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hr2 – kultur | Camino – Religionen auf dem Weg Ostersonntag, 8.4.12

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<strong>hr2</strong> <strong>–</strong> <strong>kultur</strong> | <strong>Camino</strong> <strong>–</strong> <strong>Religionen</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Weg</strong><br />

<strong>Ostersonntag</strong>, <strong>8.4.12</strong><br />

___________________________________________________________________<br />

Du brauchst keine Angst zu haben, vor gar nichts<br />

Wie sich Menschen nach einer Nahtod-Erfahrung verändern<br />

Von Mechthild Müser<br />

Für<br />

Erzählerin (A)<br />

Zitator (B)<br />

O-Ton Zuspiel


Minimale Musik (Menschen erinnern sich an eine Nahtoderfahrung)<br />

1. OT Dammann<br />

Ich war zu Hause. Im Bett. Grippe, die sich zur Lungenentzündung auswuchs,<br />

es war über vier Tage und Nächte ein dauerndes Auf und Ab im Fieber, was<br />

sich dahin zog von 41 und … Grad, und ich war zu schwach, irgendetwas zu<br />

unternehmen, irgendeine Hilfe zu rufen, das ging einfach nicht. Also der Akku<br />

war leer und ich merkte einfach nur, wie ich die ganze Zeit kämpfte und mir<br />

schwinden die Kräfte immer mehr und ich kann mich nicht mehr halten und<br />

hab dann losgelassen.<br />

Musik hoch<br />

2. OT Dammann<br />

Dann kam das zu der Situation, dass ich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> Rücken lag und aus meinem<br />

Körper nach unten, also aus <strong>dem</strong> Rücken im Prinzip heraus getreten bin und<br />

in so einen langen, warmen, weichen, dunklen Tunnel glitt und ein<br />

wunderbarer Friede, Wärme, Liebe, Geborgenheit mich umgab und ich<br />

merkte, das ist wunderschön.<br />

Musik hoch<br />

3. OT Dammann<br />

Und dann ging ich <strong>auf</strong> diese Reise. Ich glitt in diesem Schlauch immer weiter<br />

nach unten, der hatte so ne Biegung <strong>–</strong> wie der Elbtunnel bei Hamburg, man<br />

kommt in eine Senke, an eine tiefste Stelle und dann steigt es wieder an <strong>–</strong> und<br />

<strong>auf</strong> dieser Reise war ich, ich war bei vollem Bewusstsein und mein Körper…<br />

waren dunkle Umrisse, war in sich in der Farbe schwarz und umzüngelt von<br />

einer lila-pinkfarbenen Aura. Und von dieser Aura ging eine ganz, ganz feine<br />

Schnur nach oben, wo ich hergekommen war, zu meinem Körper. Das war<br />

dieser einzige dünne Faden, der noch da war.<br />

Musik hoch


4. OT Serwaty<br />

Das passierte völlig unerwartet bei einer Herzkatheter-Untersuchung mit<br />

Ballon-Dilatation, also einem Eingriff am Herzen. Und bei diesem Eingriff, bei<br />

<strong>dem</strong> ich zunächst bei Bewusstsein war und voll orientiert war, spürte ich<br />

plötzlich wie ich mich so aus <strong>dem</strong> Körper bewegte und an der Decke schwebte<br />

und dann von dieser Position beobachtete, was da unten mit meinem Körper<br />

passierte. Ich sah die Ärzte, das war aber zunächst mal gar nicht so<br />

interessant für mich, zunächst natürlich mal große Verwirrung: was passiert<br />

denn jetzt überhaupt? Stirbst du? Ist das der Tod? Wenn dieser Zustand so<br />

einfach verschwindet, bist du dann gestorben?<br />

Musik hoch<br />

5. OT Serwaty<br />

Und das Schwebegefühl das ging dann auch über in das Gefühl des<br />

Friedens, des Glücks und die Überzeugung: verdammt noch mal, du lebst<br />

weiter, egal wie, aber du lebst doch weiter, es gibt keinen Tod. In der<br />

Erfahrung diese felsenfeste Überzeugung, das ist für mich heute noch völlig<br />

unbegreiflich.<br />

Musik hoch<br />

6. OT Wilkens<br />

Die Hüfte hab ich gekriegt und war ein halbes Jahr damit schon rumgel<strong>auf</strong>en,<br />

war alles in Ordnung, alles wunderbar und dann hohes Fieber und keiner<br />

wusste warum. Und dann war die Hüfte abgestoßen worden und voller<br />

Bakterien. Dann kam der Orthopäde <strong>–</strong> es war abends schon - und sagte, am<br />

nächsten Morgen um 8 käm ich <strong>auf</strong> den OP-Tisch und dann haben sie gesagt,<br />

so was hätten sie noch nicht gesehen, ich war vollkommen vergiftet, alles<br />

eitrig, es ging um Leben und Tod da. So vergiftet war ich, die Hüfte wieder<br />

raus, und dann lag ich <strong>auf</strong> Intensiv und kam ich durch einen ganz, ganz hellen<br />

Tunnel. Ganz, ganz hell. So hell hab ich noch nie Licht gesehen wie das war.


Und es gab kein Fenster, kein nichts, es ging schnurgeradeaus. Das war ganz<br />

helles Licht.<br />

Musik hoch<br />

7. OT Dammann<br />

Ich hatte zuvor die ganze Zeit wahnsinnige Schmerzen gehabt und ich hatte<br />

keine Schmerzen mehr. Es war das beste Gefühl, was ich bisher überhaupt<br />

wahrgenommen habe. Irgendwann ist dann einer gekommen und dann<br />

erfolgte die sofortige Einweisung ins Krankenhaus. Aber das war schon nach<br />

diesem Erlebnis. Das Entscheidende war, dass ich <strong>auf</strong> dieser Reise war und<br />

es war ganz still. Es war eine sehr stille, ganz weiche Klangwelt, die keine<br />

Töne hatte.<br />

(Ich kann es nicht beschreiben, das ist ein bisschen schwierig, das in Worte zu<br />

fassen, die wir hier zur Verfügung haben. Wir sagen ja manchmal: es war so<br />

still, dass wir die Stille gehört haben, wenn wir hier einen besonders ruhigen<br />

Ort <strong>auf</strong> unserer lärmdurchfluteten Erde finden. Es ist mir jetzt nur möglich, es<br />

so zu benennen, etwas anderes fällt mir dazu aus meinem Wortschatz jetzt<br />

nicht ein.)<br />

A: Klingende Stille, helles Licht, Liebe, Friede, Geborgensein, Wärme - irritiert<br />

und erschüttert staunten Susanne Dammann, (die ihren richtigen Namen nicht<br />

genannt haben möchte), Erika Wilkens und Alois Serwaty über das Unerhörte,<br />

das sie nicht mehr loslässt. Inzwischen wurden weltweit Tausende Berichte<br />

solcher <strong>–</strong> im wahrsten Sinn des Wortes „merk-würdigen“ - Erlebnisse<br />

gesammelt, verstärkt seit den 70er Jahren. Near-death-Experience heißen die<br />

Erfahrungen in Amerika. Statt von Todesnähe zu sprechen, übersetzten die<br />

Deutschen 1:1 und kreierten damit einen neuen Begriff: NAHTOD-<br />

Erfahrungen.


8. OT Serwaty<br />

Und irgendwann war ich wieder in meinem eigenen Körper drin. Minuten<br />

später erneut: das Aussteigen aus <strong>dem</strong> eigenen Körper und ich hatte den<br />

Eindruck, dass ich den Körper ablege wie einen Mantel. Das war ungeheuer<br />

befreiend. Das war eine Öffnung, eine Ausdehnung, eine Erweiterung, eine<br />

Umwandlung, das ist kaum mit Worten zu beschreiben. Und dieses Bild hat<br />

sich bei mir eingebrannt wie ein Siegel, das werde ich mein Leben lang nicht<br />

vergessen. Das ist noch intensiver als das Erleben der Geburt meiner Kinder.<br />

9. OT Wilkens<br />

Und am Ende dieses Tunnels stand ein Freund von uns mit <strong>dem</strong> Rücken zu<br />

mir, hatte eine, wie die Herren so hatten früher, ne Hausjacke an, hatte lange<br />

Haare, früher hatte er immer normale Haare und dreht sich um zu mir und<br />

sagt: „was willst du denn hier? Dich können wir hier nicht brauchen, geh du<br />

mal wieder zurück“. Der war vielleicht ein halbes Jahr vorher gestorben. Und<br />

dann hab ich mich umgedreht und bin durch dieses helle Licht zurück, diesen<br />

ewig langen, hellen Gang.<br />

10. OT Dammann<br />

Dann kam ich so langsam in diese Senke des Tunnels und begann drüben<br />

dieses Licht zu erahnen. Und dann wurde ich angesprochen und zwar von<br />

meiner damaligen Partnerin. Die sagte: Bleib. Und diese Ansprache ließ mich<br />

in diesem Gleiten innehalten.<br />

((1 Und das war eine sehr merkwürdige Situation, weil ich innehielt und ich<br />

merkte, dass ich in der Lage bin, das wahrzunehmen. Nicht mit meinen Ohren,<br />

meine Ohren haben ja so nicht funktioniert, das ist ja das Interessante<br />

gewesen, dass der Körper nicht mehr da war, denn aus <strong>dem</strong> war ich<br />

ausgetreten, der lag ja da oben im Bett und ich war ja <strong>auf</strong> diesem <strong>Weg</strong> durch<br />

den Tunnel, und deswegen kann ich auch diesen Klang nicht weiter<br />

beschreiben, weil den meine Ohren nicht wahrgenommen haben, sondern<br />

meine Seele, das Innere, mein Bewusstsein,))<br />

und dann habe ich überlegt, was ich mache. Das Entscheidende war in <strong>dem</strong><br />

Moment, dass möglicherweise einige Menschen sehr traurig sein würden,


wenn ich tatsächlich jetzt weitergehe <strong>–</strong> und <strong>auf</strong>grund dessen hab ich gesagt:<br />

ok, ich bleibe oder ich geh wieder zurück. Und in <strong>dem</strong> Moment, wo ich diese<br />

Entscheidung getroffen hatte, bin ich schlagartig, in einer affenartigen<br />

Geschwindigkeit diesen ganzen Tunnel wieder zurück gesaust, an dieser<br />

Schnur hoch in meinen Körper zurück und hatte schlagartig auch sämtliche<br />

Schmerzen wieder und lag wieder da und guckte mich um, es war sehr dunkel<br />

und ich dachte: verdammter Mist.<br />

A: Die Rückkehr in den Körper ist wie eine Vertreibung aus <strong>dem</strong> Paradies.<br />

Schmerzen kehren plötzlich und unvermindert zurück, die schweren<br />

Krankheiten sind nicht geheilt, das Leben geht weiter. Aber der Horizont hat<br />

sich unmerklich verschoben.<br />

11. OT Serwaty<br />

Irgendwann in diesem Zustand wurde meine Aufmerksamkeit <strong>auf</strong> so ein<br />

Firmenschild von einem medizinischen Gerät gerichtet. Weiß nicht, warum das<br />

so interessant war, war einfach so, hab mir das auch gemerkt. Hatte aber<br />

weiter zunächst keine Bedeutung. Später am Krankenbett als der Arzt mich<br />

<strong>auf</strong>klärte über das Ergebnis des Eingriffs und sagte: es hat Komplikationen<br />

gegeben, hab ich mich dran erinnert und <strong>dem</strong> Arzt das auch geschildert, der<br />

hat aber dar<strong>auf</strong> überhaupt nicht reagiert, <strong>auf</strong> die gesamte Erfahrung nicht. Er<br />

hat das zur Kenntnis genommen und sagte kein einziges Wort dazu. Er hat<br />

mir allerdings hinterher bestätigen lassen, dass ich aus meiner Position bei<br />

der OP diese Beobachtung gar nicht hätte machen können, und auch, dass<br />

sie richtig war. Diese Erfahrung ist leider nicht in den Krankenakten<br />

dokumentiert worden.<br />

A: Es dauerte zwei Jahre, bis Alois Serwaty mit seiner Familie darüber reden<br />

konnte. Das Gefühl, sich außerhalb des Körpers bewegt zu haben, war<br />

einfach zu fremd. Dazu die Sorge, als Spinner abgetan zu werden. Der


Theologe, Philosoph und Therapeut Joachim Nicolay kennt viele Menschen<br />

mit diesen Schwierigkeiten.<br />

12. OT Nicolay<br />

Oft haben die Leute es versucht, darüber zu sprechen, manchmal schon mit<br />

Ärzten oder Pflegepersonal, manchmal auch mit ihren Angehörigen und<br />

machen dann oft negative Erfahrungen. Also sie stoßen <strong>auf</strong> Unverständnis<br />

und das führt dazu, dass sie beschließen, nicht mehr über ihre Erfahrung zu<br />

sprechen.<br />

A: Manche Menschen reden auch deshalb nicht, weil beschämende Momente<br />

<strong>auf</strong>tauchten. Z.B. beim sog. Lebensrückblick. Wie im Zeitraffer l<strong>auf</strong>en dann<br />

frühere Szenen vor <strong>dem</strong> inneren Auge ab, oft auch solche, die mit Konflikten<br />

einher gingen.<br />

13. OT Nicolay<br />

Die Leute fühlen, was sie in einer bestimmten Situation erlebt haben, und im<br />

nächsten Moment sind sie quasi in der Haut des anderen und spüren wie das,<br />

was sie damals gemacht haben, beim andern angekommen ist.<br />

Lebensrückblicke sind in meinen Augen so eine Art hohe Schule der goldenen<br />

Regel: Behandle andere so wie du möchtest, dass sie dich behandeln.<br />

(( 3 Ne Frau hat mir mal erzählt, sie hat gesehen wie sie eine Freundin, die<br />

sie irgendwie gekränkt hatte, mit der hat sie dann drei Wochen nicht mehr<br />

geredet. Und im Lebensrückblick hat sie gemerkt, was das bei der Freundin<br />

ausgelöst hat, wie traurig die war und dann sagte sie, die Folge davon war: ich<br />

habe danach nie wieder andere Leute so behandelt.))<br />

Das ist eine richtige Therapie. Also manche Leute bringen diesen Vergleich,<br />

eine jahrelange Psychoanalyse hätte bei mir nicht das bewirken können, was<br />

mir diese kurze Nahtoderfahrung, dieser Lebensrückblick klar gemacht hat


A: Therapeutisch nutzen lassen sich auch schlechte Nahtoderfahrungen. Manche<br />

Menschen erleben an der Schwelle zum Tod nämlich weder Frieden noch<br />

Licht. Sie fühlen sich schwer, eingeschlossen, oder sie finden sich wieder in<br />

einer Welt, die in bleiernes Grau getaucht ist. Joachim Nicolay hörte solche<br />

Geschichten von Menschen, die versucht hatten sich umzubringen.<br />

14. OT Nicolay<br />

z.B. eine Frau sagte, ich bin dann in einen Flur gekommen, da waren 3<br />

Räume, ich konnte mir einen aussuchen und ich bin in einen Raum , hab die<br />

Tür <strong>auf</strong>gemacht und als ich drin war, hab ich gleich gedacht, oh je, da hab ich<br />

mir das Schlimmste ausgesucht. Da sind Personen im Kreise herum<br />

gegangen, die ganz in sich verschlossen waren. Die wirkten sehr bedrückt.<br />

Also das hatte für sie einen symbolischen Charakter. Es bedeutet: wenn ich<br />

mich töten würde, könnte es passieren, dass ich in einer solchen bedrückten<br />

Verfassung wäre, und mir bewusst wäre, was ich gemacht habe, also vor allen<br />

Dingen, was ich denen angetan habe, die ich zurück gelassen habe. Es gibt in<br />

den Nahtoderfahrungen eine Grundidee, das ist so das Bewusstsein einer<br />

Verbundenheit der Menschen miteinander. Und an der Stelle wird den<br />

Menschen, die einen Suizidversuch gemacht haben, bewusst: man kann sich<br />

nicht aus dieser Verbundenheit entfernen.<br />

A: Es gibt noch einen Grund, warum Menschen ihre Nahtoderfahrung für sich<br />

behalten: Sie befürchten, dieses kostbare Erlebnis könne geschmälert<br />

werden allein durch den Versuch, es in Worte zu fassen.<br />

15. OT Serwaty<br />

Wir sind gezwungen, das mit Worten zu vermitteln, zu übermitteln, anders<br />

geht es nicht mit allen Problemen, die damit verbunden sind, mit der<br />

sprachlichen Übermittlung. Letztlich ist das, was Menschen erlebt haben,<br />

zumindest wenn es eine sehr tiefe Erfahrung ist, kann man nicht anders


ezeichnen als Gestammel gegenüber <strong>dem</strong> eigentlichen, was sie versuchen<br />

auszudrücken in ihrem Erleben. Es ist nichts anderes als ein Gestammel.<br />

A: Ein Gestammel angesichts des Grenzenlosen oder wie Alois Serwaty einmal<br />

sagte: „Weil ich ein Stück Ewigkeit erlebt hab“. Auch Priester reagieren <strong>auf</strong><br />

solche Aussagen oft hilflos.<br />

16. OT Nicolay<br />

Also Seelsorger z.B. die suchen dann oft nach Parallelen in der Bibel und<br />

werden da nicht recht fündig, also meiner Meinung nach besteht der Mangel<br />

darin, dass Seelsorger zu wenig über Nahtoderfahrungen informiert sind, und<br />

deshalb nicht recht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Es würde reichen,<br />

offen zu sein, und die Erfahrung ernst zu nehmen. Ich glaube, wenn der<br />

Nahtoderfahrene das Gefühl hat, das wird ernst genommen, was er erzählt<br />

und da hört jemand mit Interesse zu, oder stellt mal Fragen, dann ist das eine<br />

gute Gesprächssituation.<br />

A: Denn oft brauchen Nahtod-Erfahrene Hilfe. Sie fühlen sich unsicher oder<br />

werden depressiv und möchten eigentlich wieder zurück in die andere<br />

Dimension, in der sie befreit waren von der Enge ihres Körpers und von<br />

seinen vielfältigen Bedürfnissen.<br />

17. OT Dammann<br />

Das Schwierige in den Jahren danach, das war 2004, 1. März, das Schwierige<br />

war die Integration dieses Erlebnisses in den Alltag, denn ich fühlte mich wie<br />

<strong>auf</strong> die Erde zurück geworfen oder wieder ausgespuckt: so, hier bist du<br />

wieder. Und ich dachte: na schönen Dank. Und was soll ich jetzt hier? Den<br />

ganzen Mist von vorne: Essen, Trinken, Schlafen, Aufstehen, diesen ganzen<br />

…wozu denn bitte? Warum soll ich das machen? Das hat man doch schon<br />

alles gehabt.


A: Statt sich zu grämen, machte Alois Serwaty sich schließlich gezielt <strong>auf</strong> die<br />

Suche, um seinen glückseligen Schwebezustand besser zu verstehen. Er fand<br />

Menschen, die ähnliches erlebt hatten, und gründete 2004 gemeinsam mit<br />

ihnen das Netzwerk Nahtoderfahrung. Der als gemeinnützig anerkannte<br />

Verein zählt etwa 100 Mitglieder.<br />

18. OT Serwaty<br />

Es hat bis vor wenigen Jahren kein Forum gegeben, um die vielfältigen<br />

Aspekte dieser Erfahrung in der Öffentlichkeit zu diskutieren und das wollten<br />

wir ganz einfach ändern. Das eine Ziel ist, verlässlicher Ansprechpartner für<br />

Menschen mit dieser Erfahrung zu sein. Wobei wir uns allerdings nicht als<br />

Selbsthilfegruppe verstehen. Das andere Ziel ist, die vielfältigen natur- und<br />

geisteswissenschaftlichen Aspekte, die mit dieser Erfahrung verbunden sind,<br />

in der Öffentlichkeit <strong>auf</strong> einer sicheren und fundierten wissenschaftlichen<br />

Basis zu diskutieren und damit auch die Forschung dieser Phänomene voran<br />

zu bringen. Und das dritte ist: für viele Menschen stellt sich natürlich die Frage<br />

der Integration dieser Erfahrung in das eigene Leben: wie reagiere ich dar<strong>auf</strong>,<br />

was mache ich damit? Und da wollen wir den Menschen bei diesem Prozess<br />

der Verarbeitung, der Integration in das eigene Leben, wollen wir sie dabei<br />

unterstützen.<br />

(( 2 A: Susanne Dammann war froh darüber.<br />

19. OT Dammann<br />

Dann hab ich irgendwann angefangen, im Internet <strong>auf</strong> die Suche zu gehen<br />

und dann war das so, dass ich im Internet plötzlich Bilder sah, z.B. von diesem<br />

Tunnel, von diesem Schlauch und ich dachte, das ist es, das sieht genauso<br />

aus wie das, was ich erlebt habe. Und (ich hab Berichte gelesen: aha, es gibt<br />

Menschen, die haben das ähnlich erlebt in anderen Facetten, aber in der<br />

Grundstruktur genau so, hab dann noch ne Zeit gebraucht bis ich mich <strong>dem</strong><br />

Thema aktiv gewidmet habe). 2006, da hab ich mich <strong>auf</strong> eine Tagung bewegt


von Netzwerk Nahtod und habe eine ganze Reihe Menschen, thematisch<br />

Interessierte und solche getroffen, die diese Reise ebenfalls erlebt haben.))<br />

(Und das Interessante war, da brauchte ich gar nichts erzählen und erklären,<br />

da war einfach klar, worum es geht und ich konnte mit den Leuten ganz<br />

normal sprechen und dachte, das ist aber schön. )<br />

A: Menschen mit einer Nahtod-Erfahrung spüren, dass dieses Erlebnis sie im<br />

L<strong>auf</strong> der Zeit verändert. Joachim Nicolay gehört selbst nicht zu den<br />

Betroffenen, aber er engagiert sich im Netzwerk Nahtod-Erfahrungen.<br />

20. OT Nicolay<br />

Also es gibt Veränderungen in unterschiedlichen Bereichen, ein wichtiger<br />

Punkt ist, dass die Menschen anfangen, sich nach <strong>dem</strong> Nahtoderlebnis für<br />

spirituelle und religiöse Fragen zu interessieren, sie lesen z.B. Bücher,<br />

besuchen Kurse, gehen in religiöse Veranstaltungen. Was die Leute suchen,<br />

ist eine lebendige Spiritualität. Und die suchen sie zum Teil auch in ihrer<br />

Kirche, also es ist nicht, nur eine Abwendung von der Kirche, aber im<br />

Allgemeinen geht die Tendenz in eine spirituelle Richtung. Nahtoderfahrungen<br />

gehen ja oft mit einer Verschiebung von Werten einher, dass also z.B.<br />

materielle Interessen an Bedeutung verlieren, und dass Beziehungen<br />

wichtiger werden. Und wenn man früher einen anderen Lebensstil hatte und<br />

andere Dinge wichtig waren, dann ist das für einen selber fremd. Man ist sich<br />

selber ein Stück fremd, und auch für die Angehörigen ist der Partner oder<br />

Elternteil ein Rätsel. Man versteht ihn nicht und das kann auch dann zu<br />

Spannungen in der Familie führen.<br />

(A:<br />

Der Neurologe Thomas Lempert hatte Mitte der 90er Jahre an der Berliner<br />

Charitée Experimente zur Epilepsie gemacht, in<strong>dem</strong> er bei gesunden<br />

Studenten kurze Ohnmachten durch Sauerstoffentzug auslöste. Manche von<br />

ihnen hatten ebenfalls außerkörperliche und Lichterfahrungen. Das brachte


Lempert dazu, sich auch mit Nahtoderlebnissen und ihren Auswirkungen zu<br />

beschäftigen.<br />

21. OT Lempert<br />

Das hab ich öfter auch von Patienten gehört, dass nach einem solchen<br />

Erlebnis viele Dinge sich noch mal neu ordnen, dass Wichtiges vom<br />

Unwichtigen besser unterschieden werde kann, dass manche Ängste sich<br />

relativieren, weil man was viel Größeres erlebt hat, was offenbar nachhaltig<br />

inneren Frieden bringen kann. Bei vielen echten Nahtoderfahrungen kommt ja<br />

die Erfahrung dazu, es ist noch nicht Zeit für mich, und ich geh wieder zurück<br />

ins Leben. Und das wird dann oft auch mit ner Art Auftrag oder Aufgabe<br />

verbunden, dass es noch sinnvolle Dinge zu tun gibt und die sind dann oft<br />

weniger selbstbezogen als das, was man vorher vielleicht so gemacht hat.)<br />

22. OT Dammann<br />

Ich war lange Zeit sehr traurig darüber, dass ich nicht wieder dorthin durfte,<br />

denn mir war schon ziemlich sofort klar, dass jeglicher Versuch, mich wieder<br />

dorthin zu begeben durch eine Zerstörung des Körpers , dass das nicht den<br />

gewünschten Effekt haben wird, denn das war eine Reise , die ich machen<br />

durfte, während der ich aber - ja ich muss sagen <strong>–</strong> im Nachhinein zu<br />

verstehen bekommen habe, dass ich hier noch einen Job zu machen hab. Ich<br />

wusste aber lange Zeit nicht, was das bedeutet. Mir war nicht klar, was ich hier<br />

für‘n Job habe.<br />

23. OT Serwaty<br />

Es hat natürlich Auswirkungen gehabt und hat mich verändert, meine<br />

Beziehung zu meiner Familie, es hat natürlich auch Auswirkungen gehabt <strong>auf</strong><br />

meinen Beruf und wie ich den Beruf angegangen bin, ich war damals<br />

Berufsoffizier und dann geht man mit einer größeren Gelassenheit an die<br />

Herausforderungen heran. In der Familie, in meinem Beruf, in meinem<br />

gesellschaftlichen Engagement hat das schon durchaus Auswirkungen<br />

gehabt.


A: Zurück geworfen ins Leben suchen Nahtoderfahrene nach <strong>dem</strong> Sinn. Welche<br />

Aufgabe ist es, die sie noch zu erfüllen haben? Die Antwort <strong>auf</strong> diese Frage<br />

kristallisiert sich oft erst im L<strong>auf</strong>e der Jahre heraus. Die Verwandlung der<br />

Nahtoderfahrenen beginne ganz unmerklich, meint Joachim Nicolay:<br />

24. OT Nicolay<br />

Das Spezifische einer Nahtoderfahrung ist ja die Erfahrung von Liebe und<br />

Akzeptanz. Also man fühlt sich offenbar in einer Weise akzeptiert, wie man<br />

das sonst im Alltag selten erlebt. Und deshalb ist eine Nachwirkung auch,<br />

dass man sich besser selber akzeptieren kann. Dann akzeptieren andere<br />

einen auch besser und man ist nicht mehr so abhängig von der Meinung<br />

anderer oder von den Erwartungen anderer. Also man kann mehr zu sich<br />

selber stehen. Ne Frau hat mal gesagt, ich hab durch die Nahtoderfahrung<br />

mein inneres Zentrum gefunden, das mir sagt, was richtig ist. Und früher hab<br />

ich mich immer danach gerichtet, was andere Leute von mir wollten, von mir<br />

erwartet haben und jetzt bin ich in der Lage zu gucken: was ist für mich in<br />

Ordnung und ich kann mir selber treu bleiben.<br />

A: Solche persönlichen Veränderungen können natürlich in langjährigen<br />

Beziehungen erst einmal irritierend wirken.<br />

25. OT Nicolay<br />

Auf jeden Fall entstehen dann mehr Konflikte und das muss mit einer<br />

Bereitschaft einhergehen, sich mehr mit Konflikten auseinander zu setzen.<br />

(( 4 An dieser Stelle findet oft so ein innerer Kampf statt, weil <strong>auf</strong> der anderen<br />

Seite auch die Bereitschaft wächst, andere ernster zu nehmen als man das<br />

vielleicht bisher getan hat. Man wird sozialer, einfühlsamer, und <strong>auf</strong> der<br />

anderen Seite merkt man: ich muss aber mir selber auch gerecht werden.))<br />

Da werden Prozesse geschildert, die sich vielleicht über viele Jahre hinziehen,<br />

können, bis es einem gelingt, da ein gutes Gleichgewicht zu finden


A: 1988 startete der holländische Kardiologe Pim van Lommel gemeinsam mit<br />

Psychologen eine Untersuchung in zehn holländischen Krankenhäusern. Sie<br />

befragten 344 Patienten, die einen Herzstillstand überlebt hatten, in der<br />

Woche danach, ob sie sich an die Zeit ihrer Bewusstlosigkeit erinnerten. 18%<br />

schilderten Nahtoderfahrungen. Pim van Lommel nahm nach Jahren erneut<br />

Kontakt zu ihnen <strong>auf</strong> und fand heraus:<br />

26. OT Lommel<br />

Menschen mit Nahtoderfahrungen haben keine Angst mehr vor <strong>dem</strong> Tod, eine<br />

andere Lebenseinstellung, und sie haben alle eine erweiterte intuitive<br />

Sensibilität. Wir wollten wissen, ob die Veränderung sind die Folge eines<br />

Herzstillstandes oder einer Nahtoderfahrung. So haben wir nach zwei Jahren<br />

und nach acht Jahren ein Interview gehabt mit allen Patienten, die noch am<br />

Leben waren mit der Nahtoderfahrung und einer Kontrollgruppe von Patienten,<br />

die einen Herzstillstand überlebt hatten, aber keine Erinnerung hatten. Und da<br />

haben wir gesehen: nur die Patienten mit den Nahtoderfahrungen hatten<br />

diese Veränderungen. Diese allgemeinen Veränderungen.<br />

A: Eine erweiterte Sensitivität stellte auch Susanne Dammann bei sich fest.<br />

Sogar in ihrem Verhältnis zu einer Maschine, der sie sehr verbunden ist, <strong>dem</strong><br />

Motorrad. Sie organisiert Motorradreisen und bietet Kurventraining und<br />

Coaching für Motorradfahrer an.<br />

27. OT Dammann<br />

Ich mache Fahrcoaching, d.h. Fahrtrainings, ich sensibilisiere Menschen für<br />

den Umgang mit sich und der Maschine Motorrad. Das kann im<br />

Langsamfahrbereich sein, das kann im schnellen Bereich sein, das ist dabei<br />

nicht so wichtig. Aber gerade beim schnellen Motorradfahren, da hab ich eine<br />

Fähigkeit entwickelt, die ich vorher nicht hatte, nämlich dass ich wenn ich


schnell Motorrad fahre, meine Wahrnehmung umschaltet <strong>auf</strong> slow motion,<br />

eine Zeitlupenwahrnehmung. So dass mir das schnelle Fahren sehr, sehr<br />

langsam vorkommt und ich in jeder Sequenz dessen, was ich gerade tue<br />

genau sagen kann: es passiert das und das, hier ist die Grenze, hier die, und<br />

meine Wahrnehmung das wie so ne Kamera mit 1000 Bildern pro Sekunde<br />

runterbricht. Und ich da drin völlig entspannt Motorrad fahre, und wenn dann<br />

irgendeine Situation kommt, wo eine Grenze überschritten wird und das<br />

Hinterrad möchte nicht mehr in der Spur bleiben, dann kann ich eben ganz<br />

fein dosiert mit <strong>dem</strong> Gas umgehen und sagen, ein kleines bisschen weniger.<br />

Und die Rückmeldung, die ich bekommen habe, dass es immer ganz weich<br />

und rund aussieht, was ich da mache.<br />

A: Aber was ist darunter zu verstehen, dass <strong>–</strong> wie Pim van Lommels Studie ergab<br />

<strong>–</strong> Menschen mit Nahtoderfahrungen die Angst vor <strong>dem</strong> Tod verlieren? Nur die<br />

wenigsten fürchten den Tod bewusst, solange es ihnen einigermaßen gut<br />

geht. Der Theologe und Psychologe Joachim Nicolay ist überzeugt, dass sich<br />

Todesfurcht <strong>auf</strong> vielfältige Weise unterschwellig auswirkt:<br />

28. OT Nicolay<br />

Die Angst vor <strong>dem</strong> Tod kann sich schon darin äußern, dass man schon Angst<br />

vor <strong>dem</strong> Altern hat, also man verbindet mit <strong>dem</strong> Tod dann einfach Endlichkeit,<br />

das Leben ist zu Ende, ich kann meine Pläne nicht mehr umsetzen, die<br />

Beziehungen sind zu Ende mit <strong>dem</strong> Tod, von daher kann das Altern etwas<br />

Bedrohliches haben. Und da sagen Nahtoderfahrene z.B. das ist jetzt für mich<br />

kein Thema mehr, ob ich alt werde. Eine Frau hat mal erzählt, sie hat schon<br />

als Zwanzigjährige immer in den Spiegel geguckt, ob sie schon Falten hat,<br />

und jedes Fältchen gezählt. Als sie die Nahtoderfahrung hatte, sagte sie,<br />

seit<strong>dem</strong> ist das für mich kein Thema mehr, weil in dieser Welt Zeit keine Rolle<br />

spielt, und weil ich weiß, dass es nach <strong>dem</strong> Tod weiter geht.


A: Glauben ist etwas anderes als Wissen. Nahtoderfahrene leben mit <strong>dem</strong><br />

sicheren Gefühl, dass der Tod nicht das absolute Ende ist, und manche<br />

spüren sogar zeitlebens eine Sehnsucht danach, wieder einzutauchen in den<br />

für sie so beglückenden Zustand. Die Aussicht, eines Tages zu sterben,<br />

schreckt sie nicht mehr, weil sie eine leise Ahnung von den Dimensionen<br />

haben, in die der Tod sie bringen könnte <strong>–</strong> um es ganz vorsichtig<br />

auszudrücken. Denn eine Nahtoderfahrung ist ein Geschenk, sie kann, aber<br />

sie muss sich nicht wiederholen. ( Thomas Lempert:<br />

29. OT Lempert<br />

Für mich ist das - auch wenn ich das so nüchtern sehe und sage, das hat mit<br />

<strong>dem</strong> Weiterleben nach <strong>dem</strong> Tod gar nichts zu tun - trotz<strong>dem</strong> haben die etwas<br />

Tröstliches für mich, diese Todesnähe-Erlebnisse, dass das Sterben selbst<br />

offenbar nicht so erschreckend ist, wie wir es zu Lebzeiten befürchten,<br />

sondern in der Situation gibt es Mechanismen, die uns schützen, und daraus<br />

sogar ein angenehmes Erlebnis machen können.)<br />

30. OT Dammann<br />

Ich bin seit<strong>dem</strong> eine andere geworden. Definitiv. Durch dieses Erlebnis und<br />

durch diese Kenntnis war mir klar, dass es viel mehr gibt als dieses Leben<br />

hier. Es ist viel größer als alles, was wir uns hier vorstellen können. Mein<br />

Lebensgefühl ist seit<strong>dem</strong> ein ruhigeres geworden, ein befreiteres, leichteres.<br />

Ich merkte, dass ich nicht mehr einfach von dieser Welt bin. Dadurch, weil ich<br />

eben weiß, dass Sterben gar nicht schlimm ist, Menschen andere<br />

Perspektiven zu geben, wenn sie in Situationen sind, die normal relativ<br />

ausweglos erscheinen - mit meinem Wissen kann ich die Dinge anders<br />

ansehen. Ich kann aus einem anderen Blickwinkel gucken, wo ich die<br />

Angstgesteuertheit vieler Menschen sehen kann und ihnen dann einfach<br />

sagen kann: du brauchst keine Angst zu haben. Vor gar nichts.

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