HRRS-Festgabe für Gerhard Fezer zum 70 ... - hrr-strafrecht.de

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88 Michael Kahlo / Benno Zabel von dem verurteilten Angeklagten mit der Begründung erhoben worden war, die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG. 2 Das BVerfG hatte sich anlässlich dieser Verfassungsbeschwerde zugleich mit den Implikationen der nach wie vor umstrittenen Problematik des Strafklageverbrauchs bei Dauerdelikten zu beschäftigen. 3 Die nachfolgende Rezension nimmt das Verfahren zum Anlass, Fragen der konkreten Sachverhaltsgestaltung unmittelbar auf den straf- und verfassungstheoretischen Hintergrund zu beziehen. Zu diesem Zweck soll zunächst die Struktur der Entscheidung analysiert werden (II.). Im Anschluss daran gilt es, das Verhältnis von Schuldgrundsatz und prozessualem Tatbegriff zu beleuchten (III.), was wiederum zur Problematik der Dauerdelikte führen (IV.) und schließlich in die Diskussion der vorliegend relevanten Unterlassungsstrafbarkeit münden wird (V.). In einem letzten Schritt soll auf die Bedeutung des vom BVerfG nicht näher erörterten ne bis in idem-Grundsatzes eingegangen (VI.) und es sollen die daraus erwachsenden Konsequenzen formuliert werden (VII.). 1 Vgl. hierzu das Urteil des LG Darmstadt vom 19.April 2005 – Js 221/ 04, den Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 5. Oktober 2005 – 2 Ss 290/ 05 sowie die aktuelle Entscheidung des BVerfG vom 27. Dezember 2006, HRRS 2007 Nr. 132. 2 So referiert in den Entscheidungsgründen zu BVerfG 2 BvR 1895/ 05 Beschluss vom 27. Dezember 2006. 3 Vgl. dazu Fezer, in: Rechtsdogmatik, Hamburg (1990), S. 125 ff.; der sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit intensiv um ein freiheitlich-rechtsstaatliches Straf- und insbesondere Strafprozessrecht bemüht hat; darüber hinaus Erb GA 1994, 265; Kahlo KritV 1997, 183; Klesczewski, Strafprozessrecht, Köln (2007), Rn. 515 ff.; Paeffgen NStZ 2002, 281; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Auflage, München (1998), § 20; Schlüchter JZ 1991, 1057 sowie Zaczyk GA 1988, 356; zur Rspr. des BGH vgl. Beulke in: Festgabe BGH IV, München (2000), S. 781 ff.

Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch 89 II. Die verfahrensrechtliche Konstellation: Der Beschluss des BVerfG Die strikte Anwendung prozessrechtlicher Regelungen kann – gerade wegen des Grundsatzes ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG; vgl. auch §§ 153 a Abs. 1 S. 5, 211 StPO) – die konsequente Durchsetzung materiellen Strafrechts verhindern. Die insofern angesprochenen Verfahrensgrundsätze werden als Verwirklichungsformen des Rechtstaatsprinzips verstanden. Dementsprechend besteht ihre Aufgabe in der gerechten rechtspraktischen Ausmittlung konfligierender rechtlicher Interessen. In besonderer Weise gilt das für den Schuldgrundsatz und das Doppelbestrafungsverbot gem. Art 103 Abs. 3 GG. Letzteres hat – so das BVerfG in ständiger Rechtsprechung – Aspekte der Rechtssicherheit mit denen der materiellen Gerechtigkeit auszugleichen und so auch die Funktion der prozessualen Tat zu konkretisieren. 4 Zwar enthalte Art. 103 Abs. 3 GG keine Definition des Tatbegriffs, weshalb auf einen Begriff des vorverfassungsrechtlichen Prozessrechts Bezug genommen werden müsse; auf einen Tatbegriff freilich, wie er auch in der Rechtsprechung unangefochten Geltung beansprucht. Die Tat ist danach »der geschichtliche – und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte – Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll«. 5 Diese Begriffsbestimmung hat zur Folge, dass die rechtskräftige Aburteilung einer Straftat zugleich deren Tauglichkeit als Prozessgegenstand konsumiert und die Tat für ein weiteres Verfah- 4 Dazu BVerfGE 3, 248, 252 f. und 65, 377, 380. 5 BVerfGE 56, 22, 28 mit Bezug auf E 23, 191, 202; so, jedenfalls dem Wortlaut nach, auch der BGH, siehe nur BGHSt 35, 60, 61 und 35, 318, 323; die Formulierung ist freilich insofern ungenau, als der Teilnehmer nach zutreffender h. L. keinen Straftatbestand verwirklicht, sondern an dessen Verwirklichung durch den Täter mitwirkt – sei es durch »Bestimmen« des Täters zu dessen vorsätzlich-rechtswidriger Tat (§ 26 StGB), sei es durch Hilfeleistung zu einer solchen (§ 27 StGB).

Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch 89<br />

II. Die verfahrensrechtliche Konstellation:<br />

Der Beschluss <strong>de</strong>s BVerfG<br />

Die strikte Anwendung prozessrechtlicher Regelungen kann – gera<strong>de</strong> wegen<br />

<strong>de</strong>s Grundsatzes ne bis in i<strong>de</strong>m (Art. 103 Abs. 3 GG; vgl. auch §§ 153 a<br />

Abs. 1 S. 5, 211 StPO) – die konsequente Durchsetzung materiellen Strafrechts<br />

verhin<strong>de</strong>rn. Die insofern angesprochenen Verfahrensgrundsätze wer<strong>de</strong>n<br />

als Verwirklichungsformen <strong>de</strong>s Rechtstaatsprinzips verstan<strong>de</strong>n. Dementsprechend<br />

besteht ihre Aufgabe in <strong>de</strong>r gerechten rechtspraktischen Ausmittlung<br />

konfligieren<strong>de</strong>r rechtlicher Interessen. In beson<strong>de</strong>rer Weise gilt<br />

das <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Schuldgrundsatz und das Doppelbestrafungsverbot gem. Art<br />

103 Abs. 3 GG. Letzteres hat – so das BVerfG in ständiger Rechtsprechung –<br />

Aspekte <strong>de</strong>r Rechtssicherheit mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r materiellen Gerechtigkeit auszugleichen<br />

und so auch die Funktion <strong>de</strong>r prozessualen Tat zu konkretisieren. 4<br />

Zwar enthalte Art. 103 Abs. 3 GG keine Definition <strong>de</strong>s Tatbegriffs, weshalb<br />

auf einen Begriff <strong>de</strong>s vorverfassungsrechtlichen Prozessrechts Bezug genommen<br />

wer<strong>de</strong>n müsse; auf einen Tatbegriff freilich, wie er auch in <strong>de</strong>r<br />

Rechtsprechung unangefochten Geltung beansprucht. Die Tat ist danach<br />

»<strong>de</strong>r geschichtliche – und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte –<br />

Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb<br />

<strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>r Angeklagte als Täter o<strong>de</strong>r Teilnehmer einen Straftatbestand<br />

verwirklicht haben soll«. 5 Diese Begriffsbestimmung hat zur Folge,<br />

dass die rechtskräftige Aburteilung einer Straftat zugleich <strong>de</strong>ren Tauglichkeit<br />

als Prozessgegenstand konsumiert und die Tat <strong>für</strong> ein weiteres Verfah-<br />

4<br />

Dazu BVerfGE 3, 248, 252 f. und 65, 377, 380.<br />

5<br />

BVerfGE 56, 22, 28 mit Bezug auf E 23, 191, 202; so, je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>m Wortlaut<br />

nach, auch <strong>de</strong>r BGH, siehe nur BGHSt 35, 60, 61 und 35, 318, 323; die Formulierung<br />

ist freilich insofern ungenau, als <strong>de</strong>r Teilnehmer nach zutreffen<strong>de</strong>r h. L.<br />

keinen Straftatbestand verwirklicht, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>ssen Verwirklichung durch<br />

<strong>de</strong>n Täter mitwirkt – sei es durch »Bestimmen« <strong>de</strong>s Täters zu <strong>de</strong>ssen vorsätzlich-rechtswidriger<br />

Tat (§ 26 StGB), sei es durch Hilfeleistung zu einer solchen<br />

(§ 27 StGB).

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