HRRS-Festgabe für Gerhard Fezer zum 70 ... - hrr-strafrecht.de
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102 Michael Kahlo / Benno Zabel hältnisses der in der tatbestandsmäßigen Situation stehenden Personen (Garant und potentielles Opfer) getrennt verstanden, sondern als Element einer eben nicht nur durch die Naturgesetze, sondern originär immer auch schon durch verpflichtende Sollensnormen mitdeterminierten Realität begriffen wird. 36 Erst dann nämlich wird überzeugend klar, warum die je vollzogene Entscheidung des Sonderpflichtigen (Garant), die ihm obliegende Rettungsaktivität nicht zu entfalten, sondern dem raum-zeitlichen Kausalgeschehen »seinen Lauf zu lassen«, die Lage des potentiellen Opfers real zum Schlechten verändert, dieses also verletzt, und er nicht bloß versäumt, die Situation des Anderen zu verbessern. 37 Damit ist jetzt auch klar, dass die Entscheidung des Garanten, seiner rechtlichen Sonderpflicht nicht nachzukommen und dadurch Grund einer das strafrechtlich geschützte Rechtsgut des Anderen verletzenden oder konkret gefährdenden Entwicklung zu werden, das zentrale unrechts- und schuldkonstitutive Element strafbaren Unterlassens im Typus des unechten Unterlassungsdelikts darstellt. Und da diese Entscheidung jeweils situationsbezogen von der je sonderpflichtigen Person getroffen wird, konstituiert die Situation, auf die die Sonderpflicht bezogen ist, Unrecht und Schuld der Tat maßgeblich (mit). Es stellt deshalb auch einen Mangel des hier in Rede stehenden BVerfG-Beschlusses dar, wenn dieser im Hinblick auf die fachgerichtlichen Entscheidungen zwar eine Verletzung des verfassungsrechtlich fundierten Schuldprinzips »in mehrfacher Hinsicht« beanstandet, 38 seine dies- 36 Grundlegend dazu Ernst A. Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, Heidelberg (1965), S. 36 ff. 37 Eine solche Unterlassung, es dem Anderen zum Guten zu wenden, wäre keine echte Verletzungshandlung, also kein Bewirken einer tatbestandsmäßigen Rechtsgutsverletzung, wie sich an den echten Unterlassungsdelikten (z. B. § 323 c StGB) zeigt. 38 Bei näherem Hinsehen geht es um »zwei Gesichtspunkte«: Zum einen um den Aspekt, ob »durch das weitere Unterlassen der Abgabe der notariellen Zustimmungserklärung überhaupt erneut schuldhaftes Unrecht« verwirklicht worden ist; und zum zweiten um die – in Folge dessen – fehlende Erörterung des
Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch 103 bezüglich zu Recht kritischen Ausführungen aber nicht mit dem – zunächst materiell-rechtlichen – Tatbegriff verbindet. Denn Strafrechtsschuld ist nur als (Einzel-)Tatschuld zu begreifen, 39 wie das im Schuldgrundsatz enthaltene Koinzidenzprinzip 40 und nicht zuletzt auch die »Grundnorm« des Strafzumessungsrechts, § 46 Abs. 1 S. 1 StGB verdeutlichen. Als Unterlassungs-Tat im materiell-rechtlichen Sinn stellt sich nun zunächst aber gerade das von der einen Entscheidung des Beschwerdeführers getragene Gesamtgeschehen dar, die von ihm zu erteilende Zustimmung zu verweigern. VI. Das Problem des Doppelbestrafungsverbots (Art. 103 Abs. 3 GG) Die Frage kann deshalb nur sein, ob irgendeine Veränderung der Situation im Gefolge der unrechts- und schuldkonstituierenden Entscheidung des Beschwerdeführers eine »Zäsurwirkung« darstellt, die – zunächst in materiellrechtlicher Hinsicht – den Anfang einer neuen Tatausführung begründet. Das BVerfG hat diese Frage nun zwar insofern offen gelassen, als es die Fiktion der Strafgerichte, die letzte Tatsacheninstanz bedeute strafrechtlich eine den Unrechts- und Schuldzusammenhang unterbrechende »Zäsur«, zu Recht zurückgewiesen, den darüber hinausgehenden Gesichtspunkt, ob an- Schuldumfangs. Dagegen kommt dem dritten Einwand, nämlich der fehlenden Auseinandersetzung mit der »Bestimmung der Strafe…, gerechter Schuldausgleich zu sein« (C. II. 2. b) cc), kursiv nicht im Original), deswegen kein eigener Begründungswert zu, als dieser sich lediglich aus den fehlenden Feststellungen zu Schuld und Schuldumfang ableitet. 39 Vgl. dazu Zabel GA 2008, 33 ff. 40 Dieser Grundsatz ist in neuerer Zeit insbesondere im Zusammenhang mit den Problemen der actio libera in causa bedeutungsvoll geworden; vgl. dazu aus der Rspr. vor allem BGHSt 42, 235 und aus der Fülle der Lit. statt anderer Hettinger, Die »actio libera in causa«, Berlin (1988), S. 436 ff.; Hruschka JZ 1996, 64; Neumann, in: Arthur Kaufmann-FS (1993), S. 581 ff. sowie Zabel (Fn. 21), S. 419 ff.; speziell für das Unterlassungsdelikt Baier GA 1999, 272.
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Damit ist jetzt auch klar, dass die Entscheidung <strong>de</strong>s Garanten, seiner rechtlichen<br />
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(mit). Es stellt <strong>de</strong>shalb auch einen Mangel <strong>de</strong>s hier in Re<strong>de</strong> stehen<strong>de</strong>n<br />
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Schuldprinzips »in mehrfacher Hinsicht« beanstan<strong>de</strong>t, 38 seine dies-<br />
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Grundlegend dazu Ernst A. Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, Hei<strong>de</strong>lberg<br />
(1965), S. 36 ff.<br />
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Eine solche Unterlassung, es <strong>de</strong>m An<strong>de</strong>ren <strong>zum</strong> Guten zu wen<strong>de</strong>n, wäre keine<br />
echte Verletzungshandlung, also kein Bewirken einer tatbestandsmäßigen<br />
Rechtsgutsverletzung, wie sich an <strong>de</strong>n echten Unterlassungs<strong>de</strong>likten (z. B.<br />
§ 323 c StGB) zeigt.<br />
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Bei näherem Hinsehen geht es um »zwei Gesichtspunkte«: Zum einen um <strong>de</strong>n<br />
Aspekt, ob »durch das weitere Unterlassen <strong>de</strong>r Abgabe <strong>de</strong>r notariellen Zustimmungserklärung<br />
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