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Was ist der Mensch? - Hoffnungskirche zu Pankow

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Pr. z. 21.04.2013- Hoffn. 1.Mose.1-4a,26-31a,2,1-4a,Jubilate<br />

Liebe Gemeinde!<br />

„<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, dass du seiner gedenkst?“ So lautet eine Frage im Psalm 8 in unserer Bibel,<br />

an <strong>der</strong>en Anfang unser Predigttext steht. Ja, was, o<strong>der</strong> auch, wer <strong>ist</strong> denn <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>? Diese Frage<br />

stellt sich mir und vielen mit mir, wenn wir diesen Text hören o<strong>der</strong> lesen.<br />

An eine Zeit kann ich mich noch erinnern, tiefste DDR- Zeit, in <strong>der</strong> immer davon gesprochen wurde,<br />

dass es nichts Höheres, Besseres, Vollkommeneres gäbe als den <strong>Mensch</strong>en. Ein Satz von Maxim<br />

Gorki o<strong>der</strong> auch Karl Marx sinngemäß: Der <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> das höchste Wesen. Inzwischen <strong>ist</strong> es<br />

an<strong>der</strong>s. Wir sind <strong>zu</strong>rückhalten<strong>der</strong> damit geworden, den <strong>Mensch</strong>en in den Himmel <strong>zu</strong> heben.<br />

Es gibt auch noch an<strong>der</strong>e Aussagen: „Das Tier im <strong>Mensch</strong>en“, so Émile Zola. Aber damit tut man<br />

doch wohl dem Tier unrecht. „Die Bestie <strong>Mensch</strong>“, so Titel eines Films von Jean Renoir. „Es irrt <strong>der</strong><br />

<strong>Mensch</strong>, solang er lebt“. Vom „Bru<strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>“ <strong>ist</strong> die Rede (Roger Mais). „Der <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> gut“<br />

(Leonard Frank). O<strong>der</strong> Bert Brecht in <strong>der</strong> Dreigroschenoper: „Der <strong>Mensch</strong> lebt von <strong>der</strong> Missetat<br />

allein“. Für all diese Charakterisierungen gibt es Belege und Beweise. <strong>Was</strong> aber <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> nun<br />

wirklich?<br />

Ist er eine ‚Fehlkonstruktion Gottes’? „Gott schuf den <strong>Mensch</strong>en, ihm <strong>zu</strong>m Bilde“. So steht es<br />

an<strong>der</strong>erseits in <strong>der</strong> Bibel. Aber <strong>ist</strong> es nicht gerade <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, <strong>der</strong> mit dem Bru<strong>der</strong>mord begonnen<br />

hat, <strong>der</strong> alles Leid auf die Welt brachte und bringt? Ich denke nur an die Kreuzzüge, an Auschwitz,<br />

die großen und kleinen Kriege, die terror<strong>ist</strong>ischen Anschläge- gerade stehen wir noch unter dem<br />

Eindruck des Anschlages von Boston.<br />

Ich denke an <strong>Mensch</strong>en, auch <strong>Mensch</strong>en! : Hitler und Stalin, Idi Amin und Pol Pott, Saddam Hussein,<br />

Mao, Osama bin Laden, Assad, Ahmadinedschad und wie sie alle heißen. Eine lange L<strong>ist</strong>e.<br />

Unendlich auch die L<strong>ist</strong>e dessen, was <strong>Mensch</strong>en an Leid verursacht haben und verursachen,<br />

manchmal sogar im Namen ihres Gottes.<br />

O<strong>der</strong>, was sind das für <strong>Mensch</strong>en, die Kin<strong>der</strong> verkommen und verhungern lassen, misshandeln,<br />

töten, vergewaltigen, die alten <strong>Mensch</strong>en das Recht auf Würde verweigern?<br />

Wer nun <strong>ist</strong> dafür verantwortlich, dass <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> so <strong>ist</strong>, wie er <strong>ist</strong>? Von Anfang an haben <strong>Mensch</strong>en<br />

bereits Gott die Schuld <strong>zu</strong>geschoben. Und so <strong>ist</strong> es bis heute. O<strong>der</strong> aber wir lassen Gott einen guten<br />

Mann sein. Nur, wenn etwas schief läuft, dann besinnen wir uns auf ihn, klagen ihn an.<br />

O<strong>der</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> ein Halbgott? <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>? Er <strong>ist</strong> ein Geschöpf Gottes.<br />

Zurzeit kann man die Schöpfungsgeschichte in <strong>der</strong> Version eines großen Baumarktes lesen. Sie<br />

lautet: „Gott, Himmel, Erde, <strong>Was</strong>ser, fertig.“ Dieser erste Teil <strong>der</strong> Werbung endet mit <strong>der</strong><br />

aufmunternden Einladung: Und jetzt Du.“ <strong>Was</strong> <strong>der</strong> Baumarkt möchte, das folgt dann. <strong>Was</strong> Gott von<br />

uns erwartet, welche Verantwortung er uns überträgt, davon erzählt die Schöpfungsgeschichte.<br />

Die Bibel redet vom <strong>Mensch</strong>en als <strong>der</strong> Krone <strong>der</strong> Schöpfung, nur etwas niedriger als Gott. Aber Gott<br />

schuf keine halben Götter und auch keine Halbgötter. Er schuf den ganzen <strong>Mensch</strong>en, <strong>der</strong> sich die<br />

Erde untertan machen darf, indem er sie bebaut und bewahrt. Wir <strong>Mensch</strong>en tragen also<br />

Verantwortung für unser Handeln, für unser Denken, Reden und Tun.<br />

Kann sich <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> noch vor Gott mit gutem Gewissen verantworten? O<strong>der</strong> hin<strong>der</strong>t ihn seine<br />

Schuld daran? Er weiß zwar, was gut und was böse <strong>ist</strong>. Aber oft kann er eben gerade das Gute nicht<br />

tun. „Er sollte über das Böse Herr sein und <strong>ist</strong> <strong>zu</strong>m Sklaven <strong>der</strong> Sünde geworden“ (Fritz Kambeck).<br />

Noch bis vor wenigen Jahren, fast 200 Jahre lang, seit <strong>der</strong> Aufklärung, vertrat man die Auffassung:<br />

‚Der <strong>Mensch</strong> <strong>ist</strong> gut’. Das noch nicht lange <strong>zu</strong>rück liegende Jahrhun<strong>der</strong>t, aber auch die ersten Jahre<br />

des neuen zeigen, was und wie <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> sein kann, wo<strong>zu</strong> er fähig <strong>ist</strong> und wo<strong>zu</strong> nicht. Der <strong>Mensch</strong><br />

<strong>ist</strong> nicht selbstverständlich gut. Immer trägt er auch die Anlagen <strong>zu</strong>r Gemeinheit und <strong>zu</strong>r<br />

Unmenschlichkeit in sich.<br />

Vor mir sehe ich die Bil<strong>der</strong> von Toten und Verletzten in Syrien, von <strong>Mensch</strong>en auf Anklagebänken,<br />

wie demnächst beim NSU- Prozess, von Kriegsverbrecherprozessen.<br />

Und vorsichtig gefragt: Wie sieht es in punkto Schuld, im Blick auf unserer Verantwortung <strong>der</strong><br />

Schöpfung gegenüber aus? Sieht man auf den momentanen Zustand <strong>der</strong> Schöpfung, so wird klar:<br />

Das, was <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> daraus gemacht hat, kann Gott mit seinem Auftrag so nicht gemeint haben!<br />

Wir haben Flüsse begradigt, roden Urwäl<strong>der</strong>, stoßen, vielleicht mit etwas schlechtem Gewissen,<br />

weiter Unmengen von Kohlendioxyd in die Luft, versuchen uns an Genbehandlung von<br />

landwirtschaft- lichen Produkten, entschlüsseln die Geheimnisse des Lebens, liebäugeln mit Fracking<br />

und, und, und…<br />

Wenn jemand also pauschal behauptet, <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> sei gut, dann <strong>ist</strong> er entwe<strong>der</strong> naiv o<strong>der</strong> er<br />

verfolgt mit dieser Behauptung eine bestimmte Absicht.


Auch, wenn mir beim Nachdenken über unsere Welt sehr schnell einfällt, was nicht in Ordnung <strong>ist</strong>,<br />

ich viel Bedrohung und weniger Bewahrung sehe, will ich nicht darüber verzweifeln und diese<br />

Stimmung auch nicht beför<strong>der</strong>n. Da<strong>zu</strong> bin ich <strong>zu</strong> dankbar für mein Leben, freue mich an <strong>der</strong><br />

Schöpfung, an je<strong>der</strong> Blume, jedem Geschöpf, an unserer wun<strong>der</strong>vollen Erde. Und ich bin überzeugt,<br />

dass so viele <strong>Mensch</strong>en, auch heute hier, so denken. Allerdings, wir können uns aus <strong>der</strong><br />

Verstrickung von Schuld nicht allein lösen. Wir brauchen Hilfe von außen.<br />

Deshalb vertraue ich darauf, dass Gott, <strong>der</strong> diese Welt bis ins Kleinste so wun<strong>der</strong>bar erschaffen hat,<br />

seine Schöpfung nicht einfach preisgeben wird, nicht in unsere Hände und nicht durch unsere<br />

Hände. Er behält die Fäden in <strong>der</strong> Hand. Ich glaube, dass Gott an seiner Schöpfung interessiert <strong>ist</strong><br />

und bleibt und diejenigen unterstützen und ermutigen wird, die seinen Auftrag verantwortlich<br />

ausführen möchten. Und ich möchte Ehrfurcht vor <strong>der</strong> Schöpfung, „Ehrfurcht vor dem Leben“, wie<br />

Albert Schweizer einmal formuliert hat, immer wie<strong>der</strong> neu lernen und an<strong>der</strong>e da<strong>zu</strong> einladen.<br />

Unsere Welt <strong>ist</strong> auch heute noch so schön, dass wir über sie staunen können: Über jedes Tier, jede<br />

Blume, jeden Baum. Und wenn wir dies noch können o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> neu lernen, dann gewinnen wir<br />

auch eine neue Einstellung da<strong>zu</strong>.<br />

Dabei helfen mir mitunter Kin<strong>der</strong>, meine kleinen Enkelkin<strong>der</strong> z.B., wenn sie eine kleine Blume<br />

bemerken o<strong>der</strong> einen kleinen Vogel zwitschern hören, sich über den kleinen Knut freuen konnten,<br />

über einen Marienkäfer o<strong>der</strong> einfach über einen Stein und diese Freude und dieses Staunen über<br />

diese Kleinigkeiten <strong>zu</strong>m Ausgangspunkt für viele Fragen werden. Dann merke ich: Sie haben das<br />

Wun<strong>der</strong>bare offenbar begriffen. Und ich merke: diese Freude, dieses Staunen habe ich über meine<br />

Alltagsgeschäfte, über meine Sorgen und Probleme, über die großen Dinge einfach ein wenig<br />

vergessen und verlernt.<br />

Nur wer aufmerksam wird auf die kleinen Dinge und Wun<strong>der</strong>, wird auch die tägliche Bedrohung von<br />

Gottes guter Schöpfung bewusster wahrnehmen.<br />

Für Gott kommt es auf jede und jeden von uns an. Er wird seine Schöpfung nicht preisgeben, aber er<br />

will sie nicht ohne uns bewahren, son<strong>der</strong>n mit unserer Hilfe.<br />

„Gott schuf den <strong>Mensch</strong>en <strong>zu</strong> seinem Bilde, <strong>zu</strong>m Bilde Gottes schuf er ihn.“ Das bedeutet nicht: Wir<br />

sehen aus wie Gott. Son<strong>der</strong>n Gottes Ebenbild <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> deshalb, weil Gott dem <strong>Mensch</strong>en<br />

<strong>zu</strong>traut, seiner Bestimmung gerecht <strong>zu</strong> werden. Weil Gott ein Gott <strong>der</strong> Liebe <strong>ist</strong>, darum <strong>ist</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Mensch</strong> ein Lieben<strong>der</strong>. Weil Gott ein Gott des Friedens und <strong>der</strong> Gerechtigkeit <strong>ist</strong>, darum kann <strong>der</strong><br />

<strong>Mensch</strong> auch friedlich und gerecht sein. Weil Gott am Anfang <strong>zu</strong> allem gesagt hat, was er erschaffen<br />

hat: „Und siehe, es war sehr gut“, darum können wir in Gottes Auftrag seine Schöpfung bewahren.<br />

So könnte man fortfahren.<br />

Und das Ziel von Gottes Schöpfung? Sicher, eine Welt, in <strong>der</strong> nach Gottes Wort und Willen alles klar<br />

geordnet und alles sehr gut. Ist. Ziel <strong>der</strong> Schöpfung <strong>ist</strong> allerdings nicht <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Sabbat. Und so heißt es: „So vollendete Gott am siebenten Tag seine Werke. ….. Und Gott segnete<br />

den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken.“<br />

Und damit werden wir daran erinnert, dass unser Leben nicht nur aus Tätigsein, aus Arbeit besteht,<br />

son<strong>der</strong>n da<strong>zu</strong> gehört auch das Geschenk <strong>der</strong> Ruhe, <strong>der</strong> Entspannung, <strong>der</strong> Erholung. Das finde ich<br />

tröstlich und entlastend. Vor längerer Zeit las ich am Schaufenster einer privaten Gärtnerei vor den<br />

Toren Berlins: „An Sonntagen und Feiertagen bleibt unser Geschäft geschlossen.“ Als ich darüber<br />

dem Geschäftsinhaber meine Freude <strong>zu</strong>m Ausdruck brachte, sagte er: Wir arbeiten sehr gern. Aber<br />

meine Frau und ich haben uns <strong>zu</strong> diesem Schritt entschlossen, weil uns klar geworden <strong>ist</strong>, dass<br />

unser Leben eigentlich mehr <strong>ist</strong> als nur Arbeit.“ Nur wenn Tätigsein und Ruhe in einem<br />

ausgewogenen Verhältnis stehen, können wir von einem gesegneten und erfüllten Leben sprechen.<br />

Wo dies nicht beachtet wird, gereicht auch die Arbeit nicht <strong>zu</strong>m Segen. Dann bleibt unter dem Strich<br />

nichts, trotz aller Arbeit und Mühe.<br />

Aus einem ganz neuen Blickwinkel kann ich also mein Leben betrachten. Gott hat mir das Leben<br />

gegeben, hat mir alle Lebensmöglichkeiten <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt.<br />

Ich darf aus <strong>der</strong> Gewissheit leben, die Dietrich Bonhoeffer so umschrieben hat, und die mir den<br />

nötigen Lebensmut und die notwendige Kraft <strong>zu</strong>m Beten und Tun des Gerechten gibt: „Ich glaube,<br />

dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht<br />

er <strong>Mensch</strong>en, die sich alle Dinge <strong>zu</strong>m Besten dienen lassen.“ Er hat den Rhythmus von Arbeit und<br />

Ruhe angegeben. „Gott gab uns Atem, damit wir leben, er gab uns Augen, dass wir uns sehn. Gott<br />

hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit bestehen.“ Und er hat uns Zeit geschenkt,<br />

seine Schöpfung <strong>zu</strong> feiern, ihm <strong>zu</strong> danken, dafür Zeit und Ruhe <strong>zu</strong> finden, <strong>zu</strong> uns <strong>zu</strong> kommen und<br />

ihm nahe <strong>zu</strong> sein. So beschenkt, können wir neu ins Leben gehen. Amen.<br />

Pfarrer i. R. Rainer Thieswald

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