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106 Michael Kahlo / Benno Zabel Das Ergebnis scheint mit Blick auf den häufig geltend gemachten Interventionsaspekt des Strafrechts mehr als unbefriedigend zu sein. Allerdings ist das mit dem Ergebnis verbundene Zufallsmoment rechtsprinzipiell unhintergehbar und macht sich ja auch in dem von der Staatsanwaltschaft gewählten Anklagezeitpunkt geltend: Je nach dem, wann angeklagt wird, ist der schuldmitbegründende Zeitraum der »Vorenthaltung« unterschiedlich, was notwendig zu Unterschieden in der Bestrafung führen muss. Fehlt es vorliegend bereits an einer neuen selbständigen Tat im materiellrechtlichen Sinne, kann auch prozessual nicht von einer neuen Tat die Rede sein, 47 da in Konstellationen wie dieser eine Tat im materiellen Sinn auch eine Tat im prozessualen Sinn darstellt. 48 Aus diesem Grund verstößt die Mehrfachbestrafung des Beschwerdeführers gem. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch gegen den ne bis in idem-Grundsatz. – Das BVerfG hat diesen Gesichtspunkt in seiner Begründung weitgehend ausgeklammert. Wäre es vertieft darauf eingegangen, so hätte es sich auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, warum die einmal getroffene Entscheidung des Unterlassungstäters, eine von ihm geschuldete Leistung nicht zu erbringen, in strafrechtlicher Sicht als ebenso oder ähnlich »unumstößlich« anzusehen ist wie die Gewissensentscheidung des Totalverweigerers, 49 liegt doch der einzig relevante Unterschied in der formell-rechtlichen Ausübung staatlicher Zwangsmacht, 47 Anders wohl Roxin, der bereits für das Problem der Totalverweigerung in jedem Verweigerungsakt auch eine neue Tat sehen will, da, so dessen Überzeugung, der Tatbegriff ansonsten »konstruktiv überdehnt« werde; Roxin schlägt vor, dem damit einhergehenden Problem der Mehrfachbestrafung durch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot zu begegnen, (Fn. 3), § 50 Rn. 19. Freilich unterläuft er insoweit die dogmatisch notwendige und allein verfassungsrechtlich, d.h. durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht begründbare Systematisierung der konflikttypischen Verhaltens- bzw. Unterlassensformen. 48 Vgl. dazu die Überlegungen unter Punkt III. 49 Siehe hierzu auch die Ausführungen unter Punkt IV.

Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch 107 der (erneuten) Zustellung des Einberufungsbescheids einerseits, der (wiederholten) Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft andererseits. 50 Die rechtspraktischen Konsequenzen sind offenkundig. Eine Strafbarkeit wegen eines »Folge-Unterlassens«, gem. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB, lässt sich weder in materiell-rechtlicher noch in prozessualer Hinsicht begründen. Die angegriffene Verurteilung kann, darin ist dem BVerfG uneingeschränkt zuzustimmen, vor der Verfassung keinen Bestand haben. Deutlich werden so zugleich die Grenzen strafrechtlicher Konfliktlösung. Ein konsequent angewandtes Tatschuldstrafrecht ist notwendig auf einen (zeitlich) be- stimmten Geschehensausschnitt verwiesen, der wiederum strikt auf das tatbestandlich geschützte Rechtsgut und das spezifische Täterverhalten bezogen ist; dass das die Rechtsanwendung vor zum Teil große Probleme stellt, steht außer Zweifel. VII. Rechtspraktische Konsequenzen 51 Vorliegend bleiben deshalb nur die zivilprozessualen Möglichkeiten, insbesondere die der Zwangsvollstreckung bei unvertretbaren Handlungen in Form von Zwangsgeld und Zwangshaft, gem. §§ 888, 913 ZPO. 52 Letzteres verweist zugleich auf die notwendige Selbstbeschränkung einer rechtsstaat- 50 Vgl. dazu auch die Argumentationsrichtung von BVerfGE 23, 191 ff (203-206): Es sei gerade die Gewissensentscheidung, die der Entscheidung, Kriegs- und Ersatzdienst zu verweigern, die besondere Festigkeit gebe, die es verbiete, ihn »in die Schablone der Dauerstraftat zu pressen«. 51 Zur generellen und nach wie vor virulenten Problematik der Aburteilung von Dauer- bzw. Organisationsdelikten siehe nochmals Fezer (Fn. 3), S. 125 ff.; Klesczewski (Fn. 27) und Schlüchter (Fn. 3), 1057 ff. sowie die Erläuterungen in Fn. 27. 52 Vgl. dazu Putzo/Thomas-Hüßtege, ZPO, 29. Auflage, München (2008), §§ 888 Rn. 1 ff. und 913 Rn. 1.

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Das Ergebnis scheint mit Blick auf <strong>de</strong>n häufig geltend gemachten Interventionsaspekt<br />

<strong>de</strong>s Strafrechts mehr als unbefriedigend zu sein. Allerdings ist<br />

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und macht sich ja auch in <strong>de</strong>m von <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft gewählten<br />

Anklagezeitpunkt geltend: Je nach <strong>de</strong>m, wann angeklagt wird, ist <strong>de</strong>r<br />

schuldmitbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Zeitraum <strong>de</strong>r »Vorenthaltung« unterschiedlich, was<br />

notwendig zu Unterschie<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Bestrafung führen muss.<br />

Fehlt es vorliegend bereits an einer neuen selbständigen Tat im materiellrechtlichen<br />

Sinne, kann auch prozessual nicht von einer neuen Tat die Re<strong>de</strong><br />

sein, 47 da in Konstellationen wie dieser eine Tat im materiellen Sinn auch<br />

eine Tat im prozessualen Sinn darstellt. 48 Aus diesem Grund verstößt die<br />

Mehrfachbestrafung <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers gem. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB<br />

auch gegen <strong>de</strong>n ne bis in i<strong>de</strong>m-Grundsatz. – Das BVerfG hat diesen Gesichtspunkt<br />

in seiner Begründung weitgehend ausgeklammert. Wäre es vertieft<br />

darauf eingegangen, so hätte es sich auch mit <strong>de</strong>r Frage auseinan<strong>de</strong>rsetzen<br />

müssen, warum die einmal getroffene Entscheidung <strong>de</strong>s Unterlassungstäters,<br />

eine von ihm geschul<strong>de</strong>te Leistung nicht zu erbringen, in <strong>strafrecht</strong>licher<br />

Sicht als ebenso o<strong>de</strong>r ähnlich »unumstößlich« anzusehen ist wie die Gewissensentscheidung<br />

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Unterschied in <strong>de</strong>r formell-rechtlichen Ausübung staatlicher Zwangsmacht,<br />

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An<strong>de</strong>rs wohl Roxin, <strong>de</strong>r bereits <strong>für</strong> das Problem <strong>de</strong>r Totalverweigerung in je<strong>de</strong>m<br />

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Übermaßverbot zu begegnen, (Fn. 3), § 50 Rn. 19. Freilich unterläuft<br />

er insoweit die dogmatisch notwendige und allein verfassungsrechtlich, d.h.<br />

durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht begründbare Systematisierung <strong>de</strong>r<br />

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Vgl. dazu die Überlegungen unter Punkt III.<br />

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Siehe hierzu auch die Ausführungen unter Punkt IV.

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