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96 Michael Kahlo / Benno Zabel zutreten – zu bewerten ist, das auf einem einmal gefassten, unabänderlichen Entschluss beruhte und das, aufgrund der individuellen (Gewissens-)Haltung und der zwingenden Rechtslage, notwendig perpetuiert wurde. Die Judikatur war hier selten einheitlich. Während die wiederholte Strafbarkeit von einigen Fachgerichten grundsätzlich bejaht wurde, gingen andere von nur einer Tat i.S.d. Art. 103 Abs. 3 GG aus. 22 Dagegen hat das BVerfG schon frühzeitig die Bedeutung der individualgeschichtlich getroffenen Entscheidung und ihrer sozialen Kontexte betont und insoweit die konsequente Anwendung des ne bis in idem-Grundsatzes gefordert. 23 Diese Argumentation ist vor allem deshalb überzeugend, weil sie zum einen auf den handlungsleitenden Persönlichkeitskern des Einzelnen abstellt, zum anderen die abstrakten Tatbestands- und Rechtsgüterschutzregelungen auf die je konkreten rechtlichen Verhältnisse bezieht. 24 Aus diesem Grund kann sie – zumindest partiell – auch für das vorliegende Problem fruchtbar gemacht werden. Zwar handelt es sich hier nicht um den »typischen« Gewissenstäter- und Totalverweigerungsfall. 25 Vergleichbar ist allerdings die identitätsstiftende und sinnintegrierende Funktion der Entscheidung, die wiederum in das 22 Vgl. zum ersten Standpunkt OLG Celle m. Anm. Struensee JZ 1985, 955 sowie OLG Düsseldorf StrV 1986, 8 m. Anm. Friedeck; die zweite Ansicht vertrat u. a. LG Duisburg StrV 1985, 53. 23 So dezidiert BVerfGE 23, 191, 202 ff. 24 Zur Diskussion, gerade auch in Zusammenhang mit Art 103 Abs. 3 GG, siehe Roxin (Fn. 3), § 50 Rn. 19. 25 Der Beschwerdeführer beruft sich – auch als Angeklagter – jedenfalls nicht auf eine Gewissensentscheidung. Eine solche käme im übrigen nur in Betracht, wenn seine Einlassung, es gehe ihm (auch in Algerien) um das Kindeswohl der Tochter (vgl. dazu den entsprechenden Hinweis im Urteil des LG Darmstadt, wonach der Angeklagte im familiengerichtlichen Verfahren »durch seinen Anwalt mit Schriftsatz vom 19.06.2002« habe vortragen lassen, »er werde seine Zustimmung zur Einschulung des Kindes ab August 2002 in Deutschland erteilen), glaubhaft wäre, wogegen aber seine einmal erklärte Bereitschaft spricht, die erforderliche Unterschrift zu leisten.

Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch 97 Dauerdelikt der Kindesentziehung gem. § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB mündet. 26 Die Instanzgerichte haben das Verhalten des Beschwerdeführers schließlich als renitenten Ungehorsam gegen die geltende Rechtsordnung interpretiert, dem nur durch eine erneute Verurteilung qua »Zäsurwirkung« beizukommen sein soll. Das ist als Kommentar zu einem prima facie befremdenden Verhalten noch akzeptabel. Juristisch leisten sie damit nicht nur einer unangemessenen Moralisierung des Rechts Vorschub, sie verhelfen auch einer staatlich sanktionierten Lebensführungsschuld zu neuer Geltung. Vor allem ist nicht klar, wie hier dem Vorwurf behördlicher Willkür entgegengetreten werden kann, wenn für den Einzelnen nicht ersichtlich wird, wie oft er, aufgrund seines einmal gefassten Entschlusses, mit einer (erneuten) Anklage rechnen muss. Damit wird das Institut der Zäsurwirkung als solches nicht in Frage gestellt. Vielmehr muss auch letzteres strikt auf die entsprechende Deliktstypik und Verlaufsstruktur der Tat bezogen werden. Das sieht die Rechtsprechung durchaus, wenn sie – wie das OLG Karlsruhe in einem Urteil v. 9.10.1997 – die Frage einer erneuten Strafverfolgung bei unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach rechtskräftiger Verurteilung davon abhängig macht, ob und inwieweit der Täter einen neuen, in die Zukunft gerichteten »Handlungsentschluss« gefasst habe. Das OLG hat schließlich – trotz Annahme einer tatbestandlichen Bewertungseinheit – einen Strafklageverbrauch verneint und zugleich auf die konfliktbedingten Differenzen zu den Totalverweigerungsfällen hingewiesen indem es feststellt, dass »von einer ›ein für allemal getroffenen einheitlichen und die Zukunft fortwirkenden Gewissensentscheidung‹ […], die trotz einer rechtskräftigen Verurteilung zur Annah- 26 Zu dieser durch das 6. StrRG eingefügten Tatvariante des § 235 StGB vgl. Schönke/ Schröder-Eser, StGB, 27. Auflage, München (2007), § 235 Rn. 13 ff.

96 Michael Kahlo / Benno Zabel<br />

zutreten – zu bewerten ist, das auf einem einmal gefassten, unabän<strong>de</strong>rlichen<br />

Entschluss beruhte und das, aufgrund <strong>de</strong>r individuellen (Gewissens-)Haltung<br />

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Strafbarkeit von einigen Fachgerichten grundsätzlich bejaht wur<strong>de</strong>, gingen<br />

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BVerfG schon frühzeitig die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r individualgeschichtlich getroffenen<br />

Entscheidung und ihrer sozialen Kontexte betont und insoweit die<br />

konsequente Anwendung <strong>de</strong>s ne bis in i<strong>de</strong>m-Grundsatzes gefor<strong>de</strong>rt. 23 Diese<br />

Argumentation ist vor allem <strong>de</strong>shalb überzeugend, weil sie <strong>zum</strong> einen auf<br />

<strong>de</strong>n handlungsleiten<strong>de</strong>n Persönlichkeitskern <strong>de</strong>s Einzelnen abstellt, <strong>zum</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

die abstrakten Tatbestands- und Rechtsgüterschutzregelungen auf die<br />

je konkreten rechtlichen Verhältnisse bezieht. 24 Aus diesem Grund kann sie –<br />

<strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st partiell – auch <strong>für</strong> das vorliegen<strong>de</strong> Problem fruchtbar gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n. Zwar han<strong>de</strong>lt es sich hier nicht um <strong>de</strong>n »typischen« Gewissenstäter-<br />

und Totalverweigerungsfall. 25 Vergleichbar ist allerdings die i<strong>de</strong>ntitätsstiften<strong>de</strong><br />

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22<br />

Vgl. <strong>zum</strong> ersten Standpunkt OLG Celle m. Anm. Struensee JZ 1985, 955 sowie<br />

OLG Düsseldorf StrV 1986, 8 m. Anm. Frie<strong>de</strong>ck; die zweite Ansicht vertrat u. a.<br />

LG Duisburg StrV 1985, 53.<br />

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So <strong>de</strong>zidiert BVerfGE 23, 191, 202 ff.<br />

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Zur Diskussion, gera<strong>de</strong> auch in Zusammenhang mit Art 103 Abs. 3 GG, siehe<br />

Roxin (Fn. 3), § 50 Rn. 19.<br />

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Der Beschwer<strong>de</strong>führer beruft sich – auch als Angeklagter – je<strong>de</strong>nfalls nicht auf<br />

eine Gewissensentscheidung. Eine solche käme im übrigen nur in Betracht,<br />

wenn seine Einlassung, es gehe ihm (auch in Algerien) um das Kin<strong>de</strong>swohl <strong>de</strong>r<br />

Tochter (vgl. dazu <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Hinweis im Urteil <strong>de</strong>s LG Darmstadt,<br />

wonach <strong>de</strong>r Angeklagte im familiengerichtlichen Verfahren »durch seinen Anwalt<br />

mit Schriftsatz vom 19.06.2002« habe vortragen lassen, »er wer<strong>de</strong> seine<br />

Zustimmung zur Einschulung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s ab August 2002 in Deutschland erteilen),<br />

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die erfor<strong>de</strong>rliche Unterschrift zu leisten.

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