HRRS-Festgabe für Gerhard Fezer zum 70 ... - hrr-strafrecht.de
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80 André Graumann Auch hier muss in konsequenter Anwendung der Grundsätze zur Urteilsabsprache die Entscheidung des für die Zusage zuständigen Strafverfolgungsorgans – im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft – fortwirken und das absprachewidrig mit der Sache befasste Gericht binden. Dessen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum in § 154 StPO wird durch die Anklage unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens ebenfalls auf Null reduziert, so dass es – unter gleichzeitiger Ersetzung des entsprechenden Antrages der Staatsanwaltschaft – die Einstellung auszusprechen hat. V. Die Voraussetzungen für ein zulässiges Abweichen von der Absprache Das Abweichen des Gerichts von einer Urteilsabsprache hielt der 4. Strafsenat zunächst nur dann für zulässig, wenn später schwerwiegende neue Umstände bekannt werden, etwa erhebliche Vorstrafen oder den Verbrechenscharakter begründende Tatsachen oder Beweismittel. 53 In diesem Fall sei dann lediglich ein – zu protokollierender – Hinweis zu erteilen, dass das angekündigte Strafmaß voraussichtlich überschritten werde. Der Große Senat für Strafsachen hat diese Rechtsprechung inzwischen modifiziert. Auch tatsächliche oder rechtliche Umstände, die zum Zeitpunkt der Absprache bereits vorhanden waren und vom Gericht übersehen wurden, rechtfertigten eine Abweichung von der Strafmaßzusage, wobei der Große Senat insofern – ohne Erwähnung einer gesteigerten Erheblichkeit – für die Urteilsfindung »relevante« Umstände voraussetzt. 54 Anhand dieses Maßstabes bewertet auch der 3. Strafsenat die Zulässigkeit des Abweichens der Vorinstanz von der Verfahrensabsprache. 55 Dabei diffe- 53 BGHSt 43, 195, 210. 54 BGHSt – Großer Senat – 50, 40, 50. 55 BGHSt 52, 165, Rn. 11.
Die Absprache über die Nichtverfolgung einer Tat gemäß § 154 StPO 81 renziert er nicht zwischen der Zusage zum Strafmaß und der Ankündigung einer Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Kriterien bei beiden Formen der Verfahrensabsprache einheitlich gehandhabt werden sollen. Demnach dürfen Staatsanwaltschaft oder Gericht, die eine Zusage zur Anwendbarkeit von § 154 StPO gemacht haben, von ihrer Ankündigung dann abweichen, wenn die Voraussetzungen einer Einstellung nach dieser Norm entfallen, weil maßgebliche Umstände übersehen wurden oder neu hervorgetreten sind. Auch hier geht es um Strafzumessungsumstände, da für die Anwendbarkeit von § 154 StPO eine Strafmaßprognose hinsichtlich zweier Taten entscheidend ist – auf der einen Seite die von der potentiellen Einstellung erfasste Tat und auf der anderen Seite deren Bezugstat. Denkbar ist also insbesondere, dass sich nachträglich strafschärfende Umstände für diejenige Tat ergeben, die nach der Zusage nicht mehr verfolgt werden sollte, so dass ihre Gewichtigkeit gegenüber der Bezugstat ansteigt. Auf der anderen Seite können aber auch strafmildernde Umstände zu einer geringeren Verurteilung wegen der Bezugstat führen, womit die Bedeutung derjenigen Tat, die ursprünglich eingestellt werden sollte, ebenfalls ansteigt. Diese weitgehende Abweichungsmöglichkeit ist allerdings mit Blick auf den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz problematisch, da der Angeklagte so auch das Risiko einer für ihn nicht vorhersehbaren, möglicherweise sogar durch Fehler der Strafverfolgungsorgane erst verursachten Veränderung der Umstände trägt. 56 Nicht zulässig ist auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung – entsprechend der Situation bei der Urteilsabsprache – das Abweichen von der Zusage aufgrund »besserer Einsicht«. 57 Dies ist der Inhalt der Bindungswirkung und hat zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft und das Gericht – auch 56 Vgl. dazu Graumann HRRS 2008, 122, 133f. 57 Vgl. zu diesem Begriff BGHSt 38, 102, 105.
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Auch hier muss in konsequenter Anwendung <strong>de</strong>r Grundsätze zur Urteilsabsprache<br />
die Entscheidung <strong>de</strong>s <strong>für</strong> die Zusage zuständigen Strafverfolgungsorgans<br />
– im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft – fortwirken und<br />
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V. Die Voraussetzungen <strong>für</strong> ein zulässiges<br />
Abweichen von <strong>de</strong>r Absprache<br />
Das Abweichen <strong>de</strong>s Gerichts von einer Urteilsabsprache hielt <strong>de</strong>r 4. Strafsenat<br />
zunächst nur dann <strong>für</strong> zulässig, wenn später schwerwiegen<strong>de</strong> neue<br />
Umstän<strong>de</strong> bekannt wer<strong>de</strong>n, etwa erhebliche Vorstrafen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Verbrechenscharakter<br />
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sei dann lediglich ein – zu protokollieren<strong>de</strong>r – Hinweis zu erteilen, dass das<br />
angekündigte Strafmaß voraussichtlich überschritten wer<strong>de</strong>. Der Große Senat<br />
<strong>für</strong> Strafsachen hat diese Rechtsprechung inzwischen modifiziert. Auch<br />
tatsächliche o<strong>de</strong>r rechtliche Umstän<strong>de</strong>, die <strong>zum</strong> Zeitpunkt <strong>de</strong>r Absprache<br />
bereits vorhan<strong>de</strong>n waren und vom Gericht übersehen wur<strong>de</strong>n, rechtfertigten<br />
eine Abweichung von <strong>de</strong>r Strafmaßzusage, wobei <strong>de</strong>r Große Senat insofern<br />
– ohne Erwähnung einer gesteigerten Erheblichkeit – <strong>für</strong> die Urteilsfindung<br />
»relevante« Umstän<strong>de</strong> voraussetzt. 54<br />
Anhand dieses Maßstabes bewertet auch <strong>de</strong>r 3. Strafsenat die Zulässigkeit<br />
<strong>de</strong>s Abweichens <strong>de</strong>r Vorinstanz von <strong>de</strong>r Verfahrensabsprache. 55 Dabei diffe-<br />
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BGHSt 43, 195, 210.<br />
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BGHSt – Großer Senat – 50, 40, 50.<br />
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BGHSt 52, 165, Rn. 11.