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Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein, Frankfurt, Evangelische Kirche

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Dieses Manuskript stimmt nicht unbedingt mit dem Wortlaut der Sendung überein.<br />

Es darf nur zur Presse- und Hörerinformation verwendet<br />

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auch nicht in Auszügen.<br />

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sowie seine Vervielfältigung und Weitergabe als Lehrmaterial<br />

sind nur mit Zustimmung der Autorin/des Autors zulässig.<br />

hr 1 Sonntagsgedanken am 7. November 2010<br />

<strong>Pfarrer</strong> <strong>Reinhold</strong> <strong>Truß</strong>-<strong>Trautwein</strong>, <strong>Frankfurt</strong>, <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong><br />

Über heilige Pausen - und über die Fähigkeit, sie einzurichten<br />

1.<br />

Die Bibel hat viele sympathische Seiten. Ich meine das hier auch ganz im wörtlichen<br />

Sinn. Schon die zweite Buchseite, gleich am Anfang, gehört für mich unbedingt dazu.<br />

Denn da steht der wunderbare Satz: „ Am siebten Tag ruhte Gott von allen seinen<br />

Werken.“ Eine sympathische Vorstellung: Ein Gott, der sich nach getaner Arbeit ausruht,<br />

sich vielleicht zurücklehnt, ausatmet und locker lässt.<br />

Klar, das ist sehr menschlich gedacht. Aber warum nicht?!<br />

Gott ist ja sozusagen ein echter Schaffer gewesen. Eins nach dem anderen hat er<br />

sich vorgenommen und in die Tat umgesetzt: Himmel und Erde hat er gemacht, Meer<br />

und Festland, Sonne, Mond und Sterne, Tiere und Menschen. Ein richtiger Schöpfungsmarathon!<br />

Aber dann folgt etwas anderes: eine schöne, lange Pause.<br />

Man könnte es auch so formulieren: Gott hat die Ruhe geschaffen; indem er selbst<br />

zur Ruhe gekommen ist. Und diese Pause ist ihm heilig gewesen. So steht es da<br />

ausdrücklich: „Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn.“<br />

Mach's wie Gott! möchte ich am liebsten sagen. Denn es wäre doch schade, wenn<br />

einem dieser Genuss entgehen würde: sich zurücklehnen, ausatmen, locker lassen –<br />

und richtig zur Ruhe kommen. Wie gut, dass das Leben so viele verschiedene Möglichkeiten<br />

dafür bereithält - nicht nur am Sonntag. Für manche ist es das spannende<br />

Buch, das sie gerade lesen; oder das entspannende Bad in der Wanne; oder auch<br />

mal beides zusammen. Für andere ist es gerade die Bewegung, die sie irgendwie zur<br />

Ruhe kommen lässt. Bei der Gartenarbeit oder beim Golfen, beim Wandern oder<br />

Walken und wo noch alles wartet diese wunderbare Erfahrung, die da heißt: „Mini-<br />

Urlaub, Abschalten pur, alles andere ausblenden können.“<br />

Viele kennen solche Pausen, die einem wirklich heilig sind.


Und wissen deshalb nur zu gut: Man muss manchmal richtig was für sie tun; sich<br />

freikämpfen gegen allerlei Druck von außen, Freiräume schaffen, Ruhezonen einrichten<br />

und die innere Unruhe möglichst herunter pegeln. Das heißt, fürs Entspannen<br />

muss man sich im Vorfeld erst mal anstrengen. Und locker zu lassen will gelernt sein.<br />

Das ist oft eine echte Herausforderung - und eine echte Kunst. Diese Kunst hat seit<br />

Kurzem einen neuen Namen bekommen: die „Manana –Kompetenz“ (gesprochen:<br />

manjana).<br />

So lautet auch der Titel des entsprechenden Buches*, das ein Mediziner und eine<br />

Psychologin gemeinsam geschrieben haben, Gunter Frank und Maja Storch. Natürlich<br />

wollte ich wissen, was es damit auf sich hat: „Manana-Kompetenz“.<br />

2.<br />

Zunächst ist einfach interessant, wie es zu dem Begriff Manana-Kompetenz gekommen<br />

ist: Ein Prokurist einer Schweizer Firma hat das Zauberwort aus Südamerika<br />

mitgebracht, wo er längere Zeit gearbeitet hat. Dort war immer pünktlich um 17 Uhr<br />

Feierabend; es gab eine klare Zäsur. Was heute nicht geschafft ist, kommt morgen<br />

dran. Manana: morgen ist auch noch ein Tag! Mit dieser Gewissheit – und mit einem<br />

kleinen geselligen Tagesabschluss - ist man dann in den Feierabend gegangen.<br />

Die Arbeit gut hinter sich lassen zu können, locker zu lassen und ruhig zu werden,<br />

darum vor allem geht es bei der sogenannten Manana-Kompetenz. Mit ihrem gleichnamigen<br />

Buch reagieren die Autoren auf einen gesellschaftlichen Befund, der weithin<br />

bekannt ist: Arbeit findet oft unter einem hohen Druck statt; viele Menschen bewegen<br />

sich an ihrer Leistungsgrenze. Auch die sogenannte Freizeit stellt verschärft Ansprüche;<br />

möglichst viel soll möglichst gut unter einen Hut gebracht werden. Das führt oft<br />

zu einem gehetzten Grundgefühl, gekoppelt mit einem diffusen Gefühl von Sorge, mit<br />

Grübeln über Dinge, die zurückliegen oder die bevorstehen, mit der inneren Unruhe,<br />

nicht zu genügen. Das alles bedeutet eine psychische Dauerbelastung, die im Extremfall<br />

in den Burn-out oder die Depression umschlägt.<br />

Dem setzen der Mediziner Gunter Frank und die Psychologin Maja Storch nun die<br />

menschliche Fähigkeit entgegen, Pausen zu machen und Ruhe zu finden. Und jetzt<br />

wird’s medizinisch; Zitat: „Die Manana-Kompetenz ist die Fähigkeit, den Parasympathikus<br />

gezielt zu aktivieren. Der Parasympathikus ist derjenige Teil unseres Nervensystems,<br />

mit dessen Hilfe Regeneration, Abwehr und Kreativität möglich sind. Er ermöglicht<br />

uns den Zugang zu uns selbst.“ Kurz und grob gesagt: Neben dem Parasympathikus<br />

gibt es im vegetativen Nervensystem den Sympathikus. Beide Stränge


verbinden das Stammhirn durch ein feines Netz mit den verschiedensten Andockstellen<br />

im ganzen Körper. Der Sympathikus sorgt für Action und Adrenalin, er treibt das<br />

Herz an, er bringt mich auf Betriebstemperatur und hält mich auf Trab. Der Parasympathikus<br />

schaltet zurück in den Schongang, in den Ruhemodus. Das Herz schlägt<br />

langsamer, die Muskulatur entspannt sich – und ich mich mit ihr. „So kann sich<br />

schließlich ein Zustand der Muße entwickeln, in dem man sich angenehm erholt und<br />

in dem neue, kreative Ideen entstehen – der Manana-Zustand eben.“ Morgen ist<br />

auch noch ein Tag.<br />

Zum Glück wissen nach wie vor viele, wie sich ein solcher Zustand anfühlt. Und wissen<br />

auch, dafür braucht es Zeit und Gelegenheit. Die muss man einrichten. Viele gute<br />

Vorsätze helfen wenig; schon ein paar wenige Regeln und Rituale helfen viel. Am<br />

Sonntag bleibt der Computer kalt – eine Möglichkeit. Oder: In persönlichen Sperrzonen,<br />

vielleicht mit einer gewissen Regelmäßigkeit: Handy aus- und Parasympathikus<br />

einschalten.<br />

Pausen heilig halten - es gibt einen Brief aus dem 12. Jahrhundert, der sich genau<br />

damit beschäftigt. Und mit diesem Brief geht es dann gleich noch ein Stück weiter.<br />

3.<br />

Im zwölften Jahrhundert gehören die Begriffe „Burn-out“ und „Manana-Kompetenz“<br />

längst noch nicht zum Sprachgebrauch; aber die entsprechenden Erfahrungen gehören<br />

offenbar auch vor gut 850 Jahren schon längst zur Realität. Ein Mönch, genauer<br />

gesagt ist der Mann Abt und heißt Bernhard von Clairvaux, schreibt einen<br />

längeren Brief an seinen gestressten Papst, Eugen III. Er fordert den päpstlichen<br />

Freund dazu auf, die Arbeit öfter hinter sich zu lassen, mehr Pausen einzurichten<br />

und sie heilig zu halten. Bernhard von Clairvaux tut das mit Worten, bei denen man<br />

merkt: Er weiß, wovon er spricht; und da ist Kraft dahinter.<br />

„Es ist viel klüger“, schreibt er, „Du entziehst dich von Zeit zu Zeit Deinen Beschäftigungen,<br />

als dass sie dich ziehen und Dich nach und nach an einen Punkt führen, an<br />

dem du nicht landen willst... An den Punkt, wo das Herz hart wird... Wenn du dein<br />

ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für<br />

die Besinnung vorsiehst, soll ich Dich da loben? Darin lobe ich Dich nicht... Ja, wer<br />

mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne<br />

Dich Dir selbst... Nimm deinen Stand in dir selbst... Willst Du das Maß behalten, so<br />

bleibe in der Mitte...“**


So weit dieser alte und aktuelle Brief; bei dem ich merke: Irgendwie ist er auch an<br />

mich gerichtet. Wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Gönne<br />

dich dir selbst!<br />

Und ich finde, dieser November jetzt, der ist nicht der schlechteste Monat dafür, es<br />

wieder etwas intensiver einzuüben: Sich den eigenen Beschäftigungen mal zu entziehen;<br />

Pausen einzurichten und sie heilig zu halten; die Arbeit gut hinter sich zu lassen;<br />

ja, Manana-Kompetenz zu erwerben: Morgen ist auch noch ein Tag.<br />

Heute, jetzt ist Zeit für mich, Gelegenheit zur Ruhe, auch Raum für die Besinnung.<br />

Und wenn heute noch nichts Richtiges daraus wird - wie gut: Der November ist noch<br />

lang.<br />

_______________________________________________________________<br />

* Gunter Frank, Maja Storch: Die Manana-Kompetenz. Entspannung als Schlüssel zum Erfolg,<br />

München 2010<br />

** Manfred Baumotte (Red.): Aus der Abhandlung „Über die Selbstbesinnung an Papst Eugen<br />

III.“ (nach der Übersetzung von Bernhardin Schellenberger (Hg.): Bernhard von Clairvaux,<br />

Olten u. Freiburg i.Br. 1982), <strong>Evangelische</strong> Buchhilfe, Vellmar 1998

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