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196 Frank Meyer Die Regelung der Zwangsbefugnisse zur Sachverhaltsaufklärung im Strafverfahren blieb daher lange defizitär. Nur ein kleiner Katalog intensiver Eingriffe wurde gesetzlich geregelt. 235 Zudem gab es keine klar durchgehaltene Trennung zwischen Aufgabenzuweisung und Befugnisnorm, und strafprozessuale Sonderlehren wie die prozessuale Überholung schnitten Rechtsschutzmöglichkeiten ab, die im Polizeirecht schon lange selbstverständlich waren. Dennoch konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Verfassungsdogmatik zu Eingriffen in Freiheitsrechte auch auf den Bereich des Strafrechts übergreifen würde. Im Bereich der spezifischen Eingriffsermächtigungen setzte ein Ausdifferenzierungsprozess ein, der durch die Verfassungsbindungen für Grundrechtseingriffe erzwungen war. 236 In größerem Umfang unternahm ferner die »kleine« Strafverfahrensreform eine Verbesserung der Stellung des Beschuldigten auf der Grundlage der modernen Justizgrundrechte des Grundgesetzes. Sie baute damit den liberalrechtsstaatlichen Schutz innerhalb des grundsätzlich weiterhin auf materielle Wahrheit und Gerechtigkeit abzielenden Prozesses aus. 237 Dieser Ausbau ist von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht flankiert worden, indem das Gericht die Strafprozessordnung nicht nur als angewandtes Verfassungsrecht verstanden wissen wollte, sondern auch begann, die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips für die Strafrechtspflege zu konkretisieren. 238 Schließlich wurde durch das StVÄG 1999 endlich auch eine Ermittlungsgeneralklausel, die der notwendigen dogmatischen Diffeparates Überprüfungsverfahren legitimieren, brach sich erst mit der Aufgabe einer rein prozessualen Betrachtungsweise solcher Maßnahmen Bahn. 235 Vgl. im Einzelnen König, Die Entwicklung der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen seit 1877 (1993). 236 Vgl. zum Einwirken des Verfassungsrechts im Strafprozess Gusy StV 2002, 153, 155 ff. 237 Dahs NJW 1965, 81 ff. 238 BGHSt 19, 342 ff. Vgl. zu den einzelnen Elemente in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Amelung/Wirth StV 2002, 161 ff.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage im Strafprozessrecht 197 renzierung zwischen Aufgabenzuweisung und Befugnisnorm, wie man sie exemplarisch in allen Polizeigesetzen findet, eingeführt, indem §§ 161, 163 StPO in ausdrückliche Befugnisnormen umgewandelt wurden. Aber auch heute noch wird der Gedanke der verfassungsrechtlichen Verschränkung des Strafprozessrechts sowohl in Legislative als auch Judikative bisweilen nicht durchgehalten. Strafprozessuale Fragestellungen werden häufig trotz Berührung sensibler grundrechtlicher Fragen primär »strafprozessspezifisch« beantwortet. Eine Harmonisierung mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen steht vielfach noch aus. 239 Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass die Verrechtsstaatlichung des Strafverfahrensrechts nachhaltig durch diesen spill-over-Effekt der Errungenschaften des Polizeirechts gefördert wurde. Jüngstes Beispiel dieses Prozesses ist die umfassende Einführung von Formen der Fortsetzungsfeststellungsklage im Strafrecht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. Sie markiert einen rechtsstaatlichen Quantensprung. Das BVerfG hat erkannt, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nur dann gegeben ist, wenn es die Fluchttore schließt, durch die sich die Strafverfolgungsbehörden der 239 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-Gusy, Das Bonner Grundgesetz, Band 1, 4. Aufl. (1999), Art. 10 GG Rn. 82, 87. Gerade im Hinblick auf Fragen der Telekommunikationsüberwachung wird dies besonders deutlich. Insbesondere in den §§ 99 ff. StPO, d. h. bei Eingriffen in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, hat sich eine strafprozessuale Sonderdogmatik herausgebildet, deren Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Art. 10 GG sowie der übrigen grundgesetzlichen Vorgaben für staatliche Datenerhebung äußerst fraglich ist, v.Mangoldt/Klein/Starck-Gusy, s.o., Art. 10 GG Rn 82. Die Bedeutung des Art. 10 GG wird bei der Prüfung, ob die Abhörmaßnahme rechtmäßig war und die Aufzeichnung im Strafverfahren verwertet werden darf, weit gehend ausgeblendet, Fezer NStZ 2003, 625, 627f.; Weßlau StV 2003, 483, 484. Dabei würde freilich der Vorrang der Verfassung über Art. 20 III GG auch gegenüber dem spezifischeren Strafprozessrecht gelten. Ein Gegeneinander von Verfassungsdogmatik und strafprozessualer Dogmatik sei damit ausgeschlossen, v.Mangoldt/Klein/Starck-Gusy, s.o., Art. 10 GG Rn 87.

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Frank Meyer<br />

Die Regelung <strong>de</strong>r Zwangsbefugnisse zur Sachverhaltsaufklärung im Strafverfahren<br />

blieb daher lange <strong>de</strong>fizitär. Nur ein kleiner Katalog intensiver<br />

Eingriffe wur<strong>de</strong> gesetzlich geregelt. 235 Zu<strong>de</strong>m gab es keine klar durchgehaltene<br />

Trennung zwischen Aufgabenzuweisung und Befugnisnorm, und strafprozessuale<br />

Son<strong>de</strong>rlehren wie die prozessuale Überholung schnitten<br />

Rechtsschutzmöglichkeiten ab, die im Polizeirecht schon lange selbstverständlich<br />

waren. Dennoch konnte es nur eine Frage <strong>de</strong>r Zeit sein, bis die<br />

Verfassungsdogmatik zu Eingriffen in Freiheitsrechte auch auf <strong>de</strong>n Bereich<br />

<strong>de</strong>s Strafrechts übergreifen wür<strong>de</strong>. Im Bereich <strong>de</strong>r spezifischen Eingriffsermächtigungen<br />

setzte ein Ausdifferenzierungsprozess ein, <strong>de</strong>r durch die Verfassungsbindungen<br />

<strong>für</strong> Grundrechtseingriffe erzwungen war. 236 In größerem<br />

Umfang unternahm ferner die »kleine« Strafverfahrensreform eine Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Stellung <strong>de</strong>s Beschuldigten auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Justizgrundrechte<br />

<strong>de</strong>s Grundgesetzes. Sie baute damit <strong>de</strong>n liberalrechtsstaatlichen<br />

Schutz innerhalb <strong>de</strong>s grundsätzlich weiterhin auf materielle<br />

Wahrheit und Gerechtigkeit abzielen<strong>de</strong>n Prozesses aus. 237 Dieser Ausbau<br />

ist von <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht flankiert<br />

wor<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m das Gericht die Strafprozessordnung nicht nur als angewandtes<br />

Verfassungsrecht verstan<strong>de</strong>n wissen wollte, son<strong>de</strong>rn auch begann,<br />

die Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Rechtsstaatsprinzips <strong>für</strong> die Strafrechtspflege zu<br />

konkretisieren. 238 Schließlich wur<strong>de</strong> durch das StVÄG 1999 endlich auch<br />

eine Ermittlungsgeneralklausel, die <strong>de</strong>r notwendigen dogmatischen Diffeparates<br />

Überprüfungsverfahren legitimieren, brach sich erst mit <strong>de</strong>r Aufgabe einer<br />

rein prozessualen Betrachtungsweise solcher Maßnahmen Bahn.<br />

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Vgl. im Einzelnen König, Die Entwicklung <strong>de</strong>r strafprozessualen Zwangsmaßnahmen<br />

seit 1877 (1993).<br />

236<br />

Vgl. <strong>zum</strong> Einwirken <strong>de</strong>s Verfassungsrechts im Strafprozess Gusy StV 2002, 153,<br />

155 ff.<br />

237<br />

Dahs NJW 1965, 81 ff.<br />

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BGHSt 19, 342 ff. Vgl. zu <strong>de</strong>n einzelnen Elemente in <strong>de</strong>r Rechtsprechung <strong>de</strong>s<br />

Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts Amelung/Wirth StV 2002, 161 ff.

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