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Soziale Ungleichheiten und<br />

Heterogenität<br />

Modul 7.1<br />

Vorlesung<br />

Wintersemester 2009/2010<br />

Prof. Dr. Dieter Filsinger<br />

Karsten Ries M.A.


Übersicht<br />

‣Begriffsbestimmung<br />

‣Theoretische Konzepte, Modelle und<br />

Grundlagen der <strong>soziale</strong>n Ungleichheit<br />

– Historische Perspektive, klassische Konzepte<br />

– Modernisierung <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

– Figurationen<br />

‣Erscheinungsformen und Erklärungsmuster<br />

<strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

– Geschlechtsspezifische Unterschiede<br />

– Bildungsungleichheit – Bildungsgerechtigkeit<br />

– Migration und ihre Folgen<br />

– Gesundheit<br />

– Armut (Inklusion und Exklusion)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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BEGRIFFSBESTIMMUNG<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Begriffsbestimmung 1<br />

‣ Differenzen (Unterschiede, Ungleichheiten) (z.B. Geschlecht,<br />

Familienstand, Religionszugehörigkeit) sind nicht gleichbedeutend<br />

mit <strong>soziale</strong>r Ungleichheit. Zur <strong>soziale</strong>n Ungleichheit<br />

werden Unterschiede erst dann, wenn diese dauerhafte<br />

(negative) <strong>soziale</strong> Konsequenzen haben (Nassehi 2008, S.<br />

164).<br />

‣ “Unter <strong>soziale</strong>r Ungleichheit versteht man eine systematische<br />

ungleiche Verteilung von Lebenschancen bzw. von Möglichkeiten<br />

der Inklusion in Gesellschaft und der Verfügung über<br />

gesellschaftlich relevante Ressourcen (Burzan 2008, S. 306).<br />

‣ Soziale Ungleichheit liegt dann vor, „wenn Menschen aufgrund<br />

ihrer Stellung in <strong>soziale</strong>n Beziehungsgefügen von den<br />

‚wertvollen Gütern‘ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als<br />

andere erhalten“ (Hradil 2001, S. 30).<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Begriffsbestimmung 2<br />

‣ Relevante Aspekte<br />

– Knappe und begehrte Güter<br />

(Wertbezug / Bewertungs-Aspekt)<br />

– In der Organisation der Gesellschaft verankerte regelmäßige und<br />

überpersönliche Verteilungsmechanismen<br />

(Ungleichheitsgefüge)<br />

– Über- und Unterordnungsverhältnis<br />

– Relevanz von Gleichheits- und Gerechtigkeits-normen<br />

– Verteilung und Anerkennung<br />

– Zeit- und Ortsdimension<br />

‣ Ungleichheitsgefüge / Strukturtypen <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

im Wandel<br />

– z.B. Ständegesellschaft, Klassengesellschaft<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Begriffsbestimmung 3<br />

Ungleichheitsrelevante Merkmale<br />

von Personen und Gruppen<br />

– Einkommen,<br />

– Bildung,<br />

– berufliche Position,<br />

– Stellung im Produktions- und<br />

Reproduktionsprozess,<br />

– Netzwerke,<br />

– Prestige,<br />

– Geschlecht,<br />

– Alter,<br />

– Generationenzugehörigkeit,<br />

– ethnische Herkunft<br />

Erscheinungsformen <strong>soziale</strong>r<br />

Ungleichheit<br />

‣ Ungleiche Verteilung von:<br />

– Rechten,<br />

– Einkommen,<br />

– Bildung,<br />

– Wissen,<br />

– Arbeitsbedingungen,<br />

– Infrastrukturversorgung,<br />

– Ansehen,<br />

– Anerkennung,<br />

– Macht,<br />

– Sicherheit,<br />

– Risiken usw.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Begriffsbestimmung 4<br />

‣ Bestimmungsgründe der Produktion und Reproduktion <strong>soziale</strong>r<br />

Ungleichheit: Theorien bzw. Legitimationsmuster<br />

– sozU als Folge natürlicher Gegebenheiten<br />

(„natürliche“ Ungleichheit)<br />

– sozU durch (Privat-)Eigentum<br />

– sozU durch Arbeitsteilung und Differenzierung<br />

– sozU als Folge eines gesellschaftlich notwendigen Belohungssystem<br />

– sozU durch Herrschaft und Gewaltausübung (z.B. Enteignung)<br />

– sozU durch den Einfluss normativer Vorstellungen / Wertschätzung<br />

– sozU als Folge der Struktureigenschaften von gesellschaftlichen<br />

Funktionssystemen: z.B. politisches System, Bildungssystem, Beschäftigungssystem<br />

und Arbeitsmarkt<br />

– sozU durch (Sozial-)Politik<br />

– sozU durch Diskriminierung und Stigmatisierung<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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THEORETISCHE KONZEPTE,<br />

MODELLE UND GRUNDLAGEN<br />

SOZIALER UNGLEICHHEIT<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Figurationen <strong>soziale</strong>r Ungleichheit in historischer Perspektive 1<br />

Zentrale Begriffe (Thieme 1998) Entwicklungsmuster (Hradil 1998)<br />

Kaste<br />

Stand<br />

Klasse<br />

Vorindustrielle Ständegesellschaft<br />

Frühindustrielle Klassengesellschaft<br />

Industrielle Schichtgesellschaft<br />

‣ Ständegesellschaft<br />

(vom Beginn des Mittelalters bis zum 18./19. Jahrhundert)<br />

„Mit Stand bezeichnet man eine Figuration, deren Angehörige hinsichtlich<br />

ihres Berufs, ihrer Recht und Pflichten sowie ihrer gesamten Lebensumstände<br />

strengen <strong>soziale</strong>n Zwängen unterworfen sind. Dieses kann<br />

bestimmte Privilegien ebenso einschließen wie ein besonderes Standesethos<br />

und eine spezifische Mentalität, woraus sich wiederum Handlungsanweisungen<br />

ergeben“ (Thieme 1998: 132).<br />

• ländliche Feudalgesellschaft<br />

• ständische Stadtgesellschaft<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Figurationen <strong>soziale</strong>r Ungleichheit in historischer Perspektive 2<br />

‣ Frühindustrielle Klassengesellschaft<br />

(ab Mitte des 19. Jahrhunderts)<br />

„Unter Klasse ist eine Figuration zu verstehen, deren Mitglieder einerseits<br />

durch bestimmte ökonomische Merkmale, andererseits durch ein<br />

spezifisches Zugehörigkeitsgefühl und das Bewusstsein über einen<br />

historischen politischen ´Auftrag´ zu verfügen, gekennzeichnet sind<br />

(Thieme 1998:137).<br />

‣ Industrielle Schichtgesellschaft<br />

(20. Jahrhundert)<br />

„Unter ´Schichten´ verstehen wir übereinander liegende Status-gruppen,<br />

die durch horizontale Grenzen von einander getrennt sind“ (Hradil<br />

1998:151).<br />

„Währen die Klassengesellschaft eine gespaltene Gesellschaft ist, stellt<br />

eine Schichtgesellschaft eine abgestufte, in allmählichen Übergängen, z.B.<br />

von arm über gut gestellt bis hin zu reich, ungleiche Gesellschaft dar“<br />

(Hradil 1998:150).<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Überblick über Ansätze zur <strong>soziale</strong>n Ungleichheit<br />

Bis Ende der siebziger Jahre:<br />

Klassen<br />

Marx<br />

Weber<br />

Geiger<br />

Dahrendorf<br />

Neomarxismus<br />

Ab etwa Anfang der achtziger Jahre:<br />

Schichten<br />

Funktionalistische<br />

Schichtungstheorie<br />

(z.B. Parsons)<br />

Prestigemodelle<br />

(z.B. Warner, Scheuch)<br />

Andere Ansätze<br />

Nivellierte Mittelstandsgesellschaft<br />

(Schelsky)<br />

Klassen<br />

Schichten<br />

Lebensstile<br />

und Milieus<br />

Soziale<br />

Lagen<br />

Indivisualisierung<br />

• z.B. Wright,<br />

Goldthorpe,<br />

Bourdieu<br />

• z.B. Geißler<br />

• z.B.<br />

Bourdieu,<br />

Schulze<br />

• z.B. Hradil,<br />

Schwenk<br />

• z.B. Beck<br />

Nach: Burzan, Nicole (2007): Soziale Ungleichheit. Wiesbaden. S. 12<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Klassentheorie/n: Karl Marx<br />

Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen<br />

leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung von denen der<br />

anderen Klasse trennen und ihnen feindlich gegenüberstehen, bilden sie eine<br />

Klasse" (K. Marx, MEW Bd. 8, S. 198).<br />

Klassenbegriff ist ein Strukturbegriff (sozioökonomische Struktur,<br />

Lebensbedingungen), hat aber auch eine sozio-kulturelle Dimension<br />

(Bewusstseinsformen) sowie eine sozialpolitische Dimension (Aktionsformen,<br />

Klassenhandeln).<br />

• homogene ökonomische/<strong>soziale</strong> Lage resultierend aus der kapitalistischen<br />

Produktionsweise<br />

• klassenspezifischer Bildungsstand<br />

• antagonistische Beziehung zwischen Klassen: objektive Interessensgegensätze<br />

(dichtonomisch/Spaltung)<br />

Tendenz: Dualisierung, ("Zweiklassengesellschaft"): gegensätzliche<br />

gesellschaftlicher und <strong>soziale</strong> Interessen.<br />

Problem: "Klasse an sich" - "Klasse für sich"<br />

(Wir-Bewusstsein, Wir-Handeln – Klassenkampf)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

12


Das Marxsche Klassenmodell<br />

Ursache <strong>soziale</strong>r Ungleichheit:<br />

Privateigentum (an Produktionsmitteln<br />

Besitzende<br />

(Eigentümer)<br />

KAPITALISTEN<br />

(Bourgeoisie)<br />

Nicht-Besitzende<br />

LOHNARBEITER<br />

(Proletarier)<br />

Produktionsverhältnisse<br />

Durch technologische<br />

Erneuerung / Wandel der<br />

Produktivkräfte (Mensch +<br />

Maschine)<br />

(revolutionärer Wandel der<br />

Produktionsverhältnisse<br />

Entstehung neuer<br />

Produktionsweisen und<br />

Klassen(verhältnisse)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Abgrenzungskriterien des Klassenbegriffs<br />

„Um von einer Gliederung in Klassen zu sprechen, müssen zumindest folgende Bedingungen<br />

erfüllt sein: (a) Das Kriterium der Gruppenbildung ist objektiv und nicht subjektiv.<br />

Es bezieht sich auf die Position einer Gruppe in einem <strong>soziale</strong>n Gefüge und nicht auf die<br />

Wahrnehmungen oder die Handlungen der Gruppenmitglieder. (b) Die einzelnen Gruppen<br />

sind scharf voneinander abgegrenzt. Jedes Individuum kann nur einer Klasse angehören<br />

(...). Ferner sind die Gruppen in dem Sinne exklusiv, dass eine Gruppe über privilegierte<br />

Zugänge zu Ressourcen verfügt, von denen eine andere Gruppe ausgeschlossen<br />

ist. (c) Während herkömmliche Status-Analysen eine hierarchische Anordnung der<br />

gesellschaftlichen Gruppen annehmen, sind für die Marxsche Klassenanalyse antagonistische<br />

Beziehungen zwischen den Klassen typisch. (d) Klassen sind bezüglich der<br />

Möglichkeit des Eintritts und Austritts relativ geschlossen. Zwar ist Mobilität, wenn sie ein<br />

bestimmtes Maß nicht übersteigt, noch mit der Klassenstruktur vereinbar, aber eine völlig<br />

offene und mobile Gesellschaft, wäre keine Klassengesellschaft mehr. (e) Schließlich ist<br />

das Kriterium, nach dem Klassen gebildet werden, materialistisch, oder besser gesagt:<br />

ökonomisch. In klassentheoretischer Sicht ist die Sozialstruktur der Gesellschaft in ihrer<br />

Wirtschaft verankert. Diesen Sachverhalt hatte Marx im Auge, als er die Klassen der<br />

modernen bürgerlichen Gesellschaft durch ihre Stellung im Produktionsprozess<br />

(Wirtschaftsprozess) definierte. Jedoch nicht alle ökonomischen Kriterien legen zugleich<br />

die Stellung im Produktionsprozess fest. Z.B. ist das Einkommen eine Folge diese<br />

Stellung, aber es bedingt sie nicht selbst (....).“<br />

Berger, Johannes (1998). Was behauptet die Marxsche Klassentheorie - und was ist davon haltbar? In: Giegel, Hans-<br />

Joachim (Hg.), Konflikt in modernen Gesellschaften. Frank­furt/M.: Suhrkamp, S. 32<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Max Weber<br />

– Klassen sind Gruppen von Menschen in gleicher Klassenlage.<br />

Klassenlagen sind typische Chancen<br />

a) der Güterversorgung,<br />

b) der äußeren Lebensstellung und d<br />

c) es inneren Lebensschicksals (Weber 1956).<br />

Klassenstrukturen sind folglich Chancenstrukturen.<br />

– Klassen (ökonomische Lage); Differenzierung:<br />

• Besitzklassen,<br />

• Erwerbsklassen;<br />

• Stände (Lebensführung)<br />

– Moderne Variante: Versorgungsklassen im Wohlfahrts-staat<br />

(Lepsius)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Max Weber: Klassen und Stände<br />

Begriff<br />

Untergliederung<br />

Gesellschaftsbereich<br />

Bestimmungsmerkmal<br />

Besitzklasse<br />

Besitzunterschiede,<br />

nicht dichotom<br />

Klassen<br />

Wirtschaftordnung<br />

Erwerbsklasse<br />

Chancen der<br />

Marktverwertung<br />

von Gütern und<br />

Leistung<br />

Soziale Klassen<br />

Wechsel persönlich<br />

und in Generationenfolge<br />

leicht<br />

möglich / typisch<br />

Stände<br />

„Soziale“ Ordnung<br />

z.B. Offiziere, Ärzte,<br />

Adel, Studenten,<br />

Klerus<br />

Typ. Komponenten,<br />

die sich an gemeinsame<br />

Eigenschaft<br />

vieler knüpft<br />

Parteien<br />

„Macht“<br />

Interessengruppierungen<br />

unabhängig<br />

von Zielen,<br />

Beständigkeit etc.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Bourdieus Klassentheorie: Konzept des mehrdimensionalen Raums 1<br />

Unter "<strong>soziale</strong>m Raum" versteht B. ein strukturiertes Feld der Kräfteverteilung<br />

(objektive Kräfteverhältnisse). Der Handlungs-raum weist<br />

objektive, vom Willen und Bewusstsein der handelnden Akteure<br />

unabhängige Strukturen auf, die die "Praxismöglichkeiten <strong>soziale</strong>r<br />

Akteure" bestimmen. Entscheidend ist die unterschiedliche Verfügungsgewalt<br />

über Ressourcen, Kapitalien: ökonomisches Kapital, <strong>soziale</strong>s<br />

und kulturelles Kapital sowie das symbolische Kapital, als wahrgenommene<br />

und als legitim anerkannte Form der drei Kapitalien". Klassen<br />

können gewissermaßen als Ensemble von Akteuren charakterisiert<br />

werden, welche aufgrund des Umstandes, dass sie ähnliche Positionen<br />

im <strong>soziale</strong>n Raum (d.h. in der Kräfteverteilung) einnehmen, ähnlichen<br />

Existenzbedingungen und konditionierenden Faktoren unterworfen und<br />

demzufolge mit ähnlichen Dispositionen ausgestattet sind, die sie<br />

ähnliche Praktiken entwickeln lassen"<br />

(Bourdieu 1997, S. 111)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

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Bourdieus Klassentheorie: Konzept des mehrdimensionalen Raums 2<br />

Aus der kontinuierlichen gesellschaftlichen Praxis heraus entwickelt<br />

sich die "Weltsicht bzw. Auffassung von der eigenen Stellung in dieser<br />

Welt, ihre jeweilige gesellschaftliche Identität. Die Wahrnehmungskategorien<br />

resultieren wesentlich aus der Inkorporierung der objektiven<br />

Strukturen des <strong>soziale</strong>n Raums. Sie sind es folglich, die die Akteure<br />

dazu bringen, die <strong>soziale</strong> Welt so wie sie ist, hinzunehmen, als fraglos<br />

gegebene, statt sich aufzulehnen und ihr andere, wenn nicht sogar<br />

vollkommen konträre Möglichkeiten entgegenzusetzen" "Zugleich stellt<br />

aber das Moment an Unbestimmtheit und Unschärfe, das den Objekten<br />

der <strong>soziale</strong>n Welt anhaftet, den archimedischen Punkt dar, an dem<br />

genuin politisches Handeln objektiv ansetzen kann", und dies ist der<br />

politische Kampf "um die Macht zum Erhalt oder zur Veränderung der<br />

herrschenden <strong>soziale</strong>n Welt durch Erhalt oder Veränderung der<br />

herrschenden Kategorien zur Wahrnehmung dieser Welt.„<br />

Bourdieu, P. (1977). Sozialer Raum und Klassen. Lecon sur la lecon. Frankfurt/M. Suhrkamp, S. 16ff.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

18


Kapitalarten nach Bourdieu<br />

Kapitalart Form Einheit, "Währung"<br />

ökonomisch<br />

materielles Gut,<br />

nicht personengebunden<br />

Geld, Land, Besitz<br />

kulturell inkorporiert persönliches Gut,<br />

ersonengebunden<br />

Kenntnisse, Wissen,<br />

Fähigkeiten, Fertigkeiten<br />

objektiviert<br />

juristisches Gut,<br />

nicht personengebunden<br />

"Kulturgüter", z.B.<br />

Bücher, Gemälde<br />

institutionalisiert legitimiertes<br />

persönliches Gut<br />

Zeugnisse, Bildungszertifikate,<br />

Titel<br />

sozial<br />

persönliches Gut,<br />

personengebunden<br />

"Zugänge", Beziehungen<br />

Symbolisches Kapital: Legitimation der Verteilung von Kapitalien<br />

Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, <strong>soziale</strong>s Kapital.<br />

In Kreckel, R. (Hg.), Soziale Ungleichheiten (S. 183-198). Göttingen: Schwartz & Co.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

19


Schichttheorie<br />

‣ Vorläufer: Theodor Geiger<br />

(Die <strong>soziale</strong> Schichtung des deutschen Volkes, 1932)<br />

"Unter ´Schichten´ verstehen wir übereinander liegende Statusgruppen (...). Eine <strong>soziale</strong><br />

Schicht bezeichnet einen Bevölkerungsteil, der unter weitgehend gleichartigen Lebensbedingungen<br />

lebt. Ein Schichtgefüge ergibt sich aus einer Anzahl von mehr oder weniger<br />

privilegierten Bevölkerungsgruppen, die sich in eine vertikale Anordnung bringen lassen.<br />

Innerhalb jeder Gruppe verfügen die Mitglieder über dauerhafte Lebenschancen in einem<br />

ähnlichen Grad und in ähnlicher Art. Soziale Schichten implizieren daher erkennbare und<br />

auch erfahrbare Grenzen zwischen den Bevölkerungsteilen.“<br />

Hradil, S. (1993, 2.Aufl.). Schicht, Schichtung und Mobilität. In Korte, H. u. Schäfers, B. (Hg.), Einführung in<br />

Hauptbegriffe der Soziologie. Opladen: Leske & Budrich, S. 151<br />

– wichtig: Wenn <strong>soziale</strong> Schichten über besondere Eigenschaften verfügen, dann<br />

können sie Klassen genannt werden (Klassenschichtung; Bahrdt 1984, S. 135 ff.)<br />

– Zentral sind: Bildung, Beruf, Einkommen ("meritokratrische Triade"). Annahmen:<br />

offene Gesellschaft (Parsons), Vor- und Nachteile werden aufgrund von Leistung<br />

erworben (Leistungsgesellschaft) und müssen korrigierbar sein (Mobilität). Vor allem<br />

der Beruf bestimmt das Prestige. Berufsnahe Kategorien wie Geld, Macht,<br />

Qualifikation und Ansehen bestimmen das Schichtungsgefüge. Nur wenn die<br />

Einzelstatus´(wie z.B. Bildung) übereinstimmen (Statuskonsistenz) ist es sinnvoll von<br />

gesamtgesellschaft-lichen Schichten zu sprechen.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

20


Das Ungleichheitsgefüge in Deutschland in den 60er Jahren<br />

nach Bolte<br />

Quelle:<br />

Bolte, Karl Martin et. al. (1967): Soziale Schichtung der Bundesrepublik Deutschland. In: Bolte, Karl Martin<br />

(1967): Deutsche Gesellschaft im Wandel, Bd. 1, Opladen, S. 233- 351; S. 316 (nach Burzan 2007: 55)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

21


Das Schichtmodell nach Geißler<br />

Quelle:<br />

Geißler, Rainer (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands. Die gesellschaftliche Entwicklung vor und nach<br />

der Vereinigung. 3., grundlegend überarbeitete Auflage. Wiesbaden, S. 119 (nach Burzan 2007: 76)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

22


Charakteristika von Klassen- und Schichtmodellen (1)<br />

‣ Klassen:<br />

– Ökonomische Aspekte stehen im Vordergrund<br />

– Die Zugehörigkeit zu einer Klasse hat Auswirkungen<br />

auf alle Lebensbereiche, auf innere Haltungen der<br />

Individuen und ihr Handeln<br />

– Ein Schwerpunkt liegt auf den Relationen zwischen<br />

den Klassen<br />

– Klassenkampf / Relation zwischen den Klassen als<br />

Motor der gesellschaftlichen Entwicklung<br />

– Im Vordergrund: Analyse der Ursachen der <strong>soziale</strong>n<br />

Ungleichheit und des <strong>soziale</strong>n Wandels<br />

– weniger: möglichst genaue Beschreibung der<br />

Lebensbedingungen<br />

Quelle: Burzan 2008, S. 64ff<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

23


Charakteristika von Klassen- und Schichtmodellen (2)<br />

‣ Schichtmodelle:<br />

– Im Vordergrund: Beschreibung ungleicher<br />

Lebensbedingungen und damit ungleicher<br />

Lebenschancen<br />

– Theoretische, weniger sozioökonomisch orientierte<br />

Zuordnung zu Schichten. Bedeutung einzelner<br />

Kriterien für die Schichtzugehörigkeit kann je nach<br />

Gesellschaft und betrachtetem Zeitraum variieren.<br />

– Vorwiegend vertikale/hierarchische Abstufung in drei<br />

Schichten mit Untergliederungen (nicht trennscharf)<br />

– Prozessbetrachtung eher im Hinblick auf<br />

Auswirkungen individueller Mobilität<br />

– Soziale Ungleichheit wird zumindest teilweise als<br />

notwendig für die Aufrechterhaltung der<br />

gesellschaftlichen Ordnung gesehen<br />

Quelle: Burzan 2008, S. 64ff<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

24


Kritik an „alten“ Klassen- und Schichtungsmodellen (ab 1980er Jahre)<br />

‣ Modelle erwiesen sich bei einschneidenden Prozessen des<br />

<strong>soziale</strong>n Wandels als wenig angemessen<br />

Keine Antwort für zunehmende <strong>soziale</strong> Differenzierung durch<br />

erhöhten Lebensstandard<br />

Kaum Identifikation mit den <strong>soziale</strong>n Großgruppen<br />

Differenzierung und Pluralisierung von Lebensweisen wird nicht<br />

erfasst<br />

Entstehung „neuer“ Ungleichheiten, die sich nicht mehr durch<br />

ökonomische Aspekte, Bildung, Ansehen/Prestige, Macht<br />

erklären lassen: Lebensverhältnisse treten als Dimension neben<br />

die Ressourcen<br />

Durch Pluralisierung Statusinkonsistenzen als Regelfall<br />

Fokussierung auf Erwerbstätige nicht mehr zeitgemäß<br />

Hohes Abstraktionsniveau, zu statisch<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

Quelle: Burzan 2008, S. 64ff<br />

25


Die Entstrukturierungsdebatte<br />

Problem<br />

• Klassen- und Schichtkonzepte sind nicht mehr in der Lage,<br />

wesentliche Charakteristika der Struktur der <strong>soziale</strong>n<br />

Ungleichheit zu erfassen. Klassen und Schichten spielen<br />

allenfalls noch eine marginale Rolle für das Denken und<br />

Handeln der Menschen<br />

Ursachen<br />

• Wohlstandsgesellschaft mit Anstieg des ökonomischen<br />

Wohlstande und einer Bildungsexpansion<br />

• Institutionalisierung des Klassenkampfes<br />

• Zunahme <strong>soziale</strong>r Mobilität<br />

Folgen<br />

• Neue <strong>soziale</strong> Ungleichheiten neben erwerbszentrierten<br />

Konzepten (neue Dimensionen, Ursachen, Statuszuweisungen)<br />

• Pluralisierung von Lebenslagen<br />

• Individualisierung<br />

Quelle: Groß, Martin (2008): Klassen, Schichten, Mobilität. Eine Einführung. Wiesbaden. S. 89ff.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

26


Milieus<br />

‣ Als <strong>soziale</strong>s Milieu bezeichnet man Beziehungszusammenhänge<br />

oder Tätigkeitskreise, die durch<br />

>typische< Lebensweisen, d.h. durch ähnliche<br />

äußere Lebensverhältnisse und innere<br />

Lebensgestaltung, zusammenhängen und sich<br />

voneinander abgrenzen. (Vester, Michael (2008), S. 189)<br />

– Ergänzt „ökonomische“ Klassen- und Schichtkonzepte<br />

durch vieldimensionale, ganzheitliche Praxisbezüge<br />

– Beruht auf tiefen, historisch beständigen Grundhaltungen,<br />

d.h. sie verändern sich nur langsam<br />

– Soziale Milieus beschreiben ähnliche objektive Bedingungen<br />

wie <strong>soziale</strong> Lagen, berücksichtigen aber<br />

gleichzeitig die subjektive Interpretation dieser Bedingungen<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

27


Milieuanalyse - Deutungsmusteranalyse<br />

<strong>soziale</strong> Deutungsmuster<br />

(kollektive geteilte Wissensbestände)<br />

Struktur des<br />

Gedeuteten<br />

Struktur der<br />

Deutungen<br />

Struktur des<br />

Deutens<br />

Protokolle über<br />

Resultate des<br />

Deutens<br />

(meisten aus<br />

Interviews)<br />

}<br />

fallspezifische<br />

Handlungsprobleme<br />

(vielfältige<br />

Wirklichkeiten)<br />

Handlungsroutinen<br />

Struktur des<br />

Handelns<br />

} Logik<br />

Quelle: Böcker, H., Neuendorff, H. u. Rüßler, H. (1998). "Hörder Milieu".<br />

Deutungsmusteranalysen als Zugang zur Rekonstruktion intermediärer Sozialstrukturen - an<br />

Fällen. In Mathiesen, U. (Hg.), Die Räume der Milieus (151-189). Berlin: edition sigma<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

28


Milieu als sozialwissenschaftlicher Strukturbegriff: Theorie<br />

‣Soziale Positionen und Lagen<br />

– objektive Ebene: Vergesellschaftung<br />

‣Soziale Milieus<br />

– alltagsweltliche Lebenszusammenhänge<br />

– vermittelnde Ebene: Vergemeinschaftung<br />

‣Mentalität/Habitus<br />

– subjektive/(individuelle Ebene: individuelle<br />

Dispositionen)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

29


Milieu als sozialwissenschaftlicher Strukturbegriff: Empirie<br />

‣Datenbasis:<br />

SINUS-Lebensweltforschung<br />

– Becker, U.,/Becker, H./Ruhland W.(1992).<br />

Zwischen Angst und Aufbruch. Das Lebensgefühl<br />

der Deutschen in Ost und West nach der<br />

Wiedervereinigung. Düsseldorf.<br />

– qualitative und standardisiert-repräsentative<br />

Untersuchungen<br />

‣Milieus ermittelt nach dem jeweiligen Habitus,<br />

der gesamten inneren und äußeren "Haltung"<br />

der Menschen. Insbesondere berücksichtigt:<br />

– Soziale Lage<br />

– Lebensziele<br />

– Lebensstil<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

30


Die lebensweltlichen Sozialmilieus der pluralisierten Klassengesellschaft<br />

Habitus<br />

modernisiert<br />

14% - 20%<br />

teilmodernisiert<br />

38% - 45%<br />

traditionell<br />

46% - 35%<br />

Oberklassen-<br />

Habitus<br />

Alternatives<br />

Milieus<br />

Technokratischliberales<br />

Milieu<br />

Konservativgehobenes<br />

Milieu<br />

22% - 19%<br />

4% - 2%<br />

9% - 9%<br />

9% - 8%<br />

Mittelklassen-<br />

Habitus<br />

Hedonistisches<br />

Milieu<br />

Aufstiegsorientiertes<br />

Milieu<br />

Kleinbürgerliches<br />

Milieu<br />

58% - 59%<br />

Arbeiter-Habitus<br />

18% - 22%<br />

10% - 13%<br />

Neues Arbeitnehmermilieu<br />

0% - 5%<br />

20% - 24%<br />

Traditionsloses<br />

Arbeitermilieu<br />

9% - 12%<br />

28% - 22%<br />

Traditionelles<br />

Arbeitermilieu<br />

9% -5%<br />

Anordnung der SINUS-Lebensstilmilieus für Westdeutschland nach Bourdieus Konzept des <strong>soziale</strong>n<br />

Raums und des Habitus der Klassenfraktion. Die Prozentzahlen markieren die Veränderung von 1982<br />

bis 1992.<br />

Vester, M. u.a. (1993). Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. zwischen Integration und Ausgrenzung. Köln: Bund-Verlag (S. 16); Neuere<br />

Fassung: Vester, M./Oertzen, P.v./Geiling, H./Herman, T./Müller, D. (2001). Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und<br />

Ausgrenzung. Frankfurt/Main: Suhrkamp<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

31


Die Sinus-Milieus 2007<br />

Quelle: www.sinus-sociovioson.de (Abruf 13.8.2008)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

32


Ausdifferenzierung der (städtischen) Gesellschaft 1<br />

‣ Spaltungen zwischen Einheimischen und Zugewanderten<br />

‣ Spaltungen zwischen stabil im Arbeitsmarkt Verankerten<br />

und den Inhabern marginalisierter Jobs resp. den<br />

Arbeitslosen<br />

‣ kulturellen Ausdifferenzierungen (Heterogenisierung),<br />

von Lebensstilen, Haushalts- und Wohnformen<br />

(Häußermann/Siebel 1991)<br />

Ökonomische Spaltung<br />

Soziale Spaltung<br />

Kulturelle Spaltung<br />

Eigentum, Einkommen, Position<br />

auf dem Arbeitsmarkt<br />

Bildung, <strong>soziale</strong> Integration,<br />

Position auf dem Wohnungsmarkt<br />

ethnische Zugehörigkeit, Religion,<br />

normative Orientierungen<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

33


Ausdifferenzierung der (städtischen) Gesellschaft 2<br />

Als "Erste Stadt" kann der Raum der Wachstumskräfte,<br />

die international konkurrenzfähige<br />

Stadt und als "Zweite Stadt" die Wohngebiete<br />

der deutschen Mittelschichten bezeichnet<br />

werden. Die "Dritte Stadt" sind die Wohngebiete<br />

der Randgruppen, die in der Modernisierung<br />

zurückgeblieben sind und für eine Standortpolitik<br />

nur wenig von Interesse sind.<br />

Alisch/Dangschat 1998, S. 87ff.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

34


Lebenslage(n)<br />

Die je historisch konkreten Konstellationen von äußeren Lebensbedingungen, die Menschen<br />

im Ablauf ihres Lebens vorfinden, sowie die mit diesen äußeren Bedingungen in wechselseitiger<br />

Abhängigkeit sich entwickelnden Deutungs- und Verarbeitungsmuster. Lebenslage ist<br />

ein dynamischer Begriff, der die historische, <strong>soziale</strong>n und kulturellen Wandel erzeugende Entwicklung<br />

dieser äußeren Bedingungen einerseits umfasst und andererseits die spezifischen<br />

Interaktionsformen zwischen dem <strong>soziale</strong>n Handeln der Menschen und diesen äußeren<br />

Bedingungen. (Amann 1983)<br />

Die Gesamtheit ungleicher Lebensbedingungen eines Menschen bzw. Gruppen in unterschiedlichen<br />

Dimensionen <strong>soziale</strong>r Ungleichheit (z.B. Einkommen, Arbeits- und Wohnbedingungen).<br />

Objektive Handlungsspielräume von Einzelnen und Gruppen zur gesellschaftlichen und<br />

<strong>soziale</strong>n Teilhabe. Typische Kontexte ungleicher Handlungsbedingungen.<br />

Die Gesamtheit einer gruppentypischen Ausstattung mit "harten" Voraus­setzungen des Handelns.<br />

Im einzelnen lassen sich unter diesen Handlungsvoraussetzungen mehr oder minder<br />

jederzeit instrumentell nutzbare Ressourcen (Geld, Macht usw.), stetig prägende Einflüsse<br />

(Wohnbedingungen usw.), aktuell oder potentiell einschränkende Zwänge (z.B. Arbeitsplatzangebot,<br />

<strong>soziale</strong> Vorurteile) und drohende Risiken unterscheiden.<br />

Hradil 1987<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

35


Lagekonzept<br />

‣Soziale Lagen sind typische Kontexte von<br />

Handlungsbedingungen, die vergleichsweise<br />

gute oder schlechte Chancen zur<br />

Befriedigung allgemeiner anerkannter<br />

Bedürfnisse gewähren. (Hradil, nach Burzan 2008,<br />

S.142)<br />

– Mehrdimensionales Konzept<br />

– Dimensionen sind nicht additiv, sondern bilden<br />

individuelle Kontexte von Handlungsbedingungen<br />

– Lagen bilden in erster Linie die objektiven<br />

Lebensbedingungen ab<br />

– Lagen sind nicht notwendiger Weise hierarchisch<br />

angeordnet<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

36


Konzept der Sozialen Lage<br />

A) Ökonomische Lage<br />

– Einkommen, Vermögen<br />

– Bildung<br />

– Beruf<br />

– Macht<br />

B) Wohlfahrtsstaatliche<br />

Absicherung<br />

– Einkommenssicherheit<br />

(Risiken von<br />

Arbeitslosigkeit und<br />

Verarmung)<br />

– Sicherung gegenüber<br />

gängigen Existenzrisiken:<br />

Krankheit im Alter usw.<br />

– Arbeitsbedingungen<br />

– Wohn(umfeld)bedingunge<br />

– Infrastrukturausstattung<br />

im Nahbereich<br />

– Regionalpolitischer Status<br />

der Wohngemeinde<br />

C) Soziale Teilhabe<br />

– Politische Teilhabe<br />

– Mitgliedschaft in<br />

Organisationen (Kirchen,<br />

Gewerkschaften, Vereine)<br />

– Soziale Integration<br />

– Ethnische Identität<br />

– Stigmatisierung<br />

– Selbsthilfetätigkeit<br />

D) Subjektive Einschätzung<br />

– Zufriedenheit mit der<br />

Lebenssituation<br />

Quelle: Hradil,S. (1987): Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Opladen<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

37


13 Lagen nach Hradil<br />

Ungleiche Lebensbedingungen und ihre Ausprägungen<br />

Name der Lage Primäre Dimension<br />

sekundäre Dimension<br />

Macht-Elite Formale Macht Geld 1-2, Formale Bildung 1-2, Prestige 1-2<br />

Reiche Geld 1 Formale Bildung 1-3, Prestige 1-2, Formale Macht 1-3<br />

Bildungselite Formale Bildung Geld 2-3, Prestige 1-2, Formale Macht 2-3<br />

Manager Formale Macht 2 Geld 1-2, Formale Bildung 1-2, Prestige 1-2, Arbeitsbedingungen 2-4, Freizeitbedingungen<br />

3-4<br />

Experten Formale Bildung 2 Geld 1-3, Prestige 2-3, Formale Macht 2-4, Arbeitsbedingungen 2-4, Freizeitbedingungen 2-<br />

4<br />

Studenten Formale Bildung 3 Geld 3-5, Arbeitsbedingungen 1-3, Freizeitbedingungen 1-3<br />

"Normalverdiener" mit<br />

geringen Risiken<br />

"Normalverdiener" mit<br />

mittleren Risiken<br />

"Normalverdiener" mit<br />

hohen Risiken<br />

Geld 3-4<br />

Risiken 1-2<br />

Geld 3-4<br />

Risiken 3-4<br />

Geld 3-4<br />

Risiken 5-6<br />

Rentner Geld 2-4<br />

Soziale Rollen 5-6<br />

Arbeitslose (langfristig) Geld 4-5<br />

Risiken 5-6<br />

Arme (keine<br />

Erwerbspersonen)<br />

Formale Bildung 3-4, Prestige 3-4, Formale Macht 3-4, Arbeitsbedingungen 1-3,<br />

Freizeitbedingungen 1-2, Wohnbedingungen 2-3<br />

Formale Bildung 3-4, Prestige 3-4, Formale Macht 3-4, Arbeitsbedingungen 2-4,<br />

Freizeitbedingungen 2-4, Wohnbedingungen 2-4, Soziale Absicherung 2-4<br />

Formale Bildung 4-5, Prestige 4-5, Formale Macht 4-5, Arbeitsbedingungen 3-5,<br />

Freizeitbedingungen 2-4, Wohnbedingungen 3-4, Soziale Absicherung 3-5<br />

Prestige 4, Soziale Absicherung 3-5, Freizeitbedingungen 3-4, Wohnbedingungen 2-5,<br />

Demokratische Institutionen 4-5, Soziale Beziehungen 3-5,<br />

Formale Bildung 4-5, Prestige 4-5, Soziale Absicherung 4, Wohnbedingungen 2-5,<br />

Demokratische Institutionen 4-5, Soziale Beziehungen 3-5, Soziale Rollen 4-5<br />

Geld 6 Prestige 5, Soziale Absicherung 4-5, Freizeitbedingungen 3-5, Wohnbedingungen 4-5,<br />

Demokratische Institutionen 4-5, Soziale Beziehungen 3-5<br />

Randgruppen Diskriminierung 5-6 Geld 3-5, Formale Bildung 4-5, Soziale Absicherung 3-5, Wohnbedingungen 3-6,<br />

Demokratische Institutionen 4-6, Soziale Rollen 4-6<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

Burzan 2008, S. 145<br />

38


Lebensstile<br />

‣Lebensstile bezeichnen ästhetischexpressive,<br />

relativ ganzheitliche Muster der<br />

alltäglichen Lebensführung von Personen<br />

und Gruppen, die in einem bestimmten<br />

Habitus und einem strukturierten Set von<br />

Konsumpräferenzen, Verhaltensweisen und<br />

Geschmacksurteilen zum Ausdruck kommen.<br />

(Band/Müller 1998, S. 429 nach Groß 2008, S. 101)<br />

– Lebensstile sind expressiv, signalisieren<br />

Ähnlichkeiten und Unterschiede und ermöglichen<br />

damit Vergesellschaftung und Distinktion<br />

– Lebensstile haben empirische Bestandteile, die<br />

über Indikatoren erhoben werden können<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

39


Begriffliche Klärungen<br />

‣ Lebenslage<br />

– Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit ungleicher Lebensbedingungen eines Menschen in unterschiedlichen<br />

Dimensionen <strong>soziale</strong>r Ungleichheit (z.B. Einkommen, Arbeitsbedingungen, Gesundheit). Lebenslage<br />

meint die objektiven Handlungsspielräume von Einzelnen und <strong>soziale</strong>r Gruppen zur <strong>soziale</strong>n Teilhabe.<br />

‣ Soziale Lage<br />

– Der Begriff bezeichnet die Situation einer Bevölkerungsgruppe, deren Lebensbedingungen maßgeblich<br />

durch eine bestimmte <strong>soziale</strong> Position geprägt werden (z.B. Facharbeiter, Studierende, Hausfrauen)<br />

‣ Lebenswelt<br />

– 'Lebenswelt' ist zu verstehen als Ausdruck für den Horizont unmittelbarer Sinn- und Lebenserfahrung, als<br />

Handlungssraum der alltäglichen Lebenspraxis. Der <strong>soziale</strong> Kontext, in dem eine Person lebt, ist stets ein<br />

interpretativer Kontext. Lebenswelt ist historisch gewachsener Kontext und individueller Erfahrungsraum.<br />

Die Lebenswelt ist nicht nur der Handlungsraum der alltäglichen Lebenspraxis, sondern auch die Struktur<br />

des Bewußtseins. Der Vorrat an praktischem Wissen ermöglicht eine aktive Teilnahme am Alltag. Der Alltag<br />

von Menschen hat eine räumliche, zeitliche und räumliche Struktur. Die unmittelbare Lebenserfahrung<br />

von Menschen ist sinnhaft strukturiert, d.h. die Lebenswelt ist ein Sinnzusammenhang. "Kleine<br />

Lebens-Welten" sind Partizipationen an Ausschnitten aus der sozial konstruierten Welt gesellschaftlichen<br />

Erlebens.<br />

‣ Lebensweisen<br />

– Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit der alltäglichen Lebensvollzüge, die im Kontext spezifischer Milieus<br />

und individueller Lebensplanungen praktiziert werden. 'Lebensweisen' beschreiben die gesellschaftlich<br />

durchschnittlich, typischen Formen des gruppenspezifischen Alltagsverhalten, die Formen der alltäglichen<br />

Bewältigung der jeweiligen Lebenslage.<br />

‣ Lebensstil<br />

– Der Begriff bezeichnet den Gesamtzusammenhang der Verhaltensweisen, Interaktionen, Meinungen,<br />

Wissensbeständen und bewertender Einstellungen eines Menschen bzw. von Gruppen ('Lebensstilgruppierungen').<br />

Über 'Lebensstile' wird eine Abgrenzung zu anderen Menschen / Gruppen gesucht bzw.<br />

hergestellt ("feine Unterschiede").<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 40


Lebensstile in Westdeutschland<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

41


Lagen, Lebensstile, Milieus –Zusammenfassung<br />

‣ Lagekonzepte erfassen mehr Dimensionen als<br />

Klassen- und Schichtkonzepte und können dadurch<br />

auch „neue“ Ungleichheiten besser beschreiben<br />

‣ Durch die gleichzeitige Erfassung von objektiven<br />

Bedingungen und subjektiver Bewertung sind Milieus<br />

sensibler gegenüber den soziokulturellen Aspekten<br />

der <strong>soziale</strong>n Ungleichheit<br />

‣ Die Konzepte erfassen mehr Lebensbereiche, z.B.<br />

Freizeit, während Klassen und Schichten auf die<br />

Erwerbsarbeit fokussieren<br />

‣ Milieus und Lebensstile erfassen auch<br />

Nichterwerbspersonen, insbesondere auch das<br />

Geschlecht lässt sich besser als konstitutives Element<br />

berücksichtigen<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

42


Exkurs:<br />

SOZIALSTRUKTURANALYSE AM<br />

BEISPIEL VON EINKOMMENS-<br />

ARMUT<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

43


Sozialstruktur: Begriffliche Klärungen<br />

‣ Sozialstruktur:<br />

– Bezeichnet den relativ dauerhaften u. stabilen, gefügeartigen und im Zuge der<br />

kulturellen Evolution zunehmend komplexer gewordenen Aufbau des<br />

gesellschaftlichen Wirkungszusammenhangs, der sich aus der existentiell<br />

notwendigen Kooperation von Menschen hervorgegangen ist (Hillmann 1994, 814).<br />

– Der erkennbare, relativ kontinuierliche <strong>soziale</strong> Wirkungszusammenhang in der<br />

Gesellschaft ist eine Sozialstruktur (Fürstenberg 1995).<br />

‣ Unterscheidung:<br />

a) Gliederungsaspekt (z.B. statistische Klassifikationssysteme wie etwa Einkommen<br />

b) Gefügeaspekt: die jeweilige Zueinanderordnung der Elemente eines <strong>soziale</strong>n<br />

Gebildes wird als dessen Struktur bezeichnet.<br />

Unter Struktur kann man allgemein sprechen, wenn eine Mehrheit von Einheiten in einer nicht<br />

zufälligen Weise miteinander verbunden ist, so dass sich Regelmäßigkeiten zeigen (Bahrdt<br />

1994, S.108).<br />

Unter <strong>soziale</strong>n Strukturen sollen <strong>soziale</strong> Verhältnisse, d.h. als "objektiv" erlebte<br />

Zusammenhänge, die durch <strong>soziale</strong>s Handeln entstehen, verstanden werden, die nicht nur<br />

faktisch die Situation einzelner Verhaltensweisen bzw. Interaktionen überdauern, sondern ihre<br />

Dauerhaftigkeit spezifischen Stabilisierungsmomenten verdanken (Bahrdt).<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 44


Sozialstrukturanalyse<br />

‣ Ziel und Aufgabe der Sozialstrukturanalyse ist es, die<br />

Strukturen einer Gesellschaft, die Lebensqualität der<br />

Bevölkerung und den <strong>soziale</strong>n Wandel sowie Wertorientierungen<br />

und Grundeinstellungen kontinuierlich<br />

zu beobachten und statistisch zu beschreiben<br />

– Die Sozialstrukturanalyse ist ein Bereich der Soziologie, in<br />

dem häufig mit quantitativen Methoden der empirischen<br />

Sozialforschung gearbeitet wird<br />

– In der Literatur findet man dazu daher meist Ergebnisdarstellungen<br />

in Form von Maßzahlen, Tabellen, Grafiken<br />

– Häufige Datenquellen der Sozialberichterstattung:<br />

• Stichprobenerhebungen (Dauerbeobachtung; supranationale<br />

Surveys): ALLBUS, SOEP, ESS, EU-SILC, ISSP<br />

• Amtliche Datenquellen (z.B. Mikrozensus, BA, Melde-,<br />

Steuerdaten, Sozialhilfeanträge etc.)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

45


Formen von „Armut“<br />

Objektive Armut<br />

• Lebenslage, in der es Einzelnen, Gruppen oder ganzen Bevölkerungen<br />

nicht möglich ist, ihren Lebensbedarf (Existenzminimum) aus eigenen<br />

Kräften und Ressourcen zu sichern<br />

Subjektive Armut<br />

• Gefühl des Mangels an Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung<br />

Absolute Armut<br />

• Mangelsituation, in der die physische Existenz von Menschen unmittelbar<br />

oder mittelbar bedroht ist<br />

Relative Armut<br />

• Deutliche Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums bei<br />

gesichertem physischen Existenzminimum<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

Zeit-Lexikon, Bd. 1, S. 367ff.<br />

46


Relative Armut<br />

‣ „Es geht […] heutzutage in Deutschland bei der Diskussion<br />

um Armut […] um soziostrukturelle Teilhabe in einem mehrdimensionalen<br />

Sinne.“<br />

(Burzan, Nicole (2008): Quantitative Forschung in der Sozialstrukturanalyse. Wiesbaden: VS-Verlag, S.<br />

21f.)<br />

Ressourcenansatz<br />

• Manifestiert sich in Form<br />

von Geldmangel,<br />

Einkommensarmut,<br />

Sozialhilfebezug<br />

• Indirekter Schluss von der<br />

Verfügbarkeit finanzieller<br />

Mittel auf das Maß der<br />

gesellschaftlichen Teilhabe<br />

Lebenslagenansatz<br />

• Einkommen ist nicht umstandslos<br />

in gute Lebensbedingungen<br />

übersetzbar<br />

• Komplexer und<br />

schwieriger umsetzbar<br />

• Auch Konsum-/Ausgabenaspekte<br />

müssen berücksichtigt<br />

werden<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

47


Was heißt Einkommen?<br />

‣Die exakte Bestimmung des Einkommens,<br />

das zur Bestimmung von Einkommensarmut<br />

benötigt wird, ist komplex:<br />

– Was zählt zum Einkommen<br />

(Lohn, Zinsen, Mieteinnahmen)?<br />

– Welche Ausgaben sind abzuziehen<br />

(verfügbares Einkommen)?<br />

– Personen-, Haushalts-, Pro-Kopf-, Äquivalenzeinkommen?<br />

‣Wie können die verschiedenen Aspekte erhoben<br />

werden?<br />

‣Welche Datenquellen, welche Einschränkungen<br />

sind zu berücksichtigen?<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

48


Bestandteile des verfügbaren Haushaltseinkommens<br />

‣ Einnahmen<br />

– Bruttoeinkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit<br />

– Bruttoeinkommen aus selbständiger Tätigkeit<br />

– Arbeitslosengeld oder -hilfe<br />

– Alle Arten von Renten aus der gesetzl. Rentenversicherung<br />

– Ausbildungsunterstützungen (z.B. BAföG)<br />

– Bruttoeinkommen aus Vermietung und Verpachtung<br />

– Familienbezogene Einkünfte (z.B. Kindergeld)<br />

– Hilfe zum Lebensunterhalt/in besonderen Lebenslagen („Sozialhilfe“)<br />

– Öffentliche Wohnzuschüsse<br />

– Regelmäßige Zahlungen durch andere Privathaushalte (z.B. Unterhalt)<br />

– Einkünfte aus Kapitalanalgen<br />

– Einkommen von Kindern, die im Haushalt leben (z.B. Waisenrenten)<br />

‣ Abzüge<br />

– Unterhaltszahlungen, die an andere private Haushalte gezahlt werden<br />

– Sämtliche auf alle Einkünfte gezahlten Steuern<br />

– Sämtliche auf alle Einkünfte gezahlten Sozialversicherungsbeiträge<br />

Laut Studie „Leben in Europa 2005“ nach Burzan, Nicole (2008): Quantitative Forschung in der Sozialstrukturanalyse.<br />

Anwendungsbeispiele aus methodischer Perspektive. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 28.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

49


Methodische Aspekte zur Erhebung von Haushaltseinkommen<br />

‣Erhebungsinstrument<br />

– Befragung<br />

– Haushaltsbuch<br />

– Amtliche Daten (z.B. Steuererklärung)<br />

‣Auswahl Befragter<br />

– Repräsentativität<br />

‣Einkommensabfrage<br />

– Eingrenzung des „Einkommens“<br />

– Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Angaben<br />

Quelle: Burzan, Nicole (2008): Quantitative Forschung in der Sozialstrukturanalyse. Anwendungsbeispiele aus<br />

methodischer Perspektive. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 29.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

50


Einfluss methodischer Instrumente auf die Armutsrisikoquote<br />

Methodisches<br />

Instrument<br />

Äquivalenzskala<br />

Ausprägung<br />

Hohe Einspareffekte bei<br />

Mehrpersonen-Haushalten<br />

(z.B. neue OECD-Skala)<br />

Niedrige Einspareffekte bei<br />

Mehrpersonen-Haushalten<br />

(z.B. alte OECD-Skala)<br />

Einfluss auf die Höhe<br />

der Armutsrisikoquote<br />

Niedriger<br />

höher<br />

Mittelwert Arithmetisches Mittel Eher höher<br />

Median<br />

Eher niedriger<br />

Prozentgrenze Niedrig, „streng“ (z.B. 40%) Niedriger<br />

Hoch, „mild“ (z.B. 60%)<br />

höher<br />

Quelle: Burzan, Nicole (2008): Quantitative Forschung in der Sozialstrukturanalyse. Anwendungsbeispiele aus<br />

methodischer Perspektive. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 36.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

51


Studien und Datenquellen<br />

Institut für Wirtschaft und Gesellschaft<br />

Bonn e.V.<br />

• SOEP<br />

3. Armuts- und Reichtumsbericht<br />

• SOEP<br />

• EVS<br />

• EU-SILC<br />

Datenreport (WZB, BpB, Destatis)<br />

• SOEP<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

52


Einkommensschichten nach IWG<br />

‣ Einkommensstarke / Einkommensoberschicht:<br />

Nettoeinkommen über 150% des Medianeinkommens der<br />

Gesamtbevölkerung (2006 ca. 2.344€/Monat)<br />

‣(darunter) Reiche:<br />

Nettoeinkommen über 200% des Medianeinkommens (2006 ca. 3.125€/Monat)<br />

‣ Mittlere Einkommensbezieher:<br />

Nettoeinkommen zwischen 70 und 150% des Medianeinkommens<br />

‣ Einkommensschwache / Einkommensunterschicht:<br />

Nettoeinkommen unter 70% des Medianeinkommens der (2006 ca.<br />

1.094€/Monat)<br />

‣(darunter) Arme:<br />

Nettoeinkommen unter 60% des Medianeinkommens (2006 ca.<br />

938€/Monat)<br />

Entspricht der relativen Armutsgrenze bzw. Armutsgefährdungsgrenze, wie<br />

sie sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch von internationalen<br />

Organisationen wie der EU überlicherweise verwendet wird.<br />

Miegel, Meinhard/Wahl, Stefanie/Schulte, Martin (2008): Von Verlierern und Gewinnern – Die Einkommensentwicklung<br />

ausgewählter Bevölkerungsgruppen in Deutschland. Bonn: IWG – Institut für Wirtschaft und Gesellschaft e.V.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

53


Bevölkerung nach Einkommensschichten laut IWG<br />

Basis: SOEP<br />

‣ Zunehmende Einkommensungleichheit (1996-2006):<br />

– Bevölkerungszunahme: +0,7 Mio.<br />

– Zahl Einkommensschwacher: +4,1 Mio.<br />

– Zahl Einkommensstarker: +2,1 Mio.<br />

– Zahl mittlerer Einkommensbezieher: -5,5 Mio.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

54


IWG – Von Verlierern und Gewinnern: Kernaussage<br />

‣Verlierer:<br />

– Drei Viertel der Zunahme Einkommensschwacher<br />

mit Migrationshintergrund<br />

– Von 1 Mio. einkommensschwacher<br />

Ansässiger waren 73% Alleinerziehende<br />

‣Gewinner:<br />

– 52% der Zunahme Einkommensstarker<br />

ansässige Paare mit Kindern<br />

– 45% der Zunahme Einkommensstarker über<br />

64 Jahre<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

55


Soziodemographische Zusammensetzung der Einkommensschwachen<br />

und der Bevölkerung insgesamt<br />

1986 1996 2006<br />

< 70% 1) insg. < 70% 1) insg. < 70% 1)<br />

insg.<br />

Merkmal<br />

Anteil in % der jeweiligen Bevölkerungsgruppe 2) 76,9<br />

Herkunft<br />

Ansässige 3) 82,0 86,7 68,2 81,1 60,3<br />

Migranten 4) 18,0 13,3 31,7 18,9 39,7<br />

Alter<br />

unter 25 36,5 30,8 37,4 27,1 35,8<br />

25 - 64 43,3 54,1 46,9 57,1 49,2<br />

65+ 20,3 15,1 15,6 15,8 14,9<br />

Haushaltstyp<br />

Alleinlebende/r 21,5 15,2 20,4 16,6 22,0<br />

Paar o. Kind/er 15,2 21,4 14,4 24,8 18,4<br />

Paar m. Kind/ern 44,8 52,3 46,0 47,6 41,7<br />

Alleinerziehende/r 11,2 5,9 13,0 5,8 13,6<br />

sonst. Haushalte 7,3 5,2 6,2 5,3 4,4<br />

23,1<br />

25,8<br />

55,7<br />

18,5<br />

18,4<br />

27,6<br />

44,2<br />

6,8<br />

2,9<br />

1) Bevölkerung mit einem Nettoeinkommen von weniger als 70 Prozent des allgemeinen Median;<br />

2) Abweichungen zu 100 sind rundungsbedingt; 3) Bevölkerung ohne Migrationshintergrund;<br />

4) Bevölkerung mit Migrationhintergrund<br />

Quelle: SOEP/DIW (2008) (bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen) sowie Berechnungen des IWG BONN<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

56


Soziodemographische Zusammensetzung der Einkommensstarken und<br />

der Bevölkerung insgesamt<br />

1986 1996 2006<br />

> 150% 1) insg. > 150% 1) insg. > 150% 1)<br />

insg.<br />

Merkmal<br />

Anteil in % der jeweiligen Bevölkerungsgruppe 2) 57<br />

Herkunft<br />

91,4 86,7 90,3 81,1 88,1<br />

Ansässige 3) 8,6 13,3 9,7 18,9 11,9<br />

Migranten 4)<br />

Alter<br />

unter 25 21,7 30,8 16,0 27,1 16,5<br />

25 - 64 68,3 54,1 71,2 57,1 66,4<br />

65+ 10,0 15,1 12,9 15,8 17,0<br />

76,9<br />

23,1<br />

25,8<br />

55,7<br />

18,5<br />

Haushaltstyp<br />

Alleinlebende/r 12,0 15,2 14,8 16,6 16,3<br />

Paar o. Kind/er 35,5 21,4 39,3 24,8 40,4<br />

Paar m. Kind/ern 45,7 52,3 37,7 47,6 40,2<br />

18,4<br />

27,6<br />

44,2<br />

Alleinerziehende/r 3,0 5,9 3,5 5,8 2,1<br />

sonst. Haushalte 3,8 5,2 4,7 5,3 1,0 2,9<br />

6,8<br />

1) Bevölkerung mit einem Nettoeinkommen von mehr als 150 Prozent des Median;<br />

2) Abweichungen zu 100 sind rundungsbedingt; 3) Bevölkerung ohne Migrationshintergrund;<br />

4) Bevölkerung mit Migrationhintergrund<br />

Quelle: SOEP/DIW (2008) (bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen) sowie Berechnungen des IWG BONN<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2


Einkommensverteilung der Bevölkerung mit und ohne<br />

Migrationshintergrund<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

58


3. Armuts- und Reichtumsbericht<br />

‣ Neben Einkommensungleichheit zudem Diskussion über<br />

Ausgleich über Steuer- und Transfersystem<br />

‣ Niedriglohnbereich<br />

– Verdienst von weniger als zwei Drittel des Medians der Bruttoerwerbseinkommen<br />

der Gesamtbevölkerung (2005: 36,4%)<br />

‣ Mittlere Einkommensschicht<br />

– Verdienst zwischen 75 und 150% des Medianeinkommens<br />

‣ Relative Armutslücke<br />

– Abstand der armutsgefährdeten Gruppen von der Armutsrisikoschwelle<br />

‣ Dauerhaftes Armutsrisiko<br />

– Einkommen aktuell und in mind. 2 von 3 Vorjahren unter 60%<br />

des Medianeinkommens<br />

‣ Relative Armutslücke<br />

– Abstand zu 60% des Medianeinkommens<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

59


Verteilung der realen Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit der<br />

Arbeitnehmer/-innen insgesamt<br />

Deutschland 2002 2003 2004 2005<br />

Arithmetisches Mittel 24.873 24.563 23.987 23.684<br />

Median 21.857 21.531 20.438 20.089<br />

Gini-Koeffizient 1) 0.433 0.441 0.448 0.453<br />

Anteil Niedriglöhne 2)<br />

Gesamt 35,5 36,5 36,8 36,4<br />

Männer 23,7 24,6 25,6 24,8<br />

Frauen 47,9 48,5 48,1 47,7<br />

Anteile am Bruttoeinkommen aus unselbständiger Täti gkeit nach Dezilen<br />

1. Dezil 0,7 0,6 0,6 0,5<br />

2. Dezil 1,7 1,6 1,6 1,6<br />

3. Dezil 3,6 3,3 3,0 2,9<br />

4. Dezil 5,8 5,5 5,3 5,3<br />

5. Dezil 7,8 7,7 7,5 7,4<br />

6. Dezil 9,9 9,8 9,8 9,8<br />

7. Dezil 11,6 11,7 11,9 11,8<br />

8. Dezil 14,3 14,3 14,3 14,4<br />

9. Dezil 17,1 17,5 17,8 17,8<br />

10. Dezil 27,7 27,9 28,2 28,4<br />

1) Einkommen in Preisen von 2000.<br />

2) Niedriglohngrenze: 2/3 des Medians.<br />

Quelle: SOEP<br />

3. Armuts- und Reichtumsbericht, S. 13<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

60


Verteilung der realen Nettoäquivalenzeinkommen<br />

Deutschland 2002 2003 2004 2005<br />

Arithmetisches Mittel 19.255 18.971 18.744 18.778<br />

Median 16.790 16.728 16.456 16.242<br />

Gini-Koeffizient 0.292 0.292 0.298 0.316<br />

Anteile am Einkommensvolumen nach Dezilen<br />

1. Dezil 3,2 3,2 3,1 2,9<br />

2. Dezil 5,2 5,2 5,0 4,8<br />

3. Dezil 6,3 6,3 6,2 6,0<br />

4. Dezil 7,3 7,3 7,3 7,0<br />

5. Dezil 8,4 8,3 8,3 8,0<br />

6. Dezil 9,2 9,4 9,3 9,3<br />

7. Dezil 10,5 10,6 10,6 10,5<br />

8. Dezil 12,1 12,1 12,2 12,1<br />

9. Dezil 14,5 14,6 14,8 14,6<br />

10. Dezil 23,3 23,1 23,3 24,9<br />

1) Einkommen in Preisen von 2000, Äquivalenzgewichtung auf Basis der neuen OECD-Skala.<br />

Quelle: SOEP<br />

3. Armuts- und Reichtumsbericht<br />

‣ Spreizung der Einkommen hat von 2004 auf 2005 zugenommen<br />

(Gini-Koeffizient)<br />

– Abnahme „Mittelschicht“ (75-150% des Medians) von 53 auf unter 50% im<br />

Zeitraum 2002 bis 2005<br />

– Untere Hälfte der Einkommensbezieher (1. bis 5. Dezil) sinkt von 30,4 auf<br />

28,7%<br />

– Oberstes Dezil steigert Anteil von 2004 auf 2005 um 1,6 %-Punkte<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

61


Armutsrisiko nach Datenquellen, Dauerhaftigkeit<br />

Armutsrisikoquote bezogen auf 60% des Medianeinkommens<br />

Datenquelle 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005<br />

Insgesamt SOEP 12% 12% 13% 15% 16% 16% 17% 18%<br />

EVS 12% 14%<br />

EU-SILC 12% 13%<br />

weiblich SOEP 13% 14% 15% 17% 17% 18% 19% 21%<br />

EVS 13% 14%<br />

EU-SILC 13% 13%<br />

männlich SOEP 10% 10% 12% 13% 14% 14% 15% 16%<br />

EVS 11% 13%<br />

EU-SILC 11% 12%<br />

Dauerhaftes Armutsrisiko (Median) aktuell und in mind. 2 von 3 Vorjahren unter 60%<br />

SOEP 7% 6% 7% 7% 9% 10% 10% 11%<br />

Relative Armutslücke zu 60% des Medianeinkommens<br />

SOEP 23% 22% 23% 24% 22% 24% 23% 25%<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

62


Datenreport 2008 (WZB, BpB, Destatis)<br />

Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

63


Schichtung der Bevölkerung nach relativen Einkommenspositionen<br />

Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

64


Sozialstruktur und <strong>soziale</strong> Lagen 2006<br />

Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

65


Sozialstruktur, <strong>soziale</strong> Lage und Einkommensposition<br />

Bis 60 Jahre<br />

Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

66


Subjektive Schichteinstufung 2006<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

67


Subjektive Schichtzugehörigkeit nach <strong>soziale</strong>n Lagen 2006<br />

Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

68


Erscheinungsformen und Erklärungsmuster <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

Siehe auch separates Skript „Geschlechtsspezifische<br />

Ungleichheiten“<br />

GESCHLECHTSSPEZIFISCHE<br />

UNGLEICHHEITEN<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 69


Geschlecht und Schichtung<br />

„Studien über die Schichtung waren lange Zeit<br />

hindurch „geschlechterindifferent“, das heißt,<br />

sie wurden geschrieben, als gäbe es keine<br />

Frauen oder als wären sie bei der Analyse von<br />

Unterschieden der Macht, des Reichtums und<br />

des Ansehens unwichtig und uninteressant.<br />

Das Geschlecht ist jedoch selbst einer der<br />

wichtigsten Schichtungskriterien. Es gibt keine<br />

Gesellschaft, in der die Männer nicht in<br />

mancherlei Hinsicht reicher, angesehener und<br />

einflussreicher als Frauen wären.“<br />

Giddens, Anthony (1997): Soziologie. 2., überarb. Auflage, Graz-Wien, S. 285.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

70


Drei Achsen der Ungleichheit<br />

‣ Trias Klasse, Rasse /<br />

Ethnizität und Geschlecht<br />

prägt auf unterschiedliche<br />

und nachhaltige Weise die<br />

Ungleichheitsstruktur<br />

nahezu aller Gesellschaften<br />

‣ „[I]m semantischen Rahmen<br />

einer primär ökonomischklassentheoretisch<br />

argumentierenden<br />

Ungleichheits-<br />

und Gesellschaftstheorie<br />

ist die Komplexität<br />

und Dynamik dieser Verhältnisse<br />

nicht zu fassen.“<br />

(Klinger/Knapp 2005, S. 73)<br />

Rasse/<br />

Ethnizität<br />

Klasse<br />

Geschlecht<br />

„An der von Karin Gottschall in ihrem<br />

Überblick „Soziale Ungleichheit und<br />

Geschlecht“ festgestellten inhaltlichen<br />

Verselbständigung eines<br />

„soziologischen Ungleichheitsdiskurses<br />

ohne Geschlecht und einer<br />

feministischen Theorie ohne Klasse“ […]<br />

hat sich noch nicht viel geändert.“<br />

(Klinger/Knapp 2005, S. 77)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

71


Biologisches Geschlecht (sex) – <strong>soziale</strong>s Geschlecht (gender)<br />

‣ Durch Rollenbilder und damit verknüpfte Verhaltenserwartungen<br />

wird eine geschlechtsspezifische/geschlechterhierarchische<br />

Arbeitsteilung festgeschrieben<br />

– Geschlecht als zentrale Strukturkategorie insofern hierüber <strong>soziale</strong><br />

Positionierungen, subjektive Haltungen, moralische Vorstellungen und<br />

<strong>soziale</strong>s Handeln strukturiert wird<br />

‣ Doppelte Vergesellschaftung<br />

– Natürliche Geschlechterwesen am Ende der Geschlechterhierarchie<br />

(Reproduktion)<br />

– Einbettung in Geschlechts- und Klassenhierarchie als „doppelte“<br />

Unterdrückung (patriarchalisch und gesellschaftlich)<br />

‣ „Sozialstrukturelle Ungleichheit […] in allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen widersprechen einer gleichberechtigten Teilhabe von<br />

Frauen an gesellschaftlicher Öffentlichkeit und kulturellem<br />

Fortschritt.“<br />

(Bublitz 2006)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

72


Erklärungsansätze für geschlechtsspezifische Ungleichheiten<br />

‣ Lebenschancen, insbesondere die beruflichen Erfolgschancen<br />

von Männern und Frauen sind ungleich<br />

verteilt, trotz:<br />

– allgemein steigenden Bildungsniveaus<br />

– erheblicher rechtlicher und gleichstellungspolitischer<br />

Anstrengungen<br />

• Sie treten selbst dann auf, wenn die davon betroffenen Männer<br />

und Frauen sich untereinander als Gleiche respektieren.“<br />

• Äußern sich in u.a. Lohndiskriminierung, erschwertem<br />

beruflichem Aufstieg<br />

‣ Vier Hypothesen für Perpetuierung und Reproduktion<br />

geschlechtstypischer Chancenungleichheiten:<br />

1. Qualifikationsdefizit-Hypothese<br />

2. Diskriminierungs-Hypothese<br />

3. Segregations-Hypothese<br />

4. Zeit-Hypothese (Kreckel<br />

2005)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

73


Gender-Mainstreaming<br />

‣ Gleichstellung von Männern und<br />

Frauen ist zentrales Anliegen der<br />

nationalen und europäischen<br />

Politik, d.h. in allen Politikfeldern<br />

soll der Geschlechteraspekt<br />

berücksichtigt werden (Gender-<br />

Mainstreaming)<br />

‣ EU legt jährlich einen<br />

Gleichstellungsbericht vor<br />

‣ 2007 war das Jahr der<br />

Gleichstellung<br />

‣ National ist Geschlechterpolitik<br />

angesiedelt beim BMFSFJ<br />

(Gender-Datenreport 2005)<br />

‣ Weitere Informationen unter:<br />

www.gender-mainstreaming.net<br />

http://ec.europa.eu/employment_social/publications/200<br />

8/keaj08001_de.pdf<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

74


Gender-Datenreport: Bildung, Ausbildung, Weiterbildung<br />

‣ Jungen Frauen in Deutschland haben die Männer im<br />

Hinblick auf ihre Schulbildung überholt<br />

Frühere Einschulung, weniger Klassenwiederholungen, häufigerer<br />

Besuch des Gymnasiums<br />

‣ Geschlechtsspezifische Segregation im<br />

Ausbildungssystem<br />

Junge Männer ca. 60% in dualer Ausbildung; Junge Frauen stellen<br />

ca. 60% in Berufsfachschulen und 80% an Schulen des<br />

Gesundheitswesens<br />

Studentinnen studieren am häufigsten Sprach-, Kultur- und Sozialwissenschaften,<br />

Studenten dagegen Ingenieurwissenschaften<br />

Frauen und Männer nehmen etwa gleich häufig ein Studium auf, in<br />

der akademischen Laufbahn sind Frauen aber unterrepräsentiert<br />

‣ Deutlich geringere Beteiligung von Frauen in<br />

Weiterbildung<br />

‣ Die Nachteile im Niveau der Berufsbildung weitgehend<br />

ausgeglichen.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 75


TOP-10 der Ausbildungsberufe nach Geschlecht<br />

WZB-Datenreport 2008, S. 58<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 76


Gender-Datenreport: Erwerbstätigkeit und Arbeitsmarkt<br />

‣Übergang von Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft<br />

kam der Beschäftigung von<br />

Frauen zu Gute<br />

– Qualität der Arbeitsplätze und -verhältnisse ist zu<br />

berücksichtigen<br />

– gering qualifizierte Männern mit zunehmenden<br />

Schwierigkeiten beim Eintritt ins Erwerbsleben;<br />

Frauen profitieren von ihren besseren<br />

Abschlüssen<br />

– Aber: Trotz gestiegenem Bildungs- und<br />

Ausbildungsstandes bleiben Frauen in<br />

Führungspositionen extrem unterrepräsentiert<br />

‣Erwerbseinkommen von Frauen ca. 20%<br />

unter dem Niveau von Männern<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 77


Einkommensanteile von Frauen und Männern (Vollzeit) nach<br />

Beschäftigungsgruppen in Westdeutschland 2002<br />

Datenquelle<br />

: BA-<br />

Beschäftigtenpanel<br />

Gender-Datenreport, S.<br />

176<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 78


Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

‣ Die Frage der geschlechtsspezifischen Unterschiede<br />

am Arbeitsmarkt wird heute wesentlich über die Frage<br />

der Vereinbarkeit von Familie und Beruf diskutiert.<br />

‣ Während Väter deutlich mehr bezahlte Arbeit leisten<br />

als Mütter, leisten Mütter das Gros der Familienarbeit,<br />

auch wenn sie erwerbstätig sind<br />

‣ Viele Mütter in Elternzeit haben Schwierigkeiten,<br />

unmittelbar nach Ablauf der Elternzeit wieder in den<br />

Beruf zurückzukehren<br />

‣ Das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

stellt sich nicht nur im Hinblick auf die Frage der<br />

Versorgung von Kindern, sondern auch im Hinblick auf<br />

die Unterstützung und Pflege älterer<br />

Familienangehöriger<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 79


Gender-Datenreport: Politische Partizipation und gesellschaftliches<br />

Engagement<br />

‣ Chancengleichheit im politischen System im<br />

Vergleich zur Wirtschaft relativ weit<br />

vorangeschritten<br />

Zunehmende Zahl von Frauen in politischen Spitzenpositionen<br />

seit den 1980er Jahren<br />

Frauen ziehen politische Ämter seltener in Erwägung als Männer<br />

politische Interessen von Frauen beziehen sich stärker auf<br />

<strong>soziale</strong> Gerechtigkeit, Bildung und Umwelt, die der Männer<br />

stärker auf Wirtschafts- sowie Außen- und Sicherheitspolitik<br />

‣ Frauen sind beim bürgerlichem Engagement<br />

seltener beteiligt als Männer (32% w.; 39% m.).<br />

Ursachen:<br />

männlich geprägte Themenschwerpunkte, Hierarchien und<br />

Kulturen von vielen Großorganisationen und Vereinen<br />

Eingeschränkte zeitliche Spielräume von Frauen aufgrund der<br />

familiären Arbeitsteilung<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 80


Gender-Datenreport: Gewaltbetroffenheit<br />

‣ Leichte Angleichung der Geschlechter bei Täterschaft<br />

Bei Gewaltkriminalität kamen 1988 kamen noch neun männliche auf<br />

eine weibliche Tatverdächtige, 2003 nur noch sieben<br />

‣ Von den meisten Gewaltdelikten sind Frauen seltener<br />

als Männer als Opfer betroffen<br />

Ausnahmen: Sexualdelikte und Raubdelikte gegenüber Opfern über<br />

60 Jahren<br />

Bei Schweregrad, Bedrohlichkeit und Häufigkeit körperlicher Gewalt<br />

und erlebter Gewaltsituationen sind Frauen häufiger von schwerer<br />

und in hoher Frequenz auftretender Gewalt in Paarbeziehungen<br />

betroffen<br />

‣ Von körperlicher Gewalt in der Kindheit und Jugend<br />

sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Das gilt<br />

in hohem Maße für Gewalt in Schulen, durch<br />

Gleichaltrige und abgeschwächt auch für Formen<br />

elterlicher körperlicher Züchtigung<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 81


Sinus Sociovision<br />

Qualitative und quantitative Grundlagenstudie zu Gleichstellung in<br />

Deutschland vor dem Hintergrund der Sinus-Milieus<br />

ROLLEN IM WANDEL –<br />

STRUKTUREN IM AUFBAU<br />

Quelle:<br />

http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/RedaktionBMFSFJ/Internetredaktion/Pdf-Anlagen/sinuslangfassung,property=pdf,bereich=,sprache=de,rwb=true.pdf<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 82


Gleichstellungsaspekte innerhalb der Sinus Milieus 2007<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 83


Ausprägung in traditionellen Milieus<br />

‣ Traditionsverwurzelte<br />

– Traditionelle Geschlechteridentität, klare klassische<br />

Rollenverteilung<br />

– Massive Abwehr und Antipathie gegenüber allen<br />

Bestrebungen, die an der gegebenen stabilen Ordnung<br />

rütteln<br />

– Gleichstellungspolitik wird wahrgenommen als<br />

fundamentales Umwälzungsprogramm sowie als Angriff<br />

auf ihre Werte, ihre <strong>soziale</strong> Identität, ihre Identität als<br />

Mann bzw. Frau, auf Rollenbilder und gelebte Biographie<br />

‣ Konservative<br />

– Pflegen und verteidigen ein substanzielles Familien- und<br />

Gesellschaftskonzept (klassische Kernfamilie; Selbstverwirklichung<br />

darf die Ordnung nicht untergraben)<br />

– Praktizierung traditioneller Rollenverteilung<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 84


Ausprägung in gesellschaftlichen Leitmilieus: Etablierte<br />

‣Etablierte<br />

– Zeigen Selbstverständnis auch bei Gleichstellung<br />

modern zu sein, führen Beziehung aber mit einer<br />

klassisch-traditionellen Rollenteilung<br />

– Etablierte Frauen fühlen sich wohl in der Rolle als<br />

gute, geschmackvolle und anspruchsvolle<br />

Repräsentantin des eigenen Hauses<br />

– Eigene Bedürfnisse und Berufswünsche werden<br />

von vielen Frauen während der<br />

Familiengründungsphase zurückgestellt, was von<br />

beiden Geschlechtern als vernünftiges<br />

Arrangement betrachtet wird<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 85


Ausprägung in gesellschaftlichen Leitmilieus: Postmaterielle 1<br />

‣ Postmaterielle:<br />

– Avandgarde der Frauenbewegung seit den 60/70er Jahren<br />

– Gleichstellung kein abstraktes Ideal, sondern muss<br />

praktisch gelebt werden. Frauen sind hier bestimmend und<br />

fordernd.<br />

– Heute haben postmaterielle Frauen i.d.R. einen Partner,<br />

der ihre Werte und Zielstellungen teilt – dennoch fallen sie<br />

bei der Geburt eines Kindes oft in eine traditionelle<br />

Rollenteilung<br />

– Privat ist es für Frauen unbedingt Voraussetzung, dass ihr<br />

Partner ein emanzipiertes Rollenbild praktiziert<br />

– Beruflich sind Frauen überzeugt, auch heute noch das<br />

Doppelte leisten zu müssen wie Männer, um in<br />

vergleichbare Positionen zu kommen oder ein ähnliches<br />

Einkommen zu erzielen.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 86


Ausprägung in gesellschaftlichen Leitmilieus: Moderne Performer<br />

‣ Moderne Performer:<br />

– aufgewachsen nach der Frauenbewegung der 70/80er<br />

Jahre; sehen Gleichberechtigung und Gleichstellung als<br />

selbstverständliche Voraussetzung, sie stellen aber keine<br />

Ideale und politischen Programme mehr dar<br />

– Moderne Performer zeigen das Selbstbewusstsein und die<br />

Autonomie ihre Ziele selbst mit ihren persönlichen<br />

Ressourcen und Kompetenzen durchzusetzen.<br />

– Flexibles Rollenbild und variables Rollenverhalten – daher<br />

sind sie für Männer aus anderen Milieus nur schwer zu<br />

begreifen und zu verstehen<br />

– Wegen Unterbrechung der Karriere wird der Kinderwunsch<br />

auf die Zeit nach dem 30. Lebensjahr verschoben<br />

– Zeitgeschichtlich und biographisch junges Milieu mit<br />

überdurchschnittlichem Anteil an Singles und LATs (living<br />

apart together), die immer mehr in die Familienphase<br />

kommen<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 87


Hedonistische Milieus<br />

‣ Experimentalisten<br />

– Gehen flexibel, kreativ und explorativ mit Rollenbildern<br />

um; spielen damit, um sich selbst kennen zu lernen<br />

– Rollenverständnis versucht gesellschaftliche<br />

Rollenmuster nicht nur aus beiden Geschlechtern zu<br />

adaptieren, sondern ist stets auf der Suche nach<br />

neuen Mustern und Kombinationen<br />

– Suche nach Bruch mit Konventionen, Erwartungen,<br />

Tabus<br />

– Umfasst viele kinderlose Singles; in der Phase von<br />

Familiengründung und Elternschaft spürt dieses Milieu<br />

die Grenzen des virtuellen Rollenspiels (aber auch der<br />

Anteil an Alleinerziehenden ist signifikant hoch)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 88


Broschüre für Schülerinnen<br />

Broschüre für Unternehmen<br />

Aufbau von Frauennetzwerken – Ada Lovelace Projekt<br />

‣ Mentorinnen-Netzwerk zur Gewinnung von<br />

Mädchen und Frauen für Naturwissenschaft<br />

und Technik<br />

– Studentinnen technisch-naturwissenschaftlicher<br />

Studiengänge und junge Frauen in<br />

technischen Ausbildungsberufen informieren,<br />

beraten und betreuen Schülerinnen im Alter<br />

zwischen 10 und 20 Jahren<br />

– Die Mentorinnen informieren über Studien- und<br />

Ausbildungsmöglichkeiten und berichten den<br />

Schülerinnen von ihren eigenen Überlegungen<br />

zur Berufswahl<br />

– Das Ada-Lovelace-Projekt wurde 1997 auf<br />

Initiative des Rheinland-Pfälzischen<br />

Ministeriums für Bildung, Frauen und Jugend<br />

(MBFJ) an der Universität in Koblenz ins Leben<br />

gerufen und ist an 11 Hochschulstandorten in<br />

Rheinland-Pfalz vertreten.<br />

‣ „Gegenentwurf“ zu „Männernetzwerken“<br />

Soziale Ungleichheiten und<br />

Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

89


Erscheinungsformen und Erklärungsmuster <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

Siehe auch separates Skript „Bildungsungleichheiten“<br />

SOZIALISATION,<br />

BILDUNGSUNGLEICHHEIT UND<br />

BILDUNGSGERECHTIGKEIT<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 90


Begriffsklärung: Sozialisation und Bildung<br />

‣Als Sozialisation wird der Prozess der<br />

Entwicklung menschlicher Persönlichkeit in<br />

produktiver Auseinandersetzung mit den<br />

natürlichen Anlagen eines Menschen und der<br />

Umwelt bezeichnet.<br />

(Hurrelmann, K. 2008, S. 253)<br />

‣ Bildung ist ein Prozess des Lernens, verteilt<br />

auf die Rollen von Schülern und Lehrer.<br />

Lernen ist das Sammeln von Erfahrungen<br />

durch Belohnung und Bestrafung von<br />

Verhaltensweisen durch die Umwelt<br />

(Meulemann, H. 2008, S. 38)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

91


Untersuchungsperspektiven nach Akteuren im Bildungswesen<br />

(1) Auf welche Weise entscheiden politische<br />

Instanzen über das Lernen im Schulwesen<br />

und wie organisieren staatliche Verwaltungen<br />

das Lernen?<br />

(2) Wie verhalten sich Lehrer zu ihren Vorgesetzten<br />

und Kollegen sowie zu Schülern und<br />

Eltern? Sind Schüler aufgrund ihrer Leistung<br />

oder „äußerer“ Merkmale erfolgreich?<br />

(3) Einfluss der <strong>soziale</strong>n Herkunft auf die<br />

Schulwahl<br />

(Meulemann 2008, S. 39f)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

92


Ausgangslage und Hintergrund<br />

‣ Bildungsgesellschaft<br />

– Ansprüche an fachliche und <strong>soziale</strong> Kompetenzen (insb.<br />

auf dem Arbeitsmarkt) sind enorm gestiegen und für eine<br />

erfolgreiche berufliche Karriere mehr denn je entscheidend<br />

‣ Schule als Lernort und Institution der<br />

Wissensproduktion<br />

– Gleichheitsprinzip: Bei gleicher Leistung soll jeder gleiche<br />

Chancen für den weiteren Bildungsweg erhalten<br />

‣ Zwei Lebensabschnitte, die sich überlagern<br />

– Sozialisation: Zuständigkeit der Familie<br />

– Bildung: Zuständigkeit der Bildungsinstitutionen<br />

‣ Frage: An welchen Stellen entstehen wie und warum<br />

<strong>soziale</strong> Ungleichheiten und welche Prozesse sorgen<br />

für die Perpetuierung dieser?<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 93


Primäre und sekundäre Herkunftseffekte<br />

‣ Von primären Herkunftseffekten ist die Rede, wenn ungleiche<br />

Schulleistungen von Kindern unterschiedlicher <strong>soziale</strong>r<br />

Herkunft die Ursache für Bildungsungleichheiten im späteren<br />

Lebensverlauf sind.<br />

• Je früher es Verzweigungen/Zeitpunkte eines „Entscheidens“ in einem<br />

Bildungssystem über den weiteren Bildungsgang von Kindern gibt,<br />

desto höher ist auch der Einfluss primärer Herkunftsunterschiede und<br />

der Einfluss der Bildungsaspiration der Eltern.<br />

‣ Sekundäre Herkunftseffekte erklären, warum es trotz gleicher<br />

Schulleistungen Unterschiede in den Bildungsentscheidungen<br />

für Kinder unterschiedlicher <strong>soziale</strong>r Herkunft gibt.<br />

• Je mehr Verzweigungen/Zeitpunkte eines „Entscheidens“ ein<br />

Bildungssystem über den weiteren Bildungsgang von Kindern zulässt<br />

bzw. den Lehrern und Eltern abverlangt (zum Beispiel bezüglich einer<br />

Zurückstufung, einer Klassenwiederholung, des Sekundarschultyps,<br />

des Wechsels zu einem anderen Sekundarschultyp, einer beruflichen<br />

vs. einer tertiären Ausbildung), desto wahrscheinlicher gibt es einen<br />

Einfluss sekundärer Herkunftseffekte, also schichtspezifischer<br />

Entscheidungen bei gleichen Leistungen.<br />

Unterscheidung nach Raymond Boudon, zitiert nach Solga 2008, S. 2ff<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

94


Quelle: Datenreport 2008,S. 52<br />

Grundstruktur des Bildungswesens in Deutschland<br />

‣ Demgegenüber Vorteile eines<br />

integrierten Bildungssystems:<br />

(1) Spätere formale Trennung<br />

verbessert Chancen von<br />

Schülern mit ungünstigeren<br />

Voraussetzungen (mehr Zeit<br />

zur Kompensierung der<br />

Lücken beim kulturellen<br />

Kapital)<br />

(2) Trennung nach Schulformen<br />

mit negativen Effekten auf<br />

das Lernverhalten am<br />

unteren Ende der Hierarchie<br />

entfällt (Pygmalion Effekt)<br />

(3) Integriertes System zwingt<br />

zur Individualisierung und<br />

weckt<br />

Verantwortungsbewusstsein<br />

der Schüler<br />

(Auernheimer 2008, S. 12)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

95


IGLU-Studie<br />

‣Schülerleistungen am Ende der<br />

Grundschulzeit streuen weniger als am Ende<br />

der Sekundarstufe I, d.h. Leistungen in der<br />

Grundschule signifikant weniger vom<br />

<strong>soziale</strong>n Hintergrund abhängig als in der<br />

Sekundarstufe<br />

– Im Vergleich vergleichsweise hohe Kompetenzen<br />

– Geringerer Anteil von „Risikokindern“<br />

‣Zwischen Testergebnissen und den<br />

Übergangsempfehlungen der Grundschulen<br />

besteht nur ein geringer Zusammenhang<br />

(Auernheimer 2008, S. 10)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

96


Bildungsbeteiligung von 14-jährigen Schulkindern mit Vorschulbildung<br />

nach <strong>soziale</strong>r Herkunft<br />

Quelle:<br />

Datenreport 2008,<br />

S. 75)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

97


Erscheinungsformen und Erklärungsmuster <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

Siehe separates Skript: Filsinger, Dieter (2008): Bedingungen<br />

erfolgreicher Integration – Integrationsmonitoring und<br />

Evaluation, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung (S. 8-40) [pdf-Datei]<br />

MIGRATION<br />

UND IHRE FOLGEN<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 98


Erscheinungsformen und Erklärungsmuster <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

GESUNDHEIT<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 99


Gesundheitsbegriff<br />

‣ Definition der WHO (1946):<br />

– „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen<br />

und <strong>soziale</strong>n Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit<br />

von Krankheit oder Gebrechen“ (Keupp 2008, S. 90)<br />

‣ Salutogenese<br />

– Gesundheit ist entscheidend von psycho<strong>soziale</strong>n Bedingungen<br />

abhängig. Individuelles gesundheitsrelevantes Verhalten /<br />

Handeln und Zugang zu Widerstandsressourcen kommt eine<br />

entscheidende Bedeutung bei der Bewältigung gesundheitlicher<br />

Risiken zu. (Antonovsky 1987;1997)<br />

‣ Sozialepidemiologische Forschung<br />

– Befasst sich mit der Verteilung von Krankheit und Tod und bezieht<br />

die Einflüsse des sozioökonomischen Status, von Arbeitsbedingungen,<br />

Wohnsituation etc. mit ein<br />

– Gesundheit wird systematisch von Lebensbedingungen<br />

beeinflusst<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 100


Public Health<br />

‣ Public Health ist Theorie und Praxis der auf<br />

Gruppen bzw. Bevölkerungen bezogenen Strategien<br />

und Maßnahmen der Verminderung von<br />

Erkrankungs- und Sterbewahrscheinlichkeiten<br />

durch Senkung von Belastungen und Stärkung von<br />

Ressourcen.<br />

‣ Public Health analysiert und beeinflusst hinter den<br />

individuellen Krankheitsfällen epidemiologisch<br />

fassbare Risikostrukturen, Verursachungszusammenhänge<br />

und Bewältigungsmöglichkeiten.<br />

Dazu gehören auch Fragen der Ausgestaltung und<br />

Steuerung von Prävention und Krankenversorgung.<br />

Forschungsgruppe Public Health, www.wzb.eu<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

101


Daten zur Gesundheit<br />

www.gbe-bund.de<br />

-Mikrozensus / SOEP -Todesursachenstatistik -Krankenkassendaten<br />

-Krankenhausstatistik -Statistik schwerbehinderter Menschen -Studien<br />

-DRG-Statistik -Gesundheitspersonalrechnung -etc.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

102


Bewertung des<br />

Gesundheitszustandes<br />

nach<br />

sozio-demographischen<br />

Merkmalen<br />

Quelle: Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

103


Arztbesuche und<br />

durchschnittliche Anzahl<br />

der Arztbesuche pro<br />

Patient im letzten Quartal<br />

Quelle: Datenreport 2008<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

104


Zusammenhang von Schicht und Gesundheitsverhalten<br />

Soziale Ungleichheit<br />

(Unterschiede in Wissen, Geld, Macht und Prestige)<br />

Unterschiedliche<br />

gesundheitliche Beanspruchungen<br />

Bilanz aus:<br />

Gesundheitliche<br />

Belastungen<br />

(z.B. Stress am<br />

Arbeitsplatz,<br />

Umweltbelastungen<br />

in Wohnumgebung)<br />

Bewältigungsressourcen<br />

(z.B. <strong>soziale</strong><br />

Unterstützung,<br />

Freizeitmöglichkeiten,<br />

Kommunikationskompetenz)<br />

Unterschiedliche<br />

gesundheitliche Versorgung<br />

(z.B. Qualität von Präventio, Kuration<br />

und Rehabilitation)<br />

Unterschiedliche gesundheitsrelevante Lebensstile<br />

(z.B. Gesundheits- und Krankheitsverhalten wie Rauchen,<br />

Ernährung, Symptomtoleranz<br />

Gesundheitliche Ungleichheit<br />

(Unterschiede in Morbidität und Mortalität)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2<br />

Nach Elkeles/Mielck 1993/1997; Rosenbrock<br />

105<br />

2004


Erscheinungsformen und Erklärungsmuster <strong>soziale</strong>r Ungleichheit<br />

Siehe auch separates Skript „Armut und Exklusion“<br />

ARMUT,<br />

INKLUSION – EXKLUSION<br />

GERECHTIGKEIT<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 106


Betroffenheit von Armut in Deutschland<br />

Bevölkerung insgesamt<br />

Armutsschwelle<br />

Bevölkerung insgesamt<br />

Gesamtdeutschland Ostdeutschland<br />

nach EU-Definition: Gesamtdeutschland Ostdeutschland 2001 2006 2001 2006<br />

60% Median 2001 2006 2001 2006<br />

Armutsquote in %<br />

Bevölkerung insg. 11,4 11,4 11,4 11,4 Bevölkerung ab 18 J. 10,4 13,3 14,1 21,4<br />

Geschlecht<br />

Familienstand<br />

Männlich 10,8 13,1 14,9 22,6<br />

Verh./zusammenlebend 7,1 8,2 7,4 12,7<br />

Verh./getrennt lebend 21,3 23,9 30,5 24,2<br />

Weiblich 12,0 14,7 15,7 22,8<br />

Ledig 13,9 18,5 21,9 33,3<br />

Alter (in Jahren)<br />

Geschieden 19,7 26,9 34,6 36,7<br />

bis 10 15,4 16,3 20,5 30,2 Verwitwet 9,9 10,3 5,7 6,2<br />

11–20 16,4 18,7 22,2 33,6 Bildungsabschluss<br />

21–30 15,8 19,2 23,0 28,5 Hauptschule ohne<br />

31–40 9,5 11,4 15,1 23,3 Abschluss 20,6 26,3 24,1 34,5<br />

41–50 8,9 14,2 14,5 28,0<br />

RS, FHS, Gymnasium<br />

ohne Abschluss 10,7 12,4 18,0 29,5<br />

51–60 9,1 13,0 14,9 25,7<br />

61–70 8,7 8,9 7,2 8,7 Hauptschule mit Abschluss<br />

8,9 13,2 14,0 21,9<br />

71 und älter 9,8 11,2 7,4 7,2 Realschule mit Abschluss 7,8 11,7 14,8 24,1<br />

Nationalität<br />

FHS, Gymnasium mit<br />

Deutsch 10,1 13,2 14,9 22,6 Abschluss 9,8 11,9 14,9 17,4<br />

Nicht deutsch 27,5 22,8 67,0 40,2 Sonstiges 20,9 19,9 35,5 38,7<br />

FH, Uni 4,1 4,7 5,1 7,8<br />

Gemeindegrößenklasse (Einwohner)<br />

unter 2 000 14,0 16,5 15,3 21,2<br />

2 000-20 000 11,4 12,8 13,9 20,2<br />

20 000–100 000 10,5 13,6 17,2 24,4<br />

100 000–500 000 12,2 17,0 16,1 25,1<br />

über 500 000 10,8 12,0 14,9 23,6<br />

in Lehre, Schule, Studium<br />

Erwerbsstatus<br />

15,0 10,0 21,4 21,0<br />

Erwerbstätig, Vollzeit 4,0 4,6 6,2 8,2<br />

Erwerbstätig, Teilzeit 11,4 13,3 18,9 21,5<br />

Arbeitslos 39,9 57,0 43,2 67,8<br />

in Ausbildung 22,3 21,7 22,5 28,2<br />

nicht erwerbstätig 11,0 11,2 9,7 12,6<br />

Quelle: Datenreport 2008, S. 167f.<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 107


50%-Armutsgrenze<br />

Wohlstandsschwelle<br />

max. Armut min. mind. Wohlstandsgrad max.<br />

Armut<br />

Prekärer<br />

Wohlstand<br />

Gesicherter Wohlstand<br />

10% 25-30% 55%-65%<br />

Hübinger 1996<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 108


Begriffliche Klärung: Gerechtigkeit<br />

‣ Typen von Gerechtigkeit<br />

– formale Gerechtigkeit<br />

– materielle Gerechtigkeit<br />

– <strong>soziale</strong> Gerechtigkeit (v.a. distributive Gerechtigkeit)<br />

– Verfahrensgerechtigkeit<br />

‣ Prinzipien der Gerechtigkeit<br />

– Beitrag (equity),<br />

– Gleichheit (equality)<br />

– Bedürfnis (need)<br />

‣ Differenzierung von Spähren:<br />

Soziale Relation<br />

Dominantes Prinzip<br />

Solidarische Gemeinschaften<br />

Instrumentelle Assoziationen<br />

Citizenship<br />

Bedürfnisprinzip<br />

Leistungsprinzip<br />

Gleichheitsprinzip<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 109


Gerechtigkeitsvorstellungen<br />

‣ (Soziale) Gerechtigkeitsvorstellungen in modernen<br />

Gesellschaften und in sozialpolitischen Diskursen<br />

– rechtliche Gleichheit<br />

– bürgerliche Freiheiten<br />

– demokratische Beteiligung<br />

– <strong>soziale</strong> Chancengleichheit<br />

– wirtschaftliche Verteilungsgerechtigkeit (distributive G.)<br />

‣ Gerechtigkeitsvorstellungen in der Sozialstaatsdiskussion<br />

– Verteilungsgerechtigkeit vs. produktivistische Gerechtigkeit<br />

– Leistungsgerechtigkeit vs. Bedarf-/Teilhabegerechtigkeit<br />

("Citizenship„)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 110


Soziale Gerechtigkeit<br />

Eine Politik der <strong>soziale</strong>n Gerechtigkeit ist eine zu Gunsten der<br />

sozial Schlechtestgestellten (siehe auch Rawls)<br />

– Sozial gerecht ist, was es dem einzelnen Mitglied unserer<br />

Gesellschaft in Kooperation mit anderen erlaubt, seine<br />

Lebensziele in größtmöglicher Autonomie zu verwirklichen.<br />

Gerechtigkeit bedeutet nicht nur Chancengleichheit, sondern<br />

auch und vor allem Integrität der Lebensform (Honneth)<br />

– Jedes Subjekt muss ohne kollektive Abstufungen die Chance<br />

erhalten, sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeit als<br />

wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren. Nur unter solchen<br />

Umständen wird erst der Horizont eröffnet, in dem die<br />

individuelle Konkurrenz um <strong>soziale</strong> Wertschätzung eine von<br />

Missachtung ungetrübte Gestalt annehmen kann (Honneth)<br />

Soziale Ungleichheiten und Heterogenität; Modul 7.1 / 7.2 111

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