zur außerordentlichen<br />
Kündigung war zu versagen. (…)<br />
Gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX soll das LWL-Integrationsamt Westfalen<br />
die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilen,<br />
wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der<br />
nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Ein Zusammenhang<br />
zwischen der anerkannten Behinderung der<br />
Frau X und dem Kündigungsgrund ist vorliegend für das LWL-<br />
Integrationsamt Westfalen nicht erkennbar und wird auch<br />
von Frau X nicht geltend gemacht. Im Wesen der Sollvorschrift<br />
entsprechend darf das LWL-Integrationsamt Westfalen<br />
bei fehlendem Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund<br />
und Behinderung im Regelfall keine andere Entscheidung<br />
treffen, als die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung zur<br />
außerordentlichen Kündigung zu erteilen. Das LWL-Integrationsamt<br />
Westfalen prüft, ob die vom Arbeitgeber herangezogenen<br />
Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich<br />
nicht rechtfertigen können. Dies ist vorliegend gegeben,<br />
weil grundsätzlich betriebsbedingte Gründe eine außerordentliche<br />
Kündigung nach der Rechtsprechung nicht rechtfertigen<br />
können. Vorliegend kommt – wenn überhaupt – eine<br />
außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Betracht.<br />
Im Rahmen der Prüfung zur ordentlichen Kündigung hat das<br />
LWL-Integrationsamt Westfalen abzuwägen zwischen dem Interesse<br />
des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes einerseits<br />
und dem Interesse des Arbeitgebers an einem reibungslosen<br />
und wirtschaftlich sinnvollen Betriebsablauf andererseits.<br />
Auch im Rahmen der Abwägungen zur ordentlichen<br />
Kündigung berücksichtigt das LWL-Integrationsamt<br />
Westfalen, ob ein Zusammenhang zur anerkannten Behinderung<br />
besteht oder vorliegend nicht festzustellen ist. Besteht<br />
kein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und anerkannter<br />
Behinderung ist auch im Rahmen der ordentlichen<br />
Kündigung der Prüfungsumfang des LWL-Integrationsamtes<br />
Westfalen eingeschränkt. Im Rahmen der Entscheidung zur<br />
ordentlichen Kündigung war festzustellen, dass Frau X nach<br />
den AVR-Richtlinien des Caritas-Verbandes im Rahmen ihres<br />
Arbeitsvertrages nicht mehr ordentlich kündbar ist. Insgesamt<br />
war vorliegend die Kündigung zur außerordentlichen und ordentlichen<br />
Kündigung zu versagen.<br />
■ Bescheid des LWL-Integrationsamtes Westfalen<br />
vom 26.3.<strong>2012</strong><br />
eingereicht und ausgearbeitet von Rechtsanwalt Ralf Gosda<br />
Von-Geismar-Straße 2, 59227 Ahlen<br />
Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />
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162<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 35 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
194. Außerordentliche Kündigung, whistleblowing,<br />
Verdachtskündigung<br />
Aus den Gründen:<br />
C. Der Kläger hat des weiteren Anspruch auf die Feststellung,<br />
dass auch die weitere Kündigung vom 20.12.2011 das Arbeitsverhältnis<br />
zwischen den Parteien nicht aufgelöst hat.<br />
Die Beklagte hat sich für diese Kündigung darauf berufen,<br />
dass als wichtiger Grund eine Verdachtskündigung ausgesprochen<br />
werden musste, da die Äußerungen des Klägers<br />
über die Unregelmäßigkeiten bei der Steuerabführung, die im<br />
Schriftsatz des Klägers vom 26.10.2011 geäußert worden sind,<br />
in einem strafrechtlichem Ermittlungsverfahren verwertet<br />
worden seien, welches zu einem Durchsuchungsbeschluss<br />
des Amtsgerichts Münster geführt habe.<br />
Der dringende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer<br />
sonstigen schweren arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung<br />
kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung<br />
sein, wenn der Verdacht, dass zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />
notwendige Vertrauen in die Rechtschaffenheit des<br />
Arbeitnehmers zerstört oder in anderer Hinsicht eine unerträgliche<br />
Belastung des Arbeitsverhältnisses darstellt<br />
(BAG, v. 26.3.1992, AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbare<br />
Handlungen gleich NZA 92,1121). An die Voraussetzungen einer<br />
Verdachtskündigung sind strenge Anforderungen zu stellen<br />
(BAG, v. 13.9.1995, AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbare<br />
Handlungen gleich NZA 96, 81). Es muss der schwerwiegende<br />
Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung<br />
bestehen (BAG, v. 5.5.1994, RzKI8c Nr. 32; BAG, v. 14.9.1994<br />
EZA § 626 BGB Verdacht strafbare Handlungen Nr. 5). Dieser<br />
Verdacht muss sich aus objektiven, im Zeitpunkt der Kündigung<br />
vorliegenden Tatsachen ergeben. Auf die subjektive<br />
Wertung des Arbeitgebers kommt es nicht an. Der Verdacht<br />
muss ferner dringend sein. Bei kritischer Prüfung muss sich ergeben,<br />
dass eine auf Indizien, das heißt konkrete Tatsachen,<br />
gestützte große Wahrscheinlichkeit für die Tat, gerade dieses<br />
Arbeitnehmers, besteht: (…) die Beklagte (hat) selbst vorgetragen,<br />
dass sie ihre Verdachtsmomente unter anderem darauf<br />
stützt, dass im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen<br />
eine E-Mail vorgelegt worden ist, die außer Herrn<br />
X nur noch dem Prokuristen, Herrn Y, zugänglich gewesen<br />
sein konnte. Damit ist schon ausgeschlossen, dass tatsächlich<br />
nur der Kläger als einzige Person in Betracht kommt, eine entsprechende<br />
Anzeige bei der Staatsanwaltschaft getätigt zu<br />
haben. Auch der Prokurist Herr Y hatte offenbar Zugang zu<br />
dieser E-Mail, da er diese E-Mail versandt hat. Es fehlt damit<br />
an einem konkreten Tatverdacht gegen den Kläger als einzig<br />
möglicher verdächtiger Person. Nach dem eigenen Vortrag<br />
der Beklagten kommen jedenfalls zwei Personen, nämlich der<br />
Kläger und der Mitarbeiter Z, als Verursacher einer staatsanwaltlichen<br />
Ermittlungstätigkeit in Betracht.<br />
Anzeigen des Arbeitnehmers bei staatlichen Ermittlungsbehörden<br />
gegen einen gesetzwidrig handelnden Arbeitgeber<br />
sind kein Kündigungsgrund, wenn der Arbeitnehmer bei einer<br />
Bestandsschutz<br />
Nichtanzeige sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen<br />
würde, oder bei schwerwiegenden Straftaten des Arbeitgebers<br />
(BAG, v. 3.7.20<strong>03</strong>, EZA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 61, zu II 4b; Müller, NZA 2002, 436). Bei den im Beschluss<br />
des Amtsgerichts Münster genannten Verdachtsmomenten<br />
handelt es sich um schwerwiegende Steuerhinterziehung<br />
der Beschuldigten.<br />
(…) selbst wenn der Kläger eine entsprechende Anzeige geschaltet<br />
haben sollte, wäre die Schwere des Tatverdachts ein<br />
ausreichender Rechtfertigungsgrund für den Kläger, eine solche<br />
Anzeige bei der Staatsanwaltschaft abzugeben.<br />
Die fristlose Kündigung vom 20.12.2011 sowie die hilfsweise<br />
fristgerecht ausgesprochene Kündigung gleichen Datums<br />
sind demgemäß mangels Vorliegen eines Kündigungsgrundes<br />
unwirksam.<br />
■ Arbeitsgericht Lübeck<br />
vom 26.4.<strong>2012</strong>, 2 Ca 2095/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Heinz Gussen<br />
Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück<br />
Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920449<br />
info@drgussen.de<br />
Anmerkung:<br />
Zum besseren Verständnis wurde die Reihenfolge der Argumentation<br />
verändert. (me)<br />
195. Außerordentliche Kündigung während der<br />
Schwangerschaft, abträgliche Meinungsäußerung bei<br />
Facebook, ausführliche Diskussion von Schmähkritik<br />
II. Die zulässige Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht<br />
abgeholfen hat (§ 148 Abs. 1 VwGO), hat Erfolg.<br />
1. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin Prozesskostenhilfe<br />
unter Anwaltsbeiordnung zu Unrecht versagt. Der beabsichtigten<br />
Klage kann eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im<br />
Rahmen der im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens nur<br />
möglichen summarischen Prüfung nicht abgesprochen werden.<br />
a) Hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 ZPO)<br />
besitzt eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bereits dann,<br />
wenn nach summarischer Prüfung eine gewisse, nicht notwendig<br />
überwiegende Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in<br />
der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl.<br />
2011, § 166 Rn 8 m.w.N.). Im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit<br />
von Bemittelten und Unbemittelten dürfen die Anforderungen<br />
hinsichtlich der Erfolgsaussichten nicht überspannt<br />
werden, vor allem ist es unzulässig, schwierige Rechtsfragen,<br />
die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet<br />
werden können, bereits in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens<br />
abschließend im Verfahren der Prozesskostenhilfe zu<br />
erörtern und damit den Zugang zu den Gerichten zu verwehren<br />
(vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.2.20<strong>03</strong> – 1 BvR 1526/02, NJW<br />
20<strong>03</strong>, 1857).<br />
b) Gemessen an diesem Maßstab durfte der Klägerin Prozesskostenhilfe<br />
nicht versagt werden. Der streitgegenständliche<br />
<strong>03</strong>/12 163
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 36 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
Bescheid des Gewerbeaufsichtsamtes von B., November 2011,<br />
mit dem die außerordentliche Kündigung der schwangeren<br />
Klägerin für zulässig erklärt wurde, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten<br />
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).<br />
aa) Gemäß § 9 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber<br />
einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf<br />
von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, wenn dem<br />
Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft<br />
oder Entbindung bekannt war und innerhalb zweier Wochen<br />
nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Ziel dieser Regelung<br />
ist es, die werdende Mutter auch im Interesse der Allgemeinheit<br />
so zu schützen, dass sie ein gesundes Kind zur Welt<br />
bringen kann. Von der werdenden Mutter sollen nicht nur<br />
wirtschaftliche Sorgen durch Erhaltung des Arbeitsplatzes<br />
ferngehalten werden. Vermieden werden sollen nach Möglichkeit<br />
auch alle psychischen Belastungen, die mit der Kündigung<br />
eines Arbeitsplatzes, insbesondere in dem seelisch labilen<br />
Zustand einer Frau während der Schwangerschaft, verbunden<br />
sind. Da erfahrungsgemäß die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses<br />
schon unter normalen Verhältnissen mit<br />
starken Aufregungen und anderen seelisch belastenden Begleitumständen<br />
für den Gekündigten verbunden ist, gilt dies<br />
erst recht für die Fälle der Kündigung einer Schwangeren, so<br />
dass nach dem Gesetzeszweck ein strenger Maßstab anzulegen<br />
ist und in aller Regel dem Interesse der werdenden Mutter<br />
der Vorrang gebührt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1970 –5C<br />
34.69 , BVerwGE 36, 160 [161 f.]).<br />
Gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG kann die für den Arbeitsschutz zuständige<br />
Oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte<br />
Stelle – hier das Gewerbeaufsichtsamt – in besonderen Fällen,<br />
die nicht mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft<br />
oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten<br />
nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, ausnahmsweise<br />
die Kündigung für zulässig erklären. Ob in diesem Sinne<br />
ein „besonderer Fall" vorliegt, ist keine Ermessensentscheidung,<br />
sondern die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs,<br />
die in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen<br />
Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1958 – 5 C<br />
88.56, BVerwGE 7, 294 [296]; Urt. v. 21.10.1970 – 5 C 34.69,<br />
BVerwGE 36, 160 [161]); ein irgendwie gearteter Beurteilungsspielraum<br />
steht dem Gewerbeaufsichtsamt insoweit nicht zu.<br />
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts<br />
ist ein solcher Fall, der die Merkmale des „besonderen<br />
Falles" und die eines „Ausnahmefalles" zugleich in sich trägt,<br />
nur dann anzunehmen, wenn außergewöhnliche Umstände<br />
es rechtfertigen, die vom Gesetz als vorrangig angesehenen<br />
Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers zurücktreten<br />
zu lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1970 – 5 C<br />
34.69, BVerwGE 36, 160 [161]; Urt. v. 18.8.1977 –5C8.77,<br />
BVerwGE 54, 276 [280 f.,]; Urt. v. 30.9.2009 – 5 C 32.08,<br />
BVerwGE 135, 67 [70] zum Begriff des besonderen Falles in<br />
§ 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG). Ein „besonderer Fall", in dem ausnahmsweise<br />
eine Kündigung während der Schwangerschaft<br />
für zulässig erklärt werden kann, ist deshalb – sofern nicht ohnehin<br />
der Zusammenhang zwischen dem Zustand einer Frau<br />
während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf<br />
von vier Monaten nach der Entbindung die Annahme eines<br />
solchen Falles bereits ausschließt – nur bei besonders schweren<br />
Verstößen der Schwangeren gegen arbeitsvertragliche<br />
Pflichten gegeben, die dazu führen, dass dem Arbeitgeber die<br />
Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses schlechthin unzumutbar<br />
wird (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 30.11.2004 – 9 B<br />
<strong>03</strong>.2878, BayVBI 2005, 409 [410] zur weithin inhaltsgleichen<br />
Regelung des vormaligen BErzGG).<br />
Der „besondere Fall" des § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG ist deshalb<br />
mit dem „wichtigen Grund" des § 626 BGB nicht gleichzusetzen<br />
(vgl. BVerwG, v. 29.10.1958 –5C88.56, BVerwGE 7, 294<br />
[296 f.). Ein solcher Fall kann demzufolge nur<br />
„ausnahmsweise" dann angenommen werden, wenn außergewöhnliche<br />
Umstände das Zurücktreten der vom Gesetz als<br />
vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter<br />
die – noch gewichtigeren – Interessen des Arbeitgebers rechtfertigen<br />
(vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1958 – 5 C 88.56, BVerwGE<br />
7, 294 [297]; BayVGH, Urt. v. 30.11.2004 –8B<strong>03</strong>.2878, BayVBl<br />
2005, 409 [410] zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung des<br />
vormaligen BErzGG). Für das Vorliegen eines „besonderen<br />
Falles" trägt nach dem Regel-Ausnahmegrundsatz (vgl. § 9<br />
Abs. 1 Satz 1 MuSchG einerseits, § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG andererseits)<br />
grundsätzlich der Arbeitgeber die Darlegungs- und<br />
Beweislast, im Fall einer Anfechtungsklage der Schwangeren<br />
gegen einen die Kündigung zulassenden Bescheid die Behörde.<br />
Liegen die genannten Tatbestandsmerkmale vor, hat die Behörde<br />
ein Ermessen, ob sie ihre Zustimmung erteilen will oder<br />
nicht. Dies folgt aus dem Wort „kann" in § 9 Abs. 3 Satz 1<br />
MuSchG (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1958 – 5 C 88.56, BVerwGE<br />
7, 294 [296]). Es handelt sich insoweit nicht um ein so genanntes<br />
„intendiertes" Ermessen. Die Behörde hat vielmehr nach<br />
pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung<br />
selbst ist nur im Rahmen des § 114 VwGO gerichtlich<br />
überprüfbar (vgl. BayVGH, Urt. v. 30.11.2004 – 9 B <strong>03</strong>.2878,<br />
BayVBl 2005, 409 [410) zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung<br />
des vormaligen BErzGG).<br />
bb) Angesichts dieses strengen Maßstabes wird die Zulässigerklärung<br />
der Kündigung kaum Bestand haben können. Ein<br />
„besonderer Fall" im Sinne des § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG<br />
liegt – ungeachtet des Umstandes, dass ein Zusammenhang<br />
mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft<br />
oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der<br />
Entbindung vorliegend nicht gegeben sein dürfte – erkennbar<br />
fern.<br />
Das Verwaltungsgericht hat lediglich unterstellt, nicht aber in<br />
der Sache geprüft und nachvollziehbar dargelegt, dass die<br />
Äußerungen der Klägerin in grobem Maße unsachlich seien,<br />
geschäftsschädigenden und ehrverletzenden Charakter besaßen<br />
und deshalb nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1<br />
GG fielen. Hiervon ausgehend hat es einen schwerwiegenden<br />
164<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 37 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
Verstoß gegen die Treuepflichten aus dem Arbeitsverhältnis<br />
angenommen und daraus den Schluss gezogen, dass dem<br />
Beigeladenen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar<br />
sei, zumal eine Wiederholungsgefahr nicht mit hinreichender<br />
Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Diese Annahmen<br />
erweisen sich indes schon im Rahmen einer lediglich<br />
summarischen Prüfung als nicht haltbar. Das Verwaltungsgericht<br />
hat nicht nur Bedeutung und Tragweite des Kündigungsschutzes<br />
Schwangerer, sondern auch die des Grundrechts der<br />
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und den aus dem allgemeinen<br />
Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m, Art. 1 Abs. 1<br />
GG) folgenden Vertraulichkeitsschutz fehlerhaft gewichtet,<br />
wie sich im Einzelnen aus Folgendem ergibt:<br />
(1) Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik<br />
und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung<br />
zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig<br />
die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung<br />
(vgl. BVerfGE 93, 266 [3<strong>03</strong>]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer<br />
des 1. Senats v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749<br />
[750] – „Dummschwätzer"). Hiervon kann allenfalls ausnahmsweise<br />
abgesehen werden, wenn es sich um eine Äußerung<br />
handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie<br />
in jedem denkbarem Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung<br />
des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von<br />
ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende<br />
Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise<br />
bei der Verwendung besonders schwerwiegender<br />
Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein<br />
kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW<br />
2009, 749 [750] – verneint für die Bezeichnung<br />
„Dummschwätzer").<br />
Für das Vorliegen einer solchen Konstellation bestehen vorliegend<br />
jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Zwar mag<br />
es sich bei den Äußerungen „kotzen die mich an von 02" und<br />
„solche Penner" bei isolierter Betrachtung um Ehrverletzungen<br />
handeln (können), nicht aber um solche, die ihrem Bedeutungsgehalt<br />
nach unabhängig von ihrem Verwendungskontext<br />
die mit ihm bezeichnete Person oder Institution stets<br />
als Ganzes herabsetzen, ihr also ihren (personalen) Wert insgesamt<br />
absprechen und sie so vom Prozess der freien Kommunikation<br />
ausschließen (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschl. v.<br />
5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749 1750j –<br />
„Dummschwätzer"). Vielmehr knüpfen diese Begriffe ihrer Bedeutung<br />
nach an ein Verhalten des Betroffenen – hier „02<br />
telefonica" – an, nämlich dessen angebliches Gebaren im Zusammenhang<br />
mit der Abwicklung eines Vertragsverhältnisses<br />
für das von der Klägerin privat betriebene Handy. Dies<br />
schließt es zwar nicht von vornherein aus, in den genannten<br />
Aussagen im Einzelfall gleichwohl eine Schmähkritik zu sehen,<br />
etwa wenn ohne jeden sachlichen Anlass das betroffene Unternehmen<br />
diffamiert werden soll.<br />
Anders verhält es sich hingegen dann, wenn – wie hier – die<br />
Benutzung des entsprechenden Vokabulars sich nur als<br />
sprachlich pointierte Bewertung im Kontext einer bestimm-<br />
Bestandsschutz<br />
ten sachlichen Aussage über die Abwicklung eines Vertragsverhältnisses<br />
durch den Betroffenen darstellt (vgl. hierzu auch<br />
BVerfG, Beschl. v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749<br />
[750] – „Dummschwätzer"). Insoweit ist maßgeblich zu berücksichtigen,<br />
dass der Begriff der Schmähkritik aufgrund seines<br />
die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng auszulegen<br />
ist (vgl. BVerfGE 93, 266 [294]). Infolgedessen macht auch<br />
eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich<br />
genommen noch nicht zur Schmähung (vgl. BVerfGE 82, 272<br />
[283 1.]; 85, 1 [16]; 93, 266 [294]). Erst wenn diese nicht mehr<br />
die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch<br />
polemischer und überspitzer Kritik – die Diffamierung der Person<br />
oder eines Unternehmens in den Vordergrund stellt, hat<br />
eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem<br />
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen (vgl.<br />
BVerfG, Beschl. v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749<br />
[750] – „Dummschwätzer").<br />
Da die Ausführungen der Klägerin erkennbar – ob berechtigt<br />
oder unberechtigt ist insoweit ohne Bedeutung (vgl. BVerfGE<br />
93, 266 [294] m.w.N.) – das Verhalten von „02 telefonica" im<br />
Zusammenhang mit der Abwicklung des privaten Handyvertrages<br />
kritisieren, nicht aber das Unternehmen in Bausch und<br />
Bogen diffamieren, dürfte die Annahme einer unzulässigen<br />
Schmähkritik oder gar ehrverletzenden Beleidigung von vornherein<br />
fernliegen. Vielmehr erweisen sich die Äußerungen der<br />
Klägerin über 02 – trotz ihres rüden Tons – wohl noch als vom<br />
Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG)<br />
gedeckt.<br />
Unter der Geltung des Grundgesetzes entscheidet allein die<br />
Klägerin, was sie „ankotzt" und was nicht. Auch die Bezeichnung<br />
„Penner" hat nicht von vornherein stets beleidigenden,<br />
einen abwertenden Vergleich mit einem Nichtsesshaften herstellenden<br />
Charakter. So werden etwa im Einzelhandel umgangssprachlich<br />
schlecht verkäufliche Artikel (so genannte<br />
„Ladenhüter") im Gegensatz zum „Renner" auch als „Penner"<br />
bezeichnet (vgl. www.wikipedia.de). Ganz allgemein gilt der<br />
Begriff als Synonym für Trägheit und Schläfrigkeit.<br />
Die richtige Erfassung des Sinns der streitgegenständlichen<br />
Äußerungen ist Voraussetzung jeder zutreffenden rechtlichen<br />
Würdigung (vgl. BVerfGE 93, 266 [295]). Gerichtsentscheidungen,<br />
die den Sinn der umstrittenen Äußerungen erkennbar<br />
verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen<br />
gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl.<br />
BVerfGE 93, 266 [295]). Gleiches gilt, wenn ein Gericht bei (objektiv)<br />
mehrdeutigen Äußerungen von vornherein die ehrenrührige<br />
Variante zugrunde gelegt, ohne zuvor alle anderen<br />
möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen<br />
zu haben (vgl. BVerfGE 93, 266 [295, 1]; 82, 43 [52]). Lassen<br />
die Äußerungen – namentlich im umgangssprachlichen Bereich<br />
– eine nicht ehrenrührige Deutung zu, so verletzt eine<br />
Gerichtsentscheidung, die ein solches Verständnis übergangen<br />
hat, regelmäßig Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 266<br />
[296]).<br />
<strong>03</strong>/12 165
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 38 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
Ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht auch nicht<br />
hinreichend gewichtet, dass die angeblich inkriminierten Äußerungen<br />
nur das private Vertragsverhältnis der Klägerin mit<br />
„02 telefonica" betreffen, ein Unternehmen, das zugleich auch<br />
Kunde ihres Arbeitgebers ist, nicht aber diesen selbst. Die Klägerin<br />
geht ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung im<br />
privaten Bereich nicht dadurch verlustig, dass sie zu dem Beigeladenen<br />
in einem Arbeitsverhältnis steht und der Kritisierte<br />
Kunde ihres Arbeitgebers ist. Dies gilt selbst dann, wenn die<br />
Klägerin – wie hier – im Rahmen des Vertragsverhältnisses<br />
zwischen dem Beigeladenen und dem Kritisierten als Erfüllungsgehilfin<br />
ihres Arbeitgebers tätig ist. Eine andere Beurteilung<br />
könnte allenfalls dann Platz greifen, wenn die streitgegenständlichen<br />
Äußerungen den Kunden des Beigeladenen<br />
(02) ohne Anknüpfung an ein bestimmtes Verhalten – hier das<br />
Sperren des Handys – diffamieren und herabsetzen würde.<br />
Gerade das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat die Klägerin<br />
– wie jeder andere Kunde von „02 telefonica" auch – ihre<br />
privaten Interessen wahrgenommen. Das haben sowohl der<br />
Arbeitgeber als auch „02 telefonica" selbst hinzunehmen. Weder<br />
02 noch die Beigeladene haben Anspruch darauf, von anderen<br />
nur so dargestellt zu werden, wie sie selbst gesehen<br />
werden möchten oder wie sie sich selbst und ihre Leistungen<br />
sehen (vgl. BVerfGE 105, 252 [266] – „Glykol"). Mangels Vorwerfbarkeit<br />
des Verhaltens der Klägerin dürfte es auch auf das<br />
Vorliegen einer Wiederholungsgefahr nicht ankommen. Eine<br />
solche ist im Übrigen auch schon deshalb fernliegend, weil<br />
die Klägerin ihr Verhalten inzwischen aufrichtig bedauert und<br />
sich sowohl gegenüber dem Beigeladenen als auch 02 telefonica<br />
entschuldigt hat.<br />
(2) Fehl geht des Weiteren auch die Annahme des Verwaltungsgerichts,<br />
es mache keinen Unterschied ob ein „posting"<br />
über den „öffentlichen" oder den so genannten „privaten" Bereich<br />
erfolge, denn auch im letzteren Fall habe der Benutzer<br />
mit einer „Veröffentlichung" zu rechnen und könne nicht von<br />
einer „vertraulichen Kommunikation" im Sinne der Rechtsprechung<br />
der Arbeitsgerichte ausgehen. Unterstellt, es würde<br />
sich – anders als oben dargelegt – tatsächlich um diffamierende<br />
oder ehrverletzende Äußerungen handeln, so wäre hier<br />
sehr wohl von Bedeutung, ob es sich – wie die Klägerin geltend<br />
macht – um eine vertrauliche Kommunikation mit ihren<br />
Internetfreunden gehandelt hat oder nicht. Denn derartige<br />
Äußerungen in vertraulichen Gesprächen – sei es unter Arbeitskollegen<br />
oder Freunden – vermögen eine Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses und damit letztlich auch die Annahme<br />
eines „besonderen Falles" im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz<br />
1 MuSchG nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen.<br />
Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche nämlich<br />
regelmäßig darauf vertrauen, dass seine Äußerungen nicht<br />
nach außen getragen werden. Er muss nicht damit rechnen,<br />
dass durch sie der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis<br />
zum Arbeitgeber belastet werden. Schon gar nicht<br />
kann ihm ein dahingehender Wille unterstellt werden. Vertrauliche<br />
Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des all-<br />
gemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. i.V.m. Art. 1 Abs. 1<br />
Satz 1 GG). Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre<br />
ist Ausdruck der Persönlichkeit und grundrechtlich gewährleistet.<br />
Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden<br />
oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts<br />
nicht schutzwürdig wären, genießen in Vertraulichkeitsbeziehungen<br />
als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer<br />
Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz<br />
der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl.<br />
BVerfG, Beschl. v. 27.7.2009 – 2 BvR 2186/07, SW 2010, 142 f.;<br />
Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 285/06, NJW 2007, 1194 [1195] –<br />
„beleidigungsfreier Bereich"). Hebt einer der Gesprächspartner<br />
später gegen den Willen des sich negativ äußernden Arbeitnehmers<br />
die Vertraulichkeit auf, so geht dies arbeitsrechtlich<br />
nicht ohne weiteres zu dessen Lasten. Den Schutz der Privatsphäre<br />
und Meinungsfreiheit kann nur derjenige Arbeitnehmer<br />
nicht für sich in Anspruch nehmen, der selbst die Vertraulichkeit<br />
der Situation aufhebt (vgl. BAG, Urt. v.<br />
10.12.2009 – 2 AZR 534/08, DB 2010, 1028 ff.).<br />
Es würde deshalb – eine diffamierende oder verletzende Äußerung<br />
unterstellt – sehr wohl darauf ankommen, ob das so<br />
genannte „posting" im lediglich „privaten Bereich" von facebook,<br />
oder „öffentlich" erfolgt ist, zumal nach der Rechtsprechung<br />
des Bundesarbeitsgerichts der Erfahrungssatz gilt, dass<br />
angreifbare Bemerkungen, die im – kleineren – Kollegenkreis<br />
erfolgen, regelmäßig in der sicheren Erwartung geäußert werden,<br />
sie würden nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer<br />
hinausdringen (vgl. BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/<br />
08, DB 2010, 1128 ff.). Die Annahme des Verwaltungsgerichts,<br />
ein Benutzer von facebook dürfe, selbst dann, wenn er nur<br />
über seinen privaten facebook account eine Äußerung verbreite,<br />
nicht darauf vertrauen, dass diese im vorgenannten<br />
Sinne vertraulich bleibe, ist deshalb – jedenfalls ohne sachverständige<br />
Klärung – ohne jede Grundlage.<br />
(3) Da es vorliegend mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits an<br />
den erforderlichen „Anknüpfungstatsachen" für die Annahme<br />
eines „besonderen Falles" im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1<br />
MuSchG fehlt, dürfte weder für eine Prüfung der Unzumutbarkeit<br />
einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch für eine<br />
wie auch immer geartete Ermessensausübung des Gewerbeaufsichtsamtes<br />
irgendein Raum sein. Ungeachtet dessen<br />
käme selbst dann, wenn der Klägerin ein vorwerfbares Verhalten<br />
zur Last läge, die Annahme eines „besonderen Falles" im<br />
Sinne von § 9 Abs. 3 MuSchG wohl kaum in Frage. Zum einen<br />
liegt angesichts des zugrunde zu legenden strengen Maßstabes<br />
ein „besonders schwerer Verstoß" gegen arbeitsvertragliche<br />
Pflichten nicht inmitten. Zum anderen ist auch nicht ersichtlich,<br />
inwiefern dem Beigeladenen die Aufrechterhaltung<br />
des Arbeitsverhältnisses schlechthin unzumutbar sein sollte.<br />
Die Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG kommt regelmäßig<br />
dann nicht in Frage, wenn die nach dem Mutterschutzgesetz<br />
Kündigungsschutz genießende Arbeitnehmerin<br />
„umgesetzt" werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.8.1977–5C<br />
8.77, BVerwGE 54, 276 [283]). Letzteres dürfte hier der Fall<br />
166<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 39 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
sein, da die Äußerungen nicht den Arbeitgeber, sondern lediglich<br />
einen Kunden betreffen und die Klägerin – wie auch<br />
bereits in der Vergangenheit – angesichts der Größe des Unternehmens<br />
wohl durchaus bei einem anderen Kunden eingesetzt<br />
werden kann. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf,<br />
dass es der Beigeladenen allein darum geht, die Klägerin loszuwerden,<br />
nachdem sie ihre Schwangerschaft mitgeteilt hat.<br />
Die Kündigung der schwangeren Klägerin dürfte deshalb gemäß<br />
§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig und der Bescheid<br />
des Gewerbeaufsichtsamtes vom 8.11.2011 rechtswidrig sein.<br />
Angesichts dessen hat die von der Klägerin erhobene Klage<br />
hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114<br />
WO). Da die Klägerin nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen<br />
die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen<br />
kann, ist ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und<br />
Rechtsanwalt P beizuordnen (§ 121 Abs. 2 ZPO).<br />
■ Bayerischer Verwaltungsgerichtshof<br />
vom 21.2.<strong>2012</strong>, 12 C 12.264<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Kai Pasemann<br />
Nürnberger Straße 79, 90506 Zirndorf<br />
Tel.: 0911/609676, Fax: 0911/6001851<br />
ra@juranavigator.de<br />
196. Außerordentliche Kündigung, wirtschaftliche<br />
Verhältnisse, Bankkauffrau, Ansehen einer Bank in der<br />
Öffentlichkeit, Bedeutung interner Anweisungen<br />
Aus den Gründen:<br />
bb) (...) Die Kündigung ist darauf gestützt, dass die Klägerin<br />
das bei den X aufgenommene Darlehn nicht zurückgezahlt<br />
hat und dass es deshalb zu einer Gehaltspfändung gekommen<br />
ist, was einer Bankkauffrau unwürdig sei. (…) Durch ihr<br />
Verhalten hat die Klägerin weder eine arbeitsvertragliche<br />
Pflicht verletzt, noch rechtfertigt ihr Verhalten die Annahme,<br />
es mangele ihr an der Eignung, die vertraglich geschuldete<br />
Tätigkeit zu erledigen.<br />
(1) Die Klägerin hat dadurch, dass sie das in Anspruch genommene<br />
Darlehn nicht zurückgezahlt und so die Gehaltspfändung<br />
verursacht hat, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht<br />
verletzt. Das Darlehn wurde unstreitig unabhängig von der<br />
Kundenbeziehung der Y und dem Arbeitsverhältnis der Klägerin<br />
zur Beklagten allein im Hinblick auf die langjährige private<br />
Bekanntschaft der Klägerin mit den Z gewährt. Damit handelt<br />
es sich um außerdienstliches Verhalten der Klägerin. Dieses<br />
außerdienstliche Verhalten kann mangels Bezugs zum Arbeitsverhältnis<br />
die Kündigung nicht rechtfertigen.<br />
(a) Nach der Neuregelung des Tarifrechts besteht für die Beschäftigten<br />
des öffentlichen Dienstes und auch für die Beschäftigten<br />
von Sparkassen nicht mehr die besondere Pflicht,<br />
ihr gesamtes privates Verhalten so einzurichten, dass das Ansehen<br />
des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt<br />
wird. Es bestehen für die Beschäftigten keine weitergehenden<br />
Verhaltenspflichten als für Beschäftigte in der Privatwirtschaft<br />
(BAG, v. 28.10.2010 – 2 AZR 293/09, Rn 14 ff., AP KSchG 1969<br />
Bestandsschutz<br />
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78 = EzA KSchG§1Verhaltensbedingte<br />
Kündigung Nr. 62; BAG, v. 10.9.2009 – 2 AZR<br />
257/08 – Rn 20, AP KSchG 1969§1Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 77).<br />
Es gilt vielmehr § 241 Abs. 2 BGB. Danach ist jede Partei des<br />
Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter<br />
und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet (BAG,<br />
v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08 – Rn 20, AP KSchG 1969 §1Verhaltensbedingte<br />
Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG §1Verhaltensbedingte<br />
Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer hat seine<br />
Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im<br />
Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen<br />
des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter<br />
Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner<br />
eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer<br />
des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise<br />
verlangt werden kann (BAG, v. 26.3.2009 – 2 AZR 953/07,<br />
Rn 24, AP BGB § 626 Nr. 220). Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit<br />
verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers<br />
Rücksicht zu nehmen (BAG, v. 10.9.2009 –2AZR<br />
257/08, Rn 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 77). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des<br />
Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers<br />
oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen,<br />
wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Das<br />
ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine Straftat gegen<br />
den Arbeitgeber oder unter Nutzung von Betriebsmitteln<br />
oder betrieblichen Einrichtungen begeht (BAG, v. 10.9.2009 –<br />
2 AZR 257/08, Rn 21, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte<br />
Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG§1Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 77). Ein solcher Bezug kann auch dadurch entstehen,<br />
dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen<br />
Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit<br />
mit der Straftat in Verbindung gebracht werden (BAG, v.<br />
27.11.2008 – 2 AZR 98/07, Rn 21, AP KSchG 1969 §1Nr.90=<br />
EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Dies gilt auch dann,<br />
wenn das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf<br />
des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden (BAG, v.<br />
2.3.2006 – 2 AZR 53/05 – AP BGB § 626 Krankheit (Nr. 14). Ob<br />
eine betriebliche Auswirkung gegeben ist, bestimmt sich hierbei<br />
vor allem nach der Art des Arbeitsverhältnisses und der<br />
Tätigkeit des. Arbeitnehmers (BAG, v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/<br />
07 – AP BGB § 626 Nr. 218). Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang<br />
mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung<br />
der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen<br />
des Arbeitgebers regelmäßig aus (BAG, v. 10.9.2009 – 2<br />
AZR 257/08, Rn 21, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte<br />
Kündigung Nr. 60 = EM KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Nr. 77).<br />
(b) Im Streitfall fehlt es an dem erforderlichen Bezug zum Arbeitsverhältnis,<br />
so dass keine Vertragspflichtverletzung anzunehmen<br />
ist.<br />
<strong>03</strong>/12 167
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 40 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
(aa) Der dienstliche Bezug ist nicht durch die Regelung in Abschnitt<br />
7 Abs. 1 der Geschäftsanweisung begründet, nach welcher<br />
die Mitarbeiter der Beklagten Ordnung in ihren wirtschaftlichen<br />
Verhältnissen halten müssen und Geschäfte, die<br />
mit diesem Grundsatz nicht vereinbar sind, unterlassen müssen.<br />
Die Parteien haben die Geltung dieser Geschäftsanweisung<br />
nicht vereinbart. Bei der Geschäftsanweisung handelt es<br />
sich um eine Weisung, die in den Grenzen des Direktionsrechts<br />
Pflichten konkretisieren kann. Sie begründet keine weitergehenden<br />
Pflichten als nach dem Arbeitsvertrag, dem in<br />
Bezug genommenen Tarifvertrag und dem Gesetz bestehen.<br />
Die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Arbeitnehmers gehören<br />
zur privaten Lebensführung und sind grundsätzlich einer<br />
Regelung durch den Arbeitgeber entzogen. Schulden eines<br />
Arbeitnehmers, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken,<br />
können eine Kündigung nicht begründen (KR-Griebeling, 9.<br />
Aufl, § 1 Rn 459, HaKo-KSchR-Gallner, § 1 Rn 411). Außerdienstliches<br />
Verhalten kommt nur dann als wichtiger Kündigungsgrund<br />
in Betracht, wenn es das Arbeitsverhältnis konkret<br />
berührt, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen<br />
Verbundenheit der Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich<br />
oder im Unternehmensbereich. Daher kann<br />
die Regelung in Nr. 7 Abs. 1 der Geschäftsanweisung eine allgemeine<br />
Pflicht, die Vermögensverhältnisse in Ordnung zu<br />
halten, nicht mit der Folge begründen, dass ein Kündigungsgrund<br />
geschaffen wird.<br />
(bb) Der dienstliche Bezug kann auch nicht unter Hinweis auf<br />
die Regelung in Abschnitt 5 Abs. 1 der Geschäftsanweisung<br />
begründet werden. Diese Regelung erweitert – wie oben dargelegt<br />
– die Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB<br />
nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch ihr Verhalten<br />
die Rücksichtnahmepflicht verletzt hat, indem sie das<br />
Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit und bei ihren<br />
Kunden in relevantem Maß beschädigt oder gefährdet hat.<br />
Ein Bezug zum Arbeitsverhältnis kann angenommen werden,<br />
wenn das außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers den<br />
Unternehmensbereich berührt und aufgrund der öffentlichen<br />
Reaktion eine wirtschaftliche Gefährdung zu befürchten ist<br />
(BAG, v. 2.6.1982 – 7 AZR 4/80 – n.v.; juris). Die Beklagte behauptet<br />
schon nicht, dass das Verhalten der Klägerin in der<br />
Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Eine öffentliche Reaktion,<br />
die eine wirtschaftliche Gefährdung befürchten ließe, ist<br />
nicht dargelegt.<br />
Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass durch das Verhalten der<br />
Klägerin die Geschäftsbeziehung zu den Kunden beschädigt<br />
oder gefährdet worden ist.<br />
Es ist nicht ersichtlich, dass das Verhalten der Klägerin im Falle<br />
des Bekanntwerdens geeignet wäre, das Ansehen der Beklagten<br />
im Geschäftsverkehr zu gefährden. Die Kammer verkennt<br />
nicht, dass ein Kreditinstitut von der Seriosität und Integrität<br />
im Umgang mit Geld lebt und auf das Vertrauen der Kunden<br />
angewiesen ist. Dieses Vertrauen bezieht sich in erster Linie<br />
auf den Umgang mit Kundengeldern. Daraus folgt nicht, dass<br />
jeden Mitarbeiter der Beklagten eine gesteigerte Pflicht im<br />
Umgang dem eigenen Geld trifft. Der Umstand, dass die Klägerin<br />
nicht in der Lage ist, ihre Verbindlichkeit gegenüber den<br />
Eheleuten X zu erfüllen, ist nicht geeignet, das Ansehen der<br />
Beklagten zu beschädigen und das Vertrauen der Kunden zu<br />
gefährden. Das gilt im Fall der Klägerin insbesondere deshalb,<br />
weil sie keine Vertrauensstellung inne hat. Der Einsatz im Immobiliencenter<br />
lässt nicht den Schluss auf eine Vertrauensstellung<br />
zu. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Möglichkeit<br />
des direkten oder indirekten Zugriffs auf das Vermögen<br />
der Beklagten hat. Aus Kundensicht folgt aus einer einzelnen<br />
Gehaltspfändung nicht, dass der Kundenberater im Immobiliencenter<br />
nicht kompetent oder vertrauenswürdig ist.<br />
(cc) Ein ausreichender Bezug zum Arbeitsverhältnis wird nicht<br />
dadurch begründet, dass es zu einer Gehaltspfändung gekommen<br />
ist. Eine Gehaltspfändung kann eine außerordentliche<br />
Kündigung nicht rechtfertigen, soweit es sich nicht um einen<br />
Arbeitnehmer in einer besonderen Vertrauensstellung<br />
handelt (KR-Fischermeier, 9. Aufl., § 626 BGB Rn 456). An einer<br />
solchen Vertrauensstellung fehlt es hier.<br />
■ Landesarbeitsgericht Hessen<br />
vom 20.3.<strong>2012</strong>, 19 Sa 1178/11<br />
eingereicht von Rechtsanwältin Astrid Cornelius<br />
Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt<br />
Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />
kanzlei@mansholt-lodzik.de<br />
197. Befristung, Kombination von Probezeitbefristung<br />
mit sachgrundloser Zeitbefristung intransparent<br />
Die Kombination einer (sachgrundlosen) Zeitbefristung von<br />
einem Jahr mit einer zusätzlichen Probezeitbefristung in einem<br />
Formularvertrag ist auch dann intransparent und unwirksam,<br />
wenn keine der beiden Befristungen drucktechnisch besonders<br />
hervorgehoben ist. Durch die Befristung und das<br />
Ende des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Probezeit hat<br />
die vorher festgelegte Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />
keine Grundlage mehr, so dass sich beide<br />
Regelungen, ihrem Wortlaut nach angewendet, gegenseitig<br />
ausschließen (vgl. BAG, v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07).<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 1.12.2011, 2 Sa 478/11<br />
198. Befristung des Arbeitsverhältnisses,<br />
programmgestaltender Mitarbeiter, Rundfunk<br />
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht aufgrund<br />
Befristungsvereinbarung vom 4.9.2009 zum 30.4.2010.<br />
Die Befristung eines Arbeitsvertrags ist nach § 14 Abs. 1 Satz<br />
1 TzBfG zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt<br />
ist. Die Beklagte beruft sich allein auf das Vorliegen<br />
des Sachgrundes des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG. Nach<br />
dieser Vorschrift liegt ein sachlicher Grund für eine Befristung<br />
des Arbeitsvertrages vor, wenn die Eigenart der Arbeitsleistung<br />
die Befristung rechtfertigt. Zu den von dieser Vorschrift<br />
168<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 41 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
erfassten Arbeitsverhältnissen, bei denen eine Befristung wegen<br />
der Art der Tätigkeit ohne Hinzutreten eines weiteren<br />
Sachgrunds vereinbart werden kann, zählen im Anschluss an<br />
die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu<br />
der vor Inkrafttreten des TzBfG geltenden Rechtslage die Arbeitsverhältnisse<br />
der programmgestaltenden Mitarbeiter der<br />
Rundfunkanstalten (BT-Drucks 14/4374, S. 19). Das folgt aus<br />
der Notwendigkeit, bei der Auslegung des Begriffs des sachlichen<br />
Grundes i.S.d. § 14 Abs. 1 TzBfG, die für die Rundfunkanstalten<br />
durch die Rundfunkfreiheit (Art. Abs. 1 Satz 2 GG) gewährleisteten<br />
Freiräume bei der Wahl des Arbeitsvertragsinhalts<br />
zu berücksichtigen: Die Beklagte kann sich bei der Ausstrahlung<br />
des Fensterprogramms wie eine Rundfunkanstalt<br />
auf den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen. Redakteure<br />
– wie der Kläger – gehören typischerweise zu dem Kreis<br />
der programmgestaltenden Mitarbeiter, es sei denn, sie haben<br />
nur unwesentlichen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung<br />
des Programms. Der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2<br />
Nr. 4 TzBfG liegt allerdings in diesem Fall nur vor, wenn die<br />
sich aus der Rundfunkfreiheit ergebenden Interessen der Beklagten<br />
das Interesse des Klägers an einer Dauerbeschäftigung<br />
überwiegen (BAG, v. 26.7.2006 – 7 AZR 495/05, auch unter<br />
Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). (…)<br />
Selbst wenn jedoch zugunsten der Beklagten unterstellt wird,<br />
dass der Kläger als Redakteur als programmgestaltender Mitarbeiter<br />
anzusehen war, überwiegt nach Ansicht der Kammer<br />
das Interesse des Klägers an einer Dauerbeschäftigung gegenüber<br />
dem Interesse der Beklagten an einer zeitlich beschränkten<br />
arbeitsvertraglichen Bindung, so dass ein sachlicher<br />
Grund für die Befristung des letzten Arbeitsvertrages der<br />
Parteien nicht besteht.<br />
■ Arbeitsgericht Berlin<br />
vom 19.1.2011, 43 Ca 16253/10<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Bernhard Steinkühler<br />
Schillerstraße 3, 10625 Berlin<br />
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199. Betriebsbedingte Kündigung, keine besondere<br />
Dokumentation der Unternehmerentscheidung<br />
erforderlich, greifbare Form der Umsetzung, Rücksicht<br />
auf erstinstanzliche vorläufige<br />
Weiterbeschäftigungspflicht<br />
1.2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die<br />
Kündigung vom 28.10.2010 sozial gerechtfertigt.<br />
Die Auflösung des betriebsinternen Reinigungsdienstes und<br />
die Vergabe der Reinigungsarbeiten an ein Reinigungsunternehmen<br />
stellt eine Rationalisierungsmaßnahme und somit<br />
nicht, wie das Arbeitsgericht auch geprüft hat, einen außerbetrieblichen,<br />
sondern als unternehmerische Entscheidung ei-<br />
Bestandsschutz<br />
nen innerbetrieblichen Umstand für ein betriebliches Erfordernis<br />
im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar (BAG, v. Urt.<br />
v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86 – Rn 31, NZA 1987, 776, m.w.N.).<br />
Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung getroffen,<br />
in Zukunft keine eigenen Reinigungskräfte mehr zu beschäftigen,<br />
sondern ein Drittunternehmen mit der Durchführung<br />
der Grundreinigungsarbeiten (Reinigung der Aufenthaltsräume,<br />
Sanitäranlagen, Duschen und Waschräume) zu<br />
beauftragen. Die einfachen Reinigungs- bzw. Aufräumarbeiten<br />
im Büro (z.B. Mülleimer leeren, Kaffeetassen spülen) sollen<br />
zukünftig von den dort tätigen Angestellten selbst durchgeführt<br />
werden.<br />
Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hat die Beklagte<br />
diese unternehmerische Entscheidung hinreichend dargelegt.<br />
Sie hat vorgetragen, dass die Geschäftsführer-Gesellschafterversammlung<br />
Ende September 2010 den Beschluss gefasst<br />
habe, die Grundreinigungsarbeiten an ein Fremdunternehmen<br />
zu vergeben und sich von beiden Reinigungskräften zu<br />
trennen. Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte<br />
habe ihren Beschluss weder in erster noch in zweiter Instanz<br />
vorgelegt, verkennt sie, dass die Entscheidung nicht schriftlich<br />
in einer Urkunde fixiert werden muss. Die Unternehmerentscheidung,<br />
auf die kündigungsrechtlich abzustellen ist, bedarf<br />
grundsätzlich keiner bestimmten Form. Sie setzt bei einer<br />
juristischen Person regelmäßig keinen formell wirksamen Beschluss<br />
des im Innenverhältnis zuständigen Gremiums voraus<br />
(BAG, v. Urt. v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04 – Rn 38, NZA 2006, 266,<br />
m.w.N.). Es genügt, wenn in einer juristischen Person derjenige,<br />
der dazu die tatsächliche Macht hat, eine entsprechende<br />
Unternehmerentscheidung trifft und ihre Durchsetzung greifbare<br />
Formen angenommen hat.<br />
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die unternehmerische<br />
Entscheidung offenbar unsachlich oder willkürlich gewesen<br />
ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Beklagte nicht<br />
verpflichtet, eine Vergleichsberechnung zwischen den Kosten<br />
der Fremdvergabe von Reinigungsaufgaben und den Kosten<br />
beim Einsatz eigener Reinigungskräfte vorzulegen. Die Arbeitsgerichte<br />
haben nicht zu überprüfen, ob die Rationalisierungsmaßnahme<br />
des Arbeitsgebers zu der beabsichtigten<br />
Kostensenkung führt. Insbesondere ist nicht zu prüfen, ob die<br />
durch die Kündigung zu erwartenden Vorteile in einem vernünftigen<br />
Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die bei den<br />
betroffenen Arbeitnehmern eintreten (BAG, v. Urt. v.<br />
30.4.1987 – 2 AZR 184/86 – Rn 39, a.a.O.).<br />
Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung zur<br />
Fremdvergabe der Grundreinigungsarbeiten zwar noch nicht<br />
umgesetzt, sie hat jedoch entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts<br />
bereits „greifbare Formen" angenommen. Wird<br />
die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen<br />
Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden,<br />
wenn die betrieblichen Umstände „greifbare Formen" angenommen<br />
haben. Grundsätzlich brauchen betriebliche Gründe<br />
noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein, sondern es genügt,<br />
wenn sie sich konkret und greifbar abzeichnen. Sie liegen<br />
<strong>03</strong>/12 169
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 42 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
dann vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung<br />
aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung<br />
davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins<br />
sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die<br />
Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes<br />
gegeben (BAG, v. Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10 – Rn 27, DB<br />
2011, 2323, m.w.N.).<br />
Im Streitfall war daher nicht erforderlich, dass die Beklagte bereits<br />
im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Ende Oktober<br />
2010 ein Fremdunternehmen mit der Durchführung der<br />
Grundreinigungsarbeiten beauftragt hat. Die Beklagte hat die<br />
erforderlichen Maßnahmen zur Fremdvergabe der Grundreinigungsarbeiten<br />
ergriffen, indem sie die Kündigungen der<br />
beiden Reinigungskräfte ausgesprochen hat. Dass die Beklagte<br />
im Kündigungszeitpunkt noch kein externes Reinigungsunternehmen<br />
beauftragt hat, steht ihrem Entschluss<br />
zur Umsetzung des neuen Reinigungskonzepts nicht entgegen.<br />
Es muss im Kündigungszeitpunkt noch nicht mit der<br />
Durchführung der Rationalisierungsmaßnahme begonnen<br />
worden sein (BAG, v. Urt. v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91 – Rn 23,<br />
24, NZA 1991, 891, m.w.N.). Die Beklagte hat die Klägerin während<br />
der siebenmonatigen Kündigungsfrist bis zum 31.5.2011<br />
als Reinigungskraft beschäftigt. Sie musste die Reinigungsarbeiten<br />
nicht bereits vor dem Beendigungstermin fremdvergeben.<br />
Die Beklagte erfüllte gegenüber der Klägerin lediglich<br />
ihre auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht.<br />
Der beabsichtigten Umsetzung der Fremdvergabe steht vorliegend<br />
nicht entgegen, dass die Beklagte auch nach Ablauf<br />
der ordentlichen Kündigungsfrist ab 1.6.2011 noch kein Drittunternehmen<br />
mit den Grundreinigungsarbeiten beauftragt<br />
hat. Die Klägerin hat bereits in der Kündigungsschutzklage<br />
vom 16.11.2010 für den Fall des Obsiegens ihre Weiterbeschäftigung<br />
zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Reinigungskraft<br />
beantragt. Die Beklagte ist erstinstanzlich zur Weiterbeschäftigung<br />
verurteilt worden. Wenn sie die Umsetzung<br />
der getroffenen Entscheidung zur Fremdvergabe hinausschiebt,<br />
um während der erzwungenen Weiterbeschäftigung<br />
nicht Gefahr zu laufen, sowohl die Klägerin als auch das Drittunternehmen<br />
bezahlen zu müssen, ist dies eine vernünftige<br />
betriebswirtschaftliche Überlegung. Es ist daher aus Rechtsgründen<br />
nicht zu beanstanden, wenn die endgültige Absicht<br />
ein externes Reinigungsunternehmen zu beauftragen, nicht<br />
bereits durch weitere Maßnahmen realisiert worden ist.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 23.2.<strong>2012</strong>, 10 Sa 5<strong>03</strong>/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Krügermeyer-Kalthoff<br />
Hauptstraße 331, 51143 Köln-Porz<br />
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200. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />
Anforderungen an die Betriebsratsanhörung,<br />
Unterscheidung zwischen Kurz- und Langzeit- und<br />
Dauererkrankung, Kosten der Vertretungskräfte<br />
Aus dem Tatbestand:<br />
Der Kläger ist bei der Beklagten seit April 1996 als Kommissionierer<br />
beschäftigt. Nach der im Zuge der Betriebsratsanhörung<br />
vom Arbeitgeber vorgelegten Fehlzeitenaufstellung hat<br />
der Kläger sei 2006 in folgendem Umfang krankheitsbedingt<br />
gefehlt:<br />
• 2006: 17 Arbeitstage<br />
• 2007: 11 Arbeitstage<br />
• 2008: 0 Arbeitstage<br />
• 2009: 35 Arbeitstage<br />
• 2010: 78 Arbeitstage<br />
• 2011 (bis 11.7.): 135 Arbeitstage<br />
Der Kläger ist seit dem 29.11.2010 durchgehend arbeitsunfähig<br />
krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 21.7.2011 hat die<br />
Beklagte dem Kläger zum 31.1.<strong>2012</strong> gekündigt.<br />
Aus den Gründen:<br />
Die Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.<br />
Im Rahmen der der Beweislast vorgelagerten Darlegungslast,<br />
also der prozessualen Verpflichtung, zunächst die Kündigungsgründe<br />
hinreichend detailliert vorzutragen, ist zu berücksichtigen,<br />
dass sich der Arbeitgeber im Prozess nur auf<br />
diejenigen Kündigungsgründe stützen kann, die er zuvor im<br />
Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG dem Betriebsrat<br />
mitgeteilt hat. Hat der Arbeitgeber einen objektiv in<br />
Frage kommenden Kündigungsgrund dem Betriebsrat nicht<br />
mitgeteilt, kann er sich auf diesen im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess<br />
nicht berufen. Demgegenüber ist eine<br />
Kündigung bereits wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung<br />
unwirksam, wenn der Arbeitgeber zwar einen in Frage kommenden<br />
Kündigungsgrund genannt hat, dieser aber nicht<br />
oder nicht hinreichend detailliert erklärt wurde.<br />
Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Kündigungsschutzklage<br />
zu entsprechen.<br />
1. Ausweislich des Anhörungsformulars „Unterrichtung Betriebsrat<br />
vor Kündigung“ hat die Beklagte den Betriebsrat vor<br />
Kündigungsausspruch angehört. Sie hat hierbei nicht im vorbeschriebenen<br />
Sinne zwischen einer Kündigung wegen häufiger<br />
Kurzerkrankungen, wegen lang andauernder Erkrankung<br />
oder wegen Leistungsunmöglichkeit unterschieden. Dies war<br />
aus Rechtsgründen allerdings nicht erforderlich. Es war lediglich<br />
zu prüfen, welche der infrage kommenden Unterarten einer<br />
krankheitsbedingten Kündigung der Arbeitgeber der Sache<br />
nach tatsächlich aussprechen wollte.<br />
Dabei kann zunächst davon ausgegangen werden, dass die<br />
Beklagte jedenfalls die wesentlichen Informationen für eine<br />
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen mitgeteilt hat.<br />
Die Beklagte hat die seit dem Jahr 2006 insgesamt angefallenen<br />
Krankheitsfehltage (276) bezeichnet und die sich hieraus<br />
170<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 43 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
ergebenden Lohnfortzahlungskosten mit dem Gesamtbetrag<br />
von 14.631,21 EUR angegeben. Im Hinblick auf das Erfordernis,<br />
dem Betriebsrat hinreichend konkrete Tatsachen mitzuteilen,<br />
kann dies als ausreichend angesehen werden, zumal dem<br />
Betriebsrat eine exakte Auflistung der jeweiligen Krankheitsperioden<br />
und der dadurch verursachten Lohnfortzahlungskosten<br />
mit übergeben worden ist.<br />
Gleichwohl kann die Beklagte ihre Kündigung nicht mit Erfolg<br />
auf häufige Kurzerkrankungen stützen. Im vorliegenden Fall<br />
besteht die Besonderheit, dass der Kläger zum Kündigungszeitpunkt<br />
bereits 7 1/2 Monate aufgrund der gleichen Erkrankung<br />
arbeitsunfähig gewesen ist. Bei einer solchen Krankheitsdauer<br />
dürfte an sich bereits eine lang andauernde Erkrankung<br />
vorliegen. Allerdings dürfte eine Kündigung wegen<br />
häufiger Kurzerkrankungen nicht allein deshalb von vornherein<br />
ausscheiden, weil der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der<br />
Kündigung bereits für einen mehrmonatigen Zeitpunkt<br />
krankgeschrieben war. Die Besonderheit dieser Konstellation<br />
liegt aber darin, dass der Arbeitgeber in einem solchen Fall<br />
bereits für einen längeren Zeitraum keine wirtschaftliche Belastung<br />
mehr zu tragen hat, weil der Arbeitnehmer lediglich<br />
für sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu beanspruchen<br />
hat. Stützt sich der Arbeitgeber im Falle einer<br />
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen aber zur Geltendmachung<br />
einer unzumutbaren betrieblichen Beeinträchtigung<br />
gerade auf die für die Zukunft zu befürchtende Kostenbelastung,<br />
ergibt sich in einem solchen Fall, dass zwar die<br />
Anzahl der bisherigen Krankheitsfehltage gegebenenfalls außerordentlich<br />
hoch ist, die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers<br />
sich aber völlig anders darstellt, weil inzwischen<br />
die Krankenkasse die Entgeltfortzahlung übernommen hat<br />
und Krankengeld leistet. Trotz einer gegebenenfalls hohen<br />
Zahl von Krankheitsfehltagen stellt sich die Kostenbelastung<br />
für den Arbeitgeber dann völlig anders dar, als wenn zwar<br />
eine gleich hohe Anzahl von Fehltagen angefallen ist, der Arbeitnehmer<br />
aber immer wieder aufgrund wechselnder Diagnosen<br />
für kürzere Zeiträume ausfiel, der Arbeitgeber folglich<br />
stets Gehaltsfortzahlung leisten musste. Beruht die negative<br />
Fehlzeitenprognose rein rechnerisch zu einem erheblichen<br />
Teil auf einer zwischenzeitlich eingetretenen lang andauernden<br />
Erkrankung, reduziert sich im Ergebnis jedenfalls die wirtschaftliche<br />
Belastung des Arbeitgebers mit Entgeltfortzahlungskosten<br />
(…), weil nach Ablauf des sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraums<br />
die Krankenkasse die Lohnfortzahlung<br />
übernimmt.<br />
Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Der Kläger war seit<br />
dem 29.11.2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die<br />
Beklagte hat nach Ihren eigenen Darlegungen in dieser Zeit<br />
keine Lohnfortzahlungskosten mehr aufwenden müssen. Daraus<br />
folgt, dass sich die kündigungsrelevante wirtschaftliche<br />
Belastung durch künftige Entgeltfortzahlung allein aus den<br />
sonstigen Erkrankungen des Klägers im Referenzzeitraum herleiten<br />
lässt. Da die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat die<br />
Gesamtfehlzeiten des Klägers seit 2006 mit 276 Arbeitstagen<br />
Bestandsschutz<br />
beziffert hat, die – lohnfortzahlungsfreien – Fehlzeiten des<br />
Klägers seit dem 29.11.2010 aber 162 Arbeitstage umfassen,<br />
war der Kläger im Referenzzeitraum seit 2006 lediglich an 114<br />
Arbeitstagen entgeltfortzahlungspflichtig krankgeschrieben.<br />
Bis zum Eintritt der jetzt noch andauernden Fehlperiode am<br />
29.11.2010, mithin knapp vier Jahre (47 Monate), ergibt sich<br />
eine allgemeine jährliche Entgeltfortzahlungsbelastung im<br />
Umfang von 29,1 Arbeitstagen. Eine solche jährliche Kostenbelastung<br />
stellt nach der Rechtsprechung aber noch keine erhebliche<br />
Beeinträchtigung im Sinne einer Kündigung wegen<br />
häufiger Kurzerkrankungen dar. Hieraus folgt, dass die Beklagte<br />
die streitgegenständliche Kündigung im Ergebnis nicht<br />
mit häufigen Kurzerkrankungen des Klägers begründen kann.<br />
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Beklagtenhinweises,<br />
es seien noch die Kosten der Vertretungskräfte hinzuzuaddieren.<br />
Dies ist deshalb nicht zutreffend, weil dann die<br />
Lohnkosten doppelt berücksichtigt würden. Durch den Einsatz<br />
der Vertretungskraft erlangt der Arbeitgeber aber die Arbeitsleistung.<br />
Durch die Krankheit fällt deshalb zusätzlich<br />
bzw. ohne Gegenleistung allein der Lohn für den erkrankten<br />
Arbeitnehmer an. Es verbleibt deshalb bei der vorstehend ermittelten<br />
Kostenlast. Bei dieser Sachlage war nicht mehr zu<br />
prüfen, ob gegebenenfalls die Behauptung des Klägers zutrifft,<br />
er werde voraussichtlich ab März <strong>2012</strong> die Arbeit wieder<br />
vollschichtig aufnehmen können.<br />
2. Die Kündigung dringt auch nicht nach den Grundsätzen bei<br />
lang andauernder Erkrankung durch. Die Beklagte kann sich<br />
auf einen solchen Kündigungsgrund nur berufen, wenn sie<br />
den Betriebsrat zuvor entsprechend angehört hat. Dem Anhörungsschreiben<br />
vom 11.7.2011 kann jedoch nicht entnommen<br />
werden, dass die Beklagte gegebenenfalls alternativ eine<br />
Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung des Klägers<br />
aussprechen wollte. Wie eingangs dargelegt, handelt es sich<br />
hierbei um eine von der Rechtsprechung herausgebildete Unterart<br />
der personenbedingten Kündigung. Zwar hat die Beklagte<br />
im vierten Absatz der dem Betriebsrat mitgeteilten Begründung<br />
ausgeführt, die Genesung des Klägers sei nicht absehbar.<br />
Eine solche Kündigungsbegründung würde den Anforderungen<br />
des § 102 Abs. 1 BetrVG allerdings nicht genügen.<br />
Denn wesentlicher Bestandteil einer Kündigung wegen<br />
lang andauernder Erkrankung ist eine damit einhergehende<br />
Beeinträchtigung der arbeitgeberseitigen Interessen durch<br />
den lang andauernden Ausfall des Arbeitnehmers; der Arbeitgeber<br />
muss im einzelnen darlegen, aus welchen Gründen ihm<br />
ein Zuwarten bis zum voraussichtlichen Rückkehrzeitpunkt<br />
nicht zumutbar ist. Der Arbeitgeber ist der Darlegung solcher<br />
Umstände erst enthoben, wenn für eine weitere Dauer von 24<br />
Monaten, gerechnet vom Kündigungszeitpunkt, mit der Rückkehr<br />
des Arbeitnehmers nicht zu rechnen ist. Wollte die Beklagte<br />
auf die Rechtsprechungsgrundsätze einer Kündigung<br />
wegen lang andauernder Erkrankung abstellen, wäre mithin<br />
die Betriebsratsanhörung unvollständig und die Kündigung<br />
bereits aus diesem Grund nichtig, § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Es<br />
fehlt jeglicher Hinweis auf diejenigen Umstände, die es der<br />
<strong>03</strong>/12 171
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 44 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
Arbeitgeberin unzumutbar machen sollen, die Genesung des<br />
Klägers abzuwarten. Allerdings zeigt sich anhand des Hinweises<br />
der Arbeitgeberin auf die bisherigen Lohnfortzahlungskosten,<br />
dass die Beklagte ausschließlich im Hinblick auf die<br />
wirtschaftliche Belastung kündigen wollte, nicht etwa, weil ihr<br />
aus bestimmten innerbetrieblichen Umständen, z.B. Organisationskosten,<br />
ein Freihalten der Stelle des Klägers nicht zugemutet<br />
werden kann.<br />
3. Die Beklagte hat schriftsätzlich vorgetragen, sie gehe davon<br />
aus, dass der Kläger aus krankheitsbedingten Gründen überhaupt<br />
nicht mehr zur Wiederaufnahme der Arbeit in der Lage<br />
sein wird. Damit hat sie die dritte und letzte Unterart der von<br />
der Rechtsprechung herausgearbeiteten Variante einer krankheitsbedingten<br />
Kündigung angesprochen.<br />
Es wäre jedoch auch insoweit erforderlich gewesen, dem Betriebsrat<br />
die maßgeblichen Gründe mitzuteilen. Abermals ist<br />
festzustellen, dass die Beklagte in Bezug auf eine dauerhafte<br />
Leistungsunmöglichkeit des Klägers keinerlei Ausführung gegenüber<br />
dem Betriebsrat gemacht hat. Vielmehr ergibt sich<br />
bei einer Betrachtung der dem Betriebsrat gegebenen Begründung,<br />
dass die Beklagte von einem krankheitsbedingten<br />
Ausfall des Klägers auf unabsehbare Zeit nicht ausgeht. Denn<br />
die Beklagte hat gegenüber dem Betriebsrat ausdrücklich angegeben,<br />
die Fehlzeiten des Klägers seien seit 2009 stetig angestiegen,<br />
weshalb man auch in Zukunft mit weiteren erheblichen<br />
krankheitsbedingten Fehlzeiten rechne. Eine nicht mehr<br />
für tragbar erachtete Aufsummierung einzelner Fehlzeiten ist<br />
etwas anderes als der vollständige Ausfall des Arbeitnehmers<br />
auf unabsehbare Zeit. Mithin geht die Beklagte selbst nicht<br />
davon aus, dass mit der Rückkehr des Klägers überhaupt nicht<br />
mehr zu rechnen ist. Folglich erweist sich die streitgegenständliche<br />
Kündigung auch im Hinblick auf den Kündigungsgrund<br />
einer dauerhaften Leistungsunmöglichkeit des Klägers<br />
als rechtsunwirksam.<br />
Damit war der Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu entsprechen.<br />
■ Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Ludwigsburg<br />
Urt. v. 26.1.<strong>2012</strong>, 10 Ca 1396/11<br />
eingereicht und ausgearbeitet von<br />
Rechtsanwältin Eliana Pollmann,<br />
Friedrichstraße 5 (Zeppelin Carré)<br />
70174 Stuttgart, Tel.: 0711/22 41 99-0, Fax: 0711/22 41 99-79<br />
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201. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />
nicht durchgeführtes BEM, kein Ersatz durch Verfahren<br />
vor dem Integrationsamt<br />
Im Ergebnis nahm die Kammer allerdings an, dass im Rahmen<br />
der Interessenabwägung eine Unverhältnismäßigkeit der<br />
streitgegenständlichen Kündigung mit der Folge anzunehmen<br />
war, dass die Sozialwidrigkeit der streitgegenständlichen<br />
Kündigung festzustellen war. Hierbei wurden folgende Überlegungen<br />
angestellt:<br />
Die Beklagte hat kein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />
im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt. Soweit sie<br />
dahingehend argumentierte, dass die Verhandlung vor dem<br />
Integrationsamt ein solches BEM darstellte, konnte dieser Argumentation,<br />
nicht gefolgt werden. Konsequent zu Ende gedacht<br />
würde dies bedeuten, dass sich ein Arbeitgeber gegenüber<br />
schwerbehinderten Menschen – und gerade für diese<br />
Personen gilt besonders der Schutz des § 84 Abs. 2 SGB IX –<br />
niemals verpflichtet fühlen würde, ein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />
bereits im Vorfeld durchzuführen. Würde<br />
die Rechtsansicht der Beklagten nämlich richtig sein, könnte<br />
ein Arbeitgeber im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses<br />
stets dahingehend argumentieren, dass durch das Verfahren<br />
beim Integrationsamt die Anforderungen des § 84 Abs. 2<br />
SGB IX gewahrt wurden.<br />
Hieraus ergibt sich mithin, dass die Beklagte nach § 84 Abs. 2<br />
SGB IX grundsätzlich ein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />
hätte durchführen müssen. Dass bei ihr kein Betriebsrat<br />
gewählt wurde, stand dem nicht entgegen. Ein BEM ist bei<br />
Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen,<br />
wenn keine betriebliche Interessenvertretung im<br />
Sinne eines Betriebsrates oder einer Schwerbehindertenvertretung<br />
gebildet ist. Dies ergibt die Auslegung der Gesetzesvorschrift<br />
des § 84 Abs. 1 SGB IX. Die Durchführung eines BEM<br />
ist weder unmöglich noch sinnlos, wenn eine betriebliche Interessenvertretung<br />
nicht besteht (BAG, v. 30.9.2010, 2 AZR 88/<br />
09).<br />
§ 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />
dar. Das BEM ist zwar selber kein milderes<br />
Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können<br />
aber solche milderen Mittel, z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes<br />
oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen<br />
auf einem anderen – ggf. durch Umsetzung<br />
frei zu machenden – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt<br />
werden (BAG, v. 10.12.2009, 2 AZR 400/08).<br />
Unterlässt ein Arbeitgeber die Durchführung eines Eingliederungsmanagement<br />
im Vorfeld, führt dies nicht automatisch<br />
zur Unwirksamkeit der dennoch ausgesprochenen Kündigung.<br />
In diesem Falle darf sich der Arbeitgeber im Prozess allerdings<br />
nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er<br />
kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten<br />
Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten<br />
Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung<br />
ausfüllen könnte. Er hat vielmehr von sich aus denkbare<br />
oder vom Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen<br />
zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen<br />
sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an<br />
dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch<br />
die Beschäftigung auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz<br />
ausscheiden (BAG, v. 10.12.2009, 2 AZR 400/08;<br />
BAG, v. 19.5.2010, 5 AZR 162/09). Dies geht über die Darlegungslast<br />
des Arbeitgebers für das Nichtbestehen einer ande-<br />
172<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 45 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
ren Beschäftigungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen<br />
hinaus. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des<br />
Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen,<br />
wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung<br />
vorstellt.<br />
Die Beklagte führte ein solches Gespräch mit dem Kläger im<br />
Vorfeld der streitgegenständlichen Kündigung nicht. Ob ein<br />
solches Gespräch erfolgsversprechend gewesen wäre, entzieht<br />
sich der Kenntnis der Kammer. Hierauf kam es jedoch<br />
nicht entscheidend an. Es konnte jedenfalls angenommen<br />
werden, dass zumindest die Möglichkeit bestanden hätte, die<br />
Gespräche erfolgreich – d.h. durch gemeinsame Verständigung<br />
auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz – abzuschließen.<br />
Zugunsten der Beklagten war zwar festzuhalten, dass der Kläger<br />
bereits über einen sehr langen Zeitraum durchgängig arbeitsunfähig<br />
erkrankt war. Es liegt auf der Hand, dass sich die<br />
betrieblichen Verhältnisse seitdem geändert haben. Der Bezug<br />
einer Rente wegen Erwerbsminderung verdeutlicht ebenfalls,<br />
dass der Gesundheitszustand des Klägers möglicherweise<br />
zu dem Ergebnis führt, dass die Beklagte dem Kläger<br />
tatsächlich keinen Arbeitsplatz anbieten kann.<br />
Die Beklagte hätte dies jedoch in einem Verfahren nach § 84<br />
Abs. 2 SGB IX im Einzelnen im Vorfeld prüfen und klären müssen.<br />
Dies galt umso mehr, als dass die Rente wegen Erwerbsminderung<br />
befristet war und zum 31.3.<strong>2012</strong> auslaufen wird.<br />
Es ist nicht erkennbar, weshalb die Beklagte über einen langen<br />
Zeitraum nicht reagierte und die streitgegenständliche<br />
Kündigung ohne Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements<br />
relativ kurzfristig vor Ablauf der befristeten<br />
Rente wegen Erwerbsminderung aussprach.<br />
■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />
vom 20.3.<strong>2012</strong>, 5 Ca 2205/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller<br />
Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />
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202. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnung,<br />
Melde- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit<br />
II. Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte verpflichtet<br />
ist, die Abmahnung vom 13.1.<strong>2012</strong> aus der Personalakte des<br />
Klägers zu entfernen.<br />
Im Einzelnen gilt Folgendes:<br />
Eine Abmahnung, mit der in die Rechtsstellung des Arbeitnehmers<br />
eingegriffen wird, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung<br />
des Bundesarbeitsgerichts der gerichtlichen Überprüfung.<br />
Von einem solchen Eingriff ist auszugehen, wenn die<br />
Abmahnung als Vorstufe zur Kündigung dienen soll und/oder<br />
zu den Personalakten genommen wird (vgl. BAG, v.<br />
27.11.1985, AP-Nr. 93 zu § 611 BGB "Fürsorgepflicht"; bestätigt<br />
durch BAG, v. 5.8.1992 – 5 AZR 531/91).<br />
Bestandsschutz<br />
Die vorliegend streitige Abmahnung vom 13.1.<strong>2012</strong> enthält<br />
den Vorwurf von Obliegenheitsverletzungen betreffend die<br />
Verpflichtung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen<br />
und Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtlicher<br />
Dauer. Diese Rügen sind verbunden mit einer<br />
Kündigungsandrohung. Das Schreiben vom 13.1.<strong>2012</strong> erfüllt<br />
damit eindeutig die dargelegten Voraussetzungen an eine der<br />
gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Abmahnung.<br />
Durch unrichtige, sein berufliches Fortkommen berührende<br />
Tatsachenbehauptungen wird das Persönlichkeitsrecht des<br />
Arbeitnehmers beeinträchtigt. Der Arbeitnehmer kann daher<br />
in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung<br />
einer Abmahnung aus der Personalakte verlangen,<br />
wenn diese einen objektiv rechtswidrigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht<br />
in Form von unzutreffenden oder abwertenden<br />
Äußerungen darstellt.<br />
Für die Frage, ob der Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung<br />
aus der Personalakte begründet ist, ist entscheidend, ob<br />
der erhobene Vorwurf objektiv gerechtfertigt ist. Im Abmahnungsprozess<br />
obliegt dem Arbeitgeber für das Vorliegen einer<br />
ordnungsgemäßen Abmahnung, insbesondere für die<br />
Richtigkeit der der Abmahnung zugrundeliegenden Pflichtwidrigkeit<br />
die Darlegungs- und Beweislast (LAG Bremen, v.<br />
6.3.1992, LAG E, § 611 BGB Abmahnung Nr. 31 m.w.N.) Darüber<br />
hinaus ist zu beachten, dass ein Abmahnungsschreiben in<br />
dem mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt werden,<br />
schon dann auf Verlangen des Arbeitnehmers vollständig aus<br />
der Akte zu entfernen ist, wenn nicht alle Vorwürfe zutreffen<br />
(vgl. BAG, Urt. v. 13.3.1991, NZA 1991, S. 768).<br />
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall<br />
ergibt, dass die Abmahnung vom 13.1.<strong>2012</strong> aus der Personalakte<br />
zu entfernen ist.<br />
Der Abmahnung zugrunde liegt der Vorwurf, der Kläger habe<br />
in der Zeit ab 9.1.<strong>2012</strong> seine Verpflichtungen zu ausreichender<br />
Information des Arbeitgebers über die Arbeitsunfähigkeit<br />
und deren voraussichtliche Dauer sowie seine Pflicht zur Vorlage<br />
ärztlicher Bescheinigungen zum Nachweis der weiteren<br />
Erkrankung verletzt.<br />
Die Anzeige – und Nachweispflichten des Arbeitnehmers bei<br />
Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sind zunächst in § 5<br />
EFZG geregelt. Danach ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem<br />
Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche<br />
Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit<br />
länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer<br />
eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit<br />
sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens<br />
am darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber<br />
ist allerdings berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung<br />
früher zu verlangen.<br />
Hinsichtlich der Frage was nach Ablauf einer bescheinigten<br />
Krankheitsphase zu geschehen hat, enthält das Gesetz lediglich<br />
in § 5 Abs. 1 Satz 4 EFZG die Bestimmung, dass in dem<br />
Fall, dass die Arbeitsunfähigkeit länger dauert als in der Be-<br />
<strong>03</strong>/12 173
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 46 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Bestandsschutz<br />
scheinigung angegeben ist, der Arbeitnehmer verpflichtet ist,<br />
eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Es fehlt jedoch<br />
jegliche Regelung der Problematik, wann die Bescheinigung<br />
im Regelfall vorgelegt werden muss und ob der Arbeitgeber<br />
eine frühere Vorlage verlangen kann. Ob den Arbeitnehmer<br />
eine Informationspflicht wie bei der Ersterkrankung nach § 5<br />
Abs. 1 Satz 1 EFZG trifft, ist ebenfalls nicht geregelt. Allerdings<br />
ist mit der herrschenden Meinung (vgl. ErfK z. ArbR, 12. Aufl.,<br />
Rn 19 zu § 5 EFZG sowie LAG Hessen, Urt. v. 1.12.2006 – 12 Sa<br />
737/06, zitiert nach juris) davon auszugehen, dass die Vorschriften<br />
des § 5 Abs. 1 Satz 1 bis 3 auf die Fälle des § 5 Abs. 1<br />
Satz 4 EFZG entsprechende Anwendung findet.<br />
Völlig unstreitig ist, dass bestehende Nachweis- und Informationspflichten<br />
nicht davon abhängig sind, dass der Arbeitgeber<br />
verpflichtet ist, noch Lohnfortzahlung zu leisten. Die entsprechenden<br />
Verpflichtungen bestehen auch nach Ablauf des<br />
Lohnfortzahlungszeitraums des § 3 Abs. 1 Satz EFZG (vgl.<br />
Schaub, ArbRHdb, 14. Aufl., § 98 Rn 129 m.w.N.; LAG Sachsen –<br />
Anhalt, Urt. v. 24.4.1996 – 3 Sa 449/95, NZA 1997, S. 272, 773<br />
m.w.N.). Demgegenüber ist es ohne Belang, wenn die Ärzte<br />
des Klägers, bei Wahrunterstellung des diesbezüglichen klägerischen<br />
Sachvortrags, die Erstellung einer ärztlichen Bescheinigung<br />
über den Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nach<br />
Ablauf der sechswöchigen Lohnfortzahlungspflicht als Unsinn<br />
bezeichnen. Eine solche verfehlte und durch nichts begründete<br />
Rechtsansicht könnte abmahnungsrechtlich nur dann<br />
von Relevanz sein, wenn sich die Ärzte des Klägers aufgrund<br />
ihrer fehlenden arbeitsrechtlichen Kenntnisse geweigert hätten,<br />
eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erstellen. Dies<br />
wird aber vom Kläger nicht vorgetragen.<br />
Zu beachten ist allerdings, dass hinsichtlich der in § 5 EFZG<br />
geregelten Anzeige- und Nachweispflichten das arbeitsrechtliche<br />
Günstigkeitsprinzip gilt. Dies bedeutet, dass es dem Arbeitgeber<br />
unbenommen ist, zugunsten des Arbeitnehmers<br />
von den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes hinsichtlich<br />
der Anzeige und Nachweispflichten abzuweichen.<br />
Vorliegend hat die Beklagte eine nähere Regelung der Verpflichtungen<br />
der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit mit der<br />
Dienstanweisung vom 29.5.2008 vorgenommen. Unter a) der<br />
Anweisungen ist zunächst geregelt, welche Informationspflichten<br />
den Arbeitnehmer bei Dienstverhinderung, insbesondere<br />
im Krankheitsfall treffen. Unter b) ist sodann geregelt,<br />
dass eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit<br />
vom ersten Tage an vorzulegen ist. Mit dieser Regelung macht<br />
die Beklagte von der dem Arbeitgeber in § 5 Abs. 1 Satz 3 eingeräumten<br />
Möglichkeit Gebrauch, die Vorlage der ärztlichen<br />
Bescheinigung schon vor Ablauf von drei Kalendertagen zu<br />
verlangen. Eine solche Anordnung ist zulässig. Sie kann generell<br />
erfolgen, muss nicht begründet werden und unterliegt<br />
auch keiner Billigkeitskontrolle (vgl. Schaub, a.a.O., Rn 121 zu<br />
§ 98 m.w.N.). Raum für die Anwendung des § 315 BGB besteht<br />
somit nicht.<br />
Unter c) ist dann weiter geregelt, was zu geschehen hat, wenn<br />
die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung ange-<br />
geben andauert. In diesem Fall ist ebenfalls sofort Mitteilung<br />
zu machen und innerhalb eines Arbeitstages eine neue ärztliche<br />
Bescheinigung vorzulegen. Liegt eine solche Vereinbarung<br />
vor, so ist es, entgegen der vom Kläger geäußerten Ansicht<br />
in der Streitverhandlung vom 3.4.<strong>2012</strong>, erforderlich, dass<br />
das Attest am ersten Tag übergeben wird, soweit dies technisch<br />
möglich ist (vgl. ErfK, a.a.O., Rn 12 zu § 5 EFZG m.w.N.).<br />
Die Beklagte hat es allerdings nicht bei diesen drei Bestimmungen<br />
a) bis c) belassen. Sie hat vielmehr unter d) eine Regelung<br />
aufgenommen, was zu geschehen hat, wenn der Zeitraum<br />
der Entgeltfortzahlung überschritten wird. In diesem<br />
Fall ist der Mitarbeiter verpflichtet, den Arbeitgeber über den<br />
Fortgang der Erkrankung zu informieren, wobei der Informationsrhythmus<br />
mit dem Arbeitgeber bzw. Vorgesetzten<br />
„abzustimmen" ist. Durch Aufnahme der Ziff. d) hat die Beklagte<br />
differenziert zwischen den Verpflichtungen nach Ablauf<br />
der Erstbescheinigung innerhalb des Lohnfortzahlungszeitraums<br />
und nach Ablauf dieses Zeitraums. Die Rede ist allerdings<br />
nur von Informationspflichten und diese werden<br />
auch nicht uneingeschränkt begründet, sondern sehen zunächst<br />
die Verpflichtung des Arbeitnehmers vor, sich mit der<br />
Beklagten bzw. seinem Vorgesetzten abzustimmen. Eine Verpflichtung<br />
zur weiteren Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsnachweisen<br />
fehlt in dieser Bestimmung. Im Hinblick darauf, dass<br />
die Lohnfortzahlungspflicht und damit die Hauptpflicht des<br />
Arbeitgebers nach sechs Wochen der Krankheit erlischt und<br />
auch der Tatsache, dass es in der Praxis durchaus bei vielen<br />
Firmen üblich ist, im Hinblick auf diesen Umstand keine Nachweispflicht<br />
ohne ausdrückliche Aufforderung mehr vorzusehen<br />
und es bei der Informationspflicht zu belassen, hätte es<br />
eine eindeutigen Bestimmung in der Dienstanweisung dahingehend<br />
bedurft, dass die Arbeitnehmer nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums<br />
weiterhin verpflichtet sind, ärztliche<br />
Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen.<br />
Nachdem eine solche Bestimmung fehlt, sieht die Kammer<br />
keine Obliegenheit des Klägers im vorliegenden Fall ab<br />
9.1.<strong>2012</strong>, den Tag nach Ablauf der Lohnfortzahlungspflicht,<br />
Nachweise über die weiter fortbestehende Arbeitsunfähigkeit<br />
vorzulegen. Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob bei Vorliegen<br />
einer entsprechenden Verpflichtung in der verspäteten<br />
Abgabe unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des<br />
vorliegenden Falls ein Pflichtenverstoß des Klägers gesehen<br />
werden könnte.<br />
Dahinstehen kann auch, ob der Kläger seinen Informationspflichten<br />
in vollem Umfang Genüge getan hat. Zwar wird ihm<br />
ein Verstoß insoweit in der streitgegenständlichen Abmahnung<br />
durchaus zur Last gelegt. Wie dargelegt, ist eine Abmahnung<br />
aber schon dann aus der Personalakte zu entfernen,<br />
wenn sich einer von mehreren Vorwürfen als unberechtigt erweist.<br />
Die Tatsache, dass die Vorwürfe, die Gegenstand der<br />
Abmahnung sind, ebenfalls zum Teil, soweit der Vorwurf der<br />
verspäteten Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />
erhoben wird, unberechtigt sind, hat ohne Weiteres zur Folge,<br />
dass die Abmahnung insgesamt aus der Personalakte zu ent-<br />
174<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 47 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Personalvertretungsrecht<br />
fernen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob der Kläger seinen<br />
Informationspflichten tatsächlich Genüge getan hat (vgl. BAG,<br />
Urt. v. 13.3.1991, a.a.O.).<br />
■ Arbeitsgericht Würzburg<br />
vom 3.4.<strong>2012</strong>, 3 Ca 147/12<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Franz Geus<br />
Schultesstraße 23, 97421 Schweinfurt<br />
Tel.: 09721/386090, Fax: 09721/3860999<br />
schweinfurt@bendel-partner.de<br />
2<strong>03</strong>. Verhaltensbedingte Kündigung, beharrliche<br />
Arbeitsverweigerung im Prozessarbeitsverhältnis ist kein<br />
Kündigungsgrund<br />
Die Kündigung vom 19.8.2011 hatte nicht die Beendigung des<br />
Arbeitsverhältnisses zur Folge, da diese (...) sowohl als außerordentliche<br />
als auch als ordentliche Kündigung einer Wirksamkeitskontrolle<br />
nicht stand hält. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung<br />
kann dem Kläger nicht zur Last gelegt werden,<br />
da die Entgegennahme seiner Arbeitsleistung durch die Beklagte<br />
nach deren ausdrücklicher Erklärung im Rahmen eines<br />
Prozessrechtsverhältnisses erfolgte. Solange das vorangegangene<br />
Urteil nicht rechtskräftig war und die Beklagte nicht unmissverständlich<br />
erklärt hatte, dass sie an einer Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses wegen Ablaufs der vereinbarten Befristung<br />
nicht mehr festhalte, musste der Kläger davon ausgehen,<br />
dass seine Arbeitsleistung nicht als Erfüllung des Arbeitsvertrages,<br />
sondern (nur) zur Vermeidung von Ansprüchen auf<br />
Annahmeverzugslohn entgegengenommen wurde. Vor diesem<br />
Hintergrund kann die Weigerung, die Arbeit wieder aufzunehmen,<br />
nicht zu den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdenden<br />
Sanktionen wie Abmahnung oder gar Kündigung<br />
führen.<br />
■ Arbeitsgericht Frankfurt am Main<br />
vom 18.1.<strong>2012</strong>, 15 Ca 5425/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry<br />
Mainzer Landstraße 107, 6<strong>03</strong>29 Frankfurt am Main<br />
Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />
info@ra-chaudhry.de<br />
Betriebsverfassungsrecht/<br />
Personalvertretungsrecht<br />
204. Einigungsstelle, gerichtliche Einsetzung gemäß § 98<br />
ArbGG, Informationspflicht des Arbeitgebers, Scheitern<br />
der Verhandlungen<br />
Im Falle des § 98 ArbGG kann das Rechtsschutzbedürfnis fraglich<br />
sein, wenn die Betriebspartner in einer beteiligungspflichtigen<br />
Angelegenheit nicht einmal gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2<br />
BetrVG den Versuch unternommen haben, mit Einigungswillen<br />
zu verhandeln, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen<br />
wird. Der Beschleunigungszweck des gerichtlichen Einsetzungsverfahrens<br />
würde jedoch unterlaufen, wenn an das Kri-<br />
Personalvertretungsrecht<br />
terium, vorab verhandelt zu haben, zu hohe Anforderungen<br />
gestellt würden. Es bleibt jedem Betriebspartner überlassen,<br />
im konkreten Einzelfall die Kommunikation abzubrechen und<br />
zur Beilegung aufgetretener Meinungsverschiedenheiten auf<br />
die Bildung einer Einigungsstelle hinzuwirken. Der Einwand<br />
unzureichender Unterrichtung steht dem regelmäßig nicht<br />
entgegen. Es widerspricht zudem den Grundsätzen der vertrauensvollen<br />
Zusammenarbeit nach §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1<br />
BetrVG, wenn der Betriebsrat zunächst weitere Verhandlungstermine<br />
mit dem Arbeitgeber ablehnt, um dann im Einsetzungsverfahren<br />
nach § 98 ArbGG eine nicht ordnungsgemäße<br />
Unterrichtung durch den Arbeitgeber zu monieren.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 8.3.<strong>2012</strong>, 11 TaBV 12/12<br />
205. Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen<br />
Angelegenheiten und bei betrieblicher Berufsbildung,<br />
Bestimmtheit des Unterlassungsantrages,<br />
Verfügungsgrund, Vorrang der Einigungsstelle auch für<br />
vorläufige Regelung bezüglich eines<br />
Unterlassungsbegehrens, Vorrang des § 101 BetrVG für<br />
personelle Maßnahmen<br />
II. Die Anträge waren zurückzuweisen. Dies ergibt sich bereits<br />
wegen der Unzulässigkeit des Unterlassungsantrags in allen<br />
nach der Aufzählung in Betracht kommenden Varianten. Aus<br />
der Zurückweisung des Unterlassungsantrags folgt notwendigerweise<br />
diejenige des Androhungsantrags.<br />
Es gelten auch im Beschlussverfahren die zivilprozessualen<br />
Bestimmungsanforderungen für eine zulässige Antragstellung,<br />
§§ 81 Abs. 1, 80 Abs. 2, 46 Abs. 2 ArbGG, § 253 Abs. 2<br />
Ziff. 2 ZPO. Die danach geforderte hinreichende Bestimmtheit<br />
ist bei einem Unterlassungsantrag nur dann gegeben, wenn<br />
er den geltend gemachten Anspruch konkret gegenständlich<br />
bezeichnet, den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis<br />
erkennbar abgrenzt, den Inhalt und den Umfang der<br />
materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung erkennen<br />
lässt, das Unterliegensrisiko nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit<br />
auf den Gegner abwälzt und insbesondere erwarten<br />
lässt, dass die Zwangsvollstreckung aus der Entscheidung<br />
ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren<br />
erfolgen könnte. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung<br />
der höchsten Zivilgerichte, dass die Entscheidung darüber,<br />
was dem Beklagten bzw. dem beteiligten Antragsgegner<br />
bei der einem Unterlassungsantrag folgenden Verurteilung<br />
verboten ist, nicht im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht<br />
überlassen werden kann.<br />
Der auf das Unterlassen der „Fortführung" einer Projektgruppe<br />
gerichtete Hauptantrag wird dieser Zulässigkeitsanforderung<br />
nicht gerecht. Es Ist nicht erkennbar, welche konkreten<br />
Handlungen bzw. weitere Maßnahmen der Antragsgegnerin<br />
durch den beantragten Titel „einstweilig" verboten<br />
wären.<br />
<strong>03</strong>/12 175
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 48 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Betriebsverfassungsrecht<br />
Dasselbe gilt für den hilfsweise gegen den Einsatz „spezieller<br />
Software" gerichteten Antrag (Ziff. 2.). Die Anforderungen an<br />
die Bestimmtheit eines Unterlassungsantrags in Bezug auf die<br />
Verwendung von Computerprogrammen hat der Bundesgerichtshof<br />
in jüngerer Zeit definiert: Grundsätzlich ist es erforderlich,<br />
„den Inhalt dieses Computerprogramms … so (zu) beschreiben,<br />
dass Verwechslungen mit anderen Computerprogrammen<br />
soweit wie möglich ausgeschlossen sind. Dabei<br />
kann die gebotene Individualisierung des Computerprogramms<br />
durch Bezugnahme auf Programmausdrucke oder<br />
Programmträger erfolgen". Die alleinige Beschreibung als<br />
„spezielle Software" genügt diesen Anforderungen nicht.<br />
Auch das offenbar als weiterer Hilfsantrag eingebrachten Begehren<br />
zu 3) ist nicht i.S.d. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO hinreichend<br />
bestimmt. Der Antragsteller bezeichnet keine konkrete, der<br />
betrieblichen Berufsbildung zuzuordnende, für bestimmte<br />
Mitarbeiter anstehende „Schulungsmaßnahme". Was die Antragsgegnerin<br />
zu unterlassen hätte, wäre aus einem antragsgemäßen<br />
Titel weder für diese noch für das gegebenenfalls<br />
im Rahmen der Vollstreckung angerufene Gericht ersichtlich.<br />
Im Übrigen wären die Anträge selbst bei hinreichender Präzisierung<br />
und unterstellter Zulässigkeit zurückzuweisen, dies ergibt<br />
sich schon aus grundsätzlichen materiell- wie prozessrechtlichen<br />
Erwägungen. So ist kein im besonderen Eilverfahren<br />
des einstweiligen Rechtsschutzes zwingend erforderlicher<br />
Verfügungsgrund ersichtlich. An diese Voraussetzung sind bei<br />
betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsbegehren hohe<br />
Anforderungen zu stellen. Denn auch wenn gemäß § 85<br />
Abs. 2 ArbGG, §§ 935, 940 WO einstweilige Verfügungen in<br />
Beschlussverfahren zur Sicherung von Mitbestimmungspositionen<br />
oder zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in<br />
Bezug auf ein streitiges Kollektivrechtsverhältnis zulässig sind,<br />
dürfen diese nicht dazu führen, dass dem Antragsteller damit<br />
mehr gewährt wird, als er nach dem zugrundeliegenden materiellen<br />
Anspruch und bei Betrachtung von dessen Durchsetzbarkelt<br />
im ordentlichen Hauptsacheverfahren erreichen<br />
könnte; solches wäre mit dem Sinn und Zweck des einstweiligen<br />
Rechtsschutzes in Beschlussverfahren nicht zu vereinbaren.<br />
Denn im Unterschied zum Urteilsverfahren gilt in dieser<br />
Verfahrensart die Besonderheit, dass Beschlüsse in nicht vermögensrechtlichen<br />
Streitigkeiten nicht vorläufig vollstreckbar<br />
sind. Die Rechte aus einem betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Unterlassungsanspruch können damit erst dann – im Wege<br />
der Vollstreckung – praktisch umgesetzt werden, wenn dieser<br />
zuvor in einem Beschlussverfahren rechtskräftig tituliert<br />
wurde. Das Eilverfahren ist nicht dazu da, diesen nach der Gesetzeslage<br />
vorgesehenen Ablauf zu umgehen. Da eine einstweilige<br />
Verfügung mit dem Ziel, einen betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Unterlassungsanspruch vorab durchzusetzen, den<br />
Sinn und Zweck des Ausschlusses der vorläufigen Vollstreckbarkeit<br />
des § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in das inhaltliche Gegenteil<br />
verkehrt, kann diese allenfalls in absoluten Ausnahmesituationen<br />
in Betracht kommen, die eine vorläufige Regelung<br />
unabdingbar erfordern. Dies konnte die Kammer nicht erkennen.<br />
Soweit der Antragsteller durch den in der Antragsschrift enthaltenen<br />
Hinweis auf § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG auf ein nach<br />
dieser Vorschrift bestehendes Mitbestimmungsrecht abstellen<br />
will, mag unterstellt werden, dass eine Angelegenheit im<br />
Sinne dieser Vorschrift zugrunde liegt. Allerdings fallen alle im<br />
Zusammenhang mit einem Mitbestimmungstatbestand gemäß<br />
§ 87 Abs. 1 BetrVG zu treffenden Regelungen – auch eine<br />
solche zur vorläufigen Unterlassung bestimmter Maßnahmen<br />
– in die Zuständigkeit der Betriebspartner und sodann<br />
der Einigungsstelle, § 87 Abs. 2 BetrVG. Ausschließlich diese<br />
hat die rechtliche Befugnis, eine zwischen den Betriebsparteien<br />
streitige Angelegenheit, welche in ihre Entscheidungskompetenz<br />
fällt, zu gestalten und zwar nach eigenem Ermessen;<br />
ein gerichtlicher Eingriff findet grundsätzlich nicht statt.<br />
Das Arbeitsgericht hat sich mit Regelungsfragen inhaltlich<br />
erst dann zu befassen, wenn die Einigungsstelle entschieden<br />
hat und der Spruch zur Überprüfung auf Ermessens- oder<br />
Rechtsfehler gestellt wird. Es hat dagegen nicht die Aufgabe,<br />
selbst betriebliches Recht zu schaffen und zu einer (unterstellt)<br />
mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit etwas anzuordnen<br />
oder zu untersagen. Das gilt auch für vorläufige Regelungen,<br />
die gleichfalls im Ermessen der Einigungsstelle liegen,<br />
wenn sie trotz der gesetzlichen Verpflichtung zum unverzüglichen<br />
Tätigwerden aus § 76 Abs. 3 BetrVG und dem darin<br />
immanenten Gebot, sodann auch „alsbald" eine abschließende<br />
Sachentscheidung zu treffen, eine solche Notwendigkeit<br />
sieht. Das besondere, als eigenständiges Eilverfahren ausgestaltete<br />
Einigungsstellenverfahren schließt demnach im Regelfall<br />
für Regelungen in Bezug auf Angelegenheiten der<br />
zwingenden Mitbestimmung den Verfügungsgrund für eine<br />
gerichtliche Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz aus;<br />
die vom Gesetzgeber eingeführten außergewöhnlichen Beschleunigungsregelungen<br />
in § 98 Abs. 1 ArbGG zeigen auf,<br />
dass er die in diesem Verfahren erzwingbare zügige Errichtung<br />
der Einigungsstelle gerade für solche Fälle vorgesehen<br />
hat, in welchen ein akuter Regelungsbedarf besteht. Weshalb<br />
hier statt dessen die systemwidrige „Regelung" durch das Gericht<br />
vorrangig sein soll, konnte die Kammer nicht erkennen.<br />
Gleiches gilt für den Hinweis des Antragstellers auf seine Auffassung,<br />
die Antragsgegnerin führe Maßnahmen der betrieblichen<br />
Berufsbildung oder sonstige Bildungsmaßnahmen i.S.d.<br />
§ 98 BetrVG durch. Auch in diesem Fall ist es nicht dem Gericht,<br />
sondern zunächst den Betriebspartnern und der erforderlichenfalls<br />
gemäß § 98 Abs. 4 BetrVG anzurufenden Einigungsstelle<br />
auferlegt, die zu diesem Komplex erforderlichen<br />
Regelungen – ggfs. auch vorläufige – zu treffen. Lediglich bei<br />
einer von den Betriebspartnern versuchten, aber nicht gelungenen<br />
Einigung über die mit der Bildungsmaßnahme beauftragte<br />
Person kommt der spezielle Unterlassungsanspruch<br />
des § 98 Abs. 5 BetrVG in Betracht. Dessen Voraussetzungen<br />
sind hier nicht gegeben, zudem steht die dabei angeordnete<br />
Reihenfolge (§ 98 Abs. 5 B. 2, 3 BetrVG) einem Eilverfahren<br />
176<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 49 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Tarifrecht<br />
entgegen, welches nicht dazu dient, einem Beteiligten bereits<br />
vorab rechtliche Möglichkeiten zu gewähren, die nach den<br />
gesetzlichen Vorgaben zunächst die erfolgreiche Durchführung<br />
eines Hauptsacheverfahrens voraussetzen; hierzu kann<br />
auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.<br />
Soweit der Antragsteller schließlich darauf abstellt, die Antragsgegnerin<br />
habe die für das Projekt „Die Zukunft mit<br />
gestalten" vorgesehenen Mitarbeiter mitbestimmungswidrig<br />
versetzt bzw. beabsichtige dies im Hinblick auf den offenbar<br />
zu Mitte April geplanten Start der Projektphase, ist darauf hinzuweisen,<br />
dass die „vorläufige Regelung" zu diesem Komplex<br />
gleichfalls gesondert normiert ist. Das bei personellen Einzelmaßnahmen<br />
geltende Verfahren nach § 100 BetrVG und<br />
ebenso die weitergehende gesetzliche Regelung in § 101<br />
BetrVG belegen, dass hier die vorläufige Durchführung, nicht<br />
dagegen die vorläufige Untersagung der Maßnahme der vom<br />
Gesetz vorgestellte Regelfall Ist. Denn nach § 101 S. 2 BetrVG<br />
kann der Betriebsrat die Aufhebung einer objektiv mitbestimmungswidrig<br />
durchgeführten personellen Einzelmaßnahme<br />
ausdrücklich erst dann erzwingen, wenn er zuvor eine seinen<br />
Standpunkt bestätigende rechtskräftige Entscheidung erstritten<br />
hat. Auch im Bereich der Mitbestimmung gemäß § 99<br />
Abs. 1 BetrVG kann die in der einschlägigen Sanktionsnorm<br />
vorgeschriebene Reihenfolge nicht durch eine einstweilige<br />
Verfügung, die schon vorbeugend auf Unterlassung künftig in<br />
Betracht kommender personeller Einzelmaßnahmen unter<br />
Zwangsgeldandrohung gerichtet ist, unterlaufen werden,<br />
eine solche ist grundsätzlich nicht gegeben. Es wäre systemwidrig,<br />
eine nach Ihrem wesentlichen Charakter vorläufig vollstreckbare<br />
einstweilige Verfügung zur Durchsetzung einer –<br />
lediglich im summarischen Eilverfahren überprüften – Rechtsposition<br />
zuzulassen, während die Durchsetzung des inhaltlich<br />
gleichgerichteten Begehrens dann, wenn es in einem mit allen<br />
rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten Hauptsacheverfahren<br />
umfassend zur gerichtlichen Nachprüfung und Entscheidung<br />
gestellt wird, dessen vorherigen rechtsbeständigen<br />
Abschluss voraussetzt.<br />
Der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung kommt<br />
mithin unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht.<br />
■ Arbeitsgericht Köln<br />
vom 29.3.<strong>2012</strong>, 8 BVGa 6/12<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Detlef Grimm<br />
Konrad-Adenauer-Ufer 11, 50668 Köln<br />
Tel.: 0221/650650, Fax: 0221/65065110<br />
detlef.grimm@loschelder.de<br />
206. Personalrat, kein Übergangsmandat bei<br />
Privatisierung<br />
Ein Übergangsmandat entsprechend § 21a BetrVG besteht im<br />
öffentlichen Dienst mangels einer gesetzlichen Grundlage<br />
nicht. Im BPersVG ist ein Übergangsmandat bei der Übertragung<br />
von Betriebsteilen im Rahmen einer Privatisierung nicht<br />
vorgesehen. § 21a BetrVG findet mangels planwidriger Rege-<br />
Tarifrecht<br />
lungslücke keine analoge Anwendung. Der Gesetzgeber hat<br />
in Kenntnis der Problematik der privatisierenden Übernahme<br />
ein entsprechendes Übergangsmandat bei der Einführung<br />
des § 21a BetrVG für das BPersVG nicht eingeführt. Etwas anderes<br />
folgt nicht aus der Richtlinie 2001/23/EG zur Angleichung<br />
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die<br />
Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang<br />
von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen. Diese erfassen<br />
nur Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben,<br />
was auf die ausländischen Stationierungsstreitkräfte in<br />
der Dienststelle N. nicht zutrifft.<br />
■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />
vom 7.3.<strong>2012</strong>, 16 Sa 809/11<br />
207. Sozialplan, AGG, Altersdiskriminierung<br />
Leitsatz:<br />
1. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nicht gegen das Verbot der<br />
Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union (Art. 6<br />
Abs. 1 RL 2000/78/EG). Die Vorschrift ist vielmehr durch ein im<br />
Allgemeininteresse liegendes Ziel des deutschen Gesetzgebers<br />
i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2000/78/EG, nämlich Schutz<br />
älterer Arbeitnehmer vor den gerade ihnen eher als jüngeren<br />
Arbeitnehmern drohenden Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt<br />
bei Verlust ihres Arbeitsplatzes, gerechtfertigt (vgl. auch BAG,<br />
v. 12.4.2011 – 1 AZR 743/09 – EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 42).<br />
2. An der danach zulässigen Differenzierung in einem Sozialplan<br />
zwischen "rentennahen" und "rentenfernen" Arbeitnehmern<br />
hat sich durch die Entscheidung des EuGH vom<br />
12.10.2010 – C 499/08 – (Andersen) – (EzA Richtlinie 2000/78<br />
EG-Vertrag 1999 Nr. 17) nichts geändert (ebenso LAG Rheinland-Pfalz,<br />
v. 10.3.2011 – 10 Sa 547/10, juris; vgl. auch LAG<br />
Düsseldorf, v. 14.6.2011 – 16 Sa 1712/10, juris).<br />
■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />
vom 10.11.2011, 11 Sa 764/11<br />
Tarifrecht<br />
208. Gebäudereinigerhandwerk – Rahmentarifvertrag,<br />
Feststellungsantrag zur Eingruppierung, Herausfallen<br />
aus Rahmentarifvertrag mangels spezieller<br />
Vergütungsgruppe? Auslegung von Tarifverträgen<br />
II. Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch<br />
auf Feststellung durch das Gericht, dass die Beklagte<br />
verpflichtet ist, den Kläger nach Lohngruppe 1 des jeweils<br />
gültigen Tarifvertrages Mindestlohn zu entlohnen. Die Berufung<br />
der Beklagten war aus gleichem Grund zurückzuweisen.<br />
1. Der Feststellungsantrag des Klägers ist in der Form, in der<br />
er in 2. Instanz gestellt worden ist, zulässig. Dem Kläger steht<br />
ein Feststellungsinteresse zur Seite. (…)<br />
a) Der in 2. Instanz formulierte Antrag des Klägers entspricht<br />
allgemein üblichen Feststellungsanträgen bei Streit der Parteien<br />
um die zutreffende Eingruppierung. Es gibt keine An-<br />
<strong>03</strong>/12 177
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 50 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Tarifrecht<br />
haltspunkte dafür, dass die Beklagte als seriöses Unternehmen<br />
einer entsprechenden rechtskräftigen Feststellung des<br />
Gerichts keine Folge leisten werde.<br />
Der Antrag des Klägers ist hinreichend bestimmt. Er genügt<br />
den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wonach die<br />
Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und<br />
des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten<br />
Antrag enthalten muss. Der Streitgegenstand und der<br />
Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis<br />
müssen klar umrissen sein (BAG, Urt. v. 11.11.2009 – 7<br />
AZR 387/08 – AP Nr. 50 zu § 253 ZPO; Urt. v. 19.2.2008 – 9 AZR<br />
70/07 – BAGE 126, 26), so dass der Rahmen der gerichtlichen<br />
Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt<br />
und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen<br />
den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Es<br />
muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden<br />
hat. Bei einer stattgebenden Entscheidung darf<br />
keine Unklarheit über den Umfang der Rechtskraft bestehen.<br />
Bei einer Feststellungsklage sind grundsätzlich keine geringeren<br />
Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer<br />
Leistungsklage (BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 4 AZR 735/07 –<br />
APNR.20zu§1TVGTarifverträge: Chemie Nr. 20).<br />
Der Feststellungsantrag bezieht sich auf die Praxis der Beklagten,<br />
dem Kläger bei Beschäftigung an der Müllpresse, die arbeitsvertraglich<br />
vereinbart worden ist, ein Entgelt zu zahlen,<br />
das unterhalb des Niveaus der Lohngruppe 1 des Mindestlohntarifvertrages<br />
liegt. Wird der Kläger mit Tätigkeiten beschäftigt,<br />
die nach Auffassung der Beklagten vom Tarifvertrag<br />
erfasste Reinigungstätigkeiten beinhalten, zahlt die Beklagte<br />
unstreitig dem Kläger den Mindestlohn der Lohngruppe 1.<br />
Mit dem Feststellungsantrag soll klargestellt werden, dass der<br />
Kläger auch dann Anspruch auf Vergütung nach Lohngruppe<br />
1 des Mindestlohntarifvertrages hat, wenn er, wie im Arbeitsvertrag<br />
festgelegt, an der Müllpresse beschäftigt wird.<br />
Der Feststellungsantrag entspricht auch den Grundsätzen der<br />
Prozessökonomie. Es soll vermieden werden, dass zukünftig<br />
Monat für Monat zur Vermeidung des Verfalls Ansprüche geltend<br />
und gegebenenfalls eingeklagt werden müssen.<br />
b) Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet. Der Kläger<br />
hat Anspruch, den im Mindestlohntarifvertrag festgelegten<br />
Lohn der Lohngruppe 1 für seine Tätigkeit an der Müllpresse<br />
zu erhalten.<br />
aa) Unstreitig unterfällt der überwiegend Gebäudedienstleistungen<br />
erbringende Betrieb der Beklagten dem Geltungsbereich<br />
des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten<br />
in der Gebäudereinigung. Dies bestätigt auch der Formulararbeitsvertrag<br />
des Klägers vom 24.2.2009, der in § 17<br />
grundsätzlich die Feststellung trifft, dass auf das Arbeitsverhältnis<br />
die zurzeit geltenden tariflichen Vorschriften des Gebäudereiniger-Handwerks,<br />
soweit diese für allgemein verbindlich<br />
erklärt wurden, Anwendung finden. Die dem Kläger<br />
erteilten Lohnabrechnungen enthalten überdies den Hinweis,<br />
dass der allgemein verbindliche Lohntarifvertrag für die gewerblichen<br />
Beschäftigten in der Gebäudereinigung gelte.<br />
Im Formulararbeitsvertrag wird lediglich die Tätigkeit bei der<br />
Müllentsorgung und bei Arbeiten an der Müllpresse von der<br />
Bindung an den Tarifvertrag ausgenommen. Hierauf stützt die<br />
Beklagte ihre Argumentation. Sie verteidigt sich gegen die<br />
Klagforderung ausschließlich mit dem Argument, die vertraglich<br />
vereinbarte Tätigkeit an der Müllpresse werde weder von<br />
der Lohngruppe 1 des § 7 des RTV-Gebäudereinigerhandwerk<br />
noch von der Lohngruppe 1 des TV-Mindestlohn erfasst. Der<br />
Kläger übe tariffremde Tätigkeiten aus, für die der Tarifvertrag<br />
nicht gelte. Die Beklagte leitet ihre Rechtsauffassung aus 2<br />
<strong>Entscheidungen</strong> des Bundesarbeitsgerichts (v. 28.1.1987 – 4<br />
AZR 102/86 und v. 18.11.1998 – 10 AZR 475/97) zum Rahmentarifvertrag<br />
des Gebäudereiniger-Handwerks vom 22.9.1995<br />
ab. In der erstgenannten Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht<br />
in einem nicht entscheidungserheblichen Hinweis<br />
an die Tarifvertragsparteien ausgeführt, dieser Tarifvertrag<br />
sehe im Gegensatz zu vielen anderen Tarifverträgen nicht<br />
vor, dass die Arbeitnehmer in eine bestimmte Lohngruppe<br />
einzugruppieren seien. Er regele nur Tariflöhne für einzelne<br />
Lohngruppen. Hinter der Rechtsauffassung, der Kläger werde<br />
von den Lohngruppen des Rahmentarifvertrages nicht erfasst,<br />
steht offenbar die Auffassung, dass der RTV für den Kläger<br />
nicht gilt, mit der Folge, dass auch der TV-Mindestlohn<br />
nicht anwendbar sei.<br />
bb) Die Auffassung der Beklagten ist zurückzuweisen. Zum einen<br />
übersieht die Beklagte, dass sich der Rahmentarifvertrag<br />
für das Gebäudereiniger-Handwerk geändert hat. Sah die Fassung<br />
aus dem Jahre 1995 in § 7 Ziff. 3 vor, dass die Tariflöhne<br />
für "folgende Lohngruppen festgelegt" werden, woraus abgeleitet<br />
werden konnte, dass die Tariflöhne für Beschäftigte in<br />
diesem Gewerbe nicht abschließend, sondern nur für ausdrücklich<br />
bestimmte Tätigkeitsfelder geregelt werden sollten,<br />
bestimmt der für die Rechtsbeziehungen der Parteien maßgebliche<br />
aktuelle Rahmentarifvertrag in § 7 Ziff. 3.1.1., dass<br />
die Beschäftigten aufgrund ihrer überwiegenden Tätigkeit in<br />
eine Lohngruppe dieses Tarifvertrages eingruppiert werden.<br />
Dies spricht dafür, dass alle gewerblich Beschäftigten in Betrieben,<br />
die dem Rahmentarifvertrag unterfallen, einer Lohngruppen<br />
zuzuordnen sind (vergleiche LAG Saarland, Urt. v.<br />
23.11.2011 – 2 (1) Sa 79/11, juris; LAG Rheinland- Pfalz, Urt. v.<br />
4.2.2011 – 9 SA 501/10, juris). Dies spiegelt sich letztlich auch<br />
darin wieder, dass der Rahmentarifvertrag auf eine detaillierte<br />
Festlegung von Eingruppierungsmerkmalen weitgehend verzichtet<br />
hat. Der Hinweis des Bundesarbeitsgerichts an die Tarifvertragsparteien<br />
zum RTV ist deshalb durch die Weiterentwicklung<br />
des Tarifvertrages nicht mehr aktuell.<br />
Die These vom "Herausfallen" des Klägers aus dem RTV kann<br />
ohnehin nicht damit begründet werden, dass der Kläger nicht<br />
einer der Lohngruppen des § 7 RTV zuzuordnen ist. Ob § 7<br />
RTV für die Tätigkeit des Müllpressens eine Lohngruppe zur<br />
Verfügung stellt, ist für den Anspruch des Klägers auf den<br />
Mindestlohn nach Lohngruppe 1 des TV-Mindestlohn ohne<br />
rechtliche Relevanz. Die von der Beklagten behauptete fehlende<br />
Zuordnungsmöglichkeit zu einer der Lohngruppen des<br />
178<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 51 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Tarifrecht<br />
§ 7 RTV führt keineswegs automatisch dazu, dass der RTV insgesamt<br />
nicht gilt. Dessen Geltungsbereich bemisst sich nach<br />
§ 1 RTV. Danach gilt er für Betriebe, die der Gebäudereinigung<br />
zuzurechnende Tätigkeiten ausüben und für die dort Beschäftigten,<br />
die versicherungspflichtige Tätigkeiten ausüben. Weitere<br />
Einschränkungen des persönlichen Geltungsbereichs des<br />
RTV sind nicht vorgenommen worden. Da die Beklagte unstreitig<br />
vom betrieblichen Geltungsbereich erfasst wird und<br />
der Kläger ebenso unstreitig eine versicherungspflichtige Tätigkeit<br />
ausübt, unterliegt sein Arbeitsverhältnis zweifelsfrei<br />
dem RTV-Gebäudereinigerhandwerk. Damit gilt automatisch<br />
der jeweils für allgemein verbindlich erklärte TV-Mindestlohn.<br />
Dieser gilt nach § 1 Ziff. 2 für Betriebe, die unter den betrieblichen<br />
Geltungsbereich des Rahmentarifvertrages und für die<br />
gewerblichen Beschäftigten, die eine versicherungspflichtige<br />
Tätigkeit einschließlich derjenigen, die eine geringfügige Beschäftigung<br />
ausüben.<br />
cc) Die Berufungskammer ist der Auffassung, dass der Kläger<br />
bereits von Lohngruppe 1 des §7RTVfürdiegewerblichen<br />
Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4.10.20<strong>03</strong> erfasst<br />
wird. Die Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe 1 lauten: Innenund<br />
Unterhaltsreinigungsarbeiten. Der Kläger wird unabhängig<br />
hiervon auch von der Lohngruppe 1 des TV-Mindestlohn<br />
erfasst. Nach § 2 Ziff. 2 des TV-Mindestlohn gilt die Lohngruppe<br />
1 für Innen- und Unterhaltsreinigungsarbeiten, insbesondere<br />
Reinigung, pflegende und schützende Behandlung<br />
von Innenbauteilen an Bauwerken und Verkehrsmitteln aller<br />
Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen und<br />
Raumausstattungen; Reinigung und Pflege von maschinellen<br />
Einrichtungen sowie Beseitigung von Produktionsrückständen;<br />
Reinigung von Verkehrs- und Freiflächen einschließlich<br />
der Durchführung des Winterdienstes.<br />
dd) Die Zuordnung des Klägers zu den jeweiligen Lohngruppen<br />
1 des Rahmentarifvertrages und des TV-Mindestlohn ergibt<br />
sich durch Auslegung der Tarifverträge. Die Auslegung<br />
des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger<br />
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung<br />
von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst<br />
vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn<br />
und Zweck der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben<br />
zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien<br />
mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen<br />
Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist<br />
ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser<br />
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien<br />
liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen<br />
zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse<br />
nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen<br />
ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien,<br />
z.B. die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch<br />
die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die<br />
Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen;<br />
im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung<br />
der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und<br />
Tarifrecht<br />
praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urt. v.<br />
21.7.1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu §1TVGAuslegung;<br />
BAG, Urt. v. 22.7.1998 – 10 AZR 243/97 – AP Nr. 2 zu § 3 TV<br />
Ang. Bundespost; BAG, Urt. v. 22.1.2002 – 3 AZR 664/01 – AP<br />
Nr. 185 zu § 1 TVG Auslegung). Dabei ist zugrunde zu legen,<br />
dass die Tarifvertragsparteien einen von ihnen verwendeten<br />
Begriff, der in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt hat,<br />
im Zweifel in diesem Sinne verstanden wissen wollten (vgl.<br />
BAG, Urt. v. 23.2.1995 – 6 AZR 615/94 – AP Nr. 5 zu § 42 TVAL II;<br />
BAG, Urt. v. 16.2.1994 – 5 AZR 3<strong>03</strong>/93 – AP Nr. 7 zu § 14 BBiG).<br />
■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />
vom 8.2.<strong>2012</strong>, 2 Sa 105/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen<br />
August-Bebel-Allee 1, 28329 Bremen<br />
Tel.: 0421/20539944, Fax: 0421/20539966<br />
franzen@franzen-legal.de<br />
209. Gebäudereinigerhandwerk, tarifliche Vergütung<br />
arbeitsfreier Zwischenzeiten<br />
Nach dem allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrag für das<br />
Gebäudereinigerhandwerk vom 4.10.20<strong>03</strong> ist die zwischen<br />
dem Ende der Reinigung des einen Objekts und dem Beginn<br />
der Reinigung im Folgeobjekt liegende arbeitsfreie Zeit – sogenannte<br />
Zwischenzeit – regelmäßig nicht zu vergüten.<br />
■ Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein<br />
vom 21.3.<strong>2012</strong>, 3 Sa 440/11<br />
210. Rechtsstreit über Wirksamkeit des Tarifvertrages,<br />
Feststellungsinteresse<br />
1. Eine Feststellungsklage nach § 9 TVG, die eine tarifvertragsschließende<br />
Partei gegen den Tarifvertragspartner über das<br />
Bestehen des Tarifvertrages führt, setzt nach § 256 Abs. 1 ZPO<br />
voraus, dass das besondere Feststellungsinteresse gerade gegenüber<br />
dem beklagten Tarifvertragspartner besteht. Ein<br />
Feststellungsinteresse gegenüber Dritten oder der Allgemeinheit<br />
reicht nicht hin.<br />
2. Das Feststellungsinteresse im Rahmen einer Klage nach § 9<br />
TVG ist dann gegeben, wenn sich der beklagte Tarifvertragspartner<br />
in aktiver Wahrnehmung seiner Rolle als sozialer Gegenspieler<br />
des Klägers von dem einst geschlossenen Tarifvertrag<br />
abwendet und nachhaltig dessen Nichtbestehen propagiert.<br />
Bloße rechtliche Zweifel am Bestehen des Tarifvertrages<br />
reichen nicht hin.<br />
3. Zwischen der Tarifgemeinschaft C. Gewerkschaften für Z.<br />
und P. CGZP und dem Bundesarbeitgeberverband der P. e.V.<br />
BAP besteht ein Streit über das Bestehen der in den Jahren<br />
20<strong>03</strong> bis 2010 zwischen der CGZP und den Vorgängerorganisationen<br />
des BAP geschlossenen Tarifverträgen nur zum<br />
Schein.<br />
■ Arbeitsgericht Berlin<br />
vom 28.11.2011, 55 Ca 5022/11<br />
<strong>03</strong>/12 179
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 52 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
211. Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen<br />
Erwerbsminderung, Geltendmachung des<br />
Weiterbeschäftigungsanspruchs<br />
Die Frist für den Weiterbeschäftigungsantrag des teilweise erwerbsgeminderten<br />
Arbeitnehmers beginnt nach § 18 Abs. 3<br />
AVR (entspricht § 59 Abs. 3 BAT) auch dann mit der Zustellung<br />
des Rentenbescheids, wenn der Arbeitnehmer schwerbehindert<br />
ist und das Arbeitsverhältnis nach § 18 Abs. 5 AVR erst<br />
nach Zustimmung des Integrationsamtes (§ 92 SGB IX) zu einem<br />
späteren Zeitpunkt enden kann.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 6.3.<strong>2012</strong>, 3 Sa 639/11<br />
212. Tariffähigkeit der CGZP, Aussetzung des Verfahrens<br />
zur Feststellung der Tariffähigkeit<br />
Da das BAG mit Beschl. v. 14.12.2010 – 1 ABR 19/10 – die Tarifunfähigkeit<br />
der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften<br />
für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nur<br />
gegenwartsbezogen festgestellt hat, sind vergangenheitsbezogene<br />
Zahlungsklagen, mit denen sog. Equal-Pay-Ansprüche<br />
geltend gemacht werden, gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG bis zur<br />
Erledigung eines entsprechenden Beschlussverfahrens auszusetzen.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 16.2.<strong>2012</strong>, 10 Sa 453/12<br />
Anmerkung:<br />
Mit Beschl. v. 9.1.<strong>2012</strong> (24 TaBV 1285/11) hat das LAG Berlin-<br />
Brandenburg der CGZP die Tariffähigkeit auch rückwirkend für<br />
die Tarifabschlüsse am 29.11.2004, 19.6.2006 und 9.7.2008 abgesprochen.<br />
Der Beschluss ist nach Zurückweisung der hiergegen<br />
gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschl. v.<br />
22.5.<strong>2012</strong> (1 ABN 27/12) mittlerweile rechtskräftig. In zwei<br />
weiteren <strong>Entscheidungen</strong> vom 23.5.<strong>2012</strong> hat der 1. Senat entschieden,<br />
dass durch den Beschl. v. 14.12.2010 und die Entscheidung<br />
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg<br />
vom 9.1.<strong>2012</strong> die fehlende Tariffähigkeit der CGZP seit ihrer<br />
Gründung rechtskräftig festgestellt ist. (me)<br />
Prozessuales<br />
213. Aktenlageentscheidung in der Güteverhandlung?,<br />
Zurückverweisung an Arbeitsgericht<br />
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Sie führt zur<br />
Aufhebung des l erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückweisung<br />
des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht entsprechend<br />
§ 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO.<br />
1. Das Arbeitsgericht war zu einem Urteil nach Aktenlage<br />
nicht berechtigt.<br />
a. Das Arbeitsgericht hat zwar keinen Beschluss darüber gefasst,<br />
dass eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen wird<br />
und dies ist auch der Entscheidungsformel nicht zu entneh-<br />
men. In den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils<br />
wird jedoch ausdrücklich ausgeführt, dass es sich um ein<br />
Urteil nach Aktenlage handelt. Darüber hinaus ergibt sich aus<br />
dem Schriftsatz des Klägers vom 22.6.2011, in dem der Kläger<br />
ausdrücklich die Anberaumung eines Termins zur mündlichen<br />
Verhandlung beantragt hat, auf den aber das Arbeitsgericht<br />
in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen ist, dass das<br />
Arbeitsgericht den Erlass einer Entscheidung nach Aktenlage<br />
angekündigt hat.<br />
Die nach Lage der Akte getroffene Entscheidung war jedoch<br />
nicht zulässig.<br />
b. Nach § 251a ZPO kann ein Urteil nach Aktenlage nur ergehen,<br />
wenn beide Parteien nicht erscheinen bzw. nicht verhandeln,<br />
während § 331a die Möglichkeit einer Aktenlageentscheidung<br />
beim Ausbleiben einer Partei auf Antrag der Anwesenden<br />
vorsieht. Ein Urteil nach Aktenlage setzt in beiden Fällen<br />
nach § 251a Abs. 2 ZPO zwingend voraus, dass in einem<br />
früheren Termin bereits mündlich verhandelt worden ist. Die<br />
Voraussetzungen des § 251a ZPO, dass vorliegend auch nach<br />
Ansicht des Arbeitsgericht maßgeblich war, liegen nicht vor.<br />
aa. In dem Gütetermin vom 26.11.2010 wurden keine Sachanträge<br />
gestellt. Es wurde allenfalls die Sach- und Rechtslage mit<br />
den Parteien erörtert, auch wenn das Protokoll dazu keine<br />
ausdrückliche Feststellung enthält.<br />
Es wird zwar teilweise die Ansicht vertreten, dass im arbeitsgerichtlichen<br />
Verfahren im ersten Kammertermin ein Urteil<br />
nach Aktenlage gemäß §§ 251a, 331a ZPO gefällt werden<br />
kann, wenn eine Güteverhandlung stattgefunden hat, in der<br />
die Sach- und Rechtslage erörtert worden ist (so: LAG Berlin,<br />
Urt. v. 3.2.1997–9Sa133/96, LAGE § 251a ZPO Nr. 1; LAG Hessen,<br />
Urt. v. 31.10.2000 – 9 Sa 2072/99, MDR 2001, 517; Korinth,<br />
in: Schwab/Weth, 3. Aufl. 2011, § 59 ArbGG Rn 53; Lepke, DB<br />
1997, 1564 ff.). Die Kammer schließt sich jedoch der wohl<br />
überwiegend vertretenen Gegenansicht an, nach der die Erörterung<br />
der Sach- und Rechtslage im Gütetermin keine mündliche<br />
Verhandlung im Sinne des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist,<br />
so dass ein Urteil nach Aktenlage nicht, ergehen darf (so LAG<br />
Hamm, Urt. v. 4.3.2011 – 18 Sa 907/10, juris; LAG Hessen, Urt.<br />
v. 5.11.2010 – 3 Sa 602/10, juris; LAG Bremen, Urt. v.<br />
25.6.2009 – 2 Sa 67/<strong>03</strong>, juris; Creutzfeld, in: Bader/Creutzfeld/<br />
Friedrich, 5. Aufl. 2008, § 55 ArbGG Rn 9; Helmel, in: Hauck/<br />
Hellmel/Bibel, 4. Aufl. 2011, § 55 ArbGG Rn 32; Koch, in: Erfurter<br />
Kommentar zum Arbeitsrecht; 11. Aufl. 2011, ErfK/Koch<br />
§ 55 ArbGG Rn 4; Kloppenburg/Ziemann, in: Düwell/Lipke, 2.<br />
Aufl. 2005, § 55 ArbGG Rn 32 und Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,<br />
7. Aufl. 2009, § 55 ArbG<br />
Rn 17).<br />
Eine systematisch-teleologische Auslegung des § 251a Abs. 2<br />
Satz 1 ZPO ergibt, dass die Parteien nur dann mündlich im<br />
Sinne dieser Vorschrift verhandelt haben, wenn in einem vorherigen<br />
Termin Anträge gestellt worden sind (vgl. Thomas/<br />
Putzo; 31. Aufl. 2010, § 251a Rn 3; MüKo/Gehrlein, zur ZPO, 3.<br />
Aufl. 2008, § 251a ZPO Rn 16; Roth, in: Stein/Jonas, 22. Aufl.<br />
180<br />
<strong>03</strong>/12
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Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
2005, 251 a ZPO Rn 13; LAG Bremen, Urt. v. 25.6.20<strong>03</strong> –2Sa<br />
67/<strong>03</strong>; LAG Hessen, Urt. v. 15.11.2010 –3Sa602/10, juris).<br />
In gesetzessystematischer Hinsicht ist gemäß zunächst § 137<br />
Abs. 1 ZPO zu beachten: Die mündliche Verhandlung wird dadurch<br />
eingeleitet, dass die Parteien ihre Sachanträge stellen.<br />
§ 297 ZPO sieht vor, dass die Anträge aus den vorbereiteten<br />
Schriftsätzen zu verlesen sind, zu Protokoll erklärt werden<br />
oder dass die Parteien auf Schriftsätze Bezug nehmen, die die<br />
Anträge enthalten. Diese Vorschriften tragen der Notwendigkeit<br />
Rechnung, den Gegenstand des Prozesses durch eine<br />
konkrete Antragstellung zu bestimmen. Denn das Gericht ist<br />
nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt<br />
ist (§ 308 Abs. 1 ZPO). Dem Antragserfordernis wird<br />
durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage<br />
nicht Genüge getan (vgl. BAG, Urt. v. 1.12.2004 – 5 AZR<br />
121/04, juris). Vielmehr bedarf es aus Gründen der prozessualen<br />
Klarheit und wegen der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis<br />
des Gerichts abzugrenzen, jedenfalls grundsätzlich<br />
einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts<br />
ausgerichteten Antragstellung.<br />
Nur dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 251a<br />
Abs. 2 Satz 1 ZPO. Mit der Voraussetzung der mündlichen Verhandlung<br />
bezweckt die Vorschrift, dass die Parteien ihre<br />
Standpunkte wenigstens einmal mündlich vortragen konnten<br />
und das Gericht Gelegenheit zur Ausübung seines Fragerechts<br />
hatte (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 4.3.2011 – 18 Sa 907/10,<br />
juris; LAG Hessen, Urt. v. 5.11.2010 – 3 Sa 602/10, juris). Der<br />
Zweck des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist im Streitfall ausgehend<br />
von der Annahme des Arbeitsgerichts, dass die Parteien in<br />
dem Kammertermin nicht verhandelt haben, nicht erreicht<br />
worden. Das Gericht und insbesondere die ehrenamtlichen<br />
Richter, die in der Güteverhandlung, die allein gegen den Beklagten<br />
zu 1) durchgeführt worden ist, nicht beteiligt waren,<br />
konnten mangels einer vor der Kammer durchgeführten Verhandlung<br />
von ihrem Fragerecht keinen Gebrauch machen.<br />
bb. § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG rechtfertigt keine abweichende<br />
Beurteilung.<br />
Nach dieser Vorschrift beginnt die mündliche Verhandlung im<br />
arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren mit einer Verhandlung<br />
vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung<br />
der Parteien. § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG berechtigt jedoch das<br />
Arbeitsgericht nicht dazu, nach vorausgegangener Güteverhandlung<br />
bei Säumnis einer Partei im Kammertermin ein Urteil<br />
nach Aktenlage zu erlassen. Denn diese Vorschrift stellt lediglich<br />
klar, dass in Abgrenzung zu § 137 Abs. 1 ZPO zu Beginn<br />
der Güteverhandlung keine Anträge zu stellen sind, damit<br />
eine ungehinderte Erörterung der Sache mit dem Ziel einer<br />
gütlichen Einigung erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund<br />
ordnet auch § 54 Abs. 2 Satz 1 ArbGG an, dass die Klage<br />
bis zum Stellen der Anträge im Kammertermin ohne Einwilligung<br />
der beklagten Partei zurückgenommen werden kann.<br />
Die Befugnis, ein Urteil nach Lage der Akte zu erlassen, richtet<br />
sich ausschließlich nach der Vorschrift des § 251a Abs. 2 Satz<br />
Prozessuales<br />
1 ZPO, die auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren gemäß<br />
§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 495 ZPO gilt.<br />
Soweit es nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung auf<br />
den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt, ist für<br />
das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren anerkannt, dass insoweit<br />
auf die streitige Verhandlung im Kammertermin und<br />
nicht auf die Güteverhandlung abzustellen ist. § 54 Abs. 2 Satz<br />
3 ArbGG ordnet dies ausdrücklich an im Hinblick auf die Zuständigkeit<br />
des Gerichts infolge rügeloser Verhandlung (§ 39<br />
Satz 1 ZPO) und im Hinblick auf Rügen, die die Zulässigkeit<br />
der Klage betreffen (§ 282 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Das Gleiche gilt<br />
hinsichtlich der Rechtswegrüge und der vermuteten Einwilligung<br />
in die Klageänderung gemäß § 267 ZPO (Schumann, in:<br />
Stein/Jonas, 21. Aufl., § 267 ZPO Rn 6). Im arbeitsgerichtlichen<br />
Verfahren ist damit der Mündlichkeitsgrundsatz besonders<br />
ausgeprägt und eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung<br />
im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO gemäß<br />
§ 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG nicht möglich. Dass im Rahmen des<br />
§ 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits die Güteverhandlung als<br />
mündliche Verhandlung anzusehen sein soll, lässt sich auch<br />
nicht mit dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz für arbeitsgerichtliche<br />
Streitigkeiten plausibel begründen. Denn<br />
das Arbeitsgericht hat die Möglichkeit, das Verfahren zu beschleunigen,<br />
in dem es Ausschlussfristen gemäß §§ 56 Abs. 2,<br />
61a Abs. 5 ArbGG setzt. Der prozessual zulässigen Flucht in die<br />
Säumnis kann begegnet werden, in dem ein Versäumnisurteil<br />
erlassen und nach Eingang der Einspruchsschrift zeitnah terminiert<br />
wird. Vorliegend kommt hinzu, dass die Klage mit<br />
dem Weiterbeschäftigungsantrag gegen die Beklagte zu 2)<br />
erst mit Schriftsatz vom 4.3.2011, also erst nach dem Gütetermin<br />
vom 26.11.2010 erweitert worden ist, sodass insoweit die<br />
Sach- und Rechtslage auch nicht im Gütetermin erörtert worden<br />
ist.<br />
2. Die unzulässige Entscheidung des Arbeitsgerichts nach<br />
Lage der Akten führt zur Zurückweisung des Rechtsstreits entsprechend<br />
§ 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO.<br />
a. Die Sonderregelung des § 68 ArbGG steht einer grundsätzlichen<br />
Anwendbarkeit des § 538 Abs. 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen<br />
Verfahren nicht entgegen.<br />
aa. Nach § 68 ArbGG ist zwar die Zurückverweisung wegen eines<br />
Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig. Es<br />
ist jedoch allgemein anerkannt, dass eine Zurückverweisung<br />
stets zu erfolgen hat, wenn der erstinstanzliche Verfahrensmangel<br />
vom Berufungsgericht nicht mehr korrigiert werden<br />
kann (BAG, Urt. v. 4.5.2011 – 7 AZR 252/10, NZA 2011, 1178;<br />
Urt. v. 26.6.2008 – 6 AZR 478/07, DB 2009, 797; ErfK/Koch, §68<br />
ArbGG Rn 3; Vossen, in: GK-ArbGG, § 68 ArbGG Rn 12; Pfeiffer,<br />
in: Natter/Gross, § 68 ArbGG Rn 4; Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,<br />
§ 68 ArbGG Rn 4<br />
m.w.N.). Diese Einschränkung folgt aus einer teleologischen<br />
Reduktion des Wortlauts des § 68 ArbGG vor dem Hintergrund<br />
der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzgarantie<br />
(Pfeiffer, in: Natter/Gross, § 68 ArbGG Rn 3; Schwab, in:<br />
Schwab/Weth, § 68 ArbGG Rn 38). Liegt dagegen kein Verfah-<br />
<strong>03</strong>/12 181
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 54 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
rensfehler vor, so greift die Sonderregelung des § 68 ArbGG,<br />
die die Zurückweisung grundsätzlich abweichend von § 538<br />
Abs. 2 Nr. 1 ausdrücklich ausschließt, nicht ein. Eine Zurückweisung<br />
kommt allerdings nur unter den Voraussetzungen<br />
des § 538 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 ZPO in Betracht bzw. in den Fällen,<br />
in denen die Sachlage den in § 538 Abs. 2 ZPO aufgeführten<br />
Fällen sehr ähnlich ist, sodass eine entsprechende Anwendung<br />
dieser Vorschrift geboten ist (vgl. BAG, Urt. v.<br />
21.11.2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, BAG, Urt. v.<br />
15.7.1969 – 2 AZR 498/68, AP Nr. 17 zu § 794 ZP; ErfK/Koch,<br />
§ 68 ArbGG Rn 1).<br />
bb. Im Streitfall liegt zum einen ein wesentlicher Mangel vor,<br />
der in der Berufungsinstanz nicht zu beheben ist. Das Arbeitsgericht<br />
hat eine Entscheidung in der Sache getroffen, obwohl<br />
nach seiner Annahme bisher keine Erörterung der Sach- und<br />
Rechtslage vor einer vollbesetzten Kammer stattgefunden<br />
und die Parteien in der Kammerverhandlung keine Anträge<br />
gestellt haben. Dieser Mangel ist nicht nach § 295 ZPO heilbar<br />
(BAG, Urt. v. 4.12.2002 – 5 AZR 556/01).<br />
Eine Sachentscheidung durch das Berufungsgericht wäre<br />
dem Einwand ausgesetzt, dass überhaupt noch keine zweiseitige<br />
Verhandlung vor der vollbesetzten Kammer des Arbeitsgerichts<br />
stattgefunden hat und dem Kläger insoweit eine Instanz<br />
genommen würde (vgl. BAG, Urt. v. 4.12.2002 – 5 AZR<br />
556/01 zu den entsprechenden Erwägungen aus: Sicht der<br />
Revisionsinstanz). Der Kläger hat sich vor dem Arbeitsgericht<br />
auch nicht damit einverstanden erklärt, dass eine instanzabschließende<br />
Entscheidung ergeht. Weder die Erörterung der<br />
Sach- und Rechtslage in der Güteverhandlung noch die nach<br />
Ansicht des Arbeitsgerichts unterbliebene Antragsstellung<br />
und Verhandlung im Kammertermin lassen sich prozessual als<br />
ein Einverständnis des Klägers interpretieren, dass über die<br />
Kündigungsschutzklage erstinstanzlich ohne Erörterung der<br />
Sach- und Rechtslage vor der vollbesetzten Kammer abschließend<br />
entschieden werden soll (LAG Bremen, Urt. v.<br />
25.6.20<strong>03</strong> – 2 Sa 67/<strong>03</strong>). Im Gegenteil: Dadurch, dass im Kammertermin<br />
trotz Anwesenheit der Parteienvertreter sowie des<br />
Klägers und des Geschäftsführers der Beklagten zu 2) die Parteien<br />
vor der vollbesetzten Kammer nach der Annahme des<br />
Arbeitsgerichts nicht verhandelt haben und der Klägervertreter<br />
erklärt hat, dass er keinen Antrag stellen werde, hat er unmissverständlich<br />
zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer<br />
Sachentscheidung ohne eine mündliche Verhandlung vor der<br />
vollbesetzten Kammer nicht einverstanden ist. Dementsprechend<br />
hat der Kläger auch folgerichtig zweitinstanzlich nur<br />
hilfsweise Sachanträge gestellt und vorrangig ausdrücklich<br />
die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht unter Hinweis<br />
darauf beantragt, dass eine Entscheidung nach Aktenlage<br />
nicht hätte ergehen dürfen.<br />
cc. Der zu entscheidende Sachverhalt ist jedenfalls den in<br />
§ 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO geregelten Fallkonstellationen<br />
sehr ähnlich. Nach § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann das Berufungsgericht<br />
die Sache an das Arbeitsgericht des ersten<br />
Rechtszuges zurückverweisen, wenn durch das angefochtene<br />
Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen worden ist. Nach<br />
§ 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO kommt eine Zurückverweisung in Betracht,<br />
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist.<br />
Kennzeichnend für die in § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO geregelten<br />
Fälle ist, dass es zu einer eigentlichen Sachentscheidung<br />
in erster Instanz nicht oder jedenfalls nicht aufgrund einer<br />
streitigen Verhandlung gekommen ist, was auch bei § 538<br />
Abs. 2 Nr. 3 ZPO der Fall ist. Durch die Zurückweisung in den<br />
Fällen des § 538 Abs. 2 Nr. 2 bis 7, in denen die Sonderregelung<br />
des § 68 ArbGG nicht eingreift, soll also verhindert werden,<br />
dass den Partein bei einer unrichtigen Säumnis- oder<br />
Prozessentscheidung eine Tatsacheninstanz verloren geht<br />
(vgl. BAG, Urt. v. 15.7.1969 – 2 AZR 498/68, AP Nr. 17 zu § 794<br />
ZPO).<br />
Im vorliegenden Fall lag im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht<br />
nach Ansicht des Arbeitsgerichts mangels des Verhandelns<br />
der Parteien eine Säumnissituation vor, die auch den<br />
Hintergrund der Regelung des § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO<br />
bildet. Im Verfahrensstadium der ersten Kammerverhandlung<br />
nach gescheiterter Güteverhandlung stellt sich die Entscheidung<br />
nach Aktenlage als verdeckte Säumnisentscheidung dar,<br />
gegen die nicht mehr in erster Instanz vorgegangen werden<br />
kann. Vorliegend hat das Arbeitsgericht in einer angenommenen<br />
Säumnissituation in der Sache selbst entschieden, obwohl<br />
es selbst das bisherige Vorbringen des Klägers, insbesondere<br />
sein Bestreiten von Tatsachen, die nicht Gegenstand<br />
der eigenen Wahrnehmung waren, für nicht ausreichend<br />
hielt, ohne darauf hinzuweisen. Denn auch im vorliegenden<br />
Fall wird die erste Instanz beendet und die abwesende Partei<br />
wird auf das Rechtsmittel der Berufung beschränkt, so dass<br />
der streitgegenständliche Sachverhalt ebenso zu bewerten<br />
ist, wie die gesetzlich in § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO geregelten<br />
Tatbestände. Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht<br />
aufgrund einer Ermessenentscheidung ist damit bei vorliegender<br />
Fallkonstellation möglich ist (LAG Hamm, Urt. v.<br />
4.3.2011 – 18 Sa 907/10, juris; LAG Bremen, Urt. v. 25.6.2002 –<br />
2 Sa 67/<strong>03</strong>, juris; Vossen, in: GK-ArbGG, Stand: April 2010, § 68<br />
ArbGG Rn 23; ErfK/Koch, § 68 ArbGG Rn 1, 4).<br />
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits<br />
nach § 538 Abs. 2 ZPO liegen somit einschließlich des<br />
entsprechenden Zurückweisungsantrags des Klägers, der<br />
zwingende Voraussetzung für eine Zurückweisung ist (vgl.<br />
Zöller/Heßler, 28. Aufl. 2010, § 538 ZPO Rn 56 m.w.N.), vor.<br />
Nach § 538 Abs. 2 ZPO steht die Zurückverweisung im Ermessen<br />
des Berufungsgerichts (Zöller/Heßler, § 538 ZPO Rn 6 ff.).<br />
Im Streitfall führt die Ausübung des Ermessens zur Zurückverweisung.<br />
■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />
vom 14.12.2011, 2 Sa 1250/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller<br />
Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />
Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />
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182<br />
<strong>03</strong>/12
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Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
214. Aussetzung, Vorgreiflichkeit, sozialgerichtliche<br />
Entscheidung, Folge einer fehlerhaften<br />
Ermessensausübung durch das Arbeitsgericht<br />
1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung<br />
des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder<br />
Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, die den<br />
Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet,<br />
anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen<br />
Rechtsstreits auszusetzen ist. Sofern keine gesetzliche Verpflichtung<br />
zur Aussetzung besteht, hat das Gericht zweistufig<br />
zu prüfen, ob eine Aussetzung vorzunehmen ist (vgl. LAG Niedersachsen<br />
4.5.2006 – 12 Ta 47/06, LAGE § 148 ZPO 2002<br />
Nr. 3a). Zunächst hat das Gericht auf der Tatbestandsseite festzustellen,<br />
ob ein anderer Rechtsstreit vorgreiflich i.S.d. § 148<br />
ZPO ist. Liegt diese Voraussetzung vor, ist auf der Rechtsfolgenseite<br />
zu überprüfen, ob die Aussetzung in Wahrnehmung<br />
des richterlichen Ermessens geboten ist. Dazu hat eine umfassende<br />
Abwägung der Vorteile einer Aussetzung gegenüber<br />
den Nachteilen stattzufinden (LAG Hamm, v. 21.3.2011 –1Ta<br />
130/11 – NRW-E; v. 18.10.2010 –1Ta494/10 – NRW-E; LAG<br />
Niedersachsen, v. 4.5.2006 – 12 Ta 47/06 – LAGE § 148 ZPO<br />
2002 Nr. 3a; LAG Köln, v. 17.12.20<strong>03</strong> – 3 Ta 384/<strong>03</strong> – FA 2004,<br />
128, juris; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl. <strong>2012</strong>, § 148 Rn 7).<br />
1. Auf der Tatbestandsseite ist Voraussetzung für eine Aussetzung<br />
nach § 148 ZPO, dass die auszusetzende Entscheidung<br />
von jener abhängig ist, die in einem anderen Rechtsstreit zu<br />
treffen ist. Diese muss damit vorgreiflich für die Entscheidung<br />
sein, die auszusetzen ist. Das ist nur dann der Fall, wenn im<br />
anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 ZPO<br />
entschieden wird, dessen Bestehen für den vorliegenden<br />
Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung hat (Zöller/Greger, ZPO,<br />
29. Aufl. <strong>2012</strong>, § 148 Rn 5).<br />
Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass<br />
das sozialgerichtliche Verfahren für den Ausgang dieses<br />
Rechtsstreits vorgreiflich ist. Wird dort dem Begehren des Klägers<br />
Rechnung getragen, steht fest, dass die hier streitgegenständliche<br />
Kündigung vom 16.12.2010 rechtsunwirksam ist,<br />
weil ihr die nach § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des<br />
Integrationsamtes fehlt. Das Gericht hat in seiner Entscheidung<br />
ferner angenommen, weitere Unwirksamkeitsgründe<br />
seien nicht erkennbar, so dass es letztlich – auch für die Folgekündigung<br />
vom 27.5.2011 – nur noch darauf ankomme, ob<br />
die Zustimmung des Integrationsamtes im Zeitpunkt des Ausspruches<br />
der Kündigung gegeben sei. Letztlich werden die<br />
Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Vorgreiflichkeit von der<br />
sofortigen Beschwerde auch nicht angegriffen.<br />
2. Indes weist die sofortige Beschwerde zu Recht darauf hin,<br />
dass es im Beschl. v. 21.3.<strong>2012</strong> an einer Ermessensausübung<br />
des Gerichts fehlt. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, ob<br />
sich das Gericht darüber bewusst war, dass für die Bejahung<br />
der Aussetzung nach § 148 ZPO nicht nur die Vorgreiflichkeit<br />
des anderen Rechtsstreits Voraussetzung ist, sondern es darüber<br />
hinaus zusätzlich einer richterlichen Ermessensausübung<br />
Prozessuales<br />
auf der Rechtsfolgenseite bedarf. Auch der Entscheidung des<br />
Gerichts gem. § 572 Abs. 1 ZPO vom 4.4.<strong>2012</strong> kann nicht entnommen<br />
werden, ob das Gericht eine solche Ermessensentscheidung<br />
angestellt hat.<br />
In diesem Beschluss wird alleine auf die Ausführungen in der<br />
angefochtenen Entscheidung verwiesen, die sich lediglich mit<br />
der Rechtsfrage der Vorgreiflichkeit befasst hat, ohne eigene<br />
Ermessensüberlegungen des Gerichts wiederzugeben.<br />
Das Beschwerdegericht selbst ist nicht in der Lage, die fehlende<br />
Ermessensausübung des Arbeitsgerichts nachzuholen.<br />
Es hat lediglich zu prüfen, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum<br />
überschritten hat, von dem ihm eingeräumten<br />
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender<br />
Weise Gebrauch gemacht hat (LAG Hamm, v.<br />
21.3.2011 – 1 Ta 130/11 NRW-E; v. 18.10.2010 – 1 Ta 494/10 –<br />
NRW-E; LAG Nürnberg, v. 18.9.2006 –7Ta169/06 – juris; LAG<br />
Köln, v. 18.8.2005 – 18 (13) Ta 300/05 – LAGE § 148 ZPO 2002<br />
Nr. 3; Hessisches LAG, v. 7.8.20<strong>03</strong> – 11 Ta 267/<strong>03</strong> – NZA-RR<br />
2004, 264) oder aber eine Ermessensausübung unterblieben<br />
ist (LAG Niedersachsen, v. 4.5.2006 – 12 Ta 47/06 – LAGE § 148<br />
ZPO 2002 Nr. 3a; LAG Köln, v. 17.12.20<strong>03</strong> – 3 Ta 384/<strong>03</strong> – FA<br />
2004, 128, juris).<br />
Der Begründung der angefochtenen Entscheidung ist nicht zu<br />
entnehmen, dass das Arbeitsgericht eine eigene Ermessensentscheidung<br />
angestellt hat. Es ist vor diesem Hintergrund<br />
auch nicht erkennbar, ob das Arbeitsgericht dem Beschleunigungsgrundsatz<br />
bei Bestandsstreitigkeiten nach § 61a ArbGG<br />
im Rahmen einer Ermessensentscheidung ausreichende Bedeutung<br />
hat zukommen lassen. Er ist Ausprägung des verfassungsrechtlich<br />
gewährleisteten Gebotes effektiven Rechtsschutzes.<br />
In ihm dokumentiert sich, dass ein zügiges Verfahren<br />
vor dem Arbeitsgericht sowohl für den Arbeitnehmer wie<br />
auch für den Arbeitgeber von besonderer Bedeutung ist. Eine<br />
Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens, bei dem auch<br />
der Stand des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche<br />
Dauer in die Abwägung einzustellen ist, kommt daher<br />
nur in Ausnahmefällen in Betracht (BAG, v. 27.4.2006 – 2<br />
AZR 360/05 – NZA 2007, 229; LAG Hamm, v. 18.10.2010 –1 Ta<br />
494/10 NRW-E).<br />
Unterlässt ein Gericht bei der Entscheidung über einen Aussetzungsantrag<br />
nach § 148 ZPO die erforderliche Ermessensausübung,<br />
ist der Beschluss aufzuheben. Das Verfahren ist<br />
demgemäß fortzusetzen.<br />
■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />
vom 9.5.<strong>2012</strong>, 7 Ta 167/12<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller<br />
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215. Beweiskraft einer Quittung<br />
aa) Nach § 368 Satz 1 BGB hat der Gläubiger gegen Empfang<br />
der Leistung auf Verlangen ein schriftliches Empfangsbe-<br />
<strong>03</strong>/12 183
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 56 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
kenntnis (Quittung) zu erteilen. Die ordnungsgemäß errichtete<br />
Quittung erbringt gemäß § 416 ZPO den formellen Beweis,<br />
dass der Gläubiger den Erhalt der Leistung bestätigt hat<br />
(Müko/BGB/Wenzel, 5. Aufl., § 368 BGB Rn 5). Steht – wie hier –<br />
die Echtheit der Namensunterschrift auf einer Urkunde fest,<br />
so hat die über der Unterschrift stehende Schrift nach § 440<br />
Abs. 2 ZPO die Vermutung der Echtheit für sich. Dies gilt auch<br />
bei Blankounterschriften und selbst bei einem sog. Blankettmissbrauch,<br />
wie er hier vom Kläger behauptet wird. In einem<br />
solchen Fall hat der Unterzeichner die Vermutungswirkung<br />
des § 440 Abs. 2 ZPO durch den Beweis des Gegenteils (§ 292<br />
ZPO) zu widerlegen (BGH, v. 17.4.1986 – 111 ZR 215/84 – NJW<br />
1986, 3086 f. m.w.N.; LAG Mecklenburg-Vorpommern, v.<br />
29.11.2001 – 1 Sa 384/00 – nv.; vgl. auch BGH, v. 16.12.1999 –<br />
IX ZR 36/98 – NJW 2000, 1179 ff.; T/P, 32. Aufl., § 440 ZPO Rn 2).<br />
■ Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main<br />
vom 24.2.<strong>2012</strong>, 3 Sa 107/10<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry<br />
Mainzer Landstraße 107, 6<strong>03</strong>29 Frankfurt am Main<br />
Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />
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216. Nichtzulassungsbeschwerde, Anforderungen an die<br />
Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs<br />
1. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72<br />
Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG eine entscheidungserhebliche Verletzung<br />
des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht,<br />
muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG die Beschwerdebegründung<br />
die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs<br />
und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Die<br />
bloße Benennung eines Zulassungsgrundes genügt nicht. Der<br />
Beschwerdeführer hat vielmehr zu dessen Voraussetzungen<br />
substantiiert vorzutragen (BAG, v. 20.5.2008 – 9 AZN 1258/<br />
07 – 22 m.w.N., BAGE 126, 346).<br />
Das Beschwerdegericht muss dadurch in die Lage versetzt<br />
werden, allein anhand der Lektüre der Beschwerdebegründung<br />
und des Berufungsurteils die Voraussetzungen für die<br />
Zulassung zu prüfen.<br />
Will der Beschwerdeführer geltend machen, das Landesarbeitsgericht<br />
habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt,<br />
indem es seine Ausführungen nicht berücksichtigt habe,<br />
muss er konkret und im Einzelnen schlüssig dartun, welches<br />
wesentliche und entscheidungserhebliche Vorbringen das<br />
Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung übergangen<br />
haben soll (vgl. BAG, v. 31.5.2006 – 5 AZR 342/06 (F) – Rn 6,<br />
BAGE 118, 229). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein<br />
Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen<br />
und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen<br />
nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich<br />
zu behandeln. Allein der Umstand, dass sich die<br />
Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt<br />
nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt daher<br />
nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichts-<br />
punkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf<br />
es hierzu besonderer Umstände (BAG, v. 22.3.2005 – 1<br />
ABN 1/05 – zu 113 a der Gründe, AGE 114, 157 unter Bezugnahme<br />
auf BVerfG B. Oktober 20<strong>03</strong> – 2 BvR 949/02 – zu 11 1<br />
a der Gründe, EzA GG Art. 1<strong>03</strong> Nr. 5). Ein rügebezogener Vortrag<br />
wird dabei nicht durch die umfassende wörtliche Wiedergabe<br />
von Schriftsätzen ersetzt. Deren Inhalt ist vielmehr jeweils<br />
konkret auf die gerügte Verletzung des Anspruchs auf<br />
rechtliches Gehör zu beziehen (BAG, v. 1.9.2010 – 5 AZN 599/<br />
10 – Rn 9, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 72 = EzA ArbGG 1979<br />
§ 72a Nr. 124).<br />
Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Entscheidungserheblichkeit<br />
der Gehörsverletzung darzutun. Hierzu muss<br />
nachvollziehbar dargelegt werden, dass das Landesarbeitsgericht<br />
nach seiner Argumentationslinie unter Berücksichtigung<br />
des entsprechenden Gesichtspunkts möglicherweise anders<br />
entschieden hätte (BAG, v. 22.3.2005 – 1 ABN 1/05 – zu 113 a<br />
der Gründe, BAGE 114, 157).<br />
■ Bundesarbeitsgericht<br />
vom 12.12.2011, 9 AZN 1009/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry<br />
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217. Rechtsschutzbedürfnis, keine Klage auf<br />
Entgeltmitteilung an Krankenversicherungsträger<br />
Für eine Leistungsklage, mit der der Arbeitnehmer von seinem<br />
Arbeitgeber eine Korrektur von Entgeltmitteilungen gegenüber<br />
der Krankenkasse verlangt, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.<br />
Einwendungen gegen die Entgeltmitteilungen<br />
des Arbeitgebers und die auf deren Grundlage erfolgte<br />
Berechnung des Krankengeldes kann und muss der Arbeitnehmer<br />
im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Sozialversicherungsträger<br />
und ggf. vor dem Sozialgericht geltend machen.<br />
Denn im Verwaltungsverfahren hat der Sozialversicherungsträger<br />
den Sachverhalt gemäß § 20 SGB X von Amts wegen<br />
zu ermitteln und in eigener Zuständigkeit zu entscheiden,<br />
ob und ggf. in welcher Höhe dem Anspruchsteller Leistungen<br />
der Sozialversicherung zustehen (BSG, v. 12.12.1990 –<br />
11 RAr 43/88). Die Sozialversicherungsträger und die Sozialgerichte<br />
sind weder an die Angaben in einer Entgeltbescheinigung<br />
des Arbeitgebers noch an ein arbeitsgerichtliches Urteil<br />
gebunden.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 13.12.2011, 3 Sa 483/11<br />
218. Rechtsweg, arbeitsgerichtliche Zuständigkeit für<br />
Klagen gegen Gesellschafter und Rechtsnachfolger des<br />
Arbeitgebers<br />
Die durch § 3 ArbGG erweiterte Rechtswegzuständigkeit der<br />
Gerichte für Arbeitssachen umfasst auch die Haftung für arbeitsrechtliche<br />
Ansprüche aus eigenständigen Rechtsgrün-<br />
184<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 57 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
den. Dazu gehören insbesondere die Fälle, in denen der Arbeitnehmer<br />
den Gesellschafter seiner Arbeitgeberin (GmbH)<br />
im Wege der Durchgriffshaftung sowie gemäß § 826 BGB in<br />
Anspruch nimmt (BAG, v. 13.6.1997 – 9 AZB 38/96) und/oder<br />
eine Haftung für arbeitsrechtliche Ansprüche wegen Firmenfortführung<br />
(§ 25 HGB) geltend macht.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 7.2.<strong>2012</strong>, 3 Ta 2/12<br />
219. Rechtsweg, Arbeitnehmerbegriff, Organ im<br />
Eigenbetrieb, Bedeutung vertraglicher Vereinbarungen<br />
zum Arbeitsrechtsstatus<br />
Aus den Gründen:<br />
2. Gemäß den § 2 Abs. 1 Nr. 3, 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind die<br />
Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten<br />
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dabei<br />
richtet sich die Zuständigkeit für derartige Streitigkeiten<br />
über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses<br />
nach § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG.<br />
§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG steht der Zulässigkeit des beschrittenen<br />
Rechtswegs im vorliegenden Fall nicht entgegen.<br />
a) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten nicht als Arbeitnehmer<br />
in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit<br />
Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder<br />
Gesellschaftervertrages allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans<br />
zur Vertretung der juristischen Person oder der<br />
Personengesamtheit berufen sind. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG betrifft<br />
das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis.<br />
Dieses ist von der Organstellung zu unterscheiden. Die Bestellung<br />
und Abberufung als Vertretungsorgan sind ausschließlich<br />
körperschaftsrechtliche Rechtsakte. Durch sie werden<br />
gesetzliche oder satzungsmäßige Kompetenzen übertragen<br />
oder wieder entzogen. Dagegen ist die Anstellung zum<br />
Zweck des Tätigwerdens als Vertretungsorgan ein schuldrechtlicher<br />
Vertrag. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt<br />
unabhängig davon, ob das der Organstellung zugrunde liegende<br />
Rechtsverhältnis materiell-rechtlich ein freies Dienstverhältnis<br />
oder ein Arbeitsverhältnis ist. Auch wenn das Anstellungsverhältnis<br />
zwischen juristischer Person und Vertretungsorgan<br />
wegen starker interner Weisungsabhängigkeit als<br />
Arbeitsverhältnis anzusehen ist und deshalb dem materiellen<br />
Arbeitsrecht unterliegt, sind zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten<br />
aus dieser Rechtsbeziehung wegen § 5 Abs. 1<br />
Satz 3 ArbGG die ordentlichen Gerichte berufen. Nur dann,<br />
wenn die Rechtsstreitigkeit zwischen dem Mitglied des Vertretungsorgans<br />
und der juristischen Person nicht das der Organstellung<br />
zugrunde liegende Rechtsverhältnis, sondern<br />
eine weitere Rechtsbeziehung betrifft, greift die Fiktion des<br />
§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht ein (vgl. BAG, Beschl. v.<br />
6.5.1999 – 5 AZB 22/98 – AP Nr. 46 zu § 5 ArbGG 1979; BAG,<br />
Prozessuales<br />
Beschl. v. 20.8.20<strong>03</strong> – 5 AZB 79/02 – AP Nr. 58 zu § 5 ArbGG<br />
1979; BAG, Beschl. v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08 – AP Nr. 66 zu<br />
§ 5 ArbGG 1979).<br />
b) Sinn des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist es, Organe juristischer<br />
Personen oder gesetzliche Vertreter von Personengesamtheiten<br />
aus dem Geltungsbereich des Arbeitsgerichtsgesetzes<br />
auszunehmen, wenn sie einen Rechtsstreit mit den juristischen<br />
Personen oder Personengesamtheiten führen, der nach<br />
Zeit, Anlass, Rechtsgrund und Anspruchsträgerschaft von<br />
vornherein auf der Repräsentantenstellung der in § 5 Abs. 1<br />
Satz 3 ArbGG genannten Personen selbst beruht. Für solche<br />
„Hausstreitigkeiten" im Arbeitgeberbereich sollen die Gerichte<br />
für Arbeitssachen nicht zuständig sein. In diesen Fällen<br />
handelt es sich nicht um eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer, sondern um eine Streitigkeit im<br />
„Arbeitgeberlager", denn Personen, die Mitglieder des Vertretungsorgans<br />
der juristischen Person oder der Personengesamtheit<br />
sind, nehmen für diese Arbeitgeberfunktionen wahr.<br />
Sie sind der personifizierte Arbeitgeber (vgl. BAG, Beschl. v.<br />
20.8.20<strong>03</strong> – 5 AZB 79/02 – AP Nr. 58 zu § 5 ArbGG 1979).<br />
Aus diesem Grunde hat das Bundesarbeitsgericht in dem<br />
Beschl. v. 17.12.2008 – 5 AZB 69/08 (NZA-RR 2009, 330) – § 5<br />
Abs. 1 Satz 3 ArbGG im Falle des Ersten Werkleiters eines Eigenbetriebs<br />
einer Kommune nicht für anwendbar erachtet,<br />
weil der Eigenbetrieb ohne eigene Rechtspersönlichkeit errichtet<br />
war. Nach der Verordnung über die Eigenbetriebe der<br />
Gemeinden, die dort anwendbar war, leitete der Erste Werkleiter<br />
zwar die laufenden Geschäfte des Eigenbetriebs selbstständig<br />
und entschied in allen Angelegenheiten des Eigenbetriebs,<br />
soweit dies nicht anderen Organen vorbehalten war.<br />
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vertrat aber der<br />
Werkleiter die Kommune lediglich in den Angelegenheiten<br />
des Eigenbetriebs und nicht die Gemeinde als juristische Person<br />
im Sinne der von § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG geforderten umfassenden<br />
Zuständigkeit. Seine Vertretung bezog sich lediglich<br />
auf die Angelegenheiten der von der juristischen Person<br />
gebildeten Untereinheit „Eigenbetrieb", darüber hinaus in Abhängigkeit<br />
von den Weisungen des eigentlichen gesetzlichen<br />
Vertreters der Gemeinde. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts<br />
handelte es sich dabei nicht nur um eine im Hinblick<br />
auf § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unschädliche gegenständliche Beschränkung<br />
der Vertretungsbefugnis, sondern Werkleiter von<br />
Eigenbetrieben würden vielmehr nicht die Repräsentantenstellung<br />
einnehmen, die nach dem Zweck des § 5 Abs. 1 Satz<br />
3 ArbGG die Austragung eines Streits im Arbeitgeberlager vor<br />
den Gerichten für Arbeitssachen ausschließen solle.<br />
Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in dem Beschl. v.<br />
22.2.1999 – 5 AZB 56/98 – für den Rechtsstreits eines Theaterintendanten<br />
den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gemäß<br />
§ 5 ArbGG nicht für eröffnet gehalten. Dies beruhte aber darauf,<br />
dass dieser nach der Ausgestaltung seines Vertragsverhältnisses<br />
weder die persönliche Abhängigkeit eines Arbeitnehmers<br />
noch einer arbeitnehmerähnlichen Person hatte.<br />
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Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
Die Rechtsprechung des Zweiten Senats zu § 14 Abs. 1 Nr. 1<br />
KSchG (vgl. BAG, Urt. v. 17.1.2002 – 2 AZR 719/00 – AP Nr. 8<br />
zu § 14 KSchG 1969) hat der Fünfte Senat in dem Beschl. v.<br />
17.12.2008 – 5 AZB 69/08 (NZARR 2009, 330) – für unerheblich<br />
gehalten, weil es bei § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht darum<br />
gehe, ob eine der dort genannten Personen nicht als Arbeitnehmer<br />
zu gelten habe, sondern diese Personengruppe vom<br />
Geltungsbereich der Vorschriften des 1. Abschnitts des KSchG<br />
ausgenommen werde. Dies ist zutreffend, weil § 14 Abs. 1<br />
Nr. 1 KSchG in der Tat nicht das Grundverhältnis betrifft, sondern<br />
lediglich eine Ausnahme von Regelungen im Rahmen<br />
des Kündigungsschutzes statuiert.<br />
c) Der Eigenbetrieb Geolnformation hat im vorliegenden Fall<br />
auch keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern bei ihm handelt<br />
es sich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 des Gesetzes über<br />
den Eigenbetrieb Geolnformation Bremen – Eigenbetrieb des<br />
Landes Bremen (BremGeoG) vom 4.12.2001 (Brem.GBI, S. 385),<br />
§ 1 Abs. 1 des Bremischen Gesetzes für Eigenbetriebe und<br />
sonstige Sondervermögen des Landes und der Stadtgemeinden<br />
(BremSVG v. 24.11.2009, Brem.GBI, S. 505) – lediglich um<br />
ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Landes. Bei dem<br />
Eigenbetrieb handelt es sich also weder um eine juristische<br />
Person – auch nicht eine solche des öffentlichen Rechts – oder<br />
eine Personengesamtheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 3<br />
ArbGG, wie erforderlich wäre (vgl. BAG, Beschl. v. 20.8.20<strong>03</strong> –<br />
5 AZB 79/02, AP Nr. 58 zu § 5 ArbGG 1979).<br />
Nach § 7 Abs. 1 BremSVG leitet die Betriebsleitung den Eigenbetrieb<br />
selbstständig und unter eigener Verantwortung, soweit<br />
nicht durch dieses Gesetz oder andere gesetzliche Vorschriften<br />
etwas anderes bestimmt ist. Nach § 7<br />
Abs. 2 BremSVG entscheidet die Betriebsleitung über Einstellung,<br />
Eingruppierung und Entlassung der Arbeitnehmerinnen<br />
und Arbeitnehmer, Ernennung, Beförderung, Entlassung, Eintritt<br />
und Versetzung in den Ruhestand der Beamtinnen und<br />
Beamten sowie deren sonstige Personalangelegenheiten im<br />
Umfang der vom Senat übertragenen Befugnisse. Nach § 6<br />
Abs. 1 BremSVG vertritt die Betriebsleitung den Rechtsträger<br />
außergerichtlich und, wenn dies durch Errichtungsgesetz bestimmt<br />
ist, gerichtlich in Angelegenheiten des Eigenbetriebs.<br />
Nach § 12 Abs. 1 BremSVG übt die Aufsicht über den Eigenbetrieb<br />
das für den Aufgabenbereich des Eigenbetriebs zuständige<br />
Mitglied des Senats aus, wobei das Nähere durch das Errichtungsgesetz<br />
geregelt wird. Gemäß § 12 Abs. 2 BremSVG<br />
kann das für den Aufgabenbereich des Eigenbetriebs zuständige<br />
Mitglied des Senats, unbeschadet des Rechts des Senats,<br />
in personellen Angelegenheiten und Angelegenheiten, die<br />
für die gesamte Verwaltung von Bedeutung sind, <strong>Entscheidungen</strong><br />
zu treffen, der Betriebsleitung Weisungen erteilen.<br />
Entsprechend diesen gesetzlichen Regelungen ist im Brem-<br />
GeoG geregelt, dass der Eigenbetrieb durch einen Geschäftsführer<br />
geleitet wird. Nach § 4 Abs. 4 BremGeoG vertritt die Betriebsleitung<br />
die Freie Hansestadt Bremen in außergerichtlichen<br />
Angelegenheiten des Eigenbetriebs. Eine gerichtliche<br />
Vertretung ist jedoch nicht vorgesehen. Nach §6BremGeoG<br />
führt der Senator für Bau und Umwelt die Aufsicht über den<br />
Eigenbetrieb. Die Aufsicht umfasst insbesondere die ordnungsgemäße<br />
und wirtschaftliche Erfüllung der dem Eigenbetrieb<br />
nach diesem Gesetz obliegenden Aufgaben. Nach § 6<br />
Abs. 3 BremGeoG bedürfen der Zustimmung des Senators für<br />
Bau und Umwelt der Abschluss, die Änderung und die Kündigung<br />
von wichtigen Verträgen, insbesondere Drittunternehmerverträgen,<br />
aus denen langfristige Verpflichtungen und<br />
weitreichende finanzielle Auswirkungen ergeben können sowie<br />
Erfolg gefährdende Mehraufwendungen.<br />
Aus diesen Befugnissen des Geschäftsführers des Eigenbetriebs<br />
Geoinformation Bremen ist keine wie in § 5 Abs. 1 Satz<br />
3 ArbGG geforderte umfassende Zuständigkeit für die juristische<br />
Person des öffentlichen Rechts, die Beklagte, festzustellen.<br />
Der Kläger vertrat die Beklagte lediglich in Angelegenheiten<br />
der von der Beklagten als juristischer Person gebildeten<br />
Untereinheit „Eigenbetrieb", wobei er diese nicht einmal gerichtlich<br />
vertreten konnte. Er unterlag einer umfassenden Aufsicht<br />
durch den Senator für Bau und Umwelt, die sich auch<br />
tatsächlich in der Erteilung von Abmahnungen auswirkte. Der<br />
Abschluss, die Änderung und die Kündigung von wichtigen<br />
Verträgen unterlagen der Zustimmung des Senators für Bau<br />
und Umwelt, wobei das Gesetz dabei kein bestimmtes finanzielles<br />
Volumen nannte. Deshalb bleibt völlig unklar, wie weit<br />
die Zustimmungsbedürftigkeit der Verträge gehen sollte.<br />
Durch die Verweisung auf BremSVG, dort insbesondere § 12<br />
Abs. 2, kann das zuständige Mitglied des Senats in personellen<br />
Angelegenheiten und Angelegenheiten, die für die gesamte<br />
Verwaltung von Bedeutung sind, <strong>Entscheidungen</strong> treffen<br />
und der Betriebsleitung Weisungen erteilen. Auch hierdurch<br />
wurde die Vertretungsbefugnis des Klägers weitgehend<br />
eingeschränkt. Die Beklagte kann demgegenüber nicht auf<br />
die Anordnung des Senats zur Übertragung von dienstrechtlichen<br />
Befugnissen vom 7.12.1999 verweisen.<br />
Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob diese in der nunmehr<br />
vorliegenden Form bei Abschluss des Vertrages mit dem Kläger<br />
bereits bestand. Nach § 2 Abs. 11 der Anordnung kann<br />
das jeweilige Mitglied des Senats sich vorbehalten, die den<br />
Leiterinnen und Leitern der nachgeordneten Dienststellen,<br />
Einrichtungen und Betriebe übertragenen Befugnisse nach<br />
Art. 1 im Einzelfall selbst auszuüben. Zu Recht weist das Arbeitsgericht<br />
darauf hin, dass danach das Mitglied des Senats<br />
begründungslos die <strong>Entscheidungen</strong> an sich ziehen kann.<br />
Im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten ist der Kläger<br />
nicht mit einem Organ einer juristischen Person vergleichbar,<br />
das durch einen Aufsichtsrat oder Beirat kontrolliert wird. Aufsichtsrat<br />
oder Beirat sind Gremien, die nicht jederzeit eingreifen<br />
können, sondern zunächst darüber Beschlüsse fassen<br />
müssen. Darüber hinaus sind ihre Eingriffsmöglichkeiten regelmäßig<br />
genauer umschrieben. Zwar ist es richtig, dass die<br />
Einschränkung der Kompetenzen z.B. eines GmbH-Geschäftsführers<br />
nicht dazu führt, dass trotz einer Organstellung nach<br />
§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kein Ausschluss der Rechtswegzuständigkeit<br />
der Arbeitsgerichte erfolgt (vgl. BAG, Beschl. v.<br />
186<br />
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Rechtsprechung<br />
Prozessuales<br />
6.5.1999 – 5 AZB 22/98 – AP Nr. 46 zu § 5 ArbGG 1979). Aber<br />
derartige Kompetenzeinschränkungen betreffen nur das Innenverhältnis<br />
des organschaftlichen Vertreters, während die<br />
Kompetenzeinschränkungen im vorliegenden Fall sich auch<br />
auf das Außenverhältnis auswirken. Im Übrigen ändert dies alles<br />
nichts an dem Umstand, dass der Kläger die juristische Person<br />
des öffentlichen Rechts, das Land, nur in Bezug auf die<br />
Angelegenheiten der Untereinheit „Eigenbetrieb" vertreten<br />
konnte und nicht im Rahmen einer umfassenden Zuständigkeit<br />
für die juristische Person. Insoweit unterscheidet sich der<br />
Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG von § 14<br />
Abs. 1 Nr. 1 KSchG, der betriebsbezogen ist (vgl. BAG, Urt. v.<br />
17.1.2002 – 2 AZR 719/00 – AP Nr. 87 zu § 14 KSchG 1969).<br />
3. Da das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht kraft<br />
der gesetzlichen Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG der<br />
Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte entzogen ist,<br />
kommt es darauf an, ob der Kläger als Arbeitnehmer gemäß<br />
§ 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG einzuordnen ist. Dies ist der Fall.<br />
Zwar ist das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien in § 1<br />
des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages vom<br />
12.5.2006 als Dienstverhältnis bezeichnet worden. Aber § 2<br />
des schriftlichen Vertrages bestimmt unter der Überschrift<br />
„Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses", dass das Arbeitsverhältnis<br />
bürgerlich-rechtlicher Natur sei und auf das Arbeitsverhältnis<br />
der Bundesangestelltentarifvertrag keine Anwendung<br />
finden solle, soweit im Folgenden nichts anderes vereinbart<br />
sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />
ist zwar grundsätzlich nicht maßgeblich für die rechtliche Einordnung<br />
des Vertragsverhältnisses, wie die Parteien des Vertrages<br />
die Vertragsbeziehung bezeichnen, sondern maßgeblich<br />
ist der objektive Geschäftsinhalt. Wird der Vertrag abweichend<br />
von den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen<br />
vollzogen, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Zur<br />
Begründung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass<br />
durch Parteivereinbarung die Bewertung einer Rechtsbeziehung<br />
als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich<br />
des Arbeitnehmerschutzes nicht eingeschränkt<br />
werden könne (vgl. BAG, Urt. v. 20.7.1994 – 5 AZR 627/93 – AP<br />
Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Anders ist nach Auffassung<br />
des Bundesarbeitsgerichts aber die Rechtslage, wenn die Parteien<br />
ein Arbeitsverhältnis vereinbart haben. In dem Fall ist es<br />
auch als solches einzuordnen (vgl. BAG, Urt. v. 12.9.1996 – 5<br />
AZR 1066/94 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Freier Mitarbeiter;<br />
ebenso LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.4.20<strong>03</strong> – 2 Ta 216/<br />
<strong>03</strong>; LAG Nürnberg, Beschl. v. 22.10.2008 – 7 Ta 191/08). Danach<br />
ist aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung im schriftlichen<br />
Vertrag hinsichtlich der Rechtsnatur das Vertragsverhältnis<br />
zwischen den Parteien als Arbeitsverhältnis einzuordnen.<br />
Im Übrigen stimmt das Beschwerdegericht den Ausführungen<br />
des Arbeitsgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Einordnung<br />
des Klägers als Arbeitnehmer zu. Es ist darauf hinzuweisen,<br />
dass gerade bei Diensten höherer Art ein erhebliches<br />
Maß der Gestaltungsfreiheit gegeben sein kann, ohne dass<br />
Prozessuales<br />
deshalb die Eigenschaft als Arbeitnehmer beeinträchtigt wird<br />
(vgl. BAG, Beschl. v. 22.2.1999 – 5 AZB 56/98).<br />
■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />
vom 29.10.2010, 1 Ta 34/10<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Christian Brunssen<br />
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Tel.: 04231/30040, Fax: 04231/300450<br />
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220. Zwangsvollstreckung, Unzulässigkeitserklärung,<br />
mangelnde Bestimmtheit<br />
Aus den Gründen:<br />
2. Die Klage der Klägerin nach § 767 ZPO auf Unzulässigerklärung<br />
der Zwangsvollstreckung ist auch begründet.<br />
Dabei sind die von der Klägerin vorgebrachten materiellen<br />
Einwendungen weder zu prüfen, noch für die Entscheidung<br />
über die Klage von Bedeutung. Denn es fehlt bereits an einem<br />
vollstreckbaren Titel für die von dem Beklagten angedrohte<br />
Zwangsvollstreckung.<br />
a) Die Prüfung materieller Einwendungen im Rahmen einer<br />
Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO setzt grundsätzlich<br />
voraus, dass ein wirksamer und vor allem vollstreckungsfähiger<br />
Titel vorhanden ist. Vollstreckungsfähig ist ein<br />
Titel unter anderem nur dann, wenn er hinreichend bestimmt<br />
ist. Das Bestimmtheitserfordernis gilt dabei für den Titel, aus<br />
dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden soll. Das ist<br />
hier gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Vergleich vom<br />
24.1.2011. Dieser muss wie ein Urteilstitel nach § 704 ZPO aus<br />
sich heraus verständlich sein und auch für jeden Dritten erkennen<br />
lassen, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen<br />
kann. Inhalt und Umfang der Leistungspflicht müssen bezeichnet<br />
sein. Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende<br />
Zahlungsanspruch betragsmäßig festgelegt sein oder<br />
sich zumindest aus dem Titel ohne weiteres errechnen lassen.<br />
Notfalls hat das Vollstreckungsorgan den Inhalt des Titels<br />
durch Auslegung zu ermitteln. Dabei muss der Titel jedoch<br />
aus sich heraus für die Auslegung genügend bestimmt sein<br />
oder jedenfalls sämtliche Kriterien für seine Bestimmbarkeit<br />
eindeutig festlegen. Es genügt nicht, wenn auf Urkunden Bezug<br />
genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind,<br />
oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer<br />
Schriftstücke ermittelt werden kann (vgl. BHG, v. 6.11.1985 –<br />
IV b ZR 73/84, zit. nach juris; LAG Niedersachsen, v. 2.8.2007 –<br />
6 Sa 486/07, zit. nach juris; Hess. LAG, v. 12.3.2009 – 12 Ta 380/<br />
08, zit. nach juris).<br />
b) Diesen Anforderungen genügt Ziffer 2) des Vergleichstextes<br />
vom 24.1.2011, welcher den nachfolgend dargestellten Inhalt<br />
hat, nicht:<br />
„Die Beklagte zahlt für die Monate August, September und<br />
Oktober 2009 jeweils 2.275,00 EUR brutto zuzüglich 20,80 EUR<br />
Prämie sowie einen Arbeitgeberanteil zu vermögenswirksamen<br />
Leistungen in Höhe von 13,29 EUR abzüglich eventuell<br />
<strong>03</strong>/12 187
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 60 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Streitwert und und Gebühren<br />
übergegangener Ansprüche auf Sozialversicherungsträger<br />
oder sonstige öffentliche Träger."<br />
Denn der Regelung in Ziffer 2) des Vergleichstextes mit dem<br />
Vorbehalt „abzüglich eventuell übergegangener Ansprüche<br />
auf Sozialversicherungsträger oder sonstige öffentliche Träger“<br />
ist weder zu entnehmen, ob ein Anspruchsübergang auf<br />
Sozialversicherungsträger oder sonstige öffentliche Träger<br />
stattgefunden hat, noch, für den Fall dass ein solcher Anspruchsübergang<br />
stattgefunden hat, in welcher Höhe und für<br />
welche Zeiträume Ansprüche übergegangen sind, die die<br />
Zahlungsverpflichtung der Klägerin gegenüber dem Beklagten<br />
reduzieren. Ein solcher Titel ist mangels inhaltlicher Bestimmtheit<br />
nicht vollstreckbar (LAG Niedersachsen, v.<br />
2.8.2007 –6Sa486/07, zit. nach juris). Schon mangels Bestimmtheit<br />
der in Ziffer 2) des Vergleichs vom 24.1.2011 festgeschriebenen<br />
Zahlungsverpflichtung kann hieraus keine<br />
Zwangsvollstreckung betrieben werden.<br />
c) Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit und damit die Unzulässigerklärung<br />
der Zwangsvollstreckung kann auch im Rahmen<br />
von § 767 ZPO analog festgestellt werden (BGH, v.<br />
15.12.20<strong>03</strong> – II ZR 258/01, zit. nach juris; LAG Niedersachsen,<br />
v. 2.8.2007 – 6 Sa 486/07, a.a.O.). Ein schutzwürdiges Interesse<br />
des Schuldners, die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels zu beseitigen,<br />
besteht auch dann, wenn der Titel eine Unbestimmtheit<br />
aufweist.<br />
Nach all dem war der Klage der Klägerin stattzugeben.<br />
■ Arbeitsgericht Bielefeld<br />
vom 20.3.<strong>2012</strong>, 2 Ca 2402/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Heinz Gussen<br />
Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück<br />
Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920449<br />
info@drgussen.de<br />
Sonstiges<br />
221. PKH, Abzugsfähigkeit von Strom- und<br />
Rundfunkkosten<br />
Allgemeine Stromkosten und Rundfunkgebühren fallen unter<br />
den Freibetrag des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2a ZPO und sind<br />
daher nicht gesondert abzugsfähig.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 7.2.<strong>2012</strong>, 3 Ta 266/11<br />
222. PKH, Verwertung einer Kapitallebensversicherung,<br />
Wirtschaftlichkeit der Verwertung<br />
1. Grundsätzlich ist eine Kapitallebensversicherung für die<br />
Prozesskosten zu verwerten, soweit ihr durch Kündigung, Verkauf<br />
oder Beleihung erzielbarer Wert das Schonvermögen der<br />
Partei überschreitet.<br />
2. Der Verweis auf eine unwirtschaftliche Verwertung des Vermögens<br />
ist in der Regel aber nur dann gerechtfertigt, wenn<br />
nach der Verwertung noch ein das Schonvermögen deutlich<br />
übersteigendes Vermögen verbleibt.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 30.1.<strong>2012</strong>, 11 Ta 22/12<br />
Streitwert und Gebühren<br />
223. Einigungsgebühr; Anrechnung der<br />
Geschäftsgebühr, Rückwirkung des § 15a RVG;<br />
Entscheidung im Interesse der Einheitlichkeit der<br />
Rechtsprechung<br />
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach §§ 5–6 Abs. 2 Satz 1,<br />
33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />
übersteigt 200 EUR. Das Rechtsmittel ist formund<br />
fristgerecht eingelegt worden.<br />
Das Rechtsmittel der Landeskasse hat nur teilweise Erfolg.<br />
1. Das Rechtsmittel ist begründet, soweit es gegen die Festsetzung<br />
einer Einigungsgebühr gerichtet ist.<br />
a) Eine Einigungsgebühr fällt nach VV 1000 Abs. 1 RVG nicht<br />
an, wenn der Vertrag der Parteien sich ausschließlich auf ein<br />
Anerkenntnis beschränkt. Dies ist anzunehmen, wenn der Klageantrag<br />
und ein anschließend vor dem Arbeitsgericht abgeschlossener<br />
Vergleich inhaltlich identisch sind: Maßgeblich ist,<br />
ob der streitgegenständliche Anspruch materiell anerkannt<br />
wird:<br />
Hier hätten die Erklärung eines Anerkenntnisses des gestellten<br />
Klageantrags durch die Beklagte im Termin und ein daraufhin<br />
ergangenes Anerkenntnisurteil keine anderen Rechtswirkungen<br />
gehabt als der abgeschlossene Vergleich. Dies belegt,<br />
dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens den klageweise<br />
geltend gemachten Anspruch umfassend materiell anerkannt<br />
hat. Die dort verlangte Beschäftigung ist etwas Tatsächliches<br />
und deshalb stets nur mit Wirkung für die Zukunft,<br />
möglich. Die Konkretisierung des Beginns der Beschäftigung<br />
im Vergleich auf „mit sofortiger Wirkung", auf den sich der Antragsteller<br />
im Schriftsatz vom 28.10.2009 berufen hat, war<br />
deshalb überflüssig. Entgegen der Auffassung des Antragstellers<br />
war der Klageantrag insofern nicht ungenau. Das Gericht<br />
kann zur Beschäftigung immer nur mit Wirkung beginnend<br />
mit der gerichtlichen Entscheidung (im „Vergleich": „mit sofortiger<br />
Wirkung") verurteilen.<br />
Die Einigungsgebühr in Höhe von 133 EUR nebst der Umsatzsteuer<br />
war daher abzusetzen.<br />
2. Unbegründet ist das Rechtsmittel hingegen, soweit die Anrechnung<br />
einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr<br />
auf die Verfahrensgebühr verlangt wird. Eine solche ist nach<br />
§ 15a RVG ausgeschlossen.<br />
a) § 15a RVG ist auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar,<br />
obwohl die Beiordnung des Antragstellers im Ausgangsverfahren<br />
bereits vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung<br />
am 5.8.2009 erfolgte.<br />
188<br />
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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 61 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Streitwert und Gebühren<br />
Allerdings lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass den<br />
einschlägigen Neuregelungen des RVG keine Rückwirkung<br />
zukommt (vgl. nur Sächsisches LAG, v. 7.12.2009 – 4 Ta 211/<br />
09 (7); OLG Braunschweig, v. 10.9.2009 – 2 W 155/09 – MDR<br />
2010, 175; VG Minden, v. 29.12.2009 – 8 K 752/09.A – juris).<br />
Mittlerweile vertreten jedoch – bis auf den X. Senat – alle Senate<br />
des Bundesgerichtshofs die gegenteilige Auffassung.<br />
Nach der auf dem Internet-Auftritt des Bundesgerichtshofs<br />
veröffentlichten Übersicht sind beim X. Senat zudem keine<br />
entsprechenden Verfahren mehr anhängig. Auch haben mehrere<br />
Senate ausdrücklich erklärt, ein Vorgehen nach § 132<br />
GVG als „der Sache nicht angemessen" anzusehen (vgl. nur<br />
10.8.2010 – VIII ZB 15)10 – JurBüro 2011, 22 = AnwBI 2010,<br />
878). Es ist daher davon auszugehen, dass es im Bereich der<br />
ordentlichen Gerichtsbarkeit dabei verbleibt, dass der Neuregelung<br />
Rückwirkung beigemessen wird. Bei den Gerichten für<br />
Arbeitssachen stellt sich die aufgeworfene Frage wegen des<br />
Ausschlusses der Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines<br />
Prozessbevollmächtigten in der 1. Instanz – § 12a ArbGG<br />
ausschließlich im Rahmen der Vergütungsfestsetzung des beigeordneten<br />
Rechtsanwalts. In diesem Verfahren lässt sich eine<br />
höchstrichterliche Entscheidung nicht herbeiführen, §§ 56<br />
Abs. 2; 33 Abs. 4 Satz 3 RVG. Im Hinblick auf die gebotene Einheitlichkeit<br />
der Rechtsprechung für dieselbe Norm (vgl. BGH<br />
7.2.2011 – I ZB 95/09 – juris) stellt die Beschwerdekammer daher<br />
vorhandenen Bedenken gegen die Annahme zurück,<br />
§ 15a RVG gelte auch für Altfälle, und schließt sich der Auffassung<br />
des, Bundesgerichtshofs an.<br />
Konsequenterweise hat die Anwendung des § 15a RVG auf<br />
Altfälle auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55<br />
RVG zu erfolgen (OVG NRW, v. 11.8.2009 – 4 E 1609/08 – AGS<br />
2009, 447; OLG Düsseldorf, v. 7.9.2010 – II 10 WF 12/10 – Jur-<br />
Büro 2011, 301; OLG Köln, v. 31.10.2009 – 1-17 W 261/09, 17<br />
W 261/09 – AnwBl 2010, 145; FG Düsseldorf, v. 12.10.2009 –<br />
14 Ko 2495/09 KF – juris; ). Nach § 15a Abs. 1 RVG kann der<br />
Rechtsanwalt trotz Vorliegen einer Anrechnungsregelung im<br />
Grundsatz beide Gebühren fordern. Danach entsteht also<br />
auch die Verfahrensgebühr in voller Höhe. Die Auffassung der<br />
Landeskasse, die Verfahrensgebühr sei nicht in voller Höhe<br />
entstanden und der Antragsteller mache indirekt vorprozessuale<br />
Kosten geltend, lässt sich mit dem Inhalt des § 15a<br />
Abs. 1 RVG daher nicht vereinbaren. Die Verfahrensgebühr<br />
gehört folglich in ungeschmälerter Höhe zur gesetzlichen Vergütung<br />
des Rechtsanwalts i.S.d. § 45 Abs. 1 RVG, welche nach<br />
§ 55 RVG festzusetzen ist. Soweit die Landeskasse darauf verweist,<br />
§ 48 RVG sei bei der Neuregelung unverändert geblieben,<br />
geht dies an der Sache vorbei, da durch § 15a RVG klargestellt<br />
ist, dass die vorgeschriebene Anrechnung das Bestehen<br />
des Anspruchs nicht beeinträchtigen soll. Auch wäre die<br />
Erklärungspflicht über erhaltene Zahlungen nach § 55 Abs. 5<br />
Streitwert und Gebühren<br />
Satz 3 RVG überflüssig, wenn ohnehin eine Anrechnung erfolgen<br />
müsste.<br />
■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />
vom 6.10.2011, 13 Ta 790/09<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Joachim Sturm<br />
Rheinstahlstraße 36, 46236 Bottrop<br />
Tel.: 02041/22197, Fax: 02041/27405<br />
sturm@rechtsanwalt.com<br />
224. Streitwert, Beschwerde gegen Wertfestsetzung<br />
Die Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG ist nur zulässig, wenn<br />
der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt.<br />
Dies ist der Fall, wenn die Differenz zwischen den für den festgesetzten<br />
bzw. für den begehrten Gegenstandswert anfallenden<br />
Gebühren mehr als 200,– EUR beträgt. Der Berechnung<br />
der Gebührendifferenz sind allein die anfallenden anwaltlichen<br />
Gebühren nach Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, hingegen<br />
nicht die anfallenden Gerichtsgebühren nach § 3 GKG zugrunde<br />
zu legen.<br />
■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />
vom 27.1.<strong>2012</strong>, 1 Ta 285/11<br />
225. Streitwert im Beschlussverfahren, Freistellung<br />
Betriebsrat<br />
Der Gegenstandswert für den Antrag aus der Antragsschrift<br />
vom 4.5.2010 wird auf EUR 10.000,00 festgesetzt. (…)<br />
Gegenstand des zugrunde liegenden Beschlussverfahrens<br />
war der Antrag der Beteiligten zu 1) bis 4) auf Feststellung der<br />
Unwirksamkeit der Freistellungswahlen der Betriebsratsmitglieder<br />
vom 20.4.2010 und/oder 27.4.2010. Die Beteiligten zu<br />
1) bis 4) sind Mitglieder des Betriebsrats des Arbeitgebers.<br />
Der Betriebsrat besteht aus 13 Mitgliedern. Am 4.3.2010 haben<br />
Neuwahlen stattgefunden. Neben dem gesetzlichen Freistellungsanspruch<br />
nach § 38 BetrVG gewährt der Arbeitgeber<br />
zwei weitere Freistellungen, so dass dem Betriebsrat insgesamt<br />
vier Vollfreistellungen zur Verfügung stehen. Am<br />
20.4.2010 und am 27.4.2010 fand jeweils eine Freistellungswahl<br />
statt, die die Beteiligten zu 1) bis 4) angefochten haben.<br />
Nach Durchführung eines Mediationsverfahrens haben sich<br />
die Beteiligten auf die Verteilung der zur Verfügung stehenden<br />
Freistellungen geeinigt, so dass das Arbeitsgericht durch<br />
Beschl. v. 22.7.2011 das Verfahren eingestellt hat.<br />
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert nach Anhörung<br />
der Beteiligten durch Beschl. v. 15.7.2011 auf EUR 4.000,00<br />
festgesetzt. Gegen diesen ihnen am 22.7.2011 zugestellten<br />
Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten<br />
zu 5) mit Schriftsatz vom 4.8.2011, der am 5.8.2011<br />
beim Arbeitsgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.<br />
Zur Begründung haben sie ausgeführt, in Anlehnung an die<br />
Entscheidung des LArbG Hamburg vom 9.10.20<strong>03</strong> (4 Ta 12/<br />
<strong>03</strong> – juris) sei bei Anfechtungsverfahren von Betriebsratswahlen<br />
zunächst vom zweifachen Ausgangsstreitwert auszugehen,<br />
der sodann für jede Stufe der Staffel des § 9 BetrVG um<br />
<strong>03</strong>/12 189
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 62 von 68,<br />
Rechtsprechung<br />
Streitwert und und Gebühren<br />
den halben Ausgangswert erhöht werde. Diese Grundsätze<br />
seien auf das Anfechtungsverfahren für die Freistellungswahlen<br />
innerhalb des Betriebsratsgremiums übertragbar. Dem<br />
Umstand, dass eine Freistellungswahl vom Umfang her nicht<br />
an eine Betriebsratswahl heranreiche, sei dadurch Rechnung<br />
getragen worden, dass lediglich der einfache Ausgangsstreitwert<br />
zugrunde gelegt worden sei, so dass sich bei insgesamt<br />
vier Freistellungen ein Gegenstandswert in Höhe von EUR<br />
10.000,00 errechne. (…)<br />
2. Die Wertfestsetzung für den Antrag aus der Antragsschrift<br />
vom 4.5.2010 richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, wonach<br />
der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem<br />
Ermessen zu bestimmen ist. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG stellt<br />
eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften<br />
fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2<br />
RVG ist insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten<br />
bedeutsam, deren Wert auf anderem Wege nicht bestimmt<br />
werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen<br />
kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2<br />
RVG aber erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum<br />
Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus,<br />
dass auch die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen<br />
Streitgegenstandes im Vordergrund der Bewertung stehen<br />
muss (vgl. nur LArbG Hamm, Beschl. v. 23.3.2009 – 10 Ta 83/<br />
09 – LAGE § 23 RVG Nr. 14, m.w.N.).<br />
Mit Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass es<br />
sich bei dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der<br />
Freistellungswahlen vom 20.4.2010 und/oder vom 27.4.2010<br />
um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des<br />
§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt (vgl. nur LArbG Hamburg<br />
Beschl. v. 9.10.20<strong>03</strong> – 4 Ta 12/<strong>03</strong> – juris). Um ein fallübergreifendes<br />
System zu erhalten, welches im Hinblick auf die Bewertung<br />
der anwaltlichen Tätigkeit im Beschlussverfahren adäquate<br />
Abstufungen zulässt und es damit erlaubt, dem Einzelfall<br />
gerecht zu werden, kann für die Ausfüllung des Ermessensrahmens<br />
des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG die wirtschaftliche<br />
Bedeutung des Rechtsstreits für den Arbeitgeber bzw. für die<br />
Belegschaft aber nicht unberücksichtigt bleiben. Dabei ist allerdings<br />
auch der Grundtendenz des arbeitsgerichtlichen Verfahrens<br />
zu entsprechen, Kosten zu begrenzen (vgl. LArbG<br />
Hamm, Beschl. v. 23.3.2009 – 10 Ta 83/09 – LAGE § 23 RVG<br />
Nr. 14). In keinem Fall kann es – entgegen der Auffassung des<br />
Arbeitsgerichts – allerdings von Relevanz sein, dass Rechtsfragen<br />
eindeutig und ohne besonderen Aufwand zu beantworten<br />
sind, denn maßgeblich für die Bestimmung des Gegenstandswerts<br />
ist allein der Verfahrensgegenstand.<br />
Der Umstand, dass es sich bei dem Anfechtungsverfahren einer<br />
Freistellungswahl nach § 38 BetrVG um eine nichtvermögensrechtliche<br />
Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 RVG handelt,<br />
schließt nicht aus, sich an vergleichbaren Wertvorschriften<br />
zu orientieren. Der in der gesetzlichen Bestimmung genannte<br />
Betrag von EUR 4.000,00 ist kein Regelwert, sondern<br />
lediglich ein „Ausgangs"- oder „Anknüpfungswert", der nur<br />
dann heranzuziehen ist, wenn im jeweiligen Fall keine sonsti-<br />
gen Anknüpfungspunkte für die Wertfestsetzung ersichtlich<br />
sind.<br />
Vorliegend gibt es jedoch Anknüpfungspunkte, die ein Abweichen<br />
vom Ausgangswert rechtfertigen. Zutreffend haben<br />
die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 5) darauf<br />
hingewiesen, dass die Beschwerdekammer im Beschl. v.<br />
9.10.20<strong>03</strong> (4 Ta 12/<strong>03</strong> – juris) für die Anfechtung von Betriebsratswahlen<br />
eine Systematik für die Festsetzung des Gegenstandswerts<br />
entwickelt hat, die auch für die Anfechtung von<br />
Freistellungswahlen im Grundsatz anzuwenden ist. Danach<br />
bestimmt sich der Gegenstandswert bei Anfechtung einer Betriebsratswahl<br />
maßgebend nach der Betriebsgröße und der<br />
Anzahl der zu wählenden Arbeitnehmer, wobei hierbei entsprechend<br />
§ 9 BetrVG zu staffeln ist. Bei einem Wahlanfechtungsverfahren<br />
ist zunächst von einem zweifachen Ausgangsstreitwert<br />
auszugehen und für jede Stufe der Staffel des § 9<br />
BetrVG um den halben Ausgangswert zu erhöhen (vgl. Beschluss<br />
der Beschwerdekammer, v. 9.10.20<strong>03</strong>–4Ta12/<strong>03</strong> – juris).<br />
Bei einem Wahlanfechtungsverfahren betreffend die Freistellung<br />
von Betriebsratsmitgliedern ist jedoch darauf Bedacht zu<br />
nehmen, dass diese sowohl vom Umfang als auch von der<br />
wirtschaftlichen Bedeutung her nicht an eine Betriebsratswahl<br />
heranreicht, so dass für die Bewertung der Freistellung<br />
gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG für das erste der vier für die Freistellung<br />
zu wählenden Betriebsratsmitglieder der Ausgangswert<br />
von EUR 4.000,00 in Ansatz zu bringen ist und für jedes weitere<br />
zu wählenden Betriebsratsmitglied die Hälfte des Ausgangswerts<br />
(so bereits LArbG Hamburg, Beschl. v.<br />
16.10.2007 –3TaBV13/06 – nicht veröffentlicht), so dass sich<br />
ein Gegenstandswert für den Antrag aus der Antragsschrift<br />
vom 4.5.2010 in Höhe von EUR 10.000,00 errechnet. Der geringere<br />
Ansatz für die weiteren zu wählenden Betriebsratsmitglieder<br />
ist im Hinblick darauf gerechtfertigt und geboten, da<br />
für diese zusätzlicher tatsächlicher und rechtlicher Vortrag<br />
durch die Beteiligten nicht erfolgt ist, auch nicht zu erfolgen<br />
hatte und deshalb insoweit für die Verfahrensbevollmächtigten<br />
auch kein weiterer Arbeitsaufwand angefallen ist (vgl.<br />
LArbG Hamburg, Beschl. v. 16.10.2007 –3TaBV13/06 – nicht<br />
veröffentlicht).<br />
■ Landesarbeitsgericht Hamburg<br />
vom 6.2.<strong>2012</strong>, 4 Ta 35/11<br />
eingereicht durch Rechtsanwalt Jens Peter Hjort<br />
Kaemmererufer 20,223<strong>03</strong> Hamburg<br />
Tel.: 040/6965763, Fax: 040/2807493<br />
kanzlei@anwaelte-mkhb.de<br />
226. Streitwert, Wettbewerbsverbot<br />
Die Berufung ist offensichtlich unbegründet, weil das Amtsgericht<br />
zutreffend von einem Gegenstandswert von 40.407,60<br />
EUR ausgegangen ist.<br />
Soweit die Beklagte meint, der unstreitige Tatbestand des<br />
amtsgerichtlichen Urteils sei falsch, weil er enthalte, dass der<br />
190<br />
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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 63 von 68,<br />
Rezensionen<br />
ehemalige Arbeitgeber der Beklagten auf ein bestehendes<br />
Wettbewerbsverbot hingewiesen habe, obwohl dieses Wort<br />
in dem besagten Schreiben nicht erwähnt sei, ist zunächst darauf<br />
hinzuweisen, dass es der Beklagten oblegen hätte, gem.<br />
§ 320 ZPO Tatbestandsberichtigung zu beantragen.<br />
Da sie das nicht getan hat, erbringt der Tatbestand gem. § 314<br />
ZPO den Beweis für das mündliche Parteivorbringen, so dass<br />
davon auszugehen ist, dass die frühere Arbeitgeberin der Beklagten<br />
ein Wettbewerbsverbot geltend gemacht hat. Unabhängig<br />
davon hat sie das aber auch inhaltlich getan, ohne das<br />
Wort „Wettbewerbsverbot" ausdrücklich zu nennen. Mit dem<br />
Schreiben vom 5.8.2010 hat sie von der Beklagten begehrt, es<br />
zukünftig zu unterlassen, Mandanten anzusprechen und abzuwerben,<br />
was den Vorwurf eines wettbewerbswidrigen Verhaltens<br />
beinhaltet. Sie war offensichtlich der Auffassung, diesen<br />
Anspruch aus dem vormals bestehenden Anstellungsverhältnis<br />
gegen die Beklagte zu haben. Mit nichts anderem als<br />
der Frage, ob gesetzliche oder vertragliche Wettbewerbsverbote<br />
bestehen, hatte sich die Klägerin im Auftrag der Beklagten<br />
daher auseinanderzusetzen; diese Frage war Gegenstand<br />
ihres Mandates.<br />
Dass tatsächlich kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
vereinbart worden war, führt zu keiner anderen Beurteilung.<br />
Da die frühere Arbeitgeberin der Beklagten, wie bereits ausgeführt,<br />
offenbar davon ausging, vertragliche Unterlassungsansprüche<br />
gegen die Beklagte zu haben, bedurfte es auch insoweit<br />
der Prüfung und Darlegung durch die Klägerin. Der<br />
Sachverhalt und das dahinter stehende Interesse der Klägerin<br />
stellten sich mithin nicht anders dar, als wenn ein unwirksames<br />
nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart gewesen<br />
wäre. Für diesen Fall räumt jedoch auch die Beklagte in<br />
der Klageerwiderung unter Verweis auf die Entscheidung des<br />
LAG Düsseldorf v. 27.11.1980 (7 Ta 189/80) ein, dass sich dann<br />
der Streitwert nach der höchst möglichen geschuldeten Karenzentschädigung<br />
bemisst (so auch LAG Köln, Beschl. v.<br />
24.5.2005 – 6 Ta 145/05; LAG Berlin, Beschl. v. 28.5.20<strong>03</strong> – 17<br />
Ta 6046/<strong>03</strong>). Auch das LAG Nürnberg hat in seiner Entschei-<br />
dung v. 25.6.1999 (– 2 Ta 56/99) als Hilfswert auf die zu zahlende<br />
Karenzentschädigung zurückgegriffen. Die Kammer<br />
teilt diese Auffassung.<br />
Der Verweis auf die Entscheidung des LAG Thüringen vom<br />
8.9.1998 (– 8 Ta 89/98) verfängt nicht, weil die zur Entscheidung<br />
stehenden Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Dort<br />
ging es nicht um einen nachvertraglichen Wettbewerb, sondern<br />
um eine behauptete Wettbewerbstätigkeit während eines<br />
bestehenden Arbeitsverhältnisses. In derartigen Fällen<br />
kann auf eine Karenzentschädigung nicht für die Streitwertbemessung<br />
zurückgegriffen werden, weil sie überhaupt nicht<br />
im Raum steht.<br />
Das Interesse der Klägerin, das den Gegenstandswert bestimmt,<br />
ging mithin dahin, ein (tatsächlich nicht bestehendes)<br />
Wettbewerbsverbot dauerhaft gegen die Beklagte durchzusetzen.<br />
Da ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot allenfalls<br />
für die Dauer von zwei Jahren wirksam vereinbart werden<br />
kann und § 74 Abs. 2 HGB darlegt, dass ein solches nur verbindlich<br />
ist, wenn sich der Prinzipal zur Zahlung einer Karenzentschädigung<br />
mindestens in Höhe der Hälfte der zuletzt<br />
vom Handlungsgehilfen bezogenen vertragsmäßigen Leistungen<br />
verpflichtet, ist mit dem Amtsgericht und der Klägerin<br />
davon auszugehen, dass dieser Betrag dem Wert entspricht,<br />
den ein Unterlassen von Wettbewerb zumindest haben soll.<br />
Mithin ist mangels anderer Anhaltspunkte für das Interesse<br />
der früheren Arbeitgeberin der Beklagten der Jahresbruttoarbeitslohn<br />
der Beklagten als Gegenstandswert anzusetzen. Angesichts<br />
der Tatsache, dass die frühere Arbeitgeberin der Beklagten<br />
den Wettbewerb dauerhaft unterbinden wollte, kann<br />
nicht vermutet werden, dass sie sich im Fall der Vereinbarung<br />
eines Wettbewerbsverbotes mit weniger als dem gesetzlich<br />
Höchstzulässigen zufrieden gegeben hätte.<br />
■ Landgericht Magdeburg<br />
vom 5.12.2011, 2 S 449/11<br />
eingereicht von Rechtsanwalt Armin Rudolf<br />
Lüerstraße 3, 30175 Hannover<br />
Tel.: 0511/5389990, Fax: 0511/53899911<br />
hannover@ritter-gent.de<br />
Rezensionen<br />
Prof. Dr. Peter Conze / Prof. Dr. Svenja Karb<br />
Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst<br />
mit Lohnsteuerrecht, Sozialversicherungsrecht und<br />
Exkursen zum Beamtenrecht<br />
Verlag C.H.Beck, 3. Aufl. <strong>2012</strong>, Buch. XVI, 610 S., 43,00 EUR<br />
ISBN 978-3-406-62245-8<br />
Für die Kollegen, die sich mit dem Arbeits- und Tarifrecht des<br />
öffentlichen Dienstes befassen wollen und zu dieser eher ungeliebten<br />
Materie einen Zugang suchen, gibt es einen hervorragenden<br />
Einstieg: Den Conze/Karb. Wie auch das Personal-<br />
handbuch wendet sich der Conze/Karb nicht nur an Rechtsanwälte,<br />
sondern auch an Angestellte und Dienststellen des öffentlichen<br />
Dienstes, Personal- und Betriebsräte und Studierende.<br />
Die Autoren, beide Lehrende an der Fachhochschule<br />
des Bundes für öffentliche Verwaltung, legen daher großen<br />
Wert auf Verständlichkeit und Erläuterung der Strukturen. Bereits<br />
optisch fällt die Nähe zu Küttners Personalhandbuch auf<br />
und sie weist auch den Weg: Auch der Conze/Karb ist stichwortartig<br />
aufgebaut und enthält zu jedem Thema eine fundierte<br />
arbeitsrechtliche Erläuterung, versehen mit einem<br />
lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Exkurs und<br />
<strong>03</strong>/12 191
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 64 von 68,<br />
Rezensionen<br />
darüber hinaus mit einem oft sehr hilfreichen Blick ins Beamtenrecht.<br />
Das macht die oft nicht leicht verständliche Problematik<br />
des Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst gut fassbar<br />
und verständlich. Von A wie Abordnung über E wie Entgeltordnung<br />
und S wie Stufenaufstieg bis Z wie Zuweisung werden<br />
alle wesentlichen Aspekte angesprochen. Der Nutzer<br />
durchschaut nicht nur die Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />
der öffentlichen Tarifverträge auf Bundes-, Landesund<br />
kommunaler Ebene, sondern findet generell einen Einstieg<br />
zum Verständnis dieser Regelwerke. Die Ausführungen<br />
sind knapp und fundiert, dabei hoch aktuell: Selbst der Tarifabschluss<br />
im Bereich des Bundes und des kommunalen Bereichs<br />
sind eingearbeitet. Besonders ausführlich wird die<br />
Frage der Entgeltordnung behandelt, die es zwar im Bereich<br />
der Länder, nicht aber beim Bund und bei den Kommunen<br />
gibt. Die Erläuterungen zur Struktur dieser Vergütungsregelung<br />
und der Aufbau und Inhalt der einzelnen Teile sind sehr<br />
instruktiv.<br />
Im Vorwort des Conze/Karb heißt es, dass auch die 3. Auflage<br />
dazu beitragen will, schnell sichere Lösungen in der täglichen<br />
arbeitsrechtlichen Praxis des öffentlichen Dienstes zu finden.<br />
Das bringt es auf den Punkt: Genau das erreicht das Werk. Es<br />
ist uneingeschränkt zu empfehlen, da es Verständnis für die<br />
Materie schafft, die ein üblicher, auf den einzelnen Normen<br />
aufgebauter Kommentar oft nicht bieten kann, auch wenn er<br />
Rechtsprechung und Literatur vielleicht breiter und detaillierter<br />
darstellt.<br />
Thomas Zahn<br />
Rechtsanwalt, LL.M., Berlin<br />
Wolfgang Hromadka<br />
Arbeitsrecht für Vorgesetzte<br />
Verlag C.H. Beck, 3. Aufl. <strong>2012</strong>, 411 Seiten, 19,90 EUR<br />
ISBN 978-3-406-62363-9<br />
Das Berufsleben des Autors ist eine besonders glückliche Verbindung<br />
von Praxis und Theorie, war Prof. Dr. Dr. hc. Wolfgang<br />
Hromadka doch 17 Jahre lang leitend im Personal- und Sozialwesen<br />
von Großunternehmen tätig aber auch 18 Jahre Professor<br />
u.a. für Arbeitsrecht und zudem wissenschaftlicher Berater<br />
einer arbeitsrechtlich orientierten Anwaltskanzlei. Allerdings<br />
wendet sich der Autor nach der Verlagsveröffentlichung nicht<br />
an Rechtsanwälte, sondern unmittelbar an die Vorgesetzten in<br />
Wirtschaft und Verwaltung sowie Personalabteilungen (und<br />
an Betriebsräte!).<br />
Das Werk wird lediglich gerühmt, dem Vorgesetzten Grundwissen<br />
im Arbeitsrecht zu verschaffen und seinen Schwerpunkt<br />
auf Fragen der täglichen Praxis zu legen. Warum sollten<br />
sich also Rechtsanwälte, zumal arbeitsrechtlich erfahrene, dieses<br />
Buch zulegen?<br />
Erstens: Sie sollten wissen, von welchem arbeitsrechtlichen<br />
Wissensstand Sie Ihren Mandanten abholen. Zweitens und<br />
sehr viel wichtiger: Sie werden staunen, wie wenig Hintergrundwissen<br />
Sie von vielen arbeitsrechtlich bedeutsamen Fra-<br />
gen haben. Sie erfahren hier sozusagen, was Sie schon immer<br />
wissen wollten, aber nie zu fragen wagten, oder haben Sie<br />
etwa statistische Daten darüber, wie hoch der Krankenstand<br />
in welcher beruflichen Hierarchieebene ist? Natürlich geht jeder<br />
davon aus, dass viele Arbeitnehmer „krank feiern“ und unser<br />
Bauchgefühl sagt uns, dass das häufig montags oder freitags<br />
geschieht, aber können Sie das seriös belegen?<br />
Auch weiß jeder ganz allgemein von den Gefahren des Alkohols,<br />
aber haben Sie auch konkrete Fakten über die jeweiligen<br />
Auswirkungen der Alkoholisierungsstufen, die Häufigkeit von<br />
Betriebsunfällen unter Alkoholeinfluss, die regelmäßige Senkung<br />
der Kapazität der geschuldeten Arbeitsleistung? Selbstverständlich<br />
können Sie sich das alles auch aus dem Internet<br />
heraussuchen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass das deutlich<br />
länger dauert, als in einem Nachschlagwerk danach zu suchen,<br />
zumal ein solches, das gleich aus dem richtigen Blickwinkel<br />
die Informationen hergibt.<br />
Ein weiterer und wahrscheinlich der wichtigste Nutzen des<br />
Buches ist schließlich seine auch für Nichtjuristen verständliche<br />
Sprache. Unsere Mandanten sind meist keine Juristen. Leider<br />
gar nicht so selten hat der Rezensent ein trauriges Feedback<br />
seiner wohl formulierten, wissenschaftlich zutreffenden<br />
und alle Risiken umfassenden schriftlichen Erläuterungen. Der<br />
Anruf des Mandanten am nächsten Tag beginnt zwar mit Begeisterung,<br />
mündet aber bald in die Frage, ob man den Brief<br />
noch einmal mündlich erläutern könne, weil man den Inhalt<br />
doch nicht so ganz verstanden habe. Erklären Sie es mit Hromadka<br />
und solche Anrufe werden der Vergangenheit angehören.<br />
Also trotz der einschränkenden Werbeempfehlung: Dieses<br />
handliche Buch hat auch für Rechtsanwälte einen großen<br />
praktischen Nutzen.<br />
Dr. Hans-Georg Meier<br />
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />
Wolfdieter Küttner<br />
Personalbuch <strong>2012</strong><br />
Jürgen Röller (Hrsg.)<br />
Arbeitsrecht Lohnsteuerrecht Sozialversicherungsrecht<br />
Verlag C.H. Beck, 19. Aufl. München <strong>2012</strong>, 2829 Seiten,<br />
119,00 EUR<br />
ISBN 978-3-406-62400-1<br />
Wer sich einen weisen und erfahrenen Wegbegleiter im immer<br />
undurchsichtiger werdenden Dickicht des europäischen<br />
und deutschen Personalrechts-Dschungels wünscht, dem sei<br />
erneut das von Wolfdieter Küttner begründete und von Jürgen<br />
Röller herausgegebene Kompendium „Personalbuch <strong>2012</strong>“<br />
wärmstens empfohlen. Das Werk ebnet mittlerweile in der 19.<br />
Auflage mit seinen 472 Stichworten kompetent, übersichtlich<br />
und ausführlich den Weg durch die für Arbeitgeber und Personalfachleute<br />
oft unüberschaubar gewordenen „Personalrechtsgebiete“:<br />
dem Arbeitsrecht, dem Lohnsteuerrecht und<br />
dem Sozialversicherungsrecht. Dabei stehen dem Rechtsan-<br />
192<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 65 von 68,<br />
Rezensionen<br />
wender insgesamt 14 Fachautoren aus Anwalt- und Richterschaft<br />
und den einschlägigen Ministerien zur Seite, die nicht<br />
nur Jahr für Jahr die Instanzrechtsprechung praxisorientiert<br />
aufarbeiten, sondern auch die immer umfangreicher und prägender<br />
werdende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes<br />
auswerten und sehr anwenderfreundlich aufbereiten<br />
und wertvolle Hinweise auf vertiefende Literatur liefern.<br />
Jedes einzelne der alphabetisch lexikalisierten Stichwörter erfährt<br />
eine Dreiteilung in die Unterabschnitte Arbeitsrecht,<br />
Lohnsteuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Damit wird<br />
eine schnelle, problemorientierte Einarbeitung in viele sich in<br />
der Praxis stellende Fachfragen gewährleistet, bei deren Beantwortung<br />
gleichzeitig ein Zusammenhang mit den oft angrenzend<br />
verzahnten Rechtsgebieten ermöglicht wird. Jährlich<br />
werden die Stichworte an die neue Rechtslage angepasst.<br />
Die Neuauflage ist aktualisiert um die Stichworte „Betriebliches<br />
Eingliederungsmanagement“, „Freiwilligendienste“,<br />
„Lohnsteuerabzugsmerkmale“ und „Soziale Netzwerken“ und<br />
reagiert damit nicht nur auf die neuere Rechtsprechung zur<br />
krankheitsbedingten Kündigung und die gesetzgeberischen<br />
Aktivitäten im Bereich des Jugendfreiwilligendienstes, sondern<br />
auch auf arbeitsrechtliche Fragen, die im Zusammenhang<br />
mit dem Massenphänomen der umfassenden hauptsächlich<br />
privaten Nutzung sozialer Internetplattformen auftauchen.<br />
Darüber hinaus ist die derzeitige Auflage mit einem<br />
auf den 31.5.2013 beschränkten kostenfreien Online-Zugang<br />
ausgestattet, der einen Zugriff auf die unterjährige Aktualisierung<br />
der einzelnen Stichworte ebenso ermöglicht wie die<br />
Nutzung von Musterformularen zu bestimmten Stichwörtern<br />
(Arbeitsverträge, Abfindungsvereinbarungen, Sozialplan,<br />
etc.).<br />
Das Handbuch wird damit für alle Rechtsanwender – den Personaler<br />
ebenso wie den Rechtsanwalt und den Richter –, die<br />
Rechtsprobleme aus dem Personalwesen lösen müssen,<br />
schnell zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk und Leitfaden<br />
im praktischen Umgang mit den „Personalrechtsgebieten“.<br />
Dr. Claudia Voggenreiter<br />
Rechtsanwältin, Berlin<br />
Dr. Mark Lembke<br />
Arbeitsvertrag für Führungskräfte<br />
Verlag C.H. Beck, Beck’sche Musterverträge Band I, , 5. Aufl.<br />
<strong>2012</strong>, 246 S. incl. CD-Rom, 39,80 EUR<br />
ISBN 978-3-406-61016-5<br />
Die 5. Auflage dieses Werkes ist aus zweierlei Gründen einer<br />
erhebliche Neugestaltung, zum einen hat Mark Lembke die<br />
Bearbeitung von Peter Kopp übernommen, zum anderen war<br />
in der 4. Auflage das Schuldrechtsreformgesetz von 2002<br />
noch nicht zu berücksichtigen. Beide Neuerungen haben<br />
zwangsläufig zu einer grundlegenden Neuausrichtung geführt,<br />
zumal Mark Lembke auch über viel internationale Erfahrungen<br />
verfügt. Das ist gerade im Bereich der Führungskräfte<br />
vorteilhaft, werden Unternehmen doch in ständig steigendem<br />
Maße internationalisiert sowohl was die Besetzung von<br />
Führungspositionen betrifft als auch die von ausländischen<br />
Muttergesellschaften vorgegebene Führungskultur. Natürlich<br />
sind Regelungen zum Abschlussbonus (Sign-on-Bonus),<br />
Bleibe-Bonus (Retention-Bonus, Stay-Bonus) und Change-of-<br />
Control-Vereinbarungen schon lange bekannt, doch wächst<br />
die Breite ihrer Anwendung, so dass immer mehr Rechtsanwälte<br />
bei der Gestaltung solcher Vereinbarungen bzw. deren<br />
Überprüfung mitwirken. Da ist es überaus hilfreich, entweder<br />
auf Lembke’sche Vertragsvorschläge zurückzugreifen oder bei<br />
der Prüfung von Verträgen den Gefahrenhinweisen aus seinen<br />
zumeist ausführlichen Erläuterungen wertvolle Anregungen<br />
entnehmen zu können, um unzulässige Klauseln zu entdecken.<br />
Eine große Unterstützung für das Sekretariat ist natürlich die<br />
beigefügten CD-Rom.<br />
Für die Rechtsanwälte, die sich mit der Materie nicht so oft befassen,<br />
ist ein Werk dieser Güte unverzichtbar, auch dem Erfahrenen<br />
erleichtert es die Arbeit und es beruhigt, wenn man<br />
die eigenen Gestaltungsideen bei Lembke wiederfindet. Daher<br />
ist das Werk wärmstens zu empfehlen.<br />
Dr. Hans-Georg Meier<br />
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer<br />
Sozialgerichtsgesetz-Kommentar<br />
Verlag C.H.Beck, 10. Aufl. <strong>2012</strong>, Buch. XXVI, 1456 Seiten,<br />
85,00 EUR<br />
ISBN 978-3-406-62450-6<br />
<strong>2012</strong> ist die nunmehr 10. Auflage des „Meyer-Ladewig" erschienen,<br />
des wohl gängigsten SGG-Kommentars. Jeder sozialrechtlich<br />
tätige Rechtsanwalt wird diesen Praktikerkommentar<br />
in jeweils aktueller Auflage in seiner Bibliothek haben.<br />
Aber auch den Kollegen, die in der Sozialgerichtsbarkeit nicht<br />
originär zu Hause sind und nur ab und zu mit Verfahren vor<br />
den Sozialgerichten zu tun haben, sei dieser Kommentar ans<br />
Herz gelegt; man wird in aller Regel schnell fündig und kann<br />
eine verständliche, aber fachlich fundierte Kommentierung<br />
erwarten. Die jetzige Neuauflage erfüllt die Erwartungen um<br />
so mehr, als seit der letzten Auflage 4 Jahre verstrichen waren,<br />
in denen der Gesetzgeber und die – bis Ende 2011 eingearbeitete<br />
– Rechtsprechung nicht untätig waren. Daraus resultiert<br />
eine deutliche Erweiterung des Umfangs des Kommentars.<br />
Den „Meyer-Ladewig" zeichnet nach wie vor eine besondere<br />
Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit aus. Der Kommentar<br />
verzichtet weiterhin komplett auf einen Fußnotenapparat<br />
und strukturiert sich durch übersichtliche, nicht zu lang<br />
gehaltene Randziffern und durch die bewährten Hervorhebungen<br />
im Fettdruck. Diese Untergliederung wurde in der<br />
Neuauflage sogar noch verstärkt, was die punktgenaue Zitierfähigkeit<br />
noch stärker möglich macht. Die seit 2008 vorgenommenen<br />
Gesetzesänderungen sind hinter dem Abkür-<br />
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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 66 von 68,<br />
Impressum<br />
zungsverzeichnis tabellarisch unter Verweis auf geänderte<br />
SGG-Normen aufgeführt. Sie können daher ohne großes Suchen<br />
sofort nachvollzogen werden. Herzstück der Neuerungen<br />
ist sicherlich der neu eingeführte § 55a SGG, der ein Normenkontrollverfahren<br />
vor den Landessozialgerichten regelt,<br />
mit dem auch außerhalb des individuellen Rechtsschutzes<br />
kommunale Satzungen zu den Kosten der Unterkunft im Bereich<br />
des SGG II überprüft werden können. Hierzu ist es ausreichend,<br />
dass ein Mandant durch die Satzung in absehbarer<br />
Zeit in seinen Rechten verletzt sein könnte. Diese Möglichkeit<br />
wird sicherlich ein zunehmendes Betätigungsfeld im anwaltlichen<br />
Bereich bilden. Neu eingearbeitet und kommentiert<br />
wurde das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren<br />
und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren<br />
(insbesondere §§ 197a, 202 SGG), wobei es damit natürlich<br />
noch keine Erfahrungen gibt und die Kommentierung daher<br />
relativ allgemein bleiben muss. Angesichts der nicht selten<br />
jahrelangen Dauer sozialgerichtlicher Entscheidungsfindung<br />
darf man auf die Folgeauflage gespannt sein, wenn es erste<br />
Erfahrungen geben wird.<br />
Der „Meyer-Ladewig" ist und bleibt der Kommentar des ersten<br />
Zugriffs auf das SGG für jeden Praktiker. Man wird damit in der<br />
Regel jedes auftretende Problem praxisrelevant und zitierfähig<br />
lösen können. Das macht den Kommentar für einen<br />
Rechtsanwalt besonders wertvoll. Hilfreich ist das konsequente<br />
Abstellen auf die Rechtsprechung, bei dem wiederum<br />
die hohe Aktualität hervorzuheben ist. Wünschenswert wäre<br />
es lediglich, wenn die zitierten <strong>Entscheidungen</strong> durchgängig<br />
mit Aktenzeichen zitiert würden, um der anwaltlichen Zielgruppe<br />
das Auffinden insbesondere von BSG-<strong>Entscheidungen</strong><br />
zu erleichtern.<br />
Thomas Zahn<br />
Rechtsanwalt, LL.M., Berlin<br />
Impressum<br />
AE-<strong>Arbeitsrechtliche</strong> <strong>Entscheidungen</strong><br />
Herausgeber, Chefredaktion- und Anschrift:<br />
Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier<br />
Tauentzienstraße 11<br />
10789 Berlin<br />
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E-Mail: m.bendel@advocati.de<br />
Redaktion:<br />
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Kanzlei gross::rechtsanwälte<br />
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50670 Köln<br />
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www.rpo-rechtsanwaelte.de<br />
und die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DeutschenAnwaltverein<br />
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Anne Krauss<br />
Satz<br />
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Druck<br />
Hans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen<br />
Erscheinungsweise<br />
Die AE erscheint vierteljährlich<br />
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Inland € 102,– (zzgl. Versand)<br />
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Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die<br />
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Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge – auch die bearbeiteten<br />
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Manuskripte<br />
Die AE beinhaltet aktuelle arbeitsrechtliche <strong>Entscheidungen</strong> sowie Beiträge<br />
für die Anwaltspraxis. Manuskripte sind an die Redaktionsanschrift<br />
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194<br />
<strong>03</strong>/12
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 67 von 68,<br />
Stichwortverzeichnis<br />
Stichwortverzeichnis<br />
(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der <strong>Entscheidungen</strong>)<br />
Abberufung<br />
Abfallbeauftragter – 185<br />
AGB-Kontrolle<br />
Tarifwechselklausel – 186<br />
Transparenzgebot – 162<br />
AGG<br />
Altersdiskriminierung – 207<br />
Geschlechtsdiskriminierung – 166<br />
Schwerbehinderung – 163, 164, 165<br />
Sozialplan – 207<br />
Aktenlageentscheidung<br />
Güteverhandlung – 213<br />
Änderungskündigung<br />
Tarifwechsel – 186<br />
Zumutbarkeit – 187<br />
Annahmeverzug<br />
Leiharbeit – 173<br />
Minderstunden – 168<br />
Arbeitnehmerstatus<br />
Cutterin – 167<br />
Dienstplanfreiheit – 167<br />
Programmgestaltung – 16<br />
vertragliche Vereinbarung – 219<br />
Arbeitsverweigerung<br />
Prozessarbeitsverhältnis – 2<strong>03</strong><br />
Arbeitszeit<br />
Annahmeverzug – 168<br />
arbeitsfreie Zwischenzeit – 209<br />
Arbeitszeitkonto – 168<br />
Minderstunden – 168<br />
Aufhebungsvertrag<br />
Anfechtung – 188, 189<br />
Auflösungsurteil<br />
Urlaubsanspruch – 177<br />
Ausgleichsklausel<br />
Auslegung – 169<br />
Betriebliche Altersversorgung – 169<br />
Auslegung<br />
Ausgleichsklausel – 169<br />
Tarifvertrag – 208<br />
Außerordentliche Kündigung<br />
außerdienstliches Verhalten – 196<br />
Beleidigung – 190, 195<br />
Schwerbehinderter – 193<br />
Verdacht – 194<br />
Wettbewerbsverbot nach Kündigung – 191, 192<br />
Whistleblowing – 194<br />
Aussetzung<br />
Ermessen – 214<br />
Tariffähigkeit – 212<br />
AVR<br />
Erwerbsminderung, Weiterbeschäftigung – 11<br />
Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />
Eigenart der Tätigkeit – 198<br />
Kombination mit/ohne Sachgrund – 197<br />
Rundfunk – 198<br />
Unklare Regelung – 197<br />
Beschlussverfahren<br />
einstweilige Verfügung – 205<br />
Unterlassungsanspruch – 205<br />
Betriebliche Altersversorgung<br />
Berechnung – 71<br />
Zusage – 170<br />
Betriebliche Übung<br />
Urlaub – 178<br />
Betriebsbedingte Kündigung<br />
unternehmerische Entscheidung – 199<br />
Betriebsrat<br />
Unterlassungsanspruch – 205<br />
Beweis<br />
Quittung – 215<br />
Direktionsrecht<br />
Feststellungsantrag – 172<br />
Konkretisierung der Tätigkeit – 172<br />
Eingruppierung<br />
Gebäudereiniger – 208<br />
Einigungsgebühr<br />
Anerkenntnis – 283<br />
Einigungsstelle<br />
Scheitern der Verhandlungen – 204<br />
Einstweilige Verfügung<br />
Beschlussverfahren – 205<br />
Urlaub – 180<br />
Erwerbsunfähigkeitsrente<br />
Mindesturlaub – 176<br />
Feststellungsinteresse<br />
Tarifvertrag, Wirksamkeit – 210<br />
<strong>03</strong>/12 195
ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 68 von 68,<br />
Stichwortverzeichnis<br />
Feststellungsklage<br />
Direktionsrecht – 172<br />
Gebäudereinigerhandwerk<br />
arbeitsfreie Zwischenzeit – 209<br />
Eingruppierung – 208<br />
Geschäftsgebühr<br />
Anrechnung – 223<br />
Geschäftsunfähigkeit<br />
alkoholbedingte – 189<br />
Integrationsamt<br />
Prüfung der Kündigungsgründe – 193<br />
Krankheitsbedingte Kündigung<br />
betriebliche Auswirkungen – 200<br />
betriebliches Eingliederungsmanagement – 201<br />
negative Prognose – 200<br />
Kündigung<br />
siehe auch unter betriebsbedingte-, krankheitsbedingte-, verhaltensbedingte,<br />
außerordentliche und personenbedingte –<br />
Änderungskündigung – siehe dort<br />
Leiharbeit<br />
Annahmeverzug – 173<br />
Mobbing<br />
Aufgabenentzug – 171<br />
Schmerzensgeld – 174<br />
Voraussetzungen – 174<br />
Nichtzulassungsbeschwerde<br />
rechtliches Gehör – 216<br />
Personalrat<br />
Privatisierung – 206<br />
Prozesskostenhilfe<br />
Freibetrag – 221<br />
Verwertungspflicht – 222<br />
Quittung<br />
Beweiskraft – 215<br />
Rechtsmissbrauch<br />
Verwirkung – 184<br />
Rechtsweg<br />
Durchgriffshaftung – 218<br />
Organ im Eigenbetrieb – 219<br />
Rückwirkung<br />
Sonderurlaub – 175<br />
Sonderurlaub<br />
Freistellungsvorbehalt – 182<br />
Rückwirkungsgrund – 175<br />
vorzeitige Beendigung – 175<br />
Sozialplan<br />
Altersdiskriminierung – 207<br />
Streitwert<br />
Beschlussverfahren – siehe dort<br />
Wettbewerbsverbot – 226<br />
Streitwert im Beschlussverfahren<br />
Freistellung – 225<br />
Streitwertfestsetzung<br />
Beschwerdebefugnis – 224<br />
Tarifvertrag<br />
Auslegung – 208<br />
Gebäudereinigerhandwerk – 208, 209<br />
Herausfallen – 208<br />
Wirksamkeit – 210<br />
Urlaubsanspruch<br />
Abgeltung – 179<br />
Erwerbsunfähigkeitsrente – 16<br />
einstweilige Verfügung – 180<br />
Kürzung wegen Krankheit – 181<br />
Sonderurlaub – siehe dort<br />
Übertragungsanspruch – 178<br />
Verfall – 177<br />
Verdachtskündigung<br />
Anforderungen – 194<br />
Vergütungsanspruch<br />
Verwirkung – 184<br />
Verhaltensbedingte Kündigung<br />
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – 202<br />
Arbeitsverweigerung – siehe dort<br />
außerdienstliches Verhalten – 196<br />
Beleidigung – 195<br />
Nebenpflichtverletzung – 202<br />
Schmähkritik – 195<br />
Verspätetes Vorbringen<br />
Berufungsinstanz – 189<br />
Verzögerung – 189<br />
Verwirkung<br />
Vergütungsansprüche – 184<br />
Zurückverweisung<br />
ans Arbeitsgericht – 213<br />
Zurückweisung<br />
verspätetes Vorbringen – 189<br />
Zwangsvollstreckung<br />
Bestimmtheitserfordernis – 220<br />
Unzulässigkeit – 210<br />
196<br />
<strong>03</strong>/12