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Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2012-03

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 1 von 68,<br />

Editorial<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

liebe Leserinnen und Leser,<br />

erneut könnte man den Eindruck gewinnen, dass AGG-Verfahren im Trend liegen<br />

und eine Vielzahl von Gerichten beschäftigen. So veröffentlichen wir, wie<br />

schon im vorangegangenen Heft der AE, einige <strong>Entscheidungen</strong> insbesondere<br />

zu Entschädigungen öffentlicher Kommunen, die schwerbehinderte Bewerber<br />

im Auswahlverfahren nicht berücksichtigt hatten (VGH B-W Nr. 165 –<br />

am selben Tag vier gleichlautende <strong>Entscheidungen</strong> mit demselben Kläger,<br />

derselbe Kläger auch LAG B-W Nr. 164; s. aber auch ArbG Leipzig Nr. 174). Bei<br />

genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass die Verfahren fast durchweg einen<br />

Kläger betreffen. Dies ist kein AGG-Hopper, sondern nur ein schwerbehinderter<br />

Mensch, der auch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben will und der,<br />

mit anwaltlicher Vertretung konsequent die ihm zustehenden Rechte einfordert.<br />

Kommunen, nicht nur in der süddeutschen Provinz, könnten ihre Haushalte<br />

schonen, wenn sie, ggf. auch mit anwaltlicher Beratung, ihre Bewerbungsverfahren<br />

konsequent gesetzesgemäß ausgestalten und schwerbehinderte<br />

Bewerber bei Eignung zum Vorstellungsgespräch einladen würden.<br />

Über Schikanen am Arbeitsplatz, die ungeachtet des sozialen Status stattfinden<br />

– hier ein habilitierter Oberarzt –, wird nicht allzu oft entschieden; es<br />

dürfte eine große Dunkelziffer geben, denn sog. Mobbingopfer sind schon<br />

gesundheitlich oft nicht mehr in der Lage, die Belastungen eines Verfahrens<br />

durchzustehen. Umso bemerkenswerter erscheint eine Entscheidung wie die<br />

des Arbeitsgerichts Leipzig (Nr. 173), das versucht hat, Kriterien zur Bemessung<br />

des Schmerzensgeldes zu finden. Die Anknüpfung an § 1a KSchG ist allerdings<br />

problematisch, denn dies unterstellt einen Beendigungsstreit. Tatsächlich<br />

bedarf es einer Steuerung durch das Unternehmens-Management,<br />

damit systematische Schikanen effektiv verhindert werden – es kann schließlich<br />

jeden treffen.<br />

Übrigens: Das Verfahren dauerte einschließlich zwischenzeitlicher, durchaus<br />

hilfreicher Mediation allein in der ersten Instanz über 4 Jahre – die Verfolgung<br />

eines bloßen Anspruchs auf vertragsgemäße Beschäftigung über einen solchen,<br />

überaus langen Zeitraum grenzt an Rechtsverweigerung. Noch vor Ablauf<br />

der Berufungseinlegungsfrist konnte der Schmerzensgeldbetrag einvernehmlich<br />

um ca. 50 % gegenüber dem durchaus beachtlichen Verurteilungsbetrag<br />

auf 78.000 EUR angehoben und ein abschließender (Beendigungs-!)<br />

Vergleich geschlossen werden. Das Mobbingopfer hatte zwischenzeitlich eine<br />

neue Anstellung und seine alte, ausgezeichnete, persönliche und fachliche<br />

Performance (wieder-)gefunden; in die Mobbingstruktur wollte es nicht mehr<br />

zurück.<br />

Die Auseinandersetzung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, also die<br />

bloße Feststellung, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung „hinreichende<br />

Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint“ (§ 114 ZPO), erfordert<br />

mittlerweile oft einen Argumentationsaufwand, der im nachfolgenden<br />

Hauptsacheverfahren kaum noch gesteigert werden kann. Lichtblick, wenn<br />

auch nicht unter Vergütungsgesichtspunkten, kann es dann sein, wenn vom<br />

Obergericht das Eingangsgericht einige unmissverständliche Hinweise zur<br />

Rechtslage bekommt. So z.B. hinsichtlich einer kritischen Anmerkung einer<br />

Telefonkundin über einen Anbieter in facebook – bei dem sie allerdings auch<br />

beschäftigt ist (so BayVGH 195). Der Leser möge daran denken: Es ging (noch)<br />

„nur“ um die Bewilligung von PKH für einen Kündigungsschutzrechtsstreit.<br />

<strong>03</strong>/12 129


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 2 von 68,<br />

Editorial<br />

Ein Thema für die Zukunft: Viele Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit „experimentieren“<br />

mit dem elektronischen Rechtsverkehr; in einigen Bundesländern<br />

ist er offiziell bereits eingeführt, andere befinden sich in Testphasen, reduziert<br />

auf einen allenfalls elektronischen Posteingang, der auch von den teilnehmenden<br />

Anwälten zusätzlich die Schriftsatzübermittlung per Normalpost erfordert.<br />

Nirgends wird workflow zwischen Anwälten und Gerichten koordiniert;<br />

Maßstab sind ausschließlich Gerichtsanforderungen. Kein Wunder, dass<br />

Akzeptanz und Beteiligung bei Anwälten knapp über Null liegen. Dies wird<br />

sicherlich nicht gesteigert, wenn von Gerichten, wie jüngst von dem Sächsischen<br />

LAG, auch noch Risikosteigerungen durch erhöhte Anforderungen gesetzt<br />

werden:<br />

„Uns ist bekannt, dass die wohl herrschende Meinung in der Literatur auf der<br />

Grundlage einer Entscheidung des BFH vom 18.10.2006 – XI R 22/06 – zitiert<br />

nach juris, Nr. 39 eine gegenteilige Auffassung vertritt. Die Entscheidung des<br />

BFH enthält jedoch keine vertiefte Begründung und wird dem aus unserer<br />

Sicht eindeutigen Gesetzeswortlaut sowie der Unterschriftsfunktion der Signatur<br />

nicht gerecht.<br />

Vor diesem Hintergrund erlaube ich mir die Empfehlung, zur Vermeidung von<br />

Rechtsnachteilen im Rahmen des Regelbetriebs ab dem 1.7.<strong>2012</strong> jeweils<br />

(auch) den Anhang zu signieren, der den maßgeblichen Schriftsatz enthält.“<br />

(aus einer Stellungnahme der Richterschaft des LAG Chemnitz vom<br />

28.6.<strong>2012</strong>).<br />

Das zur Verfügung gestellte und zwingend zur Nutzung vorgeschriebene Programm<br />

EGVP sieht aber nur die beanstandete Containersignatur vor. Damit<br />

hat die Anwaltschaft sowohl ein technisches wie vor allem auch ein rechtliches<br />

Problem. Man müsste die Finger davon lassen – nur ist das perspektivisch<br />

auch keine Lösung. Vielleicht sollte man – zur Risikominimierung – parallel<br />

zur EGVP-Post stets vorsorglich auch faxen.<br />

Mut machend: Das BAG bietet ebenfalls EGVP an und unterstützt, nach bisherigen<br />

Erfahrungen, konstruktiv und kritisch die teilnehmenden Anwälte. Noch<br />

nutzerfreundlicher übrigens: europäische Gerichte und Behörden. Warum<br />

geht es dort, aber nicht in der deutschen Provinz? Tatsächlich lässt sich nur<br />

gemeinsam von Gerichten und Anwaltschaft der elektronische Rechtsverkehr,<br />

der diese Bezeichnung verdient, gestalten.<br />

Eine Bitte: Übermitteln Sie der Redaktion Ihre Erfahrungsberichte und Eindrücke<br />

vom elektronischen Rechtsverkehr und seinen Vorstadien. Wir versuchen,<br />

die Entwicklung zu begleiten.<br />

Danke für die Einsendung von <strong>Entscheidungen</strong> durch unsere Leser.<br />

Bleiben Sie dabei. Die <strong>Entscheidungen</strong><br />

mögen allen nutzen!<br />

Leipzig, im Juli <strong>2012</strong><br />

Mit freundlich-sommerlichen und<br />

kollegialen Grüßen<br />

Ihr<br />

Roland Gross<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />

Arbeitsrecht<br />

130<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 3 von 68,<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

Einsenderliste 132<br />

Beitrag<br />

Dr. Hans-Georg Meier, Chefredakteur missbraucht die AE? 133<br />

Dr. Hans-Georg Meier, Rechtsschutzversicherungen – Mandatsverteilung: ein hausgemachtes Problem der Anwaltschaft?<br />

133<br />

Inhaltsverzeichnis der <strong>Entscheidungen</strong> 135<br />

<strong>Entscheidungen</strong> 137<br />

Allgemeines Vertragsrecht 137<br />

Bestandsschutz 156<br />

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht 175<br />

Tarifrecht 177<br />

Prozessuales 180<br />

Sonstiges 188<br />

Streitwert und Gebühren 188<br />

Rezensionen 191<br />

Conze/Karb, Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst 191<br />

Hromadka, Arbeitsrecht für Vorgesetzte 192<br />

Küttner, Personalbuch <strong>2012</strong> 192<br />

Lemke, Arbeitsvertrag für Führungskräfte 193<br />

Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz-Kommentar 193<br />

Impressum 194<br />

Stichwortverzeichnis 195<br />

<strong>03</strong>/12 131


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 4 von 68,<br />

Liste der AE-Einsender<br />

Liste der AE-Einsender<br />

AE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele <strong>Entscheidungen</strong> aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank und Lob diejenigen, die sich um die AE<br />

besonders verdient gemacht haben.<br />

Einsender mit mehr als 40 <strong>Entscheidungen</strong><br />

Bauer Bertram Ansbach<br />

Berrisch Hansjörg Gießen<br />

Graumann Ingo Iserlohn<br />

Mansholt Werner Darmstadt<br />

Puhr-Westerheide Christian Duisburg<br />

Schrader, Dr. Peter Hannover<br />

Einsender mit mehr als 20 <strong>Entscheidungen</strong><br />

Brötzmann, Dr. Ulrich Mainz<br />

Franzen Klaus-Dieter Bremen<br />

Gussen, Dr. Heinrich Rheda-Wiedenbrück<br />

Hilligus Kurt-Jörg Neustadt i.Holst.<br />

Höser, Dr. Jürgen Frechen<br />

Kelber, Dr. Markus Berlin<br />

Koch, Dr. Friedemann Berlin<br />

Link Jochen Villingen<br />

Lodzik Michael Darmstadt<br />

Müller Steffen Iserlohn<br />

Neef, Prof. Dr. Klaus Hannover<br />

Rütte Klemens Hamm<br />

Schmitt Jürgen Stuttgart<br />

Seidemann, Dr. Gisbert Berlin<br />

Tschöpe, Dr. Ulrich Gütersloh<br />

Weberling, Prof. Dr. Johannes Berlin<br />

Zeißig, Dr. Rolf Berlin<br />

Einsender mit mehr als 10 <strong>Entscheidungen</strong><br />

Banse, Dr. Thomas Düren<br />

Bauer Dietmar Wiehl<br />

Behrens Walter Hamburg<br />

Chaudry Ijaz Frankfurt/M.<br />

Clausen Dirk Nürnberg<br />

Cornelius Astrid Darmstadt<br />

Dribusch Bernhard Detmold<br />

Faecks Friedhelm Marburg<br />

Geus Franz Schweinfurt<br />

Gosda Ralf Ahlen<br />

Gravenhorst, Dr. Wulf Düsseldorf<br />

Heinemann Bernd St. Augustin<br />

Hertwig, Dr. Volker Bremen<br />

Hesse, Dr. Walter Berlin<br />

Jung Nikolaus Oberursel<br />

Krügermeyer-<br />

Kalthoff Rolf Köln<br />

Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.<br />

Lampe, Dr. Christian Berlin<br />

Matyssek Rüdiger Ratingen<br />

Müller-Knapp Klaus Hamburg<br />

Müller-Wiechards Wolfram Lübeck<br />

Pauly, Dr. Stephan Bonn<br />

Peter Michael Bad Honnef<br />

Schäder, Dr. Gerhard München<br />

Schaefer Rolf Hannover<br />

Schmalenberg, Dr. Werner Bremen<br />

Schramm Joachim Lübbecke<br />

Schulz, Dr. Georg R. München<br />

Sparla Franz Aachen<br />

Straub, Dr. Dieter München<br />

Thiele Volker Düren<br />

Weber Axel Frankfurt/M.<br />

Zahn Thomas Berlin<br />

Einsender mit 5–9<strong>Entscheidungen</strong><br />

Beckmann Paul-Werner Herford<br />

Böse Rainer Essen<br />

Brammertz, Dr. Dieter Aachen<br />

Clemens, Dr. Susanne Gütersloh<br />

Crämer Eckart Dortmund<br />

Daniels Wolfgang Berlin<br />

Eckert, Dr. Helmut Offenbach<br />

Fischer Ulrich Frankfurt/Main<br />

Fromlowitz Horst Essen<br />

Gehrmann Dietrich Aachen<br />

Goergens Dorothea Hamburg<br />

Greinert, Jaqueline Kassel<br />

Grimm, Dr. Detlev Köln<br />

Heimann Marco Cham<br />

Hennige, Dr. Susanne Gütersloh<br />

Herbert, Dr. Ulrich Coburg<br />

Hjort Jens Hamburg<br />

Karle Gerd Balingen<br />

Keller Thomas München<br />

Kern Jan H. Hamburg<br />

Kistner Heinz Hannover<br />

Krafft Alexander Öhringen<br />

Kühn Stefan Karlsruhe<br />

Kunzmann, Dr. Walter Euskirchen<br />

Matissek Reinhard Kaiserslautern<br />

Pouyadou, Dr. Richard M. Augsburg<br />

Preßer Wolfgang Neunkirchen<br />

Pütter, Dr. Albrecht Flensburg<br />

Richter Klaus Bremen<br />

Richter, Dr. Hanns-Uwe Heidelberg<br />

Schäfer Dieter Essen<br />

Schipp, Dr. Johannes Gütersloh<br />

Schneider-Bodien Marcus Düsseldorf<br />

Striegel Bernhard Kassel<br />

Struckhoff Michael H. München<br />

Sturm Joachim Bottrop<br />

Theissen-<br />

Graf Schweinitz Ingo Hagen<br />

Thieme Hans Frankfurt/M.<br />

Thon Horst Offenbach<br />

Vrana-Zentgraf Silke Darmstadt<br />

Zirnbauer Ulrich Nürnberg<br />

132<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 5 von 68,<br />

Aufsatz/Beitrag<br />

Chefredakteur missbraucht die AE?<br />

Die Leser dieser Zeitschrift sind nahezu ausschließlich Mitglieder<br />

der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV. Als Initiator<br />

und langjähriger alleiniger Redakteur war es für mich immer<br />

selbstverständlich, dass es sich bei der AE nicht nur um eine<br />

Publikation zur Veröffentlichung von <strong>Entscheidungen</strong> und<br />

Fachbeiträgen handelt, sondern auch um ein der Pressefreiheit<br />

unterliegendes innerverbandliches Mitteilungsorgan, u.a.<br />

berichtend über die Aktivitäten des Vorstandes, wie z.B. die<br />

Koordinierungsstelle Rechtsschutzversicherung.<br />

Als nun im Vorstand beschlossen wurde, die Mitgliederversammlung<br />

über die Unterstützung eines neuen Veranstaltungsformats<br />

beschließen zu lassen, habe ich deshalb meine<br />

Meinung dazu in den AE veröffentlicht. Von dieser Absicht<br />

hatte ich alle Vorstandsmitglieder vorab unterrichtet und aufgefordert,<br />

die Mehrheitsmeinung in einem gleichzeitig veröffentlichten<br />

Beitrag darzustellen. Bekanntlich wurde von dieser<br />

Möglichkeit kein Gebrauch gemacht. Stattdessen gab es<br />

nachträglich eine Rundmail an alle Mitglieder. Das ist aus meiner<br />

Sicht völlig in Ordnung. Niemand muss sich äußern und<br />

wenn doch, stehen ihm alle allgemeinen Übermittlungswege<br />

offen.<br />

Das soll aber wohl nicht für den Chefredakteur dieser Zeitung<br />

gelten, denn nach der Rundmail der Vorstandsmehrheit ging<br />

ein Schreiben ein, verfasst von einem langjährigen Mitglied<br />

der Arbeitsgemeinschaft (kein Mitglied des Vorstands). Darin<br />

heißt es, mit meinem Beitrag zum Deutschen Arbeitsrechtstag<br />

hätte ich die AE „missbraucht“. Weder mein „Aufruf“ noch die<br />

Stellungnahme der weiteren Vorstandsmitglieder seien „professionell“.<br />

Es würde uns allen schaden, wenn der Meinungsbildungsprozess<br />

in dieser Weise „in die Öffentlichkeit getragen<br />

wird“. Wir würden uns „entblößen … als Mitglieder einer<br />

streitsüchtigen Berufsgruppe, der demokratische Meinungsprozesse<br />

fremd“ sind. Den Autor dieser Zeilen nenne ich nicht,<br />

weil es nicht auf die Person, sondern auf die inhaltliche Aussage<br />

ankommt.<br />

Ich war bisher der Auffassung, dass die öffentliche Verbreitung<br />

unterschiedlicher Meinungen ein wesentlicher Teil (Art.<br />

5 GG) des demokratischen Meinungsbildungsprozesses ist.<br />

Aber vielleicht täusche ich mich da ja. Was meinen Sie, was<br />

uns nützt, ein öffentlicher Meinungsaustausch oder die Diskussion<br />

nur im geschlossenen Raum der Mitgliederversammlung,<br />

die aller Erfahrung nach von allenfalls 10 % der Mitglieder<br />

besucht wird (viele sind beruflich oder privat aus sehr<br />

nachvollziehbaren Gründen verhindert).<br />

Sagen Sie also Ihre Meinung, schriftlich oder in der Mitgliederversammlung!<br />

Ihr<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Rechtsschutzversicherungen – Mandatsverteilung: ein<br />

hausgemachtes Problem der Anwaltschaft?<br />

Dr. Hans-Georg Meier, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Kürzlich legte mir ein Mandant die Mitteilung seines Rechtsschutzversicherers<br />

vor, in der ihm für seine Kündigungsschutzklage<br />

die Deckungszusage erteilt wurde, verbunden<br />

mit der „Empfehlung“, eine bestimmte Kanzlei zu beauftragen,<br />

deren Kontaktdaten sogleich umfänglich mitgeteilt wurden.<br />

Sollte der Versicherungsnehmer dieser Anwaltsempfehlung<br />

folgen, würde eine Rückstufung in der Schadensfreiheitsklasse<br />

und damit eine höhere Selbstbeteiligung im nächsten<br />

Rechtsschutzfall vermieden.<br />

Dieser Vorgang ist kein Einzelfall. Nahezu alle Rechtsschutzversicherer<br />

haben sich inzwischen ein Bonus-/Malus-System<br />

ausgedacht, um Einfluss auf die freie Anwaltswahl ihrer Versicherungsnehmer<br />

auszuüben. Mit dem Vorwurf, durch dieses<br />

System gegen das Recht auf freie Anwaltswahl zu verstoßen,<br />

hat die Rechtsanwaltskammer München sozusagen ein Musterverfahren<br />

gegen die HUK-Coburg eingeleitet und nach einer<br />

erstinstanzlichen Niederlage soeben vor dem Oberlandes-<br />

gericht Bamberg mit Urt. v. 20.6.<strong>2012</strong>, 3 U 236/11, obsiegt. Allerdings<br />

handelt es sich dabei nur um einen zwar erfreulichen<br />

und wichtigen, aber eben doch nur um einen Etappensieg,<br />

denn aus nachvollziehbaren Gründen hat das OLG Bamberg<br />

die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen und es darf<br />

vermutet werden, dass die HUK-Coburg im Falle ihres weiteren<br />

Unterliegens auch alle sonst noch denkbaren Rechtsbehelfe<br />

ausschöpfen wird.<br />

Auch der Deutsche Anwaltverein ist nicht untätig geblieben.<br />

Er hat eine große Veranstaltung in Hamburg durchgeführt, die<br />

ebenfalls von dem Thema freie Anwaltswahl bestimmt wurde,<br />

zusätzlich aber noch von kartellrechtlichen Fragen, und ist mit<br />

einer speziellen Arbeitsgruppe im Gespräch mit den großen<br />

Rechtsschutzversicherern. Das ist ein löbliches Unterfangen.<br />

Zum einen sind Gespräche bei unterschiedlichen Interessen<br />

immer sinnvoll, zum anderen ist die große Verbreitung von<br />

Rechtsschutzversicherungen eine wichtige Stütze der Rechtsanwaltschaft.<br />

Ein ansehnlicher Teil unserer Fälle beruht sicher-<br />

<strong>03</strong>/12 133


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 6 von 68,<br />

Aufsatz/Beitrag<br />

lich auf dieser Absicherung der Mandanten oder wird mindestens<br />

dadurch erleichtert.<br />

Allerdings ist bei der quasi Mandantenzuweisung durch<br />

Rechtsschutzversicherer mit der geschilderten Vorgehensweise<br />

nur die eine Seite der Medaille angesprochen, wenn<br />

auch die aktivere Seite. Dennoch kann eine noch so aktive<br />

Rechtsschutzversicherung in dieser Angelegenheit nicht ohne<br />

die kooperierenden Anwälte handeln. Es ist wie beim Doping-<br />

Problem, der initiierende Trainer oder Arzt kann sein Ziel nicht<br />

erreichen ohne den das Dopingmittel einnehmenden Sportler.<br />

Die Rechtsschutzversicherung empfiehlt ja bestimmte Anwälte<br />

vor allem deshalb (angeblich sollen auch Qualitätsfragen<br />

eine Rolle spielen), weil diese mit ihnen Vereinbarungen<br />

über ihre Vergütung treffen, sicher nicht mit dem Ziel, die gesetzlichen<br />

Gebühren zu überschreiten, sondern um das Gebührenaufkommen<br />

zu beschränken, mit welchen Modifikationen<br />

auch immer.<br />

Im Ergebnis berechnet der Rechtsanwalt dem Versicherer also<br />

geringere Gebühren, als er gesetzlich könnte. Den so herausgehandelten<br />

Vorteil gibt die Versicherung – bestimmt nicht<br />

vollständig – an ihren Versicherungsnehmer weiter. Der Versicherungsnehmer<br />

erhält also einen – wenn auch kleinen – Vor-<br />

teil, den letztlich der ihm „zugewiesene“ Anwalt durch seine<br />

Vergütungsvereinbarung bezahlt. Vor allem aber kann man<br />

den Vorgang so bewerten, dass der Anwalt dem Rechtsschutzversicherer<br />

einen Vorteil (man könnte auch sagen: eine<br />

Provision) dafür gewährt, dass ihm Mandanten vermittelt werden.<br />

Den Sachverhalt auf diese Weise betrachtend, liegt der<br />

Verdacht nahe, dass der beteiligte Anwalt sich hier eines Verstoßes<br />

gegen § 49b Abs. 3 BRAO schuldig macht. Zugleich<br />

kann man sagen, dass die beteiligten Anwälte, und das sind<br />

vermutlich nicht wenige, einen nicht unbedeutenden Anteil<br />

daran haben, die freie Anwaltswahl durch wirtschaftliche<br />

Zwänge zu beeinträchtigen.<br />

Warum das Anwälte tun, hat sicherlich viele Gründe, alle aber<br />

sind wirtschaftliche und eine Einsparung zugunsten des Mandanten<br />

dürfte eher eine zu vernachlässigende Größe sein.<br />

Soweit für mich ersichtlich, gibt es weder von den Rechtsanwaltskammern<br />

noch vom DAV Initiativen, das hier aufgezeigte<br />

Problem unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens von Teilen<br />

der Anwaltschaft zu diskutieren. Ich meine, dass die Anwaltschaft<br />

das Problem auch durch „Kehren im eigenen Hause“<br />

bearbeiten sollte und bitte Sie sehr, sich durch Beiträge in dieser<br />

Zeitschrift, aber auch an jedem anderen geeigneten Ort,<br />

an einer solchen Diskussion zu beteiligen.<br />

134<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 7 von 68,<br />

Inhalt: <strong>Entscheidungen</strong><br />

Inhaltsverzeichnis der <strong>Entscheidungen</strong><br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Seite<br />

162. AGB, Transparenzgebot, Tantieme 137<br />

163. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung, Entschädigung<br />

138<br />

164. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung, Vorstellungsgespräch,<br />

Entschädigung 139<br />

165. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung, Vorstellungsgespräch,<br />

Entschädigung, öffentlicher Arbeitgeber<br />

142<br />

166. AGG, Geschlechtsdiskriminierung, Entschädigung;<br />

Anspruch gegen Vorgesetzte, Prozesskostenerstattung<br />

wegen sittenwidriger Schädigung 144<br />

167. Arbeitnehmerstatus, Cutterin, Programmgestaltung,<br />

Dienstplanfreiheit 146<br />

168. Arbeitszeit, Verrechnung von Minderstunden nur<br />

bei Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos, Annahmeverzug<br />

146<br />

169. Ausgleichsklausel, Auslegung, keine Erstreckung<br />

auf Betriebsrentenansprüche 146<br />

170. Betriebliche Altersversorgung, Zusage, Bekanntmachung<br />

146<br />

171. Betriebliche Altersversorgung, Berechnung 147<br />

172. Direktionsrecht, Beschäftigungsanspruch, Feststellungsantrag<br />

148<br />

173. Leiharbeit: Annahmeverzugslohn bei fehlender<br />

Beschäftigung und Zeitkonto 149<br />

174. Mobbing, Aufgabenentzug, Schmerzensgeld 149<br />

175. Sonderurlaub, Beendigung, Rückwirkung 151<br />

176. Urlaubsanspruch, Mindesturlaub während EU-<br />

Rente 151<br />

177. Urlaubsanspruch, Verfall, eigenes Urlaubsregime,<br />

Abgeltung nach gerichtlicher Auflösungsentscheidung<br />

151<br />

178. Urlaubsanspruch, Übertragungsanspruch, betriebliche<br />

Übung 152<br />

179. Urlaubsanspruch, Abgeltungsanspruch 153<br />

180. Urlaubsanspruch, Urlaubsgewährung, Verfügungsanspruch<br />

153<br />

181. Urlaub, Kürzung wegen Krankheit 154<br />

182. Vergütung, Sonderzahlung, Freiwilligkeitsvorbehalt<br />

154<br />

Seite<br />

183. Vertragsabschluss mit fremdsprachlichem Arbeitnehmer,<br />

wirksame Willenserklärung, keine Übersetzungspflicht<br />

155<br />

184. Verwirkung, Geltendmachung von Ansprüchen<br />

nach langfristiger Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen<br />

155<br />

Bestandsschutz<br />

185. Abberufung, Abfallbeauftragter, Bedeutung des<br />

vertraglichen Hintergrunds 156<br />

186. Änderungskündigung zwecks Tarifvertragswechsel,<br />

Allgemeine Geschäftsbedingung: Tarifwechselklausel<br />

als Änderungsvorbehalt 157<br />

187. Änderungskündigung, Zumutbarkeit von Alternativangeboten<br />

157<br />

188. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, Kausalität einer<br />

Drohung 158<br />

189. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, alkoholbedingte<br />

Geschäftsunfähigkeit; Zurückweisung verspäteten<br />

Vorbringens 158<br />

190. Außerordentliche Kündigung, ungerechtfertigte<br />

Anschuldigung, Prozessverhalten 160<br />

191. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />

in der Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses 161<br />

192. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />

oder Vorbereitungshandlung 161<br />

193. Außerordentliche Kündigung, Schwerbehinderte,<br />

Zustimmung Integrationsamt 162<br />

194. Außerordentliche Kündigung, whistleblowing,<br />

Verdachtskündigung 163<br />

195. Außerordentliche Kündigung während der<br />

Schwangerschaft, abträgliche Meinungsäußerung<br />

bei Facebook, ausführliche Diskussion von<br />

Schmähkritik 163<br />

196. Außerordentliche Kündigung, wirtschaftliche Verhältnisse,<br />

Bankkauffrau, Ansehen einer Bank in der<br />

Öffentlichkeit, Bedeutung interner Anweisungen 167<br />

197. Befristung, Kombination von Probezeitbefristung<br />

mit sachgrundloser Zeitbefristung intransparent 168<br />

198. Befristung des Arbeitsverhältnisses, programmgestaltender<br />

Mitarbeiter, Rundfunk 168<br />

199. Betriebsbedingte Kündigung, keine besondere<br />

Dokumentation der Unternehmerentscheidung<br />

<strong>03</strong>/12 135


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 8 von 68,<br />

Inhalt: <strong>Entscheidungen</strong><br />

Seite<br />

erforderlich, greifbare Form der Umsetzung, Rücksicht<br />

auf erstinstanzliche vorläufige Weiterbeschäftigungspflicht<br />

169<br />

200. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />

Anforderungen an die Betriebsratsanhörung, Unterscheidung<br />

zwischen Kurz- und Langzeit- und<br />

Dauererkrankung, Kosten der Vertretungskräfte 170<br />

201. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />

nicht durchgeführtes BEM, kein Ersatz durch Verfahren<br />

vor dem Integrationsamt 172<br />

202. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnung,<br />

Melde- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit<br />

173<br />

2<strong>03</strong>. Verhaltensbedingte Kündigung, beharrliche Arbeitsverweigerung<br />

im Prozessarbeitsverhältnis ist<br />

kein Kündigungsgrund 175<br />

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht<br />

204. Einigungsstelle, gerichtliche Einsetzung gemäß<br />

§ 98 ArbGG, Informationspflicht des Arbeitgebers,<br />

Scheitern der Verhandlungen 175<br />

205. Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten<br />

und bei betrieblicher Berufsbildung,<br />

Bestimmtheit des Unterlassungsantrages, Verfügungsgrund,<br />

Vorrang der Einigungsstelle auch für<br />

vorläufige Regelung bezüglich eines Unterlassungsbegehrens,<br />

Vorrang des § 101 BetrVG für<br />

personelle Maßnahmen 175<br />

206. Personalrat, kein Übergangsmandat bei Privatisierung<br />

177<br />

207. Sozialplan, AGG, Altersdiskriminierung 177<br />

Seite<br />

211. Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen Erwerbsminderung,<br />

Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsanspruchs<br />

180<br />

212. Tariffähigkeit der CGZP, Aussetzung des Verfahrens<br />

zur Feststellung der Tariffähigkeit 180<br />

Prozessuales<br />

213. Aktenlageentscheidung in der Güteverhandlung?,<br />

Zurückverweisung an Arbeitsgericht 180<br />

214. Aussetzung, Vorgreiflichkeit, sozialgerichtliche<br />

Entscheidung, Folge einer fehlerhaften Ermessensausübung<br />

durch das Arbeitsgericht 183<br />

215. Beweiskraft einer Quittung 183<br />

216. Nichtzulassungsbeschwerde, Anforderungen an<br />

die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs 184<br />

217. Rechtsschutzbedürfnis, keine Klage auf Entgeltmitteilung<br />

an Krankenversicherungsträger 184<br />

218. Rechtsweg, arbeitsgerichtliche Zuständigkeit für<br />

Klagen gegen Gesellschafter und Rechtsnachfolger<br />

des Arbeitgebers 184<br />

219. Rechtsweg, Arbeitnehmerbegriff, Organ im Eigenbetrieb,<br />

Bedeutung vertraglicher Vereinbarungen<br />

zum Arbeitsrechtsstatus 185<br />

220. Zwangsvollstreckung, Unzulässigkeitserklärung,<br />

mangelnde Bestimmtheit 187<br />

Sonstiges<br />

221. PKH, Abzugsfähigkeit von Strom- und Rundfunkkosten<br />

188<br />

222. PKH, Verwertung einer Kapitallebensversicherung,<br />

Wirtschaftlichkeit der Verwertung 188<br />

Tarifrecht<br />

208. Gebäudereinigerhandwerk – Rahmentarifvertrag,<br />

Feststellungsantrag zur Eingruppierung, Herausfallen<br />

aus Rahmentarifvertrag mangels spezieller<br />

Vergütungsgruppe? Auslegung von Tarifverträgen 177<br />

209. Gebäudereinigerhandwerk, tarifliche Vergütung<br />

arbeitsfreier Zwischenzeiten 179<br />

210. Rechtsstreit über Wirksamkeit des Tarifvertrages,<br />

Feststellungsinteresse 179<br />

Streitwert und Gebühren<br />

223. Einigungsgebühr; Anrechnung der Geschäftsgebühr,<br />

Rückwirkung des § 15a RVG; Entscheidung<br />

im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung<br />

188<br />

224. Streitwert, Beschwerde gegen Wertfestsetzung 189<br />

225. Streitwert im Beschlussverfahren, Freistellung Betriebsrat<br />

189<br />

226. Streitwert, Wettbewerbsverbot 190<br />

136<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

162. AGB, Transparenzgebot, Tantieme<br />

Aus dem Tatbestand<br />

Das Arbeitsgericht Stuttgart hatte über eine Klage eines Arbeitnehmers<br />

auf Zahlung einer Tantieme zu entscheiden. Der<br />

Kläger war als Regionaldirektor einer Bank tätig; das Arbeitsverhältnis<br />

endete durch Aufhebungsvertrag mit Ablauf des<br />

28.2.2010. Der Kläger machte gegenüber der Beklagten nach<br />

Grund und Höhe einen Tantiemeanspruch geltend aufgrund<br />

von § 6 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages.<br />

Dieser lautet auszugsweise:<br />

§ 6 – Entgelt<br />

Der Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit feste Jahresbezüge<br />

entsprechend Anlage 1 zu diesem Vertrag.<br />

Eventuelle Tantiemezahlungen sind abhängig vom Erfolg,<br />

dem Engagement und der Zielerreichung der Führungskraft.<br />

Sie werden im Abrechnungsmonat nach der Hauptversammlung<br />

bezahlt.<br />

Bei einem evtl. Austritt aus der Bank hat der Mitarbeiter im<br />

Ausscheidungsjahr keinen Anspruch auf Zahlung der Tantieme.<br />

3. Die über das Monatsgehalt x 12 hinausgehenden Bezüge<br />

werden freiwillig und<br />

unter Widerrufsvorbehalt gewährt. (...)<br />

Zwischen den Parteien ist insoweit die Höhe der Tantieme des<br />

Klägers unstreitig, streitig ist jedoch das Bestehen eines Tantiemeanspruchs<br />

für das Jahr 2009 dem Grunde nach.<br />

Der Kläger ist der Auffassung, er habe Anspruch auf Zahlung<br />

der Tantieme, obwohl diese erst im Jahr seines Ausscheidens<br />

fällig wurde. Die Beklagte meint, dass der Kläger keinen Anspruch<br />

habe. Mit der ausdrücklichen Regelung der Tantiemezahlung<br />

im jeweiligen Folgejahr sei klar ersichtlich, dass eine<br />

Betriebstreue bis zum Schluss des Folgejahres Voraussetzung<br />

für das Entstehen des Anspruchs sei.<br />

Aus den Gründen<br />

Die zulässige Klage ist begründet. Bereits die Auslegung der<br />

Regelungen in § 6 des Arbeitsvertrages ergibt nach Auffassung<br />

der erkennenden Kammer eindeutig das Bestehen des<br />

Tantiemeanspruchs des Klägers<br />

(a) Selbst wenn man jedoch die Regelung dergestalt auslegen<br />

würde, wie die Beklagte es meint, wäre der Anspruch des Klägers<br />

gegeben, da die Klausel dann nach §§ 305 ff. BGB zu Lasten<br />

der Beklagten gehen würde.<br />

(b) § 6.3 des Arbeitsvertrages steht dem nicht entgegen.<br />

(c) a) Aus einer Auslegung von § 6.2 des Arbeitsvertrages folgt<br />

der Anspruch des Klägers. Bei § 6 des Arbeitsvertrages handelt<br />

es sich unstreitig um von der Beklagten gestellte Allgemeine<br />

Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB,<br />

die Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden sind.<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven<br />

Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter<br />

Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise<br />

verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten<br />

des konkreten, sondern die des durchschnittlichen<br />

Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen<br />

sind. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen<br />

ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen<br />

Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten.<br />

Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein<br />

nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäße § 305c Abs. 2<br />

BGB zu Lasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregelung<br />

des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus,<br />

dass die Auslegung der einzelnen AGB-Bestimmung mindestens<br />

zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von<br />

diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen<br />

„erhebliche" Zweifel an der richtigen Auslegung bestehen.<br />

Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu<br />

kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht.<br />

Nach diesen Grundsätzen ergibt bereits eine Auslegung von<br />

§ 6.2 des Arbeitsvertrages nach Auffassung der erkennenden<br />

Kammer, dass der Anspruch des Klägers für das Jahr 2009 besteht.<br />

So ist der Wortlaut von § 6.2 S. 2 des Arbeitsvertrages eindeutig<br />

dahin zu verstehen, dass damit eine reine Fälligkeitsregelung<br />

getroffen werden soll, auch wenn der genaue Abrechnungsmonat<br />

sich allein aus der Regelung nicht ergibt. Die<br />

Hauptversammlung der Beklagten findet jeweils im Mai statt,<br />

womit die Fälligkeit der Zahlung jeweils im Juni des Folgemonats<br />

feststeht. Darüber hinaus folgt aus § 6.2 S. 3 des Arbeitsvertrages,<br />

dass im Jahr des Ausscheidens des Arbeitnehmers<br />

bei der Beklagten ein Anspruch auf Tantiemezahlung nicht<br />

besteht. Ein darüber hinausgehendes Entfallen des Anspruchs<br />

auch für das Jahr vor dem Ausscheiden des Arbeitnehmers<br />

lässt sich dem dagegen nicht entnehmen. Ein konkreter Stichtag<br />

für das Entstehen des vollen Tantiemeanspruchs ist nicht<br />

geregelt. § 6.2 S. 2 ist insoweit eine reine Fälligkeitsregelung<br />

ohne Nennung eines konkreten Stichtages. Sollte § 6.2 S. 3<br />

des Arbeitsvertrages sowohl ein Entfallen des Anspruchs für<br />

das Vorjahr der Fälligkeit als auch für das Ausscheidejahr bewirken,<br />

so müsste dies aus der Regelung zumindest im Ansatz<br />

ersichtlich sein. Ein Entfallen der Tantiemeansprüche gleich<br />

für zwei Jahre ist aus dem Wortlaut der Regelung jedoch nicht<br />

ableitbar. Darüber hinaus enthält die Klausel gerade keine<br />

Stichtagsregelung in dem Sinne, dass eine Betriebstreue des<br />

tantiemeberechtigten Arbeitnehmers bis zu einem bestimmten<br />

Termin vorausgesetzt ist. Der reinen Fälligkeitsbestimmung<br />

lässt sich dies auch nicht entnehmen.<br />

b) Auch wenn man § 6.2 S. 3 des Arbeitsvertrages mit der Beklagten<br />

dahingehend auslegen würde, dass der Tantiemeanspruch<br />

des Klägers für das Jahr 2009 aufgrund seines Ausscheidens<br />

im Jahr 2010 nicht besteht, würde dies an vorstehendem<br />

Ergebnis nichts ändern, da eine solche Regelung unwirksam<br />

wäre.<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Insoweit kann dahinstehen, ob eine so verstandene Klausel<br />

bereits mit der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB<br />

in Konflikt geraten würde. Sie wäre jedenfalls aufgrund Verstoßes<br />

gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

unwirksam. Vorstehende Auslegung von § 6.2 des Arbeitsvertrages<br />

zeigt nämlich, dass dieser eindeutig dahin zu verstehen<br />

ist, dass nur der Tantiemeanspruch im Jahr des tatsächlichen<br />

Ausscheidens bei der Beklagten nicht bestehen soll. Wenn<br />

nun zusätzlich auch der Anspruch auf Tantieme aus dem Vorjahr<br />

betroffen sein soll, so lässt sich dies der Regelung keinesfalls<br />

klar und eindeutig entnehmen. Eine Rückzahlungsklausel<br />

ist nicht vereinbart; der Arbeitnehmer könnte der Regelung<br />

jedoch nicht eindeutig entnehmen, ob er zur Rückzahlung<br />

verpflichtet ist.<br />

c) Der in § 6.3 des Arbeitsvertrages enthaltene Freiwilligkeitsund<br />

Widerrufsvorbehalt ist nach ständiger Rechtsprechung<br />

des Bundesarbeitsgerichts in dieser Form unwirksam, womit<br />

er dem Anspruch des Klägers auch nicht wirksam entgegen<br />

gehalten werden kann.<br />

■ Arbeitsgericht Stuttgart<br />

vom 1.9.2011, 17 Ca 1788/11<br />

eingereicht und ausgearbeitet von<br />

Rechtsanwalt Jürgen Schmitt<br />

Friedrichstraße 5 (Zeppelin Carré), 70174 Stuttgart<br />

Tel.: 0711/22 41 99-0, Fax: 0711/22 41 99-79<br />

www.shp-anwaltskanzlei.de, E-Mail: kanzlei@shp-anwaltskanzlei.de<br />

163. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung,<br />

Entschädigung<br />

Die Klage ist auch begründet.<br />

Die Klägerin hat Anspruch auf Entschädigungszahlung in<br />

Höhe von 3 Monatseinkommen wegen Benachteiligung als<br />

Schwerbehinderte durch die Beklagte.<br />

1. Die Beklagte hat gegen das Benachteiligungsverbot nach<br />

AGG verstoßen, so dass sie zur Zahlung einer angemessenen<br />

Entschädigung an die Klägerin verpflichtet ist.<br />

Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist<br />

es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der<br />

ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung,<br />

einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen<br />

Identität zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG).<br />

Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines<br />

in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch<br />

dann, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das<br />

Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung<br />

nur annimmt.<br />

Die Dienststellen der Öffentlichen Arbeitgeber melden den<br />

Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende und neu zu besetzende<br />

sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte<br />

Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder<br />

sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von<br />

dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen<br />

worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.<br />

Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung<br />

offensichtlich fehlt (§ 82 Sätze 1–3SGBIX).<br />

§ 82 Satz 2 und 3 SGB IX begründet eine solche Handlungspflicht,<br />

bei deren Nichterfüllung eine unmittelbare Benachteiligung<br />

durch Unterlassen anzunehmen ist. Danach haben öffentliche<br />

Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen oder die<br />

ihnen gleichgestellten behinderten Menschen, die sich um einen<br />

frei werdenden und neu zu besetzenden sowie neue Arbeitsplätze<br />

beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch<br />

einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich.<br />

Das Bundesverwaltungsgericht führt hierzu aus, dass der<br />

Gesetzgeber damit schwerbehinderte Menschen und die ihnen<br />

gleichgestellten behinderten Menschen zum Ausgleich<br />

ihrer im Allgemeinen tatsächlich schlechteren Chancen auf<br />

dem Arbeitsmarkt im Bewerbungsverfahren besserstellt, als<br />

die nicht schwerbehinderten Konkurrentinnen und Konkurrenten.<br />

Anders als diese sollen schwerbehinderte Menschen<br />

und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen die Gelegenheit<br />

erhalten, den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch<br />

von ihrer Leistungsfähigkeit und Eignung zu<br />

überzeugen, auch wenn ihre fachliche Eignung für die zu besetzende<br />

Stelle zweifelhaft sein mag, solange sie nicht offensichtlich<br />

ausgeschlossen ist. Der öffentliche Arbeitgeber hat<br />

sich in diesem Fall über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen<br />

hinaus einen persönlichen Eindruck von der schwerbehinderten<br />

Bewerberin oder dem schwerbehinderten Bewerber<br />

und dem ihnen gleichgestellten behinderten Menschen,<br />

insbesondere von ihrem positiven Leistungsprofil zu verschaffen<br />

(vgl. Bundesverwaltungsgericht, v. 3.3.2011 –5C16/10,<br />

Rn 18 – zitiert nach juris).<br />

Auch das Bundesarbeitsgericht verweist darauf, dass die<br />

Pflicht zur Einladung nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX nur dann<br />

nicht besteht, wenn dem schwerbehinderten Menschen die<br />

fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Ein schwerbehinderter<br />

Bewerber muss bei einem Öffentlichen Arbeitgeber die<br />

Chance eines Vorstellungsgespräches bekommen, wenn seine<br />

fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen<br />

ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber<br />

aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet<br />

hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet,<br />

dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die<br />

nähere Auswahl komme, muss er den schwerbehinderten Bewerber<br />

nach dem Gesetzesziel einladen. Der schwerbehinderten<br />

Bewerber soll den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch<br />

von seiner Eignung überzeugen können. Wird<br />

ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger<br />

günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher<br />

Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für<br />

erforderlich hält. Der Ausschluss aus den weiteren Bewerbungsverfahren<br />

ist eine Benachteiligung, die in einem ursächlichen<br />

Zusammenhang mit der Behinderung steht (vgl. BAG,<br />

v. 21.7.2009 – 9 AZR 431/08 Rn 22 m.w.N. – zitiert nach juris).<br />

138<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Ob ein Bewerber offensichtlich nicht die notwendige fachliche<br />

Eignung hat, beurteilt sich nach den Ausbildungs- oder<br />

Prüfungsvoraussetzungen für die zu besetzende Stelle und<br />

den einzelnen Aufgabengebieten. Diese Erfordernisse werden<br />

von den in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationsmerkmalen<br />

konkretisiert. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils<br />

für einen Dienstposten legt der Dienstherr<br />

die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest. Das Anforderungsprofil<br />

muss die objektiven Anforderungen der Stelle abbilden,<br />

die Ausschreibung dient der Absicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs<br />

potentieller Bewerber (vgl. BAG, v.<br />

21.7.2009, Rn 24, a.a.O.).<br />

Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil<br />

den Umfang seiner der eigenen Auswahlentscheidung<br />

vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtungen<br />

nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX. Denn schwerbehinderte<br />

Menschen und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen,<br />

die nach den schriftlichen Bewerbungsunterlagen eine<br />

ihrerseits diskriminierungsfrei bestimmte fachliche Eignungsvoraussetzung,<br />

die im Anforderungsprofil ausdrücklich und<br />

eindeutig bezeichnet ist, nicht erfüllen, müssen nicht zu einem<br />

Vorstellungsgespräch eingeladen werden.<br />

Seiner Aufgabe als Grundlage der leistungsbezogenen Auswahl<br />

entsprechend muss das Anforderungsprofil zwingend<br />

vor Beginn der Auswahlentscheidung festgelegt werden. Es<br />

ist für den öffentlichen Arbeitgeber während des Auswahlverfahrens<br />

verbindlich (vgl. Bundesverwaltungsgericht, v.<br />

3.3.2011, Rn 22, 23, a.a.O.). (…)<br />

3. Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann wegen eines Schadens, der<br />

nicht Vermögensschaden ist, der oder die Beschäftigte eine<br />

angemessene Entschädigung verlangen. Die Entschädigung<br />

darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht<br />

übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier<br />

Auswahl nicht eingestellt worden wäre.<br />

Vorliegend beruft sich die Beklagte darauf, dass es – unabhängig<br />

von der aus ihrer Sicht fehlenden fachlichen Eignung der<br />

Klägerin – jedenfalls besser geeignete Bewerber gegeben<br />

habe, ohne dass dem die Klägerin widerspricht. Der Entschädigungsanspruch<br />

der Klägerin ist daher auf drei Monatsgehälter<br />

begrenzt, da sie nach dem bisher unwidersprochenen Vortrag<br />

der Beklagten auch bei Einladung zu einem Vorstellungsgespräch<br />

nicht eingestellt worden wäre.<br />

Das monatliche Bruttoeinkommen in der Entgeltgruppe 15<br />

TV-L, welche für die ausgeschriebene Stelle in Aussicht gestellt<br />

wurde, beträgt 3.729,43 EUR. Der Klägerin steht daher<br />

eine Entschädigungszahlung in Höhe von insgesamt<br />

11.188,29 EUR zu.<br />

Bei der Festlegung der Höhe der Entschädigungszahlung war<br />

zu berücksichtigen, dass die Beklagte die vom Gesetzgeber<br />

vorgenommene bewusste Besserstellung von schwerbehinderten<br />

Menschen ignoriert und damit die Klägerin unmittelbar<br />

wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt hat. Erschwerend<br />

kommt dabei hinzu, dass die Beklagte die Rege-<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

lung des § 82 SGB IX nach ihren Einlassungen in der mündlichen<br />

Verhandlung eher als Förmelei in den Fällen ansieht, in<br />

denen von vornherein nicht mit einer Einstellung des Schwerbehinderten<br />

Bewerbers zu rechnen ist. Dabei ignoriert die Beklagte<br />

beharrlich die Intention des Gesetzgebers, gerade für<br />

schwerbehinderte Bewerber eine Besserstellung zu erreichen.<br />

Da sich die Beklagte als öffentlicher Arbeitgeber dieser Zielsetzung<br />

verschließt, ist es gerechtfertigt, auch den Höchstrahmen<br />

nach § 15 Abs. 2 AGG auszuschöpfen.<br />

■ Arbeitsgericht Leipzig<br />

vom 12.4.<strong>2012</strong>, 7 Ca 19/12<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Roland Gross<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig,<br />

Neumarkt 16-18, 04109 Leipzig<br />

Tel.: <strong>03</strong>41/984620, Fax: <strong>03</strong>41/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

164. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung,<br />

Vorstellungsgespräch, Entschädigung<br />

1. Die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruches sind<br />

vorliegend erfüllt. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG können Beschäftigte,<br />

zu denen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch Bewerber<br />

für ein Beschäftigungsverhältnis zählen, wegen eines<br />

Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene<br />

Entschädigung in Geld verlangen. Der Entschädigungsanspruch<br />

setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot<br />

gemäß §§ 7 Abs. 1, 1 AGG voraus. Hiernach dürfen Beschäftigte<br />

unter anderem nicht wegen einer Behinderung benachteiligt<br />

werden. Außerdem bestimmt § 81 Abs. 2 Satz 1<br />

SGB IX, dass Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht<br />

wegen ihrer Behinderung benachteiligen dürfen. Bei einer<br />

Verletzung des Benachteiligungsverbots schuldet der Arbeitgeber<br />

nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 AGG eine angemessene<br />

Entschädigung in Geld, die drei Monatsvergütungen nicht<br />

übersteigen darf, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier<br />

Auswahl nicht eingestellt worden wäre.<br />

a) (…)<br />

b) Es lag auch eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers<br />

i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG vor, weil er in einer vergleichbaren Situation<br />

weniger günstig behandelt wurde, als derjenige Bewerber,<br />

den die Beklagte letztlich eingestellt hat. An einer vergleichbaren<br />

Situation würde es nach der Rechtsprechung des<br />

Bundesarbeitsgerichts fehlen, wenn der Kläger von vornherein<br />

objektiv für die ausgeschriebene Position ungeeignet gewesen<br />

wäre (vgl. BAG, v. 18.3.2010 – 8 AZR 77/09 = NZA 2010,<br />

872, Rn 22). Maßgeblich für die objektive Eignung ist dabei<br />

nicht das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber<br />

erstellt hat, sondern sind die Anforderungen, die an die<br />

jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden<br />

Verkehrsanschauung gestellt werden. Die objektive Eignung<br />

ist zu trennen von der individuellen fachlichen und persönlichen<br />

Qualifikation des Bewerbers, die nur als Kriterium der<br />

Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 12 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt<br />

(vgl. BAG a.a.O.). Der Kläger war aufgrund seiner Ausbildung<br />

für die ausgeschriebene Stelle im vorgenannten Sinne objektiv<br />

geeignet.<br />

c) Der Kläger hat mit der unterlassenen Einladung zu einem<br />

Vorstellungsgespräch und der unterbliebenen Meldung der<br />

ausgeschriebenen Stelle bei der Agentur für Arbeit, worauf<br />

der Kläger den Entschädigungsanspruch zuletzt gestützt hat,<br />

zwei hinreichende Indizien i.S.d. § 22 AGG vorgetragen, die<br />

eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lassen.<br />

Der Beklagten ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu<br />

widerlegen.<br />

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,<br />

der sich die erkennende Kammer anschließt, lässt die<br />

entgegen § 82 Satz 2 SGB IX unterbliebene Einladung eines<br />

als schwerbehindert anerkannten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch<br />

eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung<br />

vermuten, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung<br />

des Bewerbers bekannt gewesen ist (vgl. BAG, v.<br />

13.10.2011 – 8 AZR 08/10 = juris Rn 38).<br />

(1) Mit der Regelung des § 82 Satz 2 SGB IX wollte der Gesetzgeber<br />

dem schwerbehinderten Bewerber im Bewerbungsverfahren<br />

dadurch einen Vorteil verschaffen, dass diesem die<br />

Möglichkeit eröffnet wird, den öffentlichen Arbeitgeber in einem<br />

Vorstellungsgespräch von seiner Eignung zu überzeugen.<br />

Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine<br />

weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung<br />

gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern<br />

für erforderlich hält (vgl. BAG , v. 21.7.2009 – 9 AZR<br />

431/08, NZA 2009, 1087 Rn 22). Die Pflicht nach § 82 Satz 2<br />

SGB IX besteht nur dann nicht, wenn dem schwerbehinderten<br />

Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.<br />

(2) (…) Die Pflicht zur Einladung ist auch nicht entfallen, wenn<br />

man den Vortrag der Beklagten bezüglich des Erscheinungsbildes<br />

der Bewerbungsunterlagen des Klägers und des Anrufs<br />

des Klägers beim Hauptamtsleiter zu deren Gunsten unterstellt.<br />

Der Kläger erfüllt ausweislich der Stellenausschreibung<br />

die fachlichen Anforderungen an die ausgeschriebene Stelle.<br />

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass ein unterstellt schlechter<br />

Zustand der Bewerbungsunterlagen und ein inadäquater<br />

Anruf beim Hauptamtsleiter bei der Auswahl der Teilnehmer<br />

für ein Vorstellungsgespräch außerhalb des Anwendungsbereichs<br />

des § 82 Satz 2 SGB IX hätte berücksichtigt werden können.<br />

Auf eine offensichtlich fehlende Eignung des Klägers im<br />

Sinne des § 82 Satz 3 SGB IX kann hieraus jedoch nicht geschlossen<br />

werden, so dass die Beklagte dennoch verpflichtet<br />

war, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.<br />

(…) die Beklagte (hat) mit der unterlassenen Einladung des<br />

Klägers zu einem Vorstellungsgespräch diesem die Möglichkeit<br />

genommen, den bei der Beklagten etwaig durch den Zustand<br />

der Bewerbungsunterlagen und den Anruf beim Hauptamtsleiter<br />

entstandenen Eindruck auszuräumen oder zu relativieren.<br />

Soweit die Beklagte eine fehlende Praxistauglichkeit des Klägers<br />

behauptet, weil dieser die von ihm erworbenen fachlichen<br />

Qualifikationen in der Vergangenheit nicht in dauerhaften<br />

Beschäftigungsverhältnissen habe umsetzen können,<br />

lässt dies ebenfalls nicht auf eine offensichtliche Ungeeignetheit<br />

des Klägers schließen. Die Beklagte hat sich mit der Stellenausschreibung<br />

ausdrücklich an Abgänger der Fachhochschule<br />

für öffentliche Verwaltung gewandt, d.h. an Berufsanfänger,<br />

so dass nach dem Anforderungsprofil der Stelle Berufserfahrung<br />

nicht erforderlich war. Selbst wenn der Kläger<br />

die von ihm erworbenen Qualifikationen in anderen Bereichen<br />

nicht in die Praxis umzusetzen vermochte, kann hieraus<br />

nicht geschlossen werden, dass dies auch bei der von der Beklagten<br />

ausgeschriebenen Stelle der Fall sein würde. Die Einladung<br />

des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch war demnach<br />

nicht entbehrlich.<br />

bb) Die Beklagte hat zudem ihre Prüf- und Meldepflichten<br />

gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX verletzt.<br />

(1) (…)<br />

(2) Den vorgenannten Prüf- und Meldepflichten ist die Beklagte<br />

unstreitig nicht nachgekommen. Als schwerbehinderter<br />

Mensch kann sich der Kläger auf Verstöße gegen § 81<br />

SGB IX berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,<br />

der sich die erkennende Kammer anschließt, begründet<br />

der zurechenbare Pflichtverstoß der Beklagten eine überwiegende<br />

Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Kläger zuteil<br />

gewordene benachteiligende Behandlung auf dem Merkmal<br />

der Behinderung beruht. Mit ihrem Verhalten erweckt die<br />

Beklagte den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung<br />

schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern<br />

auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen<br />

von arbeitssuchenden schwerbehinderten Menschen aus<br />

dem Weg gehen zu wollen (vgl. BAG, v. 13.10.2011 – 8 AZR<br />

608/11 = juris Rn 47).<br />

cc) Vorliegend ist ein Kausalzusammenhang zwischen der<br />

nachteiligen Behandlung des Klägers und seiner Behinderung<br />

gegeben.<br />

Beweist ein schwerbehinderter Bewerber Indizien, die eine<br />

Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen,<br />

trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür,<br />

dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor<br />

Benachteiligungen vorliegt. Dies nachzuweisen ist der Beklagten<br />

nicht gelungen.<br />

Unter das Benachteiligungsverbot fallen auch Verfahrenshandlungen.<br />

Sind die Chancen eines Bewerbers bereits durch<br />

ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden,<br />

kommt es nicht darauf an, ob die Schwerbehinderung bei der<br />

abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare<br />

Rolle gespielt hat. Der Arbeitgeber muss beweisen,<br />

dass in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives<br />

noch die fehlende Behinderung als positives Kriterien<br />

enthalten ist. Für die Berücksichtigung einer fehlenden Behinderung<br />

als positives Kriterium reicht es aus, dass vom Arbeit-<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

geber unterlassene Maßnahmen – etwa die Einladung zu einem<br />

Vorstellungsgespräch oder die Erfüllung von Prüf- und<br />

Meldepflichten – objektiv geeignet sind, schwerbehinderten<br />

Bewerbern keine oder weniger günstige Chancen einzuräumen,<br />

als sie nach dem Gesetz zu gewähren sind (vgl. BAG, v.<br />

21.7.2009 – 9 AZR 431/08 = NZA 2009, 1087, Rn 33, 42, 44).<br />

(2) Der Verstoß gegen die Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 1<br />

und Satz 2 SGB IX und § 82 Satz 2 SGB IX deuten darauf hin,<br />

dass das Merkmal der Behinderung Teil eines Motivbündels<br />

der Beklagten bei der benachteiligenden Behandlung von<br />

Schwerbehinderten und damit auch des schwerbehinderten<br />

Klägers war. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche<br />

Vorkehrungen zu gewährende Schutz vor einer<br />

Benachteiligung weitgehend leerlaufen. Ob sich ein solcher<br />

Verfahrensverstoß in der Auswahlentscheidung konkret ausgewirkt<br />

hat, ist unerheblich, da § 15 Abs. 2 AGG auch bei der<br />

besseren Eignung von Mitbewerbern eine Entschädigung gewährt<br />

(vgl. BAG, v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10 = juris Rn 47).<br />

d) Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist auch nicht<br />

ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs<br />

gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.<br />

aa) Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet eine allen<br />

Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung,<br />

wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende<br />

Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen<br />

einer Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen wird.<br />

§ 242 BGB eröffnet damit die Möglichkeit jede atypische Interessenlage<br />

zu berücksichtigen, bei der ein Abweichen von der<br />

gesetzlichen Rechtslage zwingend erscheint. Zur Konkretisierung<br />

atypischer Interessenlagen wurden Fallgruppen gebildet,<br />

in denen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nahe liegt.<br />

Hierzu zählt die Fallgruppe des unredlichen Erwerbs der eigenen<br />

Rechtsstellung (vgl. BAG, v. 13.10.2011 – 8 AZR 608/10,<br />

Rn 52). Im Fall von Ansprüchen nach § 15 AGG kann unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der<br />

Rechtstellung als Bewerber dann als unredlich erscheinen,<br />

wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche<br />

zu erlangen. Für die fehlende subjektive<br />

Ernsthaftigkeit, d.h. den Rechtsmissbrauch ist der Arbeitgeber<br />

darlegungs- und beweisbelastet, wobei der Arbeitgeber Indizien<br />

vortragen muss, die geeignet sind, den Schluss für die<br />

fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (vgl. BAG, a.a.O., Rn 54).<br />

bb) Geht man hiervon aus, hat die Beklagte keine ausreichenden<br />

Indizien für die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung<br />

des Klägers vorgetragen.<br />

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung vom<br />

13.10.2011 – 8 AZR 608/10, die eine vom Kläger angestrengte<br />

Entschädigungsklage betraf, Folgendes ausgeführt:<br />

„Auch wenn der Kläger eine Vielzahl von Entschädigungsklagen<br />

gegen öffentliche Arbeitgeber in Folge der Vielzahl seiner<br />

Bewerbungen angestrengt hat, so liegt hierin allein kein ausreichender<br />

Umstand, der die Bewerbung bei der Beklagten als<br />

subjektiv nicht ernsthaft erscheinen ließe (vgl. BAG, v.<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

21.7.2009 – 9 AZR 431/08 – BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82<br />

Nr. 1 = EzA SBG IX § 82 Nr. 1; Däubler/Bertzbach-Deinert, 2.<br />

Aufl., § 15 Rn 54). Der Kläger hat im fortgeschrittenen Alter<br />

trotz vorhandener anderer Berufsabschlüsse das Studium an<br />

der Fachhochschule K mit der Staatsprüfung im September<br />

2008 abgeschlossen und sich entsprechend dieser Ausbildung<br />

bei einer Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften<br />

beworben. Der Kläger stand zum Zeitpunkt der<br />

Bewerbung in keinem anderweitigen Arbeitsverhältnis. Die<br />

Vielzahl der Bewerbungen spricht – auch angesichts des Lebenslaufs<br />

des Klägers mehr für die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung<br />

als dafür, dass es dem Kläger nur um die Erlangung<br />

einer Entschädigung gegangen sein könnte. Gegen eine fehlende<br />

Ernsthaftigkeit spricht vor allem aber, dass sich der Kläger<br />

auch erfolgreich beworben und eine entsprechende Tätigkeit<br />

bei einem öffentlichen Arbeitgeber im Zeitraum<br />

12.1.2010 bis 31.3.2010 in Oberbayern ausgeübt hat. ..."(vgl.<br />

Rn 56).<br />

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer in vollem Umfang<br />

an. Sie gelten gleichermaßen für die vorliegende Bewerbung<br />

des Klägers. Gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung<br />

des Klägers spricht auch nicht, dass dieser Einladungen zu<br />

Vorstellungsgesprächen nicht wahrgenommen hat. Angesichts<br />

der auch von der Beklagten behaupteten Vielzahl von<br />

Bewerbungsverfahren des Klägers bieten diese vereinzelten<br />

Absagen keinen hinreichenden Anlass, von einer fehlenden<br />

Ernsthaftigkeit der Bewerbungsabsicht auszugehen. Etwas<br />

anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der<br />

Kläger trotz des Antritts der Stelle in Bayern weitere Bewerbungen<br />

einreichte. Gerade zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses<br />

kann ein Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass dieses<br />

dauerhaft Bestand haben würde, ganz abgesehen davon, dass<br />

mit dem Antritt einer Stelle das Streben nach einer möglicherweise<br />

attraktiver erscheinenden Beschäftigung nicht ausgeschlossen<br />

ist (vgl. LAG Baden-Württemberg, v. 30.3.2011 – 3 Sa<br />

72/10, zu II. 3. c der Gründe). Auch die Ausführungen des Klägers<br />

in dem von der Beklagten vorgelegten Schriftsatz an das<br />

Arbeitsgericht Freiburg vom 10.2.<strong>2012</strong> rechtfertigen keine andere<br />

Bewertung. Soweit der Kläger hierin auf Seite 2 ausführt,<br />

befristete Beschäftigungen für nur 1 Jahr seien für ihn uninteressant<br />

(vgl. Blatt 93 der Akte), bezieht sich dies ausweislich<br />

des Schriftsatzes auf wesentlich schlechter dotierte Stellen als<br />

die von der Beklagten ausgeschriebene. Zum anderen beziehen<br />

sich die Ausführungen des Klägers auf Stellen, die wesentlich<br />

später ausgeschrieben wurden als die bei der Beklagten<br />

zu besetzende Stelle, so dass nicht darauf geschlossen<br />

werden kann, der Kläger habe bereits bei seiner Bewerbung<br />

bei der Beklagten eine befristete Beschäftigung ausgeschlossen.<br />

2. Mit einer Entschädigung in Höhe von 3.000,00 EUR hat das<br />

Arbeitsgericht eine angemessene Entschädigung nach § 15<br />

Abs. 2, festgesetzt.<br />

a) Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG muss die Entschädigung angemessen<br />

sein. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstel-<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

lung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder<br />

die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl<br />

nicht eingestellt worden wäre, § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Für die<br />

Höhe der festzusetzenden Entschädigung sind Art und<br />

Schwere der Verstöße sowie die Folgen für den schwerbehinderten<br />

Kläger von Bedeutung. Daneben sind auch Anlass und<br />

Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit<br />

des Arbeitgebers und auch der Sanktionszweck der Norm zu<br />

berücksichtigen (BAG, v. 21.7.2009 – 9 AZR 431/08 = NZA 2009<br />

1087, Rn 54, 55).<br />

b) Hiernach ist die vom Arbeitsgericht zugesprochene Entschädigung,<br />

die die Höhe eines Bruttomonatsverdienstes<br />

knapp übersteigt, angemessen. Das Arbeitsgericht ist hiermit<br />

deutlich unter der zu beachtenden Höchstgrenze von drei<br />

Monatsverdiensten gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG geblieben.<br />

Das Arbeitsgericht hat Art und Schwere der Verstöße der Beklagten<br />

sowie die Bedeutung der Sache für den Kläger zutreffend<br />

gewürdigt, so dass das Landesarbeitsgericht keinen Anlass<br />

sieht, von der Höhe der festgesetzten Entschädigung abzuweichen.<br />

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag<br />

der Beklagten bezüglich der an den Kläger im Zusammenhang<br />

mit Benachteiligungen durch andere Arbeitgeber<br />

gezahlten Entschädigungsleistungen. Diese wurden an den<br />

Kläger als Ausgleich für andere Benachteiligungen und nicht<br />

für die Benachteiligung durch die Beklagte gezahlt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg<br />

vom 22.3.<strong>2012</strong>, 3 Sa 74/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Jochen Link<br />

Niedere Straße 63, 78050 Villingen-Schwenningen<br />

Tel.: 07721/33166, Fax: 07721/33197<br />

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165. AGG, Schwerbehinderte, Benachteiligung,<br />

Vorstellungsgespräch, Entschädigung, öffentlicher<br />

Arbeitgeber<br />

Entscheidungsgründe:<br />

(...) der Kläger (hätte) (…) gemäß § 82 Satz 2 SGB IX zu einem<br />

Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, weil ihm<br />

nach § 82 Satz 3 SGB IX die fachliche Eignung für die angestrebte<br />

Stelle auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen<br />

dem Anforderungsprofil der Stelle – unter besonderer Berücksichtigung<br />

der konstitutiven Elemente – und seinem Leistungsprofil<br />

nicht offensichtlich fehlte. Als „konstitutiv" einzustufen<br />

sind diejenigen Merkmale des Anforderungsprofils, die<br />

zwingend vorgegeben und anhand objektiv überprüfbarer<br />

Kriterien, also insbesondere ohne Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume<br />

des Dienstherrn, als tatsächlich gegeben<br />

letztlich eindeutig und unschwer festzustellen sind. Demgegenüber<br />

kennzeichnet das „beschreibende", nicht konstitutive<br />

Anforderungsprofil solche Qualifikationsmerkmale, die entweder<br />

ausdrücklich nicht zwingend vorliegen müssen oder<br />

die schon von ihrer Art her nicht allein anhand objektiv überprüfbarer<br />

Fakten – bejahend oder verneinend – festgestellt<br />

werden können. Bei Letzteren geht es um Merkmale, die sich<br />

erst auf der Grundlage eines persönlichkeitsbedingten, das<br />

betreffende Element des Eignungs- und Befähigungsprofils<br />

näher in den Blick nehmenden Werturteils erschließen (vgl.<br />

dazu Senatsbeschluss vom 7.12.2010 – 4 S 2057/10, NVwZ-RR<br />

2011, 290). Die in der Stellenausschreibung der Beklagten geforderte<br />

Qualifikation „Dipl.-Verwaltungswirt (FH) oder vergleichbare<br />

Ausbildung" als konstitutives Merkmal des Anforderungsprofils<br />

erfüllt der Kläger offensichtlich. Ein Examensergebnis<br />

mit einer Mindestpunktzahl wird nicht verlangt. Soweit<br />

der Bewerber „idealerweise über einige Berufserfahrung"<br />

verfügen oder sonst „schon fachlich sehr versiert" sein soll,<br />

handelt es sich ersichtlich nicht um eine zwingende Einstellungsvoraussetzung.<br />

Die von der Beklagten gewählte Formulierung<br />

lässt gerade aus der Sicht schwerbehinderter Bewerber<br />

die Erwartung zu, dass ihnen beim durchzuführenden<br />

Vorstellungsgespräch die Möglichkeit eröffnet ist, fehlende<br />

Berufserfahrung durch sonstige fachliche und persönliche<br />

Kompetenz auszugleichen. Dass dem Kläger die fachliche Eignung<br />

für die angestrebte Stelle offensichtlich fehlte, ergibt<br />

sich danach nicht.<br />

Dem Kläger kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten<br />

werden, er sei deshalb für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich<br />

ungeeignet, weil ihm die Berufs- bzw. Leitungstauglichkeit<br />

fehle. Mit dem Hinweis auf eine bestimmte berufliche<br />

Qualifikation verbindet sich in der Regel die Erwartung, dass<br />

die in der Stellenbeschreibung genannten Aufgabenstellungen<br />

auf der Grundlage der beruflichen Qualifikation bewältigt<br />

werden können. Das gilt grundsätzlich auch für Aufgabengebiete,<br />

in denen der Bewerber noch keine Erfahrung gesammelt<br />

hat (BAG, Urt. v. 16.9.2008 – 9 AZR 791/07, BAGE 127,<br />

367). Weil der öffentliche Arbeitgeber in der Verantwortung<br />

steht, ein Anforderungsprofil festzulegen und vorab nachvollziehbar<br />

zu dokumentieren, können auch andere Gesichtspunkte<br />

schon im rechtlichen Ansatz grundsätzlich nicht zur<br />

Ergänzung des Anforderungsprofils herangezogen werden.<br />

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob überhaupt<br />

Fälle denkbar sind, in denen sich bei feststehender<br />

fachlicher Eignung aus den Bewerbungsunterlagen und ggf.<br />

zusätzlich bekannt gewordenen Umständen eine Praxisuntauglichkeit<br />

für eine (Leitungs-)Aufgabe im Sinne einer offensichtlichen<br />

Ungeeignetheit nach § 82 Satz 3 SGB IX ergeben<br />

kann. Denn von deren Vorliegen kann hier nicht ausgegangen<br />

werden; der Umstand, dass sich an die verschiedenen beruflichen<br />

Ausbildungen des Klägers nie eine entsprechend nachhaltige<br />

berufliche Tätigkeit angeschlossen hat, führt nicht auf<br />

eine offensichtliche Berufs- bzw. Praxisuntauglichkeit. Für die<br />

Biographie des Klägers können unterschiedlichste Gründe<br />

vorliegen, deren Evaluierung gerade einem Vorstellungsgespräch<br />

und dem hieraus resultierenden persönlichen Eindruck<br />

vorbehalten bleibt. Dass sich aus den Bewerbungsunterlagen<br />

ergäbe, dass der Kläger offensichtlich nicht für die ausgeschriebene<br />

Stelle des Leiters des Hauptamts geeignet wäre,<br />

lässt sich insgesamt nicht feststellen.<br />

142<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

1.3. Zwischen der Schwerbehinderung des Klägers und seiner<br />

Benachteiligung im Bewerbungsverfahren besteht ein Kausalzusammenhang.<br />

Einer pflichtwidrig unterlassenen Einladung<br />

zu einem Vorstellungsgespräch ist eine Indizwirkung im Sinne<br />

des § 22 AGG beizumessen. Die Beklagte hat die Kausalitätsvermutung<br />

nicht widerlegt. (…)<br />

Die Beklagte macht geltend, Kriterium für die Auswahl der 5<br />

eingeladenen Bewerber zum Vorstellungsgespräch bzw. für<br />

die Nichteinladung des Klägers sei nicht seine Behinderung,<br />

sondern die Berufserfahrung der eingeladenen Bewerber<br />

bzw. die fehlende Berufserfahrung des Klägers gewesen sowie<br />

seine mit 7 Punkten eher durchschnittliche Abschlussnote.<br />

Damit aber bezieht sich die Beklagte auf ein Merkmal,<br />

das die fachliche Eignung des Klägers berührt. Dies ist aber<br />

gerade nicht ausreichend, um die Indizwirkung zu entkräften,<br />

und belegt nicht, dass es ausschließlich andere Gründe waren<br />

als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung<br />

führten. Die bessere Eignung von Mitbewerbern schließt<br />

eine Benachteiligung nicht aus. Das folgt schon aus § 15<br />

Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach selbst dann eine Entschädigung<br />

zu leisten ist, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei<br />

benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden<br />

wäre. Sind die Chancen eines Bewerbers – wie hier – bereits<br />

durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden,<br />

kommt es nicht mehr darauf an, ob die (Schwer-)Behinderung<br />

bei der abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine<br />

nachweisbare Rolle gespielt hat. Für diesen verfahrensrechtlichen<br />

Anspruch gelten deshalb andere Kriterien als für die Bestenauslese<br />

nach Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. auch BAG, Urt. v.<br />

21.7.2009 – 9 AZR 431/08, NJW 2009, 3319). Nach dem Vorbringen<br />

der Beklagten ist nicht ausgeschlossen, dass die Behinderung<br />

in ihrem Motivbündel nicht doch enthalten war;<br />

die Vermutung der Benachteiligung des Klägers hat sie nicht<br />

widerlegt.<br />

1.4. (…)<br />

1.5. Der Entschädigungsanspruch ist nicht ausnahmsweise<br />

nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz<br />

von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt<br />

des Rechtsmissbrauchs, insbesondere wegen mangelnder<br />

Ernsthaftigkeit der Bewerbung, ausgeschlossen. Mit Rücksicht<br />

auf die Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen<br />

Rechtsschutzes vor Benachteiligungen in Beschäftigung und<br />

Beruf ist an einen derartigen Anspruchsausschluss ein strenger<br />

Maßstab anzulegen. Eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen<br />

allein lässt nicht darauf schließen, der Bewerber sei nicht<br />

ernsthaft interessiert. Von einem solchen Ausnahmefall ist<br />

vielmehr nur dann auszugehen, wenn von vornherein der<br />

Wille fehlt, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich einzunehmen,<br />

also in Wirklichkeit nur eine Entschädigung angestrebt<br />

wird (BAG, Urteile vom 21.7.2009 und vom 16.9.2008, jeweils<br />

a.a.O.). Dies kann hier nicht festgestellt werden. Der Kläger hat<br />

mit seinen Bewerbungen von seinem Recht, den Arbeitsplatz<br />

frei zu wählen, Gebrauch gemacht. Ihm kann nicht vorgehalten<br />

werden, dass er, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen,<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

sich – auch unter Verwendung von Textbausteinen – um eine<br />

Vielzahl ausgeschriebener Stellen beworben hat. Auch wenn<br />

er in der Folge zahlreiche Entschädigungsklagen gegen öffentliche<br />

Arbeitgeber erhoben hat, steht dieser Umstand seinem<br />

Entschädigungsanspruch nicht entgegen. Denn dass offenbar<br />

eine Vielzahl von öffentlichen Arbeitgebern in Unkenntnis<br />

war über die besonderen gesetzlichen Verpflichtungen<br />

aus § 82 SGB IX, kann dem Kläger nicht angelastet werden.<br />

Hinreichende Anhaltspunkte für ein „AGG-Hopping" des<br />

Klägers ergeben sich nicht. Auch in der Verwendung von standardisierten<br />

Anwaltsschreiben, mit denen Entschädigungsansprüche<br />

geltend gemacht werden, liegt kein hinreichendes Indiz<br />

für eine nicht ernsthafte Bewerbung des Klägers. Ein Bewerber<br />

ist nicht daran gehindert, aus seiner Sicht bestehende<br />

Rechte auszuüben. Unerheblich ist auch, dass sich der Kläger<br />

im vorliegenden Fall zu einem Zeitpunkt beworben hat, als er<br />

bereits eine Zusage für die – letztlich nur kurzfristige – Beschäftigung<br />

bei einer bayerischen Gemeinde hatte. Abgesehen<br />

davon, dass der letztgenannte Umstand belegt, dass der<br />

Kläger gewillt ist, eine ihm angebotene Stelle auch anzunehmen,<br />

hat er plausibel vorgetragen, er habe immer eine Beamtenstelle<br />

und nicht nur ein Angestelltenverhältnis angestrebt<br />

und bevorzuge räumlich eindeutig eine Beschäftigung in Baden-Württemberg.<br />

Dass er sich aus diesen Gründen weiterhin<br />

um eine Beamtenstelle in Baden-Württemberg beworben hat,<br />

kann ihm deshalb nicht vorgeworfen werden. Ob der Arbeitgeber<br />

das der Bewerbung zugrunde liegende Motiv nachvollziehen<br />

kann, ist demgegenüber nicht entscheidend. Eine<br />

mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung folgt auch nicht<br />

daraus, dass der Kläger im Herbst 2009 und zu Beginn des<br />

Jahres 2010 einzelne Vorstellungsgespräche abgesagt hat.<br />

Daraus kann nicht geschlossen werden, dass er auch ein etwaiges<br />

Vorstellungsgespräch bei der Beklagten nicht hätte<br />

wahrnehmen wollen. Er hat nachvollziehbar dargetan, dass er<br />

sich grundsätzlich bemüht hat, jedes ihm angetragene Vorstellungsgespräch<br />

wahrzunehmen oder sich – sofern ihm dies<br />

etwa wegen gleichzeitig stattfindender anderer Vorstellungsgespräche<br />

oder wegen Krankheit nicht möglich war – um einen<br />

Ersatztermin nachzusuchen. Form und Inhalt seiner Bewerbung<br />

lassen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden<br />

hat, ebenfalls nicht den Schluss zu, es habe sich um<br />

eine nicht ernsthafte Bewerbung gehandelt.<br />

2. Die Höhe des hiernach dem Kläger dem Grunde nach zustehenden<br />

Entschädigungsanspruchs ist nach § 15 Abs. 2 Satz 2<br />

AGG begrenzt. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig und<br />

der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Kläger auch<br />

bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden<br />

wäre. (…)<br />

Innerhalb des danach geltenden Rahmens von drei Bruttomonatsgehältern<br />

richtet sich die Festsetzung der angemessenen<br />

Entschädigung nach den Umständen des Einzelfalls, wobei<br />

etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, die Folgen für<br />

den Kläger hinsichtlich seines Persönlichkeitsrechts, der Grad<br />

der Verantwortlichkeit der Beklagten, der Anlass und Beweg-<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 16 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

grund ihres Handeln sowie der Sanktionszweck und die damit<br />

verbundene abschreckende Wirkung zu berücksichtigen sind<br />

(vgl. dazu BAG, Urt. v. 17.8.2010 – 9 AZR 839/08, NJW 2011,<br />

550). Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt,<br />

die Entscheidung der Beklagten, den Kläger wegen fehlender<br />

Berufserfahrung nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen,<br />

sei eher einem fahrlässigen Verfahrensverstoß zuzuordnen.<br />

Dass sowohl gegen die Verpflichtung zur Einladung<br />

zu einem Vorstellungsgespräch als auch gegen die Pflicht zur<br />

Einschaltung der Agentur für Arbeit verstoßen worden sei<br />

und es sich bei der vom Kläger angestrebten Stelle nicht um<br />

eine nur kurzfristige Beschäftigung, sondern um eine dauerhafte<br />

Beamtenstelle gehandelt habe, die für den seit langer<br />

Zeit arbeitslosen Kläger von besonderer Bedeutung gewesen<br />

wäre, sei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass<br />

das letztlich entscheidende Kriterium der Berufserfahrung in<br />

der Stellenbeschreibung bereits – wenn auch nicht als Ausschlusskriterium<br />

– angesprochen worden sei und insofern die<br />

Absage an den Kläger hinsichtlich der Auswirkungen auf sein<br />

Selbstwertgefühl und sein Persönlichkeitsrecht abgemildert<br />

erscheine. Dies ist nicht zu beanstanden. Danach ist die vom<br />

Verwaltungsgericht festgesetzte Entschädigung in Höhe von<br />

zwei Monatsgehältern angemessen; (…).<br />

■ Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg<br />

vom 7.2.<strong>2012</strong>, 4 S 82/12<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Jochen Link<br />

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Tel.: 07721/33166, Fax: 07721/33197<br />

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Anmerkung:<br />

Entsprechender Verfahrensausgang in dem vom selben Kläger<br />

geführten ebenfalls am 7.2.<strong>2012</strong> vom Verwaltungsgerichtshof<br />

entschiedenen Verfahren zu Az 4 S 1813/11; 4 S<br />

1814/11. (gr)<br />

166. AGG, Geschlechtsdiskriminierung, Entschädigung;<br />

Anspruch gegen Vorgesetzte, Prozesskostenerstattung<br />

wegen sittenwidriger Schädigung<br />

1. Die Klage gegen die Beklagte zu 1) ist in Höhe eines Entschädigungsanspruchs<br />

von 12.000,00 EUR begründet. Der<br />

Klägerin steht dieser Anspruch auf Entschädigung zu, weil die<br />

Beklagte sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt hat, § 15<br />

Abs. 2 Satz 1 AGG. Diese Benachteiligung ist gemäß § 3 Abs. 1<br />

Satz 2 AGG zu bejahen, weil die Beklagte zu 1) die Klägerin<br />

wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt hat als<br />

sie andere Personen behandelt hätte.<br />

a) Eine solche diskriminierende Behandlung hat die Beklagte<br />

zu 1) vorgenommen, als sie versucht hat, das Arbeitsverhältnis<br />

mit der Klägerin aufgrund von deren Schwangerschaft nachträglich<br />

zu befristen und damit zu verkürzen. Es ist zwischen<br />

den Parteien nicht mehr im Streit, dass die Beklagte zu 1), vertreten<br />

durch den Beklagten zu 2), den Vorschlag unterbreitet<br />

hat, den Arbeitsvertrag so zu befristen, dass das Arbeitsver-<br />

hältnis unmittelbar vor Beginn des Mutterschutzes ausgelaufen<br />

wäre. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach<br />

dem ohnehin bestrittenen und wenig substantiierten Vortrag<br />

der Beklagten zu 1) nach Feststellung ihrer Schwangerschaft<br />

angeblich erhebliche Zweifel mitgeteilt habe, die arbeitsvertraglich<br />

geschuldete Tätigkeit noch erbringen zu können. Dieser<br />

– hier unterstellte – Hinweis auf solche Schwierigkeiten,<br />

verbunden mit dem angeblichen Wunsch der Klägerin auf<br />

eine irgendwie geartete finanzielle Absicherung der Klägerin<br />

im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, lässt sich jedoch nicht<br />

einmal ansatzweise als eine alleinige Initiative der Klägerin<br />

dahin verstehen, ihr Arbeitsverhältnis nachträglich auf die<br />

Zeit bis zum Eintritt des Mutterschutzes zu befristen. (…)<br />

War es mithin die Beklagte zu 1) und nicht die Klägerin, die<br />

auf eine nachträgliche Befristung gedrängt hat, kann nur die<br />

Schwangerschaft der Klägerin der Grund für dieses Vorgehen<br />

gewesen sein. Es ist nicht ersichtlich, dass es irgendeinen anderen<br />

plausiblen Grund gab, der die Beklagte zu 1) veranlasst<br />

haben könnte, im Falle einer nichtschwangeren Arbeitnehmerin<br />

ebenso vorzugehen. Der Beklagten zu 1) ist es nicht gelungen,<br />

einen Sachverhalt vorzutragen, der plausibel gemacht<br />

hätte, dass das Arbeitsverhältnis schon vor der Kenntnis von<br />

der Schwangerschaft in einer ernsthaften Krise war. Eine Abmahnung<br />

hat die Klägerin unstreitig nicht erhalten. Der Hinweis<br />

im Schriftsatz der Beklagten vom 30.6.2011, der Beklagte<br />

zu 2) habe wiederholt die fachlichen Leistungen der Klägerin<br />

kritisch gewürdigt, hat keinen konkreten nachvollziehbaren,<br />

jedenfalls der Annahme einer Diskriminierung entgegenstehenden<br />

Inhalt. Der Vorwurf, eine einzelne von der Klägerin<br />

gefertigte Aufstellung sei völlig unzureichend erbracht worden,<br />

kann keinesfalls erklären, wieso die Beklagte Anlass haben<br />

konnte, die Befristung und damit Verkürzung des Arbeitsverhältnisses<br />

anzustreben.<br />

Eine gerecht und sozial denkende Arbeitgeberin, die sich<br />

nicht von der Schwangerschaft der Klägerin in ihrem Vorgehen<br />

hätte beeinflussen lassen, hätte solche angeblichen Mängel<br />

einer Arbeitsleistung mit der Klägerin besprochen und mit<br />

ihr diskutiert, wie künftig in einem ähnlichen Arbeitskontext<br />

eine Verbesserung erreicht werden könnte. Ein solcher normaler<br />

Mangel auf der Arbeitsebene rechtfertigte es jedoch<br />

zweifellos nicht, eine Veränderung des Status der Arbeitnehmerin<br />

anzustreben.<br />

b) Das der Beklagten zu 1) gemäß § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnende<br />

Verhalten des Beklagten zu 2) wiegt nach der Art der<br />

Benachteiligung, dem Anlass und dem Beweggrund her so<br />

schwer, dass eine Geldentschädigung für die Klägerin geboten<br />

ist, um die immateriellen Nachteile angemessen auszugleichen<br />

und die Beklagte zu 1) vor künftigen Diskriminierungen<br />

abzuhalten.<br />

Dem steht nicht entgegen, dass es im Laufe des Rechtsstreits<br />

durch die insoweit übereinstimmenden Erledigungserklärungen<br />

der Parteien dazu gekommen ist, dass das Arbeitsverhältnis<br />

nun doch entsprechend dem Inhalt der tatsächlich getroffenen<br />

Vereinbarung unbefristet fortgesetzt wird. Das Verhal-<br />

144<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 17 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

ten der Beklagten war unabhängig von seinem letztlich ausgebliebenen<br />

sachlichen Erfolg für die Klägerin verletzend. Die<br />

Beklagte zu 1) bzw. ihr Geschäftsführer, der Beklagte zu 2), die<br />

immerhin einen nicht kleinen Betrieb führen, können nicht<br />

verkannt haben, dass es die Zielrichtung des gesetzlichen<br />

Mutterschutzes ist, die Arbeitnehmerin als werdende Mutter<br />

in der physischen wie psychisch nicht leichten Zeit der<br />

Schwangerschaft von der belastenden Sorge um den Verlust<br />

des Arbeitsplatzes freizuhalten.<br />

Dadurch, dass die Beklagte an die Klägerin das Angebot herangetragen<br />

hat, einen den tatsächlichen Verhältnissen nicht<br />

entsprechenden Vertrag abzuschließen, durch den sie faktisch<br />

diesen gesetzlichen Schutz verloren hätte, hat sie diese besondere<br />

Rechtsstellung der Klägerin und ihr Schutzbedürfnis<br />

nicht beachtet, sondern in grober Weise zu umgehen gesucht.<br />

Das damit verbundene Ansinnen, den tatsächlich geschlossenen<br />

Arbeitsvertrag herauszugeben und die Klägerin, die<br />

durch den neuen Vertrag keine Vorteile, sondern nur Nachteile<br />

erlitten hätte, auf diese Weise in die Täuschung dritter<br />

Personen und Institutionen, z.B. Sozialversicherungsträger<br />

oder Arbeitsämter, zu verstricken, verstärkt das diskriminierende<br />

Gewicht dieses Handelns.<br />

Nicht übersehen werden darf schließlich, dass die Klägerin immerhin<br />

erst klagen musste, um die Sicherheit für den Fortbestand<br />

des Arbeitsverhältnisses zurückzuerlangen, die ihr nach<br />

dem Gesetz von Anbeginn ihrer Schwangerschaft an zustand.<br />

Ausgegangen werden muss auf dieser Grundlage auch von<br />

dem Vortrag der Klägerin, dass der Beklagte zu 2) massiv<br />

Druck auf die Klägerin ausgeübt hat, um sich mit seiner Vorstellung<br />

durchzusetzen, das Arbeitsverhältnis zu beenden, bevor<br />

das Beschäftigungsverbot eintritt. (…)<br />

c) Die zu oben b) genannten Gesichtspunkte machen es erforderlich,<br />

auch von der Höhe her eine für die Beklagte zu 1) fühlbare<br />

Entschädigung auszusprechen. Die Entschädigung<br />

konnte und musste höher liegen als die in § 15 Abs. 2 Satz 2<br />

AGG bestimmte Grenze von drei Monatsgehältern. Denn die<br />

durch das Handeln der Beklagten hervorgerufene Sorge der<br />

Klägerin um den Verlust des Arbeitsplatzes, verbunden mit<br />

der Sorge, auf diese Weise eine als gefestigt geglaubte finanzielle<br />

Existenzgrundlage zu verlieren, wiegt schwerer als das<br />

durch § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG gesicherte Vertrauen auf Durchführung<br />

eines benachteiligungsfreien, wenn auch nicht<br />

zwangsläufig zu einem Arbeitsplatz führenden Einstellungsverfahrens.<br />

Zum anderen war eine fühlbare Entschädigung auch veranlasst,<br />

um der Beklagten unmissverständlich zu verdeutlichen,<br />

dass eine Fortsetzung von diskriminierenden Verhaltensweisen<br />

gegenüber der Klägerin nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit,<br />

sehr hohe finanzielle Nachteile zur Folge haben<br />

konnte.<br />

2. Unbegründet ist die Klage gegen den Beklagten zu 2). Ein<br />

Anspruch ergibt sich nicht aus § 15 AGG. Denn der Beklagte<br />

zu 2) ist nicht, wie es diese Vorschrift voraussetzt, Arbeitgeber<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

der Klägerin, dies ist die Beklagte zu 1). Ein Anspruch ergibt<br />

sich auch nicht aus Deliktsrecht, weder aus § 826 Abs. 1 BGB<br />

noch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.<br />

Es kann dahinstehen, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

auch das Diskriminierungsverbot des AGG mit umfasst. Eine<br />

Geldentschädigung für immaterielle Schäden, die sich, wie im<br />

vorliegenden Fall, nicht aus den Rechtsgütern ergeben, die in<br />

§ 253 Abs. 2 BGB genannt sind (körperliche Unversehrtheit,<br />

Gesundheit, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung), ist selbst<br />

bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen unter<br />

dem Gesichtspunkt der Genugtuung und der Prävention<br />

nur dann geboten, wenn die Benachteiligung nicht in anderer<br />

Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Hier aber hat<br />

die Klägerin durch den Anspruch, den die Kammer ihr gegen<br />

ihre Arbeitgeberin, die Beklagte zu 1) zugebilligt hat, einen<br />

solchen hinreichenden Ausgleich auch in Bezug auf das Verhalten<br />

des Beklagten zu 2) erhalten. Eine Notwendigkeit, aus<br />

Gründen der Prävention daneben gegen diesen Beklagten<br />

noch einen Schmerzensgeldanspruch zuzusprechen, um ihn<br />

persönlich künftig von Diskriminierungen abzuhalten, gibt es<br />

nicht. Es ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 2) ausschließlich<br />

für die Beklagte zu 1) aufgetreten ist. Wenn dieser<br />

Beklagten durch das vorliegende Urteil deutlich gemacht<br />

worden ist, dass sie bei diskriminierendem Verhalten der für<br />

sie verantwortlich handelnden Personen mit Entschädigungszahlungen<br />

rechnen muss, stellt dies für die Klägerin auch hinsichtlich<br />

des Beklagten zu 2) eine genügende Absicherung<br />

dar: Denn der Beklagte zu 2) ist gegenüber der Beklagen zu<br />

1) und deren Gesellschaftern für vermeidbare finanzielle Lasten,<br />

die der Gesellschaft entstehen, verantwortlich. Auch<br />

ohne eine Verurteilung zu einer Entschädigung tut er deshalb<br />

gut daran, diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber der<br />

Klägerin strikt zu unterlassen.<br />

3. Ein Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten ist gleichfalls<br />

nicht begründet. Die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes,<br />

die im Gegensatz zum allgemeinen Zivilprozess einen<br />

Kostenerstattungsanspruch der obsiegenden Partei gegenüber<br />

der unterliegenden Partei ausschließen (§ 12a Abs. 1<br />

Satz 1 ArbGG), verdrängen in ihrem Anwendungsbereich auch<br />

materiell rechtliche Erstattungsansprüche, denn sonst wären<br />

sie wirkungslos.<br />

Offen bleiben kann, ob eine Kostenerstattung auch für den<br />

Fall einer sittenwidrige Schädigung, § 826 BGB, ausgeschlossen<br />

wäre. Eine solche vorsätzlich sittenwidrige Schädigung<br />

des Beklagten zu 2) in Bezug auf die Prozesskosten wäre nur<br />

dann anzunehmen, wenn es einem Schädiger gerade darum<br />

ginge, seinen Gegner gerade dadurch zu schädigen, dass er<br />

diesem Prozesskosten gerade in dem Bewusstsein erwachsen<br />

lässt, dass er für diese wegen § 12a ArbGG keine Erstattung<br />

erlangen kann. Hier aber ging ein Vorsatz des Beklagten zu 2)<br />

erkennbar nicht dahin, der Klägerin einen Schaden gerade in<br />

Form der Belastung mit Prozesskosten zuzufügen. Im Gegenteil<br />

zielte das Verhalten des Beklagten zu 2) gerade darauf,<br />

<strong>03</strong>/12 145


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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

dass es zu keinem Prozess kommen sollte, sondern das Arbeitsverhältnis<br />

der Klägerin durch einen Vertragstext, der eine<br />

fingierte Befristung beinhaltete, ohne großes Aufsehen ein<br />

Ende finden sollte.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 27.10.2011, 17 Ca 6099/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Bernhard Steinkühler<br />

Schillerstraße 3, 10625 Berlin<br />

Tel.: <strong>03</strong>0/31805940, Fax: <strong>03</strong>0/318059499<br />

kontakt@steinkuehler-arbeitsrecht.de<br />

167. Arbeitnehmerstatus, Cutterin, Programmgestaltung,<br />

Dienstplanfreiheit<br />

1. Eine Cutterin, die überwiegend für ein regionales Nachrichtenmagazin<br />

beschäftigt wird, ist nicht programmgestaltend<br />

tätig. 2. Der Umstand, dass der Dienstplan erst aufgestellt<br />

wird, nachdem telefonisch die Dienstbereitschaft abgefragt<br />

wurde, steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft<br />

nicht entgegen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 8.2.<strong>2012</strong>, 15 Sa 2287/11<br />

168. Arbeitszeit, Verrechnung von Minderstunden nur<br />

bei Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos,<br />

Annahmeverzug<br />

Der Arbeitgeber ist nicht zur Verrechnung sog. Minusstunden<br />

berechtigt, die aufgrund einer Unterschreitung der vereinbarten<br />

Wochenarbeitszeit aus betrieblichen Gründen entstanden<br />

sind, wenn er mit dem Arbeitnehmer keine Vereinbarung<br />

über ein Arbeitszeitkonto mit der Möglichkeit eines negativen<br />

Kontostands getroffen hat. Fehlt es an einer wirksamen Vereinbarung<br />

eines Arbeitszeitkontos, kommt es bei betriebsbedingt<br />

veranlassten Minusstunden nicht zu einem vom Arbeitnehmer<br />

auszugleichenden Vergütungsvorschuss, da der Arbeitgeber<br />

das Risiko des Arbeitsausfalls zu tragen hat und sich<br />

deshalb nach § 615 Satz 1 und 3 BGB im Annahmeverzug befunden<br />

hat.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 15.11.2011, 3 Sa 493/11<br />

169. Ausgleichsklausel, Auslegung, keine Erstreckung<br />

auf Betriebsrentenansprüche<br />

Gesamterledigungsklauseln sind im Regelfall dahin auszulegen,<br />

dass sie Betriebsrentenansprüche nicht erfassen. Die<br />

große Bedeutung von Versorgungsansprüchen erfordert eine<br />

unmissverständliche Erklärung; ein Verzicht muss eindeutig<br />

und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden. Dies ist bei<br />

einer allgemeinen Ausgleichsklausel („Mit Erfüllung der vorstehenden<br />

Verpflichtungen sind alle gegenseitigen Ansprüche<br />

der Parteien – egal aus welchem Rechtsgrund und egal<br />

ob bekannt oder nicht – erledigt.") nicht der Fall.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 23.2.<strong>2012</strong>, 2 Sa 635/11<br />

170. Betriebliche Altersversorgung, Zusage,<br />

Bekanntmachung<br />

Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die<br />

Beklagte ihren Mitarbeitern betriebliche Altersversorgung<br />

durch die Beklagte nach deren Leistungsrichtlinien zugesagt<br />

hat.<br />

Gründet ein Arbeitgeber eine rechtlich selbstständige Einrichtung<br />

zum Zweck der Altersversorgung seiner Mitarbeiter, liegt<br />

darin regelmäßig die Zusage an die Arbeitnehmer ihnen<br />

durch diese Einrichtung betriebliche Altersversorgung nach<br />

deren Satzung oder Richtlinien zu gewähren. Dies gilt jedenfalls<br />

dann, wenn das Bestehen der Einrichtung bei den Arbeitnehmern<br />

bekannt ist. Hat der Arbeitgeber eine solche Einrichtung<br />

gegründet, ist es seine Sache darzulegen und gegebenenfalls<br />

zu beweisen, dass ausnahmsweise die Einrichtung<br />

und deren Zweck den Arbeitnehmern nicht bekannt gemacht<br />

wurden. Der erste Anschein spricht dafür, dass die Gründung<br />

und der Bestand einer solchen Einrichtung im Betrieb bekannt<br />

gemacht worden ist. Das entspricht dem regelmäßigen<br />

Geschehensablauf.<br />

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte eine Stiftung mit dem<br />

satzungsmäßigen Zweck der freiwilligen einmaligen oder laufenden<br />

Unterstützung von Betriebsangehörigen und ehemaligen<br />

Betriebsangehörigen sowie deren Angehörigen bei Hilfsbedürftigkeit,<br />

Berufsunfähigkeit und im Alter gegründet. Die<br />

Beklagte hat damit eine Unterstützungskasse gegründet, die<br />

nach ihrer Satzung ihre Einkünfte aus freiwilligen Zuwendungen<br />

der Beklagten und aus Erträgen des Stiftungsvermögens<br />

erzielen sollte. Dass diese Stiftung, die Klägerin auf ihre Leistungen<br />

keinen Rechtsanspruch gewährt, gehört gerade zur<br />

Definition der Unterstützungskasse nach § 1b Abs. 4 BetrAVG.<br />

Unbestritten hat die Klägerin in der Vergangenheit stets entsprechend<br />

ihrer Satzung und den Leistungsbestimmungen<br />

betriebliche Altersversorgung an ehemalige und gegenwärtige<br />

Arbeitnehmer der Beklagten geleistet. Auch damit ist die<br />

Leistung von Altersversorgung durch eine von der Beklagten<br />

gegründete Unterstützungskasse bekannt gemacht worden.<br />

Im Übrigen geht auch die Arbeitsordnung der Beklagten bis<br />

1991 von der Versorgung durch die Klägerin aus, genauso wie<br />

verschiedene Schriftwechsel mit dem Betriebsrat der Beklagten<br />

und Betriebsvereinbarungen.<br />

Die Klägerin hat damit die betriebliche Altersversorgung an<br />

die ehemaligen Mitarbeiter der Beklagten in deren Auftrag<br />

geleistet, wie das Arbeitsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt<br />

hat.<br />

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass ihre Zuwendungen<br />

freiwillig seien, gilt für diese Freiwilligkeit der Zuwendungen<br />

das gleiche, wie für die Freiwilligkeit der Leistungen einer<br />

Unterstützungsklasse: Dieser Freiwilligkeitsvorbehalt kann<br />

nur zum Widerruf aus sachlichem Grund berechtigen (vgl.<br />

ständige Rechtsprechung seit BAG E 25, 194 (200 f.) = AP Nr. 6<br />

zu § 242 BGB Ruhegehalt – Unterstützungskassen; BAG v.<br />

10.11.1977 – 3 AZR 705/76 – AP Nr. 8 zu § 242 BGB Ruhge-<br />

146<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

halt – Unterstützungskassen). Einen sachlichen Grund für einen<br />

Widerruf hat die Beklagte aber nicht dargetan. Dass sich<br />

das Verhältnis zwischen Versorgungsempfängern und aktiven<br />

Arbeitnehmern zu Lasten letzterer stark verändert hat, stellt<br />

einen solchen sachlichen Grund nicht dar. Wer Versorgung<br />

verspricht, muss dafür sorgen, dass er sie auch leisten kann.<br />

Ein Recht zum Widerruf einer Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher<br />

Notlage besteht nicht mehr seit der Sicherungsfall<br />

der „wirtschaftlichen Notlage" im Betriebsrentengesetz<br />

gestrichen ist (BAG, v. 31.7.2007 – 3 AZR 372/06, NZA 2008,<br />

320). Dies gilt auch hinsichtlich des Widerrufsrechts von Unterstützungskassen<br />

(BAG, v. 18.11.2008 – 3 AZR 417/07, DB<br />

2009, 1079).<br />

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urt. v. 10.11.1977 (3<br />

AZR 705/76, a.a.O.) für eine gleichartige Fallgestaltung – Unterstützungskasse,<br />

die keinen Rechtsanspruch gewährt und<br />

mit einer Satzungsbestimmung, wonach die Einkünfte auf<br />

freiwilligen Zuwendung des Trägerunternehmens beruhen –<br />

ausgeführt, dass der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass der<br />

Unterstützungseinrichtung die Mittel zur Vergütung stehen,<br />

die sie benötigt, um die Versorgungsleistungen zu erbringen.<br />

Die Kammer folgt den zutreffenden Ausführungen in diesem<br />

Urteil. Die Beklagte kann auch aus diesem Grund den zumindest<br />

konkludent erteilten Auftrag an die Klägerin, für sie die<br />

Erfüllung der Betriebsrentenansprüche ihrer Arbeitnehmer zu<br />

erfüllen, nicht widerrufen.<br />

Jedenfalls wäre ein Widerruf dieses Auftrags rechtsmissbräuchlich.<br />

Die Beklagte bliebe bei Mittellosigkeit der Klägerin<br />

nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG zur Leistung an die Betriebsrentner<br />

nach den Leistungsrichtlinien der Klägerin verpflichtet.<br />

Sie müsste jedenfalls das, was der Klägerin zur Erfüllung<br />

der Rentenansprüche fehlt und was sie einklagt, unmittelbar<br />

an die Betriebsrentner zahlen. Es ist als rechtsmissbräuchlich<br />

anzusehen, wenn ein Arbeitgeber seiner Unterstützungskasse<br />

die Mittel zur Erfüllung der Betriebsrentenansprüche seiner<br />

früheren Mitarbeiter verweigert, nur um dadurch die Betriebsrentner<br />

zu zwingen, unmittelbar gegen ihn zu klagen. Die<br />

Rechtsmissbräuchlichkeit eines solchen Widerrufs entspricht<br />

dem rechtsmissbräuchlichen Handeln desjenigen, der etwas<br />

verlangt, was er sogleich zurückzuerstatten hat (dolo agit qui<br />

petit quad statim redditurus esset). Die Beklagte darf durch<br />

ihr Verhalten nicht den Vorteil erlangen, dass in der Regel<br />

nicht alle, insbesondere die besonders alten oder hilflosen Betriebsrentner<br />

ihre Ansprüche nicht gerichtlich geltend machen.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 14.12.2011, 8 Sa 777/11<br />

171. Betriebliche Altersversorgung, Berechnung<br />

Die gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungsklage ist<br />

nicht begründet. Es folgt eine kurze Zusammenfassung der<br />

Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher<br />

und rechtlicher Hinsicht beruht, § 313 Abs. 3 ZPO.<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine<br />

monatliche Rente auf der Grundlage der von ihr begehrten<br />

Berechnungsmethode. Denn entgegen ihrer Auffassung hat<br />

die Beklagte den Rentenanspruch der Klägerin korrekt errechnet,<br />

indem sie bei der Berechnung die fiktive, zum Zeitpunkt<br />

der Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin zu zahlende<br />

Sozialversicherungsrente in Höhe von unstreitig 1.826,82 EUR<br />

angerechnet hat.<br />

Soweit die Klägerin auf § 17 Ziffer 3 2. Absatz des Versorgungswerkes<br />

verweist und meint, ausschließlich der tatsächlich<br />

gezahlte Sozialversicherungsrentenbetrag sei anzurechnen,<br />

führt dies zu keiner anderen Beurteilung der Streitfrage.<br />

Denn § 17 des Versorgungswerkes bezieht sich eindeutig auf<br />

den Rentenanspruch und es handelt sich hierbei um den Anspruch<br />

des Versorgungsempfängers, der bei Ausscheiden aus<br />

dem Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Vollendung des 65.<br />

Lebensjahres zu zahlen wäre.<br />

So liegt der Fall bei der Klägerin aber nicht. Sie schied vorzeitig<br />

aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Damit<br />

war sie sog. Anwartschaftsberechtigte. Ihr Anspruch richtet<br />

sich daher – darauf hat die Beklagte zu Recht hingewiesen –<br />

nach § 20 VO 83 und damit nach § 2 Abs. 1 BetrAVG. Dementsprechend<br />

hat die Beklagte die Anwartschaft errechnet, indem<br />

sie zunächst den der Klägerin zustehenden Vollanspruch<br />

errechnete. Dabei handelt es sich um den Anspruch, den die<br />

Klägerin erreicht hätte, wenn sie bis zur Vollendung ihres 65.<br />

Lebensjahres im Arbeitsverhältnis verblieben wäre. Diesen<br />

sog. Vollanspruch hat die Beklagte sodann ins Verhältnis gesetzt<br />

zur tatsächlichen Betriebszugehörigkeit der Klägerin.<br />

Zum Errechnen des Vollanspruches gehört aber die Anrechnung<br />

der Rente, die im Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres<br />

zu zahlen gewesen wäre. Das wäre im Falle der<br />

Klägerin der fiktiv hochgerechnete Rentenbetrag von<br />

1.826,82 EUR gewesen.<br />

Diese Berechnungsweise entspricht – wie bereits weiter oben<br />

dargelegt – der Regelung des § 17 Ziffer 3 2. Absatz des Versorgungswerkes.<br />

Das wäre nämlich der Betrag gewesen, den<br />

die Klägerin im Zeitpunkt der Vollendung ihres 65. Lebensjahres<br />

"erhalten" hätte.<br />

Dass nur diese Berechnungsweise berechtigt ist und dem Versorgungswerk<br />

der Beklagten entspricht, ergibt sich auch aus<br />

folgender Überlegung: Würde man die Rente der Klägerin<br />

entsprechend ihrer Methode errechnen, würde sie ungerechtfertigt<br />

bevorzugt. Sie würde nämlich mehr Rente erhalten als<br />

derjenige Arbeitnehmer, der bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres<br />

im Arbeitsverhältnis verblieben wäre und sich deshalb<br />

bei Einrechnung seines Rentenanspruches die auch zu<br />

diesem Zeitpunkt höhere Sozialversicherungsrente anrechnen<br />

lassen müsste. Für eine solche Bevorzugung von Arbeitnehmern,<br />

die lediglich mit einer Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis<br />

ausscheiden und die darüber hinaus vorgezo-<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 20 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

genes Altersruhegeld beziehen, ergibt sich im gesamten Versorgungswerk<br />

kein Anhaltspunkt.<br />

Entgegen ihrer Ansicht hat die Klägerin auch nicht einen Anspruch<br />

auf eine monatliche Rente von mindestens 586,45<br />

EUR. Mit Rücksicht auf die Tatsache nämlich, dass die Klägerin<br />

mit Vollendung ihres 60. Lebensjahres vorgezogenes Altersruhegeld<br />

erhält, war dieser Betrag um einen versicherungsmathematischen<br />

Abschlag zu kürzen, so dass letztlich der an die<br />

Klägerin gezahlte Rentenbetrag korrekt ist.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 15.12.2011, 6 Ca 3277/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen Höser<br />

Kölner Straße 2, 50226 Frechen<br />

Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />

office@hdup.de<br />

172. Direktionsrecht, Beschäftigungsanspruch,<br />

Feststellungsantrag<br />

1. Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren sind insoweit<br />

§§ 611, 613, 241 Abs. 2, 242 i.V.m. Art. 1, 2 GG (seit BAG,<br />

GS Beschl. v. 27.2.1985 – GS 1/84). Der Beschäftigungsanspruch<br />

beruht unmittelbar auf der arbeitsvertraglichen Interessenwahrungspflicht<br />

(§ 241 Abs. 2 BGB), die das Beschäftigungsinteresse<br />

des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung<br />

der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung über den Persönlichkeitsschutz<br />

umfasst (§ 242 BGB, Art. 1, 2 GG). Welche<br />

Aufgaben vom Arbeitgeber zu übertragen sind, richtet sich<br />

nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Ein Anspruch<br />

auf Beschäftigung mit ganz bestimmten Tätigkeiten steht<br />

dem Arbeitnehmer nur dann zu, wenn die Arbeitspflicht des<br />

Arbeitnehmers nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages auf<br />

diese Tätigkeiten beschränkt ist. Dies ist nicht der Fall, wenn<br />

der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aufgrund seines Direktionsrechts<br />

auch andere Tätigkeiten zuweisen kann (LAG<br />

Hamm, Urt. v. 8.3.2005 – 19 Sa 2128/04, juris).<br />

Im Streitfall vereinbarten die Parteien im Rahmen der Vertragsumwandlung<br />

vom 25.6.2004, dass die Klägerin mit Wirkung<br />

ab dem 1.7.2004 als Mitverantwortliche für den Bereich<br />

Nachtreinigung eingesetzt wird. Das bedeutet nach Auffassung<br />

der erkennenden Kammer aber nicht, dass sie danach<br />

nicht mehr verpflichtet gewesen ist, Reinigungstätigkeiten<br />

durchzuführen. Vielmehr verweist die „Umwandlung des Arbeitsvertrages<br />

vom 18.9.20<strong>03</strong>" ausdrücklich auf die Weitergeltung<br />

der vertraglichen Vereinbarungen des Vertrages vom<br />

18.9.20<strong>03</strong> (gemeint ist der der Kammer vorliegende Vertrag<br />

vom 18.3./16.9.20<strong>03</strong>) im Übrigen. Danach erfolgte die Einstellung<br />

der Klägerin als Reinigungskraft, mit der Folge, dass die<br />

Klägerin auch in der Position als Mitverantwortliche für den<br />

Bereich Nachtreinigung Reinigungsarbeiten zu erledigen hat.<br />

Denn der vorliegenden Vertragsumwandlung ist ein Entzug<br />

von Tätigkeiten, die die bloße Reinigung betreffen, nicht zu<br />

entnehmen. (…)<br />

3. Schließlich ist auch keine Konkretisierung der Tätigkeiten<br />

der Klägerin auf den im Antrag genannten Umfang anzunehmen.<br />

Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers kann sich zwar während<br />

der Dauer des Arbeitsverhältnisses auf einen ganz bestimmten<br />

Arbeitsplatz konkretisieren mit der Folge, dass der Arbeitnehmer<br />

aufgrund einer stillschweigenden Änderung des Arbeitsvertrages<br />

nur noch eine ganz bestimmte Tätigkeit schuldet.<br />

An die Annahme einer solchen Konkretisierung der Arbeitspflicht<br />

sind aber wegen der damit verbundenen Rechtsfolgen<br />

strenge Anforderungen zu stellen. Dementsprechend<br />

reicht es für die Konkretisierung der Arbeitspflicht nicht aus,<br />

dass der Arbeitnehmer während einer längeren Zeit eine bestimmte<br />

Tätigkeit ausgeübt hat. Vielmehr müssen besondere<br />

Umstände hinzukommen, die die Annahme rechtfertigen,<br />

dass der Arbeitnehmer nach dem übereinstimmenden Willen<br />

beider Vertragsparteien künftig nur noch eine ganz bestimmte<br />

Tätigkeit schulden sollte (LAG Hamm, a.a.O., Rn 47).<br />

Wenn die Klägerin auch behauptet, beanstandungslos nach<br />

dem Gespräch mit X seit ca. 6 Jahren grundsätzlich keine Reinigungsarbeiten<br />

mehr erledigt zu haben, insoweit mit den<br />

von ihr in der verfassten Aufgabenbeschreibung dargestellten<br />

Tätigkeiten beschäftigt und ausgelastet gewesen zu sein, so<br />

hilft ihr das nicht weiter. Allein die bloße Tätigkeit reicht nicht<br />

aus. Zusätzlichen Umstände, die ein schutzwürdiges Vertrauen<br />

auf die Beibehaltung ausschließlich dieser Tätigkeiten<br />

für die Zukunft begründen könnten, hat sie nicht vorgetragen,<br />

zumal der Beklagten überhaupt nicht bekannt war, dass<br />

sie nachts nicht mehr reinigt. Insoweit scheidet eine Konkretisierung<br />

der Beschäftigungspflicht der Klägerin mit ausschließlich<br />

den im Klageantrag begehrten Tätigkeiten aus.<br />

4. Letztlich konnte dahinstehen, ob die Beklagte die Klägerin<br />

nach Rückkehr an den Arbeitsplatz am 17.10.2011 anweisen<br />

durfte, Reinigungsarbeiten durchzuführen.<br />

Will der Arbeitnehmer geltend machen, dass die Zuweisung<br />

einer anderen bestimmten Tätigkeit nicht vom Direktionsrecht<br />

des Arbeitgebers gedeckt ist, so kann er dies nicht dadurch<br />

erreichen, dass er die Verurteilung des Arbeitgebers zu<br />

einer Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz begehrt.<br />

Denn ein bestimmter Beschäftigungsanspruch steht dem Arbeitnehmer<br />

mangels Konkretisierung der Arbeitspflicht nicht<br />

zu. Vielmehr kann er dieses Ziel nur erreichen, indem er sich<br />

gegen die Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen mit<br />

einer Feststellungsklage wehrt (LAG Hamm, a.a.O., Rn 50).<br />

Trotz gerichtlichen Hinweises hat die Klägerin ihren Antrag<br />

aber nicht umgestellt, sondern weiterhin Beschäftigung mit<br />

den im Antrag bezeichneten Tätigkeiten gestellt. Da die Klägerin<br />

zwar als Mitverantwortliche für den Bereich Nachtreinigung<br />

aber nicht ausschließlich und abschließend mit den von<br />

ihm im Antrag bezeichneten Tätigkeiten, sondern auch mit<br />

148<br />

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Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Reinigungstätigkeiten zu beschäftigen ist, war ihr Begehren<br />

abzuweisen.<br />

■ Arbeitsgericht Hamm<br />

vom 14.3.<strong>2012</strong>, 3 Ca 2174/2011<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Gosda<br />

Von-Geismar-Straße 2, 59227 Ahlen<br />

Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />

r.gosda@sozietaet-quast.de<br />

173. Leiharbeit: Annahmeverzugslohn bei fehlender<br />

Beschäftigung und Zeitkonto<br />

1. § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG steht der Einrichtung eines Arbeitszeitkontos<br />

nicht entgegen, wenn der Vergütungsanspruch durch<br />

ein verstetigtes Monatseinkommen nicht abbedungen wird.<br />

2. Einsatzfreie Zeiten dürfen über ein vereinbartes Zeitkonto<br />

mit bereits zuvor geleisteter, d.h., vorverlagerter oder noch zu<br />

erbringender, d.h., nachzuholender Arbeit auch in der Arbeitnehmerüberlassung<br />

verrechnet werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 16.11.2011, 7 Sa 567/11<br />

Eingereicht und ausgearbeitet durch<br />

Rechtsanwalt Dr. Ulrich Brötzmann<br />

Bonifaziusplatz 1b, 55118 Mainz<br />

Tel.: 06131/61 81 56, Fax: 06131/61 81 57<br />

post@kanzlei-broetzmann.de; www.kanzlei-broetzmann.de<br />

Anmerkung:<br />

Revision eingelegt, AZ. beim BAG 5 AZR 181/12.<br />

Vgl. auch LAG Baden-Württemberg vom 24.9.2009, 17 Sa 4/09<br />

(bestätigend); LAG Rheinland-Pfalz vom 24.4.2008, 10 Sa 19/<br />

08 (ablehnend). (gr)<br />

174. Mobbing, Aufgabenentzug, Schmerzensgeld<br />

1. Zugunsten des Klägers besteht ein Anspruch auf Zahlung<br />

von Schmerzensgeld, weil die Beklagte ihrer Verpflichtung,<br />

das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu schützen, nicht in hinreichendem<br />

Umfang entsprochen hat.<br />

Der Arbeitgeber haftet dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber<br />

gemäß § 278 BGB für schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechts-<br />

oder Gesundheitsverletzungen durch von ihm<br />

als Erfüllungsgehilfen eingesetzte andere Arbeitnehmer und<br />

Vorgesetzte. Der Arbeitgeber hat demzufolge für die schuldhafte<br />

Verletzung der auf seine Erfüllungsgehilfen übertragenen<br />

arbeitsvertraglichen Schutzpflichten, etwa die Pflicht<br />

zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der<br />

Gesundheit, einzustehen. Notwendig ist jedoch immer, dass<br />

die schuldhafte Handlung in einem inneren sachlichen Zusammenhang<br />

mit den Aufgaben steht, die der Schuldner dem<br />

Erfüllungsgehilfen im Hinblick auf die Vertragserfüllung zugewiesen<br />

hat. Dies wird (...) regelmäßig nur dann der Fall sein,<br />

wenn die Erfüllungsgehilfen gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer<br />

die Fürsorgepflicht konkretisieren bzw. ihm ge-<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

genüber Weisungsbefugnisse haben (vgl. zu alledem BAG,<br />

Urt. v. 18.5.2007 – 8 AZR 709106 = NZA 2007, 1154 zu Rn 80,<br />

81 der Entscheidung, zitiert nach juris).<br />

b) Die nach dem Gesetz geforderte schuldhaft begangene<br />

Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt nach Ansicht der hier<br />

entscheidenden Kammer durch den Teilentzug von den dem<br />

Kläger obliegenden Arbeitsaufgaben seit dem Jahr 2007 vor.<br />

Denn der wesentliche Entzug der Arbeitsaufgabe, der Ausübung<br />

der Tätigkeit als verantwortlicher Operateur, der Entzug<br />

von anderen als Tagesdiensten und auch der Teilentzug<br />

von Tätigkeiten des Oberarztes in Bezug auf die Stationsleitung,<br />

rechtfertigen die Annahme, der Kläger sei infolge dieses<br />

Aufgabenentzugs in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt<br />

worden.<br />

aa) Als wesentlichen Ausgangspunkt nimmt die Kammer das<br />

Personalgespräch vom 8.1.2007, in welchem der Chefarzt X<br />

unter Bezugnahme auf die herangezogene Operationsstatistik<br />

des Jahres 2006 dem Kläger die vorstehend beschriebenen<br />

Tätigkeiten im Wesentlichen entzogen hat und diesem darüber<br />

hinaus die Trennung von der Beklagten binnen der nächsten<br />

6 Monate mindestens nahegelegt hat. Für diese ultimative<br />

und uneingeschränkte Aufgabenentziehung und Trennungsaufforderung<br />

gibt es nach Ansicht der Kammer keinen rechtfertigenden<br />

Grund, der so weitgehende Maßnahmen decken<br />

könnte.<br />

bb) Dabei ist im Wesentlichen zunächst festzustellen, dass die<br />

behaupteten fachlichen Minderleistungen des Klägers, die im<br />

Wesentlichen in der erhöhten Letalitätsrate nach durchgeführten<br />

Herzoperationen durch den Kläger als Verantwortlichem<br />

bestehen sollen, jedenfalls hinsichtlich ihres Verschuldens<br />

durch den Kläger nicht belegt sind. Es kann nach Auffassung<br />

der Kammer jedenfalls für die Entscheidung des vorliegenden<br />

Falles dahinstehen, ob die Letalitätsstatistik des Jahres<br />

2006 überhaupt verwendet werden darf im Zivilprozess,<br />

ob sie fachlich und sachlich richtige Angaben enthält oder ob<br />

sie auch durch Tatsachen beeinflusst worden ist, die jedenfalls<br />

darauf hinweisen, dass der Kläger diese Letalitätsrate im engeren<br />

Sinne gar nicht beeinflussen konnte, wie z.B. durch die<br />

vermehrte Zuweisung von risikobehafteten Patienten. Es mag<br />

auch dahinstehen, ob eine solche statistische Erhebung überhaupt<br />

einen Aussagewert hat in Bezug auf tatsächlich überdurchschnittlich<br />

schlechte Leistungen, die also von einem allgemeinen<br />

Maßstab (Welchem?) bis zu welchem Grad abweichen<br />

dürfen, das heißt also, welche Letalitätsrate in einer<br />

Herzklinik noch objektiv vertretbar sein soll.<br />

cc) Für die Kammer ist insoweit schon entscheidend, dass für<br />

keinen einzigen der behaupteten Letalitätsfälle des Jahres<br />

2006, die während oder nach der Operation durch den Kläger<br />

als verantwortlichen Operateur stattgefunden haben, ein belastbarer<br />

Beleg dahingehend vorliegt, dass tatsächlich dem<br />

Kläger eine Schlechtleistung insoweit vorzuhalten ist. Jedenfalls<br />

für die offenkundig im Fachkollegium durchgeführten<br />

Auswertungen, sofern Patienten verstorben sind, ergibt sich<br />

kein Hinweis auf Fehlleistungen des Klägers und auch nicht in<br />

<strong>03</strong>/12 149


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 22 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Bezug auf konkrete Vorhaltungen durch weitere Operateure<br />

bzw. Kollegen, die bei den Operationen zugegen gewesen<br />

sind. Offenkundig beruht vielmehr die fachliche Einschätzung<br />

allein auf der Meinung des Chefarztes X, wobei auch dessen<br />

Einschätzung eben einer objektiven und belegbaren Verschuldensbehauptung<br />

gegenüber dem Kläger ermangelt.<br />

dd) Im Ergebnis kommt die Kammer also zu dem Ergebnis,<br />

dass nicht in einem einzigen Fall einer behaupteten konkreten<br />

Fehlleistung des Klägers dieselbe objektiv belegt ist. Die<br />

getroffenen Maßnahmen des Chefarztes entsprechen also keiner<br />

adäquaten Lösung. Insoweit hält die Kammer insbesondere<br />

die in dem Personalgespräch am 8.3.2007 angekündigte<br />

unbedingte Trennungsabsicht der Beklagten vom Kläger für<br />

überzogen und darüber hinaus aber auch den unbefristeten<br />

und endgültigen Entzug von Tätigkeiten, die im Wesentlichen<br />

die bis dato ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Oberarzt<br />

kennzeichneten. Es mag zutreffen, dass der Kläger auch seit<br />

dem Jahr 2007 dann noch mit Tätigkeiten beschäftigt wurde,<br />

die den Anforderungen an eine oberärztliche Tätigkeit gerecht<br />

wurden. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass zwischen<br />

den Parteien im Streit steht, ob und auch in welchem<br />

Zeitumfang solche Tätigkeiten eines Oberarztes vom Kläger<br />

überhaupt noch zu erbringen gewesen sein sollen. Die Kammer<br />

nimmt jedoch aus vorstehender Auffassung zur Begründung<br />

des Aufgabenentzugs an den Kläger das Ergebnis, dass<br />

in wesentlichen Teilen tatsächlich eine Aufgabenänderung<br />

stattgefunden hat, die mit einer Degradierung des Klägers in<br />

den Augen der übrigen Beschäftigten bei der Beklagten verbunden<br />

gewesen sein muss. Dabei mag im Einzelnen konkret<br />

dahinstehen, ob der Kläger nun tatsächlich zeitweise gar<br />

keine Beschäftigung fand, ob er gegebenenfalls gegenteilig<br />

überwiegend Aufgaben der studentischen Ausbildung oder<br />

der Facharztausbildung und auch Aufgaben der Stationsleitung<br />

mit übernommen hat. Wesentlich ist für die Kammer,<br />

dass ein essentieller Aufgabenentzug stattgefunden hat, für<br />

den es in Bezug auf den Ausschluss jeglicher eigenverantwortlicher<br />

Operationstätigkeit und auf den Entzug von Diensten<br />

außerhalb der Tagschichten und in Bezug auf die Leitung<br />

einer Station eben keine hinreichende Rechtfertigung gab.<br />

ee) Maßgeblich ist für die Kammer insoweit auch, dass mildere<br />

Mittel insoweit offenbar gar nicht erwogen worden sind<br />

beziehungsweise tatsächlich auch praktisch nicht angewendet<br />

wurden. Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund,<br />

dass auch ein möglicher Leistungsabfall des Klägers keinesfalls<br />

auf Dauer unvermeidlich war und deswegen die Beklagte<br />

also selbst für den Fall, dass Leistungseinschränkungen beim<br />

Kläger in objektiver Hinsicht festzustellen waren, diese mit geeigneten<br />

Maßnahmen zu beheben gewesen waren oder aber<br />

der Kläger für eine bestimmte Zeit an die Ausübung bisher<br />

geschuldeter Tätigkeiten durch fachkundige Leitung und<br />

Überwachung wieder herangeführt wurde.<br />

c) Damit liegt für die Kammer (bis hierhin) das bestimmte Gesamtverhalten<br />

des Chefarztes der Beklagten X als der rechtswidrige<br />

Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitneh-<br />

mers, der den Anspruch gegenüber der Beklagten auf Einhaltung<br />

der übertragenen arbeitsvertraglichen Schutzpflichten<br />

und, weil es an diesen auch spätestens nach dem Personalgespräch<br />

vom 20.11.2007 noch immer mangelte, auch auf Zahlung<br />

eines Schmerzensgeldes wegen des beeinträchtigten<br />

Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. (…)<br />

2. Bei der Höhe des festzusetzenden Schmerzensgeldes hat<br />

sich die Kammer vom äußeren Leitbild des § 1a i.V.m. § 10<br />

KSchG leiten lassen, weil jedenfalls ein Bezug zu einer faktischen<br />

Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vorliegt. Dabei<br />

geht die Kammer von einer monatlichen Bruttovergütung, die<br />

die Beklagte dem Kläger schuldete (die Mehr- und zusätzliche<br />

Dienste als Tagesdienste einschließt), von 98.000,00 EUR jährlich<br />

aus und nimmt hiernach den 6,5-fachen Monatsbezug<br />

zum Anhaltspunkt, 53.000,00 EUR als angemessene Entschädigung<br />

festzusetzen. Dies ist nach Auffassung der Kammer ein<br />

angemessener Schmerzensgeldbetrag für die Feststellung der<br />

Tatsache, dass der Kläger seine Anstellung bei der Beklagten<br />

faktisch verloren hat, dass sein Ruf in der Fachwelt jedenfalls<br />

zeitweise beschädigt gewesen ist und dass er auch in Bezug<br />

auf die Durchführung seiner Tätigkeiten innerhalb des Betriebes<br />

der Beklagten einen wesentlichen Ansehensverlust erlitten<br />

hat. Nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt wird bei<br />

der Höhe des festzusetzenden Schmerzensgeldes die behauptete<br />

Tatsache, die die Kammer als nicht erwiesen ansieht,<br />

dass der Kläger wegen seiner Tätigkeit als Betriebsrat in der<br />

geschehenen Weise diskriminiert worden wäre und auch<br />

nicht die weiteren Auseinandersetzungen, die der Kläger im<br />

Einzelnen im Vortrag geschildert hat, die beispielhaft in dem<br />

„Zusammenstauchen" bei der Visite am 6.11.2007 geschehen<br />

sind. Dies alles sind nach Auffassung der Kammer zwar keine<br />

alltäglichen Geschehnisse in einer Klinik, in der vertrauensvolle<br />

Zusammenarbeit stattfinden sollte, aber sie gewinnen<br />

nicht das Maß eines vom Kläger behaupteten systematischen<br />

Mobbings durch den Chefarzt X, der den Kläger also permanent<br />

und mit einer gewissen Intensität verächtlich behandelt.<br />

Solche rechtswidrigen Handlungen anzunehmen, die bei der<br />

Bemessung des Schmerzensgeldes eine Rolle spielten, ist der<br />

Kammer aus den vorgenannten Gründen nicht möglich. In Bezug<br />

auf die behauptete erlittene gesundheitliche Schädigung<br />

des Klägers ist auch vorstehend schon ausgeführt, dass für die<br />

Kammer eine Kausalität insoweit durch das Handeln des X<br />

nicht vorliegt. Für eine weitergehende Forderung auf Schmerzensgeld<br />

der Höhe nach durch den Kläger besteht nach Auffassung<br />

der Kammer keine Grundlage.<br />

■ Arbeitsgericht Leipzig<br />

vom 24.2.<strong>2012</strong>, 9 Ca 3854/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Roland Gross<br />

Anwaltshaus im Messehof Leipzig, Neumarkt 16-18,<br />

04109 Leipzig<br />

Tel.: <strong>03</strong>41/984620, Fax: <strong>03</strong>41/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de<br />

150<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 23 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

175. Sonderurlaub, Beendigung, Rückwirkung<br />

Die zulässige, auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtete,<br />

Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen<br />

Anspruch auf Annahme ihres Angebots auf Beendigung<br />

des vereinbarten – unbezahlten – Sonderurlaubs sowie auf<br />

Entgeltfortzahlung für sechs Wochen ab Montag, den<br />

24.10.2011.<br />

1. Die Beklagte hat der Beendigung der seit 29.3.2011 bestehenden<br />

Freistellung zuzustimmen.<br />

a) Der Arbeitgeber ist an sich nur dann verpflichtet, in die vorzeitige<br />

Beendigung eines gewährten Sonderurlaubs einzuwilligen,<br />

wenn diese Möglichkeit einzelvertraglich vereinbart<br />

worden ist (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 14. Aufl.,<br />

§ 105, Rz 15). Weder der Arbeitsvertrag noch die Sonderurlaubsvereinbarung<br />

der Parteien enthalten eine entsprechende<br />

Abrede. Ebenso wenig enthält die Sonderurlaubsvereinbarung<br />

eine konkrete zeitliche Befristung. Ob die Pflegetätigkeit<br />

der Klägerin während der Strahlentherapie ihrer Tochter<br />

Gegenstand der Absprache gewesen war, ist zwischen den<br />

Parteien streitig geblieben (vgl. BI. 43 d.A.). Ob damit gegebenenfalls<br />

eine zweckbefristete Sonderbeurlaubung oder eine<br />

auflösende Bedingung vereinbart worden ist, konnte jedoch<br />

nach Auffassung der Kammer dahinstehen, da ein Anspruch<br />

der Klägerin auf Zustimmung zur Beendigung der Freistellung<br />

der Klägerin vorliegend aus der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht<br />

folgt.<br />

Eine solche kann allenfalls dann einen entsprechenden Anspruch<br />

begründen, wenn der Grund für die Bewilligung des<br />

Sonderurlaubs weggefallen ist und die Beschäftigung des Arbeitnehmers<br />

dem Arbeitgeber möglich und zumutbar ist (vgl.<br />

BAG, Urt. v. 6.9.1994 – AP Nr. 17 zu § 50 BAT, für einen nach<br />

tarifvertraglichen Bestimmungen gewährten unbezahlten<br />

Sonderurlaub).<br />

Diese Rechtsprechung kann auf den vorliegenden Fall übertragen<br />

werden. Zwischen den Parteien war mündlich geregelt,<br />

dass die Freistellung zur Pflege der erkrankten Tochter<br />

erfolgen sollte (vgl. Sitzungsniederschrift vom 14.12.2011, BI.<br />

21 d.A.). Die Beklagte hat weiter nicht bestritten, dass die Pflegebedürftigkeit<br />

der Tochter der Klägerin mit Beendigung der<br />

Radiotherapie entfallen ist (vgl. Attest vom 10.2.<strong>2012</strong>; BI. 38<br />

d.A.) und eingeräumt, dass ein geeigneter Arbeitsplatz für die<br />

Klägerin frei war (vgl. Sitzungsniederschrift vom 25.1.<strong>2012</strong>, BI.<br />

29 d.A.) und ist (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 12.3.<strong>2012</strong>),<br />

wonach „es im Verantwortungsbereich der Klägerin liegt,<br />

wenn der von ihr bezahlte Sonderurlaub seine Beendigung<br />

findet" und „sie den Sonderurlaub durch Arbeitsaufnahme jederzeit<br />

beenden kann" (vgl. BI. 42, 43 d.A.)). Die Beklagte verweigert<br />

die Zustimmung zur Beendigung des Sonderurlaubs<br />

also nicht, weil ihr die Beschäftigung unzumutbar ist, sondern<br />

nur, weil die Klägerin nach wie vor arbeitsunfähig erkrankt ist<br />

(und die Krankenkasse eine Lohnfortzahlungs-Erstattung<br />

über die U-1-Umlage ablehnt – vgl. Schriftsatz der AOK vom<br />

24.10.2011, Bl. 19 d.A.).<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Somit ist der geltend gemachte Anspruch auf Annahme des<br />

Angebots auf Beendigung des vereinbarten Sonderurlaubs<br />

aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht der Beklagten begründet.<br />

b) Dieser Anspruch kann auch rückwirkend geltend gemacht<br />

werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />

ist der rückwirkende Abschluss eines Arbeitsvertrags möglich<br />

(vgl. BAG, Urt. v. 9.11.2006, DB 07, 861). Obwohl nach § 894<br />

ZPO eine Willenserklärung erst mit Rechtskraft des Urteils als<br />

abgegeben gilt, kann der Arbeitnehmer nach materiellem<br />

Recht Wiedereinstellung auch rückwirkend ab dem Zeitpunkt<br />

verlangen, zu dem er berechtigt war, den Abschluss eines<br />

neuen Arbeitsvertrags vom Arbeitgeber zu verlangen. Hat<br />

dieser keinen Grund, dem Arbeitnehmer den Abschluss eines<br />

neuen Arbeitsvertrags zu verweigern, so ist er ab diesem Zeitpunkt<br />

verpflichtet, das Angebot des Arbeitnehmers anzunehmen<br />

und ihm einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung<br />

zu stellen. Unterlässt er dies, so regeln sich die Rechtsfolgen<br />

nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. BAG, Urt. v.<br />

9.11.2006, a.a.O.).<br />

Entsprechend hat die Beklagte das Angebot der Klägerin auf<br />

Beendigung des vereinbarten Sonderurlaubs rückwirkend<br />

zum 21.10.2011 anzunehmen.<br />

■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 21.3.<strong>2012</strong>, 1 Ca 6894/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dirk Clausen<br />

Kaiserstraße 31–35, 904<strong>03</strong> Nürnberg<br />

Tel.: 0911/205510, Fax: 0911/2055140<br />

info@clausen-doll.de<br />

176. Urlaubsanspruch, Mindesturlaub während EU-Rente<br />

1. Der Mindesturlaubsanspruch im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der<br />

Richtlinie 20<strong>03</strong>/88/EG (sog. Arbeitszeitrichtlinie) und §§ 1, 3<br />

BUrlG entsteht auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis wegen<br />

Bezugs einer befristeten Erwerbsunfähigkeitsrente ruht. (…)<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 10.8.2011, 9 Sa 394/11<br />

177. Urlaubsanspruch, Verfall, eigenes Urlaubsregime,<br />

Abgeltung nach gerichtlicher Auflösungsentscheidung<br />

Die Klage ist aber unbegründet.<br />

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß<br />

§§ 611 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG bezüglich nicht genommenen<br />

Urlaubs der Jahre 2001 bis 2004. Etwaige Urlaubsansprüche<br />

sind verfallen.<br />

1. Gemäß § 7 Abs. 4 ist Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht<br />

mehr gewährt werden kann. Zum Zeitpunkt der Beendigung<br />

müssen also noch Urlaubsansprüche bestanden haben.<br />

Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr<br />

gewährt und genommen werden. Eine Übertragung<br />

des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft,<br />

wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeit-<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 24 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

nehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung<br />

muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden<br />

Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Der<br />

gesetzliche Urlaubsanspruch nach § 1 BUrlG ist somit grundsätzlich<br />

für die Dauer des Urlaubsjahres befristet. Sofern kein<br />

Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 gegeben ist und der am<br />

Jahresende noch nicht genommene und nicht gewährte Urlaub<br />

deshalb auf das erste Quartal des Folgejahres nicht übergeht,<br />

erlischt der am Ende des Urlaubsjahres nicht genommene<br />

Urlaub (vgl. ErfK/Dörner, 11. Aufl., § 7 BUrlG Rn 38). Bei<br />

Vorliegen der Übertragungsvoraussetzungen verfällt der Urlaub<br />

zum 31.3. des Folgejahres.<br />

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />

sind im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen<br />

Gerichtshof (Entscheidung vom 20.1.2009, C-350/06, „Schultz-<br />

Hoff”) die Absätze drei und vier des § 7 BUrlG nach den Vorgaben<br />

des Art. 7 der Richtlinie 20<strong>03</strong>/88/EG jedoch gemeinschaftsrechtskonform<br />

dahingehend fortzubilden, dass § 7<br />

Abs. 3 BUrlG so zu verstehen ist, dass gesetzliche Urlaubsansprüche<br />

nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum<br />

Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums<br />

erkrankt und deswegen arbeitsunfähig ist (BAG, v. 24.3.2009 –<br />

9 AZR 983/07, NZA 2009, S. 538). Der Arbeitnehmer hat sonst<br />

keine Möglichkeit seinen Urlaubsanspruch zu verwirklichen.<br />

Die Parteien eines Arbeitsvertrages können für den Arbeitnehmer<br />

günstigere Übertragungsregelungen vereinbaren<br />

und zum Beispiel regeln, dass der Urlaubsanspruch eines Jahres<br />

ohne Vorliegen von Gründen bis zum 31.3. des Folgejahres<br />

erfüllt werden kann oder auf das gesamte folgende Kalenderjahr<br />

übertragen wird. Ein Anspruch auf Übertragung kann<br />

auch auf der Grundlage einer betrieblichen Übung entstehen<br />

(BAG, v. 21.6.2005 – 9 AZR 200/04 – AP Nr. 11 zu § 55 InsO).<br />

Der Urlaubsanspruch wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch,<br />

der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution<br />

gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig<br />

verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner<br />

Befristung verfällt (ständige Rechtsprechung vgl. BAG, v.<br />

11.4.2006 – 9 AZR 523/05 – AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG Übertragung).<br />

Kann der als Schadensersatz geschuldete Urlaub wegen<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt<br />

werden, ist der Arbeitnehmer gemäß § 251 Abs. 1 BGB in Geld<br />

zu entschädigen.<br />

2. Im vorliegenden Fall ist die Voraussetzung eines beendeten<br />

Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG erfüllt, da das Arbeitsverhältnis<br />

aufgrund gerichtlicher Auflösungsentscheidung<br />

zum 30.6.2005 geendet hat. Dem Vortrag des Klägers<br />

kann allerdings nicht entnommen werden, dass noch bestehende<br />

Urlaubsansprüche abzugelten wären.<br />

Der Kläger hat nicht behauptet, zu irgendeinem Zeitpunkt Urlaub<br />

verlangt zu haben. Da der Arbeitnehmer auch im gekündigten<br />

Arbeitsverhältnis seinen Urlaubsanspruch ausdrücklich<br />

geltend machen muss, indem er den Arbeitgeber auffordert,<br />

den Urlaub zeitlich festzulegen (BAG, v. 18.9.2001 – 9 AZR<br />

570/00, NZA 2002, S. 895), bleibt es ohne Bedeutung, dass das<br />

Arbeitsverhältnis nach dem Vortrag des Klägers zumindest ab<br />

dem 8.10.20<strong>03</strong> gekündigt war. Einen Übertragungstatbestand<br />

gem. § 7 Abs. 3 BUrlG hat der Kläger nicht behauptet. Nach<br />

der gesetzlichen Vorgabe des § 7 Abs. 3 BUrlG ist der Urlaub<br />

der Jahre 2000 bis 20<strong>03</strong> jeweils zum Jahresende daher verfallen.<br />

Eine Ausnahme bildet der Jahresurlaub für das Jahr 2004.<br />

Nach dem Vortrag des Klägers war er vom 31.1.2004 bis zum<br />

31.12.2004 arbeitsunfähig erkrankt. Er war aber nach seinem<br />

eigenen Vortrag ab dem 1.1.2005 wieder arbeitsfähig. Folglich<br />

konnte er den gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG bis zum 31.3.2005 übertragenen<br />

Urlaub im ersten Quartal des Jahres 2005 nehmen.<br />

Da er keinen Urlaubsantrag stellte, verfiel der Urlaub zum<br />

31.3.2005. Es bedarf insoweit keines Rückgriffs auf die dargestellte<br />

neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu<br />

den Fällen längerer Erkrankungen. Diese Rechtsprechung bezieht<br />

sich auf die Fallgestaltung, dass § 7 Abs. 3 BUrlG dem Arbeitnehmer<br />

zu keiner Zeit die Möglichkeit eröffnet, den bezahlten<br />

Jahresurlaub zu nehmen.<br />

Die Beantragung der Urlaubsgewährung zur Vermeidung des<br />

Verfalls der Urlaubsansprüche wäre nur dann entbehrlich,<br />

wenn zwischen den Parteien einzelvertraglich eine Absprache<br />

dahingehend getroffen worden wäre, dass Urlaubsansprüche<br />

ohne Bindung an Verfallfristen unbegrenzt fortbestehen. Der<br />

Kläger hat insoweit behauptet, dass es eine betriebliche<br />

Übung gebe, wonach nicht genommener Urlaub „stets und<br />

immer ins Folgejahr" übertragen wird. Dieser Sachvortrag ist<br />

nicht hinreichend substantiiert. Der Kläger bezieht die betriebliche<br />

Übung auf „grundsätzlich alle Arbeitnehmer im Betrieb.<br />

Dies bedeutet, dass der Kläger von bestehenden Arbeitsverhältnissen<br />

ausgeht, nicht aber von gekündigten Arbeitsverhältnissen.<br />

Durchaus viele Arbeitgeber betreiben eine<br />

betriebliche Übung dahingehend, dass Urlaubsansprüche<br />

nicht verfallen und die Arbeitnehmer auf diese Weise beachtliche<br />

„Urlaubskonten" erreichen können. Im gekündigten Arbeitsverhältnis<br />

macht eine solche Ausgestaltung der Urlaubsansprüche<br />

jedoch keinen Sinn. Nach Auffassung des erkennenden<br />

Gerichts hätte der Kläger die Ausgestaltung der betrieblichen<br />

Übung bei gekündigten Arbeitsverhältnissen darlegen<br />

müssen.<br />

■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 17.1.2011, 3 Ca 9805/09<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer<br />

Martin-Luther-Platz 6–8, 91522 Ansbach<br />

Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127<strong>03</strong>0<br />

info@rae-pbw.de<br />

178. Urlaubsanspruch, Übertragungsanspruch,<br />

betriebliche Übung<br />

Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass ein Anspruch auf<br />

Abgeltung des Urlaubs nur dann bestehen könnte, wenn eine<br />

betriebliche Übung dahingehend bestanden hätte, dass der<br />

152<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 25 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Urlaub ohne Beschränkungen übertragen werden konnte.<br />

Nach gesetzlichen Vorgaben wäre der Jahresurlaub jeweils<br />

am Ende des Jahres verfallen. Die Darlegungslast für das Vorliegen<br />

einer solchen betrieblichen Übung trägt der Kläger<br />

nach allgemeinen Regelungen. Um die Anspruchsgrundlage<br />

"betriebliche Übung" zu begründen, ist dabei die Darstellung<br />

eines Sachverhaltes erforderlich, aus dem im Wege der Auslegung<br />

auf den aus Sicht der Arbeitnehmer gegebenen Verpflichtungswillen<br />

des Arbeitgebers geschlossen werden soll,<br />

die Vergünstigung bzw. Leistung auch zukünftig so zu erbringen.<br />

Bei "Übertragung von Urlaub" bedarf es insoweit einer<br />

konkreten Darlegung, wann und wem vom Arbeitgeber in der<br />

Vergangenheit Urlaub des Vorjahres im Folgejahr gewährt<br />

worden ist. Die Arbeitnehmer sind namentlich zu bezeichnen<br />

und hierauf bezogen die Jahre anzugeben, in denen Urlaub<br />

des Vorjahres nach dem 31.3. des Folgejahres genommen<br />

wurde. Andernfalls kann schon nicht beurteilt werden, ob der<br />

Arbeitgeber diese Vergünstigung wiederholt gewährt hat<br />

(BAG, v. 21.6.2005 – AP Nr. 11 zu § 55 InsO).<br />

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers<br />

nicht. Er behauptet lediglich unsubstantiiert, dass eine betriebliche<br />

Übung insoweit bestanden habe. Dies ist aber lediglich<br />

eine Rechtsbehauptung. Der Kläger hat keinen einzigen<br />

Fall vorgetragen, bei dem es einem Arbeitnehmer gestattet<br />

gewesen wäre, seinen Urlaub im gesamten Folgejahr zu<br />

nehmen. Damit genügt der Kläger seiner Darlegungslast<br />

nicht. Die Nennung von Zeugen ersetzt den erforderlichen<br />

Sachvortrag nicht. Die Vernehmung der Zeugen würde eine<br />

unzulässige Ausforschung darstellen. Es ist nicht Aufgabe von<br />

Zeugen, die entscheidungserheblichen Tatsachen erstmals<br />

vorzutragen. Damit ist der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast<br />

nicht nachgekommen. Die Urlaubsabgeltungsansprüche<br />

für die Jahre 2001 bis 20<strong>03</strong> bestehen deshalb nicht.<br />

Bezüglich des Urlaubs 2004 ist zu berücksichtigen, dass der<br />

Kläger vom 31.1.2004 bis 31.12.2004 arbeitsunfähig erkrankt<br />

war und deshalb in diesem Jahr seinen Urlaub nicht nehmen<br />

konnte. Dieser Urlaubsanspruch trotz langwährender krankheitsbedingter<br />

Arbeitsunfähigkeit erlischt aber, wenn der Arbeitnehmer<br />

im Übertragungszeitraum so rechtzeitig gesund<br />

und arbeitsfähig wird, dass er in der verbleibenden Zeit seinen<br />

Urlaub nehmen kann (BAG, v. 19.8.2011 – NZA <strong>2012</strong>, 29<br />

f.). Nachdem der Kläger den Urlaub 2004 somit in der Zeit bis<br />

zum 31.3.2005 hätte nehmen können, da er nach seinem eigenen<br />

Sachvortrag in diesem Zeitraum wieder arbeitsfähig<br />

war, ist der Urlaub 2004 damit mit dem 31.3.2005 verfallen, da<br />

er in diesem Zeitraum nicht geltend gemacht wurde.<br />

■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 30.3.<strong>2012</strong>, 8 Sa 236/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer<br />

Martin-Luther-Platz 6-8, 91522 Ansbach,<br />

Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127<strong>03</strong>0<br />

info@rae-pbw.de<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

179. Urlaubsanspruch, Abgeltungsanspruch<br />

1. Gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG muss der Urlaub im laufenden<br />

Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Mit Ablauf der<br />

Befristung erlischt der noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch<br />

(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG, v. 20.6.2000 – 9 AZR<br />

405/99). Erlischt der Urlaub zum Jahresende und scheidet der<br />

Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt aus, so entsteht kein Abgeltungsanspruch<br />

(BAG, v. 7.12.1993 – 9 AZR 683/92). (…)<br />

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des als Urlaubsabgeltung<br />

eingeklagten Betrages unter dem Gesichtspunkt<br />

des Schadensersatzes, weil die Beklagte einen beantragten<br />

Urlaub nicht gewährt hat und dadurch Verfall eingetreten<br />

ist (vgl. BAG, v. 26.6.1986 – 8 AZR 75/83; v. 17.1.1995 –<br />

9 AZR 664/93).<br />

Der Kläger hat im Jahr 2010 zu keinem Zeitpunkt die Gewährung<br />

von Urlaub verlangt. Insbesondere das Schreiben vom<br />

25.5.2010 stellt keine Geltendmachung des Urlaubs dar. In<br />

diesem Schreiben wird nur die Übertragung eines eventuell<br />

nicht genommenen Urlaubs auf das Folgejahr bzw. die Abgeltung<br />

noch offenen Urlaubs für den Fall der Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses begehrt. Ein konkretes Begehren auf Urlaubsgewährung,<br />

gegebenenfalls zu einem bestimmten Termin,<br />

liegt hierin nicht. Auch aus den gleichlautenden Formulierungen<br />

in der Klageschrift des Kündigungsschutzverfahrens<br />

ist keine Geltendmachung einer Urlaubsgewährung zu<br />

sehen.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 29.3.<strong>2012</strong>, 4 Ca 2307/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Ingo Graumann<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn,<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

info@gm-arbeitsrecht.de<br />

180. Urlaubsanspruch, Urlaubsgewährung,<br />

Verfügungsanspruch<br />

Aus den Gründen:<br />

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem<br />

die Antragsgegner verpflichtet werden sollen, die Antragstellerin<br />

in der Zeit vom 23.11.2011 bis 30.11.2011 zu Urlaubszwecken<br />

von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freizustellen,<br />

ist unbegründet, weil der Antragstellerin nach ihrem eigenen<br />

Vorbringen der gewünschte Urlaub bereits gewährt worden<br />

und der behauptete Verfügungsanspruch damit bereits erfüllt<br />

ist.<br />

Die beantragte Freistellung zum Zwecke des Urlaubs ist die<br />

zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche Leistungshandlung<br />

des Arbeitgebers. Diese hat die Antragsgegnerin zu<br />

2) nach dem Vorbringen der Antragstellerin in der Antragsschrift<br />

und in ihrer zur Glaubhaftmachung eingereichten eidesstattlichen<br />

Versicherung bereits vorgenommen, nachdem<br />

Frau J sich zur Vertretung der Klägerin bereit erklärt hatte.<br />

Diese behauptete Urlaubserteilung ist nach wie vor wirksam,<br />

auch wenn die Antragsgegner in späteren Erklärungen von ihr<br />

<strong>03</strong>/12 153


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 26 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Abstand genommen haben. Hat der Arbeitgeber den gewünschten<br />

Urlaub bereits erteilt und beruft er sich später auf<br />

einen rechtlich nicht zulässigen Widerruf dieser Genehmigung,<br />

ist eine Verfügungsklage des Arbeitnehmers auf Gewährung<br />

des Urlaubs unbegründet (ArbG Frankfurt a.M., Urt.<br />

v. 30.7.1998 – 2 Ga 169/98 – m.w.N.), weil sie letztlich nur auf<br />

die Erstellung eines gerichtlichen Rechtsgutachtens hinausläuft<br />

(Corts, NZA 1998, 357, 358 unter VII.; Reinhard/Kliemt,<br />

NZA 2005, 545, 550 unter II 5 b) je m.w.N.).<br />

Der Urlaubsanspruch ist ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen<br />

den Arbeitgeber, von seiner Arbeitspflicht befreit zu werden,<br />

ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts berührt<br />

wird (BAG, Urt. v. 25.1.1994, AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG unter<br />

II 1. der Gründe m.w.N.). Er erlischt gemäß § 362 Abs. 1 BGB<br />

durch Erfüllung, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub<br />

gewährt und der Arbeitnehmer den Urlaub nimmt (§ 7<br />

Abs. 3 S. 1 BUrlG). Die vom Arbeitgeber geforderte Leistungshandlung<br />

ist die Gewährung des Urlaubs durch Bestimmung<br />

der Urlaubszeit (Leinemann, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht<br />

Band.1, 2. Aufl. 2000, § 89 Rn 77). In ihr ist die Befreiung<br />

des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht für den genehmigten<br />

Zeitraum enthalten (Schütz/Hauck: Gesetzliches<br />

und tarifliches Urlaubsrecht, Neuwied u.a. 1996, Rn 355). Mit<br />

der Festlegung von Beginn und Ende der Urlaubszeit und der<br />

entsprechenden Mitteilung an den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber<br />

die für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche<br />

Leistungshandlung vorgenommen (BAG, Urt. v.<br />

9.8.1994, AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG unter 2 a) und b) der Gründe;<br />

Urt. v. 14.3.2006, AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG unter A 13 b) der<br />

Gründe).<br />

Die Bestimmung der Urlaubszeit durch den Arbeitgeber ist<br />

eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die gemäß<br />

§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB mit ihrem Zugang bei dem Arbeitnehmer<br />

wirksam wird (BAG, Urt. v. 23.1.1996, AP Nr. 10 zu § 5<br />

BUrlG unter II 1 a) der Gründe; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht,<br />

2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn 4 m.w.N.). Sie kann grundsätzlich<br />

nur bis zu ihrem Zugang widerrufen werden (§ 130 Abs. 1 S. 2<br />

BGB). Ab ihrem Zugang ist sie für den Arbeitgeber bindend<br />

(BAG, Urt. v. 14.3.2006, AP Nr. 32 zu § 7 BUrlG unter A 13 b)<br />

der Gründe m.w.N.; Düwell in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht<br />

Band 1, 3. Aufl. 2009, § 80 Rn 39) und kann nur einvernehmlich<br />

wieder abgeändert werden (Leinemann/Linck:<br />

Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn 60; Schütz/Hauck: Gesetzliches<br />

und tarifliches Urlaubsrecht, Neuwied u.a. 1996,<br />

Rn 450).<br />

Die Festlegung des Urlaubszeitraums durch den Arbeitgeber<br />

kann nach ihrem Zugang nicht einseitig widerrufen werden<br />

(LAG Hamm, Urt. v. 11.12.2002, NZA-RR 20<strong>03</strong>, 347, 348 unter<br />

II 2 a) der Gründe; ArbG Frankfurt a.M., Urt. v. 30.7.1998–2Ga<br />

169/98 – m.w.N.; Düwell in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht,<br />

Band 1, 3. Aufl. 2009, § 80 Rn 39; Leinemann/Linck:<br />

Urlaubsrecht, 2. Aufl. 2001, § 7 BUrlG Rn 55 m.w.N.; Schütz/<br />

Hauck: Gesetzliches und tarifliches Urlaubsrecht, 1996, Rn 448;<br />

Bachmann, GK-BUrlG, 5. Aufl. 1992, §7Rn50m.w.N.; Korinth,<br />

Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 1.<br />

Aufl. Berlin 2000, Anh. zu §§ 935, 940 ZPO Rn 127).<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 8.11.2011, 16 Ga 104/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Dr. Jürgen Höser<br />

Kölner Straße 2, 50226 Frechen<br />

Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />

office@hdup.de<br />

181. Urlaub, Kürzung wegen Krankheit<br />

1. Die Vereinbarung zur Kürzung von übergesetzlichen Urlaubsansprüchen<br />

wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten des<br />

Arbeitnehmers unterfällt dem Anwendungsbereich des § 4a<br />

EFZG zumindest dann, wenn der Urlaubsanspruch mit einem<br />

Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld akzessorisch verknüpft<br />

ist und der Urlaub dadurch eine geldwerte Leistung<br />

beinhaltet.<br />

2. Werden dem Arbeitnehmer mehrere Sondervergütungen<br />

gemäß § 4a EFZG gewährt, so ist die Kürzungsgrenze nach<br />

§ 4a S. 2 EFZG für alle Sondervergütungen insgesamt zu betrachten.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 15.11.2011, 3 Sa 493/11<br />

182. Vergütung, Sonderzahlung, Freiwilligkeitsvorbehalt<br />

Aus den Gründen:<br />

a) Bei der von der Beklagten in § 2 des Änderungsvertrages<br />

vorformulierten Vertragsbedingung handelt es sich um eine<br />

allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1<br />

BGB. Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven<br />

Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen,<br />

wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter<br />

Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten<br />

Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeit<br />

des konkreten, sondern die des durchschnittlichen<br />

Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen<br />

sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner<br />

zu orientierende Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen<br />

ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist<br />

dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend<br />

darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise<br />

an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise<br />

zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger<br />

und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss.<br />

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein<br />

Freiwilligkeitsvorbehalt das Entstehen eines Rechtsanspruches<br />

auf eine künftige Sonderzahlung wirksam verhindern<br />

(BAG, v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09 in EzA BGB 2002 § 307<br />

Nr. 51). Der Arbeitgeber kann – außer bei laufendem Arbeitsentgelt<br />

(vgl. BAG, v. 25.4.2007 – 5 ZR 627/06, BAGE 122, 182) –<br />

einen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich ausschließen<br />

und sich eine Entscheidung vorbehalten, ob und in<br />

welcher Höhe er zukünftig Sonderzahlungen gewährt. Er<br />

154<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 27 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

bleibt grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, ob und auch<br />

unter welchen Voraussetzungen er zum laufenden Arbeitsentgelt<br />

eine zusätzliche Leistung erbringen will. Gibt es einen klar<br />

und verständlich formulierten Freiwilligkeitsvorbehalt, der jeden<br />

Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung<br />

ausschließt, fehlt es an einer versprochenen Leistung im<br />

Sinne des § 308 Nr. 4 BGB. In diesen Fällen wird eine Verpflichtung<br />

des Arbeitgebers zur Leistung der Sonderzahlung unabhängig<br />

von dem mit der Sonderzuwendung verfolgten Zweck<br />

von vornherein nicht begründet. Allerdings muss ein solcher<br />

Freiwilligkeitsvorbehalt klar und verständlich im Sinne des<br />

§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB formuliert sein, um den Rechtsanspruch<br />

des Arbeitnehmers auf eine Sonderzahlung eindeutig<br />

auszuschließen (BAG, v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09). Er darf<br />

insbesondere nicht im Widerspruch zu anderen Vereinbarungen<br />

der Arbeitsvertragsparteien stehen (BAG, v. 30.7.2008 –<br />

10 AZR 606/07, BAGE 127, 185).<br />

b) Die streitgegenständliche Vereinbarung in § 2 des Änderungsvertrages<br />

verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil<br />

die Regelung über einen Freiwilligkeitsvorbehalt nicht klar<br />

und verständlich ist.<br />

Wortlaut des § 2 Abs. 1c ist entgegen der Auffassung der Beklagten<br />

nicht eindeutig. Lediglich die Worte „gegebenenfalls"<br />

sowie „Entscheidung über die Vergabe" könnten einen Freiwilligkeitsvorbehalt<br />

vermuten lassen. Gemessen an den<br />

Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung<br />

vom 30.7.2008 – 10 AZR 06/07, ist ein solcher Freiwilligkeitsvorbehalt<br />

jedoch nicht eindeutig und präzise formuliert.<br />

Die Zielerreichungsbedingungen für die Bonuszahlungen<br />

sind eindeutig und klar festgelegt. Dadurch wird dem Arbeitnehmer<br />

diese Zahlung in Aussicht gestellt, um seine Leistungsbereitschaft<br />

zu erhöhen. Für den Leser ergibt sich im Zusammenhang<br />

mit der tabellarisch ausgeführten Bonushöhe in<br />

Abhängigkeit zum Ausprägungsgrad geschäftspolitischer<br />

Zielerreichung unter Definition des Bonus als Pauschale jährlicher<br />

Erfolgskomponente, die das Gesamtgeschäftsergebnis<br />

der BA widerspiegelt, dass Voraussetzung für die Zahlung des<br />

Bonus allein die Erreichung der jeweiligen Ausprägungsgrade<br />

geschäftspolitischer Zielerreichung sein soll. Dies wird noch<br />

unterstützt durch die Festlegung, dass bis zum Ausprägungsgrad<br />

geschäftspolitischer Zielerreichung 50 % kein Bonus gezahlt<br />

wird. Eine solche Formulierung wäre überflüssig, wenn<br />

sich der Vorstand in jedem Fall die Zahlung des Bonus vorbehalten<br />

würde. Dem gegenüber ist die Regelung in § 3 Abs. 1c<br />

des Arbeitsvertrages eher geeignet, die Ansicht des Arbeitgebers<br />

zu unterstützen. Hier ist formuliert, dass gegebenenfalls<br />

ein Bonus gezahlt wird, der den Gesamterfolg der BA im Sinne<br />

einer gemeinschaftlichen Verantwortung honoriert. Dieser<br />

Bonus soll allerdings nicht den Gesamterfolg widerspiegeln,<br />

sondern honorieren. Des Weiteren soll die Entscheidung über<br />

die Vergabe des Bonus vom Vorstand jährlich getroffen werden.<br />

Auch hier findet sich die tabellarische Verknüpfung des<br />

Ausprägungsgrades geschäftspolitischer Zielerreichung mit<br />

differenzierter Höhe des Bonus, die beim Leser den Eindruck<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

erweckt, ein Bonus stünde bis 50 % Zielerreichung nicht zu<br />

und darüber hinaus aber schon. Auch hier bleibt festzuhalten,<br />

dass die Angabe von Mindestvoraussetzungen für den Bonus<br />

bei einer völlig freien Entscheidung des Vorstandes keinen<br />

Sinn ergibt. Damit ist auch nach der Formulierung im Arbeitsvertrag<br />

die Auslegung möglich, dass der Vorstand jährlich lediglich<br />

über den Ausprägungsgrad geschäftspolitischer Zielerreichung<br />

entscheidet und danach den Bonus vergibt. Beide<br />

Auslegungen sind nach dem Vertragswortlaut möglich und<br />

keine ist eindeutig vorzuziehen. Weil nach der Regelung in<br />

§ 18 des Arbeitsvertrages ersichtlich der Arbeitsvertrag den<br />

Stand der Verhandlung zwischen den Parteien wiedergeben<br />

soll, kommt es auf vorherige Gespräche zwischen der Klagepartei<br />

und den Mitarbeitern der Beklagten nicht entscheidend<br />

an. Nach § 305c Abs. 2 BGB, gehen Zweifel bei der Auslegung<br />

allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders.<br />

Es fällt damit allerdings nicht die gesamte Klausel<br />

weg, sondern es ist die der Klagepartei günstigere Auslegung<br />

zu wählen. Weil unstreitig ein Ausprägungsgrad geschäftspolitischer<br />

Zielerreichung von über 100 % vorliegt, steht der Klagepartei<br />

der Bonus in unstreitiger Höhe zu.<br />

■ Arbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 7.3.<strong>2012</strong>, 11 Ca 4304/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dirk Clausen<br />

Kaiserstraße 31-35, 904<strong>03</strong> Nürnberg<br />

Tel.: 0911/205510, Fax: 0911/2055140<br />

info@clausen-doll.de<br />

183. Vertragsabschluss mit fremdsprachlichem<br />

Arbeitnehmer, wirksame Willenserklärung, keine<br />

Übersetzungspflicht<br />

Es besteht keine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitsvertrag<br />

unaufgefordert in die Muttersprache des Arbeitnehmers<br />

zu übersetzen (Hessisches LAG, 11.9.1986 – 9 Sa 421/<br />

86). Eine generelle Übersetzungspflicht für Schriftstücke, die<br />

von fremdsprachlichen Arbeitnehmern unterzeichnet werden<br />

sollen, ist dem geltenden Recht nicht zu entnehmen (Hessisches<br />

LAG, v. 1.4.20<strong>03</strong> – 13 Sa 1240/02). Dies gilt auch, wenn<br />

die Verhandlungen in der Muttersprache des Arbeitnehmers<br />

geführt werden, der erkennbar der deutschen Sprache nicht<br />

mächtig ist. Das Unterzeichnen des Vertrages in Unkenntnis<br />

seines Inhalts fällt in den Risikobereich des Arbeitnehmers. Er<br />

muss sich so behandeln lassen wie eine Person, die einen Vertrag<br />

ungelesen unterschreibt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 2.2.<strong>2012</strong>, 11 Sa 569/11<br />

184. Verwirkung, Geltendmachung von Ansprüchen nach<br />

langfristiger Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen<br />

Ein Arbeitnehmer disponiert durch seine widerspruchslose<br />

Weiterarbeit in einer 38-Stunden-Woche ohne Lohnansprüche<br />

über einen längeren Zeitraum über die geltenden Arbeitsbedingungen<br />

nicht ohne Weiteres. Eine spätere Geltendma-<br />

<strong>03</strong>/12 155


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 28 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

chung des Rechts kann auch in diesem Fall noch möglich sein.<br />

Entscheidend sich die Umstände des Einzelfalls. Die Erhebung<br />

eines Anspruchs erst zweieinhalb Jahre nach Zugang des Informationsschreibens<br />

erfüllt zwar das Zeitmoment. Durch die<br />

bloße Untätigkeit wird allerdings kein Vertrauenstatbestand<br />

geschaffen, günstigere Arbeitsbedingungen auch in Zukunft<br />

nicht einfordern zu wollen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 13.2.<strong>2012</strong>, 8 Sa 263/11<br />

Bestandsschutz<br />

185. Abberufung, Abfallbeauftragter, Bedeutung des<br />

vertraglichen Hintergrunds<br />

Die Beklagte war berechtigt, die Bestellung des Klägers zum<br />

Betriebsbeauftragten für Abfälle zu widerrufen.<br />

Zwischen den Parteien ist es unstreitig, dass die Beklagte gemäß<br />

§ 54 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet ist, einen Betriebsbeauftragten<br />

für Abfälle zu bestellen und diese Aufgabe dem<br />

Kläger wirksam übertragen worden ist (vgl. die Entscheidung<br />

der 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts v. 25.5.2011, 3 Sa<br />

243/11). Die Bestellung des Abfallbeauftragten richtet sich gemäß<br />

§ 55 Abs. 3 KrW-/AbfG nach § 55 Abs. 1 Satz 1 BlmSchG.<br />

Danach ist die konkrete Zuweisung der Aufgaben eines Abfallbeauftragten<br />

erforderlich. Zu ihrer Wirksamkeit bedarf sie<br />

der Schriftform (vgl. hierzu BAG, v. 26.3.2009 – 2 AZR 633/07,<br />

NZA 2011, 166).<br />

Im Gegensatz zur Bestellung enthalten die maßgeblichen gesetzlichen<br />

Vorschriften jedoch keine Regelung der Abberufung<br />

des Abfallbeauftragten. Auch insoweit finden gemäß<br />

§ 55 Abs. 3 KrW-/AbfG die §§ 55 bis 58 BlmSchG entsprechende<br />

Anwendung. § 58 Abs. 1 BlmSchG enthält hinsichtlich<br />

der persönlichen Stellung auch des Abfallbeauftragten lediglich<br />

ein Benachteiligungsverbot. § 58 Abs. 2 BlmSchG schützt<br />

den Beauftragten zwar vor der ordentlichen Kündigung seines<br />

Arbeitsverhältnisses, indem er zur Voraussetzung für eine<br />

zulässige Kündigung das Vorliegen eines wichtigen Grundes<br />

erhebt. Zugleich ist dieser Vorschrift jedoch auch zu entnehmen,<br />

dass die Abberufung als Beauftragter unabhängig davon<br />

ist, ob ein solcher Grund vorliegt. Ist ein Beauftragter abberufen,<br />

so genießt er für den Zeitraum eines Jahres nachwirkenden<br />

Kündigungsschutz.<br />

Damit unterscheidet sich die Position sowohl des Abfallbeauftragten<br />

als auch des Immissionsschutzbeauftragten von der<br />

des betrieblichen Datenschutzbeauftragten. Dieser genießt<br />

einen besonderen Abberufungsschutz gemäß § 4f Abs. 3 Satz<br />

4 BDSG, indem die Bestellung nur in entsprechender Anwendung<br />

des § 626 BGB widerrufen werden kann. Damit wird die<br />

Stellung des Datenschutzbeauftragten gestärkt, der nicht nur<br />

persönlich vor dem Verlust seines Arbeitsverhältnisses durch<br />

eine ordentliche Kündigung geschützt wird, sondern seiner<br />

Tätigkeit im Interesse des Datenschutzes ohne Furcht vor ei-<br />

ner Abberufung nachgehen kann (s. hierzu BAG vom<br />

23.3.2011 – 10 AZR 562/09, NZA 2011, 1<strong>03</strong>6). Eine solche<br />

starke Stellung besitzt der betriebliche Abfallbeauftragte dagegen<br />

nicht. Seine Abberufung ist vielmehr nur durch das Benachteiligungsverbot<br />

des § 55 Abs. 3 KrW-/AbfG i.V.m. § 58<br />

Abs. 1 BlmSchG begrenzt.<br />

Die Beklagte hat mit der Abberufung des Klägers als Abfallbeauftragter<br />

nicht gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen.<br />

Der Kläger ist vielmehr deshalb als Abfallbeauftragter abberufen<br />

worden, weil die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit<br />

dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen beenden wollte.<br />

Wegen eines schwerwiegenden Umsatzrückgangs hat die Beklagte<br />

mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich<br />

mit Namensliste vereinbart, der die Entlassung<br />

von insgesamt 49 Arbeitnehmern vorsah. Hierunter befand<br />

sich auch der Kläger, der als einer von vier Meistern deshalb<br />

entlassen werden sollte, weil sein Meisterbereich aufgelöst<br />

und die Fertigungsstellen auf die anderen Meisterbereiche<br />

aufgeteilt werden sollten. Nach dem Interessenausgleich waren<br />

für die Führung der verbleibenden Meisterbereiche Spezialkenntnisse<br />

erforderlich, die beim Kläger nicht vorhanden<br />

waren. Dementsprechend ist der Kläger als zu entlassener Arbeitnehmer<br />

in der Namensliste des Interessenausgleichs aufgeführt.<br />

Danach liegen sachliche Gründe für die Abberufung des Klägers<br />

vor. Die Beklagte ist nicht gehalten, dem Kläger die Position<br />

des Abfallbeauftragten zu belassen, obwohl sie für seine<br />

Haupttätigkeit kein Beschäftigungsbedürfnis hat. Dabei<br />

kommt es nicht darauf an, ob der Kläger für die Aufgaben des<br />

Abfallbeauftragten einen Arbeitstag in der Woche oder, wie<br />

die Beklagte vorträgt, lediglich eine Arbeitsstunde pro Woche<br />

aufzubringen hat. Auch bei einem, zeitlichen Umfang von einem<br />

Arbeitstag pro Woche für die Aufgaben eines Abfallbeauftragten<br />

ist das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis<br />

mit dem Kläger beenden zu können, was eine Abberufung<br />

als Abfallbeauftragter voraussetzt, sachlich gerechtfertigt.<br />

In diesem Zusammenhang braucht nicht entschieden zu werden,<br />

ob eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 1<br />

KSchG sozial gerechtfertigt ist. Sie ist, wie sich aus dem vorgelegten<br />

Interessenausgleich ergibt, jedenfalls nicht offensichtlich<br />

unwirksam. Ist das Vorliegen betriebsbedingter Gründe<br />

für das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

nicht von vornherein ausgeschlossen, so<br />

scheidet eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Tätigkeit<br />

als Abfallbeauftragter aus.<br />

Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf<br />

Beschäftigung als Abfallbeauftragter aufgrund seines Arbeitsvertrages.<br />

Dabei kann zu seinen Gunsten davon ausgegangen<br />

werden, dass die Übertragung dieses Amtes und der damit<br />

verbundenen Aufgaben nicht durch Ausübung des Direktionsrechtes<br />

möglich war, sodass sie ihm auch nicht in Ausübung<br />

des Direktionsrechtes als actus contrarius entzogen<br />

werden konnte. Anders als in dem Fall, den das Landesarbeitsgericht<br />

Düsseldorf zu entscheiden hatte (Urt. v. 29.9.2009, 6<br />

156<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 29 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Sa 492/09, juris) war diese Tätigkeit nicht Teil der vertraglich<br />

geschuldeten Leistung. Mit der Übernahme dieser Aufgabe<br />

erweiterten sich die arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten<br />

des Klägers um die Tätigkeit eines Abfallbeauftragten durch<br />

gegebenenfalls auch konkludente Vereinbarung (vgl. zur Berufung<br />

eines Datenschutzbeauftragten BAG, v. 29.9.2010, 10<br />

AZR 588/09, NZA 2011, 151).<br />

Mit welchem konkreten Inhalt der Arbeitsvertrag geändert<br />

und angepasst wird, ist durch Auslegung der Vereinbarung<br />

nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Regelmäßig wird bei einer<br />

Bestellung einzelner Arbeitnehmer zu Beauftragten, insoweit<br />

auch zum Abfallbeauftragten, im bestehenden Arbeitsverhältnis<br />

der Arbeitsvertrag nach Maßgabe der Bestimmung um die<br />

mit diesem Amt verbundenen Aufgaben erweitert. Nimmt der<br />

Arbeitnehmer dieses Angebot durch Übernahme der Tätigkeit<br />

an und dokumentiert er damit sein Einverständnis mit der Bestellung,<br />

wird der Arbeitsvertrag für die Zeitspanne der Amtsübertragung<br />

entsprechend geändert und angepasst. Der Arbeitgeber<br />

will mit der Berufung seiner gesetzlichen Verpflichtung<br />

genügen und die dafür erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen<br />

treffen, aber keine weitergehenden Verpflichtungen<br />

eingehen. Der Arbeitnehmer strebt regelmäßig<br />

keine – für, ihn nachteilige – vertragliche Einschränkung auf<br />

die Tätigkeit des Amtes an. Notwendig ist die Änderung des<br />

Arbeitsvertrages für die Zeitspanne, für die der Arbeitnehmer<br />

das Amt nach den gesetzlichen Bestimmungen ausübt.<br />

Nimmt der Arbeitnehmer dieses Angebot durch sein Einverständnis<br />

mit der Bestellung an, wird der Arbeitsvertrag für die<br />

Zeitspanne der Übertragung des Amtes geändert. Wird die<br />

Bestellung wirksam widerrufen oder entfällt das Funktionsamt<br />

auf andere Weise, ist die Tätigkeit nicht mehr Bestandteil<br />

der vertraglich geschuldeten Leistung (vgl. BAG, v. 29.9.2010,<br />

10 AZR 588/09, NZA 2011, 151, 152, v. 23.3.2011, 10 AZR<br />

562109, NZA 2011; 1<strong>03</strong>6, 1<strong>03</strong>8, jeweils zur Position des Datenschutzbeauftragten).<br />

Auch im vorliegenden Fall sind diese<br />

Grundsätze anwendbar. Dies wird schon daraus erkennbar,<br />

dass die Tätigkeit des Abfallbeauftragten nur einen Teil der<br />

Aufgaben des Klägers ausmachte. Der Kläger war weiterhin,<br />

und zwar im Umfang von mindestens vier Arbeitstagen, als<br />

Meister der Endmontage beschäftigt. Ist dies aber der Fall, so<br />

sprechen auch die Interessen des Klägers dagegen, dass die<br />

Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten an die Tätigkeit<br />

des Abfallbeauftragten gebunden ist.<br />

Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass ein Verstoß gegen<br />

das Maßregelungsverbot des § 612a BGB nicht vorliegt. Zwar<br />

hat die Beklagte die Bestellung des Klägers zum Abfallbeauftragten<br />

widerrufen, nachdem der Kläger die Kündigung vom<br />

18.5.2010 erstinstanzlich erfolgreich angegriffen hatte. Die Beklagte<br />

hat zum einen unwidersprochen vorgetragen, dass ihr<br />

der besondere Kündigungsschutz des Klägers aufgrund seiner<br />

Position als Abfallbeauftragter nicht bekannt gewesen sei.<br />

Unabhängig davon war die Abberufung des Klägers als Abfallbeauftragter<br />

notwendig, um ihre nachvollziehbaren Interessen<br />

am Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung um-<br />

Bestandsschutz<br />

setzen zu können, die durch den abgeschlossenen Interessenausgleich<br />

dokumentiert sind.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 1.2.<strong>2012</strong>, 16 Sa 1195/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

info@gm-arbeitsrecht.de<br />

186. Änderungskündigung zwecks Tarifvertragswechsel,<br />

Allgemeine Geschäftsbedingung: Tarifwechselklausel als<br />

Änderungsvorbehalt<br />

1. Die soziale Rechtfertigung einer Änderungskündigung, die<br />

darauf gerichtet ist, andere als die bisher im Arbeitsvertrag in<br />

Bezug genommenen Tarifverträge in Bezug zu nehmen, folgt<br />

nicht allein aus dem Interesse des Arbeitgebers an einer Vereinheitlichung<br />

der Arbeitsbedingungen.<br />

2. Eine Klausel in einem Formulararbeitsvertrag, nach der der<br />

Arbeitgeber berechtigt sein soll, durch schriftliche Erklärung<br />

gegenüber dem Mitarbeiter die im Arbeitsvertrag zunächst in<br />

Bezug genommenen Tarifverträge für die Zukunft durch solche<br />

zu ersetzen, die von einem anderen für den Arbeitgeber<br />

zuständigen Arbeitgeberverband geschlossen werden, ist<br />

nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 2.3.<strong>2012</strong>, 9 Sa 627/11<br />

187. Änderungskündigung, Zumutbarkeit von<br />

Alternativangeboten<br />

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.<br />

Die Änderungskündigung der Beklagten erweist sich als sozialwidrig.<br />

Die Kammer konnte offen lassen, ob die Sozialwidrigkeit der<br />

Änderungskündigung bereits darauf beruhen könnte, dass<br />

die alternativen Änderungsangebote der Beklagten nicht<br />

dem Bestimmtheitsgrundsatz genügten. Anders als im Fall<br />

des BAG, v. 15.1.2009 – 2 AZR 6 41/07 tendiert die Kammer<br />

dahin, dass beide Alternativangebote jeweils für sich inhaltlich<br />

ausreichend bestimmt sind, was die Tätigkeit, den Arbeitszeitumfang<br />

und die Vergütung angeht.<br />

Lässt man jedoch eine Änderungskündigung nicht bereits im<br />

Ansatz daran scheitern, dass der Arbeitgeber in seinem Änderungsangebot<br />

mehrere Alternativen unterbreitet – wie z.B.<br />

das LAG Hamm in seiner Entscheidung vom 7.9.2007 – 4 SA<br />

423/07 (LAGE KSchG § 2 Nr. 60) –, ist zumindest zu fordern,<br />

dass jedes dieser Angebote für sich genommen den Anforderungen<br />

an §2KSchGgenügt.<br />

Könnte dies nach dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten<br />

für das 1. Alternativangebot – die Arbeitszeitreduzierung im<br />

bisherigen Tätigkeitsbereich – noch der Fall sein, erschließt<br />

sich der Kammer die Zumutbarkeit des Alternativangebotes<br />

<strong>03</strong>/12 157


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 30 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

einer Arbeitsaufnahme im Bereich der Küche nicht. Außer<br />

dem Umstand, dass die Klägerin vor knapp 30 Jahren vom<br />

1.8.1981 bis 31.7.1982 die einjährige Berufsfachschule der<br />

Richtung Ernährungs- und Hauswirtschaft erfolgreich besucht<br />

hat (Blatt 34 f der Akte), handelt es sich um eine mit der bisherigen<br />

10-jährigen Tätigkeit der Klägerin komplett nicht vergleichbare<br />

Aufgabe. Auch reduziert sich die Vergütung der<br />

Klägerin nach Angaben der Beklagten im Kammertermin bei<br />

Eingruppierung in Vergütungsgruppe 11 auf etwa 60 % der<br />

bisherigen Vergütung. Da ansonsten jegliche Begründung<br />

und jeglicher Vortrag der Beklagten für eine alternative Tätigkeit<br />

als Helferin im Küchenbereich fehlen, erachtet die Kammer<br />

das Änderungsangebot in der 2. Alternative als sozialwidrig.<br />

■ Arbeitsgericht Aachen<br />

vom 17.11.2011, 8 Ca 2777/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Thomas Banse<br />

Tivolistraße 4, 52349 Düren<br />

Tel.: 02421/407680, Fax: 02421/4076825<br />

info@kanzlei-banse.de<br />

188. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, Kausalität einer<br />

Drohung<br />

Aus den Gründen:<br />

b) Unabhängig von den Ausführungen zu a) scheidet eine Anfechtung<br />

des Aufhebungsvertrages wegen widerrechtlicher<br />

Drohung aber auch deshalb aus, weil der Kläger in der Situation<br />

des 8.7.2011 nicht durch die in Aussicht gestellte fristlose<br />

Kündigung zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages bestimmt<br />

worden ist. Es fehlt an der für den Anfechtungsgrund<br />

der widerrechtlichen Drohung erforderlichen finalen und kausalen<br />

Verbindung zwischen dem Inaussichtstellen der Kündigung<br />

und dem Abschluss des Aufhebungsvertrages. Die Anfechtung<br />

wegen Drohung setzt voraus, dass der Drohende die<br />

Abgabe der Willenserklärung durch den Bedrohten bezweckt<br />

und dass die Drohung für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich<br />

geworden ist (Palandt-Ellenberger, BGB, 71. Aufl. <strong>2012</strong>,<br />

§ 123 BGB Rn 23, 24; MKBGB-Armbrüster, 6. Aufl. <strong>2012</strong>, § 123<br />

BGB Rn 112–114). Diese Voraussetzungen waren in der Gesprächssituation<br />

am 8.7.2011 nicht gegeben. Die Beklagte bezweckte<br />

am 8.7.2011 nicht, den Kläger (jetzt noch) zum Abschluss<br />

eines Aufhebungsvertrags zu bewegen. Die Beklagte<br />

hatte das Kündigungsverfahren bereits eingeleitet. Der Antrag<br />

an das Integrationsamt war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme<br />

bereits gestellt. Die Möglichkeit eines Aufhebungsvertrages<br />

ist in der Gesprächssituation des 8.7.2011 erst<br />

auf Initiative der Rechtsanwältin des Klägers wieder zum Gesprächsgegenstand<br />

geworden. Die Rechtsanwältin hat angefragt,<br />

ob ein Aufhebungsvertrag in Betracht komme. Diesen<br />

Vorschlag hat die Beklagte zunächst reserviert aufgenommen.<br />

Erst nach Gesprächsunterbrechung und Zwischenberatung<br />

hat die Beklagte dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages<br />

zugestimmt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 26.4.<strong>2012</strong>, 11 Sa 1788/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Gosda<br />

Von-Geismar-Straße 2, 59227 Ahlen<br />

Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />

r.gosda@sozietaet-quast.de<br />

189. Aufhebungsvertrag, Anfechtung, alkoholbedingte<br />

Geschäftsunfähigkeit; Zurückweisung verspäteten<br />

Vorbringens<br />

Der Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien ist wirksam zustande<br />

gekommen. Die Annahmeerklärung des Klägers ist<br />

nicht gemäß § 105 Abs. 2 BGB nichtig.<br />

Nach dieser Vorschrift ist eine Willenserklärung die im Zustand<br />

der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung<br />

der Geistestätigkeit abgegeben wird, nichtig. Der Kläger hat<br />

sich darauf berufen, partiell geschäftsunfähig gewesen zu<br />

sein. In Betracht kommt daher eine vorübergehende Störung<br />

der Geistestätigkeit im Sinne der Vorschrift.<br />

Die Störung der Geistestätigkeit muss die freie Willensbestimmung<br />

ausschließen (Palandt, 63. Aufl., § 105, Rn 3). Eine ansonsten<br />

bestehende Geschäftsfähigkeit kann für einen gegenständlich<br />

beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen<br />

sein (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit).<br />

Das ist der Fall, wenn es der betreffenden Person infolge einer<br />

krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht möglich ist, in<br />

diesem Lebensbereich ihren Willen frei und unbeeinflusst von<br />

der vorliegenden Störung zu bilden oder nach einer zutreffend<br />

gewonnenen Einsicht zu handeln, während das für andere<br />

Lebensbereiche nicht zutrifft. Dagegen gibt es nach der<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine auf besonders<br />

schwierige Geschäfte – z.B. im Grundstücksverkehr – beschränkte<br />

sogenannte relative Geschäftsunfähigkeit. Die Geschäftsunfähigkeit<br />

nach § 104 Nr. 2 BGB ist kein medizinischer<br />

Befund, sondern eine Rechtsfolge, deren Voraussetzungen<br />

das Gericht unter kritischer Würdigung eines Sachverständigengutachtens<br />

festzustellen hat (BGH, Urt. v. 18.5.2001 – V ZR<br />

126/00 – juris, Rn 8 f.). Dieser Auffassung des Bundesgerichtshofs<br />

hat sich auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen.<br />

Es hat zur Begründung ergänzend ausgeführt, eine relative<br />

Geschäftsunfähigkeit, die durch den jeweiligen Schwierigkeitsgrad<br />

der vorgenommenen Geschäfte bestimmt werde,<br />

führe zu einer für den Rechtsverkehr schwer erträglichen<br />

Rechtsunsicherheit. Es ließe sich dann keine klare Grenze zwischen<br />

Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit ziehen<br />

(BAG, Urt. v. 28.021980 – 2 AZR 330/78 – juris, Rn 44).<br />

Substantiiert dargelegt ist ein Ausschluss der freien Willensbestimmung<br />

nach allgemeinen Grundsätzen festzustellen, wenn<br />

das Gericht auf der Grundlage des Klägervorbringens zu dem<br />

Ergebnis kommen muss, die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2<br />

BGB lägen vor. Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags<br />

158<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 31 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

kommt es nicht an (BGH – Urt. v. 5.12.1995 – XI ZR 70/95 –<br />

juris, Rn 12). Hinsichtlich der Substantiiertheit der hier in Rede<br />

stehenden vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit<br />

nach § 105 Abs. 2 BGB gilt nichts anderes.<br />

1. Danach ist der Vortrag des Klägers zum Vorliegen partieller<br />

Geschäftsunfähigkeit am 9.7.2009 – jedenfalls in der Berufungsinstanz<br />

– schlüssig. Der Kläger hat seinen Vortrag in erster<br />

Instanz (Schriftsatz vom 6.8.2010, S. 2, BI. 170 d. A.), wonach<br />

er sich im maßgeblichen Zeitpunkt alkoholsuchtbedingt<br />

derart verändert hatte, dass der behandelnde Arzt hinsichtlich<br />

der Fassung von <strong>Entscheidungen</strong> weitreichender Bedeutung<br />

für ein bestehendes Arbeitsverhältnis eine partielle Geschäftsunfähigkeit<br />

festgestellt habe, in der Berufungsbegründung<br />

weiter präzisiert und klar gestellt. Während der Vortrag erster<br />

Instanz aus dem gerade genannten Schriftsatz tatsächlich –<br />

wie das Arbeitsgericht angenommen hat – eher für das Vorliegen<br />

einer relativen Geschäftsunfähigkeit spricht, weil der behandelnde<br />

Arzt sich nur hinsichtlich der Fassung von <strong>Entscheidungen</strong><br />

„weitreichender Bedeutung" für ein bestehendes<br />

Arbeitsverhältnis äußert, hat der Kläger in der Berufungsbegründung<br />

(S. 5, BI. 221 d. A.) ausgeführt, mit dem Vortrag,<br />

dass der behandelnde Arzt hinsichtlich der Fassung von <strong>Entscheidungen</strong><br />

weitreichender Bedeutung für ein bestehendes<br />

Arbeitsverhältnis eine partielle Geschäftsunfähigkeit festgestellt<br />

habe, sei das Arbeitsverhältnis im Ganzen gemeint. Die<br />

partielle Geschäftsunfähigkeit bezöge sich auf den Bereich<br />

des Arbeitsverhältnisses. Er hat diesen Vortrag weiter substantiiert<br />

durch Vorlage eines ärztlichen Gutachtens seines behandelndes<br />

Arztes vom 5.8.2010, in dem dieser ausführt (BI. 227<br />

d. A.), dass die Zustimmung zur Entlassung durch den Kläger<br />

im Rahmen partieller Geschäftsunfähigkeit erfolge. Einer weiteren<br />

Darlegung bedarf es für einen schlüssigen Vortrag nicht.<br />

Auf die Wahrscheinlichkeit des Vortrags kommt es nicht an.<br />

2. Der Vortrag des Klägers aus der Berufungsbegründung ist<br />

auch zu berücksichtigen.<br />

a) Der Vortrag ist nicht nach § 67 Abs. 1 ArbGG zurückzuweisen.<br />

Nach § 67 Abs. 1 ArbGG bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel,<br />

die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden<br />

sind, ausgeschlossen.<br />

Danach scheidet vorliegend eine Zurückweisung des gerade<br />

genannten Vorbringens aus, unabhängig davon, ob dies auch<br />

Gegenstand des vom Arbeitsgericht als verspätet zurückgewiesenen<br />

Schriftsatzes vom 9.9.2010 war. Denn die Zurückweisung<br />

des Vorbringens aus dem Schriftsatz vom 9.9.2010<br />

durch das Arbeitsgericht war nicht rechtmäßig.<br />

aa) Nach § 61a Abs. 5 ArbGG sind Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

die erst nach Ablauf der nach Abs. 3 oder 4 gesetzten<br />

Fristen vorgebracht werden, nur zuzulassen, wenn nach der<br />

freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung<br />

des Rechtsstreits nicht verzögert oder wenn die Partei<br />

die Verzögerung genügend entschuldigt.<br />

Bestandsschutz<br />

Eine Verzögerung des Rechtsstreits kann vorliegen, wenn das<br />

Gericht durch neues Vorbringen einer Partei gezwungen wird,<br />

dem Gegner noch Gelegenheit zur schriftsätzlichen Stellungnahme<br />

zu diesem neuen Vorbringen zu gewähren. Dies gilt<br />

auch dann, wenn das Gericht einen Verkündungstermin anberaumt,<br />

in dem noch keine Entscheidung wegen des verspäteten<br />

Vorbringens getroffen werden kann. Kann in dem Verkündungstermin<br />

allerdings eine Entscheidung getroffen werden,<br />

ist selbst dann nicht von einer Verzögerung des Rechtsstreits<br />

auszugehen, wenn dieser Verkündungstermin über den Zeitraum<br />

des § 310 Abs. 1 ZPO hinaus angesetzt wird (Germelmann,<br />

Komm. z. ArbGG, 7. Aufl., § 56, Rn 35).<br />

bb) Danach hätte das Arbeitsgericht dem Beklagten auf den<br />

Schriftsatz des Klägers vom 9.9.2010 einen Schriftsatznachlass<br />

gewähren und einen Verkündungstermin anberaumen müssen.<br />

Erst wenn sich aufgrund des Inhalts des nachgelassenen<br />

Schriftsatzes des Beklagten herausgestellt hätte, dass das Vorbringen<br />

des Klägers streitig war und es deswegen die Anberaumung<br />

eines neuen Termins erforderlich machen würde,<br />

hätte das Arbeitsgericht den Vortrag als verspätet zurückweisen<br />

dürfen.<br />

b) Die Zurückweisung des Vortrags aus der Berufungsbegründung<br />

zur partiellen Geschäftsunfähigkeit kommt auch nicht<br />

nach § 67 Abs. 2 S. 1 ArbGG in Betracht. Nach dieser Vorschrift<br />

sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten<br />

Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 1<br />

oder § 61a Abs. 3 oder 4 gesetzten Frist nicht vorgebracht<br />

werden, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung<br />

des Landesarbeitsgerichts ihre Zulassung die Erledigung des<br />

Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die<br />

Verspätung genügend entschuldigt.<br />

Mit der Berufung auf das Vorliegen partieller Geschäftsunfähigkeit<br />

in der Berufungsbegründung hat der Kläger kein<br />

neues Angriffsmittel im Sinne der Vorschrift vorgebracht. Der<br />

Kläger hat sich stets auf seine mangelnde Geschäftsunfähigkeit<br />

berufen und ausgeführt, er habe unter partieller Geschäftsunfähigkeit<br />

gelitten. Seinen diesbezüglichen Vortrag<br />

hat er in der Berufungsinstanz nur konkretisiert. Dem steht<br />

§ 67 Abs. 2 ArbGG nicht entgegen. (…)<br />

d) In Betracht kommt damit für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses<br />

nicht eine partielle Geschäftsunfähigkeit des Klägers<br />

wohl aber eine Geschäftsunfähigkeit im Hinblick auf die<br />

Folgen eines Alkoholentzugs.<br />

Nach den Feststellungen der Sachverständigen und dem unstreitigen<br />

Ablauf der Ereignisse am 9.7.2009 bei Unterzeichnung<br />

des Aufhebungsvertrags ist die Kammer nicht mit der<br />

notwendigen Gewissheit davon überzeugt, dass sich der Kläger<br />

bei Abschluss dieses Aufhebungsvertrags in einem Entzugsstadium<br />

befand, das seine freie Willensbildung ausschloss.<br />

Hiergegen spricht maßgeblich und für das Gericht<br />

ausschlaggebend das Verhalten des Klägers im Rahmen des<br />

Gesprächs über den Aufhebungsvertrag selbst. Dieses Gespräch<br />

ist auf Wunsch des Klägers unterbrochen worden, weil<br />

<strong>03</strong>/12 159


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 32 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

er den ihm vorgelegten Aufhebungsvertrag in der vorgelegten<br />

Form nicht unterzeichnen wollte. Spätestens damit hat<br />

der Kläger demonstriert, dass er in der Lage war seinen Willen<br />

zu bilden und rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben<br />

oder eben nicht abzugeben. Der Druck, den er sich in dem Gespräch<br />

ausgesetzt sah, war kein anderer als der, den jeder andere<br />

Arbeitnehmer in einer entsprechenden Situation auch<br />

ertragen muss. Allein der Umstand, dass man einem Druck<br />

des Arbeitgebers im Hinblick auf eine angekündigte fristlose<br />

Kündigung nachgibt, belegt keine Geschäftsunfähigkeit. Dies<br />

kommt in der täglichen Praxis regelmäßig vor, wie die zahlreichen<br />

<strong>Entscheidungen</strong> der Arbeitsgerichte hierzu belegen. Es<br />

mag sein, dass der Kläger Entzugssymptome aufwies, diese<br />

erreichten jedoch nicht das Stadium des Ausschlusses der<br />

freien Willensbildung und damit der Geschäftsunfähigkeit.<br />

Damit ist der Vortrag des Klägers zu seiner Geschäftsunfähigkeit<br />

nicht bewiesen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein<br />

vom 3.4.<strong>2012</strong>, 1 Sa 577a/10<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Arfst H. Hansen,<br />

Stuhrs Allee 35, 24937 Flensburg<br />

Tel.: 0461/520770, Fax: 0461/5207777<br />

info@khs-flensburg.de<br />

190. Außerordentliche Kündigung, ungerechtfertigte<br />

Anschuldigung, Prozessverhalten<br />

Aus den Gründen:<br />

b) Nach Auffassung der Kammer ist die seitens der Beklagten<br />

am 24.10.2011 ausgesprochene fristlose Kündigung begründet,<br />

so dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien hierdurch<br />

bereits vor Ablauf des 31.12.2011 beendet wurde.<br />

aa) (…) Ein „an sich" geeigneter Grund für eine außerordentliche<br />

Kündigung kann insbesondere dann angenommen werden,<br />

wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wider besseren<br />

Wissens Drohungen unterstellt und diesen hierdurch<br />

letztlich einer Straftat bezichtigt.<br />

Vorliegend besteht der „an sich" geeignete Grund darin, dass<br />

der Kläger im Rahmen der öffentlichen Kammersitzung vom<br />

20.9.2011 der Beklagten unterstellte, diesen bedroht zu haben,<br />

um mit ihm einen Aufhebungsvertrag abzuschließen.<br />

Aufgrund der Einlassung des Klägers zu dem diesbezüglichen<br />

Vorbringen der Beklagten steht zur Überzeugung der Kammer<br />

fest, dass der Kläger die Unterstellung tätigte, obwohl er<br />

wusste, dass es eine derartige Drohung nicht gegeben hatte.<br />

Hierdurch bezichtigte der Kläger die Beklagte einer versuchten<br />

Nötigung im Sinne des §§ 240 Abs. 1 2. Alt. Abs. 3, 22, 23<br />

Abs. 1 2. Alt. StGB.<br />

bb) Nach der Auffassung der Kammer war der Beklagten die<br />

Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung<br />

der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der<br />

Interessen beider Vertragsteile nicht – auch nicht bis zum Ablauf<br />

der Kündigungsfrist – zumutbar.<br />

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen<br />

Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />

zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse<br />

des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />

gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen<br />

Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls<br />

unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob<br />

dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder<br />

nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen<br />

sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen<br />

einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf<br />

das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und<br />

ihre wirtschaftlichen Folgen –, der Grad des Verschuldens des<br />

Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie<br />

die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier<br />

Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht,<br />

wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis<br />

fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen<br />

Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere<br />

Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche<br />

Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel,<br />

wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen<br />

Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung<br />

des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG, v.<br />

10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231).<br />

Vorliegend war insoweit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen,<br />

dass dieser bereits seit dem 11.4.1996 bei der Beklagten<br />

beschäftigt war. Demgegenüber war aber zu berücksichtigen,<br />

dass es sich bei der bewusst falschen Unterstellung der Drohung<br />

beziehungsweise der versuchten Nötigung um eine<br />

massive Pflichtverletzung handelt. Erschwerend kommt insoweit<br />

hinzu, dass diese Unterstellung nicht bloß im üblichen<br />

Rechtsverkehr von dem Kläger getätigt wurde, sondern im<br />

Rahmen einer öffentlichen Kammersitzung, sodass die Vorwürfe<br />

zusätzlich in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurden<br />

und aufgrund der Öffentlichkeit der Sitzung auch von jedermann<br />

zur Kenntnis genommen werden konnten. Zudem<br />

hatte die Kammer zu berücksichtigen, dass der Kläger insoweit<br />

wissentlich handelte. Auch hatte die Kammer zu berücksichtigen,<br />

dass der Kläger bereits wegen vergleichbaren Fehlverhaltens<br />

im April 2011 abgemahnt worden war. Zwar richtete<br />

sich diese Abmahnung auf ein Fehlverhalten des Klägers<br />

gegenüber einem anderen Beschäftigten der Beklagten und<br />

nicht auf direkt gegen die Beklagte bezogenes Fehlverhalten.<br />

Die Kammer erachtete diese Abmahnung allerdings auch insoweit<br />

für ausreichend, da der Kläger einschlägig dahingehend<br />

abgemahnt war, dass dieser bei erneutem Fehlverhalten<br />

mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen<br />

musste. Dies auch unabhängig davon, ob sich selbiges direkt<br />

gegen die Beklagte oder aber erneut gegen deren weitere Beschäftigte<br />

richtete. Eine weitere Abmahnung des Klägers als<br />

mildere Reaktionsmöglichkeit war der Beklagten nicht zuzu-<br />

160<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 33 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

muten, da der Kläger durch sein erneutes Fehlverhalten eindeutig<br />

zum Ausdruck gebracht hat, dass ihm gegenüber erteilte<br />

Abmahnungen nicht geeignet sind, das Risiko künftiger<br />

Störungen zu vermeiden. Da der Kläger nicht verheiratet und<br />

niemandem gegenüber unterhaltsverpflichtet, folglich also<br />

flexibel ist, geht die Kammer trotz des Alters des Klägers davon<br />

aus, dass dieser zügig einen neuen adäquaten Arbeitsplatz<br />

finden wird.<br />

■ Arbeitsgericht Aachen<br />

vom 21.1.<strong>2012</strong>, 6 Ca 1881/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Franz Sparla<br />

Kackertstraße 11, 52072 Aachen,<br />

Tel.: 0241/9329596, Fax: 0241/9329597<br />

kontakt@ask.ac<br />

Anmerkung:<br />

Das Arbeitsgericht sieht den „Grund“ an sich im Prozessverhalten<br />

des Klägers, einer vermeintlich falschen Anschuldigung.<br />

Zu diesem „Grund“ wurde aber sichtlich der Betriebsrat<br />

nicht vor Ausspruch der Kündigung angehört. (gr)<br />

191. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />

in der Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses<br />

Daher ist die Kammer bei wertender Betrachtung des gegenseitigen<br />

Sachvortrags der Auffassung, dass davon auszugehen<br />

ist, dass die Klägerin Wettbewerbshandlungen zu Lasten<br />

der Beklagten während des laufenden Arbeitsverhältnisses<br />

begangen hat. Diese Wettbewerbstätigkeiten stellen nach<br />

Auffassung der Kammer einen an sich geeigneten Grund für<br />

eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Der Arbeitnehmer<br />

ist während des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />

grundsätzlich verpflichtet, die Interessen seines Arbeitgebers<br />

zu berücksichtigen. Diese Rücksichtnahmeverpflichtung<br />

beinhaltet insbesondere auch das Verbot, Wettbewerbshandlungen<br />

zu Lasten des Arbeitgebers durchzuführen: Da die Klägerin<br />

ihre Wettbewerbshandlungen zu Lasten der Beklagten<br />

ausgeübt hat, hat sie schwerwiegend die Verpflichtungen aus<br />

ihrem Arbeitsvertrag verletzt. Diese schwerwiegende vertragliche<br />

Pflichtverletzung stellt einen an sich geeigneten Grund<br />

für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar.<br />

Auch die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sowie<br />

die Abwägung beider Interessen führen zu keinem anderen<br />

Ergebnis.<br />

Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt<br />

der Wettbewerbshandlungen bereits unwiderruflich freigestellt<br />

war und zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung<br />

das Arbeitsverhältnis nur noch sechs Wochen dauern sollte.<br />

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass zwischen<br />

der Beklagten und der Firma X eine besondere Wettbewerbssituation<br />

bestand, wovon die Klägerin infolge der Auseinandersetzung<br />

der handelnden Personen auch wusste. Es war daher<br />

nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung<br />

der nur noch relativ kurzen Dauer des Restarbeitsver-<br />

Bestandsschutz<br />

hältnisses für die Beklagte unzumutbar, das Arbeitsverhältnis<br />

bis zum 31.8.2011 fortzusetzen. Das gilt umso mehr, als mit einer<br />

Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.8.2011 auch<br />

die Verpflichtung zur Zahlung einer nicht unerheblichen Abfindung<br />

an die Klägerin verbunden wäre.<br />

Daher ist auch unter Berücksichtigung aller Umstände des<br />

Einzelfalles nach Auffassung der Kammer ein wichtiger Grund<br />

für die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben.<br />

■ Arbeitsgericht Hameln<br />

vom 19.1.<strong>2012</strong>, 1 Ca 319/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Heinz Gussen<br />

Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück<br />

Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920449<br />

info@drgussen.de<br />

192. Außerordentliche Kündigung, Wettbewerbsverstoß<br />

oder Vorbereitungshandlung<br />

Aus den Gründen:<br />

c) Die Beklagte wirft dem Kläger vor, gegen das während des<br />

Arbeitsverhältnis bestehende Wettbewerbsverbot verstoßen<br />

zu haben, als er das Gewerbe „Schwimmbadservice und<br />

Schwimmbadzubehör“ anmeldete und sein Partner unter Angabe<br />

seiner Anschrift einen Lieferanten anschrieb. Diese Auffassung<br />

teilt die Kammer nicht. Der Kläger hat mit diesem Verhalten<br />

lediglich Wettbewerb vorbereitet.<br />

aa) Der Arbeitnehmer verletzt zwar seine Pflicht zur Rücksichtnahme<br />

auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2<br />

BGB erheblich, wenn er während des bestehenden Arbeitsverhältnisses<br />

eine Konkurrenztätigkeit ausübt.<br />

Während des rechtlichen Bestehens eines Arbeitsverhältnisses<br />

ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich jede Konkurrenztätigkeit<br />

zum Nachteil seines Arbeitgebers untersagt (st. Rspr.,<br />

BAG, v. 28.10.2010 – 2 AZR 1008/08 – juris; 20.6.2008 – 2 AZR<br />

190/07 – juris). Die für Handlungsgehilfen geltende Regelung<br />

des § 60 Abs. 1 HGB konkretisiert dabei einen allgemeinen<br />

Rechtsgedanken. Der Arbeitgeber soll vor Wettbewerbshandlungen<br />

seines Arbeitnehmers geschützt werden. Der Arbeitnehmer<br />

darf im Marktbereich seines Arbeitgebers Dienste<br />

und Leistungen nicht Dritten anbieten. Dem Arbeitgeber soll<br />

dieser Bereich uneingeschränkt und ohne die Gefahr einer<br />

nachteiligen Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offenstehen.<br />

Allerdings darf er, wenn ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />

nach § 74 HGB nicht vereinbart ist, schon vor Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses für die Zeit nach seinem<br />

Ausscheiden die Gründung eines eigenen Unternehmens<br />

oder den Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen vorbereiten<br />

(BAG, v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07 – juris). Interne Vorbereitungshandlungen,<br />

die auf die Schaffung der formalen und<br />

organisatorischen Voraussetzungen für ein geplantes eigenes<br />

Handelsunternehmen gerichtet sind, stellen damit noch keinen<br />

Wettbewerb dar (LAG Düsseldorf, v. 12.1.2007 – 9 Sa<br />

1637/05 – juris). Dies gilt etwa für die Anmietung von Ge-<br />

<strong>03</strong>/12 161


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 34 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

schäftsräumen oder den Ankauf von Waren. Ihre Grenze finden<br />

solche vorbereitenden Maßrahmen allerdings dort, wo<br />

die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt<br />

werden können. Das ist regelmäßig bei einer nach außen wirkenden,<br />

werbenden Tätigkeit der Fall. Deshalb stellt sich auch<br />

schon der Versuch einer Abwerbung von Geschäftsverbindungen<br />

oder Kunden als eine Verletzung des Wettbewerbsverbotes<br />

generell (§ 60 Abs. 1 HGB) dar; d.h. alle Tätigkeiten, die geeignet<br />

sind, die Geschäftsverbindungen des Arbeitgebers zu<br />

Kunden, Lieferanten usw. zu beeinträchtigen, sind dem Handlungsgehilfen<br />

untersagt (BAG, v. 23.5.1985 – 2 AZR 268/84, juris;<br />

LAG Köln, v. 24.1.1997 – 11 Sa 1219/96 – juris).<br />

bb) Eine werbende Tätigkeit im Geschäftsbereich der Beklagten<br />

hat der Kläger mit der Gewerbeanmeldung und dem<br />

Schreiben des Herrn X an die Firma Y noch nicht aufgenommen.<br />

Die Gewerbeanmeldung ist auch aus Sicht der Beklagten<br />

noch als reine Vorbereitungshandlung zu qualifizieren, sie<br />

dient der Schaffung eines formalen Rahmens für die spätere<br />

Geschäftsaufnahme. Aber auch mit dem an die Firma Z gerichteten<br />

Schreiben hat der Kläger, ungeachtet dessen, ob er<br />

nun von diesem Schreiben gewusst hat oder nicht, die maßgebliche<br />

Schwelle zum arbeitsvertraglich beachtlichen Wettbewerb<br />

noch nicht überschritten. Denn das damit beabsichtigte<br />

Abfragen von Produktinformationen dient ebenfalls nur<br />

der Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen für<br />

eine spätere Geschäftstätigkeit. Die Kenntnis dieser Informationen<br />

und der Produktpreise ist notwendige Voraussetzung<br />

für ein späteres Tätigwerden gegenüber Kunden. Selbst das<br />

auf der Grundlage der erteilten Informationen erfolgende Ankaufen<br />

von Produkten der Firma X stellte nach den oben dargestellten<br />

Grundsätzen noch keinen Wettbewerb i.S.d. § 60<br />

HGB dar. Der Kläger hat damit auch nicht in bestehende Geschäftsverbindungen<br />

der Beklagten zu der Firma X eingegriffen.<br />

Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass diese Verbindung<br />

durch die Kontaktaufnahme des Herrn Z Schaden genommen<br />

haben oder Schaden hätten nehmen können, insbesondere<br />

kann von einem Versuch des Abwerbens dieses Geschäftspartners<br />

nicht die Rede sein. Auch der Umstand, dass<br />

in dem Schreiben von einem Kundenstamm die Rede ist, lässt<br />

ohne weitere Anhaltspunkte nicht den zwingenden Schluss<br />

darauf zu, dass bereits Wettbewerb betrieben wird. So behauptet<br />

die Beklagte nicht, der Kläger sei an Kunden i.S. des<br />

von ihr erwähnten „Vorfühlens" herangetreten oder betreue<br />

mit seinem Gewerbe bereits Baustellen.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 21.2.<strong>2012</strong>, 14 Ca 4700/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Carsten Keunecke<br />

Kölner Straße 2, 50226 Frechen<br />

Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />

office@hdup.de<br />

193. Außerordentliche Kündigung, Schwerbehinderte,<br />

Zustimmung Integrationsamt<br />

Die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung zur außerordentlichen<br />

Kündigung war zu versagen. (…)<br />

Gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX soll das LWL-Integrationsamt Westfalen<br />

die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilen,<br />

wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der<br />

nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Ein Zusammenhang<br />

zwischen der anerkannten Behinderung der<br />

Frau X und dem Kündigungsgrund ist vorliegend für das LWL-<br />

Integrationsamt Westfalen nicht erkennbar und wird auch<br />

von Frau X nicht geltend gemacht. Im Wesen der Sollvorschrift<br />

entsprechend darf das LWL-Integrationsamt Westfalen<br />

bei fehlendem Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund<br />

und Behinderung im Regelfall keine andere Entscheidung<br />

treffen, als die vom Arbeitgeber beantragte Zustimmung zur<br />

außerordentlichen Kündigung zu erteilen. Das LWL-Integrationsamt<br />

Westfalen prüft, ob die vom Arbeitgeber herangezogenen<br />

Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich<br />

nicht rechtfertigen können. Dies ist vorliegend gegeben,<br />

weil grundsätzlich betriebsbedingte Gründe eine außerordentliche<br />

Kündigung nach der Rechtsprechung nicht rechtfertigen<br />

können. Vorliegend kommt – wenn überhaupt – eine<br />

außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist in Betracht.<br />

Im Rahmen der Prüfung zur ordentlichen Kündigung hat das<br />

LWL-Integrationsamt Westfalen abzuwägen zwischen dem Interesse<br />

des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes einerseits<br />

und dem Interesse des Arbeitgebers an einem reibungslosen<br />

und wirtschaftlich sinnvollen Betriebsablauf andererseits.<br />

Auch im Rahmen der Abwägungen zur ordentlichen<br />

Kündigung berücksichtigt das LWL-Integrationsamt<br />

Westfalen, ob ein Zusammenhang zur anerkannten Behinderung<br />

besteht oder vorliegend nicht festzustellen ist. Besteht<br />

kein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und anerkannter<br />

Behinderung ist auch im Rahmen der ordentlichen<br />

Kündigung der Prüfungsumfang des LWL-Integrationsamtes<br />

Westfalen eingeschränkt. Im Rahmen der Entscheidung zur<br />

ordentlichen Kündigung war festzustellen, dass Frau X nach<br />

den AVR-Richtlinien des Caritas-Verbandes im Rahmen ihres<br />

Arbeitsvertrages nicht mehr ordentlich kündbar ist. Insgesamt<br />

war vorliegend die Kündigung zur außerordentlichen und ordentlichen<br />

Kündigung zu versagen.<br />

■ Bescheid des LWL-Integrationsamtes Westfalen<br />

vom 26.3.<strong>2012</strong><br />

eingereicht und ausgearbeitet von Rechtsanwalt Ralf Gosda<br />

Von-Geismar-Straße 2, 59227 Ahlen<br />

Tel.: 02382/9187720, Fax: 02382/9187777<br />

r.gosda@sozietaet-quast.de<br />

162<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 35 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

194. Außerordentliche Kündigung, whistleblowing,<br />

Verdachtskündigung<br />

Aus den Gründen:<br />

C. Der Kläger hat des weiteren Anspruch auf die Feststellung,<br />

dass auch die weitere Kündigung vom 20.12.2011 das Arbeitsverhältnis<br />

zwischen den Parteien nicht aufgelöst hat.<br />

Die Beklagte hat sich für diese Kündigung darauf berufen,<br />

dass als wichtiger Grund eine Verdachtskündigung ausgesprochen<br />

werden musste, da die Äußerungen des Klägers<br />

über die Unregelmäßigkeiten bei der Steuerabführung, die im<br />

Schriftsatz des Klägers vom 26.10.2011 geäußert worden sind,<br />

in einem strafrechtlichem Ermittlungsverfahren verwertet<br />

worden seien, welches zu einem Durchsuchungsbeschluss<br />

des Amtsgerichts Münster geführt habe.<br />

Der dringende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer<br />

sonstigen schweren arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung<br />

kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung<br />

sein, wenn der Verdacht, dass zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

notwendige Vertrauen in die Rechtschaffenheit des<br />

Arbeitnehmers zerstört oder in anderer Hinsicht eine unerträgliche<br />

Belastung des Arbeitsverhältnisses darstellt<br />

(BAG, v. 26.3.1992, AP Nr. 23 zu § 626 BGB Verdacht strafbare<br />

Handlungen gleich NZA 92,1121). An die Voraussetzungen einer<br />

Verdachtskündigung sind strenge Anforderungen zu stellen<br />

(BAG, v. 13.9.1995, AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbare<br />

Handlungen gleich NZA 96, 81). Es muss der schwerwiegende<br />

Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung<br />

bestehen (BAG, v. 5.5.1994, RzKI8c Nr. 32; BAG, v. 14.9.1994<br />

EZA § 626 BGB Verdacht strafbare Handlungen Nr. 5). Dieser<br />

Verdacht muss sich aus objektiven, im Zeitpunkt der Kündigung<br />

vorliegenden Tatsachen ergeben. Auf die subjektive<br />

Wertung des Arbeitgebers kommt es nicht an. Der Verdacht<br />

muss ferner dringend sein. Bei kritischer Prüfung muss sich ergeben,<br />

dass eine auf Indizien, das heißt konkrete Tatsachen,<br />

gestützte große Wahrscheinlichkeit für die Tat, gerade dieses<br />

Arbeitnehmers, besteht: (…) die Beklagte (hat) selbst vorgetragen,<br />

dass sie ihre Verdachtsmomente unter anderem darauf<br />

stützt, dass im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen<br />

eine E-Mail vorgelegt worden ist, die außer Herrn<br />

X nur noch dem Prokuristen, Herrn Y, zugänglich gewesen<br />

sein konnte. Damit ist schon ausgeschlossen, dass tatsächlich<br />

nur der Kläger als einzige Person in Betracht kommt, eine entsprechende<br />

Anzeige bei der Staatsanwaltschaft getätigt zu<br />

haben. Auch der Prokurist Herr Y hatte offenbar Zugang zu<br />

dieser E-Mail, da er diese E-Mail versandt hat. Es fehlt damit<br />

an einem konkreten Tatverdacht gegen den Kläger als einzig<br />

möglicher verdächtiger Person. Nach dem eigenen Vortrag<br />

der Beklagten kommen jedenfalls zwei Personen, nämlich der<br />

Kläger und der Mitarbeiter Z, als Verursacher einer staatsanwaltlichen<br />

Ermittlungstätigkeit in Betracht.<br />

Anzeigen des Arbeitnehmers bei staatlichen Ermittlungsbehörden<br />

gegen einen gesetzwidrig handelnden Arbeitgeber<br />

sind kein Kündigungsgrund, wenn der Arbeitnehmer bei einer<br />

Bestandsschutz<br />

Nichtanzeige sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen<br />

würde, oder bei schwerwiegenden Straftaten des Arbeitgebers<br />

(BAG, v. 3.7.20<strong>03</strong>, EZA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 61, zu II 4b; Müller, NZA 2002, 436). Bei den im Beschluss<br />

des Amtsgerichts Münster genannten Verdachtsmomenten<br />

handelt es sich um schwerwiegende Steuerhinterziehung<br />

der Beschuldigten.<br />

(…) selbst wenn der Kläger eine entsprechende Anzeige geschaltet<br />

haben sollte, wäre die Schwere des Tatverdachts ein<br />

ausreichender Rechtfertigungsgrund für den Kläger, eine solche<br />

Anzeige bei der Staatsanwaltschaft abzugeben.<br />

Die fristlose Kündigung vom 20.12.2011 sowie die hilfsweise<br />

fristgerecht ausgesprochene Kündigung gleichen Datums<br />

sind demgemäß mangels Vorliegen eines Kündigungsgrundes<br />

unwirksam.<br />

■ Arbeitsgericht Lübeck<br />

vom 26.4.<strong>2012</strong>, 2 Ca 2095/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Heinz Gussen<br />

Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück<br />

Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920449<br />

info@drgussen.de<br />

Anmerkung:<br />

Zum besseren Verständnis wurde die Reihenfolge der Argumentation<br />

verändert. (me)<br />

195. Außerordentliche Kündigung während der<br />

Schwangerschaft, abträgliche Meinungsäußerung bei<br />

Facebook, ausführliche Diskussion von Schmähkritik<br />

II. Die zulässige Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht<br />

abgeholfen hat (§ 148 Abs. 1 VwGO), hat Erfolg.<br />

1. Das Verwaltungsgericht hat der Klägerin Prozesskostenhilfe<br />

unter Anwaltsbeiordnung zu Unrecht versagt. Der beabsichtigten<br />

Klage kann eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im<br />

Rahmen der im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens nur<br />

möglichen summarischen Prüfung nicht abgesprochen werden.<br />

a) Hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 ZPO)<br />

besitzt eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bereits dann,<br />

wenn nach summarischer Prüfung eine gewisse, nicht notwendig<br />

überwiegende Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in<br />

der Hauptsache spricht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl.<br />

2011, § 166 Rn 8 m.w.N.). Im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit<br />

von Bemittelten und Unbemittelten dürfen die Anforderungen<br />

hinsichtlich der Erfolgsaussichten nicht überspannt<br />

werden, vor allem ist es unzulässig, schwierige Rechtsfragen,<br />

die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet<br />

werden können, bereits in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens<br />

abschließend im Verfahren der Prozesskostenhilfe zu<br />

erörtern und damit den Zugang zu den Gerichten zu verwehren<br />

(vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.2.20<strong>03</strong> – 1 BvR 1526/02, NJW<br />

20<strong>03</strong>, 1857).<br />

b) Gemessen an diesem Maßstab durfte der Klägerin Prozesskostenhilfe<br />

nicht versagt werden. Der streitgegenständliche<br />

<strong>03</strong>/12 163


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 36 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Bescheid des Gewerbeaufsichtsamtes von B., November 2011,<br />

mit dem die außerordentliche Kündigung der schwangeren<br />

Klägerin für zulässig erklärt wurde, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten<br />

(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).<br />

aa) Gemäß § 9 Abs. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber<br />

einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf<br />

von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, wenn dem<br />

Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft<br />

oder Entbindung bekannt war und innerhalb zweier Wochen<br />

nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Ziel dieser Regelung<br />

ist es, die werdende Mutter auch im Interesse der Allgemeinheit<br />

so zu schützen, dass sie ein gesundes Kind zur Welt<br />

bringen kann. Von der werdenden Mutter sollen nicht nur<br />

wirtschaftliche Sorgen durch Erhaltung des Arbeitsplatzes<br />

ferngehalten werden. Vermieden werden sollen nach Möglichkeit<br />

auch alle psychischen Belastungen, die mit der Kündigung<br />

eines Arbeitsplatzes, insbesondere in dem seelisch labilen<br />

Zustand einer Frau während der Schwangerschaft, verbunden<br />

sind. Da erfahrungsgemäß die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses<br />

schon unter normalen Verhältnissen mit<br />

starken Aufregungen und anderen seelisch belastenden Begleitumständen<br />

für den Gekündigten verbunden ist, gilt dies<br />

erst recht für die Fälle der Kündigung einer Schwangeren, so<br />

dass nach dem Gesetzeszweck ein strenger Maßstab anzulegen<br />

ist und in aller Regel dem Interesse der werdenden Mutter<br />

der Vorrang gebührt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1970 –5C<br />

34.69 , BVerwGE 36, 160 [161 f.]).<br />

Gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG kann die für den Arbeitsschutz zuständige<br />

Oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmte<br />

Stelle – hier das Gewerbeaufsichtsamt – in besonderen Fällen,<br />

die nicht mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft<br />

oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten<br />

nach der Entbindung in Zusammenhang stehen, ausnahmsweise<br />

die Kündigung für zulässig erklären. Ob in diesem Sinne<br />

ein „besonderer Fall" vorliegt, ist keine Ermessensentscheidung,<br />

sondern die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs,<br />

die in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen<br />

Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1958 – 5 C<br />

88.56, BVerwGE 7, 294 [296]; Urt. v. 21.10.1970 – 5 C 34.69,<br />

BVerwGE 36, 160 [161]); ein irgendwie gearteter Beurteilungsspielraum<br />

steht dem Gewerbeaufsichtsamt insoweit nicht zu.<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts<br />

ist ein solcher Fall, der die Merkmale des „besonderen<br />

Falles" und die eines „Ausnahmefalles" zugleich in sich trägt,<br />

nur dann anzunehmen, wenn außergewöhnliche Umstände<br />

es rechtfertigen, die vom Gesetz als vorrangig angesehenen<br />

Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers zurücktreten<br />

zu lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.10.1970 – 5 C<br />

34.69, BVerwGE 36, 160 [161]; Urt. v. 18.8.1977 –5C8.77,<br />

BVerwGE 54, 276 [280 f.,]; Urt. v. 30.9.2009 – 5 C 32.08,<br />

BVerwGE 135, 67 [70] zum Begriff des besonderen Falles in<br />

§ 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG). Ein „besonderer Fall", in dem ausnahmsweise<br />

eine Kündigung während der Schwangerschaft<br />

für zulässig erklärt werden kann, ist deshalb – sofern nicht ohnehin<br />

der Zusammenhang zwischen dem Zustand einer Frau<br />

während der Schwangerschaft oder ihrer Lage bis zum Ablauf<br />

von vier Monaten nach der Entbindung die Annahme eines<br />

solchen Falles bereits ausschließt – nur bei besonders schweren<br />

Verstößen der Schwangeren gegen arbeitsvertragliche<br />

Pflichten gegeben, die dazu führen, dass dem Arbeitgeber die<br />

Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses schlechthin unzumutbar<br />

wird (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 30.11.2004 – 9 B<br />

<strong>03</strong>.2878, BayVBI 2005, 409 [410] zur weithin inhaltsgleichen<br />

Regelung des vormaligen BErzGG).<br />

Der „besondere Fall" des § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG ist deshalb<br />

mit dem „wichtigen Grund" des § 626 BGB nicht gleichzusetzen<br />

(vgl. BVerwG, v. 29.10.1958 –5C88.56, BVerwGE 7, 294<br />

[296 f.). Ein solcher Fall kann demzufolge nur<br />

„ausnahmsweise" dann angenommen werden, wenn außergewöhnliche<br />

Umstände das Zurücktreten der vom Gesetz als<br />

vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter<br />

die – noch gewichtigeren – Interessen des Arbeitgebers rechtfertigen<br />

(vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1958 – 5 C 88.56, BVerwGE<br />

7, 294 [297]; BayVGH, Urt. v. 30.11.2004 –8B<strong>03</strong>.2878, BayVBl<br />

2005, 409 [410] zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung des<br />

vormaligen BErzGG). Für das Vorliegen eines „besonderen<br />

Falles" trägt nach dem Regel-Ausnahmegrundsatz (vgl. § 9<br />

Abs. 1 Satz 1 MuSchG einerseits, § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG andererseits)<br />

grundsätzlich der Arbeitgeber die Darlegungs- und<br />

Beweislast, im Fall einer Anfechtungsklage der Schwangeren<br />

gegen einen die Kündigung zulassenden Bescheid die Behörde.<br />

Liegen die genannten Tatbestandsmerkmale vor, hat die Behörde<br />

ein Ermessen, ob sie ihre Zustimmung erteilen will oder<br />

nicht. Dies folgt aus dem Wort „kann" in § 9 Abs. 3 Satz 1<br />

MuSchG (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1958 – 5 C 88.56, BVerwGE<br />

7, 294 [296]). Es handelt sich insoweit nicht um ein so genanntes<br />

„intendiertes" Ermessen. Die Behörde hat vielmehr nach<br />

pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Die Ermessensentscheidung<br />

selbst ist nur im Rahmen des § 114 VwGO gerichtlich<br />

überprüfbar (vgl. BayVGH, Urt. v. 30.11.2004 – 9 B <strong>03</strong>.2878,<br />

BayVBl 2005, 409 [410) zur weitgehend inhaltsgleichen Regelung<br />

des vormaligen BErzGG).<br />

bb) Angesichts dieses strengen Maßstabes wird die Zulässigerklärung<br />

der Kündigung kaum Bestand haben können. Ein<br />

„besonderer Fall" im Sinne des § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG<br />

liegt – ungeachtet des Umstandes, dass ein Zusammenhang<br />

mit dem Zustand einer Frau während der Schwangerschaft<br />

oder ihrer Lage bis zum Ablauf von vier Monaten nach der<br />

Entbindung vorliegend nicht gegeben sein dürfte – erkennbar<br />

fern.<br />

Das Verwaltungsgericht hat lediglich unterstellt, nicht aber in<br />

der Sache geprüft und nachvollziehbar dargelegt, dass die<br />

Äußerungen der Klägerin in grobem Maße unsachlich seien,<br />

geschäftsschädigenden und ehrverletzenden Charakter besaßen<br />

und deshalb nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1<br />

GG fielen. Hiervon ausgehend hat es einen schwerwiegenden<br />

164<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 37 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Verstoß gegen die Treuepflichten aus dem Arbeitsverhältnis<br />

angenommen und daraus den Schluss gezogen, dass dem<br />

Beigeladenen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar<br />

sei, zumal eine Wiederholungsgefahr nicht mit hinreichender<br />

Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Diese Annahmen<br />

erweisen sich indes schon im Rahmen einer lediglich<br />

summarischen Prüfung als nicht haltbar. Das Verwaltungsgericht<br />

hat nicht nur Bedeutung und Tragweite des Kündigungsschutzes<br />

Schwangerer, sondern auch die des Grundrechts der<br />

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und den aus dem allgemeinen<br />

Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m, Art. 1 Abs. 1<br />

GG) folgenden Vertraulichkeitsschutz fehlerhaft gewichtet,<br />

wie sich im Einzelnen aus Folgendem ergibt:<br />

(1) Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik<br />

und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung<br />

zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig<br />

die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung<br />

(vgl. BVerfGE 93, 266 [3<strong>03</strong>]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer<br />

des 1. Senats v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749<br />

[750] – „Dummschwätzer"). Hiervon kann allenfalls ausnahmsweise<br />

abgesehen werden, wenn es sich um eine Äußerung<br />

handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie<br />

in jedem denkbarem Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung<br />

des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von<br />

ihrem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende<br />

Schmähung aufgefasst werden muss, wie dies möglicherweise<br />

bei der Verwendung besonders schwerwiegender<br />

Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall sein<br />

kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW<br />

2009, 749 [750] – verneint für die Bezeichnung<br />

„Dummschwätzer").<br />

Für das Vorliegen einer solchen Konstellation bestehen vorliegend<br />

jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Zwar mag<br />

es sich bei den Äußerungen „kotzen die mich an von 02" und<br />

„solche Penner" bei isolierter Betrachtung um Ehrverletzungen<br />

handeln (können), nicht aber um solche, die ihrem Bedeutungsgehalt<br />

nach unabhängig von ihrem Verwendungskontext<br />

die mit ihm bezeichnete Person oder Institution stets<br />

als Ganzes herabsetzen, ihr also ihren (personalen) Wert insgesamt<br />

absprechen und sie so vom Prozess der freien Kommunikation<br />

ausschließen (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschl. v.<br />

5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749 1750j –<br />

„Dummschwätzer"). Vielmehr knüpfen diese Begriffe ihrer Bedeutung<br />

nach an ein Verhalten des Betroffenen – hier „02<br />

telefonica" – an, nämlich dessen angebliches Gebaren im Zusammenhang<br />

mit der Abwicklung eines Vertragsverhältnisses<br />

für das von der Klägerin privat betriebene Handy. Dies<br />

schließt es zwar nicht von vornherein aus, in den genannten<br />

Aussagen im Einzelfall gleichwohl eine Schmähkritik zu sehen,<br />

etwa wenn ohne jeden sachlichen Anlass das betroffene Unternehmen<br />

diffamiert werden soll.<br />

Anders verhält es sich hingegen dann, wenn – wie hier – die<br />

Benutzung des entsprechenden Vokabulars sich nur als<br />

sprachlich pointierte Bewertung im Kontext einer bestimm-<br />

Bestandsschutz<br />

ten sachlichen Aussage über die Abwicklung eines Vertragsverhältnisses<br />

durch den Betroffenen darstellt (vgl. hierzu auch<br />

BVerfG, Beschl. v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749<br />

[750] – „Dummschwätzer"). Insoweit ist maßgeblich zu berücksichtigen,<br />

dass der Begriff der Schmähkritik aufgrund seines<br />

die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng auszulegen<br />

ist (vgl. BVerfGE 93, 266 [294]). Infolgedessen macht auch<br />

eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich<br />

genommen noch nicht zur Schmähung (vgl. BVerfGE 82, 272<br />

[283 1.]; 85, 1 [16]; 93, 266 [294]). Erst wenn diese nicht mehr<br />

die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch<br />

polemischer und überspitzer Kritik – die Diffamierung der Person<br />

oder eines Unternehmens in den Vordergrund stellt, hat<br />

eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem<br />

Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzustehen (vgl.<br />

BVerfG, Beschl. v. 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07, NJW 2009, 749<br />

[750] – „Dummschwätzer").<br />

Da die Ausführungen der Klägerin erkennbar – ob berechtigt<br />

oder unberechtigt ist insoweit ohne Bedeutung (vgl. BVerfGE<br />

93, 266 [294] m.w.N.) – das Verhalten von „02 telefonica" im<br />

Zusammenhang mit der Abwicklung des privaten Handyvertrages<br />

kritisieren, nicht aber das Unternehmen in Bausch und<br />

Bogen diffamieren, dürfte die Annahme einer unzulässigen<br />

Schmähkritik oder gar ehrverletzenden Beleidigung von vornherein<br />

fernliegen. Vielmehr erweisen sich die Äußerungen der<br />

Klägerin über 02 – trotz ihres rüden Tons – wohl noch als vom<br />

Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG)<br />

gedeckt.<br />

Unter der Geltung des Grundgesetzes entscheidet allein die<br />

Klägerin, was sie „ankotzt" und was nicht. Auch die Bezeichnung<br />

„Penner" hat nicht von vornherein stets beleidigenden,<br />

einen abwertenden Vergleich mit einem Nichtsesshaften herstellenden<br />

Charakter. So werden etwa im Einzelhandel umgangssprachlich<br />

schlecht verkäufliche Artikel (so genannte<br />

„Ladenhüter") im Gegensatz zum „Renner" auch als „Penner"<br />

bezeichnet (vgl. www.wikipedia.de). Ganz allgemein gilt der<br />

Begriff als Synonym für Trägheit und Schläfrigkeit.<br />

Die richtige Erfassung des Sinns der streitgegenständlichen<br />

Äußerungen ist Voraussetzung jeder zutreffenden rechtlichen<br />

Würdigung (vgl. BVerfGE 93, 266 [295]). Gerichtsentscheidungen,<br />

die den Sinn der umstrittenen Äußerungen erkennbar<br />

verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen<br />

gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl.<br />

BVerfGE 93, 266 [295]). Gleiches gilt, wenn ein Gericht bei (objektiv)<br />

mehrdeutigen Äußerungen von vornherein die ehrenrührige<br />

Variante zugrunde gelegt, ohne zuvor alle anderen<br />

möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen<br />

zu haben (vgl. BVerfGE 93, 266 [295, 1]; 82, 43 [52]). Lassen<br />

die Äußerungen – namentlich im umgangssprachlichen Bereich<br />

– eine nicht ehrenrührige Deutung zu, so verletzt eine<br />

Gerichtsentscheidung, die ein solches Verständnis übergangen<br />

hat, regelmäßig Art. 5 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 266<br />

[296]).<br />

<strong>03</strong>/12 165


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 38 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Ungeachtet dessen hat das Verwaltungsgericht auch nicht<br />

hinreichend gewichtet, dass die angeblich inkriminierten Äußerungen<br />

nur das private Vertragsverhältnis der Klägerin mit<br />

„02 telefonica" betreffen, ein Unternehmen, das zugleich auch<br />

Kunde ihres Arbeitgebers ist, nicht aber diesen selbst. Die Klägerin<br />

geht ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung im<br />

privaten Bereich nicht dadurch verlustig, dass sie zu dem Beigeladenen<br />

in einem Arbeitsverhältnis steht und der Kritisierte<br />

Kunde ihres Arbeitgebers ist. Dies gilt selbst dann, wenn die<br />

Klägerin – wie hier – im Rahmen des Vertragsverhältnisses<br />

zwischen dem Beigeladenen und dem Kritisierten als Erfüllungsgehilfin<br />

ihres Arbeitgebers tätig ist. Eine andere Beurteilung<br />

könnte allenfalls dann Platz greifen, wenn die streitgegenständlichen<br />

Äußerungen den Kunden des Beigeladenen<br />

(02) ohne Anknüpfung an ein bestimmtes Verhalten – hier das<br />

Sperren des Handys – diffamieren und herabsetzen würde.<br />

Gerade das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr hat die Klägerin<br />

– wie jeder andere Kunde von „02 telefonica" auch – ihre<br />

privaten Interessen wahrgenommen. Das haben sowohl der<br />

Arbeitgeber als auch „02 telefonica" selbst hinzunehmen. Weder<br />

02 noch die Beigeladene haben Anspruch darauf, von anderen<br />

nur so dargestellt zu werden, wie sie selbst gesehen<br />

werden möchten oder wie sie sich selbst und ihre Leistungen<br />

sehen (vgl. BVerfGE 105, 252 [266] – „Glykol"). Mangels Vorwerfbarkeit<br />

des Verhaltens der Klägerin dürfte es auch auf das<br />

Vorliegen einer Wiederholungsgefahr nicht ankommen. Eine<br />

solche ist im Übrigen auch schon deshalb fernliegend, weil<br />

die Klägerin ihr Verhalten inzwischen aufrichtig bedauert und<br />

sich sowohl gegenüber dem Beigeladenen als auch 02 telefonica<br />

entschuldigt hat.<br />

(2) Fehl geht des Weiteren auch die Annahme des Verwaltungsgerichts,<br />

es mache keinen Unterschied ob ein „posting"<br />

über den „öffentlichen" oder den so genannten „privaten" Bereich<br />

erfolge, denn auch im letzteren Fall habe der Benutzer<br />

mit einer „Veröffentlichung" zu rechnen und könne nicht von<br />

einer „vertraulichen Kommunikation" im Sinne der Rechtsprechung<br />

der Arbeitsgerichte ausgehen. Unterstellt, es würde<br />

sich – anders als oben dargelegt – tatsächlich um diffamierende<br />

oder ehrverletzende Äußerungen handeln, so wäre hier<br />

sehr wohl von Bedeutung, ob es sich – wie die Klägerin geltend<br />

macht – um eine vertrauliche Kommunikation mit ihren<br />

Internetfreunden gehandelt hat oder nicht. Denn derartige<br />

Äußerungen in vertraulichen Gesprächen – sei es unter Arbeitskollegen<br />

oder Freunden – vermögen eine Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses und damit letztlich auch die Annahme<br />

eines „besonderen Falles" im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz<br />

1 MuSchG nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen.<br />

Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche nämlich<br />

regelmäßig darauf vertrauen, dass seine Äußerungen nicht<br />

nach außen getragen werden. Er muss nicht damit rechnen,<br />

dass durch sie der Betriebsfrieden gestört und das Vertrauensverhältnis<br />

zum Arbeitgeber belastet werden. Schon gar nicht<br />

kann ihm ein dahingehender Wille unterstellt werden. Vertrauliche<br />

Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des all-<br />

gemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. i.V.m. Art. 1 Abs. 1<br />

Satz 1 GG). Die vertrauliche Kommunikation in der Privatsphäre<br />

ist Ausdruck der Persönlichkeit und grundrechtlich gewährleistet.<br />

Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden<br />

oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts<br />

nicht schutzwürdig wären, genießen in Vertraulichkeitsbeziehungen<br />

als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer<br />

Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz<br />

der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl.<br />

BVerfG, Beschl. v. 27.7.2009 – 2 BvR 2186/07, SW 2010, 142 f.;<br />

Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 285/06, NJW 2007, 1194 [1195] –<br />

„beleidigungsfreier Bereich"). Hebt einer der Gesprächspartner<br />

später gegen den Willen des sich negativ äußernden Arbeitnehmers<br />

die Vertraulichkeit auf, so geht dies arbeitsrechtlich<br />

nicht ohne weiteres zu dessen Lasten. Den Schutz der Privatsphäre<br />

und Meinungsfreiheit kann nur derjenige Arbeitnehmer<br />

nicht für sich in Anspruch nehmen, der selbst die Vertraulichkeit<br />

der Situation aufhebt (vgl. BAG, Urt. v.<br />

10.12.2009 – 2 AZR 534/08, DB 2010, 1028 ff.).<br />

Es würde deshalb – eine diffamierende oder verletzende Äußerung<br />

unterstellt – sehr wohl darauf ankommen, ob das so<br />

genannte „posting" im lediglich „privaten Bereich" von facebook,<br />

oder „öffentlich" erfolgt ist, zumal nach der Rechtsprechung<br />

des Bundesarbeitsgerichts der Erfahrungssatz gilt, dass<br />

angreifbare Bemerkungen, die im – kleineren – Kollegenkreis<br />

erfolgen, regelmäßig in der sicheren Erwartung geäußert werden,<br />

sie würden nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer<br />

hinausdringen (vgl. BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/<br />

08, DB 2010, 1128 ff.). Die Annahme des Verwaltungsgerichts,<br />

ein Benutzer von facebook dürfe, selbst dann, wenn er nur<br />

über seinen privaten facebook account eine Äußerung verbreite,<br />

nicht darauf vertrauen, dass diese im vorgenannten<br />

Sinne vertraulich bleibe, ist deshalb – jedenfalls ohne sachverständige<br />

Klärung – ohne jede Grundlage.<br />

(3) Da es vorliegend mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits an<br />

den erforderlichen „Anknüpfungstatsachen" für die Annahme<br />

eines „besonderen Falles" im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1<br />

MuSchG fehlt, dürfte weder für eine Prüfung der Unzumutbarkeit<br />

einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch für eine<br />

wie auch immer geartete Ermessensausübung des Gewerbeaufsichtsamtes<br />

irgendein Raum sein. Ungeachtet dessen<br />

käme selbst dann, wenn der Klägerin ein vorwerfbares Verhalten<br />

zur Last läge, die Annahme eines „besonderen Falles" im<br />

Sinne von § 9 Abs. 3 MuSchG wohl kaum in Frage. Zum einen<br />

liegt angesichts des zugrunde zu legenden strengen Maßstabes<br />

ein „besonders schwerer Verstoß" gegen arbeitsvertragliche<br />

Pflichten nicht inmitten. Zum anderen ist auch nicht ersichtlich,<br />

inwiefern dem Beigeladenen die Aufrechterhaltung<br />

des Arbeitsverhältnisses schlechthin unzumutbar sein sollte.<br />

Die Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG kommt regelmäßig<br />

dann nicht in Frage, wenn die nach dem Mutterschutzgesetz<br />

Kündigungsschutz genießende Arbeitnehmerin<br />

„umgesetzt" werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.8.1977–5C<br />

8.77, BVerwGE 54, 276 [283]). Letzteres dürfte hier der Fall<br />

166<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 39 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

sein, da die Äußerungen nicht den Arbeitgeber, sondern lediglich<br />

einen Kunden betreffen und die Klägerin – wie auch<br />

bereits in der Vergangenheit – angesichts der Größe des Unternehmens<br />

wohl durchaus bei einem anderen Kunden eingesetzt<br />

werden kann. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf,<br />

dass es der Beigeladenen allein darum geht, die Klägerin loszuwerden,<br />

nachdem sie ihre Schwangerschaft mitgeteilt hat.<br />

Die Kündigung der schwangeren Klägerin dürfte deshalb gemäß<br />

§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig und der Bescheid<br />

des Gewerbeaufsichtsamtes vom 8.11.2011 rechtswidrig sein.<br />

Angesichts dessen hat die von der Klägerin erhobene Klage<br />

hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114<br />

WO). Da die Klägerin nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen<br />

die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen<br />

kann, ist ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und<br />

Rechtsanwalt P beizuordnen (§ 121 Abs. 2 ZPO).<br />

■ Bayerischer Verwaltungsgerichtshof<br />

vom 21.2.<strong>2012</strong>, 12 C 12.264<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Kai Pasemann<br />

Nürnberger Straße 79, 90506 Zirndorf<br />

Tel.: 0911/609676, Fax: 0911/6001851<br />

ra@juranavigator.de<br />

196. Außerordentliche Kündigung, wirtschaftliche<br />

Verhältnisse, Bankkauffrau, Ansehen einer Bank in der<br />

Öffentlichkeit, Bedeutung interner Anweisungen<br />

Aus den Gründen:<br />

bb) (...) Die Kündigung ist darauf gestützt, dass die Klägerin<br />

das bei den X aufgenommene Darlehn nicht zurückgezahlt<br />

hat und dass es deshalb zu einer Gehaltspfändung gekommen<br />

ist, was einer Bankkauffrau unwürdig sei. (…) Durch ihr<br />

Verhalten hat die Klägerin weder eine arbeitsvertragliche<br />

Pflicht verletzt, noch rechtfertigt ihr Verhalten die Annahme,<br />

es mangele ihr an der Eignung, die vertraglich geschuldete<br />

Tätigkeit zu erledigen.<br />

(1) Die Klägerin hat dadurch, dass sie das in Anspruch genommene<br />

Darlehn nicht zurückgezahlt und so die Gehaltspfändung<br />

verursacht hat, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht<br />

verletzt. Das Darlehn wurde unstreitig unabhängig von der<br />

Kundenbeziehung der Y und dem Arbeitsverhältnis der Klägerin<br />

zur Beklagten allein im Hinblick auf die langjährige private<br />

Bekanntschaft der Klägerin mit den Z gewährt. Damit handelt<br />

es sich um außerdienstliches Verhalten der Klägerin. Dieses<br />

außerdienstliche Verhalten kann mangels Bezugs zum Arbeitsverhältnis<br />

die Kündigung nicht rechtfertigen.<br />

(a) Nach der Neuregelung des Tarifrechts besteht für die Beschäftigten<br />

des öffentlichen Dienstes und auch für die Beschäftigten<br />

von Sparkassen nicht mehr die besondere Pflicht,<br />

ihr gesamtes privates Verhalten so einzurichten, dass das Ansehen<br />

des öffentlichen Arbeitgebers nicht beeinträchtigt<br />

wird. Es bestehen für die Beschäftigten keine weitergehenden<br />

Verhaltenspflichten als für Beschäftigte in der Privatwirtschaft<br />

(BAG, v. 28.10.2010 – 2 AZR 293/09, Rn 14 ff., AP KSchG 1969<br />

Bestandsschutz<br />

Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78 = EzA KSchG§1Verhaltensbedingte<br />

Kündigung Nr. 62; BAG, v. 10.9.2009 – 2 AZR<br />

257/08 – Rn 20, AP KSchG 1969§1Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 77).<br />

Es gilt vielmehr § 241 Abs. 2 BGB. Danach ist jede Partei des<br />

Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter<br />

und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet (BAG,<br />

v. 10.9.2009 – 2 AZR 257/08 – Rn 20, AP KSchG 1969 §1Verhaltensbedingte<br />

Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG §1Verhaltensbedingte<br />

Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer hat seine<br />

Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im<br />

Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen<br />

des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter<br />

Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner<br />

eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer<br />

des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise<br />

verlangt werden kann (BAG, v. 26.3.2009 – 2 AZR 953/07,<br />

Rn 24, AP BGB § 626 Nr. 220). Er ist auch außerhalb der Arbeitszeit<br />

verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers<br />

Rücksicht zu nehmen (BAG, v. 10.9.2009 –2AZR<br />

257/08, Rn 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 77). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des<br />

Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers<br />

oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen,<br />

wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Das<br />

ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine Straftat gegen<br />

den Arbeitgeber oder unter Nutzung von Betriebsmitteln<br />

oder betrieblichen Einrichtungen begeht (BAG, v. 10.9.2009 –<br />

2 AZR 257/08, Rn 21, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte<br />

Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG§1Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 77). Ein solcher Bezug kann auch dadurch entstehen,<br />

dass sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen<br />

Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit<br />

mit der Straftat in Verbindung gebracht werden (BAG, v.<br />

27.11.2008 – 2 AZR 98/07, Rn 21, AP KSchG 1969 §1Nr.90=<br />

EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Dies gilt auch dann,<br />

wenn das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf<br />

des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden (BAG, v.<br />

2.3.2006 – 2 AZR 53/05 – AP BGB § 626 Krankheit (Nr. 14). Ob<br />

eine betriebliche Auswirkung gegeben ist, bestimmt sich hierbei<br />

vor allem nach der Art des Arbeitsverhältnisses und der<br />

Tätigkeit des. Arbeitnehmers (BAG, v. 23.10.2008 – 2 AZR 483/<br />

07 – AP BGB § 626 Nr. 218). Fehlt hingegen ein solcher Zusammenhang<br />

mit dem Arbeitsverhältnis, scheidet eine Verletzung<br />

der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen<br />

des Arbeitgebers regelmäßig aus (BAG, v. 10.9.2009 – 2<br />

AZR 257/08, Rn 21, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte<br />

Kündigung Nr. 60 = EM KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Nr. 77).<br />

(b) Im Streitfall fehlt es an dem erforderlichen Bezug zum Arbeitsverhältnis,<br />

so dass keine Vertragspflichtverletzung anzunehmen<br />

ist.<br />

<strong>03</strong>/12 167


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 40 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

(aa) Der dienstliche Bezug ist nicht durch die Regelung in Abschnitt<br />

7 Abs. 1 der Geschäftsanweisung begründet, nach welcher<br />

die Mitarbeiter der Beklagten Ordnung in ihren wirtschaftlichen<br />

Verhältnissen halten müssen und Geschäfte, die<br />

mit diesem Grundsatz nicht vereinbar sind, unterlassen müssen.<br />

Die Parteien haben die Geltung dieser Geschäftsanweisung<br />

nicht vereinbart. Bei der Geschäftsanweisung handelt es<br />

sich um eine Weisung, die in den Grenzen des Direktionsrechts<br />

Pflichten konkretisieren kann. Sie begründet keine weitergehenden<br />

Pflichten als nach dem Arbeitsvertrag, dem in<br />

Bezug genommenen Tarifvertrag und dem Gesetz bestehen.<br />

Die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Arbeitnehmers gehören<br />

zur privaten Lebensführung und sind grundsätzlich einer<br />

Regelung durch den Arbeitgeber entzogen. Schulden eines<br />

Arbeitnehmers, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken,<br />

können eine Kündigung nicht begründen (KR-Griebeling, 9.<br />

Aufl, § 1 Rn 459, HaKo-KSchR-Gallner, § 1 Rn 411). Außerdienstliches<br />

Verhalten kommt nur dann als wichtiger Kündigungsgrund<br />

in Betracht, wenn es das Arbeitsverhältnis konkret<br />

berührt, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen<br />

Verbundenheit der Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich<br />

oder im Unternehmensbereich. Daher kann<br />

die Regelung in Nr. 7 Abs. 1 der Geschäftsanweisung eine allgemeine<br />

Pflicht, die Vermögensverhältnisse in Ordnung zu<br />

halten, nicht mit der Folge begründen, dass ein Kündigungsgrund<br />

geschaffen wird.<br />

(bb) Der dienstliche Bezug kann auch nicht unter Hinweis auf<br />

die Regelung in Abschnitt 5 Abs. 1 der Geschäftsanweisung<br />

begründet werden. Diese Regelung erweitert – wie oben dargelegt<br />

– die Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB<br />

nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch ihr Verhalten<br />

die Rücksichtnahmepflicht verletzt hat, indem sie das<br />

Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit und bei ihren<br />

Kunden in relevantem Maß beschädigt oder gefährdet hat.<br />

Ein Bezug zum Arbeitsverhältnis kann angenommen werden,<br />

wenn das außerdienstliche Verhalten des Arbeitnehmers den<br />

Unternehmensbereich berührt und aufgrund der öffentlichen<br />

Reaktion eine wirtschaftliche Gefährdung zu befürchten ist<br />

(BAG, v. 2.6.1982 – 7 AZR 4/80 – n.v.; juris). Die Beklagte behauptet<br />

schon nicht, dass das Verhalten der Klägerin in der<br />

Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Eine öffentliche Reaktion,<br />

die eine wirtschaftliche Gefährdung befürchten ließe, ist<br />

nicht dargelegt.<br />

Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass durch das Verhalten der<br />

Klägerin die Geschäftsbeziehung zu den Kunden beschädigt<br />

oder gefährdet worden ist.<br />

Es ist nicht ersichtlich, dass das Verhalten der Klägerin im Falle<br />

des Bekanntwerdens geeignet wäre, das Ansehen der Beklagten<br />

im Geschäftsverkehr zu gefährden. Die Kammer verkennt<br />

nicht, dass ein Kreditinstitut von der Seriosität und Integrität<br />

im Umgang mit Geld lebt und auf das Vertrauen der Kunden<br />

angewiesen ist. Dieses Vertrauen bezieht sich in erster Linie<br />

auf den Umgang mit Kundengeldern. Daraus folgt nicht, dass<br />

jeden Mitarbeiter der Beklagten eine gesteigerte Pflicht im<br />

Umgang dem eigenen Geld trifft. Der Umstand, dass die Klägerin<br />

nicht in der Lage ist, ihre Verbindlichkeit gegenüber den<br />

Eheleuten X zu erfüllen, ist nicht geeignet, das Ansehen der<br />

Beklagten zu beschädigen und das Vertrauen der Kunden zu<br />

gefährden. Das gilt im Fall der Klägerin insbesondere deshalb,<br />

weil sie keine Vertrauensstellung inne hat. Der Einsatz im Immobiliencenter<br />

lässt nicht den Schluss auf eine Vertrauensstellung<br />

zu. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Möglichkeit<br />

des direkten oder indirekten Zugriffs auf das Vermögen<br />

der Beklagten hat. Aus Kundensicht folgt aus einer einzelnen<br />

Gehaltspfändung nicht, dass der Kundenberater im Immobiliencenter<br />

nicht kompetent oder vertrauenswürdig ist.<br />

(cc) Ein ausreichender Bezug zum Arbeitsverhältnis wird nicht<br />

dadurch begründet, dass es zu einer Gehaltspfändung gekommen<br />

ist. Eine Gehaltspfändung kann eine außerordentliche<br />

Kündigung nicht rechtfertigen, soweit es sich nicht um einen<br />

Arbeitnehmer in einer besonderen Vertrauensstellung<br />

handelt (KR-Fischermeier, 9. Aufl., § 626 BGB Rn 456). An einer<br />

solchen Vertrauensstellung fehlt es hier.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hessen<br />

vom 20.3.<strong>2012</strong>, 19 Sa 1178/11<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Astrid Cornelius<br />

Rheinstraße 30, 64283 Darmstadt<br />

Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

kanzlei@mansholt-lodzik.de<br />

197. Befristung, Kombination von Probezeitbefristung<br />

mit sachgrundloser Zeitbefristung intransparent<br />

Die Kombination einer (sachgrundlosen) Zeitbefristung von<br />

einem Jahr mit einer zusätzlichen Probezeitbefristung in einem<br />

Formularvertrag ist auch dann intransparent und unwirksam,<br />

wenn keine der beiden Befristungen drucktechnisch besonders<br />

hervorgehoben ist. Durch die Befristung und das<br />

Ende des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Probezeit hat<br />

die vorher festgelegte Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />

keine Grundlage mehr, so dass sich beide<br />

Regelungen, ihrem Wortlaut nach angewendet, gegenseitig<br />

ausschließen (vgl. BAG, v. 16.4.2008 – 7 AZR 132/07).<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 1.12.2011, 2 Sa 478/11<br />

198. Befristung des Arbeitsverhältnisses,<br />

programmgestaltender Mitarbeiter, Rundfunk<br />

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht aufgrund<br />

Befristungsvereinbarung vom 4.9.2009 zum 30.4.2010.<br />

Die Befristung eines Arbeitsvertrags ist nach § 14 Abs. 1 Satz<br />

1 TzBfG zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt<br />

ist. Die Beklagte beruft sich allein auf das Vorliegen<br />

des Sachgrundes des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG. Nach<br />

dieser Vorschrift liegt ein sachlicher Grund für eine Befristung<br />

des Arbeitsvertrages vor, wenn die Eigenart der Arbeitsleistung<br />

die Befristung rechtfertigt. Zu den von dieser Vorschrift<br />

168<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 41 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

erfassten Arbeitsverhältnissen, bei denen eine Befristung wegen<br />

der Art der Tätigkeit ohne Hinzutreten eines weiteren<br />

Sachgrunds vereinbart werden kann, zählen im Anschluss an<br />

die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu<br />

der vor Inkrafttreten des TzBfG geltenden Rechtslage die Arbeitsverhältnisse<br />

der programmgestaltenden Mitarbeiter der<br />

Rundfunkanstalten (BT-Drucks 14/4374, S. 19). Das folgt aus<br />

der Notwendigkeit, bei der Auslegung des Begriffs des sachlichen<br />

Grundes i.S.d. § 14 Abs. 1 TzBfG, die für die Rundfunkanstalten<br />

durch die Rundfunkfreiheit (Art. Abs. 1 Satz 2 GG) gewährleisteten<br />

Freiräume bei der Wahl des Arbeitsvertragsinhalts<br />

zu berücksichtigen: Die Beklagte kann sich bei der Ausstrahlung<br />

des Fensterprogramms wie eine Rundfunkanstalt<br />

auf den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen. Redakteure<br />

– wie der Kläger – gehören typischerweise zu dem Kreis<br />

der programmgestaltenden Mitarbeiter, es sei denn, sie haben<br />

nur unwesentlichen Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung<br />

des Programms. Der Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2<br />

Nr. 4 TzBfG liegt allerdings in diesem Fall nur vor, wenn die<br />

sich aus der Rundfunkfreiheit ergebenden Interessen der Beklagten<br />

das Interesse des Klägers an einer Dauerbeschäftigung<br />

überwiegen (BAG, v. 26.7.2006 – 7 AZR 495/05, auch unter<br />

Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). (…)<br />

Selbst wenn jedoch zugunsten der Beklagten unterstellt wird,<br />

dass der Kläger als Redakteur als programmgestaltender Mitarbeiter<br />

anzusehen war, überwiegt nach Ansicht der Kammer<br />

das Interesse des Klägers an einer Dauerbeschäftigung gegenüber<br />

dem Interesse der Beklagten an einer zeitlich beschränkten<br />

arbeitsvertraglichen Bindung, so dass ein sachlicher<br />

Grund für die Befristung des letzten Arbeitsvertrages der<br />

Parteien nicht besteht.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 19.1.2011, 43 Ca 16253/10<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Bernhard Steinkühler<br />

Schillerstraße 3, 10625 Berlin<br />

Tel.: <strong>03</strong>0/31805940, Fax: <strong>03</strong>0/318059499<br />

kontakt@steinkuehler-arbeitsrecht.de<br />

199. Betriebsbedingte Kündigung, keine besondere<br />

Dokumentation der Unternehmerentscheidung<br />

erforderlich, greifbare Form der Umsetzung, Rücksicht<br />

auf erstinstanzliche vorläufige<br />

Weiterbeschäftigungspflicht<br />

1.2. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die<br />

Kündigung vom 28.10.2010 sozial gerechtfertigt.<br />

Die Auflösung des betriebsinternen Reinigungsdienstes und<br />

die Vergabe der Reinigungsarbeiten an ein Reinigungsunternehmen<br />

stellt eine Rationalisierungsmaßnahme und somit<br />

nicht, wie das Arbeitsgericht auch geprüft hat, einen außerbetrieblichen,<br />

sondern als unternehmerische Entscheidung ei-<br />

Bestandsschutz<br />

nen innerbetrieblichen Umstand für ein betriebliches Erfordernis<br />

im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar (BAG, v. Urt.<br />

v. 30.4.1987 – 2 AZR 184/86 – Rn 31, NZA 1987, 776, m.w.N.).<br />

Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung getroffen,<br />

in Zukunft keine eigenen Reinigungskräfte mehr zu beschäftigen,<br />

sondern ein Drittunternehmen mit der Durchführung<br />

der Grundreinigungsarbeiten (Reinigung der Aufenthaltsräume,<br />

Sanitäranlagen, Duschen und Waschräume) zu<br />

beauftragen. Die einfachen Reinigungs- bzw. Aufräumarbeiten<br />

im Büro (z.B. Mülleimer leeren, Kaffeetassen spülen) sollen<br />

zukünftig von den dort tätigen Angestellten selbst durchgeführt<br />

werden.<br />

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts hat die Beklagte<br />

diese unternehmerische Entscheidung hinreichend dargelegt.<br />

Sie hat vorgetragen, dass die Geschäftsführer-Gesellschafterversammlung<br />

Ende September 2010 den Beschluss gefasst<br />

habe, die Grundreinigungsarbeiten an ein Fremdunternehmen<br />

zu vergeben und sich von beiden Reinigungskräften zu<br />

trennen. Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte<br />

habe ihren Beschluss weder in erster noch in zweiter Instanz<br />

vorgelegt, verkennt sie, dass die Entscheidung nicht schriftlich<br />

in einer Urkunde fixiert werden muss. Die Unternehmerentscheidung,<br />

auf die kündigungsrechtlich abzustellen ist, bedarf<br />

grundsätzlich keiner bestimmten Form. Sie setzt bei einer<br />

juristischen Person regelmäßig keinen formell wirksamen Beschluss<br />

des im Innenverhältnis zuständigen Gremiums voraus<br />

(BAG, v. Urt. v. 7.7.2005 – 2 AZR 399/04 – Rn 38, NZA 2006, 266,<br />

m.w.N.). Es genügt, wenn in einer juristischen Person derjenige,<br />

der dazu die tatsächliche Macht hat, eine entsprechende<br />

Unternehmerentscheidung trifft und ihre Durchsetzung greifbare<br />

Formen angenommen hat.<br />

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die unternehmerische<br />

Entscheidung offenbar unsachlich oder willkürlich gewesen<br />

ist. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Beklagte nicht<br />

verpflichtet, eine Vergleichsberechnung zwischen den Kosten<br />

der Fremdvergabe von Reinigungsaufgaben und den Kosten<br />

beim Einsatz eigener Reinigungskräfte vorzulegen. Die Arbeitsgerichte<br />

haben nicht zu überprüfen, ob die Rationalisierungsmaßnahme<br />

des Arbeitsgebers zu der beabsichtigten<br />

Kostensenkung führt. Insbesondere ist nicht zu prüfen, ob die<br />

durch die Kündigung zu erwartenden Vorteile in einem vernünftigen<br />

Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die bei den<br />

betroffenen Arbeitnehmern eintreten (BAG, v. Urt. v.<br />

30.4.1987 – 2 AZR 184/86 – Rn 39, a.a.O.).<br />

Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung zur<br />

Fremdvergabe der Grundreinigungsarbeiten zwar noch nicht<br />

umgesetzt, sie hat jedoch entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts<br />

bereits „greifbare Formen" angenommen. Wird<br />

die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen<br />

Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden,<br />

wenn die betrieblichen Umstände „greifbare Formen" angenommen<br />

haben. Grundsätzlich brauchen betriebliche Gründe<br />

noch nicht tatsächlich eingetreten zu sein, sondern es genügt,<br />

wenn sie sich konkret und greifbar abzeichnen. Sie liegen<br />

<strong>03</strong>/12 169


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 42 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

dann vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung<br />

aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung<br />

davon auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins<br />

sei mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die<br />

Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes<br />

gegeben (BAG, v. Urt. v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10 – Rn 27, DB<br />

2011, 2323, m.w.N.).<br />

Im Streitfall war daher nicht erforderlich, dass die Beklagte bereits<br />

im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Ende Oktober<br />

2010 ein Fremdunternehmen mit der Durchführung der<br />

Grundreinigungsarbeiten beauftragt hat. Die Beklagte hat die<br />

erforderlichen Maßnahmen zur Fremdvergabe der Grundreinigungsarbeiten<br />

ergriffen, indem sie die Kündigungen der<br />

beiden Reinigungskräfte ausgesprochen hat. Dass die Beklagte<br />

im Kündigungszeitpunkt noch kein externes Reinigungsunternehmen<br />

beauftragt hat, steht ihrem Entschluss<br />

zur Umsetzung des neuen Reinigungskonzepts nicht entgegen.<br />

Es muss im Kündigungszeitpunkt noch nicht mit der<br />

Durchführung der Rationalisierungsmaßnahme begonnen<br />

worden sein (BAG, v. Urt. v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91 – Rn 23,<br />

24, NZA 1991, 891, m.w.N.). Die Beklagte hat die Klägerin während<br />

der siebenmonatigen Kündigungsfrist bis zum 31.5.2011<br />

als Reinigungskraft beschäftigt. Sie musste die Reinigungsarbeiten<br />

nicht bereits vor dem Beendigungstermin fremdvergeben.<br />

Die Beklagte erfüllte gegenüber der Klägerin lediglich<br />

ihre auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht.<br />

Der beabsichtigten Umsetzung der Fremdvergabe steht vorliegend<br />

nicht entgegen, dass die Beklagte auch nach Ablauf<br />

der ordentlichen Kündigungsfrist ab 1.6.2011 noch kein Drittunternehmen<br />

mit den Grundreinigungsarbeiten beauftragt<br />

hat. Die Klägerin hat bereits in der Kündigungsschutzklage<br />

vom 16.11.2010 für den Fall des Obsiegens ihre Weiterbeschäftigung<br />

zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Reinigungskraft<br />

beantragt. Die Beklagte ist erstinstanzlich zur Weiterbeschäftigung<br />

verurteilt worden. Wenn sie die Umsetzung<br />

der getroffenen Entscheidung zur Fremdvergabe hinausschiebt,<br />

um während der erzwungenen Weiterbeschäftigung<br />

nicht Gefahr zu laufen, sowohl die Klägerin als auch das Drittunternehmen<br />

bezahlen zu müssen, ist dies eine vernünftige<br />

betriebswirtschaftliche Überlegung. Es ist daher aus Rechtsgründen<br />

nicht zu beanstanden, wenn die endgültige Absicht<br />

ein externes Reinigungsunternehmen zu beauftragen, nicht<br />

bereits durch weitere Maßnahmen realisiert worden ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 23.2.<strong>2012</strong>, 10 Sa 5<strong>03</strong>/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Krügermeyer-Kalthoff<br />

Hauptstraße 331, 51143 Köln-Porz<br />

Tel.: 022<strong>03</strong>/955670, Fax: 022<strong>03</strong>/9556713<br />

km-k@osterhues.de<br />

200. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />

Anforderungen an die Betriebsratsanhörung,<br />

Unterscheidung zwischen Kurz- und Langzeit- und<br />

Dauererkrankung, Kosten der Vertretungskräfte<br />

Aus dem Tatbestand:<br />

Der Kläger ist bei der Beklagten seit April 1996 als Kommissionierer<br />

beschäftigt. Nach der im Zuge der Betriebsratsanhörung<br />

vom Arbeitgeber vorgelegten Fehlzeitenaufstellung hat<br />

der Kläger sei 2006 in folgendem Umfang krankheitsbedingt<br />

gefehlt:<br />

• 2006: 17 Arbeitstage<br />

• 2007: 11 Arbeitstage<br />

• 2008: 0 Arbeitstage<br />

• 2009: 35 Arbeitstage<br />

• 2010: 78 Arbeitstage<br />

• 2011 (bis 11.7.): 135 Arbeitstage<br />

Der Kläger ist seit dem 29.11.2010 durchgehend arbeitsunfähig<br />

krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 21.7.2011 hat die<br />

Beklagte dem Kläger zum 31.1.<strong>2012</strong> gekündigt.<br />

Aus den Gründen:<br />

Die Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.<br />

Im Rahmen der der Beweislast vorgelagerten Darlegungslast,<br />

also der prozessualen Verpflichtung, zunächst die Kündigungsgründe<br />

hinreichend detailliert vorzutragen, ist zu berücksichtigen,<br />

dass sich der Arbeitgeber im Prozess nur auf<br />

diejenigen Kündigungsgründe stützen kann, die er zuvor im<br />

Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG dem Betriebsrat<br />

mitgeteilt hat. Hat der Arbeitgeber einen objektiv in<br />

Frage kommenden Kündigungsgrund dem Betriebsrat nicht<br />

mitgeteilt, kann er sich auf diesen im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess<br />

nicht berufen. Demgegenüber ist eine<br />

Kündigung bereits wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung<br />

unwirksam, wenn der Arbeitgeber zwar einen in Frage kommenden<br />

Kündigungsgrund genannt hat, dieser aber nicht<br />

oder nicht hinreichend detailliert erklärt wurde.<br />

Unter Anwendung dieser Grundsätze war der Kündigungsschutzklage<br />

zu entsprechen.<br />

1. Ausweislich des Anhörungsformulars „Unterrichtung Betriebsrat<br />

vor Kündigung“ hat die Beklagte den Betriebsrat vor<br />

Kündigungsausspruch angehört. Sie hat hierbei nicht im vorbeschriebenen<br />

Sinne zwischen einer Kündigung wegen häufiger<br />

Kurzerkrankungen, wegen lang andauernder Erkrankung<br />

oder wegen Leistungsunmöglichkeit unterschieden. Dies war<br />

aus Rechtsgründen allerdings nicht erforderlich. Es war lediglich<br />

zu prüfen, welche der infrage kommenden Unterarten einer<br />

krankheitsbedingten Kündigung der Arbeitgeber der Sache<br />

nach tatsächlich aussprechen wollte.<br />

Dabei kann zunächst davon ausgegangen werden, dass die<br />

Beklagte jedenfalls die wesentlichen Informationen für eine<br />

Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen mitgeteilt hat.<br />

Die Beklagte hat die seit dem Jahr 2006 insgesamt angefallenen<br />

Krankheitsfehltage (276) bezeichnet und die sich hieraus<br />

170<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 43 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

ergebenden Lohnfortzahlungskosten mit dem Gesamtbetrag<br />

von 14.631,21 EUR angegeben. Im Hinblick auf das Erfordernis,<br />

dem Betriebsrat hinreichend konkrete Tatsachen mitzuteilen,<br />

kann dies als ausreichend angesehen werden, zumal dem<br />

Betriebsrat eine exakte Auflistung der jeweiligen Krankheitsperioden<br />

und der dadurch verursachten Lohnfortzahlungskosten<br />

mit übergeben worden ist.<br />

Gleichwohl kann die Beklagte ihre Kündigung nicht mit Erfolg<br />

auf häufige Kurzerkrankungen stützen. Im vorliegenden Fall<br />

besteht die Besonderheit, dass der Kläger zum Kündigungszeitpunkt<br />

bereits 7 1/2 Monate aufgrund der gleichen Erkrankung<br />

arbeitsunfähig gewesen ist. Bei einer solchen Krankheitsdauer<br />

dürfte an sich bereits eine lang andauernde Erkrankung<br />

vorliegen. Allerdings dürfte eine Kündigung wegen<br />

häufiger Kurzerkrankungen nicht allein deshalb von vornherein<br />

ausscheiden, weil der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der<br />

Kündigung bereits für einen mehrmonatigen Zeitpunkt<br />

krankgeschrieben war. Die Besonderheit dieser Konstellation<br />

liegt aber darin, dass der Arbeitgeber in einem solchen Fall<br />

bereits für einen längeren Zeitraum keine wirtschaftliche Belastung<br />

mehr zu tragen hat, weil der Arbeitnehmer lediglich<br />

für sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu beanspruchen<br />

hat. Stützt sich der Arbeitgeber im Falle einer<br />

Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen aber zur Geltendmachung<br />

einer unzumutbaren betrieblichen Beeinträchtigung<br />

gerade auf die für die Zukunft zu befürchtende Kostenbelastung,<br />

ergibt sich in einem solchen Fall, dass zwar die<br />

Anzahl der bisherigen Krankheitsfehltage gegebenenfalls außerordentlich<br />

hoch ist, die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers<br />

sich aber völlig anders darstellt, weil inzwischen<br />

die Krankenkasse die Entgeltfortzahlung übernommen hat<br />

und Krankengeld leistet. Trotz einer gegebenenfalls hohen<br />

Zahl von Krankheitsfehltagen stellt sich die Kostenbelastung<br />

für den Arbeitgeber dann völlig anders dar, als wenn zwar<br />

eine gleich hohe Anzahl von Fehltagen angefallen ist, der Arbeitnehmer<br />

aber immer wieder aufgrund wechselnder Diagnosen<br />

für kürzere Zeiträume ausfiel, der Arbeitgeber folglich<br />

stets Gehaltsfortzahlung leisten musste. Beruht die negative<br />

Fehlzeitenprognose rein rechnerisch zu einem erheblichen<br />

Teil auf einer zwischenzeitlich eingetretenen lang andauernden<br />

Erkrankung, reduziert sich im Ergebnis jedenfalls die wirtschaftliche<br />

Belastung des Arbeitgebers mit Entgeltfortzahlungskosten<br />

(…), weil nach Ablauf des sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraums<br />

die Krankenkasse die Lohnfortzahlung<br />

übernimmt.<br />

Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Der Kläger war seit<br />

dem 29.11.2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die<br />

Beklagte hat nach Ihren eigenen Darlegungen in dieser Zeit<br />

keine Lohnfortzahlungskosten mehr aufwenden müssen. Daraus<br />

folgt, dass sich die kündigungsrelevante wirtschaftliche<br />

Belastung durch künftige Entgeltfortzahlung allein aus den<br />

sonstigen Erkrankungen des Klägers im Referenzzeitraum herleiten<br />

lässt. Da die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat die<br />

Gesamtfehlzeiten des Klägers seit 2006 mit 276 Arbeitstagen<br />

Bestandsschutz<br />

beziffert hat, die – lohnfortzahlungsfreien – Fehlzeiten des<br />

Klägers seit dem 29.11.2010 aber 162 Arbeitstage umfassen,<br />

war der Kläger im Referenzzeitraum seit 2006 lediglich an 114<br />

Arbeitstagen entgeltfortzahlungspflichtig krankgeschrieben.<br />

Bis zum Eintritt der jetzt noch andauernden Fehlperiode am<br />

29.11.2010, mithin knapp vier Jahre (47 Monate), ergibt sich<br />

eine allgemeine jährliche Entgeltfortzahlungsbelastung im<br />

Umfang von 29,1 Arbeitstagen. Eine solche jährliche Kostenbelastung<br />

stellt nach der Rechtsprechung aber noch keine erhebliche<br />

Beeinträchtigung im Sinne einer Kündigung wegen<br />

häufiger Kurzerkrankungen dar. Hieraus folgt, dass die Beklagte<br />

die streitgegenständliche Kündigung im Ergebnis nicht<br />

mit häufigen Kurzerkrankungen des Klägers begründen kann.<br />

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Beklagtenhinweises,<br />

es seien noch die Kosten der Vertretungskräfte hinzuzuaddieren.<br />

Dies ist deshalb nicht zutreffend, weil dann die<br />

Lohnkosten doppelt berücksichtigt würden. Durch den Einsatz<br />

der Vertretungskraft erlangt der Arbeitgeber aber die Arbeitsleistung.<br />

Durch die Krankheit fällt deshalb zusätzlich<br />

bzw. ohne Gegenleistung allein der Lohn für den erkrankten<br />

Arbeitnehmer an. Es verbleibt deshalb bei der vorstehend ermittelten<br />

Kostenlast. Bei dieser Sachlage war nicht mehr zu<br />

prüfen, ob gegebenenfalls die Behauptung des Klägers zutrifft,<br />

er werde voraussichtlich ab März <strong>2012</strong> die Arbeit wieder<br />

vollschichtig aufnehmen können.<br />

2. Die Kündigung dringt auch nicht nach den Grundsätzen bei<br />

lang andauernder Erkrankung durch. Die Beklagte kann sich<br />

auf einen solchen Kündigungsgrund nur berufen, wenn sie<br />

den Betriebsrat zuvor entsprechend angehört hat. Dem Anhörungsschreiben<br />

vom 11.7.2011 kann jedoch nicht entnommen<br />

werden, dass die Beklagte gegebenenfalls alternativ eine<br />

Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung des Klägers<br />

aussprechen wollte. Wie eingangs dargelegt, handelt es sich<br />

hierbei um eine von der Rechtsprechung herausgebildete Unterart<br />

der personenbedingten Kündigung. Zwar hat die Beklagte<br />

im vierten Absatz der dem Betriebsrat mitgeteilten Begründung<br />

ausgeführt, die Genesung des Klägers sei nicht absehbar.<br />

Eine solche Kündigungsbegründung würde den Anforderungen<br />

des § 102 Abs. 1 BetrVG allerdings nicht genügen.<br />

Denn wesentlicher Bestandteil einer Kündigung wegen<br />

lang andauernder Erkrankung ist eine damit einhergehende<br />

Beeinträchtigung der arbeitgeberseitigen Interessen durch<br />

den lang andauernden Ausfall des Arbeitnehmers; der Arbeitgeber<br />

muss im einzelnen darlegen, aus welchen Gründen ihm<br />

ein Zuwarten bis zum voraussichtlichen Rückkehrzeitpunkt<br />

nicht zumutbar ist. Der Arbeitgeber ist der Darlegung solcher<br />

Umstände erst enthoben, wenn für eine weitere Dauer von 24<br />

Monaten, gerechnet vom Kündigungszeitpunkt, mit der Rückkehr<br />

des Arbeitnehmers nicht zu rechnen ist. Wollte die Beklagte<br />

auf die Rechtsprechungsgrundsätze einer Kündigung<br />

wegen lang andauernder Erkrankung abstellen, wäre mithin<br />

die Betriebsratsanhörung unvollständig und die Kündigung<br />

bereits aus diesem Grund nichtig, § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG. Es<br />

fehlt jeglicher Hinweis auf diejenigen Umstände, die es der<br />

<strong>03</strong>/12 171


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 44 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

Arbeitgeberin unzumutbar machen sollen, die Genesung des<br />

Klägers abzuwarten. Allerdings zeigt sich anhand des Hinweises<br />

der Arbeitgeberin auf die bisherigen Lohnfortzahlungskosten,<br />

dass die Beklagte ausschließlich im Hinblick auf die<br />

wirtschaftliche Belastung kündigen wollte, nicht etwa, weil ihr<br />

aus bestimmten innerbetrieblichen Umständen, z.B. Organisationskosten,<br />

ein Freihalten der Stelle des Klägers nicht zugemutet<br />

werden kann.<br />

3. Die Beklagte hat schriftsätzlich vorgetragen, sie gehe davon<br />

aus, dass der Kläger aus krankheitsbedingten Gründen überhaupt<br />

nicht mehr zur Wiederaufnahme der Arbeit in der Lage<br />

sein wird. Damit hat sie die dritte und letzte Unterart der von<br />

der Rechtsprechung herausgearbeiteten Variante einer krankheitsbedingten<br />

Kündigung angesprochen.<br />

Es wäre jedoch auch insoweit erforderlich gewesen, dem Betriebsrat<br />

die maßgeblichen Gründe mitzuteilen. Abermals ist<br />

festzustellen, dass die Beklagte in Bezug auf eine dauerhafte<br />

Leistungsunmöglichkeit des Klägers keinerlei Ausführung gegenüber<br />

dem Betriebsrat gemacht hat. Vielmehr ergibt sich<br />

bei einer Betrachtung der dem Betriebsrat gegebenen Begründung,<br />

dass die Beklagte von einem krankheitsbedingten<br />

Ausfall des Klägers auf unabsehbare Zeit nicht ausgeht. Denn<br />

die Beklagte hat gegenüber dem Betriebsrat ausdrücklich angegeben,<br />

die Fehlzeiten des Klägers seien seit 2009 stetig angestiegen,<br />

weshalb man auch in Zukunft mit weiteren erheblichen<br />

krankheitsbedingten Fehlzeiten rechne. Eine nicht mehr<br />

für tragbar erachtete Aufsummierung einzelner Fehlzeiten ist<br />

etwas anderes als der vollständige Ausfall des Arbeitnehmers<br />

auf unabsehbare Zeit. Mithin geht die Beklagte selbst nicht<br />

davon aus, dass mit der Rückkehr des Klägers überhaupt nicht<br />

mehr zu rechnen ist. Folglich erweist sich die streitgegenständliche<br />

Kündigung auch im Hinblick auf den Kündigungsgrund<br />

einer dauerhaften Leistungsunmöglichkeit des Klägers<br />

als rechtsunwirksam.<br />

Damit war der Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu entsprechen.<br />

■ Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Ludwigsburg<br />

Urt. v. 26.1.<strong>2012</strong>, 10 Ca 1396/11<br />

eingereicht und ausgearbeitet von<br />

Rechtsanwältin Eliana Pollmann,<br />

Friedrichstraße 5 (Zeppelin Carré)<br />

70174 Stuttgart, Tel.: 0711/22 41 99-0, Fax: 0711/22 41 99-79<br />

www.shp-anwaltskanzlei.de, E-Mail: kanzlei@shp-anwaltskanzlei.de<br />

201. Personenbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeit,<br />

nicht durchgeführtes BEM, kein Ersatz durch Verfahren<br />

vor dem Integrationsamt<br />

Im Ergebnis nahm die Kammer allerdings an, dass im Rahmen<br />

der Interessenabwägung eine Unverhältnismäßigkeit der<br />

streitgegenständlichen Kündigung mit der Folge anzunehmen<br />

war, dass die Sozialwidrigkeit der streitgegenständlichen<br />

Kündigung festzustellen war. Hierbei wurden folgende Überlegungen<br />

angestellt:<br />

Die Beklagte hat kein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt. Soweit sie<br />

dahingehend argumentierte, dass die Verhandlung vor dem<br />

Integrationsamt ein solches BEM darstellte, konnte dieser Argumentation,<br />

nicht gefolgt werden. Konsequent zu Ende gedacht<br />

würde dies bedeuten, dass sich ein Arbeitgeber gegenüber<br />

schwerbehinderten Menschen – und gerade für diese<br />

Personen gilt besonders der Schutz des § 84 Abs. 2 SGB IX –<br />

niemals verpflichtet fühlen würde, ein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

bereits im Vorfeld durchzuführen. Würde<br />

die Rechtsansicht der Beklagten nämlich richtig sein, könnte<br />

ein Arbeitgeber im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses<br />

stets dahingehend argumentieren, dass durch das Verfahren<br />

beim Integrationsamt die Anforderungen des § 84 Abs. 2<br />

SGB IX gewahrt wurden.<br />

Hieraus ergibt sich mithin, dass die Beklagte nach § 84 Abs. 2<br />

SGB IX grundsätzlich ein betriebliches Eingliederungsmanagement<br />

hätte durchführen müssen. Dass bei ihr kein Betriebsrat<br />

gewählt wurde, stand dem nicht entgegen. Ein BEM ist bei<br />

Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen,<br />

wenn keine betriebliche Interessenvertretung im<br />

Sinne eines Betriebsrates oder einer Schwerbehindertenvertretung<br />

gebildet ist. Dies ergibt die Auslegung der Gesetzesvorschrift<br />

des § 84 Abs. 1 SGB IX. Die Durchführung eines BEM<br />

ist weder unmöglich noch sinnlos, wenn eine betriebliche Interessenvertretung<br />

nicht besteht (BAG, v. 30.9.2010, 2 AZR 88/<br />

09).<br />

§ 84 Abs. 2 SGB IX stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

dar. Das BEM ist zwar selber kein milderes<br />

Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können<br />

aber solche milderen Mittel, z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes<br />

oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen<br />

auf einem anderen – ggf. durch Umsetzung<br />

frei zu machenden – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt<br />

werden (BAG, v. 10.12.2009, 2 AZR 400/08).<br />

Unterlässt ein Arbeitgeber die Durchführung eines Eingliederungsmanagement<br />

im Vorfeld, führt dies nicht automatisch<br />

zur Unwirksamkeit der dennoch ausgesprochenen Kündigung.<br />

In diesem Falle darf sich der Arbeitgeber im Prozess allerdings<br />

nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er<br />

kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten<br />

Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten<br />

Arbeitsplätze, die der erkrankte Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung<br />

ausfüllen könnte. Er hat vielmehr von sich aus denkbare<br />

oder vom Arbeitnehmer bereits genannte Alternativen<br />

zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen<br />

sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an<br />

dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch<br />

die Beschäftigung auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz<br />

ausscheiden (BAG, v. 10.12.2009, 2 AZR 400/08;<br />

BAG, v. 19.5.2010, 5 AZR 162/09). Dies geht über die Darlegungslast<br />

des Arbeitgebers für das Nichtbestehen einer ande-<br />

172<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 45 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

ren Beschäftigungsmöglichkeit nach allgemeinen Grundsätzen<br />

hinaus. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des<br />

Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen,<br />

wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung<br />

vorstellt.<br />

Die Beklagte führte ein solches Gespräch mit dem Kläger im<br />

Vorfeld der streitgegenständlichen Kündigung nicht. Ob ein<br />

solches Gespräch erfolgsversprechend gewesen wäre, entzieht<br />

sich der Kenntnis der Kammer. Hierauf kam es jedoch<br />

nicht entscheidend an. Es konnte jedenfalls angenommen<br />

werden, dass zumindest die Möglichkeit bestanden hätte, die<br />

Gespräche erfolgreich – d.h. durch gemeinsame Verständigung<br />

auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz – abzuschließen.<br />

Zugunsten der Beklagten war zwar festzuhalten, dass der Kläger<br />

bereits über einen sehr langen Zeitraum durchgängig arbeitsunfähig<br />

erkrankt war. Es liegt auf der Hand, dass sich die<br />

betrieblichen Verhältnisse seitdem geändert haben. Der Bezug<br />

einer Rente wegen Erwerbsminderung verdeutlicht ebenfalls,<br />

dass der Gesundheitszustand des Klägers möglicherweise<br />

zu dem Ergebnis führt, dass die Beklagte dem Kläger<br />

tatsächlich keinen Arbeitsplatz anbieten kann.<br />

Die Beklagte hätte dies jedoch in einem Verfahren nach § 84<br />

Abs. 2 SGB IX im Einzelnen im Vorfeld prüfen und klären müssen.<br />

Dies galt umso mehr, als dass die Rente wegen Erwerbsminderung<br />

befristet war und zum 31.3.<strong>2012</strong> auslaufen wird.<br />

Es ist nicht erkennbar, weshalb die Beklagte über einen langen<br />

Zeitraum nicht reagierte und die streitgegenständliche<br />

Kündigung ohne Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements<br />

relativ kurzfristig vor Ablauf der befristeten<br />

Rente wegen Erwerbsminderung aussprach.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 20.3.<strong>2012</strong>, 5 Ca 2205/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

info@gm-arbeitsrecht.de<br />

202. Verhaltensbedingte Kündigung, Abmahnung,<br />

Melde- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit<br />

II. Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte verpflichtet<br />

ist, die Abmahnung vom 13.1.<strong>2012</strong> aus der Personalakte des<br />

Klägers zu entfernen.<br />

Im Einzelnen gilt Folgendes:<br />

Eine Abmahnung, mit der in die Rechtsstellung des Arbeitnehmers<br />

eingegriffen wird, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung<br />

des Bundesarbeitsgerichts der gerichtlichen Überprüfung.<br />

Von einem solchen Eingriff ist auszugehen, wenn die<br />

Abmahnung als Vorstufe zur Kündigung dienen soll und/oder<br />

zu den Personalakten genommen wird (vgl. BAG, v.<br />

27.11.1985, AP-Nr. 93 zu § 611 BGB "Fürsorgepflicht"; bestätigt<br />

durch BAG, v. 5.8.1992 – 5 AZR 531/91).<br />

Bestandsschutz<br />

Die vorliegend streitige Abmahnung vom 13.1.<strong>2012</strong> enthält<br />

den Vorwurf von Obliegenheitsverletzungen betreffend die<br />

Verpflichtung zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen<br />

und Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtlicher<br />

Dauer. Diese Rügen sind verbunden mit einer<br />

Kündigungsandrohung. Das Schreiben vom 13.1.<strong>2012</strong> erfüllt<br />

damit eindeutig die dargelegten Voraussetzungen an eine der<br />

gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Abmahnung.<br />

Durch unrichtige, sein berufliches Fortkommen berührende<br />

Tatsachenbehauptungen wird das Persönlichkeitsrecht des<br />

Arbeitnehmers beeinträchtigt. Der Arbeitnehmer kann daher<br />

in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung<br />

einer Abmahnung aus der Personalakte verlangen,<br />

wenn diese einen objektiv rechtswidrigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht<br />

in Form von unzutreffenden oder abwertenden<br />

Äußerungen darstellt.<br />

Für die Frage, ob der Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung<br />

aus der Personalakte begründet ist, ist entscheidend, ob<br />

der erhobene Vorwurf objektiv gerechtfertigt ist. Im Abmahnungsprozess<br />

obliegt dem Arbeitgeber für das Vorliegen einer<br />

ordnungsgemäßen Abmahnung, insbesondere für die<br />

Richtigkeit der der Abmahnung zugrundeliegenden Pflichtwidrigkeit<br />

die Darlegungs- und Beweislast (LAG Bremen, v.<br />

6.3.1992, LAG E, § 611 BGB Abmahnung Nr. 31 m.w.N.) Darüber<br />

hinaus ist zu beachten, dass ein Abmahnungsschreiben in<br />

dem mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt werden,<br />

schon dann auf Verlangen des Arbeitnehmers vollständig aus<br />

der Akte zu entfernen ist, wenn nicht alle Vorwürfe zutreffen<br />

(vgl. BAG, Urt. v. 13.3.1991, NZA 1991, S. 768).<br />

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall<br />

ergibt, dass die Abmahnung vom 13.1.<strong>2012</strong> aus der Personalakte<br />

zu entfernen ist.<br />

Der Abmahnung zugrunde liegt der Vorwurf, der Kläger habe<br />

in der Zeit ab 9.1.<strong>2012</strong> seine Verpflichtungen zu ausreichender<br />

Information des Arbeitgebers über die Arbeitsunfähigkeit<br />

und deren voraussichtliche Dauer sowie seine Pflicht zur Vorlage<br />

ärztlicher Bescheinigungen zum Nachweis der weiteren<br />

Erkrankung verletzt.<br />

Die Anzeige – und Nachweispflichten des Arbeitnehmers bei<br />

Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sind zunächst in § 5<br />

EFZG geregelt. Danach ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem<br />

Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche<br />

Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit<br />

länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer<br />

eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit<br />

sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens<br />

am darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber<br />

ist allerdings berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung<br />

früher zu verlangen.<br />

Hinsichtlich der Frage was nach Ablauf einer bescheinigten<br />

Krankheitsphase zu geschehen hat, enthält das Gesetz lediglich<br />

in § 5 Abs. 1 Satz 4 EFZG die Bestimmung, dass in dem<br />

Fall, dass die Arbeitsunfähigkeit länger dauert als in der Be-<br />

<strong>03</strong>/12 173


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 46 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Bestandsschutz<br />

scheinigung angegeben ist, der Arbeitnehmer verpflichtet ist,<br />

eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Es fehlt jedoch<br />

jegliche Regelung der Problematik, wann die Bescheinigung<br />

im Regelfall vorgelegt werden muss und ob der Arbeitgeber<br />

eine frühere Vorlage verlangen kann. Ob den Arbeitnehmer<br />

eine Informationspflicht wie bei der Ersterkrankung nach § 5<br />

Abs. 1 Satz 1 EFZG trifft, ist ebenfalls nicht geregelt. Allerdings<br />

ist mit der herrschenden Meinung (vgl. ErfK z. ArbR, 12. Aufl.,<br />

Rn 19 zu § 5 EFZG sowie LAG Hessen, Urt. v. 1.12.2006 – 12 Sa<br />

737/06, zitiert nach juris) davon auszugehen, dass die Vorschriften<br />

des § 5 Abs. 1 Satz 1 bis 3 auf die Fälle des § 5 Abs. 1<br />

Satz 4 EFZG entsprechende Anwendung findet.<br />

Völlig unstreitig ist, dass bestehende Nachweis- und Informationspflichten<br />

nicht davon abhängig sind, dass der Arbeitgeber<br />

verpflichtet ist, noch Lohnfortzahlung zu leisten. Die entsprechenden<br />

Verpflichtungen bestehen auch nach Ablauf des<br />

Lohnfortzahlungszeitraums des § 3 Abs. 1 Satz EFZG (vgl.<br />

Schaub, ArbRHdb, 14. Aufl., § 98 Rn 129 m.w.N.; LAG Sachsen –<br />

Anhalt, Urt. v. 24.4.1996 – 3 Sa 449/95, NZA 1997, S. 272, 773<br />

m.w.N.). Demgegenüber ist es ohne Belang, wenn die Ärzte<br />

des Klägers, bei Wahrunterstellung des diesbezüglichen klägerischen<br />

Sachvortrags, die Erstellung einer ärztlichen Bescheinigung<br />

über den Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nach<br />

Ablauf der sechswöchigen Lohnfortzahlungspflicht als Unsinn<br />

bezeichnen. Eine solche verfehlte und durch nichts begründete<br />

Rechtsansicht könnte abmahnungsrechtlich nur dann<br />

von Relevanz sein, wenn sich die Ärzte des Klägers aufgrund<br />

ihrer fehlenden arbeitsrechtlichen Kenntnisse geweigert hätten,<br />

eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erstellen. Dies<br />

wird aber vom Kläger nicht vorgetragen.<br />

Zu beachten ist allerdings, dass hinsichtlich der in § 5 EFZG<br />

geregelten Anzeige- und Nachweispflichten das arbeitsrechtliche<br />

Günstigkeitsprinzip gilt. Dies bedeutet, dass es dem Arbeitgeber<br />

unbenommen ist, zugunsten des Arbeitnehmers<br />

von den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes hinsichtlich<br />

der Anzeige und Nachweispflichten abzuweichen.<br />

Vorliegend hat die Beklagte eine nähere Regelung der Verpflichtungen<br />

der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit mit der<br />

Dienstanweisung vom 29.5.2008 vorgenommen. Unter a) der<br />

Anweisungen ist zunächst geregelt, welche Informationspflichten<br />

den Arbeitnehmer bei Dienstverhinderung, insbesondere<br />

im Krankheitsfall treffen. Unter b) ist sodann geregelt,<br />

dass eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit<br />

vom ersten Tage an vorzulegen ist. Mit dieser Regelung macht<br />

die Beklagte von der dem Arbeitgeber in § 5 Abs. 1 Satz 3 eingeräumten<br />

Möglichkeit Gebrauch, die Vorlage der ärztlichen<br />

Bescheinigung schon vor Ablauf von drei Kalendertagen zu<br />

verlangen. Eine solche Anordnung ist zulässig. Sie kann generell<br />

erfolgen, muss nicht begründet werden und unterliegt<br />

auch keiner Billigkeitskontrolle (vgl. Schaub, a.a.O., Rn 121 zu<br />

§ 98 m.w.N.). Raum für die Anwendung des § 315 BGB besteht<br />

somit nicht.<br />

Unter c) ist dann weiter geregelt, was zu geschehen hat, wenn<br />

die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung ange-<br />

geben andauert. In diesem Fall ist ebenfalls sofort Mitteilung<br />

zu machen und innerhalb eines Arbeitstages eine neue ärztliche<br />

Bescheinigung vorzulegen. Liegt eine solche Vereinbarung<br />

vor, so ist es, entgegen der vom Kläger geäußerten Ansicht<br />

in der Streitverhandlung vom 3.4.<strong>2012</strong>, erforderlich, dass<br />

das Attest am ersten Tag übergeben wird, soweit dies technisch<br />

möglich ist (vgl. ErfK, a.a.O., Rn 12 zu § 5 EFZG m.w.N.).<br />

Die Beklagte hat es allerdings nicht bei diesen drei Bestimmungen<br />

a) bis c) belassen. Sie hat vielmehr unter d) eine Regelung<br />

aufgenommen, was zu geschehen hat, wenn der Zeitraum<br />

der Entgeltfortzahlung überschritten wird. In diesem<br />

Fall ist der Mitarbeiter verpflichtet, den Arbeitgeber über den<br />

Fortgang der Erkrankung zu informieren, wobei der Informationsrhythmus<br />

mit dem Arbeitgeber bzw. Vorgesetzten<br />

„abzustimmen" ist. Durch Aufnahme der Ziff. d) hat die Beklagte<br />

differenziert zwischen den Verpflichtungen nach Ablauf<br />

der Erstbescheinigung innerhalb des Lohnfortzahlungszeitraums<br />

und nach Ablauf dieses Zeitraums. Die Rede ist allerdings<br />

nur von Informationspflichten und diese werden<br />

auch nicht uneingeschränkt begründet, sondern sehen zunächst<br />

die Verpflichtung des Arbeitnehmers vor, sich mit der<br />

Beklagten bzw. seinem Vorgesetzten abzustimmen. Eine Verpflichtung<br />

zur weiteren Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsnachweisen<br />

fehlt in dieser Bestimmung. Im Hinblick darauf, dass<br />

die Lohnfortzahlungspflicht und damit die Hauptpflicht des<br />

Arbeitgebers nach sechs Wochen der Krankheit erlischt und<br />

auch der Tatsache, dass es in der Praxis durchaus bei vielen<br />

Firmen üblich ist, im Hinblick auf diesen Umstand keine Nachweispflicht<br />

ohne ausdrückliche Aufforderung mehr vorzusehen<br />

und es bei der Informationspflicht zu belassen, hätte es<br />

eine eindeutigen Bestimmung in der Dienstanweisung dahingehend<br />

bedurft, dass die Arbeitnehmer nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums<br />

weiterhin verpflichtet sind, ärztliche<br />

Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit vorzulegen.<br />

Nachdem eine solche Bestimmung fehlt, sieht die Kammer<br />

keine Obliegenheit des Klägers im vorliegenden Fall ab<br />

9.1.<strong>2012</strong>, den Tag nach Ablauf der Lohnfortzahlungspflicht,<br />

Nachweise über die weiter fortbestehende Arbeitsunfähigkeit<br />

vorzulegen. Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob bei Vorliegen<br />

einer entsprechenden Verpflichtung in der verspäteten<br />

Abgabe unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des<br />

vorliegenden Falls ein Pflichtenverstoß des Klägers gesehen<br />

werden könnte.<br />

Dahinstehen kann auch, ob der Kläger seinen Informationspflichten<br />

in vollem Umfang Genüge getan hat. Zwar wird ihm<br />

ein Verstoß insoweit in der streitgegenständlichen Abmahnung<br />

durchaus zur Last gelegt. Wie dargelegt, ist eine Abmahnung<br />

aber schon dann aus der Personalakte zu entfernen,<br />

wenn sich einer von mehreren Vorwürfen als unberechtigt erweist.<br />

Die Tatsache, dass die Vorwürfe, die Gegenstand der<br />

Abmahnung sind, ebenfalls zum Teil, soweit der Vorwurf der<br />

verspäteten Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />

erhoben wird, unberechtigt sind, hat ohne Weiteres zur Folge,<br />

dass die Abmahnung insgesamt aus der Personalakte zu ent-<br />

174<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 47 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

fernen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob der Kläger seinen<br />

Informationspflichten tatsächlich Genüge getan hat (vgl. BAG,<br />

Urt. v. 13.3.1991, a.a.O.).<br />

■ Arbeitsgericht Würzburg<br />

vom 3.4.<strong>2012</strong>, 3 Ca 147/12<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Franz Geus<br />

Schultesstraße 23, 97421 Schweinfurt<br />

Tel.: 09721/386090, Fax: 09721/3860999<br />

schweinfurt@bendel-partner.de<br />

2<strong>03</strong>. Verhaltensbedingte Kündigung, beharrliche<br />

Arbeitsverweigerung im Prozessarbeitsverhältnis ist kein<br />

Kündigungsgrund<br />

Die Kündigung vom 19.8.2011 hatte nicht die Beendigung des<br />

Arbeitsverhältnisses zur Folge, da diese (...) sowohl als außerordentliche<br />

als auch als ordentliche Kündigung einer Wirksamkeitskontrolle<br />

nicht stand hält. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung<br />

kann dem Kläger nicht zur Last gelegt werden,<br />

da die Entgegennahme seiner Arbeitsleistung durch die Beklagte<br />

nach deren ausdrücklicher Erklärung im Rahmen eines<br />

Prozessrechtsverhältnisses erfolgte. Solange das vorangegangene<br />

Urteil nicht rechtskräftig war und die Beklagte nicht unmissverständlich<br />

erklärt hatte, dass sie an einer Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses wegen Ablaufs der vereinbarten Befristung<br />

nicht mehr festhalte, musste der Kläger davon ausgehen,<br />

dass seine Arbeitsleistung nicht als Erfüllung des Arbeitsvertrages,<br />

sondern (nur) zur Vermeidung von Ansprüchen auf<br />

Annahmeverzugslohn entgegengenommen wurde. Vor diesem<br />

Hintergrund kann die Weigerung, die Arbeit wieder aufzunehmen,<br />

nicht zu den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdenden<br />

Sanktionen wie Abmahnung oder gar Kündigung<br />

führen.<br />

■ Arbeitsgericht Frankfurt am Main<br />

vom 18.1.<strong>2012</strong>, 15 Ca 5425/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry<br />

Mainzer Landstraße 107, 6<strong>03</strong>29 Frankfurt am Main<br />

Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />

info@ra-chaudhry.de<br />

Betriebsverfassungsrecht/<br />

Personalvertretungsrecht<br />

204. Einigungsstelle, gerichtliche Einsetzung gemäß § 98<br />

ArbGG, Informationspflicht des Arbeitgebers, Scheitern<br />

der Verhandlungen<br />

Im Falle des § 98 ArbGG kann das Rechtsschutzbedürfnis fraglich<br />

sein, wenn die Betriebspartner in einer beteiligungspflichtigen<br />

Angelegenheit nicht einmal gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2<br />

BetrVG den Versuch unternommen haben, mit Einigungswillen<br />

zu verhandeln, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen<br />

wird. Der Beschleunigungszweck des gerichtlichen Einsetzungsverfahrens<br />

würde jedoch unterlaufen, wenn an das Kri-<br />

Personalvertretungsrecht<br />

terium, vorab verhandelt zu haben, zu hohe Anforderungen<br />

gestellt würden. Es bleibt jedem Betriebspartner überlassen,<br />

im konkreten Einzelfall die Kommunikation abzubrechen und<br />

zur Beilegung aufgetretener Meinungsverschiedenheiten auf<br />

die Bildung einer Einigungsstelle hinzuwirken. Der Einwand<br />

unzureichender Unterrichtung steht dem regelmäßig nicht<br />

entgegen. Es widerspricht zudem den Grundsätzen der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit nach §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1<br />

BetrVG, wenn der Betriebsrat zunächst weitere Verhandlungstermine<br />

mit dem Arbeitgeber ablehnt, um dann im Einsetzungsverfahren<br />

nach § 98 ArbGG eine nicht ordnungsgemäße<br />

Unterrichtung durch den Arbeitgeber zu monieren.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 8.3.<strong>2012</strong>, 11 TaBV 12/12<br />

205. Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen<br />

Angelegenheiten und bei betrieblicher Berufsbildung,<br />

Bestimmtheit des Unterlassungsantrages,<br />

Verfügungsgrund, Vorrang der Einigungsstelle auch für<br />

vorläufige Regelung bezüglich eines<br />

Unterlassungsbegehrens, Vorrang des § 101 BetrVG für<br />

personelle Maßnahmen<br />

II. Die Anträge waren zurückzuweisen. Dies ergibt sich bereits<br />

wegen der Unzulässigkeit des Unterlassungsantrags in allen<br />

nach der Aufzählung in Betracht kommenden Varianten. Aus<br />

der Zurückweisung des Unterlassungsantrags folgt notwendigerweise<br />

diejenige des Androhungsantrags.<br />

Es gelten auch im Beschlussverfahren die zivilprozessualen<br />

Bestimmungsanforderungen für eine zulässige Antragstellung,<br />

§§ 81 Abs. 1, 80 Abs. 2, 46 Abs. 2 ArbGG, § 253 Abs. 2<br />

Ziff. 2 ZPO. Die danach geforderte hinreichende Bestimmtheit<br />

ist bei einem Unterlassungsantrag nur dann gegeben, wenn<br />

er den geltend gemachten Anspruch konkret gegenständlich<br />

bezeichnet, den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis<br />

erkennbar abgrenzt, den Inhalt und den Umfang der<br />

materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung erkennen<br />

lässt, das Unterliegensrisiko nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit<br />

auf den Gegner abwälzt und insbesondere erwarten<br />

lässt, dass die Zwangsvollstreckung aus der Entscheidung<br />

ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren<br />

erfolgen könnte. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung<br />

der höchsten Zivilgerichte, dass die Entscheidung darüber,<br />

was dem Beklagten bzw. dem beteiligten Antragsgegner<br />

bei der einem Unterlassungsantrag folgenden Verurteilung<br />

verboten ist, nicht im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht<br />

überlassen werden kann.<br />

Der auf das Unterlassen der „Fortführung" einer Projektgruppe<br />

gerichtete Hauptantrag wird dieser Zulässigkeitsanforderung<br />

nicht gerecht. Es Ist nicht erkennbar, welche konkreten<br />

Handlungen bzw. weitere Maßnahmen der Antragsgegnerin<br />

durch den beantragten Titel „einstweilig" verboten<br />

wären.<br />

<strong>03</strong>/12 175


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 48 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Dasselbe gilt für den hilfsweise gegen den Einsatz „spezieller<br />

Software" gerichteten Antrag (Ziff. 2.). Die Anforderungen an<br />

die Bestimmtheit eines Unterlassungsantrags in Bezug auf die<br />

Verwendung von Computerprogrammen hat der Bundesgerichtshof<br />

in jüngerer Zeit definiert: Grundsätzlich ist es erforderlich,<br />

„den Inhalt dieses Computerprogramms … so (zu) beschreiben,<br />

dass Verwechslungen mit anderen Computerprogrammen<br />

soweit wie möglich ausgeschlossen sind. Dabei<br />

kann die gebotene Individualisierung des Computerprogramms<br />

durch Bezugnahme auf Programmausdrucke oder<br />

Programmträger erfolgen". Die alleinige Beschreibung als<br />

„spezielle Software" genügt diesen Anforderungen nicht.<br />

Auch das offenbar als weiterer Hilfsantrag eingebrachten Begehren<br />

zu 3) ist nicht i.S.d. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO hinreichend<br />

bestimmt. Der Antragsteller bezeichnet keine konkrete, der<br />

betrieblichen Berufsbildung zuzuordnende, für bestimmte<br />

Mitarbeiter anstehende „Schulungsmaßnahme". Was die Antragsgegnerin<br />

zu unterlassen hätte, wäre aus einem antragsgemäßen<br />

Titel weder für diese noch für das gegebenenfalls<br />

im Rahmen der Vollstreckung angerufene Gericht ersichtlich.<br />

Im Übrigen wären die Anträge selbst bei hinreichender Präzisierung<br />

und unterstellter Zulässigkeit zurückzuweisen, dies ergibt<br />

sich schon aus grundsätzlichen materiell- wie prozessrechtlichen<br />

Erwägungen. So ist kein im besonderen Eilverfahren<br />

des einstweiligen Rechtsschutzes zwingend erforderlicher<br />

Verfügungsgrund ersichtlich. An diese Voraussetzung sind bei<br />

betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsbegehren hohe<br />

Anforderungen zu stellen. Denn auch wenn gemäß § 85<br />

Abs. 2 ArbGG, §§ 935, 940 WO einstweilige Verfügungen in<br />

Beschlussverfahren zur Sicherung von Mitbestimmungspositionen<br />

oder zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in<br />

Bezug auf ein streitiges Kollektivrechtsverhältnis zulässig sind,<br />

dürfen diese nicht dazu führen, dass dem Antragsteller damit<br />

mehr gewährt wird, als er nach dem zugrundeliegenden materiellen<br />

Anspruch und bei Betrachtung von dessen Durchsetzbarkelt<br />

im ordentlichen Hauptsacheverfahren erreichen<br />

könnte; solches wäre mit dem Sinn und Zweck des einstweiligen<br />

Rechtsschutzes in Beschlussverfahren nicht zu vereinbaren.<br />

Denn im Unterschied zum Urteilsverfahren gilt in dieser<br />

Verfahrensart die Besonderheit, dass Beschlüsse in nicht vermögensrechtlichen<br />

Streitigkeiten nicht vorläufig vollstreckbar<br />

sind. Die Rechte aus einem betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Unterlassungsanspruch können damit erst dann – im Wege<br />

der Vollstreckung – praktisch umgesetzt werden, wenn dieser<br />

zuvor in einem Beschlussverfahren rechtskräftig tituliert<br />

wurde. Das Eilverfahren ist nicht dazu da, diesen nach der Gesetzeslage<br />

vorgesehenen Ablauf zu umgehen. Da eine einstweilige<br />

Verfügung mit dem Ziel, einen betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Unterlassungsanspruch vorab durchzusetzen, den<br />

Sinn und Zweck des Ausschlusses der vorläufigen Vollstreckbarkeit<br />

des § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in das inhaltliche Gegenteil<br />

verkehrt, kann diese allenfalls in absoluten Ausnahmesituationen<br />

in Betracht kommen, die eine vorläufige Regelung<br />

unabdingbar erfordern. Dies konnte die Kammer nicht erkennen.<br />

Soweit der Antragsteller durch den in der Antragsschrift enthaltenen<br />

Hinweis auf § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG auf ein nach<br />

dieser Vorschrift bestehendes Mitbestimmungsrecht abstellen<br />

will, mag unterstellt werden, dass eine Angelegenheit im<br />

Sinne dieser Vorschrift zugrunde liegt. Allerdings fallen alle im<br />

Zusammenhang mit einem Mitbestimmungstatbestand gemäß<br />

§ 87 Abs. 1 BetrVG zu treffenden Regelungen – auch eine<br />

solche zur vorläufigen Unterlassung bestimmter Maßnahmen<br />

– in die Zuständigkeit der Betriebspartner und sodann<br />

der Einigungsstelle, § 87 Abs. 2 BetrVG. Ausschließlich diese<br />

hat die rechtliche Befugnis, eine zwischen den Betriebsparteien<br />

streitige Angelegenheit, welche in ihre Entscheidungskompetenz<br />

fällt, zu gestalten und zwar nach eigenem Ermessen;<br />

ein gerichtlicher Eingriff findet grundsätzlich nicht statt.<br />

Das Arbeitsgericht hat sich mit Regelungsfragen inhaltlich<br />

erst dann zu befassen, wenn die Einigungsstelle entschieden<br />

hat und der Spruch zur Überprüfung auf Ermessens- oder<br />

Rechtsfehler gestellt wird. Es hat dagegen nicht die Aufgabe,<br />

selbst betriebliches Recht zu schaffen und zu einer (unterstellt)<br />

mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit etwas anzuordnen<br />

oder zu untersagen. Das gilt auch für vorläufige Regelungen,<br />

die gleichfalls im Ermessen der Einigungsstelle liegen,<br />

wenn sie trotz der gesetzlichen Verpflichtung zum unverzüglichen<br />

Tätigwerden aus § 76 Abs. 3 BetrVG und dem darin<br />

immanenten Gebot, sodann auch „alsbald" eine abschließende<br />

Sachentscheidung zu treffen, eine solche Notwendigkeit<br />

sieht. Das besondere, als eigenständiges Eilverfahren ausgestaltete<br />

Einigungsstellenverfahren schließt demnach im Regelfall<br />

für Regelungen in Bezug auf Angelegenheiten der<br />

zwingenden Mitbestimmung den Verfügungsgrund für eine<br />

gerichtliche Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz aus;<br />

die vom Gesetzgeber eingeführten außergewöhnlichen Beschleunigungsregelungen<br />

in § 98 Abs. 1 ArbGG zeigen auf,<br />

dass er die in diesem Verfahren erzwingbare zügige Errichtung<br />

der Einigungsstelle gerade für solche Fälle vorgesehen<br />

hat, in welchen ein akuter Regelungsbedarf besteht. Weshalb<br />

hier statt dessen die systemwidrige „Regelung" durch das Gericht<br />

vorrangig sein soll, konnte die Kammer nicht erkennen.<br />

Gleiches gilt für den Hinweis des Antragstellers auf seine Auffassung,<br />

die Antragsgegnerin führe Maßnahmen der betrieblichen<br />

Berufsbildung oder sonstige Bildungsmaßnahmen i.S.d.<br />

§ 98 BetrVG durch. Auch in diesem Fall ist es nicht dem Gericht,<br />

sondern zunächst den Betriebspartnern und der erforderlichenfalls<br />

gemäß § 98 Abs. 4 BetrVG anzurufenden Einigungsstelle<br />

auferlegt, die zu diesem Komplex erforderlichen<br />

Regelungen – ggfs. auch vorläufige – zu treffen. Lediglich bei<br />

einer von den Betriebspartnern versuchten, aber nicht gelungenen<br />

Einigung über die mit der Bildungsmaßnahme beauftragte<br />

Person kommt der spezielle Unterlassungsanspruch<br />

des § 98 Abs. 5 BetrVG in Betracht. Dessen Voraussetzungen<br />

sind hier nicht gegeben, zudem steht die dabei angeordnete<br />

Reihenfolge (§ 98 Abs. 5 B. 2, 3 BetrVG) einem Eilverfahren<br />

176<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 49 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

entgegen, welches nicht dazu dient, einem Beteiligten bereits<br />

vorab rechtliche Möglichkeiten zu gewähren, die nach den<br />

gesetzlichen Vorgaben zunächst die erfolgreiche Durchführung<br />

eines Hauptsacheverfahrens voraussetzen; hierzu kann<br />

auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.<br />

Soweit der Antragsteller schließlich darauf abstellt, die Antragsgegnerin<br />

habe die für das Projekt „Die Zukunft mit<br />

gestalten" vorgesehenen Mitarbeiter mitbestimmungswidrig<br />

versetzt bzw. beabsichtige dies im Hinblick auf den offenbar<br />

zu Mitte April geplanten Start der Projektphase, ist darauf hinzuweisen,<br />

dass die „vorläufige Regelung" zu diesem Komplex<br />

gleichfalls gesondert normiert ist. Das bei personellen Einzelmaßnahmen<br />

geltende Verfahren nach § 100 BetrVG und<br />

ebenso die weitergehende gesetzliche Regelung in § 101<br />

BetrVG belegen, dass hier die vorläufige Durchführung, nicht<br />

dagegen die vorläufige Untersagung der Maßnahme der vom<br />

Gesetz vorgestellte Regelfall Ist. Denn nach § 101 S. 2 BetrVG<br />

kann der Betriebsrat die Aufhebung einer objektiv mitbestimmungswidrig<br />

durchgeführten personellen Einzelmaßnahme<br />

ausdrücklich erst dann erzwingen, wenn er zuvor eine seinen<br />

Standpunkt bestätigende rechtskräftige Entscheidung erstritten<br />

hat. Auch im Bereich der Mitbestimmung gemäß § 99<br />

Abs. 1 BetrVG kann die in der einschlägigen Sanktionsnorm<br />

vorgeschriebene Reihenfolge nicht durch eine einstweilige<br />

Verfügung, die schon vorbeugend auf Unterlassung künftig in<br />

Betracht kommender personeller Einzelmaßnahmen unter<br />

Zwangsgeldandrohung gerichtet ist, unterlaufen werden,<br />

eine solche ist grundsätzlich nicht gegeben. Es wäre systemwidrig,<br />

eine nach Ihrem wesentlichen Charakter vorläufig vollstreckbare<br />

einstweilige Verfügung zur Durchsetzung einer –<br />

lediglich im summarischen Eilverfahren überprüften – Rechtsposition<br />

zuzulassen, während die Durchsetzung des inhaltlich<br />

gleichgerichteten Begehrens dann, wenn es in einem mit allen<br />

rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten Hauptsacheverfahren<br />

umfassend zur gerichtlichen Nachprüfung und Entscheidung<br />

gestellt wird, dessen vorherigen rechtsbeständigen<br />

Abschluss voraussetzt.<br />

Der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung kommt<br />

mithin unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht.<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 29.3.<strong>2012</strong>, 8 BVGa 6/12<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Detlef Grimm<br />

Konrad-Adenauer-Ufer 11, 50668 Köln<br />

Tel.: 0221/650650, Fax: 0221/65065110<br />

detlef.grimm@loschelder.de<br />

206. Personalrat, kein Übergangsmandat bei<br />

Privatisierung<br />

Ein Übergangsmandat entsprechend § 21a BetrVG besteht im<br />

öffentlichen Dienst mangels einer gesetzlichen Grundlage<br />

nicht. Im BPersVG ist ein Übergangsmandat bei der Übertragung<br />

von Betriebsteilen im Rahmen einer Privatisierung nicht<br />

vorgesehen. § 21a BetrVG findet mangels planwidriger Rege-<br />

Tarifrecht<br />

lungslücke keine analoge Anwendung. Der Gesetzgeber hat<br />

in Kenntnis der Problematik der privatisierenden Übernahme<br />

ein entsprechendes Übergangsmandat bei der Einführung<br />

des § 21a BetrVG für das BPersVG nicht eingeführt. Etwas anderes<br />

folgt nicht aus der Richtlinie 2001/23/EG zur Angleichung<br />

der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die<br />

Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang<br />

von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen. Diese erfassen<br />

nur Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben,<br />

was auf die ausländischen Stationierungsstreitkräfte in<br />

der Dienststelle N. nicht zutrifft.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 7.3.<strong>2012</strong>, 16 Sa 809/11<br />

207. Sozialplan, AGG, Altersdiskriminierung<br />

Leitsatz:<br />

1. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nicht gegen das Verbot der<br />

Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union (Art. 6<br />

Abs. 1 RL 2000/78/EG). Die Vorschrift ist vielmehr durch ein im<br />

Allgemeininteresse liegendes Ziel des deutschen Gesetzgebers<br />

i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 RL 2000/78/EG, nämlich Schutz<br />

älterer Arbeitnehmer vor den gerade ihnen eher als jüngeren<br />

Arbeitnehmern drohenden Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt<br />

bei Verlust ihres Arbeitsplatzes, gerechtfertigt (vgl. auch BAG,<br />

v. 12.4.2011 – 1 AZR 743/09 – EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 42).<br />

2. An der danach zulässigen Differenzierung in einem Sozialplan<br />

zwischen "rentennahen" und "rentenfernen" Arbeitnehmern<br />

hat sich durch die Entscheidung des EuGH vom<br />

12.10.2010 – C 499/08 – (Andersen) – (EzA Richtlinie 2000/78<br />

EG-Vertrag 1999 Nr. 17) nichts geändert (ebenso LAG Rheinland-Pfalz,<br />

v. 10.3.2011 – 10 Sa 547/10, juris; vgl. auch LAG<br />

Düsseldorf, v. 14.6.2011 – 16 Sa 1712/10, juris).<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 10.11.2011, 11 Sa 764/11<br />

Tarifrecht<br />

208. Gebäudereinigerhandwerk – Rahmentarifvertrag,<br />

Feststellungsantrag zur Eingruppierung, Herausfallen<br />

aus Rahmentarifvertrag mangels spezieller<br />

Vergütungsgruppe? Auslegung von Tarifverträgen<br />

II. Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch<br />

auf Feststellung durch das Gericht, dass die Beklagte<br />

verpflichtet ist, den Kläger nach Lohngruppe 1 des jeweils<br />

gültigen Tarifvertrages Mindestlohn zu entlohnen. Die Berufung<br />

der Beklagten war aus gleichem Grund zurückzuweisen.<br />

1. Der Feststellungsantrag des Klägers ist in der Form, in der<br />

er in 2. Instanz gestellt worden ist, zulässig. Dem Kläger steht<br />

ein Feststellungsinteresse zur Seite. (…)<br />

a) Der in 2. Instanz formulierte Antrag des Klägers entspricht<br />

allgemein üblichen Feststellungsanträgen bei Streit der Parteien<br />

um die zutreffende Eingruppierung. Es gibt keine An-<br />

<strong>03</strong>/12 177


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 50 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

haltspunkte dafür, dass die Beklagte als seriöses Unternehmen<br />

einer entsprechenden rechtskräftigen Feststellung des<br />

Gerichts keine Folge leisten werde.<br />

Der Antrag des Klägers ist hinreichend bestimmt. Er genügt<br />

den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wonach die<br />

Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und<br />

des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten<br />

Antrag enthalten muss. Der Streitgegenstand und der<br />

Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis<br />

müssen klar umrissen sein (BAG, Urt. v. 11.11.2009 – 7<br />

AZR 387/08 – AP Nr. 50 zu § 253 ZPO; Urt. v. 19.2.2008 – 9 AZR<br />

70/07 – BAGE 126, 26), so dass der Rahmen der gerichtlichen<br />

Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt<br />

und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen<br />

den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Es<br />

muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden<br />

hat. Bei einer stattgebenden Entscheidung darf<br />

keine Unklarheit über den Umfang der Rechtskraft bestehen.<br />

Bei einer Feststellungsklage sind grundsätzlich keine geringeren<br />

Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer<br />

Leistungsklage (BAG, Urt. v. 22.10.2008 – 4 AZR 735/07 –<br />

APNR.20zu§1TVGTarifverträge: Chemie Nr. 20).<br />

Der Feststellungsantrag bezieht sich auf die Praxis der Beklagten,<br />

dem Kläger bei Beschäftigung an der Müllpresse, die arbeitsvertraglich<br />

vereinbart worden ist, ein Entgelt zu zahlen,<br />

das unterhalb des Niveaus der Lohngruppe 1 des Mindestlohntarifvertrages<br />

liegt. Wird der Kläger mit Tätigkeiten beschäftigt,<br />

die nach Auffassung der Beklagten vom Tarifvertrag<br />

erfasste Reinigungstätigkeiten beinhalten, zahlt die Beklagte<br />

unstreitig dem Kläger den Mindestlohn der Lohngruppe 1.<br />

Mit dem Feststellungsantrag soll klargestellt werden, dass der<br />

Kläger auch dann Anspruch auf Vergütung nach Lohngruppe<br />

1 des Mindestlohntarifvertrages hat, wenn er, wie im Arbeitsvertrag<br />

festgelegt, an der Müllpresse beschäftigt wird.<br />

Der Feststellungsantrag entspricht auch den Grundsätzen der<br />

Prozessökonomie. Es soll vermieden werden, dass zukünftig<br />

Monat für Monat zur Vermeidung des Verfalls Ansprüche geltend<br />

und gegebenenfalls eingeklagt werden müssen.<br />

b) Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet. Der Kläger<br />

hat Anspruch, den im Mindestlohntarifvertrag festgelegten<br />

Lohn der Lohngruppe 1 für seine Tätigkeit an der Müllpresse<br />

zu erhalten.<br />

aa) Unstreitig unterfällt der überwiegend Gebäudedienstleistungen<br />

erbringende Betrieb der Beklagten dem Geltungsbereich<br />

des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten<br />

in der Gebäudereinigung. Dies bestätigt auch der Formulararbeitsvertrag<br />

des Klägers vom 24.2.2009, der in § 17<br />

grundsätzlich die Feststellung trifft, dass auf das Arbeitsverhältnis<br />

die zurzeit geltenden tariflichen Vorschriften des Gebäudereiniger-Handwerks,<br />

soweit diese für allgemein verbindlich<br />

erklärt wurden, Anwendung finden. Die dem Kläger<br />

erteilten Lohnabrechnungen enthalten überdies den Hinweis,<br />

dass der allgemein verbindliche Lohntarifvertrag für die gewerblichen<br />

Beschäftigten in der Gebäudereinigung gelte.<br />

Im Formulararbeitsvertrag wird lediglich die Tätigkeit bei der<br />

Müllentsorgung und bei Arbeiten an der Müllpresse von der<br />

Bindung an den Tarifvertrag ausgenommen. Hierauf stützt die<br />

Beklagte ihre Argumentation. Sie verteidigt sich gegen die<br />

Klagforderung ausschließlich mit dem Argument, die vertraglich<br />

vereinbarte Tätigkeit an der Müllpresse werde weder von<br />

der Lohngruppe 1 des § 7 des RTV-Gebäudereinigerhandwerk<br />

noch von der Lohngruppe 1 des TV-Mindestlohn erfasst. Der<br />

Kläger übe tariffremde Tätigkeiten aus, für die der Tarifvertrag<br />

nicht gelte. Die Beklagte leitet ihre Rechtsauffassung aus 2<br />

<strong>Entscheidungen</strong> des Bundesarbeitsgerichts (v. 28.1.1987 – 4<br />

AZR 102/86 und v. 18.11.1998 – 10 AZR 475/97) zum Rahmentarifvertrag<br />

des Gebäudereiniger-Handwerks vom 22.9.1995<br />

ab. In der erstgenannten Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht<br />

in einem nicht entscheidungserheblichen Hinweis<br />

an die Tarifvertragsparteien ausgeführt, dieser Tarifvertrag<br />

sehe im Gegensatz zu vielen anderen Tarifverträgen nicht<br />

vor, dass die Arbeitnehmer in eine bestimmte Lohngruppe<br />

einzugruppieren seien. Er regele nur Tariflöhne für einzelne<br />

Lohngruppen. Hinter der Rechtsauffassung, der Kläger werde<br />

von den Lohngruppen des Rahmentarifvertrages nicht erfasst,<br />

steht offenbar die Auffassung, dass der RTV für den Kläger<br />

nicht gilt, mit der Folge, dass auch der TV-Mindestlohn<br />

nicht anwendbar sei.<br />

bb) Die Auffassung der Beklagten ist zurückzuweisen. Zum einen<br />

übersieht die Beklagte, dass sich der Rahmentarifvertrag<br />

für das Gebäudereiniger-Handwerk geändert hat. Sah die Fassung<br />

aus dem Jahre 1995 in § 7 Ziff. 3 vor, dass die Tariflöhne<br />

für "folgende Lohngruppen festgelegt" werden, woraus abgeleitet<br />

werden konnte, dass die Tariflöhne für Beschäftigte in<br />

diesem Gewerbe nicht abschließend, sondern nur für ausdrücklich<br />

bestimmte Tätigkeitsfelder geregelt werden sollten,<br />

bestimmt der für die Rechtsbeziehungen der Parteien maßgebliche<br />

aktuelle Rahmentarifvertrag in § 7 Ziff. 3.1.1., dass<br />

die Beschäftigten aufgrund ihrer überwiegenden Tätigkeit in<br />

eine Lohngruppe dieses Tarifvertrages eingruppiert werden.<br />

Dies spricht dafür, dass alle gewerblich Beschäftigten in Betrieben,<br />

die dem Rahmentarifvertrag unterfallen, einer Lohngruppen<br />

zuzuordnen sind (vergleiche LAG Saarland, Urt. v.<br />

23.11.2011 – 2 (1) Sa 79/11, juris; LAG Rheinland- Pfalz, Urt. v.<br />

4.2.2011 – 9 SA 501/10, juris). Dies spiegelt sich letztlich auch<br />

darin wieder, dass der Rahmentarifvertrag auf eine detaillierte<br />

Festlegung von Eingruppierungsmerkmalen weitgehend verzichtet<br />

hat. Der Hinweis des Bundesarbeitsgerichts an die Tarifvertragsparteien<br />

zum RTV ist deshalb durch die Weiterentwicklung<br />

des Tarifvertrages nicht mehr aktuell.<br />

Die These vom "Herausfallen" des Klägers aus dem RTV kann<br />

ohnehin nicht damit begründet werden, dass der Kläger nicht<br />

einer der Lohngruppen des § 7 RTV zuzuordnen ist. Ob § 7<br />

RTV für die Tätigkeit des Müllpressens eine Lohngruppe zur<br />

Verfügung stellt, ist für den Anspruch des Klägers auf den<br />

Mindestlohn nach Lohngruppe 1 des TV-Mindestlohn ohne<br />

rechtliche Relevanz. Die von der Beklagten behauptete fehlende<br />

Zuordnungsmöglichkeit zu einer der Lohngruppen des<br />

178<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 51 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

§ 7 RTV führt keineswegs automatisch dazu, dass der RTV insgesamt<br />

nicht gilt. Dessen Geltungsbereich bemisst sich nach<br />

§ 1 RTV. Danach gilt er für Betriebe, die der Gebäudereinigung<br />

zuzurechnende Tätigkeiten ausüben und für die dort Beschäftigten,<br />

die versicherungspflichtige Tätigkeiten ausüben. Weitere<br />

Einschränkungen des persönlichen Geltungsbereichs des<br />

RTV sind nicht vorgenommen worden. Da die Beklagte unstreitig<br />

vom betrieblichen Geltungsbereich erfasst wird und<br />

der Kläger ebenso unstreitig eine versicherungspflichtige Tätigkeit<br />

ausübt, unterliegt sein Arbeitsverhältnis zweifelsfrei<br />

dem RTV-Gebäudereinigerhandwerk. Damit gilt automatisch<br />

der jeweils für allgemein verbindlich erklärte TV-Mindestlohn.<br />

Dieser gilt nach § 1 Ziff. 2 für Betriebe, die unter den betrieblichen<br />

Geltungsbereich des Rahmentarifvertrages und für die<br />

gewerblichen Beschäftigten, die eine versicherungspflichtige<br />

Tätigkeit einschließlich derjenigen, die eine geringfügige Beschäftigung<br />

ausüben.<br />

cc) Die Berufungskammer ist der Auffassung, dass der Kläger<br />

bereits von Lohngruppe 1 des §7RTVfürdiegewerblichen<br />

Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4.10.20<strong>03</strong> erfasst<br />

wird. Die Tätigkeitsmerkmale der Lohngruppe 1 lauten: Innenund<br />

Unterhaltsreinigungsarbeiten. Der Kläger wird unabhängig<br />

hiervon auch von der Lohngruppe 1 des TV-Mindestlohn<br />

erfasst. Nach § 2 Ziff. 2 des TV-Mindestlohn gilt die Lohngruppe<br />

1 für Innen- und Unterhaltsreinigungsarbeiten, insbesondere<br />

Reinigung, pflegende und schützende Behandlung<br />

von Innenbauteilen an Bauwerken und Verkehrsmitteln aller<br />

Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen und<br />

Raumausstattungen; Reinigung und Pflege von maschinellen<br />

Einrichtungen sowie Beseitigung von Produktionsrückständen;<br />

Reinigung von Verkehrs- und Freiflächen einschließlich<br />

der Durchführung des Winterdienstes.<br />

dd) Die Zuordnung des Klägers zu den jeweiligen Lohngruppen<br />

1 des Rahmentarifvertrages und des TV-Mindestlohn ergibt<br />

sich durch Auslegung der Tarifverträge. Die Auslegung<br />

des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger<br />

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung<br />

von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst<br />

vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn<br />

und Zweck der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben<br />

zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien<br />

mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen<br />

Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist<br />

ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser<br />

Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien<br />

liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnormen<br />

zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse<br />

nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen<br />

ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien,<br />

z.B. die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch<br />

die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die<br />

Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen;<br />

im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung<br />

der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und<br />

Tarifrecht<br />

praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urt. v.<br />

21.7.1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu §1TVGAuslegung;<br />

BAG, Urt. v. 22.7.1998 – 10 AZR 243/97 – AP Nr. 2 zu § 3 TV<br />

Ang. Bundespost; BAG, Urt. v. 22.1.2002 – 3 AZR 664/01 – AP<br />

Nr. 185 zu § 1 TVG Auslegung). Dabei ist zugrunde zu legen,<br />

dass die Tarifvertragsparteien einen von ihnen verwendeten<br />

Begriff, der in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt hat,<br />

im Zweifel in diesem Sinne verstanden wissen wollten (vgl.<br />

BAG, Urt. v. 23.2.1995 – 6 AZR 615/94 – AP Nr. 5 zu § 42 TVAL II;<br />

BAG, Urt. v. 16.2.1994 – 5 AZR 3<strong>03</strong>/93 – AP Nr. 7 zu § 14 BBiG).<br />

■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />

vom 8.2.<strong>2012</strong>, 2 Sa 105/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen<br />

August-Bebel-Allee 1, 28329 Bremen<br />

Tel.: 0421/20539944, Fax: 0421/20539966<br />

franzen@franzen-legal.de<br />

209. Gebäudereinigerhandwerk, tarifliche Vergütung<br />

arbeitsfreier Zwischenzeiten<br />

Nach dem allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrag für das<br />

Gebäudereinigerhandwerk vom 4.10.20<strong>03</strong> ist die zwischen<br />

dem Ende der Reinigung des einen Objekts und dem Beginn<br />

der Reinigung im Folgeobjekt liegende arbeitsfreie Zeit – sogenannte<br />

Zwischenzeit – regelmäßig nicht zu vergüten.<br />

■ Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein<br />

vom 21.3.<strong>2012</strong>, 3 Sa 440/11<br />

210. Rechtsstreit über Wirksamkeit des Tarifvertrages,<br />

Feststellungsinteresse<br />

1. Eine Feststellungsklage nach § 9 TVG, die eine tarifvertragsschließende<br />

Partei gegen den Tarifvertragspartner über das<br />

Bestehen des Tarifvertrages führt, setzt nach § 256 Abs. 1 ZPO<br />

voraus, dass das besondere Feststellungsinteresse gerade gegenüber<br />

dem beklagten Tarifvertragspartner besteht. Ein<br />

Feststellungsinteresse gegenüber Dritten oder der Allgemeinheit<br />

reicht nicht hin.<br />

2. Das Feststellungsinteresse im Rahmen einer Klage nach § 9<br />

TVG ist dann gegeben, wenn sich der beklagte Tarifvertragspartner<br />

in aktiver Wahrnehmung seiner Rolle als sozialer Gegenspieler<br />

des Klägers von dem einst geschlossenen Tarifvertrag<br />

abwendet und nachhaltig dessen Nichtbestehen propagiert.<br />

Bloße rechtliche Zweifel am Bestehen des Tarifvertrages<br />

reichen nicht hin.<br />

3. Zwischen der Tarifgemeinschaft C. Gewerkschaften für Z.<br />

und P. CGZP und dem Bundesarbeitgeberverband der P. e.V.<br />

BAP besteht ein Streit über das Bestehen der in den Jahren<br />

20<strong>03</strong> bis 2010 zwischen der CGZP und den Vorgängerorganisationen<br />

des BAP geschlossenen Tarifverträgen nur zum<br />

Schein.<br />

■ Arbeitsgericht Berlin<br />

vom 28.11.2011, 55 Ca 5022/11<br />

<strong>03</strong>/12 179


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 52 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

211. Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen<br />

Erwerbsminderung, Geltendmachung des<br />

Weiterbeschäftigungsanspruchs<br />

Die Frist für den Weiterbeschäftigungsantrag des teilweise erwerbsgeminderten<br />

Arbeitnehmers beginnt nach § 18 Abs. 3<br />

AVR (entspricht § 59 Abs. 3 BAT) auch dann mit der Zustellung<br />

des Rentenbescheids, wenn der Arbeitnehmer schwerbehindert<br />

ist und das Arbeitsverhältnis nach § 18 Abs. 5 AVR erst<br />

nach Zustimmung des Integrationsamtes (§ 92 SGB IX) zu einem<br />

späteren Zeitpunkt enden kann.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 6.3.<strong>2012</strong>, 3 Sa 639/11<br />

212. Tariffähigkeit der CGZP, Aussetzung des Verfahrens<br />

zur Feststellung der Tariffähigkeit<br />

Da das BAG mit Beschl. v. 14.12.2010 – 1 ABR 19/10 – die Tarifunfähigkeit<br />

der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften<br />

für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nur<br />

gegenwartsbezogen festgestellt hat, sind vergangenheitsbezogene<br />

Zahlungsklagen, mit denen sog. Equal-Pay-Ansprüche<br />

geltend gemacht werden, gemäß § 97 Abs. 5 ArbGG bis zur<br />

Erledigung eines entsprechenden Beschlussverfahrens auszusetzen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 16.2.<strong>2012</strong>, 10 Sa 453/12<br />

Anmerkung:<br />

Mit Beschl. v. 9.1.<strong>2012</strong> (24 TaBV 1285/11) hat das LAG Berlin-<br />

Brandenburg der CGZP die Tariffähigkeit auch rückwirkend für<br />

die Tarifabschlüsse am 29.11.2004, 19.6.2006 und 9.7.2008 abgesprochen.<br />

Der Beschluss ist nach Zurückweisung der hiergegen<br />

gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschl. v.<br />

22.5.<strong>2012</strong> (1 ABN 27/12) mittlerweile rechtskräftig. In zwei<br />

weiteren <strong>Entscheidungen</strong> vom 23.5.<strong>2012</strong> hat der 1. Senat entschieden,<br />

dass durch den Beschl. v. 14.12.2010 und die Entscheidung<br />

des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg<br />

vom 9.1.<strong>2012</strong> die fehlende Tariffähigkeit der CGZP seit ihrer<br />

Gründung rechtskräftig festgestellt ist. (me)<br />

Prozessuales<br />

213. Aktenlageentscheidung in der Güteverhandlung?,<br />

Zurückverweisung an Arbeitsgericht<br />

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Sie führt zur<br />

Aufhebung des l erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückweisung<br />

des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht entsprechend<br />

§ 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO.<br />

1. Das Arbeitsgericht war zu einem Urteil nach Aktenlage<br />

nicht berechtigt.<br />

a. Das Arbeitsgericht hat zwar keinen Beschluss darüber gefasst,<br />

dass eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen wird<br />

und dies ist auch der Entscheidungsformel nicht zu entneh-<br />

men. In den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils<br />

wird jedoch ausdrücklich ausgeführt, dass es sich um ein<br />

Urteil nach Aktenlage handelt. Darüber hinaus ergibt sich aus<br />

dem Schriftsatz des Klägers vom 22.6.2011, in dem der Kläger<br />

ausdrücklich die Anberaumung eines Termins zur mündlichen<br />

Verhandlung beantragt hat, auf den aber das Arbeitsgericht<br />

in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen ist, dass das<br />

Arbeitsgericht den Erlass einer Entscheidung nach Aktenlage<br />

angekündigt hat.<br />

Die nach Lage der Akte getroffene Entscheidung war jedoch<br />

nicht zulässig.<br />

b. Nach § 251a ZPO kann ein Urteil nach Aktenlage nur ergehen,<br />

wenn beide Parteien nicht erscheinen bzw. nicht verhandeln,<br />

während § 331a die Möglichkeit einer Aktenlageentscheidung<br />

beim Ausbleiben einer Partei auf Antrag der Anwesenden<br />

vorsieht. Ein Urteil nach Aktenlage setzt in beiden Fällen<br />

nach § 251a Abs. 2 ZPO zwingend voraus, dass in einem<br />

früheren Termin bereits mündlich verhandelt worden ist. Die<br />

Voraussetzungen des § 251a ZPO, dass vorliegend auch nach<br />

Ansicht des Arbeitsgericht maßgeblich war, liegen nicht vor.<br />

aa. In dem Gütetermin vom 26.11.2010 wurden keine Sachanträge<br />

gestellt. Es wurde allenfalls die Sach- und Rechtslage mit<br />

den Parteien erörtert, auch wenn das Protokoll dazu keine<br />

ausdrückliche Feststellung enthält.<br />

Es wird zwar teilweise die Ansicht vertreten, dass im arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahren im ersten Kammertermin ein Urteil<br />

nach Aktenlage gemäß §§ 251a, 331a ZPO gefällt werden<br />

kann, wenn eine Güteverhandlung stattgefunden hat, in der<br />

die Sach- und Rechtslage erörtert worden ist (so: LAG Berlin,<br />

Urt. v. 3.2.1997–9Sa133/96, LAGE § 251a ZPO Nr. 1; LAG Hessen,<br />

Urt. v. 31.10.2000 – 9 Sa 2072/99, MDR 2001, 517; Korinth,<br />

in: Schwab/Weth, 3. Aufl. 2011, § 59 ArbGG Rn 53; Lepke, DB<br />

1997, 1564 ff.). Die Kammer schließt sich jedoch der wohl<br />

überwiegend vertretenen Gegenansicht an, nach der die Erörterung<br />

der Sach- und Rechtslage im Gütetermin keine mündliche<br />

Verhandlung im Sinne des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist,<br />

so dass ein Urteil nach Aktenlage nicht, ergehen darf (so LAG<br />

Hamm, Urt. v. 4.3.2011 – 18 Sa 907/10, juris; LAG Hessen, Urt.<br />

v. 5.11.2010 – 3 Sa 602/10, juris; LAG Bremen, Urt. v.<br />

25.6.2009 – 2 Sa 67/<strong>03</strong>, juris; Creutzfeld, in: Bader/Creutzfeld/<br />

Friedrich, 5. Aufl. 2008, § 55 ArbGG Rn 9; Helmel, in: Hauck/<br />

Hellmel/Bibel, 4. Aufl. 2011, § 55 ArbGG Rn 32; Koch, in: Erfurter<br />

Kommentar zum Arbeitsrecht; 11. Aufl. 2011, ErfK/Koch<br />

§ 55 ArbGG Rn 4; Kloppenburg/Ziemann, in: Düwell/Lipke, 2.<br />

Aufl. 2005, § 55 ArbGG Rn 32 und Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,<br />

7. Aufl. 2009, § 55 ArbG<br />

Rn 17).<br />

Eine systematisch-teleologische Auslegung des § 251a Abs. 2<br />

Satz 1 ZPO ergibt, dass die Parteien nur dann mündlich im<br />

Sinne dieser Vorschrift verhandelt haben, wenn in einem vorherigen<br />

Termin Anträge gestellt worden sind (vgl. Thomas/<br />

Putzo; 31. Aufl. 2010, § 251a Rn 3; MüKo/Gehrlein, zur ZPO, 3.<br />

Aufl. 2008, § 251a ZPO Rn 16; Roth, in: Stein/Jonas, 22. Aufl.<br />

180<br />

<strong>03</strong>/12


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 53 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

2005, 251 a ZPO Rn 13; LAG Bremen, Urt. v. 25.6.20<strong>03</strong> –2Sa<br />

67/<strong>03</strong>; LAG Hessen, Urt. v. 15.11.2010 –3Sa602/10, juris).<br />

In gesetzessystematischer Hinsicht ist gemäß zunächst § 137<br />

Abs. 1 ZPO zu beachten: Die mündliche Verhandlung wird dadurch<br />

eingeleitet, dass die Parteien ihre Sachanträge stellen.<br />

§ 297 ZPO sieht vor, dass die Anträge aus den vorbereiteten<br />

Schriftsätzen zu verlesen sind, zu Protokoll erklärt werden<br />

oder dass die Parteien auf Schriftsätze Bezug nehmen, die die<br />

Anträge enthalten. Diese Vorschriften tragen der Notwendigkeit<br />

Rechnung, den Gegenstand des Prozesses durch eine<br />

konkrete Antragstellung zu bestimmen. Denn das Gericht ist<br />

nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt<br />

ist (§ 308 Abs. 1 ZPO). Dem Antragserfordernis wird<br />

durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage<br />

nicht Genüge getan (vgl. BAG, Urt. v. 1.12.2004 – 5 AZR<br />

121/04, juris). Vielmehr bedarf es aus Gründen der prozessualen<br />

Klarheit und wegen der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis<br />

des Gerichts abzugrenzen, jedenfalls grundsätzlich<br />

einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts<br />

ausgerichteten Antragstellung.<br />

Nur dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 251a<br />

Abs. 2 Satz 1 ZPO. Mit der Voraussetzung der mündlichen Verhandlung<br />

bezweckt die Vorschrift, dass die Parteien ihre<br />

Standpunkte wenigstens einmal mündlich vortragen konnten<br />

und das Gericht Gelegenheit zur Ausübung seines Fragerechts<br />

hatte (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 4.3.2011 – 18 Sa 907/10,<br />

juris; LAG Hessen, Urt. v. 5.11.2010 – 3 Sa 602/10, juris). Der<br />

Zweck des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO ist im Streitfall ausgehend<br />

von der Annahme des Arbeitsgerichts, dass die Parteien in<br />

dem Kammertermin nicht verhandelt haben, nicht erreicht<br />

worden. Das Gericht und insbesondere die ehrenamtlichen<br />

Richter, die in der Güteverhandlung, die allein gegen den Beklagten<br />

zu 1) durchgeführt worden ist, nicht beteiligt waren,<br />

konnten mangels einer vor der Kammer durchgeführten Verhandlung<br />

von ihrem Fragerecht keinen Gebrauch machen.<br />

bb. § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG rechtfertigt keine abweichende<br />

Beurteilung.<br />

Nach dieser Vorschrift beginnt die mündliche Verhandlung im<br />

arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren mit einer Verhandlung<br />

vor dem Vorsitzenden zum Zwecke der gütlichen Einigung<br />

der Parteien. § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG berechtigt jedoch das<br />

Arbeitsgericht nicht dazu, nach vorausgegangener Güteverhandlung<br />

bei Säumnis einer Partei im Kammertermin ein Urteil<br />

nach Aktenlage zu erlassen. Denn diese Vorschrift stellt lediglich<br />

klar, dass in Abgrenzung zu § 137 Abs. 1 ZPO zu Beginn<br />

der Güteverhandlung keine Anträge zu stellen sind, damit<br />

eine ungehinderte Erörterung der Sache mit dem Ziel einer<br />

gütlichen Einigung erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund<br />

ordnet auch § 54 Abs. 2 Satz 1 ArbGG an, dass die Klage<br />

bis zum Stellen der Anträge im Kammertermin ohne Einwilligung<br />

der beklagten Partei zurückgenommen werden kann.<br />

Die Befugnis, ein Urteil nach Lage der Akte zu erlassen, richtet<br />

sich ausschließlich nach der Vorschrift des § 251a Abs. 2 Satz<br />

Prozessuales<br />

1 ZPO, die auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren gemäß<br />

§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 495 ZPO gilt.<br />

Soweit es nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung auf<br />

den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt, ist für<br />

das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren anerkannt, dass insoweit<br />

auf die streitige Verhandlung im Kammertermin und<br />

nicht auf die Güteverhandlung abzustellen ist. § 54 Abs. 2 Satz<br />

3 ArbGG ordnet dies ausdrücklich an im Hinblick auf die Zuständigkeit<br />

des Gerichts infolge rügeloser Verhandlung (§ 39<br />

Satz 1 ZPO) und im Hinblick auf Rügen, die die Zulässigkeit<br />

der Klage betreffen (§ 282 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Das Gleiche gilt<br />

hinsichtlich der Rechtswegrüge und der vermuteten Einwilligung<br />

in die Klageänderung gemäß § 267 ZPO (Schumann, in:<br />

Stein/Jonas, 21. Aufl., § 267 ZPO Rn 6). Im arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahren ist damit der Mündlichkeitsgrundsatz besonders<br />

ausgeprägt und eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung<br />

im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO gemäß<br />

§ 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG nicht möglich. Dass im Rahmen des<br />

§ 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits die Güteverhandlung als<br />

mündliche Verhandlung anzusehen sein soll, lässt sich auch<br />

nicht mit dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz für arbeitsgerichtliche<br />

Streitigkeiten plausibel begründen. Denn<br />

das Arbeitsgericht hat die Möglichkeit, das Verfahren zu beschleunigen,<br />

in dem es Ausschlussfristen gemäß §§ 56 Abs. 2,<br />

61a Abs. 5 ArbGG setzt. Der prozessual zulässigen Flucht in die<br />

Säumnis kann begegnet werden, in dem ein Versäumnisurteil<br />

erlassen und nach Eingang der Einspruchsschrift zeitnah terminiert<br />

wird. Vorliegend kommt hinzu, dass die Klage mit<br />

dem Weiterbeschäftigungsantrag gegen die Beklagte zu 2)<br />

erst mit Schriftsatz vom 4.3.2011, also erst nach dem Gütetermin<br />

vom 26.11.2010 erweitert worden ist, sodass insoweit die<br />

Sach- und Rechtslage auch nicht im Gütetermin erörtert worden<br />

ist.<br />

2. Die unzulässige Entscheidung des Arbeitsgerichts nach<br />

Lage der Akten führt zur Zurückweisung des Rechtsstreits entsprechend<br />

§ 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO.<br />

a. Die Sonderregelung des § 68 ArbGG steht einer grundsätzlichen<br />

Anwendbarkeit des § 538 Abs. 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahren nicht entgegen.<br />

aa. Nach § 68 ArbGG ist zwar die Zurückverweisung wegen eines<br />

Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig. Es<br />

ist jedoch allgemein anerkannt, dass eine Zurückverweisung<br />

stets zu erfolgen hat, wenn der erstinstanzliche Verfahrensmangel<br />

vom Berufungsgericht nicht mehr korrigiert werden<br />

kann (BAG, Urt. v. 4.5.2011 – 7 AZR 252/10, NZA 2011, 1178;<br />

Urt. v. 26.6.2008 – 6 AZR 478/07, DB 2009, 797; ErfK/Koch, §68<br />

ArbGG Rn 3; Vossen, in: GK-ArbGG, § 68 ArbGG Rn 12; Pfeiffer,<br />

in: Natter/Gross, § 68 ArbGG Rn 4; Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge,<br />

§ 68 ArbGG Rn 4<br />

m.w.N.). Diese Einschränkung folgt aus einer teleologischen<br />

Reduktion des Wortlauts des § 68 ArbGG vor dem Hintergrund<br />

der verfassungsrechtlich verankerten Rechtsschutzgarantie<br />

(Pfeiffer, in: Natter/Gross, § 68 ArbGG Rn 3; Schwab, in:<br />

Schwab/Weth, § 68 ArbGG Rn 38). Liegt dagegen kein Verfah-<br />

<strong>03</strong>/12 181


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 54 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

rensfehler vor, so greift die Sonderregelung des § 68 ArbGG,<br />

die die Zurückweisung grundsätzlich abweichend von § 538<br />

Abs. 2 Nr. 1 ausdrücklich ausschließt, nicht ein. Eine Zurückweisung<br />

kommt allerdings nur unter den Voraussetzungen<br />

des § 538 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 ZPO in Betracht bzw. in den Fällen,<br />

in denen die Sachlage den in § 538 Abs. 2 ZPO aufgeführten<br />

Fällen sehr ähnlich ist, sodass eine entsprechende Anwendung<br />

dieser Vorschrift geboten ist (vgl. BAG, Urt. v.<br />

21.11.2000 – 9 AZR 665/99, NZA 2001, 1093, BAG, Urt. v.<br />

15.7.1969 – 2 AZR 498/68, AP Nr. 17 zu § 794 ZP; ErfK/Koch,<br />

§ 68 ArbGG Rn 1).<br />

bb. Im Streitfall liegt zum einen ein wesentlicher Mangel vor,<br />

der in der Berufungsinstanz nicht zu beheben ist. Das Arbeitsgericht<br />

hat eine Entscheidung in der Sache getroffen, obwohl<br />

nach seiner Annahme bisher keine Erörterung der Sach- und<br />

Rechtslage vor einer vollbesetzten Kammer stattgefunden<br />

und die Parteien in der Kammerverhandlung keine Anträge<br />

gestellt haben. Dieser Mangel ist nicht nach § 295 ZPO heilbar<br />

(BAG, Urt. v. 4.12.2002 – 5 AZR 556/01).<br />

Eine Sachentscheidung durch das Berufungsgericht wäre<br />

dem Einwand ausgesetzt, dass überhaupt noch keine zweiseitige<br />

Verhandlung vor der vollbesetzten Kammer des Arbeitsgerichts<br />

stattgefunden hat und dem Kläger insoweit eine Instanz<br />

genommen würde (vgl. BAG, Urt. v. 4.12.2002 – 5 AZR<br />

556/01 zu den entsprechenden Erwägungen aus: Sicht der<br />

Revisionsinstanz). Der Kläger hat sich vor dem Arbeitsgericht<br />

auch nicht damit einverstanden erklärt, dass eine instanzabschließende<br />

Entscheidung ergeht. Weder die Erörterung der<br />

Sach- und Rechtslage in der Güteverhandlung noch die nach<br />

Ansicht des Arbeitsgerichts unterbliebene Antragsstellung<br />

und Verhandlung im Kammertermin lassen sich prozessual als<br />

ein Einverständnis des Klägers interpretieren, dass über die<br />

Kündigungsschutzklage erstinstanzlich ohne Erörterung der<br />

Sach- und Rechtslage vor der vollbesetzten Kammer abschließend<br />

entschieden werden soll (LAG Bremen, Urt. v.<br />

25.6.20<strong>03</strong> – 2 Sa 67/<strong>03</strong>). Im Gegenteil: Dadurch, dass im Kammertermin<br />

trotz Anwesenheit der Parteienvertreter sowie des<br />

Klägers und des Geschäftsführers der Beklagten zu 2) die Parteien<br />

vor der vollbesetzten Kammer nach der Annahme des<br />

Arbeitsgerichts nicht verhandelt haben und der Klägervertreter<br />

erklärt hat, dass er keinen Antrag stellen werde, hat er unmissverständlich<br />

zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer<br />

Sachentscheidung ohne eine mündliche Verhandlung vor der<br />

vollbesetzten Kammer nicht einverstanden ist. Dementsprechend<br />

hat der Kläger auch folgerichtig zweitinstanzlich nur<br />

hilfsweise Sachanträge gestellt und vorrangig ausdrücklich<br />

die Zurückverweisung an das Arbeitsgericht unter Hinweis<br />

darauf beantragt, dass eine Entscheidung nach Aktenlage<br />

nicht hätte ergehen dürfen.<br />

cc. Der zu entscheidende Sachverhalt ist jedenfalls den in<br />

§ 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO geregelten Fallkonstellationen<br />

sehr ähnlich. Nach § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kann das Berufungsgericht<br />

die Sache an das Arbeitsgericht des ersten<br />

Rechtszuges zurückverweisen, wenn durch das angefochtene<br />

Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen worden ist. Nach<br />

§ 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO kommt eine Zurückverweisung in Betracht,<br />

wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist.<br />

Kennzeichnend für die in § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO geregelten<br />

Fälle ist, dass es zu einer eigentlichen Sachentscheidung<br />

in erster Instanz nicht oder jedenfalls nicht aufgrund einer<br />

streitigen Verhandlung gekommen ist, was auch bei § 538<br />

Abs. 2 Nr. 3 ZPO der Fall ist. Durch die Zurückweisung in den<br />

Fällen des § 538 Abs. 2 Nr. 2 bis 7, in denen die Sonderregelung<br />

des § 68 ArbGG nicht eingreift, soll also verhindert werden,<br />

dass den Partein bei einer unrichtigen Säumnis- oder<br />

Prozessentscheidung eine Tatsacheninstanz verloren geht<br />

(vgl. BAG, Urt. v. 15.7.1969 – 2 AZR 498/68, AP Nr. 17 zu § 794<br />

ZPO).<br />

Im vorliegenden Fall lag im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht<br />

nach Ansicht des Arbeitsgerichts mangels des Verhandelns<br />

der Parteien eine Säumnissituation vor, die auch den<br />

Hintergrund der Regelung des § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO<br />

bildet. Im Verfahrensstadium der ersten Kammerverhandlung<br />

nach gescheiterter Güteverhandlung stellt sich die Entscheidung<br />

nach Aktenlage als verdeckte Säumnisentscheidung dar,<br />

gegen die nicht mehr in erster Instanz vorgegangen werden<br />

kann. Vorliegend hat das Arbeitsgericht in einer angenommenen<br />

Säumnissituation in der Sache selbst entschieden, obwohl<br />

es selbst das bisherige Vorbringen des Klägers, insbesondere<br />

sein Bestreiten von Tatsachen, die nicht Gegenstand<br />

der eigenen Wahrnehmung waren, für nicht ausreichend<br />

hielt, ohne darauf hinzuweisen. Denn auch im vorliegenden<br />

Fall wird die erste Instanz beendet und die abwesende Partei<br />

wird auf das Rechtsmittel der Berufung beschränkt, so dass<br />

der streitgegenständliche Sachverhalt ebenso zu bewerten<br />

ist, wie die gesetzlich in § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO geregelten<br />

Tatbestände. Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht<br />

aufgrund einer Ermessenentscheidung ist damit bei vorliegender<br />

Fallkonstellation möglich ist (LAG Hamm, Urt. v.<br />

4.3.2011 – 18 Sa 907/10, juris; LAG Bremen, Urt. v. 25.6.2002 –<br />

2 Sa 67/<strong>03</strong>, juris; Vossen, in: GK-ArbGG, Stand: April 2010, § 68<br />

ArbGG Rn 23; ErfK/Koch, § 68 ArbGG Rn 1, 4).<br />

Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits<br />

nach § 538 Abs. 2 ZPO liegen somit einschließlich des<br />

entsprechenden Zurückweisungsantrags des Klägers, der<br />

zwingende Voraussetzung für eine Zurückweisung ist (vgl.<br />

Zöller/Heßler, 28. Aufl. 2010, § 538 ZPO Rn 56 m.w.N.), vor.<br />

Nach § 538 Abs. 2 ZPO steht die Zurückverweisung im Ermessen<br />

des Berufungsgerichts (Zöller/Heßler, § 538 ZPO Rn 6 ff.).<br />

Im Streitfall führt die Ausübung des Ermessens zur Zurückverweisung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 14.12.2011, 2 Sa 1250/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

info@gm-arbeitsrecht.de<br />

182<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 55 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

214. Aussetzung, Vorgreiflichkeit, sozialgerichtliche<br />

Entscheidung, Folge einer fehlerhaften<br />

Ermessensausübung durch das Arbeitsgericht<br />

1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung<br />

des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder<br />

Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, die den<br />

Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet,<br />

anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen<br />

Rechtsstreits auszusetzen ist. Sofern keine gesetzliche Verpflichtung<br />

zur Aussetzung besteht, hat das Gericht zweistufig<br />

zu prüfen, ob eine Aussetzung vorzunehmen ist (vgl. LAG Niedersachsen<br />

4.5.2006 – 12 Ta 47/06, LAGE § 148 ZPO 2002<br />

Nr. 3a). Zunächst hat das Gericht auf der Tatbestandsseite festzustellen,<br />

ob ein anderer Rechtsstreit vorgreiflich i.S.d. § 148<br />

ZPO ist. Liegt diese Voraussetzung vor, ist auf der Rechtsfolgenseite<br />

zu überprüfen, ob die Aussetzung in Wahrnehmung<br />

des richterlichen Ermessens geboten ist. Dazu hat eine umfassende<br />

Abwägung der Vorteile einer Aussetzung gegenüber<br />

den Nachteilen stattzufinden (LAG Hamm, v. 21.3.2011 –1Ta<br />

130/11 – NRW-E; v. 18.10.2010 –1Ta494/10 – NRW-E; LAG<br />

Niedersachsen, v. 4.5.2006 – 12 Ta 47/06 – LAGE § 148 ZPO<br />

2002 Nr. 3a; LAG Köln, v. 17.12.20<strong>03</strong> – 3 Ta 384/<strong>03</strong> – FA 2004,<br />

128, juris; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl. <strong>2012</strong>, § 148 Rn 7).<br />

1. Auf der Tatbestandsseite ist Voraussetzung für eine Aussetzung<br />

nach § 148 ZPO, dass die auszusetzende Entscheidung<br />

von jener abhängig ist, die in einem anderen Rechtsstreit zu<br />

treffen ist. Diese muss damit vorgreiflich für die Entscheidung<br />

sein, die auszusetzen ist. Das ist nur dann der Fall, wenn im<br />

anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 ZPO<br />

entschieden wird, dessen Bestehen für den vorliegenden<br />

Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung hat (Zöller/Greger, ZPO,<br />

29. Aufl. <strong>2012</strong>, § 148 Rn 5).<br />

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass<br />

das sozialgerichtliche Verfahren für den Ausgang dieses<br />

Rechtsstreits vorgreiflich ist. Wird dort dem Begehren des Klägers<br />

Rechnung getragen, steht fest, dass die hier streitgegenständliche<br />

Kündigung vom 16.12.2010 rechtsunwirksam ist,<br />

weil ihr die nach § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des<br />

Integrationsamtes fehlt. Das Gericht hat in seiner Entscheidung<br />

ferner angenommen, weitere Unwirksamkeitsgründe<br />

seien nicht erkennbar, so dass es letztlich – auch für die Folgekündigung<br />

vom 27.5.2011 – nur noch darauf ankomme, ob<br />

die Zustimmung des Integrationsamtes im Zeitpunkt des Ausspruches<br />

der Kündigung gegeben sei. Letztlich werden die<br />

Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Vorgreiflichkeit von der<br />

sofortigen Beschwerde auch nicht angegriffen.<br />

2. Indes weist die sofortige Beschwerde zu Recht darauf hin,<br />

dass es im Beschl. v. 21.3.<strong>2012</strong> an einer Ermessensausübung<br />

des Gerichts fehlt. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, ob<br />

sich das Gericht darüber bewusst war, dass für die Bejahung<br />

der Aussetzung nach § 148 ZPO nicht nur die Vorgreiflichkeit<br />

des anderen Rechtsstreits Voraussetzung ist, sondern es darüber<br />

hinaus zusätzlich einer richterlichen Ermessensausübung<br />

Prozessuales<br />

auf der Rechtsfolgenseite bedarf. Auch der Entscheidung des<br />

Gerichts gem. § 572 Abs. 1 ZPO vom 4.4.<strong>2012</strong> kann nicht entnommen<br />

werden, ob das Gericht eine solche Ermessensentscheidung<br />

angestellt hat.<br />

In diesem Beschluss wird alleine auf die Ausführungen in der<br />

angefochtenen Entscheidung verwiesen, die sich lediglich mit<br />

der Rechtsfrage der Vorgreiflichkeit befasst hat, ohne eigene<br />

Ermessensüberlegungen des Gerichts wiederzugeben.<br />

Das Beschwerdegericht selbst ist nicht in der Lage, die fehlende<br />

Ermessensausübung des Arbeitsgerichts nachzuholen.<br />

Es hat lediglich zu prüfen, ob das Arbeitsgericht den Ermessensspielraum<br />

überschritten hat, von dem ihm eingeräumten<br />

Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender<br />

Weise Gebrauch gemacht hat (LAG Hamm, v.<br />

21.3.2011 – 1 Ta 130/11 NRW-E; v. 18.10.2010 – 1 Ta 494/10 –<br />

NRW-E; LAG Nürnberg, v. 18.9.2006 –7Ta169/06 – juris; LAG<br />

Köln, v. 18.8.2005 – 18 (13) Ta 300/05 – LAGE § 148 ZPO 2002<br />

Nr. 3; Hessisches LAG, v. 7.8.20<strong>03</strong> – 11 Ta 267/<strong>03</strong> – NZA-RR<br />

2004, 264) oder aber eine Ermessensausübung unterblieben<br />

ist (LAG Niedersachsen, v. 4.5.2006 – 12 Ta 47/06 – LAGE § 148<br />

ZPO 2002 Nr. 3a; LAG Köln, v. 17.12.20<strong>03</strong> – 3 Ta 384/<strong>03</strong> – FA<br />

2004, 128, juris).<br />

Der Begründung der angefochtenen Entscheidung ist nicht zu<br />

entnehmen, dass das Arbeitsgericht eine eigene Ermessensentscheidung<br />

angestellt hat. Es ist vor diesem Hintergrund<br />

auch nicht erkennbar, ob das Arbeitsgericht dem Beschleunigungsgrundsatz<br />

bei Bestandsstreitigkeiten nach § 61a ArbGG<br />

im Rahmen einer Ermessensentscheidung ausreichende Bedeutung<br />

hat zukommen lassen. Er ist Ausprägung des verfassungsrechtlich<br />

gewährleisteten Gebotes effektiven Rechtsschutzes.<br />

In ihm dokumentiert sich, dass ein zügiges Verfahren<br />

vor dem Arbeitsgericht sowohl für den Arbeitnehmer wie<br />

auch für den Arbeitgeber von besonderer Bedeutung ist. Eine<br />

Aussetzung des Kündigungsschutzverfahrens, bei dem auch<br />

der Stand des vorgreiflichen Rechtsstreits und dessen voraussichtliche<br />

Dauer in die Abwägung einzustellen ist, kommt daher<br />

nur in Ausnahmefällen in Betracht (BAG, v. 27.4.2006 – 2<br />

AZR 360/05 – NZA 2007, 229; LAG Hamm, v. 18.10.2010 –1 Ta<br />

494/10 NRW-E).<br />

Unterlässt ein Gericht bei der Entscheidung über einen Aussetzungsantrag<br />

nach § 148 ZPO die erforderliche Ermessensausübung,<br />

ist der Beschluss aufzuheben. Das Verfahren ist<br />

demgemäß fortzusetzen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 9.5.<strong>2012</strong>, 7 Ta 167/12<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Steffen Müller<br />

Von-Scheibler-Straße 10, 58636 Iserlohn<br />

Tel.: 02371/835555, Fax: 02371/835556<br />

info@gm-arbeitsrecht.de<br />

215. Beweiskraft einer Quittung<br />

aa) Nach § 368 Satz 1 BGB hat der Gläubiger gegen Empfang<br />

der Leistung auf Verlangen ein schriftliches Empfangsbe-<br />

<strong>03</strong>/12 183


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 56 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

kenntnis (Quittung) zu erteilen. Die ordnungsgemäß errichtete<br />

Quittung erbringt gemäß § 416 ZPO den formellen Beweis,<br />

dass der Gläubiger den Erhalt der Leistung bestätigt hat<br />

(Müko/BGB/Wenzel, 5. Aufl., § 368 BGB Rn 5). Steht – wie hier –<br />

die Echtheit der Namensunterschrift auf einer Urkunde fest,<br />

so hat die über der Unterschrift stehende Schrift nach § 440<br />

Abs. 2 ZPO die Vermutung der Echtheit für sich. Dies gilt auch<br />

bei Blankounterschriften und selbst bei einem sog. Blankettmissbrauch,<br />

wie er hier vom Kläger behauptet wird. In einem<br />

solchen Fall hat der Unterzeichner die Vermutungswirkung<br />

des § 440 Abs. 2 ZPO durch den Beweis des Gegenteils (§ 292<br />

ZPO) zu widerlegen (BGH, v. 17.4.1986 – 111 ZR 215/84 – NJW<br />

1986, 3086 f. m.w.N.; LAG Mecklenburg-Vorpommern, v.<br />

29.11.2001 – 1 Sa 384/00 – nv.; vgl. auch BGH, v. 16.12.1999 –<br />

IX ZR 36/98 – NJW 2000, 1179 ff.; T/P, 32. Aufl., § 440 ZPO Rn 2).<br />

■ Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main<br />

vom 24.2.<strong>2012</strong>, 3 Sa 107/10<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry<br />

Mainzer Landstraße 107, 6<strong>03</strong>29 Frankfurt am Main<br />

Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />

info@ra-chaudhry.de<br />

216. Nichtzulassungsbeschwerde, Anforderungen an die<br />

Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs<br />

1. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72<br />

Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG eine entscheidungserhebliche Verletzung<br />

des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht,<br />

muss nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG die Beschwerdebegründung<br />

die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs<br />

und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Die<br />

bloße Benennung eines Zulassungsgrundes genügt nicht. Der<br />

Beschwerdeführer hat vielmehr zu dessen Voraussetzungen<br />

substantiiert vorzutragen (BAG, v. 20.5.2008 – 9 AZN 1258/<br />

07 – 22 m.w.N., BAGE 126, 346).<br />

Das Beschwerdegericht muss dadurch in die Lage versetzt<br />

werden, allein anhand der Lektüre der Beschwerdebegründung<br />

und des Berufungsurteils die Voraussetzungen für die<br />

Zulassung zu prüfen.<br />

Will der Beschwerdeführer geltend machen, das Landesarbeitsgericht<br />

habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt,<br />

indem es seine Ausführungen nicht berücksichtigt habe,<br />

muss er konkret und im Einzelnen schlüssig dartun, welches<br />

wesentliche und entscheidungserhebliche Vorbringen das<br />

Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung übergangen<br />

haben soll (vgl. BAG, v. 31.5.2006 – 5 AZR 342/06 (F) – Rn 6,<br />

BAGE 118, 229). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein<br />

Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen<br />

und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen<br />

nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich<br />

zu behandeln. Allein der Umstand, dass sich die<br />

Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt<br />

nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt daher<br />

nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichts-<br />

punkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen. Vielmehr bedarf<br />

es hierzu besonderer Umstände (BAG, v. 22.3.2005 – 1<br />

ABN 1/05 – zu 113 a der Gründe, AGE 114, 157 unter Bezugnahme<br />

auf BVerfG B. Oktober 20<strong>03</strong> – 2 BvR 949/02 – zu 11 1<br />

a der Gründe, EzA GG Art. 1<strong>03</strong> Nr. 5). Ein rügebezogener Vortrag<br />

wird dabei nicht durch die umfassende wörtliche Wiedergabe<br />

von Schriftsätzen ersetzt. Deren Inhalt ist vielmehr jeweils<br />

konkret auf die gerügte Verletzung des Anspruchs auf<br />

rechtliches Gehör zu beziehen (BAG, v. 1.9.2010 – 5 AZN 599/<br />

10 – Rn 9, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 72 = EzA ArbGG 1979<br />

§ 72a Nr. 124).<br />

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer die Entscheidungserheblichkeit<br />

der Gehörsverletzung darzutun. Hierzu muss<br />

nachvollziehbar dargelegt werden, dass das Landesarbeitsgericht<br />

nach seiner Argumentationslinie unter Berücksichtigung<br />

des entsprechenden Gesichtspunkts möglicherweise anders<br />

entschieden hätte (BAG, v. 22.3.2005 – 1 ABN 1/05 – zu 113 a<br />

der Gründe, BAGE 114, 157).<br />

■ Bundesarbeitsgericht<br />

vom 12.12.2011, 9 AZN 1009/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ijaz Chaudhry<br />

Mainzer Landstraße 107, 6<strong>03</strong>29 Frankfurt am Main<br />

Tel.: 069/25627137, Fax: 069/25627138<br />

info@ra-chaudhry.de<br />

217. Rechtsschutzbedürfnis, keine Klage auf<br />

Entgeltmitteilung an Krankenversicherungsträger<br />

Für eine Leistungsklage, mit der der Arbeitnehmer von seinem<br />

Arbeitgeber eine Korrektur von Entgeltmitteilungen gegenüber<br />

der Krankenkasse verlangt, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.<br />

Einwendungen gegen die Entgeltmitteilungen<br />

des Arbeitgebers und die auf deren Grundlage erfolgte<br />

Berechnung des Krankengeldes kann und muss der Arbeitnehmer<br />

im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Sozialversicherungsträger<br />

und ggf. vor dem Sozialgericht geltend machen.<br />

Denn im Verwaltungsverfahren hat der Sozialversicherungsträger<br />

den Sachverhalt gemäß § 20 SGB X von Amts wegen<br />

zu ermitteln und in eigener Zuständigkeit zu entscheiden,<br />

ob und ggf. in welcher Höhe dem Anspruchsteller Leistungen<br />

der Sozialversicherung zustehen (BSG, v. 12.12.1990 –<br />

11 RAr 43/88). Die Sozialversicherungsträger und die Sozialgerichte<br />

sind weder an die Angaben in einer Entgeltbescheinigung<br />

des Arbeitgebers noch an ein arbeitsgerichtliches Urteil<br />

gebunden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 13.12.2011, 3 Sa 483/11<br />

218. Rechtsweg, arbeitsgerichtliche Zuständigkeit für<br />

Klagen gegen Gesellschafter und Rechtsnachfolger des<br />

Arbeitgebers<br />

Die durch § 3 ArbGG erweiterte Rechtswegzuständigkeit der<br />

Gerichte für Arbeitssachen umfasst auch die Haftung für arbeitsrechtliche<br />

Ansprüche aus eigenständigen Rechtsgrün-<br />

184<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 57 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

den. Dazu gehören insbesondere die Fälle, in denen der Arbeitnehmer<br />

den Gesellschafter seiner Arbeitgeberin (GmbH)<br />

im Wege der Durchgriffshaftung sowie gemäß § 826 BGB in<br />

Anspruch nimmt (BAG, v. 13.6.1997 – 9 AZB 38/96) und/oder<br />

eine Haftung für arbeitsrechtliche Ansprüche wegen Firmenfortführung<br />

(§ 25 HGB) geltend macht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 7.2.<strong>2012</strong>, 3 Ta 2/12<br />

219. Rechtsweg, Arbeitnehmerbegriff, Organ im<br />

Eigenbetrieb, Bedeutung vertraglicher Vereinbarungen<br />

zum Arbeitsrechtsstatus<br />

Aus den Gründen:<br />

2. Gemäß den § 2 Abs. 1 Nr. 3, 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG sind die<br />

Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten<br />

zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dabei<br />

richtet sich die Zuständigkeit für derartige Streitigkeiten<br />

über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses<br />

nach § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG.<br />

§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG steht der Zulässigkeit des beschrittenen<br />

Rechtswegs im vorliegenden Fall nicht entgegen.<br />

a) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten nicht als Arbeitnehmer<br />

in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit<br />

Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder<br />

Gesellschaftervertrages allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans<br />

zur Vertretung der juristischen Person oder der<br />

Personengesamtheit berufen sind. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG betrifft<br />

das der Organstellung zugrunde liegende Rechtsverhältnis.<br />

Dieses ist von der Organstellung zu unterscheiden. Die Bestellung<br />

und Abberufung als Vertretungsorgan sind ausschließlich<br />

körperschaftsrechtliche Rechtsakte. Durch sie werden<br />

gesetzliche oder satzungsmäßige Kompetenzen übertragen<br />

oder wieder entzogen. Dagegen ist die Anstellung zum<br />

Zweck des Tätigwerdens als Vertretungsorgan ein schuldrechtlicher<br />

Vertrag. Die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt<br />

unabhängig davon, ob das der Organstellung zugrunde liegende<br />

Rechtsverhältnis materiell-rechtlich ein freies Dienstverhältnis<br />

oder ein Arbeitsverhältnis ist. Auch wenn das Anstellungsverhältnis<br />

zwischen juristischer Person und Vertretungsorgan<br />

wegen starker interner Weisungsabhängigkeit als<br />

Arbeitsverhältnis anzusehen ist und deshalb dem materiellen<br />

Arbeitsrecht unterliegt, sind zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten<br />

aus dieser Rechtsbeziehung wegen § 5 Abs. 1<br />

Satz 3 ArbGG die ordentlichen Gerichte berufen. Nur dann,<br />

wenn die Rechtsstreitigkeit zwischen dem Mitglied des Vertretungsorgans<br />

und der juristischen Person nicht das der Organstellung<br />

zugrunde liegende Rechtsverhältnis, sondern<br />

eine weitere Rechtsbeziehung betrifft, greift die Fiktion des<br />

§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht ein (vgl. BAG, Beschl. v.<br />

6.5.1999 – 5 AZB 22/98 – AP Nr. 46 zu § 5 ArbGG 1979; BAG,<br />

Prozessuales<br />

Beschl. v. 20.8.20<strong>03</strong> – 5 AZB 79/02 – AP Nr. 58 zu § 5 ArbGG<br />

1979; BAG, Beschl. v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08 – AP Nr. 66 zu<br />

§ 5 ArbGG 1979).<br />

b) Sinn des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist es, Organe juristischer<br />

Personen oder gesetzliche Vertreter von Personengesamtheiten<br />

aus dem Geltungsbereich des Arbeitsgerichtsgesetzes<br />

auszunehmen, wenn sie einen Rechtsstreit mit den juristischen<br />

Personen oder Personengesamtheiten führen, der nach<br />

Zeit, Anlass, Rechtsgrund und Anspruchsträgerschaft von<br />

vornherein auf der Repräsentantenstellung der in § 5 Abs. 1<br />

Satz 3 ArbGG genannten Personen selbst beruht. Für solche<br />

„Hausstreitigkeiten" im Arbeitgeberbereich sollen die Gerichte<br />

für Arbeitssachen nicht zuständig sein. In diesen Fällen<br />

handelt es sich nicht um eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer, sondern um eine Streitigkeit im<br />

„Arbeitgeberlager", denn Personen, die Mitglieder des Vertretungsorgans<br />

der juristischen Person oder der Personengesamtheit<br />

sind, nehmen für diese Arbeitgeberfunktionen wahr.<br />

Sie sind der personifizierte Arbeitgeber (vgl. BAG, Beschl. v.<br />

20.8.20<strong>03</strong> – 5 AZB 79/02 – AP Nr. 58 zu § 5 ArbGG 1979).<br />

Aus diesem Grunde hat das Bundesarbeitsgericht in dem<br />

Beschl. v. 17.12.2008 – 5 AZB 69/08 (NZA-RR 2009, 330) – § 5<br />

Abs. 1 Satz 3 ArbGG im Falle des Ersten Werkleiters eines Eigenbetriebs<br />

einer Kommune nicht für anwendbar erachtet,<br />

weil der Eigenbetrieb ohne eigene Rechtspersönlichkeit errichtet<br />

war. Nach der Verordnung über die Eigenbetriebe der<br />

Gemeinden, die dort anwendbar war, leitete der Erste Werkleiter<br />

zwar die laufenden Geschäfte des Eigenbetriebs selbstständig<br />

und entschied in allen Angelegenheiten des Eigenbetriebs,<br />

soweit dies nicht anderen Organen vorbehalten war.<br />

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vertrat aber der<br />

Werkleiter die Kommune lediglich in den Angelegenheiten<br />

des Eigenbetriebs und nicht die Gemeinde als juristische Person<br />

im Sinne der von § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG geforderten umfassenden<br />

Zuständigkeit. Seine Vertretung bezog sich lediglich<br />

auf die Angelegenheiten der von der juristischen Person<br />

gebildeten Untereinheit „Eigenbetrieb", darüber hinaus in Abhängigkeit<br />

von den Weisungen des eigentlichen gesetzlichen<br />

Vertreters der Gemeinde. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts<br />

handelte es sich dabei nicht nur um eine im Hinblick<br />

auf § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unschädliche gegenständliche Beschränkung<br />

der Vertretungsbefugnis, sondern Werkleiter von<br />

Eigenbetrieben würden vielmehr nicht die Repräsentantenstellung<br />

einnehmen, die nach dem Zweck des § 5 Abs. 1 Satz<br />

3 ArbGG die Austragung eines Streits im Arbeitgeberlager vor<br />

den Gerichten für Arbeitssachen ausschließen solle.<br />

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in dem Beschl. v.<br />

22.2.1999 – 5 AZB 56/98 – für den Rechtsstreits eines Theaterintendanten<br />

den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gemäß<br />

§ 5 ArbGG nicht für eröffnet gehalten. Dies beruhte aber darauf,<br />

dass dieser nach der Ausgestaltung seines Vertragsverhältnisses<br />

weder die persönliche Abhängigkeit eines Arbeitnehmers<br />

noch einer arbeitnehmerähnlichen Person hatte.<br />

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Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

Die Rechtsprechung des Zweiten Senats zu § 14 Abs. 1 Nr. 1<br />

KSchG (vgl. BAG, Urt. v. 17.1.2002 – 2 AZR 719/00 – AP Nr. 8<br />

zu § 14 KSchG 1969) hat der Fünfte Senat in dem Beschl. v.<br />

17.12.2008 – 5 AZB 69/08 (NZARR 2009, 330) – für unerheblich<br />

gehalten, weil es bei § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht darum<br />

gehe, ob eine der dort genannten Personen nicht als Arbeitnehmer<br />

zu gelten habe, sondern diese Personengruppe vom<br />

Geltungsbereich der Vorschriften des 1. Abschnitts des KSchG<br />

ausgenommen werde. Dies ist zutreffend, weil § 14 Abs. 1<br />

Nr. 1 KSchG in der Tat nicht das Grundverhältnis betrifft, sondern<br />

lediglich eine Ausnahme von Regelungen im Rahmen<br />

des Kündigungsschutzes statuiert.<br />

c) Der Eigenbetrieb Geolnformation hat im vorliegenden Fall<br />

auch keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern bei ihm handelt<br />

es sich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 des Gesetzes über<br />

den Eigenbetrieb Geolnformation Bremen – Eigenbetrieb des<br />

Landes Bremen (BremGeoG) vom 4.12.2001 (Brem.GBI, S. 385),<br />

§ 1 Abs. 1 des Bremischen Gesetzes für Eigenbetriebe und<br />

sonstige Sondervermögen des Landes und der Stadtgemeinden<br />

(BremSVG v. 24.11.2009, Brem.GBI, S. 505) – lediglich um<br />

ein nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Landes. Bei dem<br />

Eigenbetrieb handelt es sich also weder um eine juristische<br />

Person – auch nicht eine solche des öffentlichen Rechts – oder<br />

eine Personengesamtheit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 3<br />

ArbGG, wie erforderlich wäre (vgl. BAG, Beschl. v. 20.8.20<strong>03</strong> –<br />

5 AZB 79/02, AP Nr. 58 zu § 5 ArbGG 1979).<br />

Nach § 7 Abs. 1 BremSVG leitet die Betriebsleitung den Eigenbetrieb<br />

selbstständig und unter eigener Verantwortung, soweit<br />

nicht durch dieses Gesetz oder andere gesetzliche Vorschriften<br />

etwas anderes bestimmt ist. Nach § 7<br />

Abs. 2 BremSVG entscheidet die Betriebsleitung über Einstellung,<br />

Eingruppierung und Entlassung der Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer, Ernennung, Beförderung, Entlassung, Eintritt<br />

und Versetzung in den Ruhestand der Beamtinnen und<br />

Beamten sowie deren sonstige Personalangelegenheiten im<br />

Umfang der vom Senat übertragenen Befugnisse. Nach § 6<br />

Abs. 1 BremSVG vertritt die Betriebsleitung den Rechtsträger<br />

außergerichtlich und, wenn dies durch Errichtungsgesetz bestimmt<br />

ist, gerichtlich in Angelegenheiten des Eigenbetriebs.<br />

Nach § 12 Abs. 1 BremSVG übt die Aufsicht über den Eigenbetrieb<br />

das für den Aufgabenbereich des Eigenbetriebs zuständige<br />

Mitglied des Senats aus, wobei das Nähere durch das Errichtungsgesetz<br />

geregelt wird. Gemäß § 12 Abs. 2 BremSVG<br />

kann das für den Aufgabenbereich des Eigenbetriebs zuständige<br />

Mitglied des Senats, unbeschadet des Rechts des Senats,<br />

in personellen Angelegenheiten und Angelegenheiten, die<br />

für die gesamte Verwaltung von Bedeutung sind, <strong>Entscheidungen</strong><br />

zu treffen, der Betriebsleitung Weisungen erteilen.<br />

Entsprechend diesen gesetzlichen Regelungen ist im Brem-<br />

GeoG geregelt, dass der Eigenbetrieb durch einen Geschäftsführer<br />

geleitet wird. Nach § 4 Abs. 4 BremGeoG vertritt die Betriebsleitung<br />

die Freie Hansestadt Bremen in außergerichtlichen<br />

Angelegenheiten des Eigenbetriebs. Eine gerichtliche<br />

Vertretung ist jedoch nicht vorgesehen. Nach §6BremGeoG<br />

führt der Senator für Bau und Umwelt die Aufsicht über den<br />

Eigenbetrieb. Die Aufsicht umfasst insbesondere die ordnungsgemäße<br />

und wirtschaftliche Erfüllung der dem Eigenbetrieb<br />

nach diesem Gesetz obliegenden Aufgaben. Nach § 6<br />

Abs. 3 BremGeoG bedürfen der Zustimmung des Senators für<br />

Bau und Umwelt der Abschluss, die Änderung und die Kündigung<br />

von wichtigen Verträgen, insbesondere Drittunternehmerverträgen,<br />

aus denen langfristige Verpflichtungen und<br />

weitreichende finanzielle Auswirkungen ergeben können sowie<br />

Erfolg gefährdende Mehraufwendungen.<br />

Aus diesen Befugnissen des Geschäftsführers des Eigenbetriebs<br />

Geoinformation Bremen ist keine wie in § 5 Abs. 1 Satz<br />

3 ArbGG geforderte umfassende Zuständigkeit für die juristische<br />

Person des öffentlichen Rechts, die Beklagte, festzustellen.<br />

Der Kläger vertrat die Beklagte lediglich in Angelegenheiten<br />

der von der Beklagten als juristischer Person gebildeten<br />

Untereinheit „Eigenbetrieb", wobei er diese nicht einmal gerichtlich<br />

vertreten konnte. Er unterlag einer umfassenden Aufsicht<br />

durch den Senator für Bau und Umwelt, die sich auch<br />

tatsächlich in der Erteilung von Abmahnungen auswirkte. Der<br />

Abschluss, die Änderung und die Kündigung von wichtigen<br />

Verträgen unterlagen der Zustimmung des Senators für Bau<br />

und Umwelt, wobei das Gesetz dabei kein bestimmtes finanzielles<br />

Volumen nannte. Deshalb bleibt völlig unklar, wie weit<br />

die Zustimmungsbedürftigkeit der Verträge gehen sollte.<br />

Durch die Verweisung auf BremSVG, dort insbesondere § 12<br />

Abs. 2, kann das zuständige Mitglied des Senats in personellen<br />

Angelegenheiten und Angelegenheiten, die für die gesamte<br />

Verwaltung von Bedeutung sind, <strong>Entscheidungen</strong> treffen<br />

und der Betriebsleitung Weisungen erteilen. Auch hierdurch<br />

wurde die Vertretungsbefugnis des Klägers weitgehend<br />

eingeschränkt. Die Beklagte kann demgegenüber nicht auf<br />

die Anordnung des Senats zur Übertragung von dienstrechtlichen<br />

Befugnissen vom 7.12.1999 verweisen.<br />

Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob diese in der nunmehr<br />

vorliegenden Form bei Abschluss des Vertrages mit dem Kläger<br />

bereits bestand. Nach § 2 Abs. 11 der Anordnung kann<br />

das jeweilige Mitglied des Senats sich vorbehalten, die den<br />

Leiterinnen und Leitern der nachgeordneten Dienststellen,<br />

Einrichtungen und Betriebe übertragenen Befugnisse nach<br />

Art. 1 im Einzelfall selbst auszuüben. Zu Recht weist das Arbeitsgericht<br />

darauf hin, dass danach das Mitglied des Senats<br />

begründungslos die <strong>Entscheidungen</strong> an sich ziehen kann.<br />

Im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten ist der Kläger<br />

nicht mit einem Organ einer juristischen Person vergleichbar,<br />

das durch einen Aufsichtsrat oder Beirat kontrolliert wird. Aufsichtsrat<br />

oder Beirat sind Gremien, die nicht jederzeit eingreifen<br />

können, sondern zunächst darüber Beschlüsse fassen<br />

müssen. Darüber hinaus sind ihre Eingriffsmöglichkeiten regelmäßig<br />

genauer umschrieben. Zwar ist es richtig, dass die<br />

Einschränkung der Kompetenzen z.B. eines GmbH-Geschäftsführers<br />

nicht dazu führt, dass trotz einer Organstellung nach<br />

§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kein Ausschluss der Rechtswegzuständigkeit<br />

der Arbeitsgerichte erfolgt (vgl. BAG, Beschl. v.<br />

186<br />

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Rechtsprechung<br />

Prozessuales<br />

6.5.1999 – 5 AZB 22/98 – AP Nr. 46 zu § 5 ArbGG 1979). Aber<br />

derartige Kompetenzeinschränkungen betreffen nur das Innenverhältnis<br />

des organschaftlichen Vertreters, während die<br />

Kompetenzeinschränkungen im vorliegenden Fall sich auch<br />

auf das Außenverhältnis auswirken. Im Übrigen ändert dies alles<br />

nichts an dem Umstand, dass der Kläger die juristische Person<br />

des öffentlichen Rechts, das Land, nur in Bezug auf die<br />

Angelegenheiten der Untereinheit „Eigenbetrieb" vertreten<br />

konnte und nicht im Rahmen einer umfassenden Zuständigkeit<br />

für die juristische Person. Insoweit unterscheidet sich der<br />

Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG von § 14<br />

Abs. 1 Nr. 1 KSchG, der betriebsbezogen ist (vgl. BAG, Urt. v.<br />

17.1.2002 – 2 AZR 719/00 – AP Nr. 87 zu § 14 KSchG 1969).<br />

3. Da das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht kraft<br />

der gesetzlichen Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG der<br />

Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte entzogen ist,<br />

kommt es darauf an, ob der Kläger als Arbeitnehmer gemäß<br />

§ 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG einzuordnen ist. Dies ist der Fall.<br />

Zwar ist das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien in § 1<br />

des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages vom<br />

12.5.2006 als Dienstverhältnis bezeichnet worden. Aber § 2<br />

des schriftlichen Vertrages bestimmt unter der Überschrift<br />

„Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses", dass das Arbeitsverhältnis<br />

bürgerlich-rechtlicher Natur sei und auf das Arbeitsverhältnis<br />

der Bundesangestelltentarifvertrag keine Anwendung<br />

finden solle, soweit im Folgenden nichts anderes vereinbart<br />

sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts<br />

ist zwar grundsätzlich nicht maßgeblich für die rechtliche Einordnung<br />

des Vertragsverhältnisses, wie die Parteien des Vertrages<br />

die Vertragsbeziehung bezeichnen, sondern maßgeblich<br />

ist der objektive Geschäftsinhalt. Wird der Vertrag abweichend<br />

von den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen<br />

vollzogen, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Zur<br />

Begründung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass<br />

durch Parteivereinbarung die Bewertung einer Rechtsbeziehung<br />

als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich<br />

des Arbeitnehmerschutzes nicht eingeschränkt<br />

werden könne (vgl. BAG, Urt. v. 20.7.1994 – 5 AZR 627/93 – AP<br />

Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit). Anders ist nach Auffassung<br />

des Bundesarbeitsgerichts aber die Rechtslage, wenn die Parteien<br />

ein Arbeitsverhältnis vereinbart haben. In dem Fall ist es<br />

auch als solches einzuordnen (vgl. BAG, Urt. v. 12.9.1996 – 5<br />

AZR 1066/94 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Freier Mitarbeiter;<br />

ebenso LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.4.20<strong>03</strong> – 2 Ta 216/<br />

<strong>03</strong>; LAG Nürnberg, Beschl. v. 22.10.2008 – 7 Ta 191/08). Danach<br />

ist aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung im schriftlichen<br />

Vertrag hinsichtlich der Rechtsnatur das Vertragsverhältnis<br />

zwischen den Parteien als Arbeitsverhältnis einzuordnen.<br />

Im Übrigen stimmt das Beschwerdegericht den Ausführungen<br />

des Arbeitsgerichts in dem angefochtenen Beschluss zur Einordnung<br />

des Klägers als Arbeitnehmer zu. Es ist darauf hinzuweisen,<br />

dass gerade bei Diensten höherer Art ein erhebliches<br />

Maß der Gestaltungsfreiheit gegeben sein kann, ohne dass<br />

Prozessuales<br />

deshalb die Eigenschaft als Arbeitnehmer beeinträchtigt wird<br />

(vgl. BAG, Beschl. v. 22.2.1999 – 5 AZB 56/98).<br />

■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />

vom 29.10.2010, 1 Ta 34/10<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Brunssen<br />

Nikolaiwall 2, 27283 Verden<br />

Tel.: 04231/30040, Fax: 04231/300450<br />

mail@struif-partner.de<br />

220. Zwangsvollstreckung, Unzulässigkeitserklärung,<br />

mangelnde Bestimmtheit<br />

Aus den Gründen:<br />

2. Die Klage der Klägerin nach § 767 ZPO auf Unzulässigerklärung<br />

der Zwangsvollstreckung ist auch begründet.<br />

Dabei sind die von der Klägerin vorgebrachten materiellen<br />

Einwendungen weder zu prüfen, noch für die Entscheidung<br />

über die Klage von Bedeutung. Denn es fehlt bereits an einem<br />

vollstreckbaren Titel für die von dem Beklagten angedrohte<br />

Zwangsvollstreckung.<br />

a) Die Prüfung materieller Einwendungen im Rahmen einer<br />

Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO setzt grundsätzlich<br />

voraus, dass ein wirksamer und vor allem vollstreckungsfähiger<br />

Titel vorhanden ist. Vollstreckungsfähig ist ein<br />

Titel unter anderem nur dann, wenn er hinreichend bestimmt<br />

ist. Das Bestimmtheitserfordernis gilt dabei für den Titel, aus<br />

dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden soll. Das ist<br />

hier gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO der Vergleich vom<br />

24.1.2011. Dieser muss wie ein Urteilstitel nach § 704 ZPO aus<br />

sich heraus verständlich sein und auch für jeden Dritten erkennen<br />

lassen, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen<br />

kann. Inhalt und Umfang der Leistungspflicht müssen bezeichnet<br />

sein. Bei einem Zahlungstitel muss der zu vollstreckende<br />

Zahlungsanspruch betragsmäßig festgelegt sein oder<br />

sich zumindest aus dem Titel ohne weiteres errechnen lassen.<br />

Notfalls hat das Vollstreckungsorgan den Inhalt des Titels<br />

durch Auslegung zu ermitteln. Dabei muss der Titel jedoch<br />

aus sich heraus für die Auslegung genügend bestimmt sein<br />

oder jedenfalls sämtliche Kriterien für seine Bestimmbarkeit<br />

eindeutig festlegen. Es genügt nicht, wenn auf Urkunden Bezug<br />

genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind,<br />

oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer<br />

Schriftstücke ermittelt werden kann (vgl. BHG, v. 6.11.1985 –<br />

IV b ZR 73/84, zit. nach juris; LAG Niedersachsen, v. 2.8.2007 –<br />

6 Sa 486/07, zit. nach juris; Hess. LAG, v. 12.3.2009 – 12 Ta 380/<br />

08, zit. nach juris).<br />

b) Diesen Anforderungen genügt Ziffer 2) des Vergleichstextes<br />

vom 24.1.2011, welcher den nachfolgend dargestellten Inhalt<br />

hat, nicht:<br />

„Die Beklagte zahlt für die Monate August, September und<br />

Oktober 2009 jeweils 2.275,00 EUR brutto zuzüglich 20,80 EUR<br />

Prämie sowie einen Arbeitgeberanteil zu vermögenswirksamen<br />

Leistungen in Höhe von 13,29 EUR abzüglich eventuell<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 60 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert und und Gebühren<br />

übergegangener Ansprüche auf Sozialversicherungsträger<br />

oder sonstige öffentliche Träger."<br />

Denn der Regelung in Ziffer 2) des Vergleichstextes mit dem<br />

Vorbehalt „abzüglich eventuell übergegangener Ansprüche<br />

auf Sozialversicherungsträger oder sonstige öffentliche Träger“<br />

ist weder zu entnehmen, ob ein Anspruchsübergang auf<br />

Sozialversicherungsträger oder sonstige öffentliche Träger<br />

stattgefunden hat, noch, für den Fall dass ein solcher Anspruchsübergang<br />

stattgefunden hat, in welcher Höhe und für<br />

welche Zeiträume Ansprüche übergegangen sind, die die<br />

Zahlungsverpflichtung der Klägerin gegenüber dem Beklagten<br />

reduzieren. Ein solcher Titel ist mangels inhaltlicher Bestimmtheit<br />

nicht vollstreckbar (LAG Niedersachsen, v.<br />

2.8.2007 –6Sa486/07, zit. nach juris). Schon mangels Bestimmtheit<br />

der in Ziffer 2) des Vergleichs vom 24.1.2011 festgeschriebenen<br />

Zahlungsverpflichtung kann hieraus keine<br />

Zwangsvollstreckung betrieben werden.<br />

c) Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit und damit die Unzulässigerklärung<br />

der Zwangsvollstreckung kann auch im Rahmen<br />

von § 767 ZPO analog festgestellt werden (BGH, v.<br />

15.12.20<strong>03</strong> – II ZR 258/01, zit. nach juris; LAG Niedersachsen,<br />

v. 2.8.2007 – 6 Sa 486/07, a.a.O.). Ein schutzwürdiges Interesse<br />

des Schuldners, die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels zu beseitigen,<br />

besteht auch dann, wenn der Titel eine Unbestimmtheit<br />

aufweist.<br />

Nach all dem war der Klage der Klägerin stattzugeben.<br />

■ Arbeitsgericht Bielefeld<br />

vom 20.3.<strong>2012</strong>, 2 Ca 2402/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. jur. Heinz Gussen<br />

Rietberger Straße 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück<br />

Tel.: 05242/92040, Fax: 05242/920449<br />

info@drgussen.de<br />

Sonstiges<br />

221. PKH, Abzugsfähigkeit von Strom- und<br />

Rundfunkkosten<br />

Allgemeine Stromkosten und Rundfunkgebühren fallen unter<br />

den Freibetrag des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2a ZPO und sind<br />

daher nicht gesondert abzugsfähig.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 7.2.<strong>2012</strong>, 3 Ta 266/11<br />

222. PKH, Verwertung einer Kapitallebensversicherung,<br />

Wirtschaftlichkeit der Verwertung<br />

1. Grundsätzlich ist eine Kapitallebensversicherung für die<br />

Prozesskosten zu verwerten, soweit ihr durch Kündigung, Verkauf<br />

oder Beleihung erzielbarer Wert das Schonvermögen der<br />

Partei überschreitet.<br />

2. Der Verweis auf eine unwirtschaftliche Verwertung des Vermögens<br />

ist in der Regel aber nur dann gerechtfertigt, wenn<br />

nach der Verwertung noch ein das Schonvermögen deutlich<br />

übersteigendes Vermögen verbleibt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 30.1.<strong>2012</strong>, 11 Ta 22/12<br />

Streitwert und Gebühren<br />

223. Einigungsgebühr; Anrechnung der<br />

Geschäftsgebühr, Rückwirkung des § 15a RVG;<br />

Entscheidung im Interesse der Einheitlichkeit der<br />

Rechtsprechung<br />

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach §§ 5–6 Abs. 2 Satz 1,<br />

33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />

übersteigt 200 EUR. Das Rechtsmittel ist formund<br />

fristgerecht eingelegt worden.<br />

Das Rechtsmittel der Landeskasse hat nur teilweise Erfolg.<br />

1. Das Rechtsmittel ist begründet, soweit es gegen die Festsetzung<br />

einer Einigungsgebühr gerichtet ist.<br />

a) Eine Einigungsgebühr fällt nach VV 1000 Abs. 1 RVG nicht<br />

an, wenn der Vertrag der Parteien sich ausschließlich auf ein<br />

Anerkenntnis beschränkt. Dies ist anzunehmen, wenn der Klageantrag<br />

und ein anschließend vor dem Arbeitsgericht abgeschlossener<br />

Vergleich inhaltlich identisch sind: Maßgeblich ist,<br />

ob der streitgegenständliche Anspruch materiell anerkannt<br />

wird:<br />

Hier hätten die Erklärung eines Anerkenntnisses des gestellten<br />

Klageantrags durch die Beklagte im Termin und ein daraufhin<br />

ergangenes Anerkenntnisurteil keine anderen Rechtswirkungen<br />

gehabt als der abgeschlossene Vergleich. Dies belegt,<br />

dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens den klageweise<br />

geltend gemachten Anspruch umfassend materiell anerkannt<br />

hat. Die dort verlangte Beschäftigung ist etwas Tatsächliches<br />

und deshalb stets nur mit Wirkung für die Zukunft,<br />

möglich. Die Konkretisierung des Beginns der Beschäftigung<br />

im Vergleich auf „mit sofortiger Wirkung", auf den sich der Antragsteller<br />

im Schriftsatz vom 28.10.2009 berufen hat, war<br />

deshalb überflüssig. Entgegen der Auffassung des Antragstellers<br />

war der Klageantrag insofern nicht ungenau. Das Gericht<br />

kann zur Beschäftigung immer nur mit Wirkung beginnend<br />

mit der gerichtlichen Entscheidung (im „Vergleich": „mit sofortiger<br />

Wirkung") verurteilen.<br />

Die Einigungsgebühr in Höhe von 133 EUR nebst der Umsatzsteuer<br />

war daher abzusetzen.<br />

2. Unbegründet ist das Rechtsmittel hingegen, soweit die Anrechnung<br />

einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr<br />

auf die Verfahrensgebühr verlangt wird. Eine solche ist nach<br />

§ 15a RVG ausgeschlossen.<br />

a) § 15a RVG ist auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar,<br />

obwohl die Beiordnung des Antragstellers im Ausgangsverfahren<br />

bereits vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung<br />

am 5.8.2009 erfolgte.<br />

188<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 61 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert und Gebühren<br />

Allerdings lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass den<br />

einschlägigen Neuregelungen des RVG keine Rückwirkung<br />

zukommt (vgl. nur Sächsisches LAG, v. 7.12.2009 – 4 Ta 211/<br />

09 (7); OLG Braunschweig, v. 10.9.2009 – 2 W 155/09 – MDR<br />

2010, 175; VG Minden, v. 29.12.2009 – 8 K 752/09.A – juris).<br />

Mittlerweile vertreten jedoch – bis auf den X. Senat – alle Senate<br />

des Bundesgerichtshofs die gegenteilige Auffassung.<br />

Nach der auf dem Internet-Auftritt des Bundesgerichtshofs<br />

veröffentlichten Übersicht sind beim X. Senat zudem keine<br />

entsprechenden Verfahren mehr anhängig. Auch haben mehrere<br />

Senate ausdrücklich erklärt, ein Vorgehen nach § 132<br />

GVG als „der Sache nicht angemessen" anzusehen (vgl. nur<br />

10.8.2010 – VIII ZB 15)10 – JurBüro 2011, 22 = AnwBI 2010,<br />

878). Es ist daher davon auszugehen, dass es im Bereich der<br />

ordentlichen Gerichtsbarkeit dabei verbleibt, dass der Neuregelung<br />

Rückwirkung beigemessen wird. Bei den Gerichten für<br />

Arbeitssachen stellt sich die aufgeworfene Frage wegen des<br />

Ausschlusses der Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines<br />

Prozessbevollmächtigten in der 1. Instanz – § 12a ArbGG<br />

ausschließlich im Rahmen der Vergütungsfestsetzung des beigeordneten<br />

Rechtsanwalts. In diesem Verfahren lässt sich eine<br />

höchstrichterliche Entscheidung nicht herbeiführen, §§ 56<br />

Abs. 2; 33 Abs. 4 Satz 3 RVG. Im Hinblick auf die gebotene Einheitlichkeit<br />

der Rechtsprechung für dieselbe Norm (vgl. BGH<br />

7.2.2011 – I ZB 95/09 – juris) stellt die Beschwerdekammer daher<br />

vorhandenen Bedenken gegen die Annahme zurück,<br />

§ 15a RVG gelte auch für Altfälle, und schließt sich der Auffassung<br />

des, Bundesgerichtshofs an.<br />

Konsequenterweise hat die Anwendung des § 15a RVG auf<br />

Altfälle auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 55<br />

RVG zu erfolgen (OVG NRW, v. 11.8.2009 – 4 E 1609/08 – AGS<br />

2009, 447; OLG Düsseldorf, v. 7.9.2010 – II 10 WF 12/10 – Jur-<br />

Büro 2011, 301; OLG Köln, v. 31.10.2009 – 1-17 W 261/09, 17<br />

W 261/09 – AnwBl 2010, 145; FG Düsseldorf, v. 12.10.2009 –<br />

14 Ko 2495/09 KF – juris; ). Nach § 15a Abs. 1 RVG kann der<br />

Rechtsanwalt trotz Vorliegen einer Anrechnungsregelung im<br />

Grundsatz beide Gebühren fordern. Danach entsteht also<br />

auch die Verfahrensgebühr in voller Höhe. Die Auffassung der<br />

Landeskasse, die Verfahrensgebühr sei nicht in voller Höhe<br />

entstanden und der Antragsteller mache indirekt vorprozessuale<br />

Kosten geltend, lässt sich mit dem Inhalt des § 15a<br />

Abs. 1 RVG daher nicht vereinbaren. Die Verfahrensgebühr<br />

gehört folglich in ungeschmälerter Höhe zur gesetzlichen Vergütung<br />

des Rechtsanwalts i.S.d. § 45 Abs. 1 RVG, welche nach<br />

§ 55 RVG festzusetzen ist. Soweit die Landeskasse darauf verweist,<br />

§ 48 RVG sei bei der Neuregelung unverändert geblieben,<br />

geht dies an der Sache vorbei, da durch § 15a RVG klargestellt<br />

ist, dass die vorgeschriebene Anrechnung das Bestehen<br />

des Anspruchs nicht beeinträchtigen soll. Auch wäre die<br />

Erklärungspflicht über erhaltene Zahlungen nach § 55 Abs. 5<br />

Streitwert und Gebühren<br />

Satz 3 RVG überflüssig, wenn ohnehin eine Anrechnung erfolgen<br />

müsste.<br />

■ Landesarbeitsgericht Düsseldorf<br />

vom 6.10.2011, 13 Ta 790/09<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Joachim Sturm<br />

Rheinstahlstraße 36, 46236 Bottrop<br />

Tel.: 02041/22197, Fax: 02041/27405<br />

sturm@rechtsanwalt.com<br />

224. Streitwert, Beschwerde gegen Wertfestsetzung<br />

Die Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG ist nur zulässig, wenn<br />

der Wert des Beschwerdegegenstands 200,– EUR übersteigt.<br />

Dies ist der Fall, wenn die Differenz zwischen den für den festgesetzten<br />

bzw. für den begehrten Gegenstandswert anfallenden<br />

Gebühren mehr als 200,– EUR beträgt. Der Berechnung<br />

der Gebührendifferenz sind allein die anfallenden anwaltlichen<br />

Gebühren nach Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, hingegen<br />

nicht die anfallenden Gerichtsgebühren nach § 3 GKG zugrunde<br />

zu legen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 27.1.<strong>2012</strong>, 1 Ta 285/11<br />

225. Streitwert im Beschlussverfahren, Freistellung<br />

Betriebsrat<br />

Der Gegenstandswert für den Antrag aus der Antragsschrift<br />

vom 4.5.2010 wird auf EUR 10.000,00 festgesetzt. (…)<br />

Gegenstand des zugrunde liegenden Beschlussverfahrens<br />

war der Antrag der Beteiligten zu 1) bis 4) auf Feststellung der<br />

Unwirksamkeit der Freistellungswahlen der Betriebsratsmitglieder<br />

vom 20.4.2010 und/oder 27.4.2010. Die Beteiligten zu<br />

1) bis 4) sind Mitglieder des Betriebsrats des Arbeitgebers.<br />

Der Betriebsrat besteht aus 13 Mitgliedern. Am 4.3.2010 haben<br />

Neuwahlen stattgefunden. Neben dem gesetzlichen Freistellungsanspruch<br />

nach § 38 BetrVG gewährt der Arbeitgeber<br />

zwei weitere Freistellungen, so dass dem Betriebsrat insgesamt<br />

vier Vollfreistellungen zur Verfügung stehen. Am<br />

20.4.2010 und am 27.4.2010 fand jeweils eine Freistellungswahl<br />

statt, die die Beteiligten zu 1) bis 4) angefochten haben.<br />

Nach Durchführung eines Mediationsverfahrens haben sich<br />

die Beteiligten auf die Verteilung der zur Verfügung stehenden<br />

Freistellungen geeinigt, so dass das Arbeitsgericht durch<br />

Beschl. v. 22.7.2011 das Verfahren eingestellt hat.<br />

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert nach Anhörung<br />

der Beteiligten durch Beschl. v. 15.7.2011 auf EUR 4.000,00<br />

festgesetzt. Gegen diesen ihnen am 22.7.2011 zugestellten<br />

Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten<br />

zu 5) mit Schriftsatz vom 4.8.2011, der am 5.8.2011<br />

beim Arbeitsgericht eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.<br />

Zur Begründung haben sie ausgeführt, in Anlehnung an die<br />

Entscheidung des LArbG Hamburg vom 9.10.20<strong>03</strong> (4 Ta 12/<br />

<strong>03</strong> – juris) sei bei Anfechtungsverfahren von Betriebsratswahlen<br />

zunächst vom zweifachen Ausgangsstreitwert auszugehen,<br />

der sodann für jede Stufe der Staffel des § 9 BetrVG um<br />

<strong>03</strong>/12 189


ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 62 von 68,<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert und und Gebühren<br />

den halben Ausgangswert erhöht werde. Diese Grundsätze<br />

seien auf das Anfechtungsverfahren für die Freistellungswahlen<br />

innerhalb des Betriebsratsgremiums übertragbar. Dem<br />

Umstand, dass eine Freistellungswahl vom Umfang her nicht<br />

an eine Betriebsratswahl heranreiche, sei dadurch Rechnung<br />

getragen worden, dass lediglich der einfache Ausgangsstreitwert<br />

zugrunde gelegt worden sei, so dass sich bei insgesamt<br />

vier Freistellungen ein Gegenstandswert in Höhe von EUR<br />

10.000,00 errechne. (…)<br />

2. Die Wertfestsetzung für den Antrag aus der Antragsschrift<br />

vom 4.5.2010 richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, wonach<br />

der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem<br />

Ermessen zu bestimmen ist. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG stellt<br />

eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften<br />

fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2<br />

RVG ist insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten<br />

bedeutsam, deren Wert auf anderem Wege nicht bestimmt<br />

werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen<br />

kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2<br />

RVG aber erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum<br />

Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus,<br />

dass auch die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen<br />

Streitgegenstandes im Vordergrund der Bewertung stehen<br />

muss (vgl. nur LArbG Hamm, Beschl. v. 23.3.2009 – 10 Ta 83/<br />

09 – LAGE § 23 RVG Nr. 14, m.w.N.).<br />

Mit Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass es<br />

sich bei dem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der<br />

Freistellungswahlen vom 20.4.2010 und/oder vom 27.4.2010<br />

um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des<br />

§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt (vgl. nur LArbG Hamburg<br />

Beschl. v. 9.10.20<strong>03</strong> – 4 Ta 12/<strong>03</strong> – juris). Um ein fallübergreifendes<br />

System zu erhalten, welches im Hinblick auf die Bewertung<br />

der anwaltlichen Tätigkeit im Beschlussverfahren adäquate<br />

Abstufungen zulässt und es damit erlaubt, dem Einzelfall<br />

gerecht zu werden, kann für die Ausfüllung des Ermessensrahmens<br />

des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG die wirtschaftliche<br />

Bedeutung des Rechtsstreits für den Arbeitgeber bzw. für die<br />

Belegschaft aber nicht unberücksichtigt bleiben. Dabei ist allerdings<br />

auch der Grundtendenz des arbeitsgerichtlichen Verfahrens<br />

zu entsprechen, Kosten zu begrenzen (vgl. LArbG<br />

Hamm, Beschl. v. 23.3.2009 – 10 Ta 83/09 – LAGE § 23 RVG<br />

Nr. 14). In keinem Fall kann es – entgegen der Auffassung des<br />

Arbeitsgerichts – allerdings von Relevanz sein, dass Rechtsfragen<br />

eindeutig und ohne besonderen Aufwand zu beantworten<br />

sind, denn maßgeblich für die Bestimmung des Gegenstandswerts<br />

ist allein der Verfahrensgegenstand.<br />

Der Umstand, dass es sich bei dem Anfechtungsverfahren einer<br />

Freistellungswahl nach § 38 BetrVG um eine nichtvermögensrechtliche<br />

Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 RVG handelt,<br />

schließt nicht aus, sich an vergleichbaren Wertvorschriften<br />

zu orientieren. Der in der gesetzlichen Bestimmung genannte<br />

Betrag von EUR 4.000,00 ist kein Regelwert, sondern<br />

lediglich ein „Ausgangs"- oder „Anknüpfungswert", der nur<br />

dann heranzuziehen ist, wenn im jeweiligen Fall keine sonsti-<br />

gen Anknüpfungspunkte für die Wertfestsetzung ersichtlich<br />

sind.<br />

Vorliegend gibt es jedoch Anknüpfungspunkte, die ein Abweichen<br />

vom Ausgangswert rechtfertigen. Zutreffend haben<br />

die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 5) darauf<br />

hingewiesen, dass die Beschwerdekammer im Beschl. v.<br />

9.10.20<strong>03</strong> (4 Ta 12/<strong>03</strong> – juris) für die Anfechtung von Betriebsratswahlen<br />

eine Systematik für die Festsetzung des Gegenstandswerts<br />

entwickelt hat, die auch für die Anfechtung von<br />

Freistellungswahlen im Grundsatz anzuwenden ist. Danach<br />

bestimmt sich der Gegenstandswert bei Anfechtung einer Betriebsratswahl<br />

maßgebend nach der Betriebsgröße und der<br />

Anzahl der zu wählenden Arbeitnehmer, wobei hierbei entsprechend<br />

§ 9 BetrVG zu staffeln ist. Bei einem Wahlanfechtungsverfahren<br />

ist zunächst von einem zweifachen Ausgangsstreitwert<br />

auszugehen und für jede Stufe der Staffel des § 9<br />

BetrVG um den halben Ausgangswert zu erhöhen (vgl. Beschluss<br />

der Beschwerdekammer, v. 9.10.20<strong>03</strong>–4Ta12/<strong>03</strong> – juris).<br />

Bei einem Wahlanfechtungsverfahren betreffend die Freistellung<br />

von Betriebsratsmitgliedern ist jedoch darauf Bedacht zu<br />

nehmen, dass diese sowohl vom Umfang als auch von der<br />

wirtschaftlichen Bedeutung her nicht an eine Betriebsratswahl<br />

heranreicht, so dass für die Bewertung der Freistellung<br />

gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG für das erste der vier für die Freistellung<br />

zu wählenden Betriebsratsmitglieder der Ausgangswert<br />

von EUR 4.000,00 in Ansatz zu bringen ist und für jedes weitere<br />

zu wählenden Betriebsratsmitglied die Hälfte des Ausgangswerts<br />

(so bereits LArbG Hamburg, Beschl. v.<br />

16.10.2007 –3TaBV13/06 – nicht veröffentlicht), so dass sich<br />

ein Gegenstandswert für den Antrag aus der Antragsschrift<br />

vom 4.5.2010 in Höhe von EUR 10.000,00 errechnet. Der geringere<br />

Ansatz für die weiteren zu wählenden Betriebsratsmitglieder<br />

ist im Hinblick darauf gerechtfertigt und geboten, da<br />

für diese zusätzlicher tatsächlicher und rechtlicher Vortrag<br />

durch die Beteiligten nicht erfolgt ist, auch nicht zu erfolgen<br />

hatte und deshalb insoweit für die Verfahrensbevollmächtigten<br />

auch kein weiterer Arbeitsaufwand angefallen ist (vgl.<br />

LArbG Hamburg, Beschl. v. 16.10.2007 –3TaBV13/06 – nicht<br />

veröffentlicht).<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamburg<br />

vom 6.2.<strong>2012</strong>, 4 Ta 35/11<br />

eingereicht durch Rechtsanwalt Jens Peter Hjort<br />

Kaemmererufer 20,223<strong>03</strong> Hamburg<br />

Tel.: 040/6965763, Fax: 040/2807493<br />

kanzlei@anwaelte-mkhb.de<br />

226. Streitwert, Wettbewerbsverbot<br />

Die Berufung ist offensichtlich unbegründet, weil das Amtsgericht<br />

zutreffend von einem Gegenstandswert von 40.407,60<br />

EUR ausgegangen ist.<br />

Soweit die Beklagte meint, der unstreitige Tatbestand des<br />

amtsgerichtlichen Urteils sei falsch, weil er enthalte, dass der<br />

190<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 63 von 68,<br />

Rezensionen<br />

ehemalige Arbeitgeber der Beklagten auf ein bestehendes<br />

Wettbewerbsverbot hingewiesen habe, obwohl dieses Wort<br />

in dem besagten Schreiben nicht erwähnt sei, ist zunächst darauf<br />

hinzuweisen, dass es der Beklagten oblegen hätte, gem.<br />

§ 320 ZPO Tatbestandsberichtigung zu beantragen.<br />

Da sie das nicht getan hat, erbringt der Tatbestand gem. § 314<br />

ZPO den Beweis für das mündliche Parteivorbringen, so dass<br />

davon auszugehen ist, dass die frühere Arbeitgeberin der Beklagten<br />

ein Wettbewerbsverbot geltend gemacht hat. Unabhängig<br />

davon hat sie das aber auch inhaltlich getan, ohne das<br />

Wort „Wettbewerbsverbot" ausdrücklich zu nennen. Mit dem<br />

Schreiben vom 5.8.2010 hat sie von der Beklagten begehrt, es<br />

zukünftig zu unterlassen, Mandanten anzusprechen und abzuwerben,<br />

was den Vorwurf eines wettbewerbswidrigen Verhaltens<br />

beinhaltet. Sie war offensichtlich der Auffassung, diesen<br />

Anspruch aus dem vormals bestehenden Anstellungsverhältnis<br />

gegen die Beklagte zu haben. Mit nichts anderem als<br />

der Frage, ob gesetzliche oder vertragliche Wettbewerbsverbote<br />

bestehen, hatte sich die Klägerin im Auftrag der Beklagten<br />

daher auseinanderzusetzen; diese Frage war Gegenstand<br />

ihres Mandates.<br />

Dass tatsächlich kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />

vereinbart worden war, führt zu keiner anderen Beurteilung.<br />

Da die frühere Arbeitgeberin der Beklagten, wie bereits ausgeführt,<br />

offenbar davon ausging, vertragliche Unterlassungsansprüche<br />

gegen die Beklagte zu haben, bedurfte es auch insoweit<br />

der Prüfung und Darlegung durch die Klägerin. Der<br />

Sachverhalt und das dahinter stehende Interesse der Klägerin<br />

stellten sich mithin nicht anders dar, als wenn ein unwirksames<br />

nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart gewesen<br />

wäre. Für diesen Fall räumt jedoch auch die Beklagte in<br />

der Klageerwiderung unter Verweis auf die Entscheidung des<br />

LAG Düsseldorf v. 27.11.1980 (7 Ta 189/80) ein, dass sich dann<br />

der Streitwert nach der höchst möglichen geschuldeten Karenzentschädigung<br />

bemisst (so auch LAG Köln, Beschl. v.<br />

24.5.2005 – 6 Ta 145/05; LAG Berlin, Beschl. v. 28.5.20<strong>03</strong> – 17<br />

Ta 6046/<strong>03</strong>). Auch das LAG Nürnberg hat in seiner Entschei-<br />

dung v. 25.6.1999 (– 2 Ta 56/99) als Hilfswert auf die zu zahlende<br />

Karenzentschädigung zurückgegriffen. Die Kammer<br />

teilt diese Auffassung.<br />

Der Verweis auf die Entscheidung des LAG Thüringen vom<br />

8.9.1998 (– 8 Ta 89/98) verfängt nicht, weil die zur Entscheidung<br />

stehenden Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Dort<br />

ging es nicht um einen nachvertraglichen Wettbewerb, sondern<br />

um eine behauptete Wettbewerbstätigkeit während eines<br />

bestehenden Arbeitsverhältnisses. In derartigen Fällen<br />

kann auf eine Karenzentschädigung nicht für die Streitwertbemessung<br />

zurückgegriffen werden, weil sie überhaupt nicht<br />

im Raum steht.<br />

Das Interesse der Klägerin, das den Gegenstandswert bestimmt,<br />

ging mithin dahin, ein (tatsächlich nicht bestehendes)<br />

Wettbewerbsverbot dauerhaft gegen die Beklagte durchzusetzen.<br />

Da ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot allenfalls<br />

für die Dauer von zwei Jahren wirksam vereinbart werden<br />

kann und § 74 Abs. 2 HGB darlegt, dass ein solches nur verbindlich<br />

ist, wenn sich der Prinzipal zur Zahlung einer Karenzentschädigung<br />

mindestens in Höhe der Hälfte der zuletzt<br />

vom Handlungsgehilfen bezogenen vertragsmäßigen Leistungen<br />

verpflichtet, ist mit dem Amtsgericht und der Klägerin<br />

davon auszugehen, dass dieser Betrag dem Wert entspricht,<br />

den ein Unterlassen von Wettbewerb zumindest haben soll.<br />

Mithin ist mangels anderer Anhaltspunkte für das Interesse<br />

der früheren Arbeitgeberin der Beklagten der Jahresbruttoarbeitslohn<br />

der Beklagten als Gegenstandswert anzusetzen. Angesichts<br />

der Tatsache, dass die frühere Arbeitgeberin der Beklagten<br />

den Wettbewerb dauerhaft unterbinden wollte, kann<br />

nicht vermutet werden, dass sie sich im Fall der Vereinbarung<br />

eines Wettbewerbsverbotes mit weniger als dem gesetzlich<br />

Höchstzulässigen zufrieden gegeben hätte.<br />

■ Landgericht Magdeburg<br />

vom 5.12.2011, 2 S 449/11<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Armin Rudolf<br />

Lüerstraße 3, 30175 Hannover<br />

Tel.: 0511/5389990, Fax: 0511/53899911<br />

hannover@ritter-gent.de<br />

Rezensionen<br />

Prof. Dr. Peter Conze / Prof. Dr. Svenja Karb<br />

Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst<br />

mit Lohnsteuerrecht, Sozialversicherungsrecht und<br />

Exkursen zum Beamtenrecht<br />

Verlag C.H.Beck, 3. Aufl. <strong>2012</strong>, Buch. XVI, 610 S., 43,00 EUR<br />

ISBN 978-3-406-62245-8<br />

Für die Kollegen, die sich mit dem Arbeits- und Tarifrecht des<br />

öffentlichen Dienstes befassen wollen und zu dieser eher ungeliebten<br />

Materie einen Zugang suchen, gibt es einen hervorragenden<br />

Einstieg: Den Conze/Karb. Wie auch das Personal-<br />

handbuch wendet sich der Conze/Karb nicht nur an Rechtsanwälte,<br />

sondern auch an Angestellte und Dienststellen des öffentlichen<br />

Dienstes, Personal- und Betriebsräte und Studierende.<br />

Die Autoren, beide Lehrende an der Fachhochschule<br />

des Bundes für öffentliche Verwaltung, legen daher großen<br />

Wert auf Verständlichkeit und Erläuterung der Strukturen. Bereits<br />

optisch fällt die Nähe zu Küttners Personalhandbuch auf<br />

und sie weist auch den Weg: Auch der Conze/Karb ist stichwortartig<br />

aufgebaut und enthält zu jedem Thema eine fundierte<br />

arbeitsrechtliche Erläuterung, versehen mit einem<br />

lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Exkurs und<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 64 von 68,<br />

Rezensionen<br />

darüber hinaus mit einem oft sehr hilfreichen Blick ins Beamtenrecht.<br />

Das macht die oft nicht leicht verständliche Problematik<br />

des Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst gut fassbar<br />

und verständlich. Von A wie Abordnung über E wie Entgeltordnung<br />

und S wie Stufenaufstieg bis Z wie Zuweisung werden<br />

alle wesentlichen Aspekte angesprochen. Der Nutzer<br />

durchschaut nicht nur die Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />

der öffentlichen Tarifverträge auf Bundes-, Landesund<br />

kommunaler Ebene, sondern findet generell einen Einstieg<br />

zum Verständnis dieser Regelwerke. Die Ausführungen<br />

sind knapp und fundiert, dabei hoch aktuell: Selbst der Tarifabschluss<br />

im Bereich des Bundes und des kommunalen Bereichs<br />

sind eingearbeitet. Besonders ausführlich wird die<br />

Frage der Entgeltordnung behandelt, die es zwar im Bereich<br />

der Länder, nicht aber beim Bund und bei den Kommunen<br />

gibt. Die Erläuterungen zur Struktur dieser Vergütungsregelung<br />

und der Aufbau und Inhalt der einzelnen Teile sind sehr<br />

instruktiv.<br />

Im Vorwort des Conze/Karb heißt es, dass auch die 3. Auflage<br />

dazu beitragen will, schnell sichere Lösungen in der täglichen<br />

arbeitsrechtlichen Praxis des öffentlichen Dienstes zu finden.<br />

Das bringt es auf den Punkt: Genau das erreicht das Werk. Es<br />

ist uneingeschränkt zu empfehlen, da es Verständnis für die<br />

Materie schafft, die ein üblicher, auf den einzelnen Normen<br />

aufgebauter Kommentar oft nicht bieten kann, auch wenn er<br />

Rechtsprechung und Literatur vielleicht breiter und detaillierter<br />

darstellt.<br />

Thomas Zahn<br />

Rechtsanwalt, LL.M., Berlin<br />

Wolfgang Hromadka<br />

Arbeitsrecht für Vorgesetzte<br />

Verlag C.H. Beck, 3. Aufl. <strong>2012</strong>, 411 Seiten, 19,90 EUR<br />

ISBN 978-3-406-62363-9<br />

Das Berufsleben des Autors ist eine besonders glückliche Verbindung<br />

von Praxis und Theorie, war Prof. Dr. Dr. hc. Wolfgang<br />

Hromadka doch 17 Jahre lang leitend im Personal- und Sozialwesen<br />

von Großunternehmen tätig aber auch 18 Jahre Professor<br />

u.a. für Arbeitsrecht und zudem wissenschaftlicher Berater<br />

einer arbeitsrechtlich orientierten Anwaltskanzlei. Allerdings<br />

wendet sich der Autor nach der Verlagsveröffentlichung nicht<br />

an Rechtsanwälte, sondern unmittelbar an die Vorgesetzten in<br />

Wirtschaft und Verwaltung sowie Personalabteilungen (und<br />

an Betriebsräte!).<br />

Das Werk wird lediglich gerühmt, dem Vorgesetzten Grundwissen<br />

im Arbeitsrecht zu verschaffen und seinen Schwerpunkt<br />

auf Fragen der täglichen Praxis zu legen. Warum sollten<br />

sich also Rechtsanwälte, zumal arbeitsrechtlich erfahrene, dieses<br />

Buch zulegen?<br />

Erstens: Sie sollten wissen, von welchem arbeitsrechtlichen<br />

Wissensstand Sie Ihren Mandanten abholen. Zweitens und<br />

sehr viel wichtiger: Sie werden staunen, wie wenig Hintergrundwissen<br />

Sie von vielen arbeitsrechtlich bedeutsamen Fra-<br />

gen haben. Sie erfahren hier sozusagen, was Sie schon immer<br />

wissen wollten, aber nie zu fragen wagten, oder haben Sie<br />

etwa statistische Daten darüber, wie hoch der Krankenstand<br />

in welcher beruflichen Hierarchieebene ist? Natürlich geht jeder<br />

davon aus, dass viele Arbeitnehmer „krank feiern“ und unser<br />

Bauchgefühl sagt uns, dass das häufig montags oder freitags<br />

geschieht, aber können Sie das seriös belegen?<br />

Auch weiß jeder ganz allgemein von den Gefahren des Alkohols,<br />

aber haben Sie auch konkrete Fakten über die jeweiligen<br />

Auswirkungen der Alkoholisierungsstufen, die Häufigkeit von<br />

Betriebsunfällen unter Alkoholeinfluss, die regelmäßige Senkung<br />

der Kapazität der geschuldeten Arbeitsleistung? Selbstverständlich<br />

können Sie sich das alles auch aus dem Internet<br />

heraussuchen. Meine Erfahrung ist allerdings, dass das deutlich<br />

länger dauert, als in einem Nachschlagwerk danach zu suchen,<br />

zumal ein solches, das gleich aus dem richtigen Blickwinkel<br />

die Informationen hergibt.<br />

Ein weiterer und wahrscheinlich der wichtigste Nutzen des<br />

Buches ist schließlich seine auch für Nichtjuristen verständliche<br />

Sprache. Unsere Mandanten sind meist keine Juristen. Leider<br />

gar nicht so selten hat der Rezensent ein trauriges Feedback<br />

seiner wohl formulierten, wissenschaftlich zutreffenden<br />

und alle Risiken umfassenden schriftlichen Erläuterungen. Der<br />

Anruf des Mandanten am nächsten Tag beginnt zwar mit Begeisterung,<br />

mündet aber bald in die Frage, ob man den Brief<br />

noch einmal mündlich erläutern könne, weil man den Inhalt<br />

doch nicht so ganz verstanden habe. Erklären Sie es mit Hromadka<br />

und solche Anrufe werden der Vergangenheit angehören.<br />

Also trotz der einschränkenden Werbeempfehlung: Dieses<br />

handliche Buch hat auch für Rechtsanwälte einen großen<br />

praktischen Nutzen.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Wolfdieter Küttner<br />

Personalbuch <strong>2012</strong><br />

Jürgen Röller (Hrsg.)<br />

Arbeitsrecht Lohnsteuerrecht Sozialversicherungsrecht<br />

Verlag C.H. Beck, 19. Aufl. München <strong>2012</strong>, 2829 Seiten,<br />

119,00 EUR<br />

ISBN 978-3-406-62400-1<br />

Wer sich einen weisen und erfahrenen Wegbegleiter im immer<br />

undurchsichtiger werdenden Dickicht des europäischen<br />

und deutschen Personalrechts-Dschungels wünscht, dem sei<br />

erneut das von Wolfdieter Küttner begründete und von Jürgen<br />

Röller herausgegebene Kompendium „Personalbuch <strong>2012</strong>“<br />

wärmstens empfohlen. Das Werk ebnet mittlerweile in der 19.<br />

Auflage mit seinen 472 Stichworten kompetent, übersichtlich<br />

und ausführlich den Weg durch die für Arbeitgeber und Personalfachleute<br />

oft unüberschaubar gewordenen „Personalrechtsgebiete“:<br />

dem Arbeitsrecht, dem Lohnsteuerrecht und<br />

dem Sozialversicherungsrecht. Dabei stehen dem Rechtsan-<br />

192<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 65 von 68,<br />

Rezensionen<br />

wender insgesamt 14 Fachautoren aus Anwalt- und Richterschaft<br />

und den einschlägigen Ministerien zur Seite, die nicht<br />

nur Jahr für Jahr die Instanzrechtsprechung praxisorientiert<br />

aufarbeiten, sondern auch die immer umfangreicher und prägender<br />

werdende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes<br />

auswerten und sehr anwenderfreundlich aufbereiten<br />

und wertvolle Hinweise auf vertiefende Literatur liefern.<br />

Jedes einzelne der alphabetisch lexikalisierten Stichwörter erfährt<br />

eine Dreiteilung in die Unterabschnitte Arbeitsrecht,<br />

Lohnsteuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Damit wird<br />

eine schnelle, problemorientierte Einarbeitung in viele sich in<br />

der Praxis stellende Fachfragen gewährleistet, bei deren Beantwortung<br />

gleichzeitig ein Zusammenhang mit den oft angrenzend<br />

verzahnten Rechtsgebieten ermöglicht wird. Jährlich<br />

werden die Stichworte an die neue Rechtslage angepasst.<br />

Die Neuauflage ist aktualisiert um die Stichworte „Betriebliches<br />

Eingliederungsmanagement“, „Freiwilligendienste“,<br />

„Lohnsteuerabzugsmerkmale“ und „Soziale Netzwerken“ und<br />

reagiert damit nicht nur auf die neuere Rechtsprechung zur<br />

krankheitsbedingten Kündigung und die gesetzgeberischen<br />

Aktivitäten im Bereich des Jugendfreiwilligendienstes, sondern<br />

auch auf arbeitsrechtliche Fragen, die im Zusammenhang<br />

mit dem Massenphänomen der umfassenden hauptsächlich<br />

privaten Nutzung sozialer Internetplattformen auftauchen.<br />

Darüber hinaus ist die derzeitige Auflage mit einem<br />

auf den 31.5.2013 beschränkten kostenfreien Online-Zugang<br />

ausgestattet, der einen Zugriff auf die unterjährige Aktualisierung<br />

der einzelnen Stichworte ebenso ermöglicht wie die<br />

Nutzung von Musterformularen zu bestimmten Stichwörtern<br />

(Arbeitsverträge, Abfindungsvereinbarungen, Sozialplan,<br />

etc.).<br />

Das Handbuch wird damit für alle Rechtsanwender – den Personaler<br />

ebenso wie den Rechtsanwalt und den Richter –, die<br />

Rechtsprobleme aus dem Personalwesen lösen müssen,<br />

schnell zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk und Leitfaden<br />

im praktischen Umgang mit den „Personalrechtsgebieten“.<br />

Dr. Claudia Voggenreiter<br />

Rechtsanwältin, Berlin<br />

Dr. Mark Lembke<br />

Arbeitsvertrag für Führungskräfte<br />

Verlag C.H. Beck, Beck’sche Musterverträge Band I, , 5. Aufl.<br />

<strong>2012</strong>, 246 S. incl. CD-Rom, 39,80 EUR<br />

ISBN 978-3-406-61016-5<br />

Die 5. Auflage dieses Werkes ist aus zweierlei Gründen einer<br />

erhebliche Neugestaltung, zum einen hat Mark Lembke die<br />

Bearbeitung von Peter Kopp übernommen, zum anderen war<br />

in der 4. Auflage das Schuldrechtsreformgesetz von 2002<br />

noch nicht zu berücksichtigen. Beide Neuerungen haben<br />

zwangsläufig zu einer grundlegenden Neuausrichtung geführt,<br />

zumal Mark Lembke auch über viel internationale Erfahrungen<br />

verfügt. Das ist gerade im Bereich der Führungskräfte<br />

vorteilhaft, werden Unternehmen doch in ständig steigendem<br />

Maße internationalisiert sowohl was die Besetzung von<br />

Führungspositionen betrifft als auch die von ausländischen<br />

Muttergesellschaften vorgegebene Führungskultur. Natürlich<br />

sind Regelungen zum Abschlussbonus (Sign-on-Bonus),<br />

Bleibe-Bonus (Retention-Bonus, Stay-Bonus) und Change-of-<br />

Control-Vereinbarungen schon lange bekannt, doch wächst<br />

die Breite ihrer Anwendung, so dass immer mehr Rechtsanwälte<br />

bei der Gestaltung solcher Vereinbarungen bzw. deren<br />

Überprüfung mitwirken. Da ist es überaus hilfreich, entweder<br />

auf Lembke’sche Vertragsvorschläge zurückzugreifen oder bei<br />

der Prüfung von Verträgen den Gefahrenhinweisen aus seinen<br />

zumeist ausführlichen Erläuterungen wertvolle Anregungen<br />

entnehmen zu können, um unzulässige Klauseln zu entdecken.<br />

Eine große Unterstützung für das Sekretariat ist natürlich die<br />

beigefügten CD-Rom.<br />

Für die Rechtsanwälte, die sich mit der Materie nicht so oft befassen,<br />

ist ein Werk dieser Güte unverzichtbar, auch dem Erfahrenen<br />

erleichtert es die Arbeit und es beruhigt, wenn man<br />

die eigenen Gestaltungsideen bei Lembke wiederfindet. Daher<br />

ist das Werk wärmstens zu empfehlen.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer<br />

Sozialgerichtsgesetz-Kommentar<br />

Verlag C.H.Beck, 10. Aufl. <strong>2012</strong>, Buch. XXVI, 1456 Seiten,<br />

85,00 EUR<br />

ISBN 978-3-406-62450-6<br />

<strong>2012</strong> ist die nunmehr 10. Auflage des „Meyer-Ladewig" erschienen,<br />

des wohl gängigsten SGG-Kommentars. Jeder sozialrechtlich<br />

tätige Rechtsanwalt wird diesen Praktikerkommentar<br />

in jeweils aktueller Auflage in seiner Bibliothek haben.<br />

Aber auch den Kollegen, die in der Sozialgerichtsbarkeit nicht<br />

originär zu Hause sind und nur ab und zu mit Verfahren vor<br />

den Sozialgerichten zu tun haben, sei dieser Kommentar ans<br />

Herz gelegt; man wird in aller Regel schnell fündig und kann<br />

eine verständliche, aber fachlich fundierte Kommentierung<br />

erwarten. Die jetzige Neuauflage erfüllt die Erwartungen um<br />

so mehr, als seit der letzten Auflage 4 Jahre verstrichen waren,<br />

in denen der Gesetzgeber und die – bis Ende 2011 eingearbeitete<br />

– Rechtsprechung nicht untätig waren. Daraus resultiert<br />

eine deutliche Erweiterung des Umfangs des Kommentars.<br />

Den „Meyer-Ladewig" zeichnet nach wie vor eine besondere<br />

Übersichtlichkeit und Benutzerfreundlichkeit aus. Der Kommentar<br />

verzichtet weiterhin komplett auf einen Fußnotenapparat<br />

und strukturiert sich durch übersichtliche, nicht zu lang<br />

gehaltene Randziffern und durch die bewährten Hervorhebungen<br />

im Fettdruck. Diese Untergliederung wurde in der<br />

Neuauflage sogar noch verstärkt, was die punktgenaue Zitierfähigkeit<br />

noch stärker möglich macht. Die seit 2008 vorgenommenen<br />

Gesetzesänderungen sind hinter dem Abkür-<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 66 von 68,<br />

Impressum<br />

zungsverzeichnis tabellarisch unter Verweis auf geänderte<br />

SGG-Normen aufgeführt. Sie können daher ohne großes Suchen<br />

sofort nachvollzogen werden. Herzstück der Neuerungen<br />

ist sicherlich der neu eingeführte § 55a SGG, der ein Normenkontrollverfahren<br />

vor den Landessozialgerichten regelt,<br />

mit dem auch außerhalb des individuellen Rechtsschutzes<br />

kommunale Satzungen zu den Kosten der Unterkunft im Bereich<br />

des SGG II überprüft werden können. Hierzu ist es ausreichend,<br />

dass ein Mandant durch die Satzung in absehbarer<br />

Zeit in seinen Rechten verletzt sein könnte. Diese Möglichkeit<br />

wird sicherlich ein zunehmendes Betätigungsfeld im anwaltlichen<br />

Bereich bilden. Neu eingearbeitet und kommentiert<br />

wurde das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren<br />

und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren<br />

(insbesondere §§ 197a, 202 SGG), wobei es damit natürlich<br />

noch keine Erfahrungen gibt und die Kommentierung daher<br />

relativ allgemein bleiben muss. Angesichts der nicht selten<br />

jahrelangen Dauer sozialgerichtlicher Entscheidungsfindung<br />

darf man auf die Folgeauflage gespannt sein, wenn es erste<br />

Erfahrungen geben wird.<br />

Der „Meyer-Ladewig" ist und bleibt der Kommentar des ersten<br />

Zugriffs auf das SGG für jeden Praktiker. Man wird damit in der<br />

Regel jedes auftretende Problem praxisrelevant und zitierfähig<br />

lösen können. Das macht den Kommentar für einen<br />

Rechtsanwalt besonders wertvoll. Hilfreich ist das konsequente<br />

Abstellen auf die Rechtsprechung, bei dem wiederum<br />

die hohe Aktualität hervorzuheben ist. Wünschenswert wäre<br />

es lediglich, wenn die zitierten <strong>Entscheidungen</strong> durchgängig<br />

mit Aktenzeichen zitiert würden, um der anwaltlichen Zielgruppe<br />

das Auffinden insbesondere von BSG-<strong>Entscheidungen</strong><br />

zu erleichtern.<br />

Thomas Zahn<br />

Rechtsanwalt, LL.M., Berlin<br />

Impressum<br />

AE-<strong>Arbeitsrechtliche</strong> <strong>Entscheidungen</strong><br />

Herausgeber, Chefredaktion- und Anschrift:<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier<br />

Tauentzienstraße 11<br />

10789 Berlin<br />

Telefon (<strong>03</strong>0) 25 45 91 55<br />

Telefax (<strong>03</strong>0) 25 45 91 66<br />

E-Mail: m.bendel@advocati.de<br />

Redaktion:<br />

Rechtsanwalt Roland Gross<br />

Kanzlei gross::rechtsanwälte<br />

Neumarkt 16-18<br />

04109 Leipzig<br />

Telefon (<strong>03</strong>41) 984 62-0<br />

Fax (<strong>03</strong>41) 984 62-24<br />

E-Mail: leipzig@advo-gross.de;<br />

www.advo-gross.de<br />

Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür<br />

Kanzlei RPO Rechtsanwälte<br />

Im Mediapark 6<br />

50670 Köln<br />

Telefon (0221) 355051-50<br />

Fax (0221) 355051-35<br />

E-Mail: oberthuer@rpo-rechtsanwaelte.de<br />

www.rpo-rechtsanwaelte.de<br />

und die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DeutschenAnwaltverein<br />

(Adresse s. unten)<br />

Geschäftsführender Ausschuss:<br />

Dr. Jobst-Hubertus Bauer (Vors.)<br />

Geschäftsstelle:<br />

c/o Dr. Johannes Schipp<br />

Münsterstraße 21<br />

33330 Gütersloh<br />

Telefon (0 52 41) 90 33-0<br />

Telefax (0 52 41) 1 48 59<br />

Deutscher AnwaltVerein<br />

Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht<br />

Geschäftsstelle<br />

Peter Altemeier<br />

Littenstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

Telefon (<strong>03</strong>0) 72 61 52-0, Sekr. 171<br />

Telefax (<strong>03</strong>0) 72 61 52-195<br />

Verlag:<br />

Deutscher AnwaltVerlag<br />

Wachsbleiche 7<br />

53111 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 19 11-0<br />

Telefax: (0228) 9 19 11-23<br />

E-Mail: kontakt@anwaltverlag.de<br />

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sales friendly Verlagsdienstleistungen<br />

Bettina Roos<br />

Siegburger Str. 123<br />

53229 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 78 98-0<br />

Telefax: (0228) 9 78 98-20<br />

E-Mail: roos@sales-friendly.de<br />

Gültig ist die Preisliste Nr. 4 vom 1.1.2007<br />

Lektorat<br />

Anne Krauss<br />

Satz<br />

Cicero Computer GmbH, 53225 Bonn<br />

Druck<br />

Hans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen<br />

Erscheinungsweise<br />

Die AE erscheint vierteljährlich<br />

Bezugspreise <strong>2012</strong><br />

Inland € 102,– (zzgl. Versand)<br />

Einzelheft € 31,90 (zzgl. Versand)<br />

Alle Preise verstehen sich inkl. Mehrwertsteuer. Der Abonnementpreis<br />

wird im Voraus in Rechnung gestellt.<br />

Das Abonnement verlängert sich zu den jeweils gültigen Bedingungen<br />

um ein Jahr, wenn es nicht 6 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres<br />

gekündigt wird.<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die<br />

AE im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Urheber- und Verlagsrecht<br />

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge – auch die bearbeiteten<br />

Gerichtsentscheidungen und Leitsätze – sind urheberrechtlich geschützt.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken und ähnlichen<br />

Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb der<br />

Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Genehmigung des Verlages<br />

in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere<br />

Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere<br />

von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache, übertragen<br />

werden. Namentlich gezeichnete Artikel müssen nicht die Meinung<br />

der Redaktion wiedergeben. Manuskripte und Einsendungen sind<br />

bitte an die Redaktionsanschrift zu senden.<br />

Manuskripte<br />

Die AE beinhaltet aktuelle arbeitsrechtliche <strong>Entscheidungen</strong> sowie Beiträge<br />

für die Anwaltspraxis. Manuskripte sind an die Redaktionsanschrift<br />

zu richten. Unverlangt eingesandte Manuskripte - für die keine<br />

Haftung übernommen wird - gelten als Veröffentlichungsvorschlag zu<br />

den Bedingungen des Verlages. Es werden nur unveröffentlichte Originalarbeiten<br />

übernommen. Die Verfasser erklären sich mit einer nicht<br />

sinnentstellenden redaktionellen Bearbeitung durch den Herausgeber<br />

einverstanden. Mit der Annahme eines Manuskriptes erwirbt der Verlag<br />

vom Verfasser das ausschließliche Recht zur Veröffentlichung und<br />

Verwertung. Eingeschlossen ist insbesondere auch das Recht zur Einspeicherung<br />

in Datenbanken sowie das Recht zur weiteren Vervielfältigung<br />

zu gewerblichen Zwecken im Wege eines fotomechanischen<br />

oder eines anderen Verfahrens.<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 67 von 68,<br />

Stichwortverzeichnis<br />

Stichwortverzeichnis<br />

(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der <strong>Entscheidungen</strong>)<br />

Abberufung<br />

Abfallbeauftragter – 185<br />

AGB-Kontrolle<br />

Tarifwechselklausel – 186<br />

Transparenzgebot – 162<br />

AGG<br />

Altersdiskriminierung – 207<br />

Geschlechtsdiskriminierung – 166<br />

Schwerbehinderung – 163, 164, 165<br />

Sozialplan – 207<br />

Aktenlageentscheidung<br />

Güteverhandlung – 213<br />

Änderungskündigung<br />

Tarifwechsel – 186<br />

Zumutbarkeit – 187<br />

Annahmeverzug<br />

Leiharbeit – 173<br />

Minderstunden – 168<br />

Arbeitnehmerstatus<br />

Cutterin – 167<br />

Dienstplanfreiheit – 167<br />

Programmgestaltung – 16<br />

vertragliche Vereinbarung – 219<br />

Arbeitsverweigerung<br />

Prozessarbeitsverhältnis – 2<strong>03</strong><br />

Arbeitszeit<br />

Annahmeverzug – 168<br />

arbeitsfreie Zwischenzeit – 209<br />

Arbeitszeitkonto – 168<br />

Minderstunden – 168<br />

Aufhebungsvertrag<br />

Anfechtung – 188, 189<br />

Auflösungsurteil<br />

Urlaubsanspruch – 177<br />

Ausgleichsklausel<br />

Auslegung – 169<br />

Betriebliche Altersversorgung – 169<br />

Auslegung<br />

Ausgleichsklausel – 169<br />

Tarifvertrag – 208<br />

Außerordentliche Kündigung<br />

außerdienstliches Verhalten – 196<br />

Beleidigung – 190, 195<br />

Schwerbehinderter – 193<br />

Verdacht – 194<br />

Wettbewerbsverbot nach Kündigung – 191, 192<br />

Whistleblowing – 194<br />

Aussetzung<br />

Ermessen – 214<br />

Tariffähigkeit – 212<br />

AVR<br />

Erwerbsminderung, Weiterbeschäftigung – 11<br />

Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />

Eigenart der Tätigkeit – 198<br />

Kombination mit/ohne Sachgrund – 197<br />

Rundfunk – 198<br />

Unklare Regelung – 197<br />

Beschlussverfahren<br />

einstweilige Verfügung – 205<br />

Unterlassungsanspruch – 205<br />

Betriebliche Altersversorgung<br />

Berechnung – 71<br />

Zusage – 170<br />

Betriebliche Übung<br />

Urlaub – 178<br />

Betriebsbedingte Kündigung<br />

unternehmerische Entscheidung – 199<br />

Betriebsrat<br />

Unterlassungsanspruch – 205<br />

Beweis<br />

Quittung – 215<br />

Direktionsrecht<br />

Feststellungsantrag – 172<br />

Konkretisierung der Tätigkeit – 172<br />

Eingruppierung<br />

Gebäudereiniger – 208<br />

Einigungsgebühr<br />

Anerkenntnis – 283<br />

Einigungsstelle<br />

Scheitern der Verhandlungen – 204<br />

Einstweilige Verfügung<br />

Beschlussverfahren – 205<br />

Urlaub – 180<br />

Erwerbsunfähigkeitsrente<br />

Mindesturlaub – 176<br />

Feststellungsinteresse<br />

Tarifvertrag, Wirksamkeit – 210<br />

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ae.<strong>2012</strong>.h00<strong>03</strong>.cic.xml (AE.fmt), Seite 68 von 68,<br />

Stichwortverzeichnis<br />

Feststellungsklage<br />

Direktionsrecht – 172<br />

Gebäudereinigerhandwerk<br />

arbeitsfreie Zwischenzeit – 209<br />

Eingruppierung – 208<br />

Geschäftsgebühr<br />

Anrechnung – 223<br />

Geschäftsunfähigkeit<br />

alkoholbedingte – 189<br />

Integrationsamt<br />

Prüfung der Kündigungsgründe – 193<br />

Krankheitsbedingte Kündigung<br />

betriebliche Auswirkungen – 200<br />

betriebliches Eingliederungsmanagement – 201<br />

negative Prognose – 200<br />

Kündigung<br />

siehe auch unter betriebsbedingte-, krankheitsbedingte-, verhaltensbedingte,<br />

außerordentliche und personenbedingte –<br />

Änderungskündigung – siehe dort<br />

Leiharbeit<br />

Annahmeverzug – 173<br />

Mobbing<br />

Aufgabenentzug – 171<br />

Schmerzensgeld – 174<br />

Voraussetzungen – 174<br />

Nichtzulassungsbeschwerde<br />

rechtliches Gehör – 216<br />

Personalrat<br />

Privatisierung – 206<br />

Prozesskostenhilfe<br />

Freibetrag – 221<br />

Verwertungspflicht – 222<br />

Quittung<br />

Beweiskraft – 215<br />

Rechtsmissbrauch<br />

Verwirkung – 184<br />

Rechtsweg<br />

Durchgriffshaftung – 218<br />

Organ im Eigenbetrieb – 219<br />

Rückwirkung<br />

Sonderurlaub – 175<br />

Sonderurlaub<br />

Freistellungsvorbehalt – 182<br />

Rückwirkungsgrund – 175<br />

vorzeitige Beendigung – 175<br />

Sozialplan<br />

Altersdiskriminierung – 207<br />

Streitwert<br />

Beschlussverfahren – siehe dort<br />

Wettbewerbsverbot – 226<br />

Streitwert im Beschlussverfahren<br />

Freistellung – 225<br />

Streitwertfestsetzung<br />

Beschwerdebefugnis – 224<br />

Tarifvertrag<br />

Auslegung – 208<br />

Gebäudereinigerhandwerk – 208, 209<br />

Herausfallen – 208<br />

Wirksamkeit – 210<br />

Urlaubsanspruch<br />

Abgeltung – 179<br />

Erwerbsunfähigkeitsrente – 16<br />

einstweilige Verfügung – 180<br />

Kürzung wegen Krankheit – 181<br />

Sonderurlaub – siehe dort<br />

Übertragungsanspruch – 178<br />

Verfall – 177<br />

Verdachtskündigung<br />

Anforderungen – 194<br />

Vergütungsanspruch<br />

Verwirkung – 184<br />

Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – 202<br />

Arbeitsverweigerung – siehe dort<br />

außerdienstliches Verhalten – 196<br />

Beleidigung – 195<br />

Nebenpflichtverletzung – 202<br />

Schmähkritik – 195<br />

Verspätetes Vorbringen<br />

Berufungsinstanz – 189<br />

Verzögerung – 189<br />

Verwirkung<br />

Vergütungsansprüche – 184<br />

Zurückverweisung<br />

ans Arbeitsgericht – 213<br />

Zurückweisung<br />

verspätetes Vorbringen – 189<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Bestimmtheitserfordernis – 220<br />

Unzulässigkeit – 210<br />

196<br />

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