hildesheim - Kehrwieder am Sonntag
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KEHRWIEDER <strong>am</strong> <strong>Sonntag</strong> · 29. September 2013 · Seite 13<br />
Theater für Niedersachsen (TfN) gratuliert Verdi zum 200. Geburtstag mit seinem letzten Werk „Falstaff“<br />
Altersmilder Blick<br />
auf Welt und Bühne<br />
Von Janine Rehbein<br />
Hildesheim. Da schreibt der<br />
dicke „Sir John Falstaff“ identische<br />
Liebesbriefe an zwei verschiedene<br />
verheiratete D<strong>am</strong>en, die kommen<br />
dahinter, rächen sich, indem sie ihm<br />
einen riesigen Schrecken einjagen<br />
– doch <strong>am</strong> Ende ist nicht nur er,<br />
sondern sind alle die „Gefoppten“. In<br />
seinem letzten Werk „Falstaff“ blickt<br />
Giuseppe Verdi altersmilde und mit<br />
einem versöhnlichen Augenzwinkern<br />
auf die Welt – und auf die Bühne.<br />
Im Verdi-Jahr macht Generalmusikdirektor<br />
Werner Seitzer dem<br />
Hildesheimer Publikum ein ganz<br />
besonderes Geschenk und bringt<br />
dieses selten gespielte Werk ans<br />
Theater für Niedersachsen (TfN).<br />
Die Entscheidung für die deutsche<br />
Übersetzung von Hans Swarowsky<br />
war richtig, schließlich ist „Falstaff“<br />
eine Art Spieloper mit viel Aktion auf<br />
der Bühne, bei der man die Figuren<br />
unmittelbar verstehen soll.<br />
Werner Seitzer ist mit dem TfN-<br />
Orchester eine außergewöhlich<br />
ausgefeilte und präzise musikalische<br />
Interpretation gelungen. Regisseur<br />
Ansgar Weigner entspricht<br />
dem im Szenischen und macht das<br />
Bühnengeschehen zu einem perfekt<br />
getimten Feuerwerk an Slapstick und<br />
Witz. Seine Figuren agieren in einer<br />
an die Spielweise der Commedia<br />
dell‘ arte angelehnten, comic-haften<br />
Weise, die Gestik und Mimik bewusst<br />
überzieht und d<strong>am</strong>it demZuschauer<br />
die humorvolle Distanzierung zum<br />
Geschehen erlaubt: „Alles ist Spaß<br />
auf Erden“ lauten die Worte auf die<br />
berühmte Schluss-Fuge.<br />
Mrs. Alice Ford (Maribeth Diggle) lässt sich auf Falstaffs (Levente György)<br />
Avancen ein. Aber nur zum Schein.<br />
Foto: Hartmann<br />
Eckhard Reschat hat sich für<br />
detailreiche Kostüme und ein<br />
schlichtes, ästhetisches Bühnenbild<br />
entschieden, aus denen ebenfalls<br />
der Witz springt – etwa der lebensechte<br />
Nerz, den Mrs. Alice Ford als<br />
Stola trägt, oder die Hirschgeweih-<br />
L<strong>am</strong>pen, deren Augen glühen. Und<br />
<strong>am</strong> Ende wird Falstaff in einer Art<br />
Ikea-Wald von Laienspiel-Elfen erschreckt,<br />
die aus einer der zahlreichen<br />
soziokulturellen Theaterinitiativen<br />
der Hildesheimer Region<br />
kommen könnten: wunderbar!<br />
Die von Achim Falkenhausen einstudierten<br />
Chöre sind wie immer<br />
ein Genuss. Bei den Solisten sticht<br />
stimmlich wie darstellerisch der erfahrene<br />
Bariton Albrecht Pöhl als eifersüchiger<br />
Ehemann „Ford“ heraus,<br />
der an vielen großen Häusern gesungen<br />
hat, fest von 1997 bis 2001 an<br />
der Staatsoper Hannover engagiert<br />
war und an der Musikhochschule<br />
Würzburg lehrt. Erst kürzlich war<br />
er im August beim „Marienroder<br />
Klosterkonzert“ zu erleben.<br />
Der neue griechische Tenor Konstantinos<br />
Kliromomos ließ als „Fenton“<br />
einen sehr schönen, kultivierten<br />
lyrischen Tenor hören, der gespannt<br />
macht auf seine Rollen in den kommenden<br />
zwei Jahren – als nächstes<br />
übernimmt er in der Wiederaufnahme<br />
von Strauß‘ Operette „Eine Nacht<br />
in Venedig“ ab dem 17. November<br />
den Car<strong>am</strong>ello. Spielerisch sehr stark<br />
ist wieder Regine Sturm als seine<br />
ganzjunge, noch etwas tollpatschige<br />
Liebe Nanetta. Der rumänische Bassbariton<br />
Levente György in der Titelrolle<br />
passt äußerlich perfekt, von der<br />
Größe der Stimme stößt er in dieser<br />
Rolle an seine Grenzen.<br />
Insges<strong>am</strong>t ist die Produktion ein<br />
perfekter, heiterer Abend, der getragen<br />
wird vom musikalischen Genie<br />
Verdis – ganz nach seinem Motto:<br />
„Alles ist Spaß auf Erden“.<br />
■ Die nächsten Vorstellungen sind<br />
<strong>am</strong> S<strong>am</strong>stag, 5. Oktober, Donnerstag,<br />
10. Oktober und Montag, 21.<br />
Oktober jeweils ab 19.30 Uhr. Musikdr<strong>am</strong>aturg<br />
Ivo Zöllner führt jeweils<br />
ab 18.50 Uhr im Foyer F1 in Werk und<br />
Inszenierung ein. Karten von 10 bis<br />
34 Euro, ermäßigt ab 3,50 Euro, gibt<br />
es im Service-Center des TfN, Telefon<br />
05121/16 93 16 93 oder im Internet<br />
unter www.tfn-online.de.<br />
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TfN: Regieassistentin Natascha Flindt leitet die „Holländer“-Wiederaufnahme<br />
Protokollantin<br />
der Emotionen<br />
(reh) Hildesheim. Ab dem 3.<br />
Oktober ist <strong>am</strong> Theater für Niedersachsen<br />
(TfN) Richard Wagners Oper<br />
„Der Fliegende Holländer“ wieder zu<br />
sehen. Doch d<strong>am</strong>it nach sechs Wochen<br />
Sommerpause alles wieder so<br />
aussieht, wie von Regisseur Karsten<br />
Barthold im März bei der Premiere<br />
gewollt, muss jeder einzelne Gang,<br />
jede Geste und jeder Gesichtsausdruck<br />
den Solisten, dem Chor und<br />
den Statisten wieder in Erinnerung<br />
gerufen werden. Das ist an Theatern<br />
und Opernhäusern traditionell Aufgabe<br />
des Regieassistenten – oder der<br />
Regieassistentin, wie in Hildesheim<br />
Natascha Flindt.<br />
Die 44-jährige gelernte Bühnentänzerin,<br />
die in Bielefeld geboren<br />
wurde, hat schon vieles <strong>am</strong> TfN, dem<br />
früheren Stadttheater, gemacht. Ihren<br />
ersten festen Vertrag bek<strong>am</strong> sie<br />
im November 1991 als Tänzerin. Ihre<br />
Vielseitigkeit wurde schnell erkannt:<br />
Sie erdachte Choreographien für<br />
Operetten, spielte im Weihnachtsmärchen<br />
mit, übernahm kleine<br />
Sprechrollen im Schauspiel und in<br />
der Operette – ihr Piccolo im „Weißen<br />
Rössl“ ist unvergessen – und<br />
lehrte das Ballettensemble für „Kiss<br />
me Kate“ steppen. Ganz nebenbei,<br />
so scheint es, bek<strong>am</strong> sie mit ihrem<br />
Mann Dirk, seit 20 Jahren als Statist<br />
dabei, ihre Kinder Annika und Henri,<br />
die heute 16 und 13 Jahre alt sind.<br />
Nach der Fusion des Stadttheaters<br />
mit der Landesbühne Hannover<br />
k<strong>am</strong> ein Anruf von Intendant Jörg<br />
Gade, man brauche einen weiteren<br />
Inspizienten: „Ich könnte mir vorstellen,<br />
dass Du das kannst.“ Taschi,<br />
wie Natascha Flindt liebevoll von<br />
den Kollegen genannt wird, sagte<br />
ja. Schließlich hatte sie schon früher<br />
mal geguckt, was ihre Kollegin <strong>am</strong><br />
Inspizientenpult so machte: „Man<br />
hat ja die Augen auf und guckt über<br />
den Tellerrand.“ Doch dann, vor der<br />
Premiere des Musicals „Nervensache“,<br />
zitterten ihr doch ganz schön<br />
die Knie. Denn der Inspizient ist so<br />
etwas wie der Fluglotse eines Theaterabends<br />
– von seinem Pult aus gibt<br />
Bei der Arbeit auf der Probebühne: Natascha Flindt.<br />
Foto: Rehbein<br />
er auf die Note genau die Einsätze<br />
für das Abfahren der Lichtstimmungen,<br />
für alle Bewegungen des Bühnenbildes<br />
und des Vorhanges, für<br />
die Zündung von Pyrotechnik auf<br />
der Bühne und das Wichtigste: für<br />
alle Auftritte der Darsteller. Macht<br />
der Inspizient einen Fehler, ist eine<br />
Sekunde unkonzentriert, endet die<br />
Vorstellung im Chaos.<br />
Nachdem Natascha Flindt diese<br />
Herausforderung gemeistert hat,<br />
kann sie sich bei ihrem jüngsten Job,<br />
für den sie seit einem Jahr fest <strong>am</strong><br />
TfN für die Sparte Musiktheater angestellt<br />
ist, fast ein bisschen zurücklehnen:<br />
„Regieassistenz hat mehr mit<br />
dem künstlerischen Aspekt zu tun“,<br />
erklärt sie.<br />
Bei Wiederaufnahmen bürgt sie<br />
für die künstlerische Qualität der<br />
Inszenierung. Dabei hilft ihr das Regiebuch:<br />
die Klavierfassung der Oper,<br />
in die sie während der Proben im<br />
Frühjahr jeden Gang, jede Geste und<br />
jeden Gesichtsausdruck der Figuren<br />
geschrieben und gezeichnet hat. „Es<br />
sind nicht nur die Auf- und Abtritte,<br />
sondern auch, was emotional rübergebracht<br />
werden soll“, erklärt sie.<br />
Da steht dann zum Beispiel zu Senta<br />
und Holländer: „Sie freudig erregt, er<br />
zögert noch.“<br />
Um den Sängern die dreistündige<br />
Oper in Erinnerung zu rufen, hatte<br />
Natascha Flindt nur zwei Tage Zeit:<br />
Donnerstagabend 18 bis 22 Uhr<br />
Chor und Statisten, Freitag von 10<br />
bis 14 Uhr und von 18 bis 22 Uhr<br />
die Solisten. Und wenn einer bei<br />
der Vorstellung dann doch unsicher<br />
ist, steht Taschi für den Zuschauer<br />
unsichtbar knapp hinter der Bühne,<br />
dirigiert den Sänger mit Handzeichen<br />
oder macht es ihm einfach vor. Sie<br />
stand schließlich lang genug selbst<br />
auf der Bühne.<br />
■ Die Wiederaufnahme von Richard<br />
Wagners Oper „Der Fliegende Holländer“<br />
beginnt <strong>am</strong> Donnerstag, 3.<br />
Oktober, um 16 Uhr. Musikdr<strong>am</strong>aturg<br />
Ivo Zöllner führt ab 15.20 Uhr in Werk<br />
und Inszenierung ein. Karten von 10<br />
bis 34 Euro, ermäßigt ab 3,50 Euro,<br />
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Telefon 05121/16 93 16 93, und im<br />
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