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Jan Zöllick Wie ein Schuss schmeckt Was ist das? fragte mich ...

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hr2-Literaturpreis 2012<br />

<strong>Jan</strong> <strong>Zöllick</strong><br />

<strong>Wie</strong> <strong>ein</strong> <strong>Schuss</strong> <strong>schmeckt</strong><br />

<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>das</strong>? <strong>fragte</strong> <strong>mich</strong> Robert. Siehst du <strong>das</strong> auch, Michel? Ich versuchte,<br />

<strong>mich</strong> zu konzentrieren, auf den Punkt, auf den s<strong>ein</strong> Finger zeigte, m<strong>ein</strong>e<br />

Augen zu fokussieren um zu erkennen, was er m<strong>ein</strong>te. Es war Nacht. Es war<br />

kalte Nacht. Und klare Nacht. Mit <strong>ein</strong>igen Nebelschwaden dann und wann.<br />

Aber im Großen und Ganzen <strong>ein</strong>e klare Nacht. Und kalt. Gefrorene Socken<br />

und blutig-spröde Lippen-kalt. Den Mantelkragen schützend bis zu den<br />

Ohren aufstellen und doch k<strong>ein</strong>e Linderung verspüren-kalt. Die Finger zu<br />

Krallen erstarrt und rissig-kalt. Bibbernde Geräusche beim Zittern machen,<br />

wobei <strong>das</strong> Zittern vor Kälte schon längst aufgehört hat-kalt. Ich versuchte<br />

m<strong>ein</strong>e Augen zu fokussieren, um zu sehen. Siehst du <strong>das</strong> auch, Michel? hatte<br />

er gefragt. Robert. Und ich strengte <strong>mich</strong> an und starrte in die Kältehin<strong>ein</strong>. In<br />

die Dunkelheit. Auf den Punkt, auf den er zeigte. Mit s<strong>ein</strong>em Finger. Und ich<br />

sah.<br />

Etwa zweihundert Meter von uns entfernt stand <strong>ein</strong> Schatten. Still.<br />

Bewegungslos. Zwischen den Bäumen. Jetzt regte er sich <strong>ein</strong> bisschen. Und


hr2-Literaturpreis 2012<br />

Robert zeigte auf den Schatten und <strong>fragte</strong> Siehst du <strong>das</strong> auch, Michel? Und<br />

ich sah. Und dann schluckte ich mit trockenem Mund und schluckte nochmal<br />

und leckte mir mit trockener Zunge über blutige Lippen, damit ich schlucken<br />

konnte. Und ichspürte <strong>das</strong> Verlangen nach etwas Flüssigem, wie dem<br />

Schnee, der um uns herum lag und dachte so bei mir, wie schön es doch<br />

wäre, <strong>ein</strong>e Hand voll davon in m<strong>ein</strong>em Mund, aber <strong>das</strong> <strong>ist</strong> zu kalt. Und dann<br />

sah ich wieder. Der Schatten. Langsam und ruhig zog ich <strong>das</strong> Gewehr zu<br />

m<strong>ein</strong>em Kopf. Der Schatten hielt jetzt still. Bewegungslos. Und ich zog m<strong>ein</strong><br />

Gewehr zu m<strong>ein</strong>em Kopf und setzte an. Ich zielte. Auf den Schatten. Auf den<br />

Schatten, der sich nicht bewegte. Auf <strong>das</strong> Kahlwild, <strong>das</strong> sich nicht bewegte.<br />

Und wünschte mir etwas Schnee auf m<strong>ein</strong>en blutig-spröden Lippen, <strong>das</strong>s der<br />

Schmerz endlich aufhörte und der Durst. Und <strong>das</strong>s ich m<strong>ein</strong>e Füße wieder<br />

spüren konnte. Und dann hörte ich <strong>ein</strong>en <strong>Schuss</strong>. Vielmehr: Ich sah <strong>ein</strong>en<br />

<strong>Schuss</strong>. Und dann hörte ich <strong>ein</strong>en <strong>Schuss</strong>. Siehst du <strong>das</strong> auch, Michel? Hatte<br />

Robert gefragt. Und ich hatte gesehen. Den <strong>Schuss</strong> hatte ich gesehen. Und<br />

dann gehört. Und dann gefühlt. Und dann ge<strong>schmeckt</strong>. <strong>Wie</strong> fühlt sich <strong>ein</strong><br />

<strong>Schuss</strong> an? Nass. Und warm. Und nass. <strong>Wie</strong> <strong>schmeckt</strong> <strong>ein</strong> <strong>Schuss</strong>? Nach<br />

Blut. Und Gehirn. Und Blut. Und ich war froh, endlich etwas Flüssiges in<br />

m<strong>ein</strong>em Mund zu haben.


hr2-Literaturpreis 2012<br />

Zweihundert Meter von uns entfernt saß <strong>ein</strong> Robert. Und <strong>ein</strong> Michel. Und<br />

Robert hatte gefragt, ob Michel <strong>das</strong> auch sah. Und Michel hatte sich<br />

angestrengt, s<strong>ein</strong>e Augen fokussiert. Er hatte in der Kälte gelitten, wegen der<br />

Kälte gelitten und er hatte versucht zu schlucken und dann nochmal und<br />

dann hatte er gesehen. Und s<strong>ein</strong> Gewehr gehoben, zu s<strong>ein</strong>em Kopf. Und er<br />

hatte gesehen, wie sich der Schatten bewegt hat. Der Schatten, auf den<br />

Robert gezeigt hatte, als er sagte Siehst du <strong>das</strong> auch, Michel? Und dann hatte<br />

Michel geschossen. Und dann lag Robert neben mir. Er hatte den Schnee<br />

gefärbt. Hellrot. Dunkelrot. Rosenrot. Mit s<strong>ein</strong>er künstlerischen Ader.<br />

Gesprenkelte Akzente in <strong>ein</strong>er weißen, kalten Welt. Gewagt. Und <strong>das</strong> nur, weil<br />

er etwas gesehen hatte. Nur, weil er <strong>ein</strong>en Robert gesehen hatte. Und <strong>ein</strong>en<br />

Michel. Und nur, weil er gesagt hatte Siehst du <strong>das</strong> auch, Michel? Und nur,<br />

weil es so elendig kalt war und k<strong>ein</strong>er von uns beiden hier s<strong>ein</strong> wollte in<br />

dieser dreckig elenden Wüste aus Weiß und Kalt und ab und zu mal Rot. Und<br />

ab und zu mal tot. Einfach so. Der Akzente wegen. Gewagt. Aber durchaus<br />

passend für die Jahreszeit Krieg. Die Mode des Kriegs: Russenmütze,<br />

Russenmantel und ganz viel Blut. Oder auch in der Ausführung deutsche<br />

Mütze, deutscher Mantel, aber Hauptsache Blut. Verzeihung, Farbakzente. In<br />

<strong>ein</strong>er klaren kalten Nacht war Robert tot und akzentuierte <strong>das</strong> Weiß. Weil er


hr2-Literaturpreis 2012<br />

etwas gesehen hatte. Und ich <strong>schmeckt</strong>e den <strong>Schuss</strong>. Und ich sah den<br />

<strong>Schuss</strong>. Und ich hörte den <strong>Schuss</strong>. Und ich schoss.<br />

Zweihundert Meter von uns entfernt liegt <strong>ein</strong> Robert. Und <strong>ein</strong> Michel. Und<br />

neben mir liegt <strong>ein</strong> Robert. Ich habe Robert gesehen. Und Michel. Und<br />

Robert. Und jetzt sind sie tot. Und bald komme ich wieder nach Hause. Und<br />

dann sehe ich m<strong>ein</strong>e Eltern.

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