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66 André Graumann Ein schwacher Trost für den Angeklagten, wenn er im Vertrauen auf das in Aussicht gestellte Strafmaß bereits ein Geständnis abgelegt hat. Es ist daher zu begrüßen, dass der 4. Strafsenat in deutlicher Abkehr von dieser früheren BGH-Rechtsprechung mit der Entscheidung BGHSt 43, 195 den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes ernst genommen und die Position des Angeklagten in dieser Situation durch die Annahme einer Bindungswirkung wesentlich gestärkt hat. Dieser Rechtsprechung haben sich inzwischen sämtliche Senate angeschlossen. Der Große Senat für Strafsachen hat sie zur Grundlage seines Beschlusses vom 3. März 2005 gemacht und nur bei den Möglichkeiten des Gerichts, von der Absprache abzuweichen, leicht modifiziert. Das hier zu besprechende Urteil des 3. Strafsenats bietet nun zum ersten Mal die Gelegenheit, diese Rechtsprechung auch auf die Absprache über die Anwendung von § 154 StPO zu erstrecken. Es kann nicht unbesehen auf eine Judikatur zurückgegriffen werden, der die Vorstellung einer Bindungswirkung strafprozessualer Verständigungen völlig fremd war und die den Begriff der Zusage deshalb nur in Anführungszeichen verwendete. Hinsichtlich der Urteilsabsprache geht der BGH seit dem Grundsatzurteil des 4. Strafsenats im Jahre 1997 also davon aus, dass es dem Gericht verboten ist, von seiner früheren Erklärung abzuweichen. Die Einhaltung der bindenden Zusage kann der Angeklagte mit der Revision geltend machen. Der 3. Strafsenat sieht vorliegend eine solche Bindung auch für die Zusage des Gerichts, das Verfahren zur Tat 3 nach einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft einzustellen. 32 Darüber hinaus geht der Senat davon aus, dass auch die Staatsanwaltschaft selbst grundsätzlich ebenfalls an ihre Zusage – weitere Ermittlungsverfahren einzustellen bzw. entsprechende Anträge zu stellen – gebunden ist. 33 Die Staatsanwaltschaft habe sich in 32 BGHSt 52, 165, Rn. 11. 33 BGHSt 52, 165, Rn. 13f. und 17.

Die Absprache über die Nichtverfolgung einer Tat gemäß § 154 StPO 67 nicht zu rechtfertigender Weise von ihren Zusagen gelöst und dadurch das berechtigte Vertrauen des Angeklagten verletzt. Sie habe die Zusage unter Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht eingehalten. Wenn das Abweichen der Staatsanwaltschaft von ihrer Zusage als Fairnessverstoß eingestuft wird, dann macht dies bereits deutlich, dass der Angeklagte nach Auffassung des Senats – wie bei der Strafmaßabsprache – einen rechtsverbindlichen Anspruch auf die Umsetzung der Verständigung hat. An anderer Stelle spricht der Senat von einem Anspruch des Angeklagten auf Einhaltung der ihm erteilten Zusagen. 34 Nun leitet der 3. Strafsenat daraus – jedenfalls in dem von ihm entschiedenen Einzelfall – anders als bei der Urteilsabsprache aber kein Recht des Angeklagten ab, die Einhaltung der Verständigung einzuklagen. Dann hätte vorliegend wegen der Tat 3 keine Verurteilung erfolgen dürfen, da der Angeklagte nur dann so gestellt worden wäre, wie es nach der Absprache der Fall sein sollte. Statt dessen verweist der Senat auf die im früheren Fall entwickelte Strafzumessungslösung und kommt zu dem Ergebnis, der Fairnessverstoß sei ausgeglichen, wenn der Angeklagte trotz der zusätzlichen Verurteilung wegen der Tat, die von der Prozessumfangsabsprache erfasst war, insgesamt die zugesagte Strafe erhält. 35 Da der BGH die Schutzbedürftigkeit des Angeklagten bei beiden Abspracheformen auf den Grundsatz des fairen Verfahrens und das enttäuschte Vertrauen stützt, erscheint es begründungsbedürftig, warum der Angeklagte nur im Fall der Urteilsabsprache die Einhaltung der Zusage rechtlich durchsetzen können soll, obwohl die Strafverfolgungsorgane aus Fairnessgründen grundsätzlich auch an eine Vereinbarung über die Anwendung von § 154 StPO gebunden sind. 34 BGHSt 52, 165, Rn. 6. 35 BGHSt 52, 165, Rn. 16ff.

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Ein schwacher Trost <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Angeklagten, wenn er im Vertrauen auf das in<br />

Aussicht gestellte Strafmaß bereits ein Geständnis abgelegt hat. Es ist daher<br />

zu begrüßen, dass <strong>de</strong>r 4. Strafsenat in <strong>de</strong>utlicher Abkehr von dieser früheren<br />

BGH-Rechtsprechung mit <strong>de</strong>r Entscheidung BGHSt 43, 195 <strong>de</strong>n verfassungsrechtlichen<br />

Grundsatz <strong>de</strong>s Vertrauensschutzes ernst genommen und<br />

die Position <strong>de</strong>s Angeklagten in dieser Situation durch die Annahme einer<br />

Bindungswirkung wesentlich gestärkt hat.<br />

Dieser Rechtsprechung haben sich inzwischen sämtliche Senate angeschlossen.<br />

Der Große Senat <strong>für</strong> Strafsachen hat sie zur Grundlage seines<br />

Beschlusses vom 3. März 2005 gemacht und nur bei <strong>de</strong>n Möglichkeiten <strong>de</strong>s<br />

Gerichts, von <strong>de</strong>r Absprache abzuweichen, leicht modifiziert. Das hier zu<br />

besprechen<strong>de</strong> Urteil <strong>de</strong>s 3. Strafsenats bietet nun <strong>zum</strong> ersten Mal die Gelegenheit,<br />

diese Rechtsprechung auch auf die Absprache über die Anwendung<br />

von § 154 StPO zu erstrecken. Es kann nicht unbesehen auf eine Judikatur<br />

zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r die Vorstellung einer Bindungswirkung strafprozessualer<br />

Verständigungen völlig fremd war und die <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Zusage<br />

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Hinsichtlich <strong>de</strong>r Urteilsabsprache geht <strong>de</strong>r BGH seit <strong>de</strong>m Grundsatzurteil<br />

<strong>de</strong>s 4. Strafsenats im Jahre 1997 also davon aus, dass es <strong>de</strong>m Gericht verboten<br />

ist, von seiner früheren Erklärung abzuweichen. Die Einhaltung <strong>de</strong>r<br />

bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zusage kann <strong>de</strong>r Angeklagte mit <strong>de</strong>r Revision geltend machen.<br />

Der 3. Strafsenat sieht vorliegend eine solche Bindung auch <strong>für</strong> die Zusage<br />

<strong>de</strong>s Gerichts, das Verfahren zur Tat 3 nach einem entsprechen<strong>de</strong>n Antrag<br />

<strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft einzustellen. 32 Darüber hinaus geht <strong>de</strong>r Senat davon<br />

aus, dass auch die Staatsanwaltschaft selbst grundsätzlich ebenfalls an ihre<br />

Zusage – weitere Ermittlungsverfahren einzustellen bzw. entsprechen<strong>de</strong><br />

Anträge zu stellen – gebun<strong>de</strong>n ist. 33 Die Staatsanwaltschaft habe sich in<br />

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BGHSt 52, 165, Rn. 11.<br />

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BGHSt 52, 165, Rn. 13f. und 17.

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