Heft 01/2014 - Die Deutsche Bühne
Heft 01/2014 - Die Deutsche Bühne
Heft 01/2014 - Die Deutsche Bühne
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Schauspiel<br />
Tanz<br />
Musiktheater<br />
theaterfest:<br />
FAUST-Verleihung<br />
in Berlin<br />
Porträt:<br />
Katharina Kreuzhage,<br />
neu in Paderborn<br />
Kritik im Dialog:<br />
Giuseppe Verdis<br />
politische Sendung<br />
<strong>01</strong><br />
14<br />
4 190472 407004 <strong>01</strong> SCHWERPUNKT<br />
85. Jahrgang | Jan. 2<strong>01</strong>4 | H 4724 E | Deutschland 7,00 Euro<br />
Österreich 8,50 Euro | Schweiz 12,60 CHF<br />
Der multiple<br />
Schauspieler
Perfekt ablesbar Tag für Tag –<br />
und Nacht für Nacht.<br />
Mit ihren dezentralen Anzeigen und ihrem Großdatum steht die<br />
Lange 1 für beste Ablesbarkeit. Bei der neuen Grossen Lange 1<br />
„Lumen“ gilt dies auch für die Nachtstunden, denn ihre Indizes<br />
und Zeiger – und erstmals auch das Großdatum – leuchten<br />
in der Dunkelheit. Damit das Datum auch dann noch leuchtet,<br />
wenn beim Datumswechsel um Mitternacht die neuen Ziffern<br />
erscheinen, ist ein Teil des Zifferblatts aus halbtransparentem<br />
Saphirglas gefertigt. Es lässt das unsichtbare UV-Licht<br />
passieren, wodurch sich die Datumsscheiben auch unterhalb<br />
des Zifferblatts aufladen können. www.lange-soehne.com
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 EDITORIAL 03<br />
VON DETLEF BRANDENBURG.<br />
CHEFREDAKTEUR<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />
Hier ist sie also: <strong>Die</strong> neue DEUTSCHE<br />
BÜHNE! Gemeinsam mit unseren Partnern<br />
vom Verlag INSPIRING NET-<br />
WORK haben wir ein Jahr lang überlegt,<br />
diskutiert, entworfen und verworfen. Viele<br />
von Ihnen haben uns dabei in der „Leserjury“<br />
oder den Blattkritik-Runden in<br />
verschiedenen Städten begleitet. Was Sie<br />
hier sehen, wäre ohne Ihre Mitwirkung<br />
nicht möglich gewesen. Dafür ein herzliches<br />
Danke im Namen aller beteiligten<br />
Macher der DEUTSCHEN BÜHNE!<br />
Viele von Ihnen haben uns gesagt: Ja,<br />
macht es anders! Werdet lebendiger, werdet<br />
moderner! Aber lasst Euch um diesen<br />
Preis nicht euren fachlichen Anspruch<br />
abkaufen! Das werden wir nicht tun – versprochen!<br />
Wir werden dem Theater weiter<br />
mit Neugier, Respekt und Fairness<br />
gegenübertreten. Was sich aber ändern<br />
musste, das war unser „Auftritt“. Uns fehlte<br />
das Besondere, das Verspielte, das Sinnliche<br />
– Qualitäten, die doch auch zum<br />
Theater gehören. Umso wichtiger, dass<br />
eine Theaterzeitschrift sie plegt, oder? Sie<br />
werden hier neue persönliche oder dialogische<br />
Formate inden; einen anderen<br />
Umgang mit Fotos; und ein bisschen<br />
Spaß am Spiel mit Themen und Typographie.<br />
Der Ernst des Theaterlebens verträgt<br />
es doch auch mal, per Comic auf die<br />
Schippe genommen zu werden: Belauschen<br />
sie unsere „Kantinenhelden“ auf<br />
Gehen<br />
Sie auf<br />
Entdeckungsreise,<br />
Sie werden<br />
in diesem<br />
<strong>Heft</strong><br />
viel Neues<br />
finden!<br />
S.16. Und wenn Opern von Verdi mit leidenschaftlicher<br />
politischer Botschaft Premiere<br />
haben – warum sie nicht mit einem<br />
Politologen anschauen und im Dialog<br />
gemeinsam aufarbeiten?<br />
<strong>Die</strong> „Kritik im Dialog“ dazu steht auf Seite<br />
58. <strong>Die</strong> „ordentlichen“ Kritiken zu den<br />
dort diskutierten Auführungen sind aktuell<br />
online erschienen. <strong>Die</strong>sen Zusammenhalt<br />
von <strong>Heft</strong> und Homepage wollen<br />
wir enger fassen als bisher. Unsere Abonnenten<br />
haben jetzt ohne Mehrkosten<br />
Zugrif auf umfassende Online-Services<br />
(Näheres dazu auf Seite 80). Hier inden<br />
Sie jetzt auch die Premieren, mit komfortablen<br />
Abfragemöglichkeiten auf drei (!)<br />
Monate im voraus, täglich aktualisiert.<br />
Gehen Sie am besten selbst auf Entdeckungsreise!<br />
Unser <strong>Heft</strong> wird ein Work<br />
in Progress bleiben – und wir freuen uns<br />
sehr auf Ihre Anregungen per mail an<br />
chefredaktion@die-deutsche-buehne.de<br />
alles neu...<br />
<strong>Die</strong> neue DEUTSCHE BÜHNE<br />
entsteht: In den Verlagsräumen<br />
von INSPIRING NETWORK in<br />
Hamburg präsentiert unsere<br />
Layouterin Almut Moritz<br />
(3. v. li.) den Entwurf für unser<br />
erstes Titelbild im neuen<br />
Layout. Links die DdB-Redakteure<br />
Detlev Baur und Bettina<br />
Weber, ganz rechts Chefredakteur<br />
Detlef Brandenburg.<br />
Titelbild...<br />
Zwischen den Proben für<br />
Karin Beiers Eröfnungsprojekt<br />
„<strong>Die</strong> Rasenden“ am <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schauspielhaus Hamburg<br />
fotograierte Tobias Kruse den<br />
Schauspieler Joachim<br />
Meyerhof.<br />
Alles neu auch auf<br />
unserer Website:<br />
www.die-deutsche-buehne.de
04 INHALT DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Inhalt<br />
Magazin<br />
<strong>Bühne</strong>nwelt<br />
DIE PERFORMANCE-KÜNSTLERIN<br />
FLORENTINA HOLZINGER<br />
03<br />
06<br />
Editorial<br />
Theaterfoto<br />
DAS LEITUNGSTEAM DER<br />
STAATSOPER STUTTGART<br />
20<br />
24<br />
28<br />
30<br />
32<br />
Theaterfest<br />
<strong>Die</strong> Verleihung des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Theaterpreises DER FAUST 2<strong>01</strong>3 in Berlin<br />
Trend<br />
Englischsprachige Dramatik allüberall<br />
Porträt<br />
<strong>Die</strong> neue Intendantin am Theater Paderborn:<br />
Katharina Kreuzhage<br />
Mein Haus in zehn Bildern<br />
Pressesprecherin Andrea Bartsch zeigt<br />
uns die Staatsoper Hannover<br />
Fundstück<br />
Florentina Holzingers provozierende<br />
Perfomance-Kunst<br />
10<br />
Wer kommt, wer geht?<br />
11<br />
Nachgefragt: Armin Petras<br />
11<br />
Meldungen<br />
14<br />
Theater als Weltkulturerbe?<br />
16<br />
Comic: Kantinenhelden
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 INHALT 05<br />
Schwerpunkt<br />
Auführungen<br />
Der multiple<br />
Schauspieler<br />
„PLANET DER FRAUEN“AM<br />
THEATER FREIBURG<br />
„I DUE FOSCARI“ AN DER<br />
HAMBURGISCHEN STAATSOPER<br />
Fotos (v.l.n.r.) Martin Siegmund, Anne van Kooij, Maurice Korbel, Bernd Uhlig<br />
36<br />
40<br />
44<br />
48<br />
50<br />
die probe als suchmaschine<br />
Michael Börgerding, Intendant des Theaters<br />
Bremen, über Schauspieler zwischen Darstellung<br />
und Partizipation<br />
Freiheit hinter der Maske<br />
Der Schauspieler Joachim Meyerhof als<br />
Darsteller biographischer Erlebnisse<br />
Schauspielkunst vs. Performance?<br />
Der Dramaturg Bernd Stegemann und der<br />
Theatermacher Daniel Wetzel von Rimini<br />
Protokoll im Interview<br />
Forschen und Spielen<br />
Josef Mackert, Freiburger Chefdramaturg,<br />
über neue Stadttheaterkonzepte und veränderte<br />
Koordinaten der Darstellung<br />
Experten auf zeit<br />
Wie der Dokumentartheatermacher Hans Werner<br />
Krösinger mit Schauspielern arbeitet<br />
Laientheater: drei meinungen<br />
Drei professionelle Darsteller berichten über ihre<br />
Arbeit mit Laien<br />
58<br />
64<br />
68<br />
53<br />
82<br />
Kritik im Dialog I<br />
Der Politikwissenschaftler Udo Bermbach und Detlef<br />
Brandenburg über frühe Verdi-Opern an der<br />
Hamburgischen Staatsoper. Außerdem: Verdi-Opern<br />
aus Bielefeld und Krefeld/Mönchengladbach.<br />
Kritik im Dialog II<br />
Barbara Behrendt und die Psychotherapeutin<br />
Kornelia Wulf über Mehrgenerationenprojekte an<br />
Berliner Theatern<br />
Kompass<br />
Der persönliche Premieren führer von Detlev Baur<br />
Auch das noch<br />
72<br />
78<br />
80<br />
83<br />
Chronik<br />
Bis Redaktionsschluss: Ein Resümee von<br />
Detlef Brandenburg<br />
Empfehlungen der redaktion<br />
CD, DVD, Buch und TV-Tipp des Monats<br />
Forum<br />
Unsere neue Homepage<br />
<strong>Die</strong> letzten Fragen<br />
An Tobias Kratzer, Opernregisseur<br />
Impressum
6 THEATERFOTO DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 THEATERFOTO 7<br />
There‘s No Business Like Show Business!<br />
Der Kinder- und Jugendchor der Berliner Lindenoper<br />
in voller Aktion im Finale der Verleihung<br />
des <strong>Deutsche</strong>n Theaterpreises DER FAUST im<br />
Berliner Schillertheater (mehr dazu auf Seite 20 in<br />
diesem <strong>Heft</strong>). Das Foto stammt von Markus Nass
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
MAGAZIN 09<br />
Magazin<br />
Foto: Martin Sigmund<br />
Veränderungen:<br />
Das Führungsteam der Oper<br />
Stuttgart mit Operndirektorin<br />
Eva Kleinitz (stehend) sowie<br />
(sitzend, v. li) GMD Sylvain<br />
Cambreling, der Leitenden<br />
Regisseurin Andrea Moses,<br />
Chefdramaturg Sergio Morabito<br />
und Intendant Jossi Wieler. In<br />
dieser Form wird das Gespann<br />
nicht weiter bestehen: Andrea<br />
Moses gibt ihre Position auf. Sie<br />
wird dem Haus als Gastregisseurin<br />
aber erhalten bleiben.<br />
Eva Kleinitz hat derweil eine<br />
zusätzliche, ehrenvolle Aufgabe<br />
hinzugewonnen: Sie ist neue<br />
Präsidentin des Verbands von<br />
Opernhäusern und Festivals<br />
Opera Europa. <strong>Die</strong> 41-Jährige wird<br />
damit Nachfolgerin des Brüsseler<br />
Opernintendanten Peter de<br />
Caluwe. Auf unsere Nachfrage<br />
kommentierte sie ihre Wahl so:<br />
„Ich hofe, dass sich durch die<br />
erstmalige Wahl einer Frau in<br />
dieses Amt auch meine Kolleginnen<br />
in der ganzen Welt ermutigt<br />
fühlen, sich künftig noch mehr<br />
Gehör zu verschafen.“
10 MAGAZIN<br />
Theaterlandschaft<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Magazin<br />
Januar<br />
2<strong>01</strong>4<br />
1<br />
3<br />
2<br />
6<br />
5<br />
4<br />
Wer<br />
kommt,<br />
wer<br />
geht?<br />
1 Susanne Schwier Der Rat<br />
der Stadt Aachen hat die<br />
bisherige Leiterin der Abteilung<br />
Schulaufsicht der Freien<br />
und Hansestadt Hamburg zur<br />
neuen Dezernentin für<br />
Bildung, Kultur, Schule, Jugend<br />
und Sport gewählt. <strong>Die</strong><br />
parteilose Schwier tritt das<br />
neue Amt voraussichtlich im<br />
Februar 2<strong>01</strong>4 an.<br />
2 Hanna Koller Der Vertrag<br />
der Tanzkuratorin bei den<br />
<strong>Bühne</strong>n der Stadt Köln soll<br />
zum Ende der Spielzeit nicht<br />
verlängert werden. <strong>Die</strong><br />
Betriebsleitung der <strong>Bühne</strong>n<br />
sprach dem Kölner Stadtanzeiger<br />
zufolge von einer „internen<br />
Personalentscheidung“. Bisher<br />
ist die Finanzierung der<br />
Tanzgastspiele nur bis zur<br />
Spielzeit 2<strong>01</strong>4/15 gesichert.<br />
Koller kuratiert seit 15<br />
Spielzeiten das Tanzprogramm<br />
an Oper und Schauspiel; in den<br />
letzten Jahren in Form eines<br />
hoch gelobten Gastspielprogramms.<br />
3 Johan Simons Der niederländische<br />
Regisseur wird ab<br />
2<strong>01</strong>5 für drei Jahre Intendant<br />
der Ruhrtriennale. Nun wurde<br />
Simons, derzeit Intendant der<br />
Münchner Kammerspiele, von<br />
NRW-Kulturministerin Ute<br />
Schäfer in Duisburg als<br />
Nachfolger von Heiner<br />
Goebbels vorgestellt. Er<br />
kündigte an, das Festival für<br />
alle Zuschauerschichten öfnen<br />
zu wollen.<br />
4 Vladimir Malakhov Der<br />
scheidende Intendant des<br />
Staatsballetts Berlin wird ab<br />
1. August 2<strong>01</strong>4 künstlerischer<br />
Berater des Tokyo Ballet in<br />
Japan.<br />
5 Riccardo Chailly Der<br />
italienische Dirigent und seit<br />
2005 Chefdirigent des Leipziger<br />
Gewandhausorchesters soll unter<br />
dem kommenden Intendanten<br />
Alexander Pereira Musikdirektor<br />
der Mailänder Scala<br />
werden. Damit folgt er auf<br />
Daniel Barenboim. Der<br />
Zeitpunkt der Wechsels war bei<br />
Redaktionsschluss noch nicht<br />
bekannt, Barenboims Vertrag<br />
läuft bis 2<strong>01</strong>6.<br />
6 Katrin Schindler und<br />
Michael Forner Ab 1. Januar<br />
2<strong>01</strong>4 lösen die beiden die<br />
bisherigen Leiter der Komödie<br />
an der Steinstraße in Düsseldorf<br />
ab. Paul Haizmann und<br />
Helmuth Fuschl führten das<br />
Haus elf Jahre lang. Schindler<br />
und Forner arbeiteten beide<br />
unter anderem in der kaufmännischen<br />
Leitung am Theater am<br />
Kurfürstendamm und der<br />
Komödie Winterhuder Fährhaus.
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 11<br />
Theaterlandschaft<br />
Fotos (v.l.n.r.): Susanne Schwier, Thomas Brill, Andrea Huber, Andrej Glusgold, Gewandhaus-Mothes, Komödie Düsseldorf, Arthur Zalewski, Markus Scholz<br />
Nachgefragt<br />
bei Armin Petras, dem neuen<br />
Intendanten des Schauspiels<br />
Stuttgart<br />
Wie verlief der technische<br />
Start im neuen Haus? Hat<br />
endlich alles funktioniert?<br />
Ja, das Haus funktioniert,<br />
zumindest weitgehend. Wir<br />
haben die Spielzeit mit sechs<br />
Premieren eröfnet, die eine<br />
große Spannweite hatten,<br />
ästhetisch und was die<br />
technischen Anforderungen<br />
angeht. <strong>Die</strong>ser Härtetest ging<br />
ohne größere Zwischenfälle<br />
über die <strong>Bühne</strong>, auch weil die<br />
Teams und Abteilungen viel<br />
Flexibilität und Leidenschaft in<br />
den Neustart miteingebracht<br />
haben. Es gibt zwar immer<br />
noch eine Mängelliste: die<br />
Netzwerktechnologie, das<br />
Inspizientenpult und die<br />
Steuerung der Maschinerie<br />
sind noch nicht zu einhundert<br />
Prozent funktionstüchtig.<br />
Trotzdem sind wir nach den<br />
ersten Premieren vorsichtig<br />
optimistisch.<br />
Sind Sie mit dem neuen Haus<br />
zufrieden oder entdecken Sie<br />
noch Kinderkrankheiten?<br />
Ein Theater besteht ja nicht<br />
nur aus Zügen, Hubpodien<br />
und Drehscheiben. Viel<br />
entscheidender ist, dass ein<br />
Haus eine Atmosphäre<br />
bietet, in der das Ensemble<br />
und die Teams zusammenwachsen<br />
und konzentriert<br />
arbeiten können. Vor allem in<br />
dieser Beziehung ist Stuttgart<br />
ein funktionierendes Theater.<br />
Auch andere Dinge habe ich<br />
bereits schätzen gelernt: die<br />
Nähe zu den Kollegen aus<br />
Oper und Ballett, die Leistungsfähigkeit<br />
der Gewerke,<br />
den Sachverstand des<br />
Publikums. Trotzdem hat jedes<br />
Theater seine eigene Geschichte,<br />
eigene kommunikative<br />
Spielregeln, ein speziisches<br />
Umfeld, einen eigenen<br />
Charakter. Um das alles<br />
kennenzulernen, braucht es<br />
mehr Zeit, als wir bisher<br />
hatten. Ich würde sagen: Wir<br />
sind dabei, uns anzufreunden.<br />
Sie sind aus Berlin nach<br />
Stuttgart gekommen. Wie<br />
kommen Schwaben und<br />
Berliner miteinander aus?<br />
Das Team und Ensemble ist<br />
aus den unterschiedlichsten<br />
Himmelsrichtungen hierher<br />
gekommen: unter anderem<br />
aus Bochum, Köln, Frankfurt,<br />
Basel und Leipzig. <strong>Die</strong> Berliner<br />
sind da eher in der Unterzahl.<br />
Aus diesen Menschen ein<br />
eingespieltes Team zu machen,<br />
ist ein Projekt, das gut<br />
begonnen hat und für das es<br />
hier in Stuttgart gute Bedingungen<br />
gibt. <strong>Die</strong> ersten<br />
Premieren haben gezeigt, dass<br />
sich die Stuttgarter über die<br />
neuen Gesichter freuen.<br />
Umbauten und<br />
schleichender Abbau<br />
<strong>Die</strong> Berner Bürger haben sich<br />
mit deutlicher Mehrheit für die<br />
Sanierung des Stadttheaters<br />
ausgesprochen. Bei einer<br />
„Abstimmungsvorlage“ vor der<br />
Abstimmung im „Großen Rat“<br />
sprachen sich 76 Prozent der<br />
votierenden Bürger für die auf<br />
19 Millionen berechnete<br />
Sanierung des Konzert Theater<br />
Bern aus.<br />
Am Passauer Stadttheater<br />
soll die Sanierung nach dem<br />
Juni-Hochwasser 2<strong>01</strong>3 bis<br />
Ende Januar 2<strong>01</strong>4 abgeschlossen<br />
sein. Das seit Jahren<br />
sanierungsbedürftige<br />
Landshuter Theater, eine<br />
weitere von drei Spielstätten<br />
des Landestheaters Niederbayern,<br />
darf nur mit Ausnahmegenehmigungen<br />
spielen,<br />
die 2<strong>01</strong>4 auslaufen. Als<br />
Übergangsspielstätte ist ab<br />
Juni ein Theaterzelt geplant;<br />
ein Sanierungsbeginn des<br />
Theaters ist nicht abzusehen.<br />
LANDESBÜHNE<br />
SACHSEN-ANHALT<br />
IN LUTHERSTADT<br />
EISLEBEN<br />
Der Stadtrat der Stadt Trier<br />
hat in Reaktion auf ein<br />
Gutachten über Einsparmöglichkeiten<br />
an dem Haus<br />
beschlossen, das Theater als<br />
Drei-Sparten-Theater zu<br />
bewahren. Wie die auch<br />
angesichts der steigenden<br />
Personalkosten nötigen<br />
Einsparungen am Haus und<br />
die dringliche Sanierung<br />
inanziert werden sollen, blieb<br />
nach einem Bericht der<br />
Saarbrücker Zeitung aber<br />
ofen. In einer Internet-Petition<br />
hatten sich 42000 Menschen<br />
gegen die in dem<br />
Gutachten angeregte<br />
Umwandlung in ein Bespieltheater<br />
ausgesprochen.<br />
<strong>Die</strong> Landesbühne der Lutherstadt<br />
Eisleben soll 2<strong>01</strong>4 noch<br />
750000 Euro Zuschüsse des<br />
Landes Sachsen-Anhalt<br />
erhalten, von 2<strong>01</strong>5 bis 2<strong>01</strong>8<br />
sollen es noch 400000 Euro<br />
sein. Damit ist die drohende<br />
Schließung des Theaters<br />
vorerst abgewendet; ursprünglich<br />
sollte das Theater ab 2<strong>01</strong>5<br />
keine Zuschüsse vom Land<br />
mehr bekommen. Allerdings<br />
wird das Theater in ein<br />
„Kulturwerk“ umgewandelt,
12 MAGAZIN<br />
Theaterlandschaft<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
das sich auf die theaterpädagogische<br />
Arbeit für Kinder und<br />
Jugendliche konzentrieren soll.<br />
Laut Kultusminister Stephan<br />
Dogerloh soll „der Fokus auf<br />
Kulturvermittlung gelegt<br />
werden.“<br />
Auch das Staatstheater<br />
Schwerin reduziert aus<br />
finanziellen Gründen seine<br />
Angebote. Ab der kommenden<br />
Spielzeit soll das<br />
Sinfoniekonzert montags<br />
wegfallen, die niederdeutsche<br />
Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong> nur noch<br />
vier statt sechs Inszenierungen<br />
pro Spielzeit erarbeiten,<br />
die kleinste Spielstätte Werk 3<br />
aufgegeben und die Puppenbühne<br />
zum Gastspielbetrieb<br />
werden.<br />
STAATSTHEATER SCHWERIN<br />
Unterdessen haben sich die<br />
Theaterintendanten in<br />
Mecklenburg-Vorpommern zu<br />
einer Ständigen Intendantenkonferenz<br />
zusammengeschlossen.<br />
<strong>Die</strong> Theaterleiter wollen sich<br />
nicht gegeneinander ausspielen<br />
lassen und mit Selbstbewusstsein<br />
für die künstlerische<br />
Arbeit im Land kämpfen.<br />
In einem ofenen Brief haben<br />
hundertsechzig Dirigenten<br />
den Intendanten des SWR<br />
Peter Boudgoust aufgefordert,<br />
die 2<strong>01</strong>2 beschlossene<br />
Fusion des SWR-Sinfonieorchesters<br />
Baden-Baden und<br />
Freiburg und des RSO<br />
Stuttgart im Jahr 2<strong>01</strong>6<br />
zurückzunehmen.<br />
Ehrenplatz<br />
Der Regisseur Antoine<br />
Laubin ist Gewinner des<br />
dritten europäischen<br />
Festivals für junge Regie Fast<br />
Forward am Staatstheater<br />
Braunschweig. Der belgische<br />
Regisseur wurde für seine<br />
Inszenierung „Dehors“<br />
ausgezeichnet und hat nun<br />
die Möglichkeit, in der<br />
nächsten Spielzeit in<br />
Braunschweig ein Stück zu<br />
inszenieren.<br />
Michael Thalheimer ist für<br />
seine „Elektra“-Inszenierung<br />
am Wiener Burgtheater bei der<br />
Verleihung des österreichischen<br />
Theaterpreises Nestroy als<br />
Bester Regisseur ausgezeichnet<br />
worden. Für die Titelrolle der<br />
Inszenierung wurde Christiane<br />
von Poelnitz als Beste Schauspielerin<br />
geehrt. Katie Mitchells<br />
„Reise durch die Nacht“ am<br />
Schauspiel Köln wurde zur<br />
Besten deutschsprachigen<br />
Auführung gewählt. Der<br />
Autorenpreis ging an Elfriede<br />
Jelinek; der Preis für das<br />
Lebenswerk an Luc Bondy.<br />
GISELA HÖHNE<br />
ANTOINE LAUBIN<br />
Amelie Deuflhard, Mitbegründerin<br />
der Sophiensaele<br />
in Berlin und aktuell<br />
Leiterin des Hamburger<br />
Theaters Kampnagel, hat im<br />
Berliner Institut Français die<br />
Insignien des Chevaliers des<br />
Arts et des Lettres erhalten. Sie<br />
erhielt diese Auszeichnung<br />
des französischen Kulturministeriums<br />
für ihre Verdienste<br />
um die deutsch-französischen<br />
Beziehungen.<br />
Der Leiter des Mülheimer<br />
Theaters an der Ruhr, Roberto<br />
Ciulli, ist mit dem Staatspreis<br />
des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
ausgezeichnet worden. Der<br />
80-jährige aus Italien stammende<br />
Regisseur gründete das<br />
Theater zusammen mit<br />
Dramaturg Herbert Schäfer<br />
und <strong>Bühne</strong>nbildner Gralf-<br />
Edzard Habben im Jahr 1980.<br />
Dem Staatstheater Nürnberg<br />
wurde der Preis der <strong>Deutsche</strong>n<br />
Theaterverlage für das Jahr<br />
2<strong>01</strong>3 verliehen. Damit werden<br />
die Bemühungen des<br />
Theaters um „Repertoireplege<br />
auch und gerade<br />
zeitgenössischer Dramatik“<br />
gewürdigt.<br />
Der Schriftsteller und<br />
Dramatiker Rainald Goetz<br />
wurde mit dem Schiller-Gedächtnispreis<br />
2<strong>01</strong>3 geehrt.<br />
Übergeben wurde die<br />
Auszeichnung durch Baden-<br />
Württembergs Ministerpräsident<br />
Winfried Kretschmann.<br />
Nur wenige Tage zuvor wurde<br />
Goetz der Marieluise-Fleißer-<br />
Preis der Stadt Ingolstadt<br />
verliehen.<br />
KATHARINA THALBACH<br />
<strong>Die</strong> Schauspielerin und<br />
Regisseurin Katharina<br />
Thalbach erhält den <strong>Deutsche</strong>n<br />
Hörbuchpreis für ihr Lebenswerk.<br />
Damit wird sie für ihre<br />
zahlreichen Sprechpartien in<br />
Hörbüchern geehrt.<br />
Gisela Höhne, die Leiterin<br />
des Berliner Theaters<br />
RambaZamba, bekommt den<br />
Caroline-Neuber-Preis 2<strong>01</strong>4.<br />
<strong>Die</strong> Preisverleihung indet<br />
im März im Schauspiel<br />
Leipzig statt.<br />
Fotos (v.l.n.r.): Silke Winkler, Alice Piemme, Rob de Vrij, Katharina Thalbach<br />
Weitere Theatermeldungen<br />
www.die-deutsche-buehne.de
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 13<br />
Glosse<br />
EINE GLOSSE VON<br />
MICHAEL LAAGES<br />
KLATSCHMARSCH!<br />
In immer mehr Theatern im Land greift er um sich: der rhythmische<br />
Beifall. Eine Glosse zum gar nicht so neuen Klatsch-Phänomen<br />
Drei echte Prominente haben bekanntlich<br />
das Ende der DDR überlebt: das Ampelmännchen/Ost,<br />
sein Kollege, das Sandmännchen,<br />
und der grüne Rechtsabbieger-Pfeil.<br />
Der vierte Sieger der Geschichte hat sich<br />
etwas Zeit gelassen, bevor er nun ofenbar das ganze<br />
Land erreicht hat: der rhythmische Beifall im Theater.<br />
Der war lange eine Spezialität der neuen Bundesländer,<br />
und wer eher unfreundliche Vorurteile<br />
und Assoziationen mit sich herum trug, mochte von<br />
der Nähe zu Fernsehbildern von Parteitagen der unterschiedlichsten<br />
Polit-Kategorie immer wieder unangenehm<br />
berührt sein.<br />
Dort haben inzwischen sämtliche Parteien die rhythmischen<br />
Ergebenheitsbekundungen von früher<br />
durch amerikanisierte Lärmmusik ersetzt – der<br />
Klatschmarsch vom alten Ost-Parteitag war nun frei<br />
und hat sich spätestens mit Beginn der laufenden<br />
Spielzeit lächendeckend auch im Westen breit gemacht.<br />
In Trier zum Beispiel war er schon zu hören,<br />
in Frankfurt, in Hannover – ganz so, als sollten Zugaben<br />
erstritten werden, vereinen sich hier und da und<br />
überall die Publikümmer genormten Beifalls-Service.<br />
Ist das schlimm? Natürlich prinzipiell nicht; die<br />
Künstlerinnen und Künstler auf der <strong>Bühne</strong> verstehen<br />
ja durchaus, dass das Klatschen im Takt besonders<br />
anerkennend gemeint ist. Nur können sie so gar<br />
nicht darauf reagieren! Im normalen Brausen eines<br />
richtig dankbaren Applauses wirkt das <strong>Bühne</strong>n-Personal<br />
oft wie befreit. So ein richtig herzlicher, raumfüllender<br />
Beifall wärmt, auf der <strong>Bühne</strong> und davor;<br />
und weil er individuell ist und gerade nicht alle das<br />
gleiche tun, ist die Menge (oder gar Masse) im Zuschauerraum<br />
als Summe Einzelner erkennbar. So<br />
kann sich jedes Ensemblemitglied mit etwas Phantasie<br />
viele verschiedene Beifälle abholen, sozusagen<br />
ganz persönlich von jedem und jeder einzeln… Was<br />
aber tun, wenn’s rhythmisch wird? Entsprechend<br />
zackige Verbeugungen wirken ja eher lächerlich; im<br />
gleichen Schritt rein und raus zu laufen, geht auch<br />
nicht. Dem Publikum zurück zu klatschen, ist auch<br />
nur eine Notlösung; und ähnelt obendrein ganz besonders<br />
dem alten Parteitagsgehabe.<br />
So stehen die Ensembles dem Jubel im Stechschritt<br />
zuweilen etwas ratlos gegenüber. Und fast schon<br />
glücklich darf sich eine Inszenierung schätzen, die<br />
gerade durchgefallen ist – da kleckert und krümelt<br />
der Beifall zwar ein bisschen, aber wenigstens nicht<br />
im Rhythmus und allemal individuell. In Brasilien<br />
übrigens geht Beifall so: sehr heftig und ganz kurz,<br />
dafür sofort im Stehen gespendet. Dann lieht das<br />
Publikum, weil gleich der letzte Bus fährt. Oder<br />
auch nicht.<br />
Ganz so,<br />
als sollten<br />
zugaben<br />
erstritten<br />
werden,<br />
vereinen<br />
sich hier<br />
und da und<br />
überall die<br />
publikümmer<br />
zum<br />
genormten<br />
beifallservice
14 MAGAZIN<br />
Dokumentation<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Einzigartige Vielfalt<br />
Ende 2<strong>01</strong>3 hat der <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong>nverein<br />
die Aufnahme „der historisch gewachsenen<br />
Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen<br />
der einzigartigen deutschen<br />
Theater- und Orchesterlandschaft“ in das<br />
Immaterielle Kulturerbe der UNESCO<br />
beantragt. Wir dokumentieren Auszüge<br />
aus den beigefügten Gutachten<br />
ZUGLEICH ALT UND NEU<br />
PRÄSENTIERT SICH DAS<br />
STAATSTHEATER MAINZ<br />
Aus dem Gutachten von<br />
Erika Fischer-Lichte<br />
„<strong>Die</strong> deutsche Theater- und<br />
Orchesterlandschaft ist in<br />
ihrer Vielfalt einzigartig. Sie<br />
ist über mehr als 300 Jahre<br />
historisch gewachsen. (...)<br />
<strong>Die</strong>se Kontinuität ermöglichte<br />
eine lebendige Traditionsbildung,<br />
die jeglicher Form von<br />
Versteinerung dieser Landschaft<br />
diametral entgegengesetzt<br />
ist. Sie zeichnet sich<br />
vielmehr durch eine ungewöhnliche<br />
Flexibilität aus.<br />
Jede gesellschaftliche Gruppe<br />
kann sie sich aneignen, jedes<br />
neu auftauchende Problem in<br />
ihr verhandelt werden. (...)<br />
Nur aufgrund ihrer Vielfalt<br />
und ‚lächendeckenden‘<br />
Verbreitung, die weltweit<br />
einzigartig sind, vermag die<br />
deutsche Theater- und<br />
Orchesterlandschaft diese<br />
Funktion zu erfüllen (...) Wie<br />
Theaterwissenschaftler, die<br />
von allen fünf Kontinenten als<br />
Fellows in das von mir<br />
geleitete Internationale<br />
Forschungskolleg ‚Verlechtungen<br />
von Theaterkulturen‘<br />
kommen, mir immer wieder<br />
bestätigen, wird die deutsche<br />
Theater- und Orchesterlandschaft<br />
dafür in aller Welt<br />
bewundert.“<br />
Erika Fischer-Lichte ist<br />
emeritierte Leiterin des<br />
Instituts für Theaterwissenschaft<br />
an der Freien Universität<br />
Berlin<br />
Aus dem Gutachten von<br />
Gerhart Rudolf Baum<br />
„Theater und Orchester sind<br />
unverändert lebendige Zentren<br />
künstlerischer Kreativität,<br />
deren Blick in Gegenwart und<br />
Zukunft gerichtet ist. Sie üben<br />
auch eine starke Anziehungskraft<br />
auf international tätige<br />
und anerkannte Künstler aus.<br />
Neue Formen wie zum Beispiel<br />
mit Theater oder Musik im<br />
öfentlichen Raum werden<br />
entwickelt. Vielfältige Ausdrucksformen<br />
experimenteller<br />
Art gehören zur täglichen<br />
Praxis von Theatern und<br />
Orchestern. <strong>Die</strong>s ist vor allem<br />
möglich, weil die Finanzierung<br />
nicht in das Belieben einzelner<br />
Förderer gestellt ist, sondern in<br />
Deutschland einem Verfassungsauftrag<br />
folgt.“<br />
Gerhart Rudolf Baum war als<br />
Bundesinnenminister von 1978<br />
bis 1982 auch Kulturminister<br />
des Bundes. Heute übt er eine<br />
Reihe ehrenamtlicher Funktionen<br />
im Bereich Kultur aus.<br />
Aus dem Gutachten von<br />
Ortrud Gutjahr<br />
„<strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit<br />
einer immer wieder hinterfragten<br />
und modifizierten<br />
Idee ästhetischer Bildung<br />
gehört bis heute zum Erbe<br />
des Theaters. So sind dank<br />
der föderalen, landesweit<br />
dichten Verteilung von<br />
Theatern und Konzertsälen<br />
anspruchsvolle Theateraufführungen,<br />
Performances,<br />
Musiktheaterdarbietungen<br />
und Konzerte für das<br />
Publikum immer in erreichbarer<br />
Nähe. Auch suchen<br />
Theater und Orchester durch<br />
gezielte Projekte neue<br />
Publikumsgruppen anzusprechen.“<br />
Ortrud Gutjahr ist Professorin<br />
für Neuere deutsche<br />
Literatur und Interkulturelle<br />
Literaturwissenschaft an<br />
der Universität Hamburg<br />
WAS DIE UNESCO SAGT:<br />
„<strong>Die</strong> Formen immateriellen Kulturerbes (...) werden von Generation<br />
zu Generation weitergegeben und fortwährend neu gestaltet.<br />
Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater, Musik und<br />
mündliche Überlieferungen wie auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste.<br />
Damit das weltweit vorhandene traditionelle Wissen<br />
und Können erhalten bleibt, hat die UNESCO 2003 das Übereinkommen<br />
zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet.<br />
Mehr als 150 Staaten sind inzwischen der völkerrechtlich<br />
verbindlichen Konvention, die 2006 in Kraft trat, beigetreten.<br />
In Deutschland ist das UNESCO-Übereinkommmen 2<strong>01</strong>3 in Kraft<br />
getreten. (...) Das Verzeichnis soll von Jahr zu Jahr wachsen.“<br />
Foto Bettina Müller
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 15<br />
Kommentar<br />
THEATER ALS<br />
KULTURERBE?<br />
ABER JA!<br />
<strong>Die</strong> UNESCO sucht Formen des immateriellen<br />
Kulturerbes, die Ausdruck lebendiger Kreativität sind.<br />
Auf Deutschlands Theatervielfalt trift das zu<br />
EIN KOMMENTAR VON<br />
DETLEF BRANDENBURG.<br />
CHEFREDAKTEUR<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />
All der<br />
Spott also,<br />
der dem<br />
<strong>Bühne</strong>nverein<br />
mit<br />
seiner Initiative<br />
zur<br />
Bewerbung<br />
um das Immaterielle<br />
Kulturerbe<br />
entgegenschlug:<br />
Er<br />
ist zwar<br />
wohlfeil,<br />
aber uninformiert<br />
Weltkulturerbe – stimmt: das sind die<br />
Plaketten, die man an manchen Baudenkmälern<br />
indet. Und es gab ja die<br />
Diskussion um die Hochhaus-Pläne<br />
am Kölner Rheinufer, die den Welterbe-Status des<br />
Dom gefährdeten; während das Dresdner Elbtal diesen<br />
Titel durch den Bau der Waldschlößchenbrücke<br />
2009 verlor. Weltkulturerbe, das ist Museum unter<br />
freiem Himmel, sozusagen. Und wenn der Eigentümer<br />
Schindluder mit seinen Museumsstücken treibt,<br />
wird ihm die Lizenz entzogen.<br />
Was aber ist Immaterielles Kulturerbe? Dazu die<br />
<strong>Deutsche</strong> UNESCO-Kommission: „<strong>Die</strong> Formen immateriellen<br />
Kulturerbes (…) sind Ausdruck von Kreativität<br />
und Erindergeist, vermitteln Identität und<br />
Kontinuität. Sie werden von Generation zu Generation<br />
weitergegeben und fortwährend neu gestaltet.<br />
Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater,<br />
Musik und mündliche Überlieferungen wie<br />
auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste.“ Man<br />
sieht: eine breite Palette. Man sieht aber auch: Sie<br />
hat andere Farben als die des materiellen Welterbes.<br />
<strong>Die</strong> Farbe des Musealen verblasst hier.<br />
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die<br />
Diskussion, ob sich die deutsche Theaterlandschaft<br />
als Immaterielles Kulturerbe bewerben soll, ziemlich<br />
zufallsgesteuert durchs Kriteriendickicht mäandert.<br />
Dass das Theater gleichwohl ein geeigneter<br />
Kandidat ist, belegt das Zitat zweifelsfrei: Es nennt<br />
die Darstellenden Künste ja ausdrücklich. Und dass<br />
es nicht um museale Erhaltung geht, zeigt die Formulierung<br />
der fortwährenden Neugestaltung. Auf<br />
das Theater passt sie bestens, auf den Dom zu Aachen<br />
(Materielles Kulturerbe) wohl kaum. All der<br />
Spott also, der dem <strong>Bühne</strong>nverein mit seiner Initiative<br />
zur Bewerbung um das Immaterielle Kulturerbe<br />
entgegenschlug: da wolle ein Verband seine<br />
Schäfchen unter der musealen Käseglocke ins Trockene<br />
bringen – er ist zwar wohlfeil, aber uninformiert.<br />
Und dass das Theater damit an die Seite volkstümlicher<br />
Traditionen tritt, sollte ihm nicht peinlich<br />
sein. Es hat ja selbst moderne Formen des Volkstheaters<br />
hervorgebracht, von Brecht über Kroetz und<br />
Mitterer bis zu George Tabori. Unlängst hat sich<br />
Dortmunds junger Schauspielintendant Kay Voges<br />
zu einem „modernen Volkstheater“ bekannt.<br />
Wenn sich Deutschland aber im Verlaufe des Verfahrens<br />
der internationalen Staatengemeinschaft mit<br />
etwas präsentiert, das es anderen Ländern voraus<br />
hat – iele das unter die Kategorie: „Am deutschen<br />
Wesen soll die Welt genesen“? <strong>Die</strong> Formel aus dem<br />
wilhelminischen Kaiserreich steht für die Überheblichkeit<br />
der „verspäteten Nation“ und hat damit die<br />
gleichen Wurzeln wie der Reichtum der deutschen<br />
Theaterlandschaft: Deutschlands so lange fortwirkende<br />
Zersplitterung in Kleinstaaten. Aber wäre es<br />
nicht wunderbar, wenn wir <strong>Deutsche</strong>n auf der Plattform<br />
der UNESCO darauf verweisen können, dass<br />
unsere speziische Geschichte eben nicht nur Wilhelminismus<br />
und Nazibarberei hervorgebracht hat,<br />
sondern auch eine Kunstform des kritischen öfentlichen<br />
Diskurses, die heute quicklebendig ist?<br />
Der Status eines Immateriellen Kulturerbes für die<br />
deutsche Theaterlandschaft wäre ehrenvoll, sowohl<br />
für die Theaterlandschaft wie auch für Deutschland.<br />
Inwieweit er ein einzelnes Theater zu schützen vermag,<br />
darf man bezweifeln; aber das ist auch nicht<br />
der Sinn der Sache. – Übrigens: <strong>Die</strong> Hochhäuser am<br />
Rhein wurden nicht gebaut. Der Dom ist noch immer<br />
Weltkulturerbe.<br />
Weitere Theatermeldungen<br />
www.die-deutsche-buehne.de
16 MAGAZIN<br />
Theatercomic<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Kantinenhelden<br />
Heute mit: Petra F. (47), 13. Semester Sinologie. Hobbys: Knifel,<br />
Wrestling und Rudern. Lebenshöhepunkt: Teilnahme am Strongest-Women-Contest<br />
1998 in Krakau. Lebensvision: ein eigenes Lokal
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 17<br />
Theatercomic<br />
Unser Zeichner Partick Bannwart (geboren in<br />
Wettingen/Schweiz) ist seit 2000 als Ausstatter tätig.<br />
Bekannt wurde er durch seine Zusammenarbeit mit<br />
dem Regisseur David Bösch. Daneben arbeitet er<br />
zunehmend als bildender Künstler. Aufmerksamkeit<br />
erregen auch immer wieder die von ihm reich<br />
illustrierten Programmhefte zu seinen Produktionen.<br />
Unser Texter Philipp Löhle (geboren 1978 in Ravensburg)<br />
zählt zu den meistgespielten deutschen Theaterautoren.<br />
Sein Stück „Lilly Link“ wurde 2008 mit den<br />
Jurypreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet,<br />
2<strong>01</strong>2 gewann er mit „Das Ding“ den Mülheimer<br />
Publikumspreis. Tätigkeit als Hausautor an verschiedenen<br />
Häusern, so in der Saison 2<strong>01</strong>3/14 am Theater Bern.<br />
Fotos: Privat, Fernando Perez
<strong>Die</strong> Online-Jobbörse für alle<br />
Berufe im Theater und Orchester
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 19<br />
<strong>Bühne</strong>nwelt<br />
<strong>Die</strong> Performerin Florentina Holzinger provoziert<br />
derzeit überall in Europa mit ihrer <strong>Bühne</strong>nkunst. In unserem<br />
neuen Format „Fundstück“ (S. 32) zeigen wir, was die Ästhetik<br />
der Künstlerin so eigen, skurril und anziehend macht. Das<br />
Bild zeigt Florentina Holzinger in ihrer Choreographie „Silk“.<br />
DB_2<strong>01</strong>4_<strong>01</strong>_BW_England<br />
Foto: Anna van Kooij
20 BÜHNENWELT<br />
Theaterfest<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1/2<strong>01</strong>4<br />
In jedem Jahr ist ein anderes deutsches<br />
Bundesland Partner bei der Verleihung des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Theaterpreises DER FAUST – bei<br />
FAUST<br />
der achten Verleihung<br />
war es das Land Berlin.<br />
Gastgeber in der Metropole:<br />
<strong>Die</strong> Staatsoper im<br />
Schiller Theater Berlin<br />
GALA<br />
Text_Bettina Weber<br />
Acht Jahre hat es gedauert. Dann kam die deutsche<br />
Hauptstadt dran. Und sie hatte ganz ofensichtlich<br />
darauf gewartet – das vermittelten jedenfalls die Begrüßungsworte<br />
des Regierenden Bürgermeisters von<br />
Berlin, Klaus Wowereit: „Wir haben uns lange darauf<br />
gefreut.“ Der FAUST sei ein Preis, der die Vielfalt<br />
der deutschen Theaterlandschaft abbilde, bei der<br />
man auf große, mittlere und kleine Häuser blickt. In<br />
der Tat, mit dem Theater Dortmund oder dem Oldenburgischen<br />
Staatstheater beispielsweise sind<br />
auch in diesem Jahr wieder großartige Theaterarbeiten<br />
aus kleineren Häusern durch Nominierungen<br />
gewürdigt worden – wenn auch die Preise letztlich<br />
überwiegend an die großen Namen gingen und<br />
eben leider auch kein Theater aus den Neuen Bundesländern<br />
dabei war. Zehn Fäuste für ein Halleluja:<br />
Ein bisschen Spannung wie im Western. Ja, man<br />
musste ausharren, konnte mitzittern, am Ende aber<br />
waren es eher erwartbare Sieger. Dennoch: Es war<br />
ein besonderer FAUST, in dieser großen Theaterstadt<br />
Berlin, im „guten, alten“ Schiller Theater und<br />
mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck als<br />
Gast. Moderator Peter Jordan, der 2007 in München<br />
schon einmal mit viel Witz und seinem Kollegen<br />
Bernd Moss durch die Preisverleihung geführt<br />
hatte, war eine sichere Bank: Mit dem nötigen<br />
Schmiss brachte er – wenn auch recht quotensichere<br />
– Anekdoten und Zitate vor und war dabei mühelos<br />
unaufgeregt, was zu einer gelösten Stimmung<br />
beitrug. Gefördert wurde die FAUST-Verleihung<br />
von der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung<br />
<strong>Deutsche</strong> Klassenlotterie Berlin.<br />
Vieles war in diesem Jahr ganz neu. Wie überall dort,<br />
wo der FAUST bislang vergeben wurde, oblag dem<br />
gastgebenden Theater die künstlerische Mitgestaltung<br />
des Abends. Jürgen Flimm, Intendant der<br />
Staatsoper, ließ sich nicht lumpen und entwarf sein<br />
ganz eigenes Regiekonzept. Business not as usual.<br />
Der wohl dominanteste Eingrif: Zum ersten Mal in<br />
der inzwischen achtjährigen FAUST-Geschichte gab<br />
es keine Laudatoren, stattdessen Filmeinspieler, in<br />
denen die Nominierten selbst zu Wort kamen – was<br />
den Aufwand im Vorfeld zwar erhöhte, aber ebenso<br />
die Intensität der Vorstellung aller einzelnen Künstler<br />
enorm verstärkte. Mit positiven Nebenefekten:<br />
Wer die gelobten Arbeiten nicht gesehen hatte, wurde<br />
durch zahlreiche Anregungen neugierig gemacht<br />
auf die Inszenierungen. Annette Kurz, die in der<br />
Kategorie „<strong>Bühne</strong>/Kostüm“ den Preis als erste Gewinnerin<br />
des Abends auf der <strong>Bühne</strong> entgegen nahm,<br />
las ihre Danksagung vom Blatt ab, sie sei einfach zu<br />
aufgeregt. Bridget Breiner, mit dem FAUST in der<br />
Kategorie „Choreograie“ für „Ruß“ am Musiktheater<br />
im Revier ausgezeichnet, bedankte sich strahlend
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 21<br />
Theaterfest<br />
GEFÜLLT MIT THEATERVOLK AUS<br />
DEM GANZEN LAND: DER SAAL<br />
DES BERLINER SCHILLER THEA-<br />
TERS BEI DER VERLEIHUNG DER<br />
FAUST-PREISE 2<strong>01</strong>3<br />
Fotos: Markus Nass (Foto Inge Keller: Iko Freese/DRAMA)<br />
CONSTANZE BECKER: „ICH FREUE MICH<br />
SEHR, WEIL DIE MEDEA FÜR MICH WIRK-<br />
LICH EINE GANZ BESONDERE ARBEIT WAR.<br />
WIE ICH NACH DER PREMIERE SO GE-<br />
DACHT HABE: SO MUSS THEATER SEIN.“<br />
ANNETTE KURZ: „ICH<br />
BEDANKE MICH BEI<br />
DER JURY, DASS SIE<br />
EINE ARBEIT AUSGE-<br />
ZEICHNET HAT, DIE<br />
WIRKLICH FÜR MEINE<br />
ARBEIT STEHT, ZWI-<br />
SCHEN THEATER UND<br />
BILDENDER KUNST.<br />
DAS BIN GANZ ICH.“<br />
BARBARA SCHNITZ-<br />
LER/INGE KELLER:<br />
INGE KELLER KONNTE<br />
AUS GESUNDHEITLI-<br />
CHEN GRÜNDEN<br />
LEIDER DEN PREIS<br />
NICHT SELBST ENTGE-<br />
GENNEHMEN, FÜR SIE<br />
KAM IHRE TOCHTER<br />
BARBARA SCHNITZ-<br />
LER. INGE KELLER<br />
SAGTE IM VIDEO:<br />
„ICH WAR KEIN STAR.<br />
ICH HAB VIELE GRO-<br />
SSE ROLLEN GE-<br />
SPIELT, BASTA.“
22 BÜHNENWELT<br />
Theaterfest<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1/2<strong>01</strong>4<br />
„Dann ist man kein<br />
Regisseur, dann ist man<br />
ein Fisch, der mitschwimmt<br />
mit den<br />
Fischen. Ich danke all<br />
diesen Fischen.“ Luk Perceval<br />
dafür, dass sie mit ihrer Compagnie in Gelsenkirchen<br />
so schnell „ein Zuhause“ gefunden habe, und<br />
Anna Süheyla Harms aus Stuttgart, Siegerin in der<br />
Kategorie „Darsteller/Darstellerin Tanz“, schien bei<br />
ihrer Danksagung an ihr Ensemble von Gauthier<br />
Dance ganz und gar überwältigt zu sein. Überhaupt<br />
dankten in diesem Jahr die Sieger vor allem ihrem<br />
Team. Luk Perceval, Preisträger in der Kategorie „Regie<br />
Schauspiel“ und ausgezeichnet für die gleiche<br />
Inszenierung, in der auch Annette Kurz für ihr <strong>Bühne</strong>nbild<br />
geehrt wurde („Jeder stirbt für sich allein“<br />
am Thalia Theater), fand dafür die vielleicht schönste<br />
Formulierung des Abends: „Alle, bis zum Hospitanten,<br />
waren mit ihrem Herzen dabei und das ist<br />
eine sehr, sehr schöne Erfahrung. Dann ist man kein<br />
Regisseur, dann ist man ein Fisch, der mitschwimmt<br />
mit den Fischen. Und ich danke all diesen Fischen,<br />
dass ich mitschwimmen durfte.“ Claus Guth, der im<br />
Musiktheater für die Regie von Debussys „Pelléas et<br />
Mélisande“ an der Oper Frankfurt ausgezeichnet wurde,<br />
beschrieb dasselbe Phänomen: Schon in den ersten<br />
Probentagen habe er gespürt, dass diese Produktion<br />
etwas anderes und ganz besonders sei, nicht<br />
zuletzt deshalb, weil die Sänger „so weit gegangen“<br />
seien. Immerhin wurde auch Christian Gerhaher für<br />
seine Rolle als Pelléas in derselben Inszenierung mit<br />
dem FAUST in der Kategorie „Sängerdarsteller/Sängerdarstellerin<br />
Musiktheater“ ausgezeichnet. Er hatte<br />
sich für seine charmante Danksagung eine erfrischende<br />
Portion Witz in die Tasche gesteckt: „Ich bin überhaupt<br />
nicht nervös“, sagte er schmunzelnd, „und<br />
möchte Ihnen auch gerne, kalt wie Hundeschnauze,<br />
sagen, wofür ich sehr dankbar bin.“ Das sei er insbesondere<br />
für die kulturelle Vielfalt in Deutschland,<br />
und so appellierte er zugleich an die Politiker, eben<br />
diese Diferenziertheit zu erhalten, wo doch andernorts<br />
oft nur Entertainment gefragt sei.<br />
Mina Salehpour, mit ihrer Inszenierung „Über<br />
Jungs“ Gewinnerin in der Kategorie „Regie Kinderund<br />
Jugendtheater“, bedankte sich ganz explizit<br />
beim Spielensemble des Grips-Theaters: „Ihr seid<br />
einfach die Größten!“ Theater ist, so sagte es auch<br />
Luk Perceval, nun mal ein Mannschaftssport. Das<br />
wurde auch durch die Vergabe eines Preises an ein<br />
ganzes Ensemble unterstrichen: Für seinen künstlerischen<br />
Einsatz während des Sanierungs-Desasters<br />
wurde das Schauspiel Stuttgart mit dem „Preis des<br />
Präsidenten“ geehrt. Eine Zeit, die, so Klaus Zehelein,<br />
„das Stuttgarter Schauspiel konterkarierend<br />
bravourös meisterte“, in denen es zwischen drei Ausweichspielstätten<br />
viermal hin und her zog, mit fast<br />
300 Mitarbeitern aller Gewerke. Ein „logistischer<br />
Wahnsinn als Antwort auf das von den Sanierern<br />
angerichtete, dreijährige Chaos“, so Zehelein.<br />
Das klingt nach Theater, so, wie es sein soll: Zusammenhalt,<br />
produktive Kreativität, bewegte Geister.<br />
Theater in seiner reinsten Form beschrieb auch<br />
Constanze Becker, die für ihre archaische Tragödinnen-Darstellung<br />
der Medea in Michael Thalheimers<br />
„Medea“ -Inszenierung am Schauspiel Frankfurt<br />
den FAUST in der Kategorie „Darsteller/Darstellerin<br />
Schauspiel“ erhielt. <strong>Die</strong> Inszenierung sei eine<br />
Arbeit gewesen, die auch ihr Vertrauen in das Theater<br />
bestärkt habe.<br />
Der Preis für das Lebenswerk ging in diesem Jahr an<br />
die große Schauspielerin Inge Keller. <strong>Die</strong> Interviewausschnitte<br />
mit ihr selbst, aber auch die Worte von<br />
Gregor Gysi und Theaterkollegen im Trailer sowie<br />
die lange Rede des Kritikers Hans <strong>Die</strong>ter Schütt<br />
führten vor, wie groß das Lebenswerk dieser „Grande<br />
Dame“ des Theaters ist: Eine Künstlerin der Sprache,<br />
der starken Gestik und Präsenz, die immer, ganz<br />
preußisch, mit größter Disziplin ihre zahlreichen<br />
großen Rollen so außerordentlich intensiv geformt<br />
hatte. Ihre Gesundheit reiche nicht aus, um den<br />
Preis persönlich entgegenzunehmen, so zitierte ihre<br />
Tochter Barbara Schnitzler, die den Preis stellvertretend<br />
entgegennahm, ihre Mutter in Anlehnung an<br />
die Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro.<br />
Nach diesem großen Ehrenpreis schließlich sangen<br />
der Kinderchor und der Jugendchor der Staatsoper,<br />
nachdem auch alle Gewinner auf die <strong>Bühne</strong> geholt<br />
worden waren: „There’s No Business Like Show-<br />
Business.“ Eine gelungene Show: Mit Auftritten von<br />
Daniel Barenboim und Ana Durlovski, mit einem<br />
starken Moderator, mit viel Rührung und Freude<br />
seitens der Preisträger. Nächstes Jahr werden die<br />
„FÄUSTE“ in Hamburg verliehen. Vielleicht setzt<br />
sich ja das Filme-statt-Laudatoren-Konzept durch.<br />
Fest steht: The Show must go on.
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 23<br />
Theaterfest<br />
HASKO WEBER MIT MIKRO, INMITTEN SEINES EHEMA-<br />
LIGEN STUTTGARTER SCHAUSPIELENSEMBLES UND<br />
NEBEN KLAUS ZEHELEIN (DRITTER VON LINKS): „CHA-<br />
OS IST VIELLEICHT EIN BISSCHEN ÜBERTRIEBEN, WEIL<br />
WIR GENAU DAS VERSUCHT HABEN ZU VERHINDERN.“<br />
ANNA SÜHYELA HARMS: „DAS IST SO EINE GROSSE<br />
EHRE, ICH HABE DAS ÜBERHAUPT NICHT ERWARTET.<br />
MAN TANZT ALS KÜNSTLER NICHT FÜR EINEN PREIS.“<br />
LUK PERCEVAL: „WAS WÄRE EIN REGIS-<br />
SEUR OHNE DIE MANNSCHAFT? ER WÜRDE<br />
GAR NICHT EXISTIEREN.“<br />
MINA SALEHPOUR: „DASS REGIE MEIN DING IST,<br />
STELLE ICH JEDEN TAG AUF PROBEN FEST!“<br />
KLAUS WOWEREIT: „DER FAUST TRÄGT<br />
DAZU BEI, KULTUR ALS ELEMENTAREN BESTANDTEIL<br />
UNSERER GESELLSCHAFT ZU WÜRDIGEN.“<br />
JOACHIM GAUCK UND DANIELA SCHADT:<br />
GEMEINSAM MIT SEINER LEBENSGEFÄHRTIN BESUCHTE<br />
IN DIESEM JAHR AUCH DER BUNDESPRÄSIDENT<br />
DIE FAUST-VERLEIHUNG UND DIE ANSCHLIESSENDE<br />
FEIER<br />
CHRISTIAN GERHAHER: „ICH BIN ZUTIEFST DANKBAR,<br />
DASS ICH IMMER WIEDER HIERHER ZURÜCKKOMMEN<br />
UND DIESE THEATER UND ORCHESTER UND OPERN-<br />
HÄUSER SEHEN KANN, WO MIT GRÖSSTER FREIHEIT<br />
ETWAS AUSPROBIERT WERDEN DARF.“<br />
CLAUS GUTH: „ICH FAND ES DIE BESTE FAUST-VER-<br />
LEIHUNG, DIE ICH ERLEBT HABE, WEIL ICH HEUTE<br />
DAUERND SACHEN ERLEBT HABE, WO ICH NACH DEM<br />
AUSSCHNITT DENKE: ICH MÖCHTE DAS GANZE SEHEN.<br />
EINE GUTE WERBEVERANSTALTUNG FÜRS THEATER!“
24 BÜHNENWELT<br />
Trend<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Supergute<br />
Stücke<br />
Trend<br />
Englischsprachige<br />
Dramen<br />
sind<br />
auf deutschen<br />
<strong>Bühne</strong>n<br />
präsenter<br />
denn je<br />
Text_ Detlev Baur<br />
LUCY WIRTH UND<br />
CHRISTOPH GAWEN-<br />
DA IN „ATMEN“.<br />
ERSTAUFFÜHRUNG<br />
AN DER SCHAUBÜH-<br />
NE AM LEHNINER<br />
PLATZ WAR AM 30.<br />
NOVEMBER 2<strong>01</strong>3
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 25<br />
Foto: Stephen Cummisky<br />
W elches Theater hat<br />
die Spielzeit programmatisch mit der<br />
Urauführung eines neuen deutschen<br />
Stücks begonnen? Bei welchem der<br />
zahlreichen neuen Schauspielintendanten<br />
dieser Saison steht neue deutsche<br />
Dramatik am Beginn seines Wirkens?<br />
Das Interesse an neuen deutschen Stücken<br />
scheint erlahmt. Stattdessen werden<br />
deutschsprachige Dramatiker zunehmend<br />
zu Auftragsautoren bei<br />
Projekten oder zu Umschreibern vorhandener<br />
Texte (siehe auch unsere Saisonvorschau<br />
in DdB 9/2<strong>01</strong>3). Es gibt<br />
zwar immer noch zahlreiche Urauführungen;<br />
im Gesamtspielplan der Theater<br />
spielen sie jedoch keine große Rolle,<br />
Zweitauführungen neuer Stücke sind<br />
ohnehin die Ausnahme. Der Stückemarkt<br />
des Berliner Theatertrefens will ab diesem<br />
Jahr, ganz am Puls der Zeit, keine<br />
neuen Stücke zugeschickt bekommen<br />
und in Lesungen vorstellen, sondern<br />
Nachwuchskünstler mit Paten eine performative<br />
Arbeit entwickeln lassen.<br />
Prägende englische Dramatik<br />
Und dennoch: Ganz tot ist der Dramatiker<br />
noch nicht. Doch schreibt er englisch:<br />
<strong>Die</strong> Spielzeit 2<strong>01</strong>3/2<strong>01</strong>4 zeigt einen<br />
starken Trend zu angelsächsischen Autoren.<br />
Dennis Kellys „<strong>Die</strong> Opferung von<br />
Gorge Mastromas“ , im Mai bei den<br />
Ruhrfestspielen uraufgeführt, steht in<br />
der Saison an sechs weiteren Theatern<br />
auf dem Programm, Alan Ayckbourns<br />
Stücke werden achtmal inszeniert (in der<br />
vergangenen Spielzeit dreimal), darunter<br />
die deutschsprachige Erstauführung von<br />
„Bürgerwehr“ am Theater Münster. Allein<br />
Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“<br />
drängt auf neun <strong>Bühne</strong>n, und nicht<br />
nur in kleinen, inanziell bedrängten<br />
Theatern wie Trier.<br />
Doch nicht nur quantitativ bilden Shakespeare<br />
und Söhne die dramatische Spitze.<br />
Der neue Kölner Schauspielintendant<br />
Stefan Bachmann eröfnete seine Spielzeit<br />
sogar mit Michael Frayns „Der nackte<br />
Wahnsinn“ (in einer Inszenierung von<br />
Trend<br />
Rafael Sanchez), auch FAUST-Preisträger<br />
Luk Perceval nahm sich am Hamburger<br />
Thalia Theater zum Saisonstart der Komödie<br />
über den Theaterwahnsinn an.<br />
Bachmann selbst inszenierte in Köln das<br />
amerikanische Kapitalismus-Epos „Der<br />
Streik“ (siehe DdB 12/2<strong>01</strong>3). In Kassel begann<br />
der Intendant Thomas Bockelmann<br />
die Spielzeit mit der Urauführung von<br />
Noah Haidles „Lucky Happiness Golden<br />
Express“; eine Familienhölle beschreibt<br />
auch Martin Crimps „In der Republik des<br />
Glücks“, das am <strong>Deutsche</strong>n Theater Berlin<br />
gerade seine deutschsprachige Erstaufführung<br />
hatte. Von Crimp gab es gar am<br />
<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhaus Hamburg<br />
Ende November eine Urauführung, inszeniert<br />
von Katie Mitchell: „Alles Weitere<br />
kennen Sie aus dem Kino“ (siehe die<br />
Kritik auf www.die-deutsche-buehne.de).<br />
<strong>Die</strong> neuen englischsprachigen Stücke prägen<br />
also deutlich die Proile der Häuser.<br />
Ausgeprägtes Vertrauen in<br />
Sprache und Figuren<br />
Nur eine Woche später wurde von Katie<br />
Mitchell an der Berliner Schaubühne<br />
„Atmen“ von Duncan Macmillan erstaufgeführt;<br />
und am 18. Januar 2<strong>01</strong>4 zeigt<br />
Hausherr Thomas Ostermeier seine erste<br />
Inszenierung der Saison. Es handelt sich<br />
um die Ausgrabung „<strong>Die</strong> kleinen Füchse“<br />
von Lilian Hellmann, ein amerikanisches<br />
Erfolgsstück aus dem Jahr 1939.<br />
Der Text bietet in traditionellen Dialogen<br />
ein Familiendrama vor dem Hinter-
26 BÜHNENWELT<br />
Trend<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
grund des Kapitalismus. Doch auch die<br />
neueren angelsächsischen Texte scheinen<br />
die deutschen Theatermacher durch bewährte<br />
Tugenden zu überzeugen: verbindliche<br />
Themen und gut geschriebene<br />
Dialoge.<br />
In „Atmen“ spricht ein Paar dialogisch<br />
über die Grenzen von Kommunikation,<br />
in David Greigs „<strong>Die</strong> Ereignisse“<br />
(deutschsprachig erstaufgeführt am<br />
Schauspielhaus Wien) spielt ein Laienchor<br />
eine Hauptrolle; selbst er spricht<br />
keineswegs nur chorisch, sondern auch<br />
dialogisch mit den Figuren. Selbst in<br />
Lucy Prebbles „The Efect“ (ab März am<br />
Hamburger Ernst-Deutsch-Theater), einem<br />
Stück über Identität und Gehirnforschung,<br />
plaudern die Figuren in gewohntem<br />
Wechselgespräch. Keine Spur von<br />
teutonisch aufgebrochenen Figurenabgrenzungen<br />
oder schwankenden Gestalten<br />
in verwischenden Textlächen. <strong>Die</strong><br />
englischsprachigen Theatertexte sind insgesamt<br />
durch ein starkes Vertrauen in die<br />
kommunikative Kraft der Sprache und<br />
eine fortwährendes Interesse an einzelnen<br />
Menschen geprägt.<br />
Viel gespielt: „Supergute Tage“<br />
Formal eine Ausnahme stellt „The Curious<br />
Incident of the Dog in the Night-<br />
Time“ von Mark Haddon dar. Denn es<br />
handelt sich dabei ursprünglich um einen<br />
(in Großbritannien sehr erfolgreichen)<br />
Roman, der in der <strong>Bühne</strong>nbearbeitung<br />
von Simon Stephens in London<br />
auch ein <strong>Bühne</strong>nrenner wurde. In seiner<br />
ersten Spielzeit in Deutschland erfährt es<br />
mit gleich neun Neuinszenierungen ei-<br />
PREMIEREN ENGLISCHSPRACHIGER DRAMEN IM JANUAR:<br />
10.1. Junges Schauspielhaus Düsseldorf: Simon Stephens nach Mark Haddon, „Supergute Tage“<br />
17.1. Staatstheater Braunschweig: Michael Frayn, „Der nackte Wahnsinn“<br />
18.1. Schaubühne am Lehniner Platz Berlin: Lillian Hellman, „<strong>Die</strong> kleinen Füchse“<br />
18.1. Landesbühne Niedersachsen Nord Wilhelmshaven: Dennis Kelly, „Waisen“<br />
25.1. Theater Heilbronn: Lucy Prebble, „Enron“<br />
29.1. Theater Bern: Dennis Kelly, „<strong>Die</strong> Opferung von Gorge Mastromas“<br />
30.1. Stadttheater Ingolstadt: Dennis Kelly, „<strong>Die</strong> Opferung von Gorge Mastromas“<br />
30.1. Theater Kanton Zürich in Winterthur: Dennis Kelly, „<strong>Die</strong> Opferung von Gorge Mastromas“<br />
nen massiven Start. Damit ist die Romanversion<br />
von „Supergute Tage oder <strong>Die</strong><br />
sonderbare Welt des Christopher Boone“,<br />
wie Stephens Bearbeitung in der deutschen<br />
Fassung heißt, auf gutem Weg, an<br />
den Erfolg der Jugendromanbearbeitung<br />
„Tschick“ anzuknüpfen. Bei diesem mit<br />
Abstand erfolgreichsten deutschen Stück<br />
der letzten Jahre handelt es sich – für die<br />
deutsche Dramatik bezeichnend – um<br />
die Bearbeitung eines Romans.<br />
<strong>Die</strong> deutschsprachige Erstaufführung<br />
von „Supergute Tage“ fand am Staatsschauspiel<br />
Dresden statt, in der Regie von<br />
Jan Gehler, der an selber Stelle schon<br />
„Tschick“ inszeniert hatte. Hauptigur ist<br />
nun der 15-jährige Christopher; als Asperger-Autist<br />
ist er ein Jugendlicher, der<br />
mit seiner Umwelt besondere Schwierigkeiten<br />
hat. Am Anfang steht<br />
– oder liegt vielmehr – der<br />
ermordete Hund der Nachbarin.<br />
Als der Junge versucht,<br />
den Hundemord aufzuklären,<br />
gerät er in familiäre Dramen.<br />
<strong>Die</strong> totgeglaubte Mutter lebt<br />
in London, der Vater erweist<br />
sich als Lügner und Hundemörder<br />
und Christopher<br />
schaft es trotz seiner Angst<br />
vor Menschenansammlungen,<br />
alleine zur Mutter zu rei-
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 27<br />
Trend<br />
„DER NACKTE<br />
WAHNSINN“ VON<br />
MICHAEL FRAYN<br />
AM HAMBURGER<br />
THALIA THEATER,<br />
„LUCKY HAPPINESS<br />
GOLDEN EXPRESS“<br />
VON NOAH HAIDLE<br />
IN DER URAUFFÜH-<br />
RUNG AM STAATS-<br />
THEATER KASSEL<br />
SOWIE „DER<br />
STREIK“ NACH AYN<br />
RAND IN DER<br />
THEATERFASSUNG<br />
STEFAN BACH-<br />
MANNS AM SCHAU-<br />
SPIEL KÖLN<br />
sen. Am Ende hat Christopher seinen<br />
eigenen kleinen Hund bekommen. Allerdings<br />
konnten alle drei Eröfnungsinszenierungen<br />
nicht restlos überzeugen (siehe<br />
der Kasten rechts). Christophers<br />
Zeichnungen oder mathematische Formeln<br />
nehmen nur schwer <strong>Bühne</strong>ngestalt<br />
an. <strong>Die</strong> sprachliche Kraft der in ihrer Einfachheit<br />
und Eigenwilligkeit auch witzigen<br />
Sprache geht in Barbara Christs <strong>Bühne</strong>ntextübersetzung<br />
(bis hin zum eher<br />
aufälligen als trefenden Titel) weitgehend<br />
verloren.<br />
Verlust durch Übersetzung<br />
Hierin liegt eine entscheidende Schwäche<br />
gegenüber dem Erfolgsstück „Tschick“,<br />
das gerade durch den sprachlichen Witz<br />
des Romans bühnenwirksam wird. Womit<br />
wir auch beim Manko für englischsprachige<br />
Dramatik in Deutschland wären:<br />
die übersetzte Sprache. Denn so<br />
präsent englische Texte seit Shakespeare<br />
auf deutschen <strong>Bühne</strong>n sind: Englisch gesprochen<br />
wird auf deutschen <strong>Bühne</strong>n in<br />
aller Regel noch nicht, auch wenn einige<br />
Häuser inzwischen zweisprachige Spielzeithefte<br />
produzieren oder die Berliner<br />
Schaubühne auch englische Übertitelung<br />
anbietet. Der Transfer ins <strong>Deutsche</strong> ist,<br />
gerade in Zeiten, in denen alles schnell<br />
gehen muss, im Zweifelsfall ein Verlustgeschäft<br />
für fremdsprachige Texte.<br />
<strong>Die</strong> drei ersten:<br />
„Supergute Tage“<br />
„SUPERGUTE TAGE“ MIT JONAS<br />
FRIEDRICH LEONHARDI AM STAATS-<br />
SCHAUSPIEL DRESDEN (OBEN).<br />
DARUNTER: SEBASTIAN BRUMMER<br />
AM SCHNAWWL MANNHEIM.<br />
UNTEN: JUSTUS VERDENHALVEN<br />
AM THALIA THEATER HALLE<br />
Staatsschauspiel Dresden:<br />
<strong>Die</strong> Inszenierung von „Supergute<br />
Tage“ durch Jan Gehler zeigt auf<br />
einer weiten <strong>Bühne</strong> (Sabrina Rox)<br />
und mit Videoprojektionen (Sami<br />
Bill) dauernde Herausforderungen<br />
für Christopher. Der wird von Jonas<br />
Friedrich Leonhardi eindrucksvoll<br />
als etwas eigener, auch von der<br />
Kopfhaltung her in sich verschlossener<br />
Heranwachsender gespielt.<br />
Manche Figuren der ambivalenten<br />
Erwachsenen wirken etwas<br />
unentschieden. <strong>Die</strong> Inszenierung<br />
hat dennoch ergreifende Szenen.<br />
Ein Höhepunkt am Ende: Jan<br />
Maak, der zuvor als Lebensgefährte<br />
der Mutter eher ein Gegenspieler<br />
war, verwandelt sich in Christophers<br />
Schoßhund.<br />
Schnawwl Mannheim:<br />
<strong>Die</strong> Inszenierung von Marcelo<br />
Diaz überzeugt vor allem im<br />
ersten Teil. Hier entwickelt<br />
besonders Uwe Topmann als<br />
liebevoller, hemdsärmliger und<br />
verunsicherter Vater ein spannendes<br />
Profil. Sebastian Brummer<br />
spielt einen Christopher, der fast<br />
wie ein Musterschüler wirkt,<br />
jedenfalls nichts Pathologisches an<br />
sich hat. Doch das Stück gerät mit<br />
über zwei Stunden sehr lang. Und<br />
durch die Nacherzählung der<br />
komplexen Handlung wird die<br />
Figurengestaltung eher verdeckt.<br />
Thalia Theater Halle:<br />
Boris von Poser ist der Regisseur<br />
der dritten Inszenierung in<br />
Deutschland: mit dem größten<br />
Ensemble und einem eher<br />
melancholischen, denn gehandicapten<br />
Christopher (Justus Verdenhalven).<br />
Auch in dieser Inszenierung<br />
gerät die prekäre Situation der<br />
Hauptfigur vor lauter Nacherzählen<br />
und -spielen aus dem Zentrum<br />
von „Supergute Tage“.<br />
Fotos: David Baltzer (2), N. Klinger (1), Christian Kleiner (1), Armin Smailovic (1), Falk Wenzel (1)
28 BÜHNENWELT<br />
Porträt<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
EFFEKTIV UND<br />
WAGEMUTIG<br />
<strong>Die</strong> neue Intendantin Katharina Kreuzhage führt das<br />
Theater Paderborn in die Gegenwart<br />
Vor dem Start rumpelte es gewaltig.<br />
Dass die neue Intendantin<br />
Katharina Kreuzhage<br />
fast das gesamte Ensemble<br />
entließ, führte bei den Paderborner Theaterfans<br />
zu Irritationen. Wenn man es<br />
nett ausdrücken will. 19 Jahre lang hatten<br />
sie mit einem gewachsenen Ensemble<br />
um die Leiterin Merula Steinhard-<br />
Unseld verbracht. Es war ein literarisch<br />
orientiertes, nettes Provinztheater, das<br />
im theaterreichen NRW kaum auiel.<br />
Aber in Paderborn ging eine stetig wachsende<br />
Zahl von Besuchern in die Kammerspiele.<br />
So wurde der Bau eines neuen<br />
Theaters möglich. Doch diese zentral<br />
gelegene, technisch perfekt ausgestattete<br />
<strong>Bühne</strong> braucht inhaltlich und ästhetisch<br />
Text_ Stefan Keim<br />
neuen Schwung. Deshalb holte Paderborn<br />
Katharina Kreuzhage, die in der<br />
baden-württembergischen Kleinstadt Aalen<br />
aus fast nichts packendes und sinnliches<br />
Theater gemacht hat.<br />
Nun soll Schluss sein mit dem braven,<br />
biederen Image. Katharina Kreuzhage<br />
hat viele zeitgenössische Stücke entdeckt,<br />
die größere Theater links liegen ließen.<br />
Und ungewöhnliche Stofe auf die <strong>Bühne</strong><br />
gebracht wie den Animationsfilm<br />
„Mary & Max oder Schrumpfen Schafe,<br />
wenn es regnet?“. Es ist die Geschichte einer<br />
tiefen Freundschaft zwischen einem<br />
achtjährigen Kind und einem 44-jährigen<br />
Mann. Beide fühlen sich einsam, eine Geschichte<br />
mit sanftem Witz, aber auch kritischem<br />
Blick auf soziale Entwicklungen. In<br />
Aalen war das eine Kultauführung, Anfang<br />
2<strong>01</strong>4 kommt sie nach Paderborn.<br />
Gestartet ist Katharina Kreuzhage allerdings<br />
mit einem Klassiker, Arthur Millers<br />
„Hexenjagd“. Das Drama um religiösen<br />
Fanatismus in einer amerikanischen<br />
Kleinstadt war in den fünfziger Jahren<br />
ein Gleichnis auf die Kommunistenverfolgung<br />
in den USA. Jeder verdächtigt<br />
jeden. Für die Regisseurin liegt der Bezug<br />
zum NSA-Abhörskandal nahe, zu Edward<br />
Snowden, aber auch zum heutigen<br />
Fundamentalismus. Wer allerdings klare<br />
Verweise auf der <strong>Bühne</strong> sucht, wird enttäuscht.<br />
Katharina Kreuzhage indet: Das<br />
schwingt in der Auführung mit, aber die<br />
Leistung, das zu erkennen, müssen die<br />
Zuschauer selbst bringen.<br />
<strong>Die</strong> energiegeladene Regisseurin mit<br />
dem herzlichen Lachen und der kraftvollen<br />
Stimme macht keine Gefälligkeitsinszenierungen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Bühne</strong>nbilder sind<br />
oft einfach gehalten. Da hat sich anscheinend<br />
in Aalen aus der Not eine ästhetische<br />
Tugend gebildet. Bei der „Hexenjagd“<br />
(siehe DdB 12/2<strong>01</strong>3) sind es zwei<br />
graue Stühle, ein Tisch, ein Bett. Den Rest<br />
schafen eine subtile Beleuchtung und<br />
die Schauspieler, die alle bei der Eröfnung<br />
dabei waren. „Ich wollte das gesamte<br />
neue Ensemble zusammen führen“,<br />
erklärt die Intendantin.<br />
Eine Woche später gab es bereits die<br />
Fotos: Marcel <strong>Die</strong>mer (2), Theater Paderborn (links)
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 29<br />
Porträt<br />
zweite Premiere, Shakespeares „Othello“,<br />
allerdings die Neueinstudierung einer<br />
Aalener Auführung. Sonst wäre das Pensum<br />
auch für das Arbeitstier Kreuzhage<br />
nicht zu schafen gewesen. Aber sie muss<br />
einen Spielplan aufbauen und hat dem<br />
Theater Paderborn direkt eine wichtige<br />
Änderung verordnet. Bisher wurde in<br />
Westfalen en suite gespielt, ein Stück nach<br />
dem anderen. Mit Katharina Kreuzhage<br />
hat der Repertoirebetrieb Einzug gehalten.<br />
Und da muss nach der erfolgreichen<br />
„Hexenjagd“ noch schnell ein „Othello“<br />
auf die <strong>Bühne</strong>.<br />
Wieder ist die dunkle <strong>Bühne</strong> fast leer.<br />
Zwei weiße, rechteckige Kästen auf Rädern<br />
werden herum gefahren. Oft stellen<br />
sie kleine Zimmer dar, in denen sich die<br />
Schauspieler drängen. Am Ende wird so<br />
ein Kasten zum Käig, in dem Othello<br />
seine Frau gefangen hält. William Shakespeares<br />
Stücke brauchen keine großen<br />
<strong>Bühne</strong>nbilder. <strong>Die</strong> Geschichten rein aus<br />
dem Spiel des Ensembles heraus zu entwickeln,<br />
entspricht einer langen und<br />
schönen Inszenierungstradition. Ihr<br />
Ahnherr Peter Brook wird im Programmheft<br />
zitiert.<br />
KATHARINA KREUZHAGE<br />
(LINKS) BEWEGT DAS PADER-<br />
BORNER THEATER<br />
(MITTE: GROSSER SAAL)<br />
RECHTS: LINDA MEYER<br />
(BETTY PARRIS),<br />
NATASCHA HEIMES<br />
(ABIGAIL WILLIAMS),<br />
MARIA THOMAS<br />
(MARY WARREN)<br />
UND ANNE BONTEMPS<br />
(SUSANNA WALLCOTT)<br />
IN „HEXENJAGD“<br />
Katharina Kreuzhage hat auf der<br />
Basis der Übersetzung von<br />
Erich Fried eine eigene Textfassung<br />
erstellt, die fast alle Charaktere<br />
zwiespältig darstellt. In zweieinviertel<br />
Stunden bringt sie das Stück auf<br />
den Punkt, eizient und präzise.<br />
Der Spielplan für ihre erste Saison ist<br />
eine Mischung aus Bodenständigkeit<br />
und Wagemut. Es gibt viele Klassiker auf<br />
der großen <strong>Bühne</strong>, Shakespeares „Othello“<br />
und Goethes „Stella“, auch das „Weiße<br />
Rössl“. Aber auch „<strong>Die</strong> Heimkehr“ des<br />
heute seltener gespielten britischen Autors<br />
Harold Pinter, ein andeutungsreiches<br />
Stück über Familie, Sexualität und<br />
Geldnot. Das ist schon Theater für ein<br />
fortgeschrittenes Publikum.<br />
Das Kindertheater wird unter der neuen<br />
Intendantin eine wichtigere Rolle spielen.<br />
Noch vor der großen eigenen Premiere<br />
kamen drei Jugendstücke heraus. „Außerdem“,<br />
erzählt Katharina Kreuzhage, „haben<br />
wir eine Industriehalle angemietet,<br />
um dort ein theaterpädagogisches Zentrum<br />
einzurichten“. Räume für Jugendclubs<br />
und andere Aktivitäten seien im<br />
Neubau des Theaters schlicht vergessen<br />
worden. Sechs junge Ensembles werden<br />
sich im neuen Haus bilden und ihre Stücke<br />
proben. „Im Foyer des Theaters richten<br />
wir ein ofenes Büro für die Theaterpädagogik<br />
ein. Wir wollen uns auch mit<br />
der lokalen Of-Szene vernetzen.“ Und<br />
natürlich Kontakte suchen zur Universität,<br />
zur Volkshochschule, zu den vielen<br />
Einrichtungen der Stadt. „Aber nur so<br />
weit unsere Kräfte es zulassen“, schränkt<br />
die Intendantin ein. Denn was zählt, ist<br />
das, was auf der <strong>Bühne</strong> passiert.
30 BÜHNENWELT<br />
Fotoessay<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
MEIN HAUS<br />
IN ZEHN BILDERN<br />
Jedes Theater hat<br />
seinen eigenen<br />
Charakter. Und jeder<br />
Mitarbeiter hat seine<br />
ganz persönliche<br />
Perspektive auf das<br />
„eigene“ Haus:<br />
Wie sieht ein Theater<br />
aus, wenn man<br />
täglich dort arbeitet?<br />
Andrea Bartsch<br />
zeigt uns die<br />
Staatsoper Hannover<br />
aus ihrem ganz<br />
eigenen Blickwinkel<br />
OPERNBALL: ANDREA BARTSCH IM GESPRÄCH<br />
BEIM OPERNBALL, DEM „SCHÖNSTEN BALL<br />
NORDDEUTSCHLANDS“ (NDR)<br />
DORNRÖSCHEN: DENIS PIZA UND CATHERINE<br />
FRANCO BEIM SCHLUSSAPPLAUS VON „DORN-<br />
RÖSCHEN“, BALLETT VON JÖRG MANNES<br />
OBERES FOYER: BELEUCHTETE<br />
WEGE ZUM 1., 2. UND 3. RANG<br />
ADVENTSKALENDER: DAS PUBLIKUM WARTET<br />
AUF DEN FOYER-TREPPEN AUF DEN BEGINN DES<br />
IM DEZEMBER TÄGLICH STATTFINDENDEN<br />
ADVENTSKALENDERS<br />
OPERNPREMIERE "STREET SCENE": KURZ VOR<br />
DER LETZTEN OPERNPREMIERE DES JAHRES<br />
2<strong>01</strong>3: „STREET SCENE“ VON KURT WEILL
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 31<br />
Fotoessay<br />
LAVES-BALKON AM ABEND: ABENDSTIMMUNG<br />
AUF DEM OPERNBALKON WÄHREND<br />
DER JUGENDKONZERTNACHT „OPEN STAGE“<br />
ORCHESTERFOTO: MAKING OF ORCHESTERFOTO<br />
MIT FOTOGRAF THOMAS M. JAUK<br />
MALEN VOR DER OPER: AUF DEM OPERNPLATZ<br />
WIRD DAS HAUS ABGEMALT UND GEZEICHNET<br />
STAATSTHEATER-STRASSENBAHN: DIE STAATS-<br />
THEATER-STRASSENBAHN, GESTALTET MIT TITELN<br />
UND SYMBOLEN DER JUNGEN OPER HANNOVER<br />
VEREINT FÜR HANNOVER: AKTION DER INITIATI-<br />
VE „VEREINT FÜR HANNOVER“, DIE 2<strong>01</strong>1 VON<br />
STAATSTHEATER UND HANNOVER 96 GEGRÜNDET<br />
WURDE UND SOZIALE PROJEKTE FÖRDERT<br />
ANDREA BARTSCH<br />
Noch während ihres Studiums<br />
der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft,<br />
Germanistik und<br />
Niederlandistik begann Andrea<br />
Bartsch unter anderem als<br />
Dramaturgin und Pressereferentin<br />
am Kölner Theater der Keller<br />
zu arbeiten, anschließend<br />
wechselte sie an das Wolfgang<br />
Borchert Theater in Münster.<br />
Von 2007 bis 2<strong>01</strong>1 leitete sie die<br />
Presse- und Öfentlichkeitsarbeit<br />
am Hessischen Staatstheater<br />
Wiesbaden. Seit der Spielzeit<br />
2<strong>01</strong>1/12 ist sie an der Staatsoper<br />
Hannover als Pressesprecherin<br />
und Leiterin der Presse- und<br />
Öfentlichkeitsarbeit engagiert.
32 BÜHNENWELT<br />
Fundstück<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Sophisticated<br />
trash<br />
Fundstück<br />
Mit ihrer provokanten Performance-Kunst<br />
sorgt Florentina Holzinger, 1986 in Wien<br />
geboren, Absolventin der School for New<br />
Dance Development in Amsterdam,<br />
derzeit europaweit für Furore. Einblicke in<br />
ihr Konzept und ihre Kunst
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 33<br />
Fundstück<br />
FLORENTINA<br />
HOLZINGER IN „KEIN<br />
APPLAUS FÜR<br />
SCHEISSE“, RECHTS<br />
GEMEINSAM MIT<br />
VINCENT RIEBEEK<br />
Fotos: privat (linke Seite), Joop Pareyn (oben rechts)<br />
Eine junge Frau in Schulmädchen-Uniform<br />
imitiert die hypersexualisierten Bewegungen<br />
von Rihanna. Oder von Britney Spears.<br />
Oder von Miley Cyrus. Sie bedient sich des<br />
Verhaltensvokabulars, mit dem junge Frauen, ob in<br />
Schulmädchen-Uniform oder Krankenschwester-<br />
Kostüm, neben ihrer Stimme auch ihren Körper<br />
anbieten. Es ist eine großzügige Geste; Florentina<br />
Holzinger verausgabt sich, bietet Stimme, Körper,<br />
Perücke. Durch das Dickicht der popkulturellen<br />
Souveränität schimmert es dann rosarot, das<br />
menschliche Fleisch, das eigentlich zerbrechliche<br />
Sein. Wenn die junge Frau in den Seidenbahnen<br />
hängt, ist es eine kalkulierte Verausgabung ihrer körperlichen<br />
Fähigkeiten, ihres erlernten Handwerks.<br />
Auf die Akrobatik-Nummer folgt der Sturz, folgt der<br />
Rollstuhl. Der absolute Ruin auf der <strong>Bühne</strong> bedeutet<br />
den Triumph der Choreographin. Das Solo „Silk“<br />
ist 2<strong>01</strong>1 in Zusammenarbeit mit dem Musiker S. M.<br />
Snider als Abschlussarbeit entstanden und wurde<br />
2<strong>01</strong>2 im Rahmen des Wiener Festivals ImPulsTanz<br />
mit dem Prix Jardin d`Europe ausgezeichnet.<br />
Im Sommer 2<strong>01</strong>3 stürzte Holzinger wirklich während<br />
einer Auführung des Stücks „Kein Applaus<br />
für Scheiße“ (noch während der Studienzeit als Duo<br />
mit Vincent Riebeek entstanden, seither europaweit<br />
auf Tour) aus drei Metern Höhe mit dem Gesicht<br />
voran auf den Boden. <strong>Die</strong> Verankerung der<br />
Stofbahnen an der Decke hatte nachgegeben. Eine<br />
Anekdote, die den Mythos einer radikalen <strong>Bühne</strong>n-<br />
Persönlichkeit nähren mag. Im Herbst 2<strong>01</strong>3 wurde<br />
dasselbe Stück im Rahmen der Austrian Dance Days<br />
in Bukarest gezeigt. Der ursprünglich vorgesehene<br />
Veranstaltungsort, das Theater Odeon, verweigerte<br />
kurzfristig die Nutzung. Zu vulgär sei das Ganze,<br />
zumal Riebeek je einmal erbricht und uriniert. In<br />
Holzingers Dekolletee.<br />
<strong>Die</strong> Schlagworte fremdverfasster Pressetexte lauten:<br />
Punk, Trash, Furchtlosigkeit, Rücksichtslosigkeit.<br />
Riebeek und Holzinger nennen es „sophisticated<br />
trash“. Trash meint dabei weniger Achtlosigkeit, als<br />
vielmehr Sorglosigkeit. Fragen nach zentralen Themen<br />
gehen geradewegs an diesem künstlerischen<br />
Schafen vorbei. Für die beiden ofenbart sich die<br />
<strong>Bühne</strong> als Gestaltungs- und Ehetherapie. Für das<br />
Publikum entfaltet sich dort ein willkürlicher Umgang<br />
mit Symbolen der Populärkultur. Phänomene<br />
des Ekels werden genauso aufgegrifen wie Zwischenmenschliches<br />
oder Relexionen auf die Kunst,<br />
immer gerade durch ihre Detailtreue und Privatheit<br />
ins Allgemeine gespiegelt. Es ist ein Angebot.<br />
Wir sollen daran eine Erfahrung machen. Es ist die<br />
Frage nach dem wie, nicht nach dem was, die auf<br />
dieser <strong>Bühne</strong> umgeht.<br />
<strong>Die</strong> augenscheinliche Inhaltsleere des <strong>Bühne</strong>ngeschehens<br />
erfordert eine Eigenleistung des Publikums,<br />
und es könnte eben auch Volleyball sein, mit<br />
dessen Mitteln Holzinger das Publikum herausfordert,<br />
anders über das eigene Leben nachzudenken,<br />
„das Publikum zum Engagieren“ zwingt. Holzinger<br />
spricht oft von Hingabe. In-your-face-theatre trift<br />
die Sache schon eher. Und wenn es funktioniert,<br />
dann ist es, recht nüchtern gesprochen, ein magischer<br />
Vorgang.<br />
Demgemäß spielen Überlegungen zu Manipulation<br />
und Spiritualismus eine große Rolle in den Probenprozessen.<br />
<strong>Die</strong> Nähe von Religion und Theater im<br />
Erleben gipfelt für Holzinger in der Annahme: „Ich<br />
könnte etwas anderes sein“. Das ist romantisch. Frei<br />
nach Schlingensief und Abramovic könnte man sagen:<br />
„Weiter, weiter, weiter.“<br />
WEBINFO: WWW.FLOHOLZINGER.WORDPRESS.COM<br />
DIE AUTORIN<br />
Theresa Luise<br />
Gindlstrasser lebt<br />
und arbeitet in<br />
Wien. Macht dort<br />
Philosophie und<br />
performative<br />
Kunst. Im Sommer<br />
2<strong>01</strong>3 absolvierte<br />
sie ein Praktikum<br />
bei der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Bühne</strong>.<br />
Foto: Alex Nosch
34 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Schwerpunkt<br />
der multiple<br />
schauspieler<br />
Traditionell spielen Schauspieler<br />
im Stadttheater viele unterschiedliche<br />
Rollen. Doch der Beruf befindet<br />
sich in einer tief greifenden<br />
Veränderung und wird vielfältiger:<br />
Schauspieler treten außerhalb des<br />
Theatergebäudes auf, agieren gemeinsam<br />
mit Laien oder spielen<br />
ihre persönliche Biographie<br />
Foto: Maurice Korbel
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
SCHWERPUNKT 35<br />
Bremer Spielweisen 36<br />
Porträt Joachim Meyerhoff 40<br />
Performance vs. Mimesis 44<br />
Neues Schauspiel in Freiburg 48<br />
Proben bei Hans-Werner Krösinger 50<br />
Zusammenspiel mit Laien 53<br />
„PLANET DER FRAUEN“.<br />
DIE KAMPFOPERETTE VON MAXI<br />
OBEXER UND BERNADETTE LA<br />
HENGST HATTE IM MÄRZ 2<strong>01</strong>2 AM<br />
THEATER FREIBURG PREMIERE
36 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
die probe als<br />
suchmaschine<br />
Text_ Michael Börgerding<br />
Zwischen Repräsentation und<br />
Partizipation. Der Bremer<br />
Intendant Michael Börgerding<br />
über die Arbeit der Schauspieler<br />
an seinem Theater<br />
Ein Monatsspielplan im<br />
Oktober am Theater Bremen: neunzehn<br />
Schauspielerinnen und Schauspieler<br />
spielen „Unschuld“ von Dea Loher,<br />
„Woyzeck“ von Wilson/Waits, die szenische<br />
Recherche „War da was? <strong>Die</strong> Hübner-Jahre“,<br />
gemeinsam mit Obdachlosen,<br />
Prostituierten und Straßenmusikern die<br />
„Bremer Straßenoper“, die Romanadaption<br />
„Schimmernder Dunst über Coby<br />
County“, den Leonhard-Cohen-Liederabend<br />
„I’m Your Man“, Schillers „Räuber“<br />
und als Übernahmen aus der letzten<br />
Spielzeit „<strong>Die</strong> Afäre in der Rue de<br />
Lourcine“ und „Buddenbrooks“. Im November<br />
kommen neu dazu: das Familienstück<br />
„Brüder Löwenherz“, die Uraufführung<br />
„Tod-krank.Doc“ von Elfriede<br />
Jelinek, Tschechows „Der Kirschgarten“<br />
und als Wiederaufnahme Jelineks „Aber<br />
sicher!“ sowie die Performance „Der perfekte<br />
Mensch“.<br />
Schauspiel in Bremen<br />
und andernorts<br />
Stadttheater as usual? Mag sein. So oder<br />
so ähnlich sehen noch einige andere<br />
Spielpläne im deutschsprachigen Theater<br />
aus, sicher mit anderen Schwerpunkten<br />
und Gewichtungen, vielleicht nicht unbedingt<br />
an einem Vierspartentheater<br />
und auch nicht unbedingt an einem<br />
Haus mit einem so kleinem Ensemble –<br />
obwohl, wenn ich beispielsweise nach<br />
Oldenburg schaue oder nach Freiburg,<br />
und sehe, was Mark Zurmühle in Göttingen<br />
auf die Beine stellt: So ungewöhnlich<br />
ist das nicht, was wir hier zusammen in<br />
Bremen machen.<br />
Verantwortlich als Regisseure für die<br />
vierzehn Inszenierungen sind die Hausregisseure<br />
Felix Rothenhäusler (mit<br />
gleich vier Inszenierungen), Alexander<br />
Riemenschneider („Unschuld“ und<br />
„Aber sicher!“), der Artist in Residence<br />
Alexander Giesche, Klaus Schumacher<br />
mit zwei Arbeiten und als Gäste mit je<br />
einer Arbeit Lola Arias, Alize Zandwijk,<br />
Mirko Borscht, Frank Abt, Gernot Grünewald.<br />
Auch hier gilt vielleicht: Stadttheater<br />
as usual. Und auch hier: Mag sein! Von<br />
außen betrachtet sind das ein paar junge<br />
Talente (davon drei von der Theaterakademie<br />
Hamburg, einer aus Gießen), zwei,<br />
drei erfahrene Regisseure, zwei, drei, die<br />
sich in den letzten Jahren durchgesetzt<br />
haben und wie so oft: zu wenig Frauen.<br />
Man kann es aber auch ganz anders beschreiben:<br />
nämlich als eine Palette von<br />
sehr unterschiedlichen bis zu widersprüchlichen<br />
Regiepersönlichkeiten und<br />
in der Summe als eine Herausforderung<br />
oder gar Überforderung für ein Ensemble,<br />
das sich in kurzer Zeit mit deren Handschriften<br />
auseinander zu setzen hat.<br />
Der Fußballtrainer und Philosoph Chris-
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 37<br />
Der multiple Schauspieler<br />
LANDSCHAFT MIT<br />
STÜHLEN UND<br />
KOSTÜMEN.<br />
EINE IMPRESSION<br />
AUS DEM THEATER<br />
BREMEN<br />
tian Streich hat auf die Frage, warum er<br />
den Fußball so liebe, geantwortet: „Fußball<br />
ist ganz einfach und furchtbar kompliziert.<br />
Furchtbar kompliziert, weil der<br />
Fußball ein Mannschaftsspiel ist.“ Das<br />
gleiche gilt sicher für das Theater, zumal<br />
schon der Wunsch, ein Anderer als man<br />
selbst zu sein, so einfach wie kompliziert<br />
ist. Darstellung, Menschendarstellung<br />
wie Darstellung einer Situation, ist eine<br />
Einmalerindung wie das Spiel mit dem<br />
runden Ball. Einmalerindung meint in<br />
der Soziologie: Fußball und Theater wird<br />
es immer geben, die Frage ist nur, in welcher<br />
Form: auf dem Bolzplatz oder im<br />
Stadion, auf der Straße oder auf der <strong>Bühne</strong><br />
beziehungsweise im Stadttheater.<br />
Komplexe Menschendarstellung<br />
Der Akt der Darstellung an sich ist ja ein<br />
höchst komplizierter: Der Schauspieler<br />
ist der einzige Künstler, der Kunst produziert<br />
und zugleich ein Kunstprodukt ist,<br />
der etwas herstellt, was er selber auch<br />
ist. Er ist jemand, der spielt und der sich<br />
zugleich beobachtet beim Spielen. Und<br />
natürlich wird es noch komplizierter,<br />
trift ein solcher Darsteller auf einen<br />
zweiten Darsteller. Der ihm wieder einen<br />
Spiegel vorhält. Und weiter auf eine<br />
dritte Figur oder auf einen Chor. Und<br />
vollends kompliziert wird es, wenn diesen<br />
Darstellern auch<br />
noch zugeschaut wird.<br />
Und dass nicht nur auf<br />
der Probe von dem einen<br />
Regisseur (der morgen<br />
ein anderer sein<br />
kann), sondern von – sagen<br />
wir – 800 Menschen,<br />
zum Beispiel im<br />
Theater am Goetheplatz<br />
in Bremen.<br />
Der SChauspieler<br />
ist der einzige<br />
Künstler, der<br />
Kunst produziert<br />
und zugleich ein<br />
Kunstprodukt<br />
ist – herstellt,<br />
was er selber<br />
auch ist<br />
Und es kommt wieder etwas Zusätzliches<br />
dazu – das als einzelnes Phänomen so<br />
neu nicht ist, aber als Summe sicher bemerkenswert:<br />
Es geht auch im bürgerlichen<br />
Stadttheater nicht mehr nur um die<br />
Darstellung oder Repräsentanz von Menschen<br />
und Situationen, sondern es kommen<br />
ganz neue (und ganz alte) Herausforderungen<br />
auf die Schauspieler zu;<br />
Herausforderungen, für die es noch keine<br />
kanonisierten Begrifflichkeiten gibt.<br />
Schauspieler und Schauspielerinnen in<br />
Bremen begleiten auf der Probe wie auf<br />
der <strong>Bühne</strong> Obdachlose beim Spielen (wie<br />
in der Straßenoper von Lola Arias), sie<br />
befragen Zeitzeugen und agieren als deren<br />
Stellvertreter (wie in Gernot Grünewalds<br />
szenischer Recherche „War da<br />
was?“) oder sie generieren ihre Texte und<br />
Bewegungsabläufe im Verlauf der Proben<br />
vollkommen selbst (wie in den Performances<br />
von Alexander Giesche).<br />
Auf der anderen Seite suchen sie mit den<br />
Regisseuren nach Ausdrucksformen und<br />
Setzungen, die größer als das psychologische<br />
Spiel sind; sie suchen nach Selbstbehauptung,<br />
Pathos, Sprache,<br />
Rhythmus jenseits<br />
von Realismus. Das<br />
Pendel schlägt dabei extrem<br />
aus zwischen monologischem<br />
Spiel und<br />
Ensemblespiel: Entweder<br />
steht der Schauspieler<br />
alleine auf der großen<br />
leeren <strong>Bühne</strong>,<br />
spricht und spielt zur<br />
Not auch gleich alle anderen<br />
Figuren mit (wie in Rothenhäuslers<br />
„Räuber“), oder es sind gleich alle<br />
Spieler/innen, und zwar fast durchgängig,<br />
auf der vollgestellten <strong>Bühne</strong> und<br />
machen merkwürdige Dinge (etwas, was<br />
Alize Zandwijk liebt).<br />
Gemeinsam ist beiden Tendenzen die<br />
Hinwendung zu partizipativen Projekten<br />
(mit oder ohne Experten des Alltags)<br />
wie die zum Monolog oder zum chorischen<br />
Spiel – die Entfernung oder Abgrenzung<br />
von dem, was man wohlwollend<br />
als Handwerk des Schauspielers<br />
bezeichnen könnte. Oder als zu hinterfragende<br />
Konvention – und dazu gehört<br />
nicht nur der so oft als verlogen erlebte
38 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Identiikationsgestus eines scheinbar natürlichen<br />
Spiels, dazu gehört auch mittlerweile<br />
ein falsch verstandenes Hochleistungsdarstellertum,<br />
in dem eher<br />
gezeigt wird, was man alles kann – Brüche<br />
spielen, aus der Rolle ausbrechen,<br />
Hysterien aus dem Stand präsentieren –,<br />
als dass man tatsächlich etwas zu erzählen<br />
hätte.<br />
Und so versuchen nicht nur in Bremen<br />
Schauspieler und Schauspielerinnen von<br />
Produktion zu Produktion, von Probe zu<br />
Probe sich mit ihren wechselnden Partnern<br />
auf Begrife zu verständigen, die<br />
seltsam nebulös bleiben: Partizipation,<br />
Durchlässigkeit, Kommunikation, Selbstermächtigung,<br />
Realität<br />
<strong>Die</strong> Probe selbst<br />
ist ein Experimentalsystem.<br />
Probieren ist<br />
mehr als ein<br />
Medium für vorgefertige<br />
GEdanken<br />
und Sätze<br />
des <strong>Bühne</strong>nvorgangs. Sie<br />
befragen notwendigerweise<br />
im Probieren die<br />
scheinbaren Alternativen<br />
Szene/Ansprache,<br />
Dramatik/Postdramatik,<br />
Darstellung/Sein, Repräsentanz/Präsenz.<br />
Meine<br />
Vermutung ist, dass das<br />
Ungefähre in der Begriflichkeit<br />
eine Chance ist. Von dem Soziologen<br />
Dirk Baecker stammt die Beobachtung,<br />
dass man, wenn es kompliziert<br />
wird, Bewegungsspielräume gewinnt.<br />
„Wenn man möglichst kompliziert an<br />
die Sachen heranzugehen versucht, hat<br />
man schließlich immer mehr Lösungen<br />
zur Hand, als sich Probleme stellen. Das<br />
heißt, man kann wählen.“ An diesem<br />
Punkt lohnt es, einen vorsichtigen Blick<br />
dorthin zu werfen, wo es am kompliziertesten<br />
in der Beschreibung zugeht, vielleicht<br />
aber das Neue in der Anforderung<br />
an den Schauspieler überhaupt verhandelt<br />
wird. Ich würde vorschlagen, diesen<br />
Ort auf der Probe zu vermuten.<br />
Forschung nach dem<br />
Unbekannten<br />
Der Philosoph und Wissenschaftshistoriker<br />
Hans-Jörg Rheinberger ist Direktor<br />
am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte<br />
in Berlin. In seinen Untersuchungen<br />
fragt er, was es eigentlich<br />
heißt, etwas Unbekanntes zu erforschen.<br />
Sein Hauptaugenmerk richtet sich dabei<br />
auf die „Strukturen des Experiments“,<br />
die er durch genaue rekonstruktive<br />
Analysen<br />
der biowissenschaftlichen<br />
Laborarbeit zu<br />
entschlüsseln sucht. Im<br />
Gegensatz zum üblichen<br />
Selbstverständnis<br />
der forschenden Wissenschaften<br />
zeigt Rheinberger<br />
auf, dass weniger<br />
Planung und Kontrolle<br />
als vielmehr Improvisation und Zufall<br />
den Forschungsalltag prägen: „Man kann<br />
das Forschen als eine Suchbewegung charakterisieren,<br />
die sich auf der Grenze zwischen<br />
dem Wissen und dem Nichtwissen<br />
bewegt. Das Grundproblem besteht darin,<br />
dass man nicht genau weiß, was man<br />
nicht weiß.“ Damit ist das Wesen der Forschung<br />
kurz, aber bündig ausgesprochen.<br />
Keineswegs sei es so, dass die Theorie<br />
„dem Experimentator den Weg weist“,<br />
sondern umgekehrt: Unerwartete Ergebnisse<br />
von Experimenten führen zu neuen<br />
Theorien, denen erst in nachträglicher<br />
Geschichtsschreibung eine vermeintlich<br />
zwangsläuige „Logik der Forschung“ zugeschrieben<br />
wird.<br />
Rheinbergers Epistemologie des Experiments<br />
hat dabei vielfältige Verbindungen<br />
zu Ansätzen der Semiotik und der<br />
Literaturtheorie. Für die poststrukturalistische<br />
Semiotik ist das Schreiben nicht<br />
nur ein Aufzeichnen von Daten, Tatbeständen<br />
oder Ideen, nicht einfach das<br />
transparente Medium der Gedanken.<br />
Das Schreiben gibt den Gedanken vielmehr<br />
eine materielle Verfassung – und<br />
zwar eine, die das Entstehen von etwas<br />
Neuem ermöglicht. Noch einmal Rheinberger:<br />
„Ich möchte behaupten, dass die<br />
wichtigste Quelle des Neuen (...) das<br />
Schrei ben selbst ist. Man könnte hier<br />
Heinrich von Kleists ‚Über das allmähliche<br />
Verfertigen der Gedanken beim Reden’<br />
aufgreifen. Man muss aber nicht nur<br />
vom Verfertigen, sondern auch vom Verfestigen<br />
und Verändern der Gedanken<br />
beim Schreiben sprechen. Das Schreiben,<br />
so behaupte ich, ist selbst ein Experimentalsystem.“<br />
Meine Übertragung ist möglicherweise<br />
ein wenig gewagt – Übertragungen funktionieren<br />
ja eigentlich nur im Traum<br />
und bedürften der Analyse: <strong>Die</strong> Probe<br />
selbst ist ein Experimentalsystem. Probieren<br />
ist mehr als ein Medium für vorgefertigte<br />
Gedanken und Sätze. Auch das<br />
theoriefreie Spielen begründet Bahnen,<br />
Fotos: Jörg Landsberg
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 39<br />
Der multiple Schauspieler<br />
auf denen Spuren hinterlassen<br />
werden, auf die<br />
man zurückkommen<br />
kann und über die man<br />
hinausgehen kann – indem<br />
man es einfach tut.<br />
Es vollzieht sich nicht nur eine Verwandlung<br />
der Existenzweise von Sinngebilden,<br />
sondern es entstehen auch neue, die<br />
sich, „wie alle neuen Erwerbe wieder sedimentieren<br />
und wieder zu Arbeitsmaterialien<br />
werden“.<br />
<strong>Die</strong> Probe als Ort der Suche<br />
Traut man der Probe diese Möglichkeiten<br />
zu, ließe sie sich als Experiment im<br />
Sinne Rheinbergers beschreiben. <strong>Die</strong><br />
Probe wäre dann „eine Suchmaschine“,<br />
aber von merkwürdiger Struktur: Sie erzeugt<br />
Dinge, von denen man immer nur<br />
nachträglich sagen kann, dass man sie<br />
hätte gesucht haben müssen. <strong>Die</strong> Erkenntnis<br />
ist immer etwas a posteriori.<br />
Oder um es mit Christoph Georg Lichtenberg<br />
zu sagen: ‚Man muss etwas Neues<br />
machen, um etwas Neues zu sehen.’“<br />
Aber auch ein solcher Lobgesang des kreativen<br />
Experiments im Probenprozess<br />
muss sich gleich in Frage stellen – angesichts<br />
seiner beunruhigenden Nähe zu<br />
dem neuen Parameter des Kapitalismus,<br />
das uns alle durchdringt: Verwirkliche<br />
dich selbst, sei kreativ, mach dein Ding!<br />
Das ökonomische Experiment ist aber<br />
eines des Schicksals. Es beugt sich der<br />
Verwertbarkeit. Es ist immer nur ein Mittel<br />
zum Gelingen. Das ästhetische Experiment<br />
hingegen ist eines der Freiheit,<br />
Nur wenn Schauspieler<br />
und<br />
Zuschauer von<br />
sich, wenn wir<br />
von uns absehen,<br />
werden wir<br />
etwas anderes<br />
entdecken als<br />
uns selbst<br />
eben kein Mittel zum<br />
Gelingen. Zum Gelingen<br />
einer ästhetischen<br />
Erfahrung bedarf es, so<br />
der Philosoph Christoph<br />
Menke, eines Risikos,<br />
nämlich des Risiko, dass man sich<br />
der Formlosigkeit aussetzt. Das Formlose<br />
und das freie Spiel der Bedeutungen sind<br />
die Freiheit vor jeder Bestimmung. <strong>Die</strong><br />
Kunst wäre so das Gegenexperiment zu<br />
den Schicksalsexperimenten, die wir gesellschaftlich<br />
bei Strafe des Scheiterns<br />
vollziehen müssen. Dazu brauchen wir<br />
die Kunst (und die Probe): Um die Möglichkeit<br />
von Freiheit jenseits der gesellschaftlichen<br />
Anpassung zu erfahren.<br />
Im Theater ließen sich zwei Bedingungen<br />
für dieses notwendige Risiko benennen:<br />
zum einen die Preisgabe der eigenen<br />
Persönlichkeit als Schauspieler und<br />
zum anderen die radikale Gleichheit der<br />
Zuschauer, eine Gleichheit in der radikalen<br />
Unbestimmtheit. Man ist im Schauen<br />
ohne Bestimmung – man ist ein radikaler<br />
Niemand im Ritual. Das Fremdwort<br />
dazu lautet Entsubjektivierung. Und da-<br />
rum könnte es gehen: Dass wir von uns<br />
selbst absehen! Und nur wenn Schauspieler<br />
und Zuschauer von sich, wenn wir<br />
von uns und unseren großen Egos absehen,<br />
werden wir etwas anderes entdecken<br />
als immer nur uns selbst. Das Theater<br />
könnte der Ort sein, an dem man das<br />
üben oder erleben kann.<br />
Am Ende also eine fast kunstreligiöse Beantwortung<br />
der Frage nach dem Schauspieler<br />
zwischen Darstellung und Partizipation.<br />
Ich kann es aber auch gerne<br />
kleiner und einfacher formulieren: In<br />
meiner Erinnerung habe ich den Schauspieler<br />
Stefan Kurt nie so sehr bewundert<br />
wie für den Puck in dem integrativen<br />
Sommernachtstraum der Station 17 auf<br />
Kampnagel Ende der 1990er. Claudius<br />
Franz und Matthieu Svetchine haben<br />
meine große Hochachtung und Dankbarkeit<br />
für all das, was sie als Schauspieler<br />
nicht tun in Lolas Arias Straßenoper<br />
„The Art of Making Money“, ebenso wie<br />
für all das, was sie als Persönlichkeiten in<br />
den „Räubern“ auf der großen leeren<br />
<strong>Bühne</strong> im Theater am Goetheplatz von<br />
sich zeigen.<br />
DER AUTOR<br />
Michael Börgerding ist seit Mitte 2<strong>01</strong>2 Generalintendant am<br />
Theater Bremen. Zuvor arbeitete er als Dramaturg (bis 2005 als<br />
Chefdramaturg am Hamburger Thalia Theater) und war zuletzt<br />
Direktor der Theaterakademie Hamburg.
40 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Freiheit<br />
Der Schauspieler Joachim Meyerhoff beschäftigt<br />
sich als Darsteller und Schriftsteller<br />
mit seiner Biographie. Ein Gespräch<br />
mit dem Burgschauspieler, der seit dieser<br />
Spielzeit auch zum Ensemble des <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schauspielhauses Hamburg gehört<br />
hinter<br />
der<br />
maske
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 41<br />
Der multiple Schauspieler<br />
JOACHIM MEYERHOFF IM<br />
GESPRÄCH MIT MARIANNE<br />
UND MICHAEL LAAGES<br />
Text_ Michael Laages<br />
Versuchskaninchen für das<br />
Vexierspiel um Wahrheit<br />
und Dichtung hat er stets<br />
in der Familie gefunden:<br />
Dem Bruder legte Joachim Meyerhof<br />
Teile der biographischen Schreibarbeit<br />
vor, die zunächst zu sechs Theaterabenden<br />
und mittlerweile zu zwei Romanen führte. Der<br />
Bruder war einverstanden: Stimmt, genau so war’s, habe er ihm<br />
bestätigt, erzählt Meyerhof in Hamburg, wo er gerade frisch ins<br />
Team der Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier eingestiegen<br />
ist. Und auch der Hinweis, dass einiges recht frei erfunden sei,<br />
konnte den Bruder nicht beirren: Nö, genau so sei’s gewesen.<br />
Fazit: „Das ist sehr befreiend, nicht immer denken zu müssen:<br />
Wie war das wirklich? Das Erinden entspringt ja auch einer<br />
Wahrheit!“<br />
An den frühen Stationen der Theater-Karriere, in Kassel, Bielefeld<br />
oder Dortmund, hat der Falckenberg-Schüler, Geburtsjahrgang<br />
1967, mit autobiographischen Notizen begonnen; in Berlin,<br />
am Maxim Gorki Theater des Intendanten Volker Hesse,<br />
wurden <strong>Bühne</strong>nprojekte daraus. „Wann wird es endlich wieder<br />
so, wie es nie war“ ist nicht nur der Titel von Meyerhofs jüngstem<br />
Roman, so hieß auch ein Gorki-Projekt. Hesse, der Talenteförderer,<br />
ließ Meyerhof gewähren; so auch beim „Sauna“-<br />
Abend, für den der Schauspieler Geschichten von altgedienten<br />
Gorki-Mimen sammelte und diese Erinnerungen wie im Ausschwitzen<br />
(und wie in der echten Gorki-Sauna) auf die Studio-<br />
<strong>Bühne</strong> brachte. Hatte Eckhard Strehle wirklich die komplette<br />
Hand verloren bei einem Unfall? War Wolfgang Hosfeld als<br />
Stepp-Tänzer wirklich einem Zuschauer direkt ins Gesicht gesprungen?<br />
Hatte <strong>Die</strong>tmar Obst wirklich schauspielerlebenslang<br />
Appläuse auf Tonband gesammelt? Was wahr war und was<br />
nicht, wurde unwichtig vor der Skurrilität der Geschichten und<br />
der Kraft der Alten.<br />
„Biographie ist für mich auch ein Spiel“, sagt Meyerhof heute,<br />
gut zehn Jahre später; und erzählt mir und speziell meiner Mutter<br />
(die am Gespräch als treue Leserin<br />
der Roman-Veröfentlichung in ihrer<br />
hannoverschen Tageszeitung teilnimmt)<br />
die Geschichte vom toten<br />
Hund, der kurz nach seinem anderen<br />
Bruder starb und dessen verzweifelte<br />
Beerdigung eine der anrührendsten<br />
Geschichten des Buches ist. Und: Ja, die ist wahr.<br />
Überhaupt: Verluste haben den Schauspieler zum Schreiben<br />
gebracht; der tote Bruder, der kranke Vater, die Großeltern…<br />
„In meiner gutbürgerlichen Biographie hatte ich nichts, um<br />
dem zu begegnen. Ich war völlig überfordert.“ Als der Bruder<br />
starb, iel die Entscheidung: „Ich habe gedacht: Es kann doch<br />
nicht sein, diesen Tod jetzt so unrelektiert ins Leben zu integrieren.“<br />
Dann folgte die (bis heute andauernde) Krankheit des<br />
Vaters: „Eigentlich stehe ich all dem ratlos gegenüber. Aber ich<br />
will das mitnehmen, ich will das nicht, wie es ja allgemein erwartet<br />
wird von der Gesellschaft, ‚verarbeiten’ und abhaken. Ich<br />
will das immer bei mir haben. Das macht Mut zur Zukunft.“<br />
Bei den biographischen Lese-Abenden, eingeladen auch zum<br />
Theatertrefen nach Berlin, hatten die Geschichten aus der jugendpsychiatrischen<br />
Klinik des Vaters stets für besondere Heiterkeit<br />
gesorgt. Klar, meint Meyerhof: „Wo die größten Komplexe<br />
und Verklemmungen sitzen, entsteht immer die größte<br />
Heiterkeit. Jahrhundertelang wurden aus der Sexualität die<br />
größten Funken geschlagen, jetzt halt aus psychischen Erkrankungen<br />
und Behinderungen…“ Aber auch praktizierende Psychiater<br />
bestätigten ihm: <strong>Die</strong>ser Beruf ist nur mit viel Humor<br />
auszuhalten.<br />
Erstaunt registrierten viele Leser, wie ungebrochen die Liebe<br />
des Sohnes zum Vater blieb: „Abrechnung ist ja ein viel vertrauterer<br />
literarischer Vorgang – ich wollte das aber nie. <strong>Die</strong> liebevolle<br />
Beschreibung war die Voraussetzung, um auch an die<br />
Abgründe heran zu kommen. Man muss einander ja sehr nahe<br />
treten, um Liebe und Abgründe zusammen zu kriegen.“ Stau-
42 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
nend betrachtete Meyerhof im Krankenhaus, wo er den Vater<br />
regelmäßig besuchte, all die Patienten, die vor der Tür rauchten:<br />
„So ist der Mensch – er will wieder gesund werden, um sich zu<br />
Grunde zu richten.“<br />
Für erste Lesungen der biographischen Texte nutzte Meyerhof<br />
die Blaue Stunde am Dortmunder Schauspiel; der Alltag hier,<br />
wie zuvor in Bielefeld und Kassel, also jenseits der Edel-<strong>Bühne</strong>n,<br />
soll Thema des dritten Buches werden. Das erste spielte ja auch<br />
in tiefster Provinz: im amerikanischen Bundesstaat Wyoming.<br />
Das Austauschjahr als Schüler verbrachte Meyerhof in einer<br />
zutiefst republikanischen Familie; und eine schon als Kind gewachsene<br />
Haltung gewann an Gewicht: „Ich bin manchmal so<br />
entsetzt über Dinge, und inde sie auch unendlich komisch –<br />
zum Weinen und zum Lachen.“<br />
So hat er die Klinik des Vaters erlebt: als frühe Schule für die<br />
Obsessionen, die auch viele Menschen und Texte im Theater<br />
prägen. Etwa dieser Herr Orgon in Molières „Tartufe“ (Meyerhof<br />
spielt den Titelpart derzeit noch in Wien): „Was hinter dem<br />
Irrationalen steckt, ist Freiheit!“ Das ist wie in Papas Psychatrie:<br />
„Für mich als Kind war’s lustig – und traurig: eingesperrt sein,<br />
vom Schicksal geschlagen, totale Verluste überall. Und trotzdem<br />
wird man frei in der Fähigkeit, Glück zu zeigen, und dieses<br />
ist so viel reiner als unser konsumierbares, kultiviertes Glück.<br />
Wenn man als Zehnjähriger auf dem Nachhauseweg zehn Mal<br />
umarmt wird von Leuten, die sich an einen klammern, dann ist<br />
das lästig; aber auch von einer Herzlichkeit und Ofenheit, die<br />
man später schmerzlich vermisst; dass man einen, den man<br />
liebt und schön indet, einfach mal umarmt und ableckt und<br />
küsst – das darf man aber nicht.“<br />
Das ist die Freiheit hinter den Masken der Irrationalität: „Im<br />
bürgerlichen Alltag ist zu spüren, dass ganz viele Verabredungen<br />
in äußerlichen Dingen nur auf Furcht und Unsicherheit beruhen.“<br />
– weg damit. Nicht zuletzt in der Arbeit mit dem schon<br />
todkranken Christoph Schlingensief hat Meyerhof erlebt, wie<br />
wenig die Gewissheit zählt; wie viel aber jeder Augenblick.<br />
Fotos: Tobias Kruse
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 43<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE BILDER<br />
ENTSTANDEN IN UND<br />
UM DIE PROBEBÜHNE<br />
DES DEUTSCHEN<br />
SCHAUSPIELHAUSES<br />
IN HAMBURG<br />
„Ich hätte mir gewünscht, dass ich<br />
früher zu einer Stimme gefunden<br />
hätte wie jetzt in den Romanen“,<br />
sagt Meyerhof; auch um den selbstkritischen<br />
Relex angesichts so vieler<br />
großer Literatur zu verringern: „Wie<br />
oft habe ich mir gesagt: Verstumme<br />
für immer!“ Er hat gelitten auf der<br />
Ochsentour als Jungschauspieler:<br />
„<strong>Die</strong>ser Horror – wie viele Zadek-<br />
Schüler mich terrorisiert haben!“<br />
Aber: „Es ist immer leicht zu sagen:<br />
Ach ich Armer, all diese schrecklichen<br />
Regisseure in der Provinz, und<br />
ich bin furchtbar verkannt… Ich habe aber unter mir gelitten:<br />
Weil die Diskrepanz zwischen dem, was ich von mir erwartete,<br />
und dem, was ich da vermochte, so unendlich groß war.“ Der<br />
Sog nahm zu: aus Frustration von außen und völliger innerer<br />
Unzufriedenheit.<br />
„Irgendwas aber blieb heil“, bilanziert Meyerhof, „und das hatte<br />
mit der Herkunft aus diesem liebevollen Elternhaus zu tun.“<br />
Oft genug habe er aufhören wollen, und vielleicht doch lieber<br />
studieren: „Jetzt spiel’ ich schon den dritten Geier von rechts im<br />
‚Dschungelbuch‘ in Bielefeld, aber warum bin ich immer noch<br />
guter Dinge?“<br />
<strong>Die</strong> Alternative blieb präsent, am Ende jeder Spielzeit: „Bin ich<br />
noch jung genug fürs Studium? Jetzt ist gerade noch Zeit: Häng<br />
diesen Scheiß-Schauspielerberuf an den Nagel!“ Dann aber gab<br />
es immer eine Rolle; und der Weg führte nach Köln, Berlin und<br />
schon einmal nach Hamburg, von dort nach Wien und jetzt wieder<br />
zurück in den Norden. Aber bloß kein Hochmut: „In diesen<br />
Provinzstädten gibt es eine spezielle Art von Solidarität im Ensemble<br />
– weil man weiß, dass man gemeinsam an diesem Ort<br />
gefangen ist und einander braucht.“ Und am Burgtheater? „Da<br />
gibt’s andere Hierarchien – ich würde das eine nie gegen das<br />
andere stellen.“ Kurzzeitig war der Schauspieler Meyerhof in<br />
Berlin auch auf dem Weg ins Regie-<br />
Fach: mit dem großen kleinen<br />
„Sauna“-Abend, mit der sehr sinnlichen<br />
Inszenierung von Kästners „Fabian“,<br />
mit einem Projekt, das „Marathon<br />
2h 4‘55“ hieß und auch genau<br />
so lange dauerte. Meyerhof heute:<br />
„Ich kam mir irgendwann vor wie<br />
der Herbergsvater, der sich rund um<br />
die Uhr um jeden kümmern musste.<br />
Nie war ich so schlalos – ein harmoniesüchtiger<br />
Über-Kümmerer. Als<br />
Regisseur bin ich völlig unbrauchbar.“<br />
Obwohl – gern versuchen würde<br />
er es wohl noch mal, mit mehr Ruhe. Aber die Unruhe bleibt:<br />
„Mich macht das krank. Ich sterbe. Vor Sorge und Angst.“<br />
DER SCHAUSPIELER JOACHIM MEYERHOFF<br />
- Geboren 1967 in Homburg/Saar<br />
- Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in<br />
München<br />
- Nach Engagements am Staatstheater Kassel, am Theater<br />
Bielefeld, Theater Dortmund, den <strong>Bühne</strong>n Köln und dem<br />
Maxim Gorki Theater in Berlin ab 2002 Ensemblemitglied am<br />
<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhaus in Hamburg<br />
- Seit 2005 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters<br />
- Seit der Spielzeit 2<strong>01</strong>3/14 auch wieder am <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schauspielhaus Hamburg<br />
- Ab 2007 konzipierte und spielte Meyerhof den sechsteiligen<br />
autobiographischen Zyklus »Alle Toten liegen hoch«, mit<br />
dem er auch zum Theatertrefen 2009 eingeladen wurde<br />
- 2007 wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt<br />
- Seine beiden bisherigen autobiographischen Romane sind:<br />
„Alle Toten liegen hoch. Amerika«,<br />
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ (siehe S. 55)
44 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Schauspielkunst<br />
vs. Performance?<br />
Der Dramaturg Bernd Stegemann und der Theatermacher<br />
Daniel Wetzel von Rimini Protokoll im<br />
Gespräch über die Rolle des Schauspielers heute<br />
Interview_Detlev Baur und Elena Philipp<br />
Herr Stegemann, Sie kritisieren in<br />
ihrem Buch „Kritik des Theaters“ die<br />
Verdrängung der Repräsentation und<br />
des Rollenspiels durch selbstbezügliche<br />
Performance und Jagd nach Authentizität.<br />
Der Performer ersetzt demnach<br />
den Schauspieler. <strong>Die</strong>se Tendenz ist<br />
wohl unbestritten. Was aber ist an<br />
dieser Entwicklung so schlimm?<br />
Bernd Stegemann: Der Performer lässt die Ebene<br />
der Mimesis, der Darstellung, außer Acht. Er stellt<br />
sich selber dar, ist so etwas wie ein theatrales Ready-<br />
Made, das von der Regie in semantische Rahmungen<br />
gebracht wird, die im Lauf der Inszenierung zu unterschiedlichen<br />
Bedeutungen führen. <strong>Die</strong>se Bedeutungen<br />
setzen sich an die Stelle dessen, was einmal<br />
der Schauspieler von sich heraus produzieren konnte:<br />
das spielerische Verhältnis zwischen <strong>Bühne</strong> und<br />
Zuschauenden. Meine Kritik daran ist, dass das eine<br />
Enteignung der Darsteller ist und eine Reduzierung<br />
von Möglichkeiten – eine neue Form der Entfremdung,<br />
die sich als ironisch und authentisch zugleich<br />
gibt. Damit folgt sie dem Muster postmoderner Ästhetik.<br />
Herr Wetzel, warum arbeiten Sie<br />
bei Rimini Protokoll nicht mit professionellen<br />
Schauspielern, sondern<br />
mit Laien, den sogenannten Experten<br />
des Alltags?<br />
Daniel Wetzel: Nicht, weil wir nicht mit Schauspielern<br />
arbeiten wollen. Sondern, weil wir bei unseren<br />
Projekten permanent Leuten begegnen, die wir für<br />
interessante <strong>Bühne</strong>niguren halten und Orte besuchen,<br />
die durch die Rahmen-Brille des Theaters betrachtet,<br />
enorme Schauspiele bieten. Wir arbeiten<br />
mit dem Echten; mit dem Begrif des Authentischen<br />
arbeiten wir nicht. Als wir zum Bespiel die Aktionärsversammlung<br />
von Daimler zu unserer Inszenierung<br />
erklärt haben, hat der Aufsichtsratsvorsitzende<br />
in seiner Eröfnungsrede gesagt: „<strong>Die</strong>s ist weder ein<br />
Schauspiel noch ein Theaterstück“. Dabei war diese<br />
Hauptversammlung wie immer ein Ready-Made,<br />
dessen peride Als-Obs verloren gingen, wenn es von<br />
Schauspielern nachgespielt würde. Auf der Hauptversammlung<br />
bist du sowohl Zuschauer als auch<br />
Akteur, weil du nur als Aktionär reinkommst. Du<br />
bist Miteigentümer und hast Stimmrecht. Ihre „Präsenz“<br />
bekommen die Akteure auf dieser Total-<strong>Bühne</strong><br />
übrigens halbstündig angesagt – wie viel Prozent<br />
des Kapitals momentan im Saal repräsentiert sind.<br />
Herr Stegemann, was kann das<br />
Theater durch Schauspielern dann<br />
doch besser herausarbeiten?<br />
Bernd Stegemann: Es gibt doch immer eine Vorderbühne<br />
und eine Hinterbühne. <strong>Die</strong>ser gerahmte<br />
Blick auf die Aktionärsversammlung, ein, wie man<br />
früher gesagt hätte, zynischer Blick, der alles als ästhetisches<br />
Ereignis betrachtet, lässt sich ja auch auf<br />
die morgendliche Versammlung der Putzfrauen hier<br />
in der Schauspielschule anwenden. <strong>Die</strong> Entfremdung,<br />
zu der man in unseren Arbeitsverhältnissen<br />
gezwungen ist, kann in solch einer Inszenierung<br />
aber nicht anschaubar gemacht werden. Ein entfremdet<br />
Arbeitender erscheint, wenn er als Experte<br />
Fotos: Pigi Psimenou
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 45<br />
Der multiple Schauspieler<br />
BERND STEGEMANN UND DANIEL WETZEL<br />
(MIT MÜTZE) IM GESPRÄCH. SCHAUPLATZ:<br />
BERND STEGEMANNS ARBEITSZIMMER<br />
IN DER HOCHSCHULE FÜR DARSTELLENDE<br />
KUNST „ERNST BUSCH“ IN BERLIN<br />
des Alltags auftritt, wie eine mit sich identische Theaterigur,<br />
als ein freudvoll zu beobachtendes possierliches<br />
Dasein. Damit ist dieser Punkt von Kritik des<br />
Theaters an der Gesellschaft nicht mehr gegeben.<br />
Daniel Wetzel: Da müsste man genau schauen, wie<br />
im jeweiligen Projekt mit der Gefahr der „Possierlichkeit“<br />
umgegangen wird. <strong>Die</strong> Möglichkeit, auf der<br />
<strong>Bühne</strong> „Ich“ zu sagen und nicht jemand Totes oder<br />
Ausgedachtes zu meinen, ist ja der zentrale Unterschied<br />
zwischen Schauspielern und den Experten,<br />
mit denen wir arbeiten. Wir bespielen das Wahrnehmungs-Dispositiv,<br />
in das sich der Theaterzuschauer<br />
begibt, wenn er sich ins Schauspiel setzt. Allerdings<br />
bespielen wir es parasitär, und der V-Efekt ist doch<br />
nicht der, dass die Leute da possierlich wirken könnten,<br />
sondern dass sie selbst etwas zu sagen haben.<br />
Eine Rolle zu gestalten, das dann zu brechen, infrage<br />
zu stellen oder zu radikalisieren – all das gibt es<br />
da eben nicht. Entsprechend werden die Akteure<br />
auf der Ebene von Kunstfertigkeit in Ruhe gelassen<br />
– da, wo das Schauspiel seit dreißig Jahren reingegangen<br />
ist.<br />
Bernd Stegemann: Das ist ja ein Teil Eures großen<br />
Erfolges, und darum sehe ich Eure Sachen immer<br />
wieder gerne: Man hat ein sehr aufgehobenes Gefühl,<br />
wenn man bei Euch im Theater sitzt, wegen der<br />
spannenden Fremdheiten, die einem entgegengebracht<br />
werden, aber auch, weil die Figuren oder<br />
Menschen geschützt sind. Das ist aber genau der<br />
Punkt, an dem meine Kritik ansetzt. <strong>Die</strong> Alltagsexperten<br />
müssen sich auf der <strong>Bühne</strong> schützen, weil sie<br />
Laien der Herstellung von Öfentlichkeit sind. Das
46 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
BERND STEGEMANN<br />
UND DANIEL WETZEL.<br />
DAZWISCHEN: DETLEV BAUR<br />
UND ELENA PHILIPP<br />
Theater aber hat seit 200 Jahren, als der Beruf professionalisiert<br />
wurde, mit dem Schauspieler jemanden<br />
erzeugt, von dem Tabori so trefend gesagt hat, er sei<br />
ein professioneller Mensch. Er kann Leid und Zerrissenheit<br />
öfentlich herstellen, ohne dass es ihn mitnimmt.<br />
Er kann das stellvertretend für andere tun<br />
und muss in der Garderobe nicht stundenlang weiter<br />
weinen. Das ist eine Kulturtechnik, von der wir seit<br />
dreißig Jahren relativ leichtfertig reden, als sei das<br />
alles alter, verkommener Repräsentationsquatsch.<br />
Sie bestreiten aber doch nicht,<br />
dass das Spielen des professionellen<br />
Schauspielers, das Rollenspiel,<br />
in einer Krise ist?<br />
Bernd Stegemann: Ja, total. Das ist eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise,<br />
und sie hat zwei große Ursachen:<br />
<strong>Die</strong> Zuschauenden ästhetisieren mittlerweile jedes<br />
Ereignis und nehmen damit eine Art Meta-Ästhetisierung<br />
im Theater vor. Und der Schauspieler ist<br />
eben auch ein Zeitgenosse, er glaubt sich selbst nicht<br />
mehr.<br />
Daniel Wetzel: Was ja eine Quelle für neue Möglichkeiten<br />
ist. Ich teile Stegemanns Sorge, mit veränderten<br />
Vorzeichen: Ja, was im Staatstheater passiert, ist<br />
meistens „alter, verkommener Repräsentationsquatsch“.<br />
<strong>Die</strong> Experten mögen mit einer für sie vertretbaren<br />
Version von sich auftreten, aber das ist<br />
doch der Unterschied, sie spielen sich und wollen<br />
verantwortlich gemacht werden dafür, was sie sagen<br />
und nicht, wie sie es spielen. Deshalb bekomme ich<br />
bei Auführungen in der Schaubühne immer so ein<br />
Manufactum-Gefühl: „Es gibt noch das gute alte<br />
Wohlfühl-Zweifeln“. Ich habe mir in Vorbereitung<br />
zu diesem Gespräch den „Volksfeind“ in der Schaubühne<br />
angeschaut und fand bemerkenswert, wie der<br />
Bettler vor dem Theatergebäude, der schon vor der<br />
Auführung praktisch nichts bekam, zwei Stunden<br />
später zwischen den Zuschauern, die gerade Dr.<br />
Stockmann dabei zugeschaut hatten, wie er wahrscheinlich<br />
in der Gosse landete, keinen einzigen<br />
Euro bekam. <strong>Die</strong> Inszenierung ist brillant und super<br />
gespielt. Aber es war ein Elend zuzuschauen, wie<br />
kein Zuschauer der Auführung bereit war, seine<br />
Bequemlichkeit aufzugeben und zu fragen, was diesen<br />
Mann vor‘s Theater brachte, in diese Wirklichkeit,<br />
an die sie dauernd erinnert werden sollten während<br />
zwei Stunden Ibsen-Aktualisierung.<br />
Interessiert Sie denn Theater mit<br />
richtigen Schauspielern, Herr Wetzel?<br />
Daniel Wetzel: Ja. Aber ich war neulich in einer<br />
Schalterhalle in Athen, nur zum Beispiel, wo die Leute<br />
ihre Stromrechnung bar bezahlen – es gibt da ja<br />
keinen Unterschied mehr zwischen Stromrechnung<br />
und Steuernachzahlung. Und ich schaue da Leuten<br />
zu, wie sie vor lauter Unverständnis über die Ungerechtigkeiten<br />
am andern Ende der europäischen Finanzdiplomatie<br />
wirklich tragische Monologe rufen.<br />
Bernd Stegemann: Aber die Traditionstechnik des<br />
mimetischen Schauspiels befähigt dazu, etwas darzustellen,<br />
das nicht real anwesend ist. Der Schauspieler,<br />
der das gelernt hat, macht das strategischer,<br />
künstlerisch formbarer als die griechische Rentnerin,<br />
die gerade ihre Rechnung bezahlt. <strong>Die</strong> Frau ist<br />
in der Situation vermutlich die beste Darstellerin<br />
ihrer selbst, könnte das aber in dem Moment, in<br />
dem sie realisieren würde, dass sie angeschaut wird,
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 47<br />
Der multiple Schauspieler<br />
BERND STEGEMANN<br />
- 1967 in Münster geboren<br />
- Studium der Philosophie und Germanistik in<br />
Berlin und Schauspielregie in Hamburg<br />
- Dramaturg, u.a. 1999 Chefdramaturg am TAT<br />
Frankfurt, 2004 bis 2007 am <strong>Deutsche</strong>n Theater<br />
Berlin und seit 2009 an der Schaubühne am<br />
Lehniner Platz<br />
- Professor für Dramaturgie an der Hochschule<br />
für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin<br />
- zahlreiche Veröfentlichungen<br />
DANIEL WETZEL<br />
- 1969 in Konstanz geboren<br />
- Studium der Angewandten<br />
Theaterwissenschaft in Gießen,<br />
währenddessen erste Performance-Projekte<br />
- Seit 2000 Theater- und Radioprojekte mit Helgard<br />
Haug und Stefan Kaegi<br />
- Seit 2002 unter dem Namen „Rimini Protokoll“<br />
- Zuletzt in der ganzen Welt: „100 Prozent Tokio“,<br />
„San <strong>Die</strong>go“ und so weiter. Und „Situation Rooms“<br />
(Premiere bei der Ruhrtriennale)<br />
nicht mehr. Sie würde zur Laienspielerin werden<br />
oder sie würde vereisen.<br />
Daniel Wetzel: Wenn man es falsch macht.<br />
Der Beruf des Schauspielers ist vielfältiger<br />
geworden; ästhetisch geht<br />
er über das traditionelle Rollenspiel<br />
hinaus und auch institutionell hat er<br />
zunehmend andere Aufgaben, etwa<br />
bei der Betreuung von Jugendclubs.<br />
Ist das unbedingt ein Unglück?<br />
Bernd Stegemann: Das ist erst mal ein gesteigerter<br />
Stress – so wie der lexible Angestellte nicht nur einen<br />
Beruf haben darf, sondern fünf Berufe haben<br />
muss und dann auch noch emotional beglaubigen<br />
muss, dass das richtig ist, was er gerade tut.<br />
So durchweg schlecht ist das Gegenwartstheater<br />
aber doch nicht. Pollesch<br />
etwa schaft seit Jahren immer<br />
wieder überragende Inszenierungen,<br />
die viel über die Brüche in der Gesellschaft<br />
erzählen. Sein Theater zeichnet<br />
sich dabei durch starke Schauspieler<br />
aus – und den deutlichen Einluss von<br />
Performance.<br />
Bernd Stegemann: Ich kritisiere mit meinem Buch<br />
nicht Performance als Teil der bildenden Kunst und<br />
auch nicht die performativen Techniken, die wesentlich<br />
zur Arbeit des Schauspielens gehören. Vielmehr<br />
kritisiere ich das deutsche Theatersystem, das so viele<br />
Mittel aufsaugt und häuig unverstanden zu ästhetischen<br />
Energiebeschleunigern macht. Da sehe ich<br />
dann Schauspieler auf der <strong>Bühne</strong>, die mit Laien so<br />
spielen sollen, wie sie es bei Rimini Protokoll irgendwo<br />
gesehen haben. <strong>Die</strong> Front verläuft auch gar<br />
nicht gegen Künstler wie Rimini Protokoll. Ihr habt<br />
doch über Jahre eine Künstlerbiographie entwickelt,<br />
in der konstanten Arbeit mit immer denselben Fragen<br />
– und jagt eben nicht immer neue Säue durchs<br />
Dorf, wie das die Stadttheater versuchen. Dagegen<br />
versuche ich das Prinzip des Künstlertheaters zu setzen<br />
und zu sagen: Leute, denkt doch mal darüber<br />
nach, was ihr da tut.<br />
Ist das Regietheater der Feind des<br />
Künstlertheaters?<br />
Bernd Stegemann: Der Regisseur ist in der momentanen<br />
Phase der Beschleunigung allzu oft der Totengräber<br />
des Schauspielers. <strong>Die</strong> Schauspieler werden<br />
immer mehr zum entfremdeten Angestellten des<br />
emotionalen Regimes Stadttheater. Nach dreißig<br />
Jahren Regietheater gibt es immer mehr Schauspielschüler,<br />
die sich von vornherein selbst entmündigen<br />
und meinen, ich muss die Ausbildung machen, damit<br />
ich verfügbar und möglichst lexibel einsatzfähig<br />
bin für die unterschiedlichen Regisseure. Das ist<br />
für mich ein deformiertes, entfremdetes Bild vom<br />
Beruf des Schauspielers, der sich nur noch als Erfüllungsgehilfe<br />
für Regieideen begreift, als ein Gefäß, in<br />
das etwas hineingefüllt wird.<br />
Daniel Wetzel: Schauspieler sind Experten im Beobachten.<br />
Als wir in Hannover für „Zeugen!“ mit<br />
Schauspielern des Staatstheaters Strafprozesse beobachtet<br />
haben, litten sie viel mehr als wir mit den Zeugen<br />
und Angeklagten, weil sie das Gefühl hatten, dass<br />
alle so schlecht spielen auf dieser <strong>Bühne</strong> des Wirklichen<br />
und dringend Schauspieltraining bräuchten,<br />
um glaubhaft zu wirken.
48 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
Text_Josef Mackert<br />
Der „Stehende Mann“<br />
auf dem Taksimplatz<br />
Als der türkische Tänzer Erdem Gündüz<br />
nach der Räumung des Geziparks auf<br />
dem Taksimplatz in Istanbul stehenblieb<br />
und sich über viele Stunden nicht mehr<br />
bewegte, wurde das vor Ort sehr schnell<br />
als ein politisches Statement verstanden.<br />
In einem Interview zu dieser später als<br />
„Duran Adam“ (Stehender Mann) weltberühmt<br />
gewordenen Performance, das<br />
wie fast alle Interviews nur die politische<br />
Aussage dieser protestierenden Geste befragte,<br />
sagte er: „Ich bin ich ein Performance-Künstler,<br />
und die Leute verstehen<br />
meine Kunst. Wenn ein normaler<br />
Mensch dort stundenlang gestanden hätte,<br />
hätte es niemanden interessiert.“ Das<br />
ist eine interessante These, die man im<br />
Kontext der Arbeitsbedingungen lesen<br />
muss, unter denen unsere Kollegen in<br />
der Türkei derzeit arbeiten. <strong>Die</strong> intensive<br />
Beschäftigung mit der politischen Realität<br />
und die entschiedene Positionierung<br />
als Künstler scheinen sich dabei gegenseitig<br />
zu bedingen. Seit Beginn unserer Zusammenarbeit<br />
innerhalb des vom Bundeskulturstiftungs-Fond<br />
Wanderlust<br />
geförderten Austauschprojektes haben<br />
wir von unseren türkischen Kollegen viel<br />
gelernt über die Haltung von Künstlern,<br />
deren Arbeitsmöglichkeiten und Freiheitsräume<br />
nicht so selbstverständlich<br />
gegeben sind wie bei uns. Dabei war das<br />
Theater-Projekt „Cabinet“ von Anfang an<br />
darauf angelegt, dass sich Schauspieler,<br />
Tänzer, Autoren und Regisseure aus beiden<br />
Ländern fragend und recherchierend<br />
in die Welt der Anderen begeben, um<br />
sich anschließend in der Arbeit an einem<br />
gemeinsamen Theaterabend zu begegnen.<br />
Und was immer darin an ästhetischen<br />
Diferenzen zu Tage trat und ausgetragen<br />
werden musste, konnte doch<br />
Wie verändern neue partizipative und<br />
recherchierende Projekte die Koordinaten<br />
der schauspielerischen Arbeit?<br />
Josef Mackert, Chefdramaturg am Theater<br />
Freiburg, geht dieser Frage nach<br />
Forschen<br />
und spielen<br />
immer wieder auf den ersten Impuls des<br />
künstlerisch recherchierenden Blickes<br />
zurückbezogen werden. <strong>Die</strong> spürbare<br />
Verwandtschaft der ansonsten sehr unterschiedlichen<br />
Partner in diesem Punkt<br />
war für mich die größte Überraschung.<br />
Ofensichtlich teilen wir das künstlerische<br />
Interesse an etwas, das Dirk Baecker<br />
einmal die „Naturwissenschaft der Gesellschaft“<br />
* 1 genannt hat.<br />
Schauspieler als Co-Autoren<br />
und Mitgestalter<br />
Zugegeben: <strong>Die</strong> Rolle von Schauspielern<br />
in projekthaften Arbeiten ist ungeheuer<br />
kompliziert. Sie müssen sich in einem<br />
Feld bewegen, das (vielleicht nicht ohne<br />
Grund) zunächst von Bildenden Künstlern<br />
und Tänzern erkundet wurde. <strong>Die</strong><br />
sozialen Skulpturen von Joseph Beuys,<br />
die Pilotprojekte der Site Speciic-Art<br />
und alle davon abgeleiteten Formen<br />
künstlerischer Intervention verstanden<br />
sich als Arbeit an der Erweiterung unseres<br />
Kunstbegrifes, deren Chancen Schauspieler<br />
erst mit verständlicher Verspätung<br />
nachvollziehen konnten. <strong>Die</strong> damit<br />
verbundenen Infragestellungen des eige-<br />
Foto: M.Korbel
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 49<br />
Der multiple Schauspieler<br />
EIN BEISPIEL FÜR PARTIZIPATIVES UND<br />
RECHERCHIERENDES THEATER: STADT-<br />
PROJEKT „HASLACH DEINE HEIMAT“.<br />
IM BAUM MONICA GILLETTE, MIT EINER<br />
NACHBARIN AUS FREIBURG-HASLACH<br />
nen Selbstverständnisses bei gleichzeitiger<br />
Verschiebung bzw. Erweiterung der<br />
eigenen Erkenntnis- und Wirkungsmöglichkeiten<br />
sind für alle, die diesen Vorgang<br />
nicht nur als Verlust wahrnehmen,<br />
von hohem künstlerischem Reiz. Es ist<br />
an anderen Stellen ausführlich beschrieben<br />
worden, inwiefern die Aneignung<br />
von Techniken wie Recherche und Interview,<br />
inwiefern das Entwickeln von Texten,<br />
Spielvorgängen und performativen<br />
Ereignissen die Schauspieler in projekthaften<br />
Arbeiten zu Co-Autoren und Mitgestaltern<br />
werden lässt. In meinen Augen<br />
ein Emanzipationsprozess mit großen<br />
Rückwirkungen auf den Bereich der herkömmlichen<br />
Rollenarbeit. Und ein Gewinn<br />
an sozialer und politischer Kompetenz,<br />
der sich für mich in Freiburg auch<br />
da zeigt, wo Schauspieler mit Laien zu<br />
forschenden und spielenden Gemeinschaften<br />
zusammenkommen. Meine Kollegin<br />
Viola Hasselberg hat unlängst in<br />
Dresden begründet, warum wir in Freiburg<br />
die Bürgerbühne bewusst nicht auslagern,<br />
sondern Laien und Experten des<br />
Alltags immer wieder in ausgewählte<br />
Projekte mit einbeziehen, wo sie am<br />
Ende gemeinsam mit Schauspielern auf<br />
der <strong>Bühne</strong> stehen und ein erweitertes<br />
Ensemble bilden. Um die dabei entstehenden<br />
Lernprozesse adäquat bearbeiten<br />
zu können, haben wir gemeinsam beschlossen,<br />
an Samstagen nicht mehr zu<br />
probieren, sondern einen freien Denk-<br />
Raum zu schafen.<br />
Ein neuer Begrif<br />
von Volkstheater<br />
Bernd Stegemanns „Kritik des Theaters“<br />
(siehe auch S. 44) stellt viele Aspekte unserer<br />
Arbeit auf kluge und beunruhigende<br />
Weise in Frage. Bei einer Diskussion<br />
seiner politisch-ästhetischen Analyse in<br />
der Freiburger Dramaturgie haben wir<br />
jedoch gemeinsam festgestellt, dass diese<br />
Kritik zumindest eine Leerstelle aufweist.<br />
Nämlich die Gesamtheit der Suchbewegungen,<br />
mit denen das Stadttheater an<br />
einem neuen Begrif von Volkstheater<br />
arbeitet: Wo es künstlerische Forschung<br />
im Referenzraum seiner Städte betreibt,<br />
wo es seine Grenzen öfnet für die Teilhabe<br />
und Teilnahme von möglichst vielen<br />
Bewohnern dieser Städte oder sich umgekehrt<br />
mit seinen Sondierungs-Möglichkeiten<br />
in die unterschiedlichsten Wirklichkeitsschichten<br />
seiner Städte begibt,<br />
um das Globale im Lokalen zu greifen und<br />
begreifen zu können. Womit wir wieder<br />
bei Dirk Baeckers „Naturwissenschaft der<br />
Gesellschaft“ sind: Selbst wenn man mit<br />
Baecker feststellt, dass die Kunst des Schauspielers<br />
immer eine forschende/recherchierende<br />
Kunst ist * 2 , so stellt doch die<br />
hier gemeinte künstlerische Forschung<br />
(oder genauer: die künstlerische Praxis<br />
als Forschung) einen Paradigmenwechsel<br />
dar, dessen Auswirkungen auf die Rolle<br />
der professionellen Spieler in Stegemanns<br />
Kategorien von Schau-Sein und<br />
Schau-Spielen nicht zu fassen sind. Hier<br />
bewegen wir uns alle, Spieler und Spielleiter,<br />
ins Ofene der erst bruchstückhaft<br />
(be)greifbaren „nächsten Gesellschaft“,<br />
in der wir mit der Kapazität unserer<br />
Rechner nicht mehr Schritt halten kön-<br />
nen und unser Menschenbild von den<br />
Technowissenschaften vom homo faber<br />
zum homo creator erweitert wird. Meine<br />
Hypothese: Während die technowissenschaftliche<br />
Forschung sich zunehmend<br />
den Status einer künstlerischen Praxis<br />
anmaßt, könnten umgekehrt die Künstler<br />
am ehesten in der Lage sein, diese „historische<br />
Mentalitätsverschiebung“* 3 zu erfassen<br />
und durch Darstellung gesellschaftlich<br />
diskutierbar zu machen.<br />
Vorausgesetzt, wir betrachten es auch<br />
weiterhin als unsere Aufgabe, uns auf den<br />
<strong>Bühne</strong>n der Stadttheater zusammen mit<br />
dem Publikum darüber zu verständigen,<br />
in welcher Zukunft wir leben wollen.<br />
Darstellende Kunst als soziale<br />
und politische Praxis<br />
Es wäre schön, wenn in den Schauspielerbiographien<br />
der Zukunft die Teilnahme<br />
und Mitarbeit an projekthaften Arbeiten<br />
den gleichen Stellenwert erhielte wie die<br />
Hamlets, Ferdinands, Gretchens und<br />
Emilias. Und vielleicht könnte die Akademie<br />
der Darstellenden Künste neben<br />
dem Gertrud-Eysoldt-Ring in Zukunft<br />
einen Erdem Gündüz-Preis für Darstellende<br />
Kunst als soziale und politische<br />
Praxis verleihen.<br />
*1 Dirk Baecker, Wozu Theater?, S.20f<br />
*2 Dirk Baecker, Kunstformate (Kulturrecherche), S.79 f<br />
*3 Alfred Nordmann, Experiment Zukunft – <strong>Die</strong> Künste im<br />
Zeitalter der Technowissenschaften, S.8<br />
DER AUTOR<br />
Josef Mackert ist Chefdramaturg am Theater Freiburg. Er begleitete<br />
dort die von der Bundeskulturstiftung geförderten Langzeitprojekte<br />
Heimspiel, Wanderlust und Doppelpass. 2<strong>01</strong>1 erschien das von ihm<br />
zusammen mit Heiner Goebbels und Barbara Mundel herausgegebene<br />
Arbeitsbuch „HEART OF THE CITY. Recherchen zum<br />
Stadttheater der Zukunft“.
50 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Der Regisseur und<br />
Theatermacher<br />
Hans-Werner<br />
Kroesinger bringt<br />
meist düstere<br />
zeitgeschichtliche<br />
Themen auf<br />
die <strong>Bühne</strong>n.<br />
In seinem<br />
dokumentarischen<br />
Theater ist<br />
der Schauspieler<br />
zugleich<br />
Rechercheur,<br />
Dramaturg und<br />
Faktenvermittler<br />
Experten<br />
auf Zeit<br />
HANS WERNER KROESINGER<br />
BEI DER PROBENARBEIT<br />
Text_ Barbara Behrendt<br />
Ein Schauspieler seines Teams, sagt Hans-<br />
Werner Kroesinger, muss sich für das Thema<br />
der Inszenierung interessieren, er muss<br />
„gern lesen, gut sprechen und in der Lage<br />
sein, selbstständig zu arbeiten“. Das klingt zunächst<br />
lapidar. Bei einem typischen Kroesinger-Abend stehen<br />
fünf Schauspieler gemeinsam auf der <strong>Bühne</strong>,<br />
führen durch Räume des Theaters und überhäufen<br />
den Zuschauer zwei Stunden lang mit Fakten zu einem<br />
komplexen Thema aus der jüngeren Geschichte,<br />
wie etwa dem Genozid an den Tutsi in Ruanda<br />
oder dem Bürgerkrieg im Libanon. Sie sind Reiseführer<br />
des fremden Landes, geben Politik- und Landeskundeunterricht,<br />
referieren historische Originaldokumente,<br />
zitieren Befehlshaber sowie Opfer und<br />
collagieren das mit literarischen und tagesaktuellen<br />
Texten. Manchmal stellen sie eine Pressekonferenz<br />
oder Teile eines Gerichtsprozesses nach, wechseln<br />
dabei stetig die Rollen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 51<br />
Der multiple Schauspieler<br />
PROBEN ZU „FRONTEX<br />
SECURITY“ AM BERLI-<br />
NER THEATER HEBBEL<br />
AM UFER. PREMIERE<br />
WAR AM 13.12.2<strong>01</strong>3<br />
„Gern lesen“ bedeutet: Vor und bei Probenbeginn<br />
eine Menge Recherchematerial durcharbeiten zu<br />
wollen. „Gut sprechen“ meint: Den vollständigen<br />
Stücktext parat zu haben, um auf die Sekunde genau<br />
mit einem halben Satz einzusetzen, bevor der Kollege<br />
die zweite Hälfte übernimmt. „Selbständig arbeiten“:<br />
eine eigene Haltung zum Gegenstand zu gewinnen.<br />
Das ist alles andere als lapidar.<br />
Während Dokumentartheater-Kollegen wie Rimini<br />
Protokoll Laien als Experten des Alltags auf die <strong>Bühne</strong><br />
stellen und von ihren Erfahrungen berichten<br />
lassen, engagiert Kroesinger professionelle Schauspieler<br />
als Experten auf Zeit. „Ich würde nie mit Personen<br />
arbeiten, die auf der <strong>Bühne</strong> ihre persönliche<br />
Geschichte erzählen“, grenzt er sich ab und macht so<br />
die Grundzüge seines Theaterverständnisses deutlich.<br />
Präsentiere sich ein Laie<br />
mit seiner Lebensgeschichte<br />
auf der <strong>Bühne</strong>, verwandele<br />
sich diese zu einem geschützten<br />
Raum für seine Erzählung.<br />
Sie lässt die emotionale<br />
Einfühlung des Publikums zu<br />
– das allein ist Kroesinger aber<br />
zu wenig und erinnert ihn an<br />
gefühliges „Überwältigungskino“.<br />
Er möchte keine Betroffenheit<br />
wecken, sondern entschlüsseln:<br />
Wie kommt es zu<br />
diesem Konlikt? Wer proitiert davon? Inwieweit ist<br />
man selbst involviert? „Wenn ich eine blutende<br />
Wunde habe, dann löst das Empathie aus. Ich will<br />
aber weiter gehen: Wie tief ist die Verletzung? Welche<br />
Nervenbahnen sind betrofen? Wer hat die<br />
Wunde verursacht?“<br />
Der Schauspieler hat in Kroesingers Theater somit<br />
nicht die Aufgabe, dem Zuschauer etwas vorzuspielen,<br />
sondern ihm, in der Tradition Brechts, den<br />
Sachverhalt zu erklären. Er soll „kein Blindenhund<br />
sein“, dem man folgt, sondern jemand, der<br />
Angebote macht, aus denen das Publikum auswäh-<br />
len kann – und muss: Aus der Lawine von Fakten<br />
kann der Zuschauer unmöglich mehr als eine<br />
Handvoll Informationen festhalten. „Wir überfordern<br />
uns und wir überfordern den Zuschauer“,<br />
lautet Kroesingers Rezept.<br />
Hans-Werner Kroesinger entdeckte das dokumentarische<br />
Theater vor bald 20 Jahren für sich, zu einer<br />
Zeit, als die Vertreter von Rimini Protokoll in Gießen<br />
noch mitten im Studium steckten. Kroesinger,<br />
ebenfalls Absolvent des dortigen Instituts für Angewandte<br />
Theaterwissenschaft, ist einer der wichtigsten<br />
Vertreter des dokumentarischen Theaters in<br />
Deutschland, seit Jahren arbeitet er auch international.<br />
<strong>Die</strong> Themen seiner Inszenierungen lesen sich<br />
wie eine Aulistung der Traumata und Einschnitte,<br />
die es aus der jüngeren Geschichte aufzuarbeiten<br />
gilt: der Eichmann-Prozess in Israel, der <strong>Deutsche</strong><br />
Herbst, Völkermord an den Armeniern, palästinensische<br />
Selbstmordattentäter, der Einsatz von Kindersoldaten.<br />
Obwohl Kroesinger das Theater hauptsächlich<br />
als Analyse- und Informationsmedium begreift,<br />
das Sachverhalte so aufbereitet, wie es die Medien<br />
heute vernachlässigen, weiß er auch den Raum theatral<br />
zu bespielen – hier schlagen seine Lehrjahre<br />
bei Robert Wilson in den 1980ern durch.<br />
Kroesingers Schauspieler leisten weit mehr, als Fakten<br />
aufzusagen. Und doch ist eine perfekte Sprechtechnik<br />
wichtiger als das Körperspiel. „Der Körper<br />
ist bei uns ein bisschen vernachlässigt.“ <strong>Die</strong> meiste<br />
Kraft gehe nun mal ins Sprechen auf hohem Energie-<br />
und Konzentrationslevel. In den Proben verwendet<br />
Kroesinger viel Zeit dafür, einen Satz so sprechen<br />
zu lassen, dass er „die größte Sprengkraft“<br />
besitzt. Bevor daran aber gearbeitet werden kann,<br />
muss aus den Materialbergen, die der Theatermacher<br />
und seine Dramaturgin vor Probenbeginn zusammengetragen<br />
haben, gemeinsam mit den Schauspielern<br />
ein Stück erarbeitet werden.<br />
„In den ersten zwei Wochen sitzen wir nur um einen<br />
großen Tisch wie in der Uni und diskutieren Texte.“
52 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Der Prozess, das geeignete Material für die <strong>Bühne</strong><br />
auszuwählen, ist weitgehend demokratisch. Der Regisseur<br />
hat zwar das letzte Wort, trotzdem muss das,<br />
was die Gruppe auf der <strong>Bühne</strong> präsentiert, das sein,<br />
was sie für wichtig hält. Jeder Schauspieler muss<br />
nicht nur hinter dem eigenen Text stehen, sondern<br />
auch hinter dem des Kollegen. „Wir sind natürlich<br />
keine Soziologen, Historiker oder Aktivisten, es ist<br />
eine Anmaßung, was wir tun“, sagt Kroesinger.<br />
„Aber wir beglaubigen das durch unsere Ernsthaftigkeit.“<br />
Viele Schauspieler arbeiten schon seit zehn<br />
Jahren mit ihm. Er achtet allerdings darauf, in jede<br />
Produktion neue Künstler zu integrieren, damit es<br />
„nicht zu gemütlich wird“ und die Gewissheit über<br />
bestimmte Fragen aufgebrochen wird.<br />
Eine andere Herausforderung ist es für Kroesinger,<br />
an Stadt- und Staatstheatern mit festen Ensembles<br />
zu inszenieren. <strong>Die</strong> Zeit, das Material zu erarbeiten<br />
und zu diskutieren, haben Schauspieler im normalen<br />
Repertoirebetrieb schlichtweg nicht. Oft wird<br />
ein Gast zur Unterstützung engagiert, damit die Produktion<br />
gestemmt werden kann. Im Laufe der letzten<br />
Jahre haben die Schauspieler in Kroesingers<br />
Arbeiten neue Freiheiten bekommen. Wechselten<br />
sie früher in den eingestreuten Spielsequenzen minütlich<br />
die Rollen, so deutet heute ein Spieler<br />
manchmal über den ganzen Abend hinweg dieselbe<br />
Figur an. „In den Schattenriss einer Figur treten“<br />
nennt Kroesinger das. <strong>Die</strong> Szene werde dadurch fürs<br />
Publikum besser lesbar – und spürbar. Eine empathische<br />
Einfühlung ist nun doch zeitweise möglich.<br />
Und auch im Einsatz der Mittel ist heute eine größere<br />
Sinnlichkeit zu spüren, die Abende wirken spielerischer,<br />
weniger spröde als vor einem Jahrzehnt.<br />
Ein Grund für diese Entwicklung sei auch, dass heutzutage<br />
nicht mehr so viel Kenntnis zu einem Thema<br />
vorausgesetzt werden könne. Ergeben haben sich<br />
diese neuen Tendenzen in Kroesingers Arbeit bei<br />
den Proben zu seinem prämiertem Stück „Kindertransporte“<br />
über die 10 000 jüdischen Kinder, die<br />
ohne ihre Eltern 1938/39 nach Großbritannien geschickt<br />
wurden. Inszeniert hat er das 2007 für Jugendliche<br />
am Berliner Theater an der Parkaue. Für<br />
das junge Publikum suchte er einen sinnlicheren<br />
Zugang zum Stof. „Das hat mir Spaß gemacht,<br />
und ich habe gemerkt, dass man mit dem Material<br />
nicht ganz so streng sein muss. Man beschädigt es<br />
nicht.“ Mittlerweile, so sagt er, könne er viel mehr<br />
von dem zulassen, was die Schauspieler an szenischen<br />
Ideen mitbringen. Sie spielten nun „weit<br />
weniger mit angezogener Handbremse“. In seiner<br />
nächsten Inszenierung greift Kroesinger mit<br />
Schauspielern vom Theater Augsburg den Bombenangrif<br />
auf die Stadt vor 70 Jahren auf (Premiere:<br />
15.2.); im Juni ist dann am HAU (Hebbel am<br />
Ufer) in Berlin „Schlachtfeld Erinnerung“ zu sehen,<br />
ein Abend zum ersten Weltkrieg.<br />
DER REGISSEUR<br />
Hans-Werner Kroesinger:<br />
- Geboren 1962 in Bonn<br />
- 1983 bis 1988 Studium der<br />
Angewandten Theaterwissenschaft<br />
in Gießen<br />
- Mitarbeit bei Robert Wilson und Heiner Müller<br />
- Seit 1993 Inszenierungen an Stadt- und Staatstheatern<br />
sowie in der freien Szene, 1997 auf der<br />
documenta in Kassel<br />
- 2007 Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin für<br />
„Kindertransporte“ am Theater an der Parkaue<br />
Fotos: Braun/drama-berlin.de (3), David Baltzer (3)<br />
KROESINGER-INSZENIE-<br />
RUNGEN: „FAILED<br />
STATES ONE: SOMALIA“<br />
AM HEBBEL AM UFER<br />
IM JANUAR 2<strong>01</strong>3.<br />
„RUANDA REVISITED“<br />
AN SELBER STELLE IM<br />
JAHR 2009
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 53<br />
Der multiple Schauspieler<br />
Laientheater:<br />
drei meinungen<br />
Laien und Profis teilen sich inzwischen die Theaterbühnen. Was bedeutet<br />
das für die ausgebildeten Schauspieler? Rainer Galke, Frank Wickermann<br />
und Urs-Peter Halter berichten von ihren Begegnungen mit „Laienspielern“<br />
Rainer Galke:<br />
„Ich bin gerne bereit,<br />
mit Laien zu spielen.<br />
Am spannendsten<br />
finde ich es, Laien auf<br />
der <strong>Bühne</strong> zu sehen,<br />
wenn sie etwas spezielles<br />
aus ihrem umfeld<br />
zu sagen haben.“<br />
Frank Wickermann<br />
„Wenn ich mit Laien<br />
spiele, versuche ich,<br />
mit ihnen Erfahrungen<br />
aus dem Spiel zu<br />
entwickeln. Oder ich<br />
versuche, leicht zu<br />
provozieren, fordere<br />
eine Reaktion.“<br />
Urs-Peter Halter<br />
„Als Regisseur<br />
beginne ich mit Körperübungen,<br />
Rumrennen,<br />
Fangen. Das sind<br />
Grund elemente aus<br />
der Schauspielausbildung,<br />
die eine<br />
Wachheit erzeugen.“<br />
Schriftfassung: Stefan Keim<br />
FRANK WICKERMANN<br />
(Schauspieler, seit 2008 fest engagiert am<br />
Schlosstheater Moers):<br />
„Als ich aus dem Festvertrag am Theater<br />
Oberhausen ausstieg, hab ich mir die<br />
Frage gestellt, was bedeutet mein Beruf<br />
jenseits des Theaterbetriebes? Hat er<br />
noch Berührungspunkte mit der jetzigen<br />
Gesellschaft? Ich habe am Theater<br />
Kohlenpott in Herne angefangen, mit<br />
Schülern und Lehrern zu arbeiten. Es<br />
ging darum, durch das Spiel und das Aus-
54 SCHWERPUNKT<br />
Der multiple Schauspieler<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
probieren von Rollen Dinge anders zu<br />
sehen, andere Positionen einzunehmen.<br />
Zur Zeit mache ich in Moers Workshops<br />
in Kindergärten, mit den Erzieherinnen.<br />
Da geht es ums Geschichtenerzählen,<br />
aber auch um Kommunikation und Körperwahrnehmung<br />
in Konliktsituationen.<br />
Zum Beispiel: Ich binde einem Kind<br />
die Schuhe zu, ein Elternteil kommt und<br />
mault mich von oben an. Um jetzt eine<br />
Kommunikation auf Augenhöhe zu führen,<br />
muss ich erst die körperliche Situation<br />
verändern, also aufstehen. Klingt<br />
einfach, ist aber für die Erzieherinnen<br />
ein Aha-Erlebnis. Mit solchen Theatermitteln<br />
– diese „Statusspiele“ hat ja<br />
Keith Johnstone analysiert – kann man<br />
sehr viel bewegen.<br />
Als Schauspieler komme ich vom Spieltrieb<br />
her. Ich will nichts beweisen oder<br />
demonstrieren. Es geht mir darum, dass<br />
die Beteiligten in den Workshops Erfahrungen<br />
machen. Man erweitert seine<br />
Persönlichkeit, wenn man sich in verschiedenen<br />
Rollen erlebt. Im <strong>Bühne</strong>nkampf<br />
ist es so, dass das Opfer die Gewalt<br />
spielt, den Schmerz, und der Täter darf<br />
die Gewalt nicht ausüben. Beide müssen<br />
gut zusammen spielen, sonst wirkt es<br />
nicht. In den Workshops mit Schülern<br />
wechseln wir die Positionen. Jeder ist<br />
mal Opfer, jeder ist mal Täter.<br />
Ich beobachte im Spiel sehr viel, gebe<br />
Impulse, treibe mal die Stimmung hoch.<br />
Wir hatten jetzt eine Szene, da spiele ich<br />
mit einer Expertin, wie wir sie nennen,<br />
Kind und Hund. Ich bin der Hund, und<br />
sie soll mich gespielt hauen. Das war für<br />
sie eine Überwindung. Für diese Frau<br />
war es ein Riesenschritt, Gewalt auszuüben,<br />
so etwas für sich zuzulassen. Ich<br />
arbeite ganz bewusst am Schlosstheater<br />
Moers, weil hier jenseits des Abobetriebs<br />
geschaut wird, was Theater für Aufgaben<br />
in der heutigen Gesellschaft hat.“<br />
RAINER GALKE<br />
(Schauspieler, seit 2006 fest engagiert am<br />
Düsseldorfer Schauspielhaus):<br />
„Ich bin gerne bereit, mit Laien zu spielen.<br />
Am spannendsten inde ich es, Laien<br />
auf der <strong>Bühne</strong> zu sehen, oder ihnen dort<br />
zu begegnen, wenn sie etwas Spezielles<br />
aus ihrem Umfeld zu sagen haben. Ich<br />
selber habe, noch bevor ich auf die<br />
Schauspielschule gekommen bin, Anfang<br />
der neunziger Jahre in Bonn ein<br />
Projekt mit Jeremy Weller gemacht. So<br />
etwas war zu der Zeit noch Neuland. Ich<br />
war damals Statist am Schauspielhaus<br />
und wollte auf die Schauspielschule. Es<br />
ging um die Frage: Wer spielt Hamlet?<br />
Was macht den Schauspieler in uns aus?<br />
Jeder von uns hatte in Improvisationen<br />
eine eigene theatralische Umsetzung<br />
seiner Geschichte gefunden, die gerade<br />
ihn befähigt, Hamlet zu spielen. Wir haben<br />
nichts anderes gespielt als das, was<br />
wir waren. So macht es Sinn. Etwas anderes<br />
sollte man von Laien nicht erwarten.<br />
Ich erinnere mich allerdings auch,<br />
dass die Schauspieler damals teilweise<br />
sehr irritiert waren, dass sie gleichberechtigt<br />
neben den Laien auf der <strong>Bühne</strong><br />
stehen sollten.<br />
Zur Zeit sind die „Experten des Alltags“,<br />
Laienprojekte und Stadtteilerkundungen<br />
ziemlich in Mode. Manchmal gehen<br />
bei Projekten mit Laien an Stadttheatern<br />
aber Anspruch und Wirklichkeit ausein-<br />
ander. Ich habe in einer Produktion mitgespielt,<br />
da sollten Schauspieler aus der<br />
Elterngeneration auf Jugendliche (ihre<br />
Kinder) trefen. Ich hatte mich sehr darauf<br />
gefreut, dass wir zusammen arbeiten<br />
und improvisieren, uns gegenseitig befruchten;<br />
ich war nun gespannt, wie ich<br />
jetzt aus der Sicht des „Prois“ mit dem<br />
Zusammentreffen klar komme. Auch<br />
weil ich inzwischen selber Vater bin und<br />
es um das Thema Väter und Söhne ging.<br />
Das fand aber gar nicht erst statt, weil<br />
man für diesen, für mich wichtigsten,<br />
Punkt der Arbeit zu wenig Zeit eingeplant<br />
hatte. <strong>Die</strong> Jugendlichen waren genau<br />
gecastet, alle hatten Vorbildung und<br />
Ambitionen. Sie haben ihre Sache sehr<br />
gut gemacht, trotzdem konnte unterm<br />
Strich nur eine bessere Schultheateraufführung<br />
herauskommen, denn die Jugendlichen<br />
wurden im Endefekt nur<br />
inszeniert und auf die <strong>Bühne</strong> gestellt.<br />
Egal, wie talentiert Laien sind, sie sind<br />
keine Schauspieler.<br />
Ich hatte mal eine sehr schöne Begegnung<br />
mit Rimini Protokoll. <strong>Die</strong> Kollegen<br />
wollten in ihr Stück „Newsroom“ mit<br />
Experten des Alltags eine Metaebene einziehen:<br />
Alle sollten spontan lachen. So<br />
einen Bruch zu spielen, war sehr schwierig<br />
für die Laien-Darsteller. Den Darstellern<br />
war dieser Umgang mit einem formalen<br />
Mittel anfangs sehr fremd und<br />
unverständlich. Deshalb wurde ich geholt,<br />
um mit ihnen einen „Lachworkshop“<br />
zu machen und um aus meiner<br />
Erfahrung zu berichten, wie man technisch<br />
mit solchen Aufgabenstellungen<br />
umgehen kann.“<br />
Fotos: Klaus <strong>Die</strong>ker, Sebastian Hoppe (2)
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 55<br />
Der multiple Schauspieler<br />
WEITERE INFOS ZUM<br />
SCHWERPUNKT<br />
URS-PETER HALTER<br />
(Schauspieler und Regisseur, seit 2006 am<br />
Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert.<br />
Am Schauspiel Essen wirkte er Volker<br />
Löschs Inszenierung „Rote Erde“ mit.):<br />
„Am Anfang fanden die Proben mit den<br />
jungen Arbeitslosen aus Essen noch gesondert<br />
von uns Schauspielern statt. <strong>Die</strong>se<br />
arbeiteten erst einige Zeit mit dem<br />
Chorleiter Bernd Freytag zusammen.<br />
Danach probten wir ununterbrochen<br />
mit ihnen gemeinsam, teilten ihre Erfahrungen,<br />
sie waren ein Teil der Produktion.<br />
Das war nah und befreiend und hat<br />
viel mit der Art des Regisseurs zu tun.<br />
Volker Lösch hat eine sehr gute Art, mit<br />
Darstellern auf der <strong>Bühne</strong> umzugehen.<br />
Er respektiert jeden einzelnen und<br />
macht keine Unterschiede. Auch Laien<br />
geht er hart an, hat aber auch immer<br />
Witz und eine große Liebe. Das war am<br />
Anfang für die meisten sehr irritierend,<br />
gleichzeitig hat er sie sofort gehabt, weil<br />
sie das so noch nie erlebt haben.<br />
Natürlich gehen Schauspieler anders<br />
miteinander um, haben eine eigene Art<br />
zu reden. Aber wir sind oft alle gemeinsam<br />
weggegangen, haben viel übereinander<br />
erfahren, wir Schauspieler mussten<br />
aber auch auspacken. Denn die<br />
Fragen nach den persönlichen Erfahrungen<br />
hat Lösch in großer Runde auch<br />
an die Schauspieler gestellt. Da musste<br />
ich Sachen beantworten, die ich seit der<br />
Schauspielschule nicht mehr öfentlich<br />
diskutiert hatte. Wir saßen alle zusammen,<br />
<strong>Bühne</strong>nbildner, Kostümbildner,<br />
Assistenten, Schauspieler, die Jungs, und<br />
man musste anfangen, über sein Leben<br />
zu reden. „Erzähl mal, wie du aufgewachsen<br />
bist.“ Oder über den Begrif von<br />
Arbeit. „Wann wart ihr denn arbeitslos?“<br />
Über so etwas sprechen Schauspieler<br />
nicht gern. Aber fast jeder hat seine<br />
Geschichten.<br />
Als Regisseur beginne ich mit spielerischen<br />
Körperübungen, Rumrennen,<br />
Fangen. Das sind Grundelemente aus<br />
der Schauspielausbildung, die eine<br />
Wachheit erzeugen. Bei „27“ am Jungen<br />
Düsseldorfer Schauspielhaus habe ich<br />
mit fünf Schülern und vier Leuten um<br />
die 75 gearbeitet. <strong>Die</strong> Rentner kommen<br />
von zu Hause, die Schüler aufgeladen<br />
aus der Schule. Das sind unterschiedliche<br />
Körpertemperaturen. Ich versuche,<br />
sie mit schnellen Spielen wach zu machen,<br />
den Alltag wegzuhauen, sie reinzuwaschen,<br />
oft mit lauter Musik. <strong>Die</strong><br />
Älteren reagieren erst irritiert, dann<br />
stürzen sie sich rein, werden itter, auch<br />
im Denken.<br />
Ich sehe keinen Sinn darin, mit Laien<br />
„Richard III.“ oder den „Besuch der alten<br />
Dame“ zu inszenieren. <strong>Die</strong> Verknüpfung<br />
mit ihrem Leben ist nicht da. Ich<br />
bleibe als Zuschauer nicht beim Inhalt,<br />
sondern bin mit dem Gedanken beschäftigt:<br />
Kriegen die das hin? Wenn sie<br />
etwas von sich selbst preisgeben, bin ich<br />
sofort bei ihnen. Der Reiz von Laienprojekten<br />
ist der subjektive Einblick in deren<br />
Realität, wie im Dokumentarilm.<br />
Und dem Spiel mit dieser Realität, so<br />
ganz anders als beim Dokumentarilm.<br />
Bei der Häufung von Laienprojekten<br />
denkt man sich manchmal, das hat auch<br />
mit dem Sparzwang der Theater zu tun.<br />
Es muss aber eine künstlerische Notwendigkeit<br />
da sein. Sonst wird die Sache<br />
sehr zwiespältig.“<br />
Buchtipps zu Rimini Protokoll und<br />
Bernd Stegemann:<br />
Rimini Protokoll: ABCD.<br />
Saarbrücker Poetikdozentur<br />
für Dramatik<br />
Hg. V. Johannes Birgfeld<br />
Verlag Theater der Zeit<br />
Berlin 2<strong>01</strong>2<br />
173 Seiten, 16 Euro<br />
In diesem eigenwilligen<br />
Theater-ABC beschreiben Helgard Haug,<br />
Stefan Kaegi und Daniel Wetzel zentrale<br />
Begrife ihrer Theaterarbeit.<br />
Bernd Stegemann:<br />
Kritik des Theaters<br />
Verlag Theater der Zeit<br />
Berlin 2<strong>01</strong>3<br />
334 Seiten, 24,50 Euro<br />
Ein brillant geschriebenes<br />
Werk, das am Kern<br />
des Gegenwartstheaters<br />
kratzt: der Performance.<br />
Buchtipp zu Joachim Meyerhof:<br />
Joachim Meyerhof:<br />
Wann wird es endlich<br />
wieder so, wie es nie war.<br />
Alle Toten liegen hoch,<br />
Teil 2<br />
Kiepenheuer & Witsch<br />
Verlag Köln 2<strong>01</strong>3<br />
352 Seiten, 19,99 Euro<br />
Liebevoll und schlau beschreibt Joachim<br />
Meyerhof die Welt seiner Jugend.<br />
Das aktuelle Stück zum Schwerpunkt:<br />
Martin Heckmanns: Es wird einmal<br />
Schauspielhaus Bochum (UA 14.12.2<strong>01</strong>3)<br />
Ein Vorsprechen am Theater wird zum<br />
modernen Mysterienspiel.<br />
Weitere Termine: 12.1./18.1./25.1.2<strong>01</strong>4
85. Jahrgang | Jan. 2<strong>01</strong>4 | H 4724 E | Deutschland 7,00 Euro<br />
Österreich 8,50 Euro | Schweiz 12,60 CHF<br />
Schauspiel<br />
Tanz<br />
Musiktheater<br />
DER FAUST:<br />
Verleihungs-Gala<br />
in Berlin<br />
Porträt:<br />
Katharina Kreuzhage,<br />
neu in Paderborn<br />
Kritik im Dialog:<br />
Giuseppe Verdis<br />
politische Sendung<br />
<strong>01</strong><br />
14<br />
4 190472 407004 <strong>01</strong><br />
SCHWERPUNKT<br />
Der multiple<br />
Schauspieler
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1/2<strong>01</strong>4<br />
AUFFÜHRUNGEN 57<br />
Aufführungen<br />
Foto: Bernd Uhlig<br />
Drei frühe Verdi-Werke hat die Hamburgische Staatsoper<br />
auf ihren Spielplan gewuchtet (das Foto zeigt Giuseppe Filianoti<br />
und Amarilli Nizza in „I due Foscari“); wir bringen eine „Kritik im<br />
Dialog“ zu den politischen Ideengehalten der drei Werke und<br />
präsentieren dazu zwei weitere unbekannte Verdi-Opern: „Stifelio“<br />
und „Giovanna d‘Arco“. Außerdem: Generationenkonlikte sind<br />
ein großes Theaterthema – gemeinsam mit der Psychotherapeutin<br />
Kornelia Wulf haben wir zwei Auführungen in Berlin besucht.
58 AUFFÜHRUNGEN<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
DER<br />
UNBEKANNTE<br />
Drei frühe Verdi-Opern, alle<br />
inszeniert von David Alden:<br />
Damit gelang der Hamburgischen<br />
Staatsoper der spannendste<br />
<strong>Bühne</strong>n beitrag zum 200. Geburtstag<br />
des Komponisten. In einer<br />
„Kritik im Dialog“ mit dem<br />
Politologen und Opernkenner Udo<br />
Bermbach fragen wir nach Verdis<br />
politischer Botschaft<br />
VERDI<br />
KEIN WEG FÜHRT AUS<br />
DIESEM KERKER: GIUSEPPE<br />
FILIANOTI ALS GESCHUNDENER<br />
JACOPO IN „I DUE FOSCARI“<br />
EIN BLUTIGES FEST:<br />
MASSIMILIANO PISAPIA, ELZA<br />
VAN DEN HEEVER UND JOHN<br />
RELYEA IN „I LOMBARDI“<br />
Fotos (3): Bernd Uhlig
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 59<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE GANZE WELT IST<br />
EIN BUNKER: SZENE AUS „LA<br />
BATTAGLIA DI LEGNANO“ MIT<br />
YONGHOON LEE ALS ARRIGO<br />
IM DIALOG ÜBER VERDI:<br />
UDO BERMBACH,<br />
POLITOLOGE UND<br />
OPERNKENNER (RE.), UND<br />
DDB-CHEFREDAKTEUR<br />
DETLEF BRANDENBURG<br />
Detlef Brandenburg: Nach diesen drei Premieren mit frühen<br />
Opern von Giuseppe Verdi muss ich sagen: Das war ein hochanerkennenswerter<br />
und im Ergebnis auch sehr bereichernder<br />
Beitrag der Hamburgischen Staatsoper zum Verdi-Jahr. Bei<br />
mir haben diese drei Opernabende vor allem zwei starke<br />
Eindrücke hinterlassen: Zum einen war ich wirklich fasziniert<br />
davon, dass schon der junge Verdi ein grandioser Musikdramatiker<br />
war. Und zum anderen war ich erstaunt darüber, wie<br />
direkt und entschieden er in diesen frühen Werken politische<br />
Themen darstellt.<br />
Udo Bermbach: Ich stimme zu: kein anderes Opernhaus in<br />
Deutschland hat etwas Ähnliches zum Verdi-Jubiläum gewagt.<br />
Und ein künstlerisches wie ökonomisches Wagnis war dies ja<br />
auch: Wer konnte wissen, ob diese drei frühen Opern ,tragen‘<br />
würden? Wer konnte vorhersehen, dass alle Auführungen,<br />
auch die nach der Premiere, fast ausverkauft waren? – Erstaunlich<br />
ist in der Tat, wie realpolitisch Verdi in diesen frühen Werken<br />
bereits ist. Natürlich ist die „Battaglia“ von vornherein als<br />
eine Art ,Agitprop‘-Stück des Risorgimento angelegt, mit einem<br />
überdrehten Patriotismus, der uns heute eher peinlich berührt.<br />
Und doch: Das tragische Scheitern des Helden an der von ihm<br />
so ersehnten Revolution zeigt die Kosten, die individuell für<br />
Politik zu bezahlen sind. Und auch die „Foscari“ erzählen, jenseits<br />
der privaten Liebesgeschichte, von diesen Kosten der<br />
Macht. Das Bild des vereinsamten Dogen, der seinen Sohn verloren<br />
hat, zum Rücktritt gezwungen wird und, nachdem er alles<br />
verloren hat, tot zusammenbricht, ist eine berührende Szene.<br />
Und ein unmissverständlicher Kommentar Verdis zu einer Po-
60 AUFFÜHRUNGEN<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
litik, die alles andere als das Wohl des Einzelnen im Blick hat.<br />
Von den „Lombardi“ ganz zu schweigen, deren Untergang man<br />
schon ahnt, bevor sie überhaupt nach Palästina aufbrechen.<br />
Man sieht: Verdi war ein politischer Realist, ohne alle Illusionen,<br />
ohne utopische Hofnungen, bodenverhaftet und tief skeptisch<br />
gegenüber allen Politikern.<br />
Detlef Brandenburg: Ja, erstaunlich. Und ich inde, in Verdis Darstellung<br />
einer Depravation von Politik, die, statt das Gemeinwesen<br />
verantwortungsvoll und zum allgemeinen Besten zu gestalten,<br />
zu einem inhumanen Intrigen- und Interessenspiel verkümmert<br />
ist, liegen erstaunliche Parallelen zu unserer Gegenwart. Oder?<br />
Udo Bermbach: Nun ist Oper ja keine Anweisung zum politisch<br />
korrekten Handeln. Eher Spiegel einer Gesellschaft, in der das<br />
Wohl des Gemeinwesens und die Humanität der Verhältnisse<br />
zwar oizielle Vorgaben der Politik sind, die Akteure sich aber<br />
zumeist doch nicht darum scheren. Was wir alle ja gerade fast<br />
lehrstückhaft erlebt haben – und weiter erleben werden. Ziehen<br />
Sie die Globalisierung mal ab, dann sind die Verhältnisse im 19.<br />
Jahrhundert kaum anders als heute. Und eben darauf hat Verdi<br />
verblüfend genau reagiert. Da er die Politik so schnell durchschaut<br />
hatte, war er von ihr auch ebenso schnell bedient. Anders<br />
lässt sich sein kurzer Auslug ins italienische Parlament<br />
kaum deuten. Und seine Briefe, in denen die politische Resignation<br />
ja deutlich formuliert wird, bestätigen das.<br />
Detlef Brandenburg: Gerade deshalb fand ich es schade, dass der<br />
Regisseur David Alden diese politische Herausforderung, die ihm der<br />
junge Verdi da stellt, in seinen drei Inszenierungen eigentlich kaum<br />
angenommen hat. Er hat die Handlung nachgestellt, im eindrucksvollen<br />
<strong>Bühne</strong>nbild von Charles Edwards, aber es blieb doch alles<br />
sehr dekorativ und sehr altbacken in der Personenführung, und<br />
dadurch belanglos. Das hat mich besonders bei „I Lombardi“ enttäuscht,<br />
weil Verdi da ja eine ganz erstaunliche Gegenvision zur<br />
verkommenen Politik der Kreuzfahrer schaft: in der Figur der Giselda<br />
und ihren Anklagen und Visionen, vor allem auch in dieser<br />
grandiosen Szene mit konzertierender Solovioline, die das Geschehens<br />
ja fast ins Irreale entrückt. Zu alledem hatte Alden aber nicht<br />
Der unbekannte Verdi II<br />
ÜBERRASCHEND<br />
MODERN<br />
Verdis „Stifelio“ am<br />
Theater Krefeld/<br />
Mönchengladbach<br />
Text_Andreas Falentin<br />
MICHAEL WADE LEE IN DER<br />
TITELPARTIE VON „STIFFELIO“<br />
Kein Liebesduett. Nicht mal ‘ne Liebesarie.<br />
Kein Schmelz. Ganz wenig „Humtata“.<br />
<strong>Die</strong>ser unbekannte, von Verdi selber<br />
hochgeschätzte „Stifelio“, Rigolettos unmittelbarer<br />
Vorgänger, ist wirklich ein<br />
merkwürdiges Stück. Da hat der Titelheld,<br />
unterstützt von dem verwitweten<br />
Stankar auf der Suche nach dem Seelenheil,<br />
auf der Flucht in Tirol eine merkwürdige<br />
protestantische Sekte gegründet<br />
und Stankars Tochter Lina geheiratet.<br />
<strong>Die</strong> verliebt sich später in einen anderen
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 61<br />
Kritik im Dialog<br />
viel zu sagen. Oder habe ich da was übersehen?<br />
Udo Bermbach: Nein, Alden hat den Plot einfach nacherzählt,<br />
er ist nirgends auf die Potentiale der drei Stücke wirklich eingestiegen<br />
– erstaunlich bei einem Regisseur, der doch vor Jahren<br />
in München mit seinen völlig unkonventionellen Händel-Inszenierungen<br />
die Barock-Oper geradezu revolutioniert hat und<br />
dessen damals überbordende Phantasie man sich auch hier erhoft<br />
hätte. Da ist eine Chance vertan worden: Giseldas berührender<br />
Ruf nach Frieden, ihr mehrfach wiederholter Ausruf,<br />
Gott wolle keinen Kampf, kein Blut, keine Schlachten ist ja die<br />
eigentliche – und zur scheinbar einsinnigen Kreuzzugshandlung<br />
widerständige – Aussage der „Lombardi“, die sich dann in<br />
der von Ihnen erwähnten Szene ins Transzendente steigert. Das<br />
sollte Regie entsprechend aufnehmen. Ich weiß allerdings nicht,<br />
ob der Aufwand, drei Verdi-Opern gleichzeitig inszenieren zu<br />
müssen, in einem Einheitsbühnenbild und mit vermutlich<br />
knappen inanziellen Ressourcen, der Phantasie eines Regisseurs<br />
nicht notwendigerweise Grenzen setzt. Einhegungen, die<br />
er selbst lieber durchbrochen hätte.<br />
Detlef Brandenburg: Da würde ich als Kritiker immer sagen: Es<br />
zählt das gebrochene Wort. Wenn Herr Alden, der ja kein ganz<br />
unerfahrener Regisseur ist, sagt, dass er‘s macht, dann muss er‘s<br />
auch machen. Das heißt: Er muss die Werke auf Augenhöhe annehmen.<br />
Aber um zu etwas Positivem zu kommen: Simone Young<br />
hat das aus meiner Sicht wirklich umwerfende musikdramatische<br />
Talent des jungen Verdi vorbildlich zur Geltung gebracht, oder?<br />
Udo Bermbach: Ja, das sind eben Stücke, deren dramatischer<br />
Gestus ihr liegt. Sie hat das sehr diferenziert dirigiert, etwa das<br />
Terzett in der „Battaglia di Legnano“ kammermusikalisch begleitet,<br />
bei den großen Tableaus der Stücke aber auch aufgedreht,<br />
ohne die Sänger völlig zuzudecken, was gelegentlich<br />
schon mal vorkommen kann. Auch das Orchester war in guter<br />
Form, so dass hier alles zusammengestimmt hat. Wie fanden Sie<br />
denn die Sänger-Besetzungen?<br />
Detlef Brandenburg: Sehr durchwachsen für ein Haus von<br />
Rang und Anspruch der Staatsoper. Viele Partien waren nicht<br />
optimal besetzt und einige wirklich schlecht. <strong>Die</strong> Lucrezia in <br />
Foto: Matthias Stutte<br />
Mann, der schließlich von ihrem Vater<br />
umgebracht wird. Aber das sehen wir alles<br />
nicht. Sektengründung und Ehebruch<br />
liegen vor Beginn der Handlung – und<br />
der Mord indet hinter der <strong>Bühne</strong> statt.<br />
Wir sehen nur Figuren, die rasender Eifersucht,<br />
Ehrversessenheit und Gewissensqualen<br />
ausgeliefert sind. Dazu<br />
kommt eine sehr eigenwillige, meistens<br />
qualitativ hochwertige, unerwartet moderne<br />
Musik.<br />
<strong>Die</strong> Inszenierung am Theater Krefeld/<br />
Mönchengladbach zeigt die Gemeinde<br />
als geschlossenes System. Hartmut<br />
Schörghöfer fasst die <strong>Bühne</strong> mit Wänden<br />
in harter, leicht changierender Metalloptik<br />
ein. Manchmal öfnet sich ein Sichtfenster<br />
in der Rückwand und zeigt ein<br />
idyllisches Dorf an einem See. Helen<br />
Malkowsky nutzt die für Verdis Verhältnisse<br />
lange Ouvertüre für ein virtuoses<br />
stummes Tableau. Mit klaren Zeichen<br />
führt die Regisseurin einen ritualisierten<br />
Sektenalltag vor. Vor diesem Hintergrund<br />
gelingen kräftige Figuren. Mit ausladendem<br />
Bariton und fast beängstigender<br />
<strong>Bühne</strong>npräsenz charakterisiert<br />
Johannes Schwärsky bezwingend den<br />
Ex-Oizier Stankar, kriegswund an Leib<br />
und Seele und ehrversessen aus Haltlosigkeit.<br />
Izabela Matula gestaltet mit<br />
leuchtendem und geläufigem, in der<br />
Höhe etwas hartem Sopran seine zwischen<br />
verschiedenen männlichen Fremdbestimmungen<br />
hin- und hergerissene<br />
Tochter. Und Michael Lee Wade ist ein<br />
sehr fokussierter Stifelio mit leicht ansprechendem,<br />
bronzen überglänztem<br />
Tenor. Es brodelt spürbar in diesen Figuren,<br />
sie sind in sich selbst gefangen bis<br />
hin zur Kommunikationsstörung. Im<br />
Schlussakt greift Malkowsky folgerichtig<br />
in Verdis Dramaturgie ein. Sie lässt den<br />
Mord auf ofener <strong>Bühne</strong> und in der Kirche<br />
geschehen. <strong>Die</strong> Tat ist in der Welt.<br />
Man kann nicht einfach weitermachen.<br />
Ein echtes Statement. Aus dem Stück entwickelt<br />
und gegen es ins Feld geführt.<br />
Musikalisch ‚sitzt‘ der Abend. GMD<br />
Mihkel Kütson etabliert, auch mit dem<br />
hervorragenden Chor und dem zu viel<br />
Piano-Disziplin verplichteten Ensemble,<br />
einen klar konturierten, transparenten<br />
und gleichzeitig sehr dynamischen<br />
Klang, aus dem die präsenten, delikat<br />
spielenden Streicher herausstechen. Instrumente<br />
und Gesang leisten hier sehr<br />
deutlich – ofensichtlich im Einklang mit<br />
der Inszenierung – nicht nur eine Versinnlichung<br />
des Geschehens, sondern<br />
schafen auch epische Distanz. Der Zuschauer<br />
indet Menschen auf der <strong>Bühne</strong>,<br />
aber keine Freunde, keine Helden. Er soll<br />
nachdenken.
62 AUFFÜHRUNGEN<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
„I due Foscari“ beispielsweise: das ist eine fordernde, aber<br />
doch wirklich auch faszinierende, tolle Sopranpartie, mit der<br />
Amirilli Nizza aus meiner Sicht aber völlig überfordert war.<br />
Zuvor war ich schon bei „La battaglia di Legnano“ eigentlich<br />
mit keiner Stimme so richtig zufrieden gewesen (auch die<br />
von der Staatsoper zum Verdi-Kongress geladenen Experten<br />
haben ja nach der Vorstellung ziemlich gelästert, nicht wahr?).<br />
Wer mir trotzdem gut gefallen hat, war Yonghoon Lee, dessen<br />
Tenor zwar zu schwer ist für den Arrigo, aber die Stimme sitzt<br />
wenigstens, hat Feuer und Ausdruckskraft. Bei den „ Lombardi“<br />
muss ich sagen, dass zwar auch da keine Stimme optimal auf<br />
der jeweiligen Partie lag und einige beträchtlich weit darunter.<br />
Aber was beispielsweise Elza van den Heever als Giselda oder<br />
John Relyea als Pagano dann draus gemacht haben, fand ich<br />
beachtlich. Vor allem die dramatische Präsenz gerade dieser<br />
beiden – die haben mit der Stimme mehr über ihre Figuren vermittelt<br />
als Aldens ganze Personenführung. Und dann war auch<br />
der Chor für mich in allen drei Opern ein Erlebnis, eigentlich<br />
ein Hauptdarsteller, der seine Sache wirklich gut gemacht hat.<br />
Ich war mir allerdings nie so ganz sicher, ob die Platzierung der<br />
Chorsänger auf der Empore, die ja in der „Battaglia“ und den<br />
„Foscari“ durchgehalten und dann in den „Lombardi“ merkwürdigerweise<br />
aufgegeben wurde – ob das nun Konzept war<br />
oder Verlegenheitslösung.<br />
Udo Bermbach: Ich inde ganz subjektiv, Sie beurteilen die Sänger<br />
und Sängerinnen zu negativ. Es gab unbefriedigende Besetzungen,<br />
wie das fast stets der Fall ist. Aber ich fand die Protagonisten<br />
insgesamt gut bis sehr gut. Und diese sogenannten<br />
„Experten“, die Sie erwähnen, die lassen wir doch mal beiseite.<br />
<strong>Die</strong> neigen dazu, alles herunterzureden und ihre Urteile zumeist<br />
an imaginären Kriterien zu bilden; weil sie<br />
z.B. Verdi-Sänger wollen, die es zu Verdis Zeiten selbst noch<br />
nicht gab. Und bedenken Sie, wie schwer es ist, Partien zu besetzen,<br />
die die betrefenden Sänger an anderen Häusern und<br />
in anderen Produktionen nicht mehr verwenden können. Was<br />
den Chor betrift, sind wir einer Meinung. Mit dem neuen<br />
Chordirektor Eberhard Friedrich hat Hamburg einen Glücksgrif<br />
getan – Bayreuth an der Elbe. Insgesamt haben die drei<br />
Der unbekannte Verdi III<br />
VERDIS<br />
EXPERIMENTIERLUST –<br />
GEZÄHMT<br />
Sabine Hartmannshenn<br />
inszeniert in Bielefeld<br />
„Giovanna D‘Arco“<br />
Text_Andreas Falentin<br />
LIANGHUA GONG, ASTRID<br />
KESSLER UND EVGUENIY<br />
ALEXIEV SOWIE DER CHOR IN<br />
„GIOVANNA D‘ARCO“<br />
Nein, Verdis siebte Oper szenisch aufzuführen,<br />
ist nicht einfach. Zu schematisch<br />
erscheinen die Figuren, zu wenig<br />
motiviert ihre Handlungen, zu wenig<br />
zugkräftig wirkt die Musik. Dabei liefert<br />
Verdis von Experimentierlust überquellende,<br />
fast visionär eine italienische<br />
Romantik auf die Opernbühne katapultierende<br />
Partitur ungewöhnliche dra matische<br />
Impulse. <strong>Die</strong> Ouvertüre etabliert<br />
klar drei Atmosphären: private Idylle,<br />
Krieg und Ruhm, unheimliche Düster-
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 63<br />
Kritik im Dialog<br />
Stücke doch gezeigt, wie früh der Musikdramatiker Verdi<br />
schon zu erkennen ist, auch dank des starken Einsatzes der<br />
Protagonisten.<br />
Detlef Brandenburg: Insoweit d’accord: Das Engagement der<br />
Ensembles hat viel zum musikalischen Gelingen der drei Abende<br />
beigetragen. Aber noch mal zurück zur Politik: Wenn Sie von<br />
diesen frühen Opern auf Verdis reife Werke schauen: Hat sich<br />
Verdis Einstellung zur Politik und die Art, wie er sie in seinen<br />
Opern darstellt, so stark verändert?<br />
Udo Bermbach: Nein, ich denke, nicht entscheidend. Er war<br />
auch in seinen späten Jahren ein scharfsinniger Beobachter der<br />
Politik, aber die Koordinaten seiner Grundüberzeugungen haben<br />
sich wenig geändert. Er war und blieb ein national eingestellter<br />
Mensch, dem die Einheit Italiens am Herzen lag; ein<br />
Liberaler, der gegen alle staatliche Bevormundung auftrat; ein<br />
Anti-Klerikaler, dem die autoritäre Herrschaft der katholischen<br />
Kirche zuwider war; und einer, der eine soziale Politik zugunsten<br />
der kleinen Leute für unabdingbar hielt – und sie selbst<br />
betrieb. „Ich habe den Standpunkt der linken Mitte gewählt“,<br />
schrieb er 1861 einmal an einen Freund – und dieses Bekenntnis<br />
prägt auch seine Vorstellungen von Politik in all seinen<br />
Opern. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung, um Frieden<br />
und ein menschenwürdiges Leben in einer Welt, die weit von<br />
diesen Werten entfernt ist. Damals wie heute.<br />
UNSER DIALOGPARTNER<br />
Professor Dr. Dr. h.c. Udo Bermbach (*1938 in Berlin) war von<br />
1971 bis 20<strong>01</strong> Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg<br />
mit den Schwerpunkten Politische Theorie und Politische<br />
Ideengeschichte. Ab Mitte der 90er Jahre veröfentlichte<br />
er bahnbrechende Studien zu den politischen Konzepten in<br />
Richard Wagners Opern und theoretischen Schriften. Heute<br />
ist er einer der angesehensten und meistbeachteten Experten<br />
für die politischen Ideengehalte musikdramatischer Werke<br />
weit über Wagner hinaus.<br />
Foto: Bettina Stöß<br />
nis. Verdis Librettist Solera hat Schillers<br />
großformatiges Theatergemälde auf drei<br />
Figuren verknappt: die Titeligur, ihren<br />
Vater und den französischen Dauphin. In<br />
ihnen sind individuelle Konlikte angelegt,<br />
die durch unkonventionelle musikalische<br />
Mittel hörbar gemacht werden<br />
sollen: lange a-cappella-Passagen; auf Johanna<br />
einwirkende, dem Chor anvertraute<br />
gute und böse Geisterstimmen;<br />
oder gemeinsam kammermusikalisch<br />
konzertierende Solo-Instrumente.<br />
Das Theater Bielefeld hat sich – als einziges<br />
weit und breit im Verdi-Jahr – an<br />
„Giovanna d’Arco“ herangetraut, die Regisseurin<br />
Sabine Hartmannshenn sucht<br />
in Stoff und Werk nach dem gesellschaftskritischen<br />
Potenzial. Sie entscheidet<br />
sich für einen Blick von außen auf<br />
heutige Figuren und scheut vor plakativen<br />
Bildwirkungen nicht zurück, lässt<br />
diese aber unentschlossen zwischen Ironie<br />
und Pathos pendeln. So kippt die Aufführung<br />
immer wieder ins Dekorative,<br />
beispielhaft zu beobachten an den optisch<br />
attraktiven, dramaturgisch unproduktiven<br />
Chorkostümen von Susana<br />
Mendoza. <strong>Die</strong> <strong>Bühne</strong> von Stefan Heinrichs<br />
zeigt zu Beginn einen jener großen<br />
Menschenkäige, die sich seit Götz Friedrichs<br />
Berliner „Boris Godunov“ als Emblem<br />
für Diktatur und Ungerechtigkeit<br />
auf den <strong>Bühne</strong>n etabliert haben. Im zweiten<br />
Akt laufen auf der Rückwand mit Fotos<br />
ausgestattete Listen durch, mutmaßlich<br />
Opfer von Krieg und Verfolgung, die<br />
nach und nach durch Abbildungen der<br />
historischen Jeanne d’Arc ersetzt werden.<br />
<strong>Die</strong>se dominieren nach der Pause in<br />
Form riesiger Plakate die <strong>Bühne</strong>. Jetzt<br />
geht es um die Entstehung von Personenkult,<br />
um Idole und ihre Vernichtung. Das<br />
ist klar und verständlich gearbeitet, gibt<br />
aber die Figuren und ihre Nöte nahezu<br />
der Lächerlichkeit preis.<br />
Paul O’Neill bemüht sich als Dauphin<br />
mit verhärtetem, unlexiblem Tenor immerhin<br />
spürbar um Pianokultur, Evgueniy<br />
Alexiev verbreitet als Giacomo<br />
mit klangschönem Bariton stimmlichen<br />
Glanz. Astrid Kessler gelingt mehr. Mit<br />
biegsamem, lyrischem, in der Expansion<br />
noch etwas schlankem Sopran schaft sie<br />
mit natürlichem Spiel und organischer<br />
Phrasierung eine berührende Titeligur.<br />
Alexander Kalajdzic und das ausgezeichnete<br />
Orchester beginnen delikat und<br />
geben der ungewöhnlichen Partitur<br />
trotz mancher etwas rabiat genommenen<br />
Passage Kraft und Leben, der Chor<br />
der Bielefelder Oper rückt nach unsicherem<br />
Beginn, wie von Verdi vorgesehen,<br />
furios ins Zentrum des musikalischen<br />
Geschehens.
64 AUFFÜHRUNGEN<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
WIRD<br />
THEATER<br />
ZUR<br />
FAMILIEN-<br />
THERAPIE?<br />
„Mehrgenerationentheater“ nennt sich die Form von Theater, die<br />
Großeltern, Eltern, Jugendliche gleichermaßen einbeziehen will<br />
– und teils sogar gemeinsam auf die <strong>Bühne</strong> bringt. Wird Theater<br />
hier zur Familientherapie? Eine Kritik im Dialog zwischen der<br />
Psychotherapeutin Kornelia Wulf und der Theaterkritikerin Barbara<br />
Behrendt über „Wenn du nicht mehr da bist“ am Theater<br />
Parkaue und „<strong>Die</strong> letzte Kommune“ am Grips-Theater in Berlin<br />
Barbara Behrendt: Sie stehen seit Jahren gemeinsam<br />
auf der <strong>Bühne</strong> und waren sehr präsent, das<br />
Thema brannte ihnen wohl unter den Nägeln. Das<br />
Stück bombardierte einen dann fast mit zu vielen<br />
Fragen: Wie gehen junge Leute mit dem Tod um,<br />
wie mit dem Sterben anderer, wie lassen Eltern ihre<br />
Kinder los, wie Großeltern das Leben. Schwierig<br />
fand ich, dass Felix plötzlich doch nicht tot ist. <strong>Die</strong>sen<br />
Knif braucht es vielleicht aus dramaturgischen<br />
Gründen – er schwächt die Ernsthaftigkeit aber<br />
enorm, meinen Sie nicht?<br />
Kornelia Wulf: Doch, sehr. Eben ging es noch um<br />
den Tod eines Freundes, um eine ernsthafte Auseinandersetzung<br />
damit. Das war nur ein Missverständ-<br />
DIETHEATERKRITIKE-<br />
RIN BARBARA BEH-<br />
RENDT UND DIE<br />
PSYCHOTHERAPEUTIN<br />
KORNELIA WULF<br />
Barbara Behrendt: Frau Wulf, wir haben zwei<br />
sehr unterschiedliche Stücke gesehen. Reden wir<br />
zunächst über „Wenn du nicht mehr da bist“ für<br />
Jugendliche ab 14 an der Parkaue. <strong>Die</strong> jungen<br />
Laienspieler vom „Theaterclub 4“ haben mit der<br />
Regisseurin Joanna Praml einen Abend über<br />
Abschied, Sterben und Tod erarbeitet. Kein Trauerdrama,<br />
sondern ein rasantes, bewegendes, auch<br />
witziges Stück der Jugendlichen über sich selbst. Sie<br />
trauern darin um ihren Mitschüler Felix, nehmen<br />
Videobotschaften an ihn auf, recherchieren übers<br />
Sterben und überlegen, wie sie sich verabschiedeten,<br />
wäre heute ihr letzter Lebenstag. Doch Felix ist<br />
nicht tot, er hat lediglich ein Schuljahr in den USA<br />
verbracht. Gemeinsam mit ihm betritt plötzlich sein<br />
Vater die <strong>Bühne</strong> sowie die Eltern der jugendlichen<br />
Spieler, für die der Abschied von den groß gewordenen<br />
Kindern ein kleiner Tod bedeutet. Auch die<br />
Großmütter haben einen Auftritt. Es ist eine Art<br />
biograisches Recherchetheater, das mich an She<br />
She Pops „Testament“ erinnert, bei dem die Väter<br />
der Performer mit auf der <strong>Bühne</strong> stehen. „Wenn du<br />
nicht mehr da bist“ hat manchen im Publikum zum<br />
Weinen gebracht. Sie waren auch bewegt, richtig?<br />
Kornelia Wulf: Ja, mich hat das richtig erwischt. <strong>Die</strong><br />
Spieler waren sogar selbst berührt. Vor allem die<br />
Jugendlichen fand ich sehr authentisch.<br />
Fotos: David Baltzer, Foto Behrendt: Mika Redeligx, Foto Wulf Foto: privat
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
AUFFÜHRUNGEN 65<br />
Kritik im Dialog<br />
LINKS: „DIE LETZTE<br />
KOMMUNE“ MIT DEM<br />
ENSEMBLE DES<br />
BERLINER GRIPS THEATERS<br />
RECHTS: „WENN DU NICHT<br />
MEHR DA BIST“ MIT<br />
JUGENDLICHEN AM BERLINER<br />
THEATER AN DER PARKAUE<br />
nis? Plötzlich ist alles nicht so schlimm? Das geht<br />
doch an der Realität vorbei.<br />
Barbara Behrendt: Felix’ vermeintlicher Tod hat die<br />
Gemeinschaft gestärkt, das klingt plausibel.<br />
Kornelia Wulf: Ja, absolut. <strong>Die</strong> Frage nach dem Umgang<br />
mit dem Tod hält die Menschen zusammen.<br />
Und Jugendliche setzen sich heute oft mit Suizid<br />
auseinander. Früher war das weniger der Fall, oder<br />
es gab weniger Therapeuten, die es bemerkten. Derzeit<br />
scheint die Jugend in Not zu sein; das liegt am<br />
ungeheuren Leistungsdruck, den Schule und Eltern<br />
ausüben. Es wird nicht akzeptiert, wenn man in der<br />
elften Klasse noch nicht weiß, was man werden<br />
möchte. <strong>Die</strong> Problematik kommt also mehr von außen<br />
als von innen.<br />
Barbara Behrendt: Vermutlich ist es deshalb wichtig,<br />
diese Themen auf der <strong>Bühne</strong> zu verhandeln.<br />
<strong>Die</strong> Frage ist aber: Ist das nur für die Spieler eine<br />
wichtige Erfahrung – oder gleichermaßen für den<br />
Zuschauer interessant? <strong>Die</strong> dichte Choreographie<br />
des Abends, der rasche Wechsel zwischen vermeintlich<br />
spontanen und vorbereiteten Szenen, zwischen<br />
Video, Recherche und hoch emotionalen Spielszenen,<br />
das fand ich auch ästhetisch gelungen.<br />
Kornelia Wulf: Alle haben sich ganz viel erspielt.<br />
Das war besser als jede Therapie, die sie hätten machen<br />
können. Aber auch ich als Zuschauer habe gemerkt:<br />
Das eine oder andere Thema habe ich selbst,<br />
hier geht es nicht nur um die therapeutische Wirkung<br />
für die Spieler.<br />
Barbara Behrendt: Würden Sie Ihren jungen Klienten<br />
den Abend empfehlen?<br />
Kornelia Wulf: Solchen, die sich gerade mit Selbstmord<br />
auseinandersetzen, ja. Um mitzufühlen, wie es<br />
anderen damit geht. Es ist ja immer noch ein Tabuthema.<br />
Von Erwachsenen kriegen Jugendliche oft<br />
nur blöde Antworten: „Das Leben ist doch lebenswert.“<br />
Da fühlen sie sich nicht ernst genommen. Bei<br />
diesem Stück ist das anders – hier setzen sich Jugendliche<br />
selbst damit auseinander. Man muss sich aller-
66 AUFFÜHRUNGEN<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
GRIPS-SCHAUSPIELER IN<br />
„DIE LETZTE KOMMUNE“<br />
ZWEI SENIOREN IN<br />
„WENN DU NICHT MEHR DA BIST“<br />
dings gut abgrenzen können, weil einem viel entgegengeschleudert<br />
wird. Man muss darauf vorbereitet<br />
sein, stark emotional bewegt zu werden.<br />
Barbara Behrendt: Bei so einem Projekt Regie zu<br />
führen – das ist auch eine therapeutische Arbeit,<br />
oder?<br />
Kornelia Wulf: Extrem therapeutisch! <strong>Die</strong> Regisseurin<br />
muss die Emotionen bündeln können. Besonders<br />
Jugendliche kann man nicht so rational steuern<br />
wie Erwachsene. Jeder hat hier seinen eigenen Umgang<br />
mit dem Tod und dem Abschiednehmen dargestellt,<br />
das war stark.<br />
Barbara Behrendt: <strong>Die</strong> Spieler ofenbaren sich<br />
mit ihrer ganzen Familie, da gehört Mut dazu.<br />
Vielleicht lehrt es auch Empathie – es ist ja ein<br />
Anliegen des Mehrgenerationentheaters, andere<br />
Altersgruppen verstehbar zu machen.<br />
Kornelia Wulf: Für Jugendliche ist das weit weg, sie<br />
beschäftigen sich mit sich selbst. Aber apropos Empathie:<br />
<strong>Die</strong> beiden Großmütter hatten ganz ihren<br />
Frieden mit dem Sterben gemacht, das kam mir<br />
nicht authentisch vor. Mir hat jemand gefehlt, der<br />
sagt: Scheiße, jetzt bin ich 80, aber ich will nicht sterben.<br />
Mein Opa zum Beispiel hat mit 90 noch mal<br />
geheiratet. Er hätte sich mit 80 nicht hingesetzt und<br />
gesagt: Ach, wer will denn ewig leben.<br />
Barbara Behrendt: Ging mir genauso. Der Auftritt<br />
der Omas war arg versöhnlich und lieb. Vielleicht<br />
hat sich die Regisseurin nicht näher herangetraut.<br />
<strong>Die</strong> Großmütter schienen beim Applaus aber sehr<br />
glücklich über das Ergebnis zu sein!<br />
Kornelia Wulf: Zu Recht – welche Oma darf sich so<br />
mit der Familie zeigen? Ich fand es sehr ergreifend.<br />
Barbara Behrendt: Das Ergrifensein ist heute<br />
selten im Theater. Schön, einmal sagen zu können:<br />
Der Abend kann einem zu nah kommen. Er ist eine<br />
Art Selbsterfahrung auf der <strong>Bühne</strong>, vermittelt für<br />
den Zuschauer. Ein großes Gesprächsangebot, ein<br />
Impuls, den das Theater gibt, damit die Zuschauer<br />
damit weiterarbeiten.<br />
Kornelia Wulf: Ganz klar: Das MUSS man aufgreifen<br />
und aufarbeiten, für jedes Alter. Familien und<br />
Theaterpädagogen sind gefordert, das Gespräch fortzuführen.<br />
Barbara Behrendt: Reden wir übers die Inszenierung<br />
im Grips-Theater. In „<strong>Die</strong> letzte Kommune“<br />
von Peter Lund und Thomas Zaufke trefen auch<br />
drei Generationen aufeinander, allerdings spielen<br />
dabei professionelle Schauspieler ein Musical für<br />
Erwachsene. Zwei alt gewordene 68er stehen vor<br />
der Entscheidung, ins Plegeheim zu ziehen oder<br />
ihrer Familie zur Last zu fallen. Sie erwecken mit<br />
ihren Enkeln die Lebensform der Kommune neu –<br />
womit deren Eltern, also die Generation dazwischen,<br />
gar nicht einverstanden sind. Das Stück in<br />
der Regie von Franziska Steiof ist eine Art Polit-<br />
Comedy. Inwiefern hat es psychologischen Wert?<br />
Fotos: David Baltzer
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
AUFFÜHRUNGEN 67<br />
Kritik im Dialog<br />
DIE<br />
GESPRÄCHS-<br />
PARTNER<br />
Kornelia Wulf ist<br />
selbstständige<br />
Psychotherapeutin<br />
und Coach für<br />
Jugendliche und<br />
Erwachsene in<br />
ihrer „Praxis für<br />
die Seele“ in Berlin.<br />
Sie nutzt diverse<br />
therapeutische<br />
Interventionen,<br />
u.a. aus der<br />
Systemischen-, der<br />
Gestalt- und der<br />
Clowntherapie<br />
Barbara Behrendt<br />
arbeitet als freie<br />
Journalistin in<br />
Berlin, u.a. für DIE<br />
DEUTSCHE BÜHNE<br />
TERMINE<br />
„<strong>Die</strong> letzte<br />
Kommune“ am<br />
Grips Theater:<br />
28.1.2<strong>01</strong>4, 29.1.,<br />
30.1., 31.1. 1.2.2<strong>01</strong>4.<br />
„Wenn Du nicht<br />
mehr da bist“ wird<br />
am Theater an der<br />
Parkaue im März<br />
wieder gespielt<br />
Kornelia Wulf: Der Autor ist sicher psychologisch<br />
bewandert. Wir lernen an dem Abend drei jugendliche<br />
Prototypen kennen: Lotte, die Co-Abhängige;<br />
Philipp, der emotionale Typ, der sich hinter seiner<br />
Coolness versteckt; und Atze, der System-Loser.<br />
Barbara Behrendt: <strong>Die</strong> jungen Figuren wirken sehr<br />
stereotyp. Der Autor steht den Fragen der eigenen,<br />
älteren Generation näher.<br />
Kornelia Wulf: Absolut. Eine Jugendliche hat sich in<br />
der Pause beklagt, dass sie die Witze nicht versteht<br />
und sich langweilt. Der Humor ist wirklich sehr auf<br />
die 68er-Generation und ihre politischen Überzeugungen<br />
gemünzt. Mich würde es als Jugendliche<br />
sauer machen, wenn ich drei Stereotypen meiner<br />
Generation vorgesetzt bekäme.<br />
Barbara Behrendt: Das Grips ist ein Mutmach-<br />
Theater, das sagt: Rottet euch zusammen, lasst euch<br />
das nicht gefallen! <strong>Die</strong> Figuren sind aber zum Teil<br />
so klischiert, dass ich mich nicht ernst genommen<br />
fühle – obwohl ihre Probleme real existieren.<br />
Kornelia Wulf: Manchmal war ich mir gar nicht sicher:<br />
Wollen die mich verschaukeln, ist das ironisch<br />
gemeint? Das ist auch jetzt noch ein Fragezeichen<br />
bei mir.<br />
Barbara Behrendt: „Wenn du nicht mehr da bist“<br />
an der Parkaue regt zur Auseinandersetzung an.<br />
Das tut „<strong>Die</strong> letzte Kommune“ auch, aber auf einer<br />
sozialpolitischen Ebene, weniger mit psychologischem<br />
Ansatz. Könnte es ein Familiengespräch<br />
auslösen, es mit drei Generationen anzuschauen?<br />
Kornelia Wulf: Leichter vielleicht sogar als an der<br />
Parkaue, weil der Abend nicht so gefühlsgeladen<br />
ist. Man kann nachdenken: Wie geht man mit einem<br />
dementen Menschen um, der nicht mehr leben<br />
will? Was tun wir, wenn Opa nicht ins Heim<br />
will? Klar, auf psychologischer Ebene war das<br />
lach. Aber manche vertragen nur die seichte Art,<br />
und das Grips bietet diese Art, sich Themen anzuschauen.<br />
Das Stück will auch unterhalten – und<br />
das macht es sehr gut!<br />
Barbara Behrendt: Interessant inde ich, dass diese<br />
Dreigenerationen-Abende eher zwei Generationen<br />
ansprechen: An der Parkaue die Jugendlichen<br />
und ihre Eltern, am Grips die Senioren und deren<br />
Kinder. Für wie sinnvoll halten Sie Mehrgenerationenprojekte<br />
generell?<br />
Kornelia Wulf: Sie machen Sinn, weil wir nicht<br />
mehr in drei Generationen zusammenleben, zumindest<br />
in der Stadt. Das Sterben von Großeltern wird<br />
anders miterlebt. Ich kenne es noch, dass die Oma<br />
im Flur aufgebahrt wird, dass Tod etwas Normales<br />
ist. In der Stadt sind wir heute vereinzelter und fangen<br />
gerade an zu begreifen, dass das blöd sein kann.<br />
In Mehrgenerationenhäusern wird wieder versucht,<br />
Junge und Alte zusammenzubringen. Wir merken<br />
wieder, dass Gemeinschaft einen Sinn ergibt.<br />
Barbara Behrendt: Sind Stücke mit Themen wie<br />
Alter, Krankheit, Tod auch deshalb wichtig, weil sie<br />
in der Familie nicht mehr verhandelt werden?<br />
Kornelia Wulf: Das glaube ich. Mein Eindruck ist,<br />
dass die Gesellschaft emotional verlacht. Man<br />
empindet nicht mehr so stark – soll es gar nicht,<br />
das wird aberzogen. Auch die Zeit, über solche Themen<br />
zu sprechen, ist nicht mehr da. Meist sind beide<br />
Eltern berufstätig; sie müssen delegieren, sind<br />
weniger für ihre Kinder da. Wenn etwas nicht<br />
stimmt, muss ein Fachmann ran, der Psychologe.<br />
<strong>Die</strong> Jugendlichen legen mir dann ihren ganzen<br />
Müll vor die Füße; ihren Eltern würden sie das nie<br />
zumuten. Es ist eine wütende Generation, die ihre<br />
Wut oft autoaggressiv abbaut: Jedes vierte Mädchen<br />
ritzt sich.<br />
Barbara Behrendt: Vielleicht braucht es die Vehemenz<br />
von „Wenn du nicht mehr da bist“, um emotional<br />
zum Publikum durchzudringen? Vielleicht ist<br />
es gut, wenn die Wut, von der Sie sprachen, auf der<br />
<strong>Bühne</strong> Platz bekommt, bevor sie autoaggressiv wird.<br />
Kornelia Wulf: Ja, absolut! Hier stellen sich Jugendliche<br />
hin und sagen ihren Eltern: Ich mute dir zu,<br />
was in mir ist, schau dir das mal an.<br />
Barbara Behrendt <strong>Die</strong>se Mehrgenerationenprojekte<br />
inde ich sinnvoll, wenn sie wirklich die ganze<br />
Familie einbeziehen und ein Gespräch über den<br />
Abend hinaus anregen. Sobald das gelingt, nehme<br />
ich mich auch mit Kritik an Form und Ästhetik<br />
zurück.<br />
Kornelia Wulf Es gibt kaum ein besseres Ausdrucksmittel<br />
als das Theater: Man hat das Publikum, das<br />
Wort, den Körper und beim biographischen Recherchetheater<br />
sogar die eigene Lebensgeschichte zur<br />
Verfügung. Es kann eine Entlastung sein, sich auf<br />
der <strong>Bühne</strong> so zu öfnen – das ist wie eine persönliche<br />
Demonstration für die eigenen Themen. Vielleicht<br />
hat das Theater damit einen neuen Auftrag gewonnen:<br />
einen therapeutischen.
68 AUFFÜHRUNGEN<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Premierenkompass<br />
Kompass<br />
Januar<br />
2<strong>01</strong>4<br />
ALAIN PLATEL ZEIGT IN<br />
MÜNCHEN „TAUBERBACH“<br />
KARIN BEIER WILL MIT<br />
„DIE RASENDEN“ STARTEN<br />
UND ZWAR AM DEUTSCHEN<br />
SCHAUSPIELHAUS HAMBURG<br />
DER PERSÖNLICHE<br />
PREMIERENFÜHRER VON<br />
DETLEV BAUR<br />
Lesen Sie, liebe Leser, gerne Theaterstücke?<br />
Wenn Sie sich nicht gerade als<br />
Dramatiker, Dramaturg, Verlagslektor<br />
oder Regisseur berulich damit beschäftigen,<br />
werden Sie diesen anstrengenden<br />
Texten mit ständig wechselnden<br />
Sprechern, die womöglich noch nicht<br />
einmal namentlich bezeichnet sind,<br />
vermutlich eher aus dem Weg gehen.<br />
Und da auch Gedichte anstrengend sind,<br />
lesen die meisten von uns doch viel<br />
lieber Kurzgeschichten oder auch<br />
längere Romane. Ich habe gerade mit<br />
Balzacs „Tante Lisbeth“ angefangen, weil<br />
ich noch vor Erscheinen dieses <strong>Heft</strong>es,<br />
am 19. Dezember 2<strong>01</strong>3, Frank Castorfs<br />
<strong>Bühne</strong>nauseinandersetzung mit dieser<br />
Geschichte des keineswegs romantischen<br />
Paris des 19. Jahrhunderts besuchen<br />
(und kritisch auf unserer Homepage<br />
würdigen) will.<br />
Wenn Sie also gerade „Ansichten eines<br />
Clowns“ von Böll oder Frischs „Homo<br />
faber“ auf dem Nachttisch liegen haben<br />
– oder auch nicht lesen, aber dafür in<br />
Kurzform illustriert sehen möchten,<br />
können ihnen mit Böll die <strong>Bühne</strong>n Bonn<br />
ab 25.1. weiterhelfen, mit Frisch gar das<br />
Staatstheater Braunschweig ab 18.1. oder<br />
als Tanzstück das Theater Bern ab 17.1.<br />
Oder interessieren Sie eher frischere<br />
Bücher wie Hornbys „Nipple Jesus“ oder<br />
Herrndorfs „Tschick“? Dann bieten sich an<br />
„Nipple Jesus“ am 17.1. in Bremerhaven<br />
oder „Tschick“ in Bochum (8.1. am<br />
Prinzregent Theater), in Gießen (23.1.)<br />
sowie in Quedlinburg (30.1.). Vielleicht<br />
lesen Sie momentan aber auch lieber<br />
Klassischeres? Thomas Manns „Buddenbrooks“<br />
sind ab 18.1. in Würzburg zu<br />
sehen; Goethes „Werther“ ebenfalls ab<br />
18.1. in Bruchsal.<br />
<strong>Die</strong> Auswahl ist aber noch größer. Das<br />
Premierenverzeichnis der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Bühne</strong>, das wir beginnend mit diesem<br />
<strong>Heft</strong> in aller Ausführlichkeit bis hin zu<br />
neuen Abfragemöglichkeiten auf unsere<br />
Homepage ausgelagert haben, gleicht<br />
fast einer kleinen Bestsellerliste: So indet<br />
sich der autobiographische Roman „The<br />
Basketball Diaries“ am Landestheater<br />
Coburg. Kafkas „Prozess“ ist in Darmstadt<br />
und in Wilhelmshaven geplant, „Das<br />
Schloss“ will Henning Paar am Theater<br />
Münster choreographieren. Dostojewskis<br />
„Der Spieler“ läuft in Düsseldorf, „Schuld<br />
und Sühne“ steht auf dem Programm des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhauses in Hamburg.<br />
Das Landestheater Niederbayern zeigt in<br />
Landshut John von Düfels Tolstoi-Bearbeitung<br />
von „Anna Karenina“, „Krieg und<br />
Frieden“ wird an der Landesbühne<br />
Rheinland-Pfalz in Neuwied gespielt.<br />
Knut Hamsuns „Hunger“ bringt das<br />
Saarländische Staatstheater auf die<br />
<strong>Bühne</strong>, Bernhards „Holzfällen“ das<br />
Schauspielhaus Graz, Christa Wolfs<br />
„Kassandra“ das Pfalztheater Kaiserslautern.<br />
Das Salzburger Landestheater hat<br />
Camus „<strong>Die</strong> Pest“ auf dem Programm<br />
und das Schauspielhaus Zürich Frischs<br />
„Mein Name sei Gantenbein“.<br />
Nach wie vor gibt es aber auch noch<br />
andere Formen von Stückvorlagen. Wie auf<br />
Seite 25 beschrieben, gehört zu den<br />
prominentesten Premieren des Monats<br />
Januar die Wiederausgrabung von Lilian<br />
Fotos: Chris van der Burght, Klaus Lefebvre, A.T. Schaefer, Barbara Braun, Keystone, Ruolf Semotan, Münchner Kammerspiele
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 69<br />
Premierenkompass<br />
MAX FRISCH, AUTOR<br />
VIELGESPIELTER ROMANE<br />
Hellman „<strong>Die</strong> kleinen Füchse“ am 18.1. an<br />
der Berliner Schaubühne. In Thomas<br />
Ostermeiers Inszenierung ist Nina Hoss<br />
erstmals an der Schaubühne zu sehen. Am<br />
selben Tag hat die ursprünglich als<br />
Einstandsinszenierung geplante Antikenkompilation<br />
„<strong>Die</strong> Rasenden“ von Karin<br />
Beier Premiere; allerdings wird es in<br />
Hamburg wesentlich länger gehen, von<br />
NINA HOSS DEBÜTIERT<br />
AN DER SCHAUBÜHNE IN<br />
„DIE KLEINEN FÜCHSE“<br />
acht Stunden ist im Vorfeld die Rede. Kurz<br />
vor Fertigstellung der sanierten <strong>Bühne</strong> des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhauses in Hamburg<br />
beschädigten die Gegengewichte des<br />
Eisernen Vorhangs die <strong>Bühne</strong> und<br />
erforderten aufwendige Reparaturarbeiten,<br />
so dass die Premiere um genau zwei<br />
Monate verschoben werden musste. Mit<br />
dabei sind Ausnahmekönner wie Lina<br />
AUCH EIN THEATER-<br />
ROMAN-AUTOR: FJODOR<br />
M. DOSTOJEWSKI<br />
DIE MÜNCHNER KAM-<br />
MERSPIELE. SPIELORT FÜR<br />
PLATELS „TAUBERBACH“<br />
Beckmann, Markus John, Joachim<br />
Meyerhof, Birgit Minichmayr, Maria<br />
Schrader oder Julia Wieninger. Als dritte<br />
prominente Regiearbeit des Monats sei<br />
die Premiere vom 17.1. an den Münchner<br />
Kammerspielen genannt. Alain Platel wird<br />
dort mit einem taubstummen Ensemble<br />
eine Choreographie zu Bach zeigen:<br />
„Tauberbach“.<br />
Den gesamten Premierenkompass<br />
finden Sie unter<br />
www.die-deutsche-buehne.de/premieren<br />
17.–29. JUNI 2<strong>01</strong>4<br />
IN HAMBURG<br />
JETZT ONLINE BEWERBEN UNTER WWW.PRIVATTHEATERTAGE.DE
HÖHEPUNKTE 2<strong>01</strong>4<br />
31.1. / 19 UHR / ERÖFFNUNG FRAGEN SIE MEHR ÜBER<br />
BRECHT mit Burghart Klaußner / Theater Großes Haus<br />
1.2. / 12 / 20 / 3 UHR / TRINATIONALES THEATERPROJEKT<br />
BRECHT³ mit Video-Livestream aus bzw. nach Japan und USA / Internationale<br />
Co-Produktion zwischen den freien Ensembles Bluespots Productions<br />
(Augsburg), Brechtkeller (Osaka) und The Island Theatre (Chicago)<br />
/ live in der brechtbühne und online unter www.brechthigh3.com<br />
2.2. / AB 11 UHR / THEMENTAG BRECHT INTERNATIONAL!<br />
11 Uhr Internationale Matinée mit Regisseuren aus Griechenland, Ungarn<br />
und Italien sowie den Machern von Brecht³ / 15 Uhr Gastspiel aus Ungarn<br />
Das Leben Eduards des Zweiten von England, Regie: Sándor Zsótér /<br />
20 Uhr Gastspiel aus Italien <strong>Die</strong> Mutter, Regie: Carlo Cerciello / In den<br />
Originalsprachen mit Übertiteln / Theater Großes Haus und Foyer<br />
8.2. / 19.30 UHR / PREMIERE DER GUTE MENSCH VON<br />
SEZUAN Regie: Katerina Evangelatos (Athen / Griechenland) / Theater<br />
Großes Haus<br />
9.2. / 18 UHR / NEUINSZENIERUNG LEHRSTÜCK<br />
(Hindemith / Brecht) / Regie: Johanna Schall, Musikalische Leitung:<br />
Geoffrey Abbott / Barbarasaal<br />
10.2. / 19.30 UHR / DAS CHAOS IST AUFGEBRAUCHT...<br />
Große 20er Jahre-Revue zu Brechts Geburtstag / u.a. mit Thomas Thieme<br />
und Iris Berben / Theater Großes Haus<br />
VVK: Theater Augsburg: www.theater-augsburg.de / Tel.: 0821-324 49 00<br />
www.brechtfestival.de / www.facebook.com/brechtfestival<br />
DAS RHEINGOLD<br />
AB 30. NOVEMBER 2<strong>01</strong>3<br />
DIE WALKÜRE<br />
AB 05. APRIL 2<strong>01</strong>4<br />
SIEGFRIED<br />
AB 19. APRIL 2<strong>01</strong>5<br />
GÖTTERDÄMMERUNG<br />
AB 10. OKTOBER 2<strong>01</strong>5<br />
Foto: Ludwig Olah<br />
RICHARD WAGNERS TETRALOGIE IN<br />
DER NÜRNBERGER NEUINSZENIERUNG<br />
Musikalische Leitung Marcus Bosch<br />
Inszenierung Georg Schmiedleitner<br />
Staatsintendant und Operndirektor Peter Theiler<br />
KARTEN & INFOS: <strong>01</strong>80-5-231 600 (14-42 ct/Min) WWW.STAATSTHEATER.NUERNBERG.DE
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 71<br />
Auch das noch<br />
Foto: Theater an der Ruhr<br />
Meist sind Meldungen<br />
über Preisvergaben<br />
ja zum Gähnen.<br />
Nun aber hat Roberto<br />
Ciulli, langjähriger Leiter<br />
des Theaters an Ruhr in<br />
Mülheim, den Staatspreis<br />
des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen bekommen.<br />
Und darüber haben wir<br />
uns gefreut! In einem<br />
wunderbaren Interview<br />
mit der Rheinischen<br />
Post kommentierte er<br />
die Preisverleihung so:<br />
„<strong>Die</strong> Kunst der Clowns<br />
entsteht oft durch eine<br />
Verletzung, deswegen<br />
haben sie eine rote Nase.<br />
Durch den erlittenen<br />
Schmerz wird der Clown<br />
zum Widerstandskämpfer.<br />
In dem Sinn haben Sie<br />
Recht, der NRW Staatspreis<br />
geht in diesem Jahr<br />
an einen Clown.“
72 AUCH DAS NOCH<br />
Chronik<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Chronik<br />
Bis<br />
Redaktionsschluss<br />
vielleicht am neugierigsten<br />
war, musste abseits stehen:<br />
Karin Beier wollte am 15.<br />
November ihr Antikenprojekt<br />
„<strong>Die</strong> Rasenden“ am <strong>Deutsche</strong>n<br />
Schauspielhauses<br />
Hamburg herausbringen.<br />
Doch dann rasten gewaltig<br />
wie Jupiters Hammer die<br />
Kontergewichte des Eisernen<br />
Vorhangs hernieder, sieben<br />
Tonnen Stahl zersplitterten<br />
<strong>Bühne</strong>nboden und Apparaturen,<br />
die Wiedereröfnung des<br />
sanierten <strong>Bühne</strong>nturms war<br />
perdu. Wenn alles klappt wie<br />
geplant, kommt Karin Beiers<br />
Inszenierung Mitte Januar<br />
heraus. Der Theatergott aber<br />
strafte die Seinen nicht nur<br />
mit Stahl, sondern auch mit<br />
Wasser: Am Landestheater<br />
Coburg setzte ein kaputtes<br />
Ventil die Sprinkleranlage in<br />
Gang und das Theater unter<br />
Wasser. Noch bis Dezember<br />
lag der Spielbetrieb im<br />
Großen Haus darnieder.<br />
HOCHDEKORIERTE REGISSEURE BEI DEN<br />
SALZBURGER FESTSPIELEN: HARRY<br />
KUPFER, LUC BONDY, PETER STEIN<br />
EIN RESÜMEE VON<br />
DETLEF BRANDENBURG<br />
Anfang November<br />
Wenn es einen Theatergott<br />
gibt, dann ist er launisch. All<br />
überall wurde im November<br />
zum Aufbruch geblasen:<br />
Stefan Bachmann startete als<br />
neuer Schauspielchef in Köln,<br />
Shermin Langhof als neue<br />
Chein am Maxim Gorki<br />
Theater Berlin, Armin Petras<br />
am Stuttgarter Schauspiel,<br />
Hasko Weber am Nationaltheater<br />
Weimar – aber ausgerechnet<br />
die Intendantin-Regisseurin,<br />
auf deren erste<br />
Inszenierung die Theaterwelt<br />
5.11.13<br />
Alte Regierecken schwingen<br />
die Zepter, man hört es<br />
förmlich klimpern an<br />
dekorierten Heldenbrüsten:<br />
Das Opernprogramm der<br />
Salzburger Festspiele für den<br />
Sommer 2<strong>01</strong>4 macht Lust –<br />
auf das Schauspiel. Luc<br />
Bondy inszeniert das<br />
Auftragswerk „Charlotte<br />
Salomon“ von Marc-André<br />
Dalbavie, Harry Kupfer den<br />
„Rosenkavalier“, Peter Stein<br />
setzt Schuberts „Fierrabras“<br />
in Szene, dazu gibt’s „Don<br />
Giovanni“ von Schauspielchef<br />
Sven-Eric Bechtolf und „Il<br />
trovatore“ mit Anna Netrebko<br />
und Plácido Domingo in<br />
einer Inszenierung von Alvis<br />
Hermanis. Man soll ja nicht<br />
im Voraus unken, aber<br />
spannend geht anders. So<br />
zum Beispiel: <strong>Die</strong> englische<br />
Theatertruppe 1927, der<br />
Barrie Kosky an der Komischen<br />
Oper Berlin seine tolle<br />
Animations-„Zauberlöte“<br />
verdankt, setzt sich im<br />
Schauspielprogramm mit den<br />
„Letzten Tagen der Menschheit“<br />
auseinander, Katie<br />
Mitchell macht das Projekt<br />
„The Forbidden Zone“ (nach<br />
dem gleichnamigen Buch von<br />
Mary Borden), und Andreas<br />
Kriegenburg inszeniert Ödön<br />
von Horváths „Don Juan<br />
kommt aus dem Krieg“. Krieg<br />
ist das Thema der Salzburger<br />
Dramaturgie – mal sehen,<br />
wer gewinnt.<br />
7.11.13<br />
Ganz überraschend kam das<br />
nicht: Stuttgarts Staatsopernintendant<br />
Jossi Wieler hat sich<br />
von seiner Chefregisseurin<br />
Andrea Moses getrennt und ist<br />
damit von seinem enthusiastisch<br />
propagierten Modell,<br />
überwiegend mit hauseigenen<br />
Regisseuren zu arbeiten,<br />
abgerückt. Man kann das<br />
bedauern, aber kaum tadeln.<br />
Pro Spielzeit zwei Inszenierungen<br />
von Jossi Wieler und Sergio<br />
Morabito und dann noch zwei<br />
von Andrea Moses sind ein<br />
bisschen viel Monokultur,<br />
zumal gerade jetzt eine Menge<br />
hochbegabter jüngerer<br />
Regisseure in der Szene<br />
unterwegs sind. Zudem war die<br />
Fotos: picture alliance/dpa, picture alliance/Herbert Parrhofer,<br />
picture-alliance/Eventpress Hoensch, Thilo Beu (rechts)
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 73<br />
Chronik<br />
Rolle der Dauerkonkurrentin<br />
gegenüber dem Superstar-Duo<br />
Wieler/Morabito für Andrea<br />
Moses undankbar – sie konnte<br />
eigentlich nur verlieren. So ist<br />
die Trennung vermutlich das<br />
Beste für alle.<br />
9.11.13<br />
Wenn die Kunst in die<br />
Mühlen der Bürokratie gerät,<br />
heißt es Obacht geben. Das<br />
gilt sowohl auf internationaler<br />
Ebene, wo das deutsche<br />
Kulturförderungs-System<br />
gern mal als unerlaubte<br />
Wirtschafts-„Subvention“<br />
attackiert wird. Es gilt aber<br />
auch, wenn auf Bundes- oder<br />
Landesebene Mitbestimmungsrechte<br />
verhandelt<br />
werden. Als in Baden-Württemberg<br />
das „Landespersonalvertretungsgesetz“<br />
verhandelt wurde, hatte die<br />
<strong>Die</strong>nstleistungs-Gewerkschaft<br />
Ver.di wieder einmal den<br />
sogenannten Tendenzschutz<br />
auf der Abschussliste und traf<br />
damit bei der Landes-SPD<br />
durchaus auf Gegenliebe. Er<br />
regelt unter anderem, dass<br />
Einstellungen künstlerischer<br />
Mitarbeiter vom Mitbestimmungsverfahren<br />
ausgenommen<br />
sind, und gilt als Kernbestand<br />
der Kunstfreiheit. Doch<br />
zum Glück haben die<br />
Intendanten der beiden<br />
Staatstheater, Oliver Hendricks<br />
in Stuttgart und Peter<br />
Spuhler in Karlsruhe, Alarm<br />
geschlagen und zudem die<br />
grüne Kulturministerin<br />
Theresia Bauer an ihrer Seite.<br />
Wie die Sache ausgeht, war<br />
bei Redaktionsschluss noch<br />
nicht ausgemacht.<br />
14.11.13<br />
In Bonn proben die Bürger<br />
den Aufstand gegen die Oper.<br />
Zumindest das Häulein<br />
Bürger, das sich zur Initiative<br />
Bürgerbegehren Bonner Oper<br />
(IBBBO) zusammengeschlossen<br />
hat. Deren Begehren hat<br />
das Ziel, den Zuschuss der<br />
Bonner Oper von ca. 17<br />
Millionen Euro bis zur<br />
Spielzeit 2<strong>01</strong>6/17 auf 8<br />
Millionen Euro herunterzufahren.<br />
Laut Stadtverwaltung ist<br />
dieses Ansinnen aber derart<br />
hanebüchen, dass es schon<br />
rein rechtlich kaum eine<br />
Chance auf Umsetzung hätte.<br />
Und ob sich außerhalb des<br />
IBBBO-Zirkels eine Mehrheit<br />
DIE BONNER OPER SOLL BLUTEN – ZU-<br />
MINDEST FINANZIELL. SZENE AUS<br />
„ TOSCA“ MIT YANNICK-MURIEL NOAH,<br />
CHRISTIAN JUSLIN UND EVEZ ABDULLA<br />
dafür indet, darf man<br />
bezweifeln, nachdem sich<br />
sogar die im IBBBO-Sparplan<br />
als Nutznießer vorgesehenen<br />
Bonner Sportvertreter gegen<br />
diesen Unsinn verwahrt<br />
haben.<br />
Das Luzerner Theater ist das älteste Berufstheater der<br />
Schweiz. Mit seinen drei Ensembles in den Sparten<br />
Musiktheater, Schauspiel und Tanz steht es für hohe<br />
künstlerische Qualität. Gleichzeitig beindet sich das<br />
Luzerner Theater in einem Entwicklungsprozess, der<br />
eine inhaltliche und räumliche Neukonzeption zum Ziel<br />
hat. Im Rahmen der Nachfolgeplanung suchen wir ab<br />
der Spielzeit 2<strong>01</strong>6/17 eine/n<br />
Intendantin/-en<br />
In einer ersten Phase soll die neue Theaterleitung das<br />
Dreispartenhaus am heutigen Ort und in der heutigen<br />
Form weiterführen. Parallel dazu soll sie bei der Planung<br />
und Umsetzung des Projektes „Theaterwerk Luzern“ an<br />
vorderster Front mitwirken. <strong>Die</strong>se Neuausrichtung des<br />
Luzerner Theaters eröffnet der künftigen Leitung die<br />
seltene Chance, innovative Theaterformen zu entwickeln<br />
und bei der Realisierung der künftigen Spielstätte grundlegend<br />
Neues zu schaffen. Das setzt hohe Gestaltungskraft<br />
und Freude an Veränderungsprozessen voraus.<br />
Wir suchen darum eine kreative Künstlerpersönlichkeit,<br />
die gleichzeitig über einen soliden Realitätssinn verfügt.<br />
<strong>Die</strong>se Persönlichkeit weiss, was Kommunikation ist, sie<br />
begeistert als Kulturvermittlerin und gewandte Gastgeberin<br />
die Theaterinteressierten und schätzt den Kontakt<br />
zu den verschiedenen Stakeholdern. Auch kann sie<br />
politische Zusammenhänge schnell erfassen und adaptieren.<br />
Hausintern sorgt sie als offene und ideenreiche<br />
Führungskraft für einen elektrisierenden und motivierenden<br />
Teamgeist. Kurz: Sowohl nach innen wie nach<br />
aussen strahlt die neue Theaterleitung ein hohes Mass<br />
an Dringlichkeit und Begeisterungsfähigkeit aus.<br />
Wir erwarten, dass die neue Intendantin oder der<br />
neue Intendant über eine solide Theaterpraxis und<br />
Führungserfahrung in einem etablierten Haus verfügt.<br />
Ebenso gehören zum Anforderungsproil die erfolgreiche<br />
Realisierung moderner Theaterkonzepte sowie<br />
die Zusammenarbeit mit Festivals und dem freien<br />
Theaterschaffen.<br />
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gerne:<br />
· Frau Nathalie Unternährer, Kulturbeauftragte<br />
Kanton Luzern, nathalie.unternaehrer@lu.ch<br />
· Herr Kurt W. Meyer, Stiftungsratspräsident<br />
Luzerner Theater, k.meyer@josefmeyer.ch<br />
Wenn Sie diese anspruchsvolle Aufgabe interessiert,<br />
freuen wir uns auf Ihre Bewerbung bis spätestens<br />
31. Januar 2<strong>01</strong>4 an das:<br />
Bildungs- und Kulturdepartement Kanton Luzern,<br />
Abteilung Kulturförderung, Kurt W. Meyer,<br />
Stiftungsratspräsident Luzerner Theater,<br />
Bahnhofstrasse 18, CH-6002 Luzern
74 AUCH DAS NOCH<br />
Chronik<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
15.11.13<br />
Ernster sieht die Sache in<br />
Sachsen-Anhalt aus, wo sich<br />
der Kulturminister Stefan<br />
Dogerloh höchstselbst zum<br />
Guillotinisten seiner Kulturlandschaft<br />
aufschwingt. Seine<br />
Sparpläne bedrohen gleich<br />
mehrere <strong>Bühne</strong>n, der Protest<br />
ist heftig, die Debatte hitzig.<br />
Vielleicht sollte er sich mal mit<br />
seinem Thüringer Kollegen<br />
und SPD-Parteigenossen<br />
Christoph Matschie beraten.<br />
Der hat nicht nur seit einem<br />
Jahr ein Kulturkonzept,<br />
sondern auch die Kulturmittel<br />
um ein Viertel erhöht.<br />
19.11.13<br />
Derweil nehmen die Theaterintendanten<br />
in Mecklenburg-<br />
Vorpommern ihre Sache<br />
selbst in die Hand und wollen<br />
nun in der Ständigen Intendantenkonferenz<br />
mit einer<br />
Stimme sprechen. Ihren<br />
Kulturminister Mathias<br />
Brodkorb, der seine Sparpläne<br />
auch schon mal per Online-<br />
Abstimmungs-Portal populistisch<br />
abgesichert hat, fordern<br />
sie zum Dialog auf. Mal sehen,<br />
ob’s nützt.<br />
20.11.13<br />
Unerwartete neue Nachrichten<br />
aus Sachsen-Anhalt:<br />
Zumindest für die Landesbühne<br />
in Eisleben soll es ein<br />
Leben nach dem Tode<br />
geben – so ähnlich muss man<br />
es wohl formulieren. Das<br />
Land wird seine Zuschüsse<br />
nämlich doch nicht völlig<br />
streichen, auch die Fusion<br />
mit dem Nordharzer<br />
Städtebundtheater ist vom<br />
Tisch. Aber die 400000 Euro<br />
jährlich, die ab 2<strong>01</strong>5 bis 2<strong>01</strong>8<br />
noch ließen sollen, werden<br />
einen weiteren Stellenabbau<br />
erzwingen, zudem wird das<br />
Theater in ein „Kulturwerk“<br />
umgewandelt, das sich vor<br />
allem um kulturelle Breitenarbeit<br />
kümmern soll. Zu<br />
befürchten ist, dass Eisleben<br />
sein Weiterleben als<br />
Schrumpftheater fristet –<br />
aber immerhin: als Theater.<br />
21.11.13<br />
Immer wieder gut für Stürme<br />
im Wasserglas der Feuilletonisten:<br />
ein Autor fühlt sich<br />
vom Regisseur seines Stückes<br />
über den Regietisch gezogen.<br />
Aktuell so geschehen am<br />
Landestheater Tübingen, das<br />
bei dem derzeit recht<br />
angesagten österreichischen<br />
Autor, Schauspieler und<br />
Regisseur (!) Volker Schmidt<br />
das Stück „Endlich Eiszeit“ in<br />
Auftrag gab und Ende<br />
November in der Regie von<br />
Paul-Georg Dittrich herausbrachte.<br />
<strong>Die</strong> Eiszeit zwischen<br />
Autor und Regisseur brach<br />
bei der Hauptprobe mit<br />
Macht herein, als Schmidt<br />
sein Stück entstellt sah und<br />
DISTANZIERT SICH VON DER TÜBINGER<br />
INSZENIERUNG SEINES STÜCKES:<br />
DER AUTOR VOLKER SCHMIDT<br />
seinen Namen aus der<br />
Produktion zurückzog,<br />
während sich die Intendantin<br />
Simone Sterr hinter das<br />
Regieteam stellte. Immerhin:<br />
die Premiere konnte stattinden<br />
(zur mäßigen Begeisterung<br />
unseres Kritikers: www.<br />
die-deutsche-buehne.de/<br />
kritiken). Das ist noch eine<br />
gnädige unter den möglichen<br />
Lösungen bei so einem Streit.<br />
23.11.13<br />
Es war für Außenstehende nie<br />
ganz leicht, der Berliner Politik<br />
zu folgen. <strong>Die</strong>smal ist es<br />
besonders schwer. Eigentlich<br />
hätten die Berliner Kulturpolitiker<br />
gern 3,7 Millionen Euro<br />
mehr vom Senat gehabt, vor<br />
allem für die freie Szene und<br />
für die hochrenommierte<br />
Tanzcompagnie von Sasha<br />
Waltz. Bei den Verhandlungen<br />
um den Doppelhaushalt<br />
2<strong>01</strong>4/15 blieben davon aber nur<br />
1,2 Millionen übrig. Zum<br />
Ausgleich wurde vereinbart,<br />
dass die Freie Szene einen Teil<br />
aus der Übernachtungssteuer<br />
City Tax bekommen soll. Einen<br />
Tag später platzte auch diese<br />
Seifenblase. Besonders pikant<br />
ist dabei, dass Sasha Waltz zwar<br />
500000 Euro mehr bekommen<br />
soll – aber nur, wenn die<br />
Opernstiftung die gleiche<br />
Summe einspart. So spielt man<br />
die Institutionen gegeneinander<br />
aus. Warum die Berliner<br />
Politiker ausgerechnet eine<br />
ihrer angesehensten Künstlerinnen<br />
derart vors Schienenbein<br />
treten, weiß der Himmel.<br />
25.11.13<br />
Es gibt gute und schlechte<br />
Verlierer. <strong>Die</strong> Orchestergewerkschaft<br />
DOV zählt zu den<br />
ganz schlechten. <strong>Die</strong> Gehälter<br />
der Orchestermusiker folgen<br />
denen des Öfentlichen<br />
<strong>Die</strong>nstes, die konkrete<br />
Ausgestaltung dieser Anpassung<br />
handelt die DOV mit<br />
dem <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bühne</strong>nverein<br />
aus. Aus diesen Verhandlungen<br />
war die DOV vor drei<br />
Jahren ausgestiegen und<br />
hatte stattdessen auf eine<br />
automatische Anpassung<br />
geklagt. Während des<br />
Rechtsstreits wurden die<br />
Gehälter nicht angepasst, am<br />
Ende bekam der <strong>Bühne</strong>nver-<br />
SASHA WALTZ<br />
Fotos: DRAMA, Bernd Brundert (oben)
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
<strong>Die</strong> Sparte »u\hof: Theater für junges Publikum« des Landestheaters Linz<br />
(www.uhof.at) sucht ab September 2<strong>01</strong>4<br />
zwei junge Schauspielanfänger (m)<br />
ein Recht. Vor den nun dringend gebotenen<br />
Verhandlungen über die Anpassung aber<br />
brach die DOV erst mal Streiks vom Zaun,<br />
und als man sich endlich getrofen hatte,<br />
gab es einen Streit über das Ergebnis.<br />
Wieder ruhten die Verhandlungen, die<br />
Musiker müssen weiter auf höhere Gehälter<br />
warten. Das Verhalten der DOV gibt dem<br />
Begrif der Interessenvertretung einen<br />
eigenen Klang – getreten wird bekanntlich<br />
mit den Füßen.<br />
14.11.13<br />
Nun soll die Kultur also doch nicht Staatsziel<br />
werden. Das ist schade, aber es gibt wichtigere<br />
Dinge. Es wäre schon viel gewonnen,<br />
wenn nicht immer wieder Gesetze verabschiedet<br />
würden, die den Kommunen ohne<br />
Gegenleistung Ausgaben aufbürden, so dass<br />
die am Ende wieder an den „freiwilligen<br />
Leistungen“ (und damit an der Kultur)<br />
sparen. An dieser Haushaltsalgebra wird der<br />
Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD<br />
zwar wenig ändern. Aber zumindest für die<br />
Finanzgestaltung zwischen Bund, Ländern<br />
und Kommunen formuliert er eine Perspektive:<br />
„Bund und Länder sollten bei der<br />
Planung und Finanzierung künftig intensiver<br />
und systematischer zusammenwirken<br />
(kooperativer Kulturföderalismus).“ Das zielt<br />
auf das „Kooperationsverbot“: Es verbietet<br />
dem Bund, in die Kulturhoheit der Länder<br />
und Kommunen einzugreifen, und sei es<br />
durch inanzielle Unterstützung. Um zu<br />
sehen, wie weit es mit dieser „Hoheit“ her<br />
ist, muss man nur mal nach Sachsen-Anhalt<br />
oder Mecklenburg-Vorpommern schauen, wo<br />
ganze Kulturlandschaften an der Abbruchkante<br />
stehen. Ein bisschen mehr „Kooperation“<br />
würde der Kultur gewiss nicht schaden.<br />
2.12.13<br />
Und noch einmal spielt der Theatergott<br />
Schicksal: In Saarbrücken hat das Staatstheater<br />
gerade seine neue Technik in Betrieb genommen,<br />
zunächst funktionierte alles reibungslos,<br />
aber dann streikte ein Relais und eine<br />
„Tosca“-Vorstellung platzte. Statt schönen<br />
Gesang spendete das Staatstheater seinen<br />
enttäuschten Besuchern prickelnden Crémant.<br />
für ein Zwei-Jahresengagement.<br />
Wir suchen selbstständig denkende Persönlichkeiten, die sich kreativ an unseren Vorhaben<br />
beteiligen wollen, anspruchsvolles, sinnliches und unterhaltsames Theater für junge Menschen<br />
zu machen. Wir wünschen uns: Wandlungsfähigkeit, gute Körperlichkeit und Musikalität<br />
(gute Singstimme), darüber hinaus einen Draht zu Kindern bzw. Jugendlichen, Spielfreude,<br />
Genauigkeit und Ausdauer, Offenheit und Neugierde, Lust an Teamarbeit und Ensemblespiel,<br />
Verlässlichkeit und Humor. Erfahrung mit Musiktheater, Improvisationstheater, Figurentheater,<br />
Akrobatik, Tanz oder Instrumentenspiel sind von Vorteil, aber nicht ausschlaggebend.<br />
<strong>Die</strong> Monatsgage für diese Position beträgt ca. EUR 1.660,– brutto.<br />
Schriftliche Bewerbungen bitte bis spätestens 31. Jänner 2<strong>01</strong>4 an: Oö. Theater<br />
und Orchester GmbH, Büro »u\hof: Theater für junges Publikum«, John F. Kutil<br />
Promenade 39, A-4020 Linz oder an: kutil@landestheater-linz.at<br />
<strong>Die</strong> Sparte »u\hof: Theater für junges Publikum« des Landestheaters Linz<br />
(www.uhof.at) sucht ab September 2<strong>01</strong>4<br />
eine/n Theaterpädagogin/en | Dramaturgin/en<br />
<strong>Die</strong>se Vollzeit-Stelle unterteilt sich in die zwei großen Arbeitsbereiche Theaterpädagogik und<br />
Dramaturgie in der Sparte »u\hof: Theater für junges Publikum« am Landestheater Linz. Voraussetzung<br />
ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium in den Bereichen Theaterwissenschaft<br />
und/oder Theaterpädagogik oder Vergleichbares. Aufgabengebiete: Theaterpädagogische<br />
Begleitung von Inszenierungen, Organisation und Durchführung theaterpädagogischer Projekte<br />
(momentanes Programm siehe www.uhof.at), Produktionsdramaturgie, Mitarbeit in der<br />
Spielplanaufstellung. <strong>Die</strong>se Position verlangt gute Kenntnisse der Kinder- und Jugendtheaterliteratur,<br />
Erfahrungen im Theater, Einsatzfreude, Flexibilität und Teamfähigkeit. Führerschein B<br />
und Fremdsprachenkenntnisse sind erwünscht. <strong>Die</strong> Monatsgage beträgt EUR 1.800,– brutto.<br />
Schriftliche Bewerbungen bitte bis spätestens 31. Jänner 2<strong>01</strong>4 an: Oö. Theater<br />
und Orchester GmbH, Büro »u\hof: Theater für junges Publikum«, John F. Kutil<br />
Promenade 39, A-4020 Linz oder an: kutil@landestheater-linz.at
76 AUCH DAS NOCH<br />
Chronik<br />
Nachrufe<br />
5.11.13<br />
Brigitte Neumeister war eine<br />
Volksschauspielerin; aber<br />
eine enorm vielseitige. Lange<br />
war sie am Wiener Theater<br />
an der Josefstadt, dort sah<br />
man sie unter anderem als<br />
Mascha in den „Drei Schwestern“<br />
oder als Agathe in<br />
Hofmannsthals „Schwierigem“.<br />
In die Herzen der<br />
Fernsehzuschauer von ganz<br />
Österreich aber spielte sie<br />
sich als Hausmeisterin<br />
Turecek in der Serie „Kaisermühlen-Blues“.<br />
Sie starb<br />
69-jährig in Wien.<br />
6.11.13<br />
Hans von Borsody muss man<br />
nicht groß vorstellen. Seit er<br />
unter dem heute wunderbar<br />
gestrig klingenden Namen<br />
„Clif Dexter“ ermittelte, war er<br />
regelmäßig in Film und<br />
Fernsehen präsent. Aber der<br />
1929 in Wien geborene<br />
Fernseh-Promi, der mit seinen<br />
Ehen auch die Leser bunter<br />
Blätter bestens unterhielt,<br />
fühlte sich immer dem Theater<br />
verbunden. Ausgerechnet der<br />
Cyrano de Bergerac war es, den<br />
der einst smarte und später<br />
markante Typ sich zur<br />
IM FERNSEHEN EIN HELD,<br />
IM THEATER EIN ANTIHELD:<br />
HANS VON BORSODY<br />
Lebensrolle erkor. Er spielte an<br />
den <strong>Bühne</strong>n in Berlin,<br />
Frankfurt, Hamburg oder<br />
München und natürlich in<br />
Wien. Gestorben ist er in Kiel,<br />
wohin er – nach drei gescheiterten<br />
Ehen mit Schauspiele-<br />
Foto: management rehling<br />
<strong>Die</strong> Städte Hilden, Ratingen und Langenfeld richten vom<br />
23. bis 27. Juni 2<strong>01</strong>4 das Jugendtheatertreffen „TheaTrend“<br />
aus und laden bundesweit drei repräsentative, zeitgenössische<br />
Inszenierungen ein. „TheaTrend“ fördert professionelle<br />
Ensembles, die jenseits der Stadt- und Staatstheater engagiertes<br />
Theater für Jugendliche machen.<br />
Eine Jury prämiert eines der drei Stücke mit einem Preisgeld<br />
von € 3.000, –<br />
Teilnahmebedingungen:<br />
• <strong>Die</strong> Inszenierung muss nach 2<strong>01</strong>0 produziert sein<br />
• Zielpublikum sind junge Menschen ab 13 Jahre<br />
• Austragungsort ist das Jugendzentrum AREA 51 in Hilden<br />
• Aufwandsentschädigung je Ensemble, € 1.500, –<br />
• Aufführungstermine:<br />
Mo., 23.06., Di., 24.06. und Mi., 25.06.2<strong>01</strong>4<br />
• Bewerbungsschluss 28.02.2<strong>01</strong>4<br />
<strong>Die</strong> Kulturämter bitten um eine aussagekräftige Bewerbung<br />
auf DVD oder anderen visuellen Medien z. H. Monika Doerr<br />
M.A., Kulturamt Hilden, Am Rathaus 1, 40721 Hilden.<br />
Weitere Infos unter kulturamt@hilden.de<br />
02103 – 72232 oder www.hilden.de<br />
Jugendtheaterfestival der Städte<br />
Hilden, Ratingen, Langenfeld<br />
23. – 27. Juni 2<strong>01</strong>4<br />
Ausschreibung<br />
DIE SCHAUSPIELHAUS GRAZ GMBH besetzt folgende Position ab <strong>01</strong>.09.2<strong>01</strong>5 neu:<br />
GESCHÄFTSFÜHRENDE/R INTENDANT/IN<br />
<strong>Die</strong> Schauspielhaus Graz GmbH, Tochtergesellschaft der Theaterholding Graz/<br />
Steiermark GmbH, hat ihre gesellschaftspolitische und künstlerische Aufgabe im<br />
Rahmen des kulturpolitischen Auftrages der Stadt Graz und des Landes Steiermark<br />
zu erfüllen. <strong>Die</strong> geschäftsführende Intendanz der Schauspielhaus Graz GmbH erfordert<br />
die Übernahme der künstlerischen, wirtschaftlichen und organisatorischen<br />
Gesamtverantwortung unter Einhaltung der vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />
(Konzernrichtlinien) und der vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen.<br />
VORAUSGESETZT WERDEN:<br />
Erfahrung in einer Leitungsfunktion eines vergleichbaren Theaterbetriebes, sehr<br />
gute Kenntnisse im Bereich Sprechtheater, Kenntnis des österreichischen und<br />
internationalen Kulturrepertoires sowie des personellen Marktes im künstlerischen<br />
Bereich, ausgeprägtes wirtschaftliches Denken. Erwartet wird die Fähigkeit,<br />
künstlerisches und wirtschaftliches Handeln so zu verbinden, dass ein Schauspielhaus<br />
dieser Größenordnung in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter<br />
Haftung erfolgreich geführt werden kann.<br />
SCHRIFTLICHE UNTERLAGEN<br />
über die näheren Rahmenbedingungen können ab 15.12.2<strong>01</strong>3 bei der Theaterholding<br />
Graz/Steiermark GmbH, Geschäftsführung, Gleisdorfer Gasse 10 a, 8<strong>01</strong>0<br />
Graz, Tel.: 0316/8008 DW 8008 oder 8889,<br />
E-Mail: geschaeftsfuehrer@theaterholding.at, angefordert werden.<br />
Ausführliche schriftliche Bewerbungen mit Curriculum Vitae und konzeptiven<br />
künstlerisch-wirtschaftlichen Vorstellungen werden bis spätestens 15.03.2<strong>01</strong>4<br />
(Posteingang) an obige Adresse erbeten. Alle Bewerbungen werden selbstverständlich<br />
vertraulich behandelt.<br />
www.theaterholding.at
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 77<br />
Chronik<br />
rinnen, aus denen wiederum begabte<br />
Schauspielerinnen-Töchter hervorgingen<br />
– aus Liebe zu seiner letzten Frau<br />
Karin gezogen war.<br />
15.11.13<br />
Wolf-<strong>Die</strong>ter Kabler war seit der<br />
Spielzeit 2004/05 Ensemblemitglied<br />
am Theater Münster, er spielte die<br />
großen Rollen: Nathan, Galilei, Lear,<br />
Faust. Man kannte ihn aus dem<br />
Fernsehen, das Publikum mochte ihn.<br />
Insofern ist es mehr als eine Redensart,<br />
wenn man sagt, dass der 1956<br />
geborene Schauspieler nach schwerer<br />
Krankheit viel zu früh verstorben ist.<br />
16.11.13<br />
<strong>Die</strong>ter Rummel war einer von den<br />
Theatermenschen, denen das große<br />
Feuilleton nur selten seine<br />
Aufmerksamkeit schenkt, geschweige<br />
denn seine Liebe. Denn Rummel<br />
hat sich einer Theaterspielart<br />
verschrieben, die im Feuilleton<br />
nicht viel gilt: dem Boulevard. Und<br />
doch hätten Menschen wie er alle<br />
Anerkennung verdient. Denn er<br />
hat sein ganzes Leben dem Theater<br />
gewidmet: rückhaltlos, unermüdlich,<br />
leidenschaftlich. Rummel war<br />
der Gründervater des Theaters am<br />
Platanenhain, das man in Darmstadt<br />
nur unter dem Kürzel Tap<br />
kennt. Hier präsentierte er seine<br />
Komödienprogramme, stand als<br />
Schauspieler auf der <strong>Bühne</strong>,<br />
machte Theater für junge Zuschauer,<br />
hielt den Laden zusammen,<br />
machte einfach alles. Mit 50 erlitt<br />
er einen Schlaganfall, war gelähmt,<br />
ließ sich nicht entmutigen,<br />
kämpfte sich wieder hoch, stand<br />
bald wieder auf der <strong>Bühne</strong>. Er war<br />
in Darmstadt Strieses Stellvertreter<br />
auf Erden. Nun ist er abberufen<br />
worden. Der Prinzipal, Schauspieler,<br />
Komödiant und Theatermaniac<br />
<strong>Die</strong>ter Rummel verstarb im Alter<br />
von 74 Jahren nach einer schweren<br />
Erkrankung.<br />
<strong>Die</strong> Komische Oper Berlin<br />
Intendant Barrie Kosky<br />
GMD Henrik Nánási<br />
sucht ab der Spielzeit 2<strong>01</strong>4/15 eine/n<br />
musikalische/n Leiter/in<br />
des Opernstudios und<br />
Solorepetitor/in<br />
<strong>Die</strong> Vergütung erfolgt nach NV <strong>Bühne</strong>.<br />
Ihre schriftliche Bewerbung richten Sie<br />
bitte bis spätestens 31.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4 an die:<br />
Komische Oper Berlin | Operndirektion<br />
Behrenstr. 55–57 | 1<strong>01</strong>17 Berlin<br />
Det. Informationen bzgl. Anforderungen<br />
und Vorspielprogramm finden Sie unter:<br />
www.komische-oper-berlin.de/<br />
ueber-uns/jobs/<br />
<strong>Die</strong> Bewerbung von Frauen ist erwünscht.<br />
Anerkannte Schwerbehinderte werden bei<br />
gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.<br />
<strong>Die</strong> Komische Oper Berlin<br />
Intendant Barrie Kosky<br />
GMD Henrik Nánási<br />
sucht ab der Spielzeit 2<strong>01</strong>4/15 eine/n<br />
2. Studienleiter/in<br />
<strong>Die</strong> Vergütung erfolgt nach NV <strong>Bühne</strong>.<br />
Ihre schriftliche Bewerbung richten Sie<br />
bitte bis spätestens 31.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4 an die:<br />
Komische Oper Berlin | Operndirektion<br />
Behrenstr. 55–57 | 1<strong>01</strong>17 Berlin<br />
Detaillierte Informationen bezüglich<br />
Anforderungen und Vorspielprogramm<br />
finden Sie im Internet unter:<br />
www.komische-oper-berlin.de/<br />
ueber-uns/jobs/<br />
<strong>Die</strong> Bewerbung von Frauen ist erwünscht.<br />
Anerkannte Schwerbehinderte werden bei<br />
gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
78 AUCH DAS NOCH<br />
Empfehlungen<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Was uns gefällt<br />
Unsere Empfehlungen: DVD‘s, Bücher, TV-Sendungen, CD‘s<br />
Monumentales Opernkino<br />
David McVicar ist so etwas wie<br />
der fröhliche Handwerker<br />
unter den prominenten<br />
Opernregisseuren. Er dekonstruiert<br />
nicht, modernisiert<br />
allenfalls dezent und bewegt<br />
sich optisch innerhalb der<br />
Konvention. Seine Inszenierungen<br />
zeichnen sich durch<br />
hervorragende Personenführung,<br />
relektierten Umgang mit<br />
Klischees, ein Gespür für<br />
ungewöhnliche Bildwirkungen<br />
und einen nahezu fanatischen<br />
Altruismus aus.<br />
Trotz dieser Vorzüge hätte der<br />
Londoner „Troyens“- Mitschnitt<br />
aus dem Juli 2<strong>01</strong>2 leicht ein<br />
„Opern – Ben-Hur“ werden<br />
können. Wenn Francois Roussillon<br />
nicht mit beweglicher und<br />
stückkundiger Kameraführung<br />
aus dem Blick auf das monumentale<br />
<strong>Bühne</strong>nbild ein<br />
ilmisches Erlebnis gemacht<br />
und die Produktion nicht<br />
herausragende Sängerdarsteller<br />
hätte. Eva-Maria Westbroek<br />
und Brian Hymel sind als Dido<br />
und Aeneas tatsächlich<br />
liebende und leidende<br />
Menschen und singen auf<br />
hohem Niveau. Anna Caterina<br />
Antonacci gestaltet die<br />
Cassandra gar mit dem<br />
Bewegungsvokabular des<br />
Ausdruckstanzes, wie die<br />
Inszenierung überhaupt die<br />
tänzerischen Momente in den<br />
Mittelpunkt rückt.<br />
Hier trift sich McVicar mit<br />
dem Dirigenten Antonio<br />
Pappano, der nicht nur das<br />
ROH-Orchester und besonders<br />
den umwerfenden Chor zu<br />
hervorragenden Leistungen<br />
anhält. Er legt mit sinnlichem<br />
und transparentem Musizieren<br />
die Wurzeln dieser Ausnahmeund<br />
Außenseiterpartitur bloß.<br />
Und da klingen Rameaus<br />
Tanz-Opern genauso als<br />
Vorbilder durch wie Glucks<br />
herbe Großartigkeit und die<br />
lustvolle Schauerromantik des<br />
„Freischütz“.<br />
Andreas Falentin<br />
Hector Berlioz „Les Troyens“<br />
Royal Opera House London,<br />
2<strong>01</strong>2<br />
ML: Antonio Pappano<br />
I: David McVicar<br />
BR: Francois Roussillion<br />
Bryan Hymel (Aeneas),<br />
Eva-Maria Westbroek (Dido)<br />
u.a.<br />
2 DVD, 254 min + 30 min.<br />
Bonus (auch als blu-ray)<br />
Opus Arte, OA 1097 D,<br />
EAN 809478<strong>01</strong>0975<br />
Come Back<br />
„Seine größten Erfolge feierte<br />
L. H. mit den Stücken ‚Nora‘<br />
(zum Theatertrefen eingeladen)<br />
und ‚Sommernachtstraum‘<br />
(zum Theatertrefen<br />
eingeladen) und ‚John Gabriel<br />
Borkman‘ (zum Theatertrefen<br />
eingeladen). Leander Haußmann<br />
war der bedeutendste<br />
junge Regisseur Deutschlands<br />
in den Neunzigern. 1995 wurde<br />
er zum Intendanten am<br />
Schauspielhaus Bochum<br />
berufen, wo seine Arbeit mehr<br />
als umstritten war...“<br />
„Buh“, die Autobiographie des<br />
Regisseurs Leander Haußmann<br />
ist nicht nur informativ,<br />
sondern setzt auch beständig<br />
die Psyche der Hauptperson in<br />
Szene. Dabei wirkt diese<br />
Autobiographie sowohl<br />
ungewöhnlich ironisch als auch<br />
ofen selbstverliebt. <strong>Die</strong> oben<br />
zitierten Sätze stammen, so<br />
behauptet Haußmann, aus<br />
seinem selbstverfasstem<br />
Nachruf, der nach seinem Tod<br />
den Medien „zugespielt“<br />
werden solle.<br />
Tastächlich ist das mal<br />
erhellende, mal in seiner<br />
Selbstbeschau und undeutlichen<br />
Erinnerung ermattende,<br />
in jedem Fall aber außergewöhnlich<br />
ofenherzige Buch<br />
ein Anlass, einem Regisseur<br />
wieder zu begegnen, der dem<br />
Theater verlorengegangen<br />
schien. Und der vor kurzem<br />
mit einer „Hamlet“-Inszenierung<br />
am Berliner Ensemble<br />
wieder auf sich aufmerksam<br />
machte. Nicht nur als Autor<br />
seines Lebens oder oder als<br />
Filmregisseur, sondern als<br />
Theaterregisseur. Detlev Baur<br />
Leander Haußmann: Buh –<br />
Mein Weg zu Reichtum,<br />
Schönheit und Glück<br />
Verlag Kiepenheuer und<br />
Witsch Köln 2<strong>01</strong>3<br />
272 Seiten, 18,99 Euro
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 79<br />
Empfehlungen<br />
Foto: Richard Schuster<br />
Neujahrsfernsehen<br />
Eine Orgie loraler Arrangements,<br />
dazwischen läzen<br />
putzige Figurinen, gülden<br />
funkelt die üppige Ornamentik.<br />
Von der Decke grüßen Apollo,<br />
neun Musen und als Marmorbüsten<br />
einige Komponisten.<br />
Ihre Tonsetzerkunst wird<br />
mitten in der Pracht des<br />
Großen Musikvereinssaals<br />
gefeiert. Über 80 Nationen sind<br />
zugeschaltet, wenn die Wiener<br />
Philharmoniker daheim zum<br />
Jahresauftakt champagnerlaunig<br />
im Dreivierteltakt der<br />
Strauß-Dynastie schwelgen.<br />
Allein im ZDF verfolgen<br />
alljährlich fast drei Millionen<br />
Zuschauer den Konzerthit.<br />
2<strong>01</strong>4 steht mal wieder Daniel<br />
Barenboim am Pult. Arte<br />
überträgt hingegen aus dem<br />
schnieke auf Klassizismus<br />
getrimmten Opernhaus<br />
Venedigs. Dort konzertieren<br />
Orchestra e Coro del Teatro La<br />
Fenice unter der Leitung des<br />
jungen Venezolaners <strong>Die</strong>go<br />
Matheuz. <strong>Die</strong>ses Neujahrskonzert<br />
setzt traditionell auf zwei<br />
melodramatische Opernhits<br />
von Giuseppe Verdi: den<br />
Gefangenenchor aus „Nabucco“<br />
und „Libiam ne’ lieti calici“,<br />
die Ode ans Alkoholtrinken aus<br />
„La Traviata“. In diesem Sinne:<br />
Prosit, Neujahr! Jens Fischer<br />
Mittwoch, 1. Januar 2<strong>01</strong>4,<br />
11.15 Uhr, Neujahrskonzert<br />
der Wiener Philharmoniker,<br />
ZDF<br />
18.05 Uhr, Neujahrskonzert<br />
aus Venedig, Arte<br />
Doppelter Ur-Holländer<br />
Marc Minkowskis Einspielung<br />
der einaktigen Urfassung des<br />
„Fliegenden Holländers“ ist<br />
vielleicht das spannendste<br />
CD-Projekt im Wagner-Jahr.<br />
<strong>Die</strong> harte, schmucklose, dem<br />
romantischen Aufrauschen<br />
seltsam abholde Originalinstrumentierung<br />
kommt in der<br />
sehnigen, dynamischen<br />
Wiedergabe der auf historischen<br />
Instrumenten spielenden<br />
Musiciens du Louvre elegant<br />
daher und lässt dem ausgezeichneten<br />
Chor und den<br />
Solisten, voran der kraftvollbleiche<br />
Evgeny Nikitin in der<br />
Titelrolle, viel musikalischen<br />
Gestaltungsspielraum.<br />
Begeistert hört man „neue“<br />
Einzelheiten wie die herrlich<br />
sichelnde Violine in der Reprise<br />
des Spinnerinnenchores und<br />
staunt über einen mehrfach<br />
auftauchenden „typisch<br />
französischen“ trocken-ironischen<br />
Tonfall.<br />
Zum Ereignis wird das Projekt<br />
durch die angehängte,<br />
fantastisch musizierte Gesamteinspielung<br />
des „Le Vaisseau<br />
Fantome“ von Francois <strong>Die</strong>tsch.<br />
Der 1842 uraufgeführte<br />
Zweiakter entstand aus<br />
Wagners Prosa-Entwurf des<br />
„Holländers“, den das ewig<br />
klamme Pumpgenie an die<br />
Pariser Oper verscheuerte.<br />
<strong>Die</strong>tsch schrieb eine in<br />
Instrumentierung und<br />
Linienführung sehr französische<br />
Nummernoper mit<br />
stereotyp zweigeteilten Arien<br />
und Ensembles im italienischen<br />
Stil der Zeit. Dennoch<br />
wäre das Stück mit seinen<br />
musikalischen Delikatessen<br />
und seinem Mix aus wuchernden<br />
Märchenmotiven und<br />
geerdetem Realismus eigentlich<br />
ein gefundenes Fressen für<br />
einen tiefenpsychologisch<br />
denkenden Regisseur wie<br />
Christof Loy. Andreas Falentin<br />
Richard Wagner: Der<br />
Fliegende Holländer<br />
<strong>Die</strong>tsch: Le Vaisseau Fantome<br />
ML: Marc Minkowski<br />
Le Musiciens de Louvre,<br />
Estnischer Philharmonischer<br />
Kammerchor<br />
4CDs, AD: 2<strong>01</strong>3<br />
Naive Classique V 5349, EAN:<br />
822186053492<br />
Weitere Empfehlungen unter<br />
www.die-deutsche-buehne.de/<br />
empfehlungen
80 AUCH DAS NOCH<br />
Forum<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
Forum<br />
DIE<br />
DEUTSCHE<br />
BÜHNE<br />
online<br />
SO UNGEFÄHR WIRD<br />
SIE AUSSEHEN:<br />
DIE NEUE FRONTPAGE<br />
UNSERER WEBSITE<br />
Mit der neuen DEUTSCHEN BÜHNE gibt<br />
es auch eine neu gestaltete Homepage. <strong>Die</strong><br />
Neukonzeption betrift vor allem das<br />
Verhältnis von <strong>Heft</strong> und Homepage – beides<br />
soll sich optisch und inhaltlich so<br />
ergänzen, dass die Stärken des jeweiligen<br />
Mediums gut zur Geltung kommen. Damit<br />
zielen wir insbesondere auf unsere<br />
Abonnenten, die hier viele zusätzliche, für<br />
sie kostenlose und auf das <strong>Heft</strong> abgestimmte<br />
Angebote finden. Daneben gibt es wie<br />
bisher den kostenlosen Zugang zu einem<br />
jetzt erweiterten Angebot von aktu ellen<br />
Kritiken, Multimediaformaten, Leseproben,<br />
Meldungen und Kommentaren.<br />
<strong>Die</strong> Kritiken<br />
Unsere beliebteste Rubrik, für die wie<br />
zuvor der obere Bereich der Seite reserviert<br />
ist. Sie wird durch den Slider mit<br />
wechselnden Motiven attraktiver präsentiert,<br />
hinter den verschiedenen Schaltflächen<br />
finden sich nun komfortable Suchfunktionen,<br />
wo Sie direkt nach Regisseuren,<br />
Dirigenten, Stücken oder Autoren suchen<br />
können.<br />
Parkett<br />
Hier sind Sie eingeladen, Platz und sich<br />
Zeit zu nehmen – zumindest ein bisschen.<br />
Sie finden (kostenlos) Dinge zum Lesen,<br />
Hören und Schauen: den Videotrailer des<br />
Monats zu einer aktuellen Inszenierung;<br />
das „Fundstück“ als Multimediaformat zu<br />
besonderen Theaterthemen, das die<br />
<strong>Heft</strong>-Rubrik ergänzt; und die „Leseprobe“<br />
zum Schwerpunkt des aktuellen <strong>Heft</strong>s.<br />
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auf drei Monate im Voraus abrufen<br />
oder sich die Premieren des Folgemonats<br />
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in Rundfunk und Fernsehen, über<br />
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mit komfortablen Suchfunktionen.<br />
Außerdem: Unsere DdB-Archivsuche der<br />
Jahrgänge 1996 bis 2<strong>01</strong>3.<br />
Studio<br />
Hier stehen (wieder als kostenfreier Inhalt<br />
für alle) die kleinen, aktuellen Formate: der<br />
Blog, Meldungen und Kommentare, der<br />
Zwischenruf und, je nach Lage der<br />
Theaterwelt, der Fokus auf ein aktuelles<br />
Ereignis.<br />
Außerdem möchten wir Ihnen unsere<br />
Partner fortan attraktiver präsentieren.<br />
Aber was rede ich lange – schauen Sie selbst:<br />
Wenn dieses <strong>Heft</strong> erscheint, sollte eigentlich<br />
alles fertig sein. Detlef Brandenburg<br />
Den gesamten Premierenspiegel<br />
finden Sie unter www.<br />
die-deutsche-buehne.de/premieren
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
AUCH DAS NOCH 81<br />
Vorschau<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />
im Februar<br />
Eine Vorschau<br />
FRANCESCA<br />
IMODA UND<br />
KONSTANTINOS<br />
KRANIDIOTIS (VORN)<br />
IN NANINE<br />
LINNINGS „ZERO“<br />
AM THEATER<br />
HEIDELBERG<br />
SHERMIN LANG-<br />
HOFF, NEUE INTEN-<br />
DANTIN AM MAXIM<br />
GORKI THEATER<br />
BERLLIN<br />
QUICKLEBINDIGES THEATER<br />
IN DER PROVINZ:<br />
DAS STADTTHEATER IN<br />
KONSTANZ<br />
Schwerpunkt<br />
Provinz – Eine Liebeserklärung<br />
Kleine Theater zwischen Rendsburg und Eggenfelden<br />
prägen die deutsche Theaterlandschaft. Wir haben einige<br />
Perlen in der Provinz besucht und stellen sie vor<br />
Bayerische Theaterakademie August Everding<br />
im Prinzregententheater München<br />
<strong>Bühne</strong>nwelt<br />
Hausbesuch:<br />
Shermin Langhof gibt dem Maxim Gorki Theater in<br />
Berlin ein international-migrantisches Profil<br />
Porträt:<br />
Kölns neuer Schauspielintendant Stefan Bachmann<br />
Auführungen<br />
Gegenüberstellungen:<br />
• Das französische Erfolgsstück „Der Vorname“<br />
• Verdis „Falstaf“<br />
Kritik im Dialog:<br />
• Zwei Martin-Crimp-Erstauführungen<br />
Fotos: Kalle Kuikkaniemi, Theater Konstanz, Esra Rotthoff<br />
BERUFSORIENTIERUNGSTAG<br />
Samstag, 8. Februar 2<strong>01</strong>4, 10 –17 Uhr<br />
Schauspiel, Operngesang, Musical, Regie, <strong>Bühne</strong>nbild und -kostüm,<br />
Maskenbild, Dramaturgie, Kulturkritik<br />
In den Unterrichtsräumen und auf den <strong>Bühne</strong>n wird ein vielfältiges<br />
Programm angeboten: u.a. offene Unterrichte, bei denen die<br />
Besucher teilweise selbst mitmachen können, Einblicke in Probenprozesse<br />
sowie Gespräche mit Studierenden. Interessenten können<br />
sich über die Zulassungsvoraussetzungen und den Studienverlauf<br />
der acht Studiengänge informieren. Der Eintritt ist frei!<br />
www.theaterakademie.de<br />
BAYERISCHE THEATERAKADEMIE<br />
AUGUST EVERDING<br />
PRINZREGENTENTHEATER
82 AUCH DAS NOCH<br />
Finale<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />
<strong>Die</strong> letzten Fragen<br />
an Tobias Kratzer, Opernregisseur<br />
1. Welches Kompliment können Sie<br />
auf den Tod nicht ausstehen?<br />
Aus Gründen des Aberglaubens: eigentlich<br />
alle Komplimente vor der Premiere.<br />
2. Welches ist die größte Lüge über das Theater?<br />
Hier gilt’s der Kunst!<br />
3. Was kann Ihnen eine Probe so richtig vermiesen?<br />
Zeitgleiches Champions League Finale.<br />
4. Wo schlafen Sie am besten?<br />
Wen‘s interessiert: in vollständiger Dunkelheit<br />
(dafür mit hoher Geräuschtoleranz).<br />
5. Was ist ein guter Ort zum Nachdenken?<br />
Olympia-Schwimmhalle München, 50-Meter-Becken –<br />
etwa nach der 10. Bahn.<br />
6. Für welchen Ratschlag sind Sie Ihren<br />
Eltern noch heute dankbar?<br />
Kein wirklicher Ratschlag, aber trotzdem gut zu wissen:<br />
Wer die erste Koran-Sure auf Arabisch rezitieren kann,<br />
kommt auch als Nicht-Muslim in den Felsendom.<br />
7. Was macht Ihnen Angst?<br />
Stephen Kings „The Jaunt“, 1981.<br />
8. Ihre schlimmste Panne?<br />
Aus Gründen des Aberglaubens: unbeantwortet...<br />
9. Heimat ist für Sie... ?<br />
Entspannung statt Verplichtung.<br />
10. Erfolg ist für Sie...?<br />
Verplichtung statt Entspannung.<br />
11. Was haben Sie schon mal richtig bereut?<br />
Alle Momente von Halbherzigkeit.<br />
12. Wo haben Sie das tollste Publikum erlebt?<br />
Am 11. August 1999 um 11:03 Uhr auf der Dachterrasse der<br />
Salzburger Festspiele: zweieinhalb Minuten lang atemlose Stille,<br />
danach ungebrochener Applaus – totale Sonneninsternis!<br />
13. Gibt es eine Frage, die Sie schon immer gern beantworten<br />
wollten, die Ihnen aber leider nie einer stellt?<br />
Könnten Sie sich auch vorstellen, ein zeitgenössisches<br />
Werk bei uns zu inszenieren?<br />
TOBIAS KRATZER<br />
zählt zu den meistbeachteten<br />
Opernregisseuren einer jüngeren<br />
Generation. Zuletzt fand seine<br />
„Lohengrin“-Inszenierung am<br />
<strong>Deutsche</strong>n Nationaltheater Weimar<br />
große Beachtung. Er wurde 1980 in<br />
Landshut geboren und studierte<br />
Kunstgeschichte und Philosophie<br />
sowie Schauspiel- und Opernregie.<br />
2008 erhielt er beim internationalen<br />
Regie-Wettbewerb ring.award Graz<br />
den 1. Preis sowie alle vergebenen<br />
Sonderpreise. Seitdem ist er als<br />
freier Regisseur tätig. Arbeiten unter<br />
anderem in Basel, Bremen, Karlsruhe,<br />
Karlstad (Schweden), Leipzig und<br />
München.
DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 83<br />
Impressum<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
<strong>Deutsche</strong>r <strong>Bühne</strong>nverein / Bundesverband<br />
der Theater und Orchester<br />
Redaktion<br />
Chefredakteur Detlef Brandenburg<br />
(verantwortlich), Dr. Detlev Baur,<br />
Ulrike Kolter, Bettina Weber (i.V.)<br />
Mitarbeit<br />
Ulrike Morell, Regine Reiters,<br />
Catharina Saggau<br />
Anschrift von Herausgeber<br />
und Redaktion<br />
<strong>Deutsche</strong>r <strong>Bühne</strong>nverein, St.-Apern-Straße<br />
17–21, 50667 Köln, Tel.: +49.221.208 12 18,<br />
E-Mail: info@die-deutsche-buehne.de,<br />
www.die-deutsche-buehne.de<br />
Verlag<br />
INSPIRING NETWORK GmbH & Co. KG,<br />
Hoheluftchaussee 95, 20253 Hamburg,<br />
Tel.: +49.40.609 46 59 06,<br />
www.inspiring-network.com<br />
Geschäftsführung: Dr. Katarzyna Mol-Wolf<br />
(Vorsitzende), Anke Rippert<br />
Redaktionsteam INSPIRING NETWORK:<br />
Redaktionelle Beratung: Andreas Möller,<br />
Andrea Huss<br />
Artdirektion/Graphik: Almut Moritz (fr.)<br />
Graphisches Konzept: Almut Moritz,<br />
Anja Steinig<br />
Illustrationen: Giannina Mihalic<br />
Vertrieb<br />
DPV <strong>Deutsche</strong>r Pressevertrieb GmbH,<br />
Postfach 570 402, 22773 Hamburg,<br />
www.dpv.de<br />
Repro/Herstellung<br />
Peter Becker GmbH, Medienproduktionen,<br />
Delpstraße 15, 97084 Würzburg<br />
Druck<br />
NEEF + STUMME premium printing GmbH<br />
& Co. KG, Schillerstraße 2, 29378 Wittingen<br />
Anzeigen<br />
MWK Zimmermann & Hähnel GmbH,<br />
Elisenstraße 24, 50667 Köln,<br />
E-Mail: ddb@mwk-koeln.de,<br />
Tel.: +49.221.12 34 35;<br />
Geschäftsführung: Ralf Zimmermann<br />
Anzeigenverkauf: Ute Singer,<br />
E-Mail: u.singer@mwk-koeln.de,<br />
Tel.: +49.221.820 09 13, Timea Basa,<br />
E-Mail: t.basa@mwk-koeln.de,<br />
Tel.: +49.221.820 09 14<br />
Abonnement- und<br />
Einzelheftbestellung<br />
<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> Kundenservice<br />
E-Mail: abo@die-deutsche-buehne.de,<br />
Tel. +49.1806.47 40 47*<br />
* 20 Cent/Anruf aus dem deutschen Festnetz,<br />
maximal 60 Cent/Anruf aus dem deutschen<br />
Mobilfunknetz. Preise aus dem Ausland<br />
abweichend.<br />
Jahresabonnement: 74 Euro,<br />
Einzelheft: 7 Euro<br />
Sudentenabo: 49,90 Euro<br />
Wir freuen uns auf Ihre Leserbriefe,<br />
Anmerkungen, Kritik und Fragen. Schreiben<br />
Sie bitte per Brief an Redaktion <strong>Die</strong><br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong>, Leserbriefe, St.-Apern-<br />
Straße 17–21, 50667 Köln oder per E-Mail an<br />
chefredaktion@die-deutsche-buehne.de.<br />
VON GELD UND GÖTZEN<br />
Auszüge aus den Schauspielproduktionen des Mainfranken Theaters Würzburg der Spielzeit 2<strong>01</strong>3/2<strong>01</strong>4<br />
BUDDENBROOKS<br />
Schauspiel<br />
nach Thomas Mann<br />
Fassung: John von Düffel<br />
Team: Kreutzfeldt, Angele,<br />
Beth, Lutz, Melle<br />
Premiere: 18.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4<br />
19.30 Uhr | Großes Haus<br />
FUNDAMENT<br />
Schauspiel<br />
von Jan Neumann<br />
Team: Steil, Limberg,<br />
Marzinowski<br />
Premiere: 13.03.2<strong>01</strong>4<br />
20.00 Uhr | Kammerspiele<br />
DER KAUFMANN<br />
VON VENEDIG<br />
Schauspiel<br />
von William Shakespeare<br />
Team: Suschke, Röhrbein,<br />
Melle<br />
Premiere: 10.05.2<strong>01</strong>4<br />
19.30 Uhr | Großes Haus<br />
LEONARD-FRANK-<br />
PREIS<br />
Gewinnerstück 2<strong>01</strong>3<br />
Uraufführung: 15.05.2<strong>01</strong>4<br />
20.00 Uhr | Kammerspiele<br />
K.O. NACH ZWÖLF<br />
RUNDEN<br />
Drama von Lothar Trolle<br />
Team: Bunge, N.N. , N.N. ,<br />
Marzinowski<br />
Uraufführung: 05.07.2<strong>01</strong>4<br />
19.30 Uhr | Großes Haus<br />
Theaterstraße 21 | 97070 Würzburg<br />
Karten: 0931/3908-124 | karten@theaterwuerzburg.de<br />
www.theaterwuerzburg.de<br />
Besuchen Sie uns auch auf:
Wertvoll, Weißgold, wunderschön – mit feinstem Glashütter Kaliber. Lambda Weißgold und andere Uhren der neuen Goldkollektion von NOMOS Glashütte<br />
gibt es jetzt hier: Augsburg: Bauer & Bauer; Bayreuth: Böhnlein; Berlin: Christ im KaDeWe, Leicht, Lorenz, Wempe; Bielefeld: Böckelmann; Bonn: Hild; Bremen:<br />
Meyer; Chemnitz: Roller; Darmstadt: Techel; Dortmund: Rüschenbeck; Dresden: Leicht; Düsseldorf: Blome, Wempe; Erfurt: Jasper; Erlangen: Winnebeck; Essen:<br />
Mauer; Frankfurt: Wempe; Glashütte: NOMOS Kaufhaus; Hamburg: Bucherer, Wempe; Hannover: Wempe; Kassel: Schmidt; Koblenz: Hofacker; Köln: Berghoff,<br />
Rüschenbeck; Leipzig: Wempe; Lübeck: Mahlberg; Ludwigsburg: Hunke; Mainz: Willenberg; München: Bucherer, Fridrich, Möller, Wempe; Münster: Oeding-Erdel;<br />
Nürnberg: Wempe; Regensburg: Kappelmeier; Stuttgart: Wempe; Ulm: Scheuble; Wiesbaden: Epple. www.nomos-store.com und www.nomos-glashuette.com.