HRRS-Festgabe für Gerhard Fezer zum 70 ... - hrr-strafrecht.de
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46 Karsten Gaede Anderes gilt praktisch nur, wenn der Verteidiger Fristen versäumt. 85 Wichtig wird dies aus Sicht der Revision vor allem in zwei Bereichen: Erstens bei der sich noch weiter verschärfenden Tendenz des BGH, die Verfahrensrüge über strengste Darlegungs- und Mitwirkungsobliegenheiten zu dezimieren. 86 Zweitens schlägt sich diese Haltung darin nieder, dass eine »Rüge der Schlechtverteidigung« mit aller Deutlichkeit abgewehrt wird. 87 Zum ersten Fragenkreis: Wie Sie wissen zieht der BGH viele Register, um den Erfolg von Verfahrensrügen zu begrenzen, damit kostenträchtige Urteilsaufhebungen vermieden werden können. Ihre Mandanten haben es schon oft am eigenen Leib erfahren müssen. Zu nennen ist § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, das große Grab begründeter Verfahrensrügen. 88 Ein weiteres Beispiel ist die Widerspruchslösung. Der 1. Strafsenat hat sie anhand einer Verletzung des Rechts auf konsularischen Beistand (Art. 36 I lit. b Satz 3 WÜK) verschärft und damit sogar Ausführungen des IGH missachtet, die gegen nationale Präklusionen streiten. 89 Ein jüngeres Beispiel ist eine Ent- 85 Dazu nur Meyer-Goßner (Fn. 14), § 44 Rn. 18. 86 Vgl. z.B. BGHSt 51, 1 ff. = HRRS 2006 Nr. 313; krit. Sommer StraFo 2007, 133; Leipold NJW-Spezial 2006, 282 f.; BGH NJW 2007, 3587 ff.; BGH HRRS 2008 Nr. 264 (Verletzung des Rechts auf Verfahrensbeschleunigung); BGH HRRS 2008 Nr. 230 (unterlassene Präzisierung eines unbeschiedenen Beweisantrages); BGH HRRS 2008 Nr. 130 (Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bei Teilfreispruch); allgemein zur Entwicklung grundlegend Fezer, FS Hanack, S. 331 ff. und fortführend Ventzke HRRS 2008, 180, 181 f.: Projekt schützende Hand zugunsten der Tatrichter; Wohlers StV 2005, 228, 229; Dahs NStZ 2007, 241 ff. 87 Zuletzt BGH HRRS 2007 Nr. 967 m. abl. Besprechung Gaede HRRS 2007, 402 ff.; siehe allgemein auch Ventzke HRRS 2008, 180, 181 ff.: Abschirmung tatrichterlicher Urteile gegen Verfahrensrechtsverletzungen, die von der Verteidigung bewusst herbeigeführt sein könnten. 88 Vgl. beispielhaft Fezer, FS Hanack, S. 331, 346 ff.; SK/Frisch (Fn. 60), § 344 Rn. 63. 89 BGH NJW 2007, 3587 ff.; abl. dazu schon Esser JR 2008, 271, 278; Gaede HRRS 2007, 402 (403 ff.); vorsichtig nun insoweit auch BGH NJW 2008, 307 ff. und BGH NJW 2008, 1090, 1091.
Ungehobene Schätze in der Rechtsprechung des EGMR für die Verteidigung? 47 scheidung des 5. Strafsenats zum so wichtigen Begriff des Beweisantrages. 90 Mit ihr hat der BGH sein streitiges Konnexitätserfordernis erheblich ausgedehnt, genauer gesagt ein neues Begründungsgebot erfunden, mit dem die Verteidigung rechtfertigen soll, warum sie in einer fortgeschrittenen Beweisaufnahme »noch immer« einen Verfahrensteilhabeanspruch nach den strengen § 244 Abs. 3 bis 6 StPO haben soll. Der 5. Strafsenat hat im Einzelnen gefordert, der Verteidiger möge die Wahrnehmungsmöglichkeiten eines Zeugen zu der unter Beweis gestellten Tatsache konkret darlegen und dabei auf die vorherige Beweiserhebung zu jener Tatsache eingehen. Der Verteidiger solle plausibilisieren, warum dem Angeklagten auch nach der geschehenen Beweiserhebung noch immer ein Beweiserhebungsanspruch zukommen soll. 91 Zum zweiten Fragenkreis: Obwohl eine eigenständig bedeutsame Verteidigung nach den Verfassungs- und Konventionsgarantien auch im reformierten Inquisitionsprozess der StPO aus sich heraus ein Erfordernis sein muss, ist zur Rüge der Schlechtverteidigung eigentlich nur zu sagen, dass es sie in Deutschland nicht gibt. 92 Da das Gericht im Inquisitionsprozess so oder so 90 BGH HRRS 2008 Nr. 611 m. abl. Anm. Fezer HRRS 2008 Heft 11 und abl. Anm. Eidam JR 2008/2009. Hier droht eine fundamentale Erschwerung der Beweisteilhabe des Angeklagten über das Beweisantragsrecht, die auch mit dem prinzipiellen Beweisantizipationsverbot kollidiert. 91 Immerhin hat sich der 3. Strafsenat von dieser »weiten Handhabung des Konnexitätserfordernisses« vorsichtig distanziert BGH HRRS 2008 Nr. 848. Allerdings nur, um sodann selbst eine andere Verwirkungsstrategie in Form der Unterstellung einer Mitwirkungspflicht der Verteidigung zu praktizieren! Auch hier versagte sodann die Verfahrensrüge, gingen Rechte des Angeklagten durch Fehler von Gericht und Verteidiger verloren, obschon dies dem Revisionsgericht offensichtlich sein musste. Ob der Angeklagte wohl seine Mitwirkungspflicht kannte? 92 Nur für »Extremfälle« soll nach Maßstäben »objektiver Fürsorge« anderes gelten, vgl. etwa BGH 5 StR 495/00 vom 5. April 2001; BGHSt 39, 310, 314; BGH NJW 1968, 1485; näher Gaede (Fn. 5), S. 863 ff. Gewiss könnten Fürsorgegrundsätze, die sich an einer wirksamen und autonom definierten Verteidigung ausrichten, funktional betrachtet weitgehend die hier geforderten Wirkungen
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Ungehobene Schätze in <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s EGMR <strong>für</strong> die Verteidigung? 47<br />
scheidung <strong>de</strong>s 5. Strafsenats <strong>zum</strong> so wichtigen Begriff <strong>de</strong>s Beweisantrages. 90<br />
Mit ihr hat <strong>de</strong>r BGH sein streitiges Konnexitätserfor<strong>de</strong>rnis erheblich ausge<strong>de</strong>hnt,<br />
genauer gesagt ein neues Begründungsgebot erfun<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>m die<br />
Verteidigung rechtfertigen soll, warum sie in einer fortgeschrittenen Beweisaufnahme<br />
»noch immer« einen Verfahrensteilhabeanspruch nach <strong>de</strong>n<br />
strengen § 244 Abs. 3 bis 6 StPO haben soll. Der 5. Strafsenat hat im Einzelnen<br />
gefor<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>r Verteidiger möge die Wahrnehmungsmöglichkeiten<br />
eines Zeugen zu <strong>de</strong>r unter Beweis gestellten Tatsache konkret darlegen und<br />
dabei auf die vorherige Beweiserhebung zu jener Tatsache eingehen. Der<br />
Verteidiger solle plausibilisieren, warum <strong>de</strong>m Angeklagten auch nach <strong>de</strong>r<br />
geschehenen Beweiserhebung noch immer ein Beweiserhebungsanspruch<br />
zukommen soll. 91<br />
Zum zweiten Fragenkreis: Obwohl eine eigenständig be<strong>de</strong>utsame Verteidigung<br />
nach <strong>de</strong>n Verfassungs- und Konventionsgarantien auch im reformierten<br />
Inquisitionsprozess <strong>de</strong>r StPO aus sich heraus ein Erfor<strong>de</strong>rnis sein muss,<br />
ist zur Rüge <strong>de</strong>r Schlechtverteidigung eigentlich nur zu sagen, dass es sie in<br />
Deutschland nicht gibt. 92 Da das Gericht im Inquisitionsprozess so o<strong>de</strong>r so<br />
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BGH <strong>HRRS</strong> 2008 Nr. 611 m. abl. Anm. <strong>Fezer</strong> <strong>HRRS</strong> 2008 Heft 11 und abl. Anm.<br />
Eidam JR 2008/2009. Hier droht eine fundamentale Erschwerung <strong>de</strong>r Beweisteilhabe<br />
<strong>de</strong>s Angeklagten über das Beweisantragsrecht, die auch mit <strong>de</strong>m prinzipiellen<br />
Beweisantizipationsverbot kollidiert.<br />
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Immerhin hat sich <strong>de</strong>r 3. Strafsenat von dieser »weiten Handhabung <strong>de</strong>s Konnexitätserfor<strong>de</strong>rnisses«<br />
vorsichtig distanziert BGH <strong>HRRS</strong> 2008 Nr. 848. Allerdings<br />
nur, um sodann selbst eine an<strong>de</strong>re Verwirkungsstrategie in Form <strong>de</strong>r Unterstellung<br />
einer Mitwirkungspflicht <strong>de</strong>r Verteidigung zu praktizieren! Auch<br />
hier versagte sodann die Verfahrensrüge, gingen Rechte <strong>de</strong>s Angeklagten durch<br />
Fehler von Gericht und Verteidiger verloren, obschon dies <strong>de</strong>m Revisionsgericht<br />
offensichtlich sein musste. Ob <strong>de</strong>r Angeklagte wohl seine Mitwirkungspflicht<br />
kannte?<br />
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Nur <strong>für</strong> »Extremfälle« soll nach Maßstäben »objektiver Fürsorge« an<strong>de</strong>res gelten,<br />
vgl. etwa BGH 5 StR 495/00 vom 5. April 2001; BGHSt 39, 310, 314; BGH<br />
NJW 1968, 1485; näher Gae<strong>de</strong> (Fn. 5), S. 863 ff. Gewiss könnten Fürsorgegrundsätze,<br />
die sich an einer wirksamen und autonom <strong>de</strong>finierten Verteidigung<br />
ausrichten, funktional betrachtet weitgehend die hier gefor<strong>de</strong>rten Wirkungen