HRRS-Festgabe für Gerhard Fezer zum 70 ... - hrr-strafrecht.de

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98 Michael Kahlo / Benno Zabel me derselben Tat i.S.v. Art 103 Abs. 3 GG führt, nicht die Rede sein [kann]«. 27 Ein rechtsstaatliches Strafrecht muss grundsätzlich am Tatschuldnachweis ansetzen. Nur dieser kann, auch darauf hat das BVerfG in seinem Beschluss zutreffend hingewiesen, den Strafgrund für eine (u. U. erneute) Bestrafung liefern. Der Beschwerdeführer hat – soweit aus den Urteilsgründen ersichtlich – an seiner Entscheidung, die Zustimmung zu einer Ausreise seiner Tochter aus Algerien zu verweigern, seit Beginn der Auseinandersetzungen mit seiner (früheren) Ehefrau im Jahre 2001 festgehalten. Wegen dieses Verhaltens wurde er bereits am 17.November 2003 durch das Landgericht Darmstadt gem. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB rechtskräftig verurteilt. In dem sich daran anschließenden Strafverfahren hat der Beschwerdeführer insoweit keinen neuen »Tatentschluss« getroffen. Vielmehr sah er sich durch die erneute Anklage dazu veranlasst, das bereits abgeurteilte Strafunrecht und folglich den bereits realisierten Täterwillen zu bestätigen. Die Aufrechterhaltung des (rechtswidrigen) Zustandes kann deshalb – zunächst bereits bei einem aktiven Tun – nicht ohne weiteres in eine neue, eigenständige Verbotshandlung (Straftat) i. S. d. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB umgedeutet werden. Die Tatbestandsstruktur des § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB, konkretisiert durch das Merkmal des Vorenthaltens, scheint hier wortlautbedingt auch eine andere Auslegung zu ermöglichen. Im Grunde verweist sie aber nur auf die dem Dauerdelikt typische Verlaufsform, d. h. auf die originäre Verknüpfung von Zeitlichkeit und Rechtsgutsverletzung. 28 So ist im Vorenthalten zum 27 StV 1998, 28, 30. 28 Zur Dogmatik der Dauerdelikte vgl. Schmitz, Unrecht und Zeit, Baden-Baden (2001). – Das problematische Verhältnis von Dauerdeliktstypik und Strafklageverbrauch, von materiellrechtlicher Konkurrenzlehre und prozessualen Tatbegriff, wird auch dann immer wieder virulent, wenn die Gerichte nach rechtskräftiger Aburteilung eines Organisationsdelikts Kenntnis von weiteren, im Zusammenhang mit diesem Delikt begangenen Kapitalverbrechen erhalten. Denn in diesen Fällen eines sich sukzessive erweiternden Wissens und Kognitionsinteresses der Strafverfolgungsbehörden stellt sich regelmäßig die Frage, ob und

Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch 99 einen der normative Aspekt der Unrechtsverwirklichung und dementsprechend ihre Vollendung, zum anderen aber auch die zeitliche-faktische Dimension derselben angesprochen, so dass erst die Aufhebung der Entziehung die Beendigung des Delikts bewirkt. Die zeitlich-faktische Dimension der Unrechtsverwirklichung ist insofern zwar unmittelbar auf den normativen Aspekt bezogen, kann jedoch als (reine) Geschehens- und Phänomenbeschreibung keine eigenständige Tatschuld begründen, sondern lediglich das Maß der individuellen Schuld beeinflussen. 29 – Die Problematik, die sich aus der Vermittlung von Schuldgrundsatz, Dauerdeliktstypik und Strafklageverbrauch ergibt, verschärft sich jedoch noch zusätzlich, wenn man sich dem Unterlassungsaspekt des in Rede stehenden Verhaltens zuwendet. V. Schuldgrundsatz und Unterlassungsstrafbarkeit (§ 13 Abs. 1 StGB) Die Vorenthaltung der gemeinsamen Tochter S durch den Beschwerdeführer erfüllt den Tatbestand des § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB; aufgrund der fortgesetzten Weigerung, der Rückführung von S in die Bundesrepublik Deutschland zuzustimmen, in Form eines unechten Unterlassungs(dauer)delikts gem. § 13 Abs. 1 StGB. 30 Damit setzt aber gerade der zu Recht im Mittelpunkt inwieweit von einer tateinheitlichen oder tatmehrheitlichen Begehung auszugehen und ob dementsprechend ein Strafklageverbrauch anzunehmen oder abzulehnen ist. Letzteres kann in seiner Komplexität hier nicht näher beleuchtet werden; vgl. zum aktuellen Streit- und Diskussionsstand aber Fezer (Fn. 3), S. 125 ff.; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§129, 129 a StGB, Frankfurt a. M. (1989); sowie neuestens Klesczewski, in: HRRS-FG-Fezer; zur höchstrichterlichen Rspr. siehe BGH NStZ 2001, 436 mit Anm. Mitsch NStZ 2002, 159. 29 In diese Richtung geht auch die Argumentation des Kammerbeschlusses, vgl. dazu den Abschnitt C.II. 2. b) bb). 30 Vgl. zur Begehung des § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB durch Unterlassen, der sog. passiven Entführung, Nelles, in: Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz, Mün-

98 Michael Kahlo / Benno Zabel<br />

me <strong>de</strong>rselben Tat i.S.v. Art 103 Abs. 3 GG führt, nicht die Re<strong>de</strong> sein<br />

[kann]«. 27<br />

Ein rechtsstaatliches Strafrecht muss grundsätzlich am Tatschuldnachweis<br />

ansetzen. Nur dieser kann, auch darauf hat das BVerfG in seinem Beschluss<br />

zutreffend hingewiesen, <strong>de</strong>n Strafgrund <strong>für</strong> eine (u. U. erneute) Bestrafung<br />

liefern. Der Beschwer<strong>de</strong>führer hat – soweit aus <strong>de</strong>n Urteilsgrün<strong>de</strong>n ersichtlich<br />

– an seiner Entscheidung, die Zustimmung zu einer Ausreise seiner<br />

Tochter aus Algerien zu verweigern, seit Beginn <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />

mit seiner (früheren) Ehefrau im Jahre 2001 festgehalten. Wegen dieses<br />

Verhaltens wur<strong>de</strong> er bereits am 17.November 2003 durch das Landgericht<br />

Darmstadt gem. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB rechtskräftig verurteilt. In <strong>de</strong>m<br />

sich daran anschließen<strong>de</strong>n Strafverfahren hat <strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>führer insoweit<br />

keinen neuen »Tatentschluss« getroffen. Vielmehr sah er sich durch die erneute<br />

Anklage dazu veranlasst, das bereits abgeurteilte Strafunrecht und<br />

folglich <strong>de</strong>n bereits realisierten Täterwillen zu bestätigen. Die Aufrechterhaltung<br />

<strong>de</strong>s (rechtswidrigen) Zustan<strong>de</strong>s kann <strong>de</strong>shalb – zunächst bereits<br />

bei einem aktiven Tun – nicht ohne weiteres in eine neue, eigenständige Verbotshandlung<br />

(Straftat) i. S. d. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB umge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Tatbestandsstruktur <strong>de</strong>s § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB, konkretisiert<br />

durch das Merkmal <strong>de</strong>s Vorenthaltens, scheint hier wortlautbedingt auch eine<br />

an<strong>de</strong>re Auslegung zu ermöglichen. Im Grun<strong>de</strong> verweist sie aber nur auf die<br />

<strong>de</strong>m Dauer<strong>de</strong>likt typische Verlaufsform, d. h. auf die originäre Verknüpfung<br />

von Zeitlichkeit und Rechtsgutsverletzung. 28 So ist im Vorenthalten <strong>zum</strong><br />

27<br />

StV 1998, 28, 30.<br />

28<br />

Zur Dogmatik <strong>de</strong>r Dauer<strong>de</strong>likte vgl. Schmitz, Unrecht und Zeit, Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n<br />

(2001). – Das problematische Verhältnis von Dauer<strong>de</strong>liktstypik und Strafklageverbrauch,<br />

von materiellrechtlicher Konkurrenzlehre und prozessualen Tatbegriff,<br />

wird auch dann immer wie<strong>de</strong>r virulent, wenn die Gerichte nach rechtskräftiger<br />

Aburteilung eines Organisations<strong>de</strong>likts Kenntnis von weiteren, im Zusammenhang<br />

mit diesem Delikt begangenen Kapitalverbrechen erhalten. Denn<br />

in diesen Fällen eines sich sukzessive erweitern<strong>de</strong>n Wissens und Kognitionsinteresses<br />

<strong>de</strong>r Strafverfolgungsbehör<strong>de</strong>n stellt sich regelmäßig die Frage, ob und

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