PDF 54.868kB - Hochschule Ulm

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13.01.2014 Aufrufe

S T U D I U M & L E H R E Joggen auf halbem Fuß Die Entwicklung einer Prothese ist ein komplexer Prozess. Konstruktion, Simulation, Materialauswahl und Belastungstests gehen Hand in Hand, damit der Patient seine natürliche Beweglichkeit weitgehend wiedergewinnt. Am Labor für Biomechanik und Produktentwicklung lernen Studierende der Medizintechnik die hierfür notwendigen Methoden. Der Studiengang Medizintechnik ist an der Hochschule Ulm ein Klassiker. Den Studienschwerpunkt Biomechanik dagegen gibt es erst seit kurzem. Vor zwei Jahren hat Professor Dr. Felix Capanni begonnen, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen und das Labor für Biomechanik und Produktentwicklung aufzubauen. Inzwischen wird er dabei von dem Simulationsexperten Professor Dr.-Ing. Thomas Engleder unterstützt. „Die Biomechanik ist immer dann gefragt, wenn es um das Zusammenspiel von Knochen, Gelenken und Muskeln geht“, erläutert Capanni. Projekte, die sich mit der chirurgischen Weitung eines Oberkiefers oder der Entwicklung von Osteosynthese-Implantaten und Prothesen befassen, liefern Fragestellungen, an denen die Studierenden in die Methodik eingeführt werden und die zum Thema einer Bachelor-Arbeit werden können. Im Falle der Oberkieferweitung plant der Kieferchirurg den Biomechanik und Produktentwicklung Professor Dr. Felix Capanni ist Prodekan der Fakultät Mechatronik und Medizintechnik. Er lehrt seit 2008 die Fachgebiete Konstruktion, Biomechanik, Produktentwicklung sowie die Zulassung von Medizinprodukten. Professor Dr.-Ing. Thomas Engleder ist 2011 an die Hochschule Ulm berufen worden. Er lehrt die Fachgebiete Technische Mechanik und Finite Elemente-Methode. Der Prototyp der Vorfußprothese ist das Ergebnis der Diplomarbeit von Christian Peschmann und Sybille Honold sowie der Bachelor-Arbeit von Carina Wiedenmann und Melanie Dürr. Eingriff zunächst anhand einer rechnerischen Simulation, die auf den Daten aus dem Computertomogramm basieren. Mit Hilfe von Dehnungsmessstreifen im Kieferbereich eines Schädelmodells lässt sich aber erst erkennen, ob der geplante Eingriff zum gewünschten Erfolg führen wird. Wofür das Labor als Ganzes steht, lässt sich am besten an der Entwicklung einer Prothese zeigen. Ohne Vorfuß kein schnelles Laufen Ein medizintechnisches Produkt steht am Ende eines aufwändigen Prozesses, bei dem die Simulation eine große Rolle spielt. Eine Prothese, die der individuellen Anatomie gerecht wird und funktional sein soll, kommt ohne Simulation nicht aus. „Wir können dies am Beispiel einer Patientin zeigen, die durch einen Unfall den linkenVorfuß verloren hat“, führt Felix Capanni an. Eine Amputation in Höhe der Fußwurzelknochen war nötig geworden. Obwohl die Patientin den Alltag normal bewältigt, bleibt ein Handicap, das ihre Lebensqualität beeinträchtigt. Die junge, einst sportlich aktive Frau kann nicht mehr joggen oder schnell laufen, weil herkömmliche Vorfußprothesen das Abstoßen des Fußes nicht erlauben. Wie also muss eine Prothese beschaffen sein, die dieses Manko behebt? Wie gelingt bei fehlendem Ballen eine Kraftübertragung bis in den Zehenbereich und wie lassen sich Druckkräfte am Stumpfende vermeiden? 12

CAD offenbart die Möglichkeiten Biomechanisch gesehen ist die Ausgangssituation einfach: Durch das Fehlen des Ballens und der Zehen fehlt die Hebelwirkung, die der Fuß beim Abrollen in der Abstoßphase entfaltet. An einem Gipsmodell, das die anatomischen Verhältnisse der amputierten Gliedmaße getreu wieder gibt, entstehen die Ideen für das Design der Prothese. In das CAD-System übertragen, lassen sich so verschiedene Möglichkeiten für die Ausgestaltung des Prothesenschaftes, die Fixierung am Unterschenkel, die Bettung des Stumpfes und den Übergang in die Sohle durchspielen. Hierfür steht das CAD-Programm Pro/ENGINEER zur Verfügung. Im konkreten Fall wurden fünf Modelle konstruiert und auf eine ganze Palette von Anforderungskriterien hin bewertet. Die Entscheidung fiel auf einen Entwurf, bei dem ein seitlich am Unterschenkel verlaufender bandartiger Schaft unterhalb des Knies über eine Spange fixiert wird. Dieses Schaftband läuft im Bereich der Prothesen-Sohle leicht gekrümmt aus. Schwachstellen aufdecken Prothesen müssen so ausgestaltet werden, dass sie der Belastung durch die dynamische Kraftentwicklung während der Bewegung standhalten. „Mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode simulieren wir das Aufsetzen der Ferse und das Abrollen über die Fußsohle und erhalten die auftretenden Spannungen an der Prothese“, schildert Engleder den nächsten Schritt im Gesamtprozess. Zum Einsatz kommt ANSYS, die derzeit aktuellste Software für Spannungsanalysen. Die Prothese wird aus kohlenfaserverstärktem Kunststoff (Carbon) gefertigt. Ein Materialvergleich hat erkennen lassen, dass dieser Werkstoff aufgrund seines geringen Gewichts und seiner hohen Stabilität für diese Anwendung prädestiniert ist. Die Prothese wird an jenen Stellen verstärkt, an denen besonders hohe Spannungen errechnet worden sind. Dies betrifft Die Prothesen-Gestaltung beginnt mit einem Gipsmodell des Unterschenkels und des Restfußes (links außen). Der ausgewählte CAD-Entwurf des Prothesendesigns (links) wird mit der Hilfe der Finite-Elemente-Methode einer Spannungsanalyse unterworfen. Beim Abrollen treten am Übergang zur Prothesensohle und im Bereich des Schaftes die stärksten Belastungen auf, erkenntlich an den roten Punkten. Das Ergebnis ist letzlich die in den Laufschuh eingearbeitete Prothese am Bein der Patientin (rechts außen). 13

S T U D I U M & L E H R E<br />

Joggen auf halbem Fuß<br />

Die Entwicklung einer Prothese ist ein komplexer Prozess. Konstruktion, Simulation, Materialauswahl<br />

und Belastungstests gehen Hand in Hand, damit der Patient seine natürliche Beweglichkeit weitgehend<br />

wiedergewinnt. Am Labor für Biomechanik und Produktentwicklung lernen Studierende der Medizintechnik<br />

die hierfür notwendigen Methoden.<br />

Der Studiengang Medizintechnik ist<br />

an der <strong>Hochschule</strong> <strong>Ulm</strong> ein Klassiker.<br />

Den Studienschwerpunkt Biomechanik<br />

dagegen gibt es erst seit kurzem. Vor<br />

zwei Jahren hat Professor Dr. Felix Capanni<br />

begonnen, die Voraussetzungen<br />

hierfür zu schaffen und das Labor für<br />

Biomechanik und Produktentwicklung<br />

aufzubauen. Inzwischen wird er dabei<br />

von dem Simulationsexperten Professor<br />

Dr.-Ing. Thomas Engleder unterstützt.<br />

„Die Biomechanik ist immer dann gefragt,<br />

wenn es um das Zusammenspiel<br />

von Knochen, Gelenken und Muskeln<br />

geht“, erläutert Capanni. Projekte, die<br />

sich mit der chirurgischen Weitung<br />

eines Oberkiefers oder der Entwicklung<br />

von Osteosynthese-Implantaten und<br />

Prothesen befassen, liefern Fragestellungen,<br />

an denen die Studierenden in<br />

die Methodik eingeführt werden und<br />

die zum Thema einer Bachelor-Arbeit<br />

werden können. Im Falle der Oberkieferweitung<br />

plant der Kieferchirurg den<br />

Biomechanik und Produktentwicklung<br />

Professor Dr. Felix Capanni ist Prodekan der Fakultät Mechatronik<br />

und Medizintechnik. Er lehrt seit 2008 die Fachgebiete<br />

Konstruktion, Biomechanik, Produktentwicklung sowie<br />

die Zulassung von Medizinprodukten. Professor Dr.-Ing.<br />

Thomas Engleder ist 2011 an die <strong>Hochschule</strong> <strong>Ulm</strong> berufen<br />

worden. Er lehrt die Fachgebiete Technische Mechanik und<br />

Finite Elemente-Methode. Der Prototyp der Vorfußprothese<br />

ist das Ergebnis der Diplomarbeit von Christian Peschmann<br />

und Sybille Honold sowie der Bachelor-Arbeit von Carina<br />

Wiedenmann und Melanie Dürr.<br />

Eingriff zunächst anhand einer rechnerischen<br />

Simulation, die auf den Daten<br />

aus dem Computertomogramm basieren.<br />

Mit Hilfe von Dehnungsmessstreifen<br />

im Kieferbereich eines Schädelmodells<br />

lässt sich aber erst erkennen,<br />

ob der geplante Eingriff zum gewünschten<br />

Erfolg führen wird. Wofür<br />

das Labor als Ganzes steht, lässt sich<br />

am besten an der Entwicklung einer<br />

Prothese zeigen.<br />

Ohne Vorfuß kein schnelles Laufen<br />

Ein medizintechnisches Produkt steht<br />

am Ende eines aufwändigen Prozesses,<br />

bei dem die Simulation eine große<br />

Rolle spielt. Eine Prothese, die der<br />

individuellen Anatomie gerecht wird<br />

und funktional sein soll, kommt ohne<br />

Simulation nicht aus. „Wir können dies<br />

am Beispiel einer Patientin zeigen, die<br />

durch einen Unfall den linkenVorfuß<br />

verloren hat“, führt Felix Capanni an.<br />

Eine Amputation in Höhe der Fußwurzelknochen<br />

war nötig geworden.<br />

Obwohl die Patientin den Alltag normal<br />

bewältigt, bleibt ein Handicap, das<br />

ihre Lebensqualität beeinträchtigt. Die<br />

junge, einst sportlich aktive Frau kann<br />

nicht mehr joggen oder schnell laufen,<br />

weil herkömmliche Vorfußprothesen<br />

das Abstoßen des Fußes nicht erlauben.<br />

Wie also muss eine Prothese beschaffen<br />

sein, die dieses Manko behebt?<br />

Wie gelingt bei fehlendem Ballen eine<br />

Kraftübertragung bis in den Zehenbereich<br />

und wie lassen sich Druckkräfte<br />

am Stumpfende vermeiden?<br />

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