14.01.2014 Aufrufe

Nr. 1/2013 - Humanité

Nr. 1/2013 - Humanité

Nr. 1/2013 - Humanité

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

eport<br />

Der Besuch des Schutzengels<br />

Im Auftrag des Roten Kreuzes besucht sie<br />

vor allem ältere Menschen, die zu Einsamkeit<br />

neigen. Heute um 14 Uhr klingelt sie<br />

– mit Leopardenhut und passendem Schal<br />

dazu – an der Tür von Rosita Mäder. Die<br />

90-Jährige wohnt im obersten Stock eines<br />

kleinen Mehrfamilienhauses ohne Lift in der<br />

Agglomeration Aarau. In ihrer Wohnung ist<br />

es heute düster. Und so ist auch ihre Stimmung.<br />

Grund dafür ist ein Schlaganfall, den<br />

Rosita Mäder vor Kurzem erlitt. Sie sieht auf<br />

einem Auge nichts mehr und hat grosse<br />

Angst davor, ganz zu erblinden. Denn die<br />

ehemalige Kioskbetreiberin liest sehr gerne.<br />

Der Besuch der Rotkreuz-Freiwilligen<br />

bringt Sonnenschein in das Leben von Rosita<br />

Mäder. «Wenn ich ein Tief habe, warte<br />

ich jeweils ungeduldig auf den Besuch.<br />

Nachher fühle ich mich immer besser», er-<br />

klärt sie lächelnd. Seit dem Tod ihres Lebenspartners<br />

vor knapp einem Jahr hat Rosita<br />

Mäder in der Nähe keine Angehörigen<br />

mehr, auf die sie zählen kann. Ihre Kinder<br />

und Enkel sind in alle Himmelsrichtungen<br />

verstreut. Und ihre Nachbarn sind leider<br />

«Nach dem Besuch von<br />

Frau Flüeler fühle ich mich<br />

immer besser.»<br />

auch keine grosse Hilfe. Der Besuchs- und<br />

Begleitdienst des Schweizerischen Roten<br />

Kreuzes Aargau ist deshalb ihr Rettungsanker.<br />

Sie hat das Rote Kreuz seit jeher als<br />

treue Spenderin unterstützt. Nie hätte sie<br />

gedacht, dass sie selbst eines Tages dessen<br />

Dienste benötigen würde. «Das Rote<br />

Kreuz leistet tolle Arbeit und ich möchte<br />

Frau Flüeler nicht mehr missen», erklärt sie.<br />

Joséphine Flüeler spricht Frau Mäder und<br />

anderen Personen, die den Besuchs- und<br />

Begleitdienst in Anspruch nehmen, Mut<br />

zu. Sie bestärkt sie darin, nicht aufzugeben<br />

und sich zu überlegen, was sich ändern<br />

liesse. So hat sie die Neunzigjährige<br />

auf einen Rollator zum Schnäppchenpreis<br />

aufmerksam gemacht, der ihr jetzt<br />

das Gehen erleichtert. Als Nächstes wird<br />

sie Rosita Mäder ermuntern, doch mal ein<br />

Hörbuch auszuprobieren. Auch wenn das<br />

ungewohnt ist für eine Frau im hohen Alter,<br />

die Bücher lesen seit Jahrzehnten zu<br />

ihren Lieblingsbeschäftigungen zählt.<br />

Joséphine Flüeler ist sich sicher, dass es<br />

nur eine Sache der Gewöhnung ist.<br />

Freiwilligenarbeit als Energiequelle<br />

Die Nutzerinnen und Nutzer des Besuchsdienstes<br />

schätzen die offene und<br />

Sie mögen sich<br />

gut, auch wenn<br />

sie nicht immer<br />

der gleichen Meinung<br />

sind<br />

Nach dem Einkaufen<br />

hilft Joséphine<br />

Flüeler<br />

beim Auspacken<br />

und Einräumen<br />

Zwei Kratzbürsten<br />

Frau Mäder hat Joséphine Flüeler gern<br />

an ihrer Seite. Um zu plaudern, zuzuhören,<br />

sich abzulenken. «Wir sind zwei<br />

Kratzbürsten, deshalb verstehen wir uns<br />

so gut», scherzt Flüeler mit einem kleinen<br />

Seitenhieb. Jeden Mittwoch erledigen<br />

die beiden Frauen die Einkäufe.<br />

Angesichts der eingeschränkten Mobilität<br />

der Neunzigjährigen ist das kein<br />

leichtes Unterfangen. Joséphine Flüeler<br />

macht sie auf Aktionen aufmerksam<br />

und beharrt darauf, dass sich die Verkäuferinnen<br />

Mühe geben. «Man muss<br />

sich wehren», betont sie, die mangelnden<br />

Respekt nicht leiden kann.<br />

fröhliche Art der Wahlaargauerin. Dahinter<br />

verbirgt sich aber auch eine andere,<br />

zerbrechlichere Seite. Ihr Leben<br />

verlief nicht ohne Sorgen – und Tragik.<br />

Nach dem frühen Tod ihrer Tochter<br />

und danach ihres Mannes fiel sie in<br />

ein Loch. Doch eines Morgens erwachte<br />

sie mit dem starken Wunsch, anderen<br />

zu helfen. So bewarb sie sich beim Roten<br />

Kreuz. «Je mehr ich für andere mache,<br />

desto mehr Kraft habe ich für mich<br />

selbst», erklärt sie und ballt die Faust,<br />

um ihrer Entschlossenheit Ausdruck zu<br />

geben.<br />

➔ Mehr zum Thema im Interview<br />

auf Seite 9<br />

<strong>Humanité</strong> 1/<strong>2013</strong> 7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!