HRRS-Festgabe für Gerhard Fezer zum 70 ... - hrr-strafrecht.de

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164 Frank Meyer machen zu wollen, nur schwer mit dem Grundanliegen des Rechtsfortbildungsprozesses vereinbar, ein Rechtschutzsystem zu etablieren, das nach klaren und verlässlichen Kriterien operiert. 130 Daher müsse jede (plausibel und substantiiert behauptete) Grundrechtsverletzung durch eine anfechtbare Zwangsmaßnahme zumindest einer nachträglichen Überprüfung zuzuführen sein, wenn sich diese erledigt, bevor Rechtsschutz gewährt werden kann. 131 Lediglich bagatellarische Eingriffe sollen unberücksichtigt bleiben. 132 Gegen erledigte Zwangsakte mit Grundrechtsrelevanz sei daher allgemein eine Anrufung eines Gerichts zur nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit zuzulassen, wenn ein strafprozessualer Rechtsbehelf gegen deren Anordnung offen stand. 133 Die Beschränkung des Rechtsschutzinteresses auf erhebliche Folgen des Eingriffs oder Wiederholungsgefahr werde mithin nicht aufrechtzuerhalten sein. 134 Die Unterscheidung zwischen tief greifenden und sonstigen Grundrechtseingriffen müsse aufgegeben werden. 135 Sie sei weder zu leisten 136 noch mit Art. 19 IV GG vereinbar. Art. 19 IV GG kenne eine derartige Unterscheidung nach der Tiefe des Grundrechtseingriffs nicht. 137 Es muss grundsätzlich effektiver Rechts- 130 Für die rechtspraktische Interpretation dieser Zulässigkeitsvoraussetzung ist die effektive Ausgestaltung des Rechtswegs die entscheidende Problemstellung, SK-Wohlers, Fn. 2, § 160 Rn. 83; ders. GA 1992, 214, 216. 131 Roxin StV 1997, 654, 656; Fezer JZ 1997, 1062, 1063 f.; Lilie ZStW 111 (1999), S. 807, 814; SK-Wohlers, Fn. 2, § 160 Rn. 89. 132 SK-Wohlers, Fn. 2, § 160 Rn. 89; Kühne, Strafprozessrecht, 7. Aufl. (2007), Rn. 559; strenger SK-Rogall, 21. Aufbau-Lfg. (2000), § 81a Rn. 116 – bei Eingriffen mit erhöhtem Schweregrad sei Beschwerde stets zulässig; in den übrigen Fällen hinge dies vom Vorliegen eines sonst anerkannten Feststellungsinteresses ab. 133 Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Auflage (1995), § 29, Rn. 12 ff. 134 Roxin StV 1997, 654, 656. 135 SK-Wohlers, Fn. 2, § 160 Rn. 89. 136 Roxin StV 1997, 654, 656. 137 Roxin StV 1997, 654, 656. Dem Anliegen effektiven Rechtschutzes aus Art. 19 IV GG werden Differenzierungen nach dem Schweregrad eines Eingriffs nicht gerecht.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage im Strafprozessrecht 165 schutz vor jedem Eingriff der öffentlichen Gewalt gewährt werden, 138 was in der Sache zu einem generellen Beschwerderecht des Betroffenen führt. 139 (c) Die Anwendung des Kriteriums in der Praxis der Fachgerichte Demgegenüber folgt die Rechtsprechung der Strafgerichte sowohl für richterliche als auch nichtrichterliche Anordnungen der Marschroute, die das BVerfG abgesteckt hat. Ein Blick in die Spruchpraxis offenbart allerdings, dass das frühzeitige Unbehagen Roxins über die ersten Anzeichen für die Entstehung einer unübersichtlichen Kasuistik 140 mehr als berechtigt war. Zur Aufklarung des verschwommenen Bildes vermochte die Rechtsprechung bislang keinen nachhaltigen Beitrag zu leisten. Es dominiert die Einzelfallbetrachtung, die Rechtsunsicherheit und Dezisionismus Tür und Tor öffnet. Die soweit ersichtlich erste veröffentlichte und weithin diskutierte Entscheidung des LG Neuruppin darf in der Retrospektive als Präzedenzfall für die Schwierigkeiten mit der Handhabung des neuen Kriteriums gelten. Es ging darin um die erledigte Beschlagnahme eines Mobiltelefons und einer Telefonkarte, die weniger als 2 Monate andauerte. Das LG Neuruppin gelangte zu dem Schluss, dass dieser Eingriff keine nachträgliche Überprüfung der erledigten Beschlagnahme rechtfertigte. Tief greifend wirke eine Beschlagnahme als Grundrechtseingriff nur dann, wenn sie für den Betroffenen faktisch den endgültigen Entzug des Eigentums bedeutete. 141 Das Gericht kon- 138 Kühne, Strafprozessrecht, 7. Aufl. (2007), Rn. 559, S. 324; Roxin StV 1997, 654, 656; Krach Jura 2001, 737, 739. 139 Krach Jura 2001, 737, 738. Ohnehin verlangt schon Art. 103 I GG nach lückenlosem Rechtsschutz. 140 Roxin StV 1997, 654, 656; in diesem Sinne auch Amelung, BGH-FG (2000), S. 911, 919, und Kühne, der das Bild der Büchse der Pandora verwendet, Strafprozessrecht, 7. Aufl. (2007), Rn. 559, S. 324. 141 LG Neuruppin StV 1997, 393 mit Anm. Fezer JZ 1997, 1062.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage im Strafprozessrecht 165<br />

schutz vor je<strong>de</strong>m Eingriff <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt gewährt wer<strong>de</strong>n, 138 was<br />

in <strong>de</strong>r Sache zu einem generellen Beschwer<strong>de</strong>recht <strong>de</strong>s Betroffenen führt. 139<br />

(c) Die Anwendung <strong>de</strong>s Kriteriums in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r Fachgerichte<br />

Demgegenüber folgt die Rechtsprechung <strong>de</strong>r Strafgerichte sowohl <strong>für</strong> richterliche<br />

als auch nichtrichterliche Anordnungen <strong>de</strong>r Marschroute, die das<br />

BVerfG abgesteckt hat. Ein Blick in die Spruchpraxis offenbart allerdings,<br />

dass das frühzeitige Unbehagen Roxins über die ersten Anzeichen <strong>für</strong> die<br />

Entstehung einer unübersichtlichen Kasuistik 140 mehr als berechtigt war.<br />

Zur Aufklarung <strong>de</strong>s verschwommenen Bil<strong>de</strong>s vermochte die Rechtsprechung<br />

bislang keinen nachhaltigen Beitrag zu leisten. Es dominiert die Einzelfallbetrachtung,<br />

die Rechtsunsicherheit und Dezisionismus Tür und Tor<br />

öffnet.<br />

Die soweit ersichtlich erste veröffentlichte und weithin diskutierte Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s LG Neuruppin darf in <strong>de</strong>r Retrospektive als Präze<strong>de</strong>nzfall <strong>für</strong><br />

die Schwierigkeiten mit <strong>de</strong>r Handhabung <strong>de</strong>s neuen Kriteriums gelten. Es<br />

ging darin um die erledigte Beschlagnahme eines Mobiltelefons und einer<br />

Telefonkarte, die weniger als 2 Monate andauerte. Das LG Neuruppin gelangte<br />

zu <strong>de</strong>m Schluss, dass dieser Eingriff keine nachträgliche Überprüfung <strong>de</strong>r<br />

erledigten Beschlagnahme rechtfertigte. Tief greifend wirke eine Beschlagnahme<br />

als Grundrechtseingriff nur dann, wenn sie <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Betroffenen faktisch<br />

<strong>de</strong>n endgültigen Entzug <strong>de</strong>s Eigentums be<strong>de</strong>utete. 141 Das Gericht kon-<br />

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Kühne, Strafprozessrecht, 7. Aufl. (2007), Rn. 559, S. 324; Roxin StV 1997, 654,<br />

656; Krach Jura 2001, 737, 739.<br />

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Krach Jura 2001, 737, 738. Ohnehin verlangt schon Art. 103 I GG nach lückenlosem<br />

Rechtsschutz.<br />

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Roxin StV 1997, 654, 656; in diesem Sinne auch Amelung, BGH-FG (2000), S.<br />

911, 919, und Kühne, <strong>de</strong>r das Bild <strong>de</strong>r Büchse <strong>de</strong>r Pandora verwen<strong>de</strong>t, Strafprozessrecht,<br />

7. Aufl. (2007), Rn. 559, S. 324.<br />

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LG Neuruppin StV 1997, 393 mit Anm. <strong>Fezer</strong> JZ 1997, 1062.

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