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Heft 01/2014 - Die Deutsche Bühne

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Schauspiel<br />

Tanz<br />

Musiktheater<br />

theaterfest:<br />

FAUST-Verleihung<br />

in Berlin<br />

Porträt:<br />

Katharina Kreuzhage,<br />

neu in Paderborn<br />

Kritik im Dialog:<br />

Giuseppe Verdis<br />

politische Sendung<br />

<strong>01</strong><br />

14<br />

4 190472 407004 <strong>01</strong> SCHWERPUNKT<br />

85. Jahrgang | Jan. 2<strong>01</strong>4 | H 4724 E | Deutschland 7,00 Euro<br />

Österreich 8,50 Euro | Schweiz 12,60 CHF<br />

Der multiple<br />

Schauspieler


Perfekt ablesbar Tag für Tag –<br />

und Nacht für Nacht.<br />

Mit ihren dezentralen Anzeigen und ihrem Großdatum steht die<br />

Lange 1 für beste Ablesbarkeit. Bei der neuen Grossen Lange 1<br />

„Lumen“ gilt dies auch für die Nachtstunden, denn ihre Indizes<br />

und Zeiger – und erstmals auch das Großdatum – leuchten<br />

in der Dunkelheit. Damit das Datum auch dann noch leuchtet,<br />

wenn beim Datumswechsel um Mitternacht die neuen Ziffern<br />

erscheinen, ist ein Teil des Zifferblatts aus halbtransparentem<br />

Saphirglas gefertigt. Es lässt das unsichtbare UV-Licht<br />

passieren, wodurch sich die Datumsscheiben auch unterhalb<br />

des Zifferblatts aufladen können. www.lange-soehne.com


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 EDITORIAL 03<br />

VON DETLEF BRANDENBURG.<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />

Hier ist sie also: <strong>Die</strong> neue DEUTSCHE<br />

BÜHNE! Gemeinsam mit unseren Partnern<br />

vom Verlag INSPIRING NET-<br />

WORK haben wir ein Jahr lang überlegt,<br />

diskutiert, entworfen und verworfen. Viele<br />

von Ihnen haben uns dabei in der „Leserjury“<br />

oder den Blattkritik-Runden in<br />

verschiedenen Städten begleitet. Was Sie<br />

hier sehen, wäre ohne Ihre Mitwirkung<br />

nicht möglich gewesen. Dafür ein herzliches<br />

Danke im Namen aller beteiligten<br />

Macher der DEUTSCHEN BÜHNE!<br />

Viele von Ihnen haben uns gesagt: Ja,<br />

macht es anders! Werdet lebendiger, werdet<br />

moderner! Aber lasst Euch um diesen<br />

Preis nicht euren fachlichen Anspruch<br />

abkaufen! Das werden wir nicht tun – versprochen!<br />

Wir werden dem Theater weiter<br />

mit Neugier, Respekt und Fairness<br />

gegenübertreten. Was sich aber ändern<br />

musste, das war unser „Auftritt“. Uns fehlte<br />

das Besondere, das Verspielte, das Sinnliche<br />

– Qualitäten, die doch auch zum<br />

Theater gehören. Umso wichtiger, dass<br />

eine Theaterzeitschrift sie plegt, oder? Sie<br />

werden hier neue persönliche oder dialogische<br />

Formate inden; einen anderen<br />

Umgang mit Fotos; und ein bisschen<br />

Spaß am Spiel mit Themen und Typographie.<br />

Der Ernst des Theaterlebens verträgt<br />

es doch auch mal, per Comic auf die<br />

Schippe genommen zu werden: Belauschen<br />

sie unsere „Kantinenhelden“ auf<br />

Gehen<br />

Sie auf<br />

Entdeckungsreise,<br />

Sie werden<br />

in diesem<br />

<strong>Heft</strong><br />

viel Neues<br />

finden!<br />

S.16. Und wenn Opern von Verdi mit leidenschaftlicher<br />

politischer Botschaft Premiere<br />

haben – warum sie nicht mit einem<br />

Politologen anschauen und im Dialog<br />

gemeinsam aufarbeiten?<br />

<strong>Die</strong> „Kritik im Dialog“ dazu steht auf Seite<br />

58. <strong>Die</strong> „ordentlichen“ Kritiken zu den<br />

dort diskutierten Auführungen sind aktuell<br />

online erschienen. <strong>Die</strong>sen Zusammenhalt<br />

von <strong>Heft</strong> und Homepage wollen<br />

wir enger fassen als bisher. Unsere Abonnenten<br />

haben jetzt ohne Mehrkosten<br />

Zugrif auf umfassende Online-Services<br />

(Näheres dazu auf Seite 80). Hier inden<br />

Sie jetzt auch die Premieren, mit komfortablen<br />

Abfragemöglichkeiten auf drei (!)<br />

Monate im voraus, täglich aktualisiert.<br />

Gehen Sie am besten selbst auf Entdeckungsreise!<br />

Unser <strong>Heft</strong> wird ein Work<br />

in Progress bleiben – und wir freuen uns<br />

sehr auf Ihre Anregungen per mail an<br />

chefredaktion@die-deutsche-buehne.de<br />

alles neu...<br />

<strong>Die</strong> neue DEUTSCHE BÜHNE<br />

entsteht: In den Verlagsräumen<br />

von INSPIRING NETWORK in<br />

Hamburg präsentiert unsere<br />

Layouterin Almut Moritz<br />

(3. v. li.) den Entwurf für unser<br />

erstes Titelbild im neuen<br />

Layout. Links die DdB-Redakteure<br />

Detlev Baur und Bettina<br />

Weber, ganz rechts Chefredakteur<br />

Detlef Brandenburg.<br />

Titelbild...<br />

Zwischen den Proben für<br />

Karin Beiers Eröfnungsprojekt<br />

„<strong>Die</strong> Rasenden“ am <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schauspielhaus Hamburg<br />

fotograierte Tobias Kruse den<br />

Schauspieler Joachim<br />

Meyerhof.<br />

Alles neu auch auf<br />

unserer Website:<br />

www.die-deutsche-buehne.de


04 INHALT DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Inhalt<br />

Magazin<br />

<strong>Bühne</strong>nwelt<br />

DIE PERFORMANCE-KÜNSTLERIN<br />

FLORENTINA HOLZINGER<br />

03<br />

06<br />

Editorial<br />

Theaterfoto<br />

DAS LEITUNGSTEAM DER<br />

STAATSOPER STUTTGART<br />

20<br />

24<br />

28<br />

30<br />

32<br />

Theaterfest<br />

<strong>Die</strong> Verleihung des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Theaterpreises DER FAUST 2<strong>01</strong>3 in Berlin<br />

Trend<br />

Englischsprachige Dramatik allüberall<br />

Porträt<br />

<strong>Die</strong> neue Intendantin am Theater Paderborn:<br />

Katharina Kreuzhage<br />

Mein Haus in zehn Bildern<br />

Pressesprecherin Andrea Bartsch zeigt<br />

uns die Staatsoper Hannover<br />

Fundstück<br />

Florentina Holzingers provozierende<br />

Perfomance-Kunst<br />

10<br />

Wer kommt, wer geht?<br />

11<br />

Nachgefragt: Armin Petras<br />

11<br />

Meldungen<br />

14<br />

Theater als Weltkulturerbe?<br />

16<br />

Comic: Kantinenhelden


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 INHALT 05<br />

Schwerpunkt<br />

Auführungen<br />

Der multiple<br />

Schauspieler<br />

„PLANET DER FRAUEN“AM<br />

THEATER FREIBURG<br />

„I DUE FOSCARI“ AN DER<br />

HAMBURGISCHEN STAATSOPER<br />

Fotos (v.l.n.r.) Martin Siegmund, Anne van Kooij, Maurice Korbel, Bernd Uhlig<br />

36<br />

40<br />

44<br />

48<br />

50<br />

die probe als suchmaschine<br />

Michael Börgerding, Intendant des Theaters<br />

Bremen, über Schauspieler zwischen Darstellung<br />

und Partizipation<br />

Freiheit hinter der Maske<br />

Der Schauspieler Joachim Meyerhof als<br />

Darsteller biographischer Erlebnisse<br />

Schauspielkunst vs. Performance?<br />

Der Dramaturg Bernd Stegemann und der<br />

Theatermacher Daniel Wetzel von Rimini<br />

Protokoll im Interview<br />

Forschen und Spielen<br />

Josef Mackert, Freiburger Chefdramaturg,<br />

über neue Stadttheaterkonzepte und veränderte<br />

Koordinaten der Darstellung<br />

Experten auf zeit<br />

Wie der Dokumentartheatermacher Hans Werner<br />

Krösinger mit Schauspielern arbeitet<br />

Laientheater: drei meinungen<br />

Drei professionelle Darsteller berichten über ihre<br />

Arbeit mit Laien<br />

58<br />

64<br />

68<br />

53<br />

82<br />

Kritik im Dialog I<br />

Der Politikwissenschaftler Udo Bermbach und Detlef<br />

Brandenburg über frühe Verdi-Opern an der<br />

Hamburgischen Staatsoper. Außerdem: Verdi-Opern<br />

aus Bielefeld und Krefeld/Mönchengladbach.<br />

Kritik im Dialog II<br />

Barbara Behrendt und die Psychotherapeutin<br />

Kornelia Wulf über Mehrgenerationenprojekte an<br />

Berliner Theatern<br />

Kompass<br />

Der persönliche Premieren führer von Detlev Baur<br />

Auch das noch<br />

72<br />

78<br />

80<br />

83<br />

Chronik<br />

Bis Redaktionsschluss: Ein Resümee von<br />

Detlef Brandenburg<br />

Empfehlungen der redaktion<br />

CD, DVD, Buch und TV-Tipp des Monats<br />

Forum<br />

Unsere neue Homepage<br />

<strong>Die</strong> letzten Fragen<br />

An Tobias Kratzer, Opernregisseur<br />

Impressum


6 THEATERFOTO DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 THEATERFOTO 7<br />

There‘s No Business Like Show Business!<br />

Der Kinder- und Jugendchor der Berliner Lindenoper<br />

in voller Aktion im Finale der Verleihung<br />

des <strong>Deutsche</strong>n Theaterpreises DER FAUST im<br />

Berliner Schillertheater (mehr dazu auf Seite 20 in<br />

diesem <strong>Heft</strong>). Das Foto stammt von Markus Nass


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

MAGAZIN 09<br />

Magazin<br />

Foto: Martin Sigmund<br />

Veränderungen:<br />

Das Führungsteam der Oper<br />

Stuttgart mit Operndirektorin<br />

Eva Kleinitz (stehend) sowie<br />

(sitzend, v. li) GMD Sylvain<br />

Cambreling, der Leitenden<br />

Regisseurin Andrea Moses,<br />

Chefdramaturg Sergio Morabito<br />

und Intendant Jossi Wieler. In<br />

dieser Form wird das Gespann<br />

nicht weiter bestehen: Andrea<br />

Moses gibt ihre Position auf. Sie<br />

wird dem Haus als Gastregisseurin<br />

aber erhalten bleiben.<br />

Eva Kleinitz hat derweil eine<br />

zusätzliche, ehrenvolle Aufgabe<br />

hinzugewonnen: Sie ist neue<br />

Präsidentin des Verbands von<br />

Opernhäusern und Festivals<br />

Opera Europa. <strong>Die</strong> 41-Jährige wird<br />

damit Nachfolgerin des Brüsseler<br />

Opernintendanten Peter de<br />

Caluwe. Auf unsere Nachfrage<br />

kommentierte sie ihre Wahl so:<br />

„Ich hofe, dass sich durch die<br />

erstmalige Wahl einer Frau in<br />

dieses Amt auch meine Kolleginnen<br />

in der ganzen Welt ermutigt<br />

fühlen, sich künftig noch mehr<br />

Gehör zu verschafen.“


10 MAGAZIN<br />

Theaterlandschaft<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Magazin<br />

Januar<br />

2<strong>01</strong>4<br />

1<br />

3<br />

2<br />

6<br />

5<br />

4<br />

Wer<br />

kommt,<br />

wer<br />

geht?<br />

1 Susanne Schwier Der Rat<br />

der Stadt Aachen hat die<br />

bisherige Leiterin der Abteilung<br />

Schulaufsicht der Freien<br />

und Hansestadt Hamburg zur<br />

neuen Dezernentin für<br />

Bildung, Kultur, Schule, Jugend<br />

und Sport gewählt. <strong>Die</strong><br />

parteilose Schwier tritt das<br />

neue Amt voraussichtlich im<br />

Februar 2<strong>01</strong>4 an.<br />

2 Hanna Koller Der Vertrag<br />

der Tanzkuratorin bei den<br />

<strong>Bühne</strong>n der Stadt Köln soll<br />

zum Ende der Spielzeit nicht<br />

verlängert werden. <strong>Die</strong><br />

Betriebsleitung der <strong>Bühne</strong>n<br />

sprach dem Kölner Stadtanzeiger<br />

zufolge von einer „internen<br />

Personalentscheidung“. Bisher<br />

ist die Finanzierung der<br />

Tanzgastspiele nur bis zur<br />

Spielzeit 2<strong>01</strong>4/15 gesichert.<br />

Koller kuratiert seit 15<br />

Spielzeiten das Tanzprogramm<br />

an Oper und Schauspiel; in den<br />

letzten Jahren in Form eines<br />

hoch gelobten Gastspielprogramms.<br />

3 Johan Simons Der niederländische<br />

Regisseur wird ab<br />

2<strong>01</strong>5 für drei Jahre Intendant<br />

der Ruhrtriennale. Nun wurde<br />

Simons, derzeit Intendant der<br />

Münchner Kammerspiele, von<br />

NRW-Kulturministerin Ute<br />

Schäfer in Duisburg als<br />

Nachfolger von Heiner<br />

Goebbels vorgestellt. Er<br />

kündigte an, das Festival für<br />

alle Zuschauerschichten öfnen<br />

zu wollen.<br />

4 Vladimir Malakhov Der<br />

scheidende Intendant des<br />

Staatsballetts Berlin wird ab<br />

1. August 2<strong>01</strong>4 künstlerischer<br />

Berater des Tokyo Ballet in<br />

Japan.<br />

5 Riccardo Chailly Der<br />

italienische Dirigent und seit<br />

2005 Chefdirigent des Leipziger<br />

Gewandhausorchesters soll unter<br />

dem kommenden Intendanten<br />

Alexander Pereira Musikdirektor<br />

der Mailänder Scala<br />

werden. Damit folgt er auf<br />

Daniel Barenboim. Der<br />

Zeitpunkt der Wechsels war bei<br />

Redaktionsschluss noch nicht<br />

bekannt, Barenboims Vertrag<br />

läuft bis 2<strong>01</strong>6.<br />

6 Katrin Schindler und<br />

Michael Forner Ab 1. Januar<br />

2<strong>01</strong>4 lösen die beiden die<br />

bisherigen Leiter der Komödie<br />

an der Steinstraße in Düsseldorf<br />

ab. Paul Haizmann und<br />

Helmuth Fuschl führten das<br />

Haus elf Jahre lang. Schindler<br />

und Forner arbeiteten beide<br />

unter anderem in der kaufmännischen<br />

Leitung am Theater am<br />

Kurfürstendamm und der<br />

Komödie Winterhuder Fährhaus.


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 11<br />

Theaterlandschaft<br />

Fotos (v.l.n.r.): Susanne Schwier, Thomas Brill, Andrea Huber, Andrej Glusgold, Gewandhaus-Mothes, Komödie Düsseldorf, Arthur Zalewski, Markus Scholz<br />

Nachgefragt<br />

bei Armin Petras, dem neuen<br />

Intendanten des Schauspiels<br />

Stuttgart<br />

Wie verlief der technische<br />

Start im neuen Haus? Hat<br />

endlich alles funktioniert?<br />

Ja, das Haus funktioniert,<br />

zumindest weitgehend. Wir<br />

haben die Spielzeit mit sechs<br />

Premieren eröfnet, die eine<br />

große Spannweite hatten,<br />

ästhetisch und was die<br />

technischen Anforderungen<br />

angeht. <strong>Die</strong>ser Härtetest ging<br />

ohne größere Zwischenfälle<br />

über die <strong>Bühne</strong>, auch weil die<br />

Teams und Abteilungen viel<br />

Flexibilität und Leidenschaft in<br />

den Neustart miteingebracht<br />

haben. Es gibt zwar immer<br />

noch eine Mängelliste: die<br />

Netzwerktechnologie, das<br />

Inspizientenpult und die<br />

Steuerung der Maschinerie<br />

sind noch nicht zu einhundert<br />

Prozent funktionstüchtig.<br />

Trotzdem sind wir nach den<br />

ersten Premieren vorsichtig<br />

optimistisch.<br />

Sind Sie mit dem neuen Haus<br />

zufrieden oder entdecken Sie<br />

noch Kinderkrankheiten?<br />

Ein Theater besteht ja nicht<br />

nur aus Zügen, Hubpodien<br />

und Drehscheiben. Viel<br />

entscheidender ist, dass ein<br />

Haus eine Atmosphäre<br />

bietet, in der das Ensemble<br />

und die Teams zusammenwachsen<br />

und konzentriert<br />

arbeiten können. Vor allem in<br />

dieser Beziehung ist Stuttgart<br />

ein funktionierendes Theater.<br />

Auch andere Dinge habe ich<br />

bereits schätzen gelernt: die<br />

Nähe zu den Kollegen aus<br />

Oper und Ballett, die Leistungsfähigkeit<br />

der Gewerke,<br />

den Sachverstand des<br />

Publikums. Trotzdem hat jedes<br />

Theater seine eigene Geschichte,<br />

eigene kommunikative<br />

Spielregeln, ein speziisches<br />

Umfeld, einen eigenen<br />

Charakter. Um das alles<br />

kennenzulernen, braucht es<br />

mehr Zeit, als wir bisher<br />

hatten. Ich würde sagen: Wir<br />

sind dabei, uns anzufreunden.<br />

Sie sind aus Berlin nach<br />

Stuttgart gekommen. Wie<br />

kommen Schwaben und<br />

Berliner miteinander aus?<br />

Das Team und Ensemble ist<br />

aus den unterschiedlichsten<br />

Himmelsrichtungen hierher<br />

gekommen: unter anderem<br />

aus Bochum, Köln, Frankfurt,<br />

Basel und Leipzig. <strong>Die</strong> Berliner<br />

sind da eher in der Unterzahl.<br />

Aus diesen Menschen ein<br />

eingespieltes Team zu machen,<br />

ist ein Projekt, das gut<br />

begonnen hat und für das es<br />

hier in Stuttgart gute Bedingungen<br />

gibt. <strong>Die</strong> ersten<br />

Premieren haben gezeigt, dass<br />

sich die Stuttgarter über die<br />

neuen Gesichter freuen.<br />

Umbauten und<br />

schleichender Abbau<br />

<strong>Die</strong> Berner Bürger haben sich<br />

mit deutlicher Mehrheit für die<br />

Sanierung des Stadttheaters<br />

ausgesprochen. Bei einer<br />

„Abstimmungsvorlage“ vor der<br />

Abstimmung im „Großen Rat“<br />

sprachen sich 76 Prozent der<br />

votierenden Bürger für die auf<br />

19 Millionen berechnete<br />

Sanierung des Konzert Theater<br />

Bern aus.<br />

Am Passauer Stadttheater<br />

soll die Sanierung nach dem<br />

Juni-Hochwasser 2<strong>01</strong>3 bis<br />

Ende Januar 2<strong>01</strong>4 abgeschlossen<br />

sein. Das seit Jahren<br />

sanierungsbedürftige<br />

Landshuter Theater, eine<br />

weitere von drei Spielstätten<br />

des Landestheaters Niederbayern,<br />

darf nur mit Ausnahmegenehmigungen<br />

spielen,<br />

die 2<strong>01</strong>4 auslaufen. Als<br />

Übergangsspielstätte ist ab<br />

Juni ein Theaterzelt geplant;<br />

ein Sanierungsbeginn des<br />

Theaters ist nicht abzusehen.<br />

LANDESBÜHNE<br />

SACHSEN-ANHALT<br />

IN LUTHERSTADT<br />

EISLEBEN<br />

Der Stadtrat der Stadt Trier<br />

hat in Reaktion auf ein<br />

Gutachten über Einsparmöglichkeiten<br />

an dem Haus<br />

beschlossen, das Theater als<br />

Drei-Sparten-Theater zu<br />

bewahren. Wie die auch<br />

angesichts der steigenden<br />

Personalkosten nötigen<br />

Einsparungen am Haus und<br />

die dringliche Sanierung<br />

inanziert werden sollen, blieb<br />

nach einem Bericht der<br />

Saarbrücker Zeitung aber<br />

ofen. In einer Internet-Petition<br />

hatten sich 42000 Menschen<br />

gegen die in dem<br />

Gutachten angeregte<br />

Umwandlung in ein Bespieltheater<br />

ausgesprochen.<br />

<strong>Die</strong> Landesbühne der Lutherstadt<br />

Eisleben soll 2<strong>01</strong>4 noch<br />

750000 Euro Zuschüsse des<br />

Landes Sachsen-Anhalt<br />

erhalten, von 2<strong>01</strong>5 bis 2<strong>01</strong>8<br />

sollen es noch 400000 Euro<br />

sein. Damit ist die drohende<br />

Schließung des Theaters<br />

vorerst abgewendet; ursprünglich<br />

sollte das Theater ab 2<strong>01</strong>5<br />

keine Zuschüsse vom Land<br />

mehr bekommen. Allerdings<br />

wird das Theater in ein<br />

„Kulturwerk“ umgewandelt,


12 MAGAZIN<br />

Theaterlandschaft<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

das sich auf die theaterpädagogische<br />

Arbeit für Kinder und<br />

Jugendliche konzentrieren soll.<br />

Laut Kultusminister Stephan<br />

Dogerloh soll „der Fokus auf<br />

Kulturvermittlung gelegt<br />

werden.“<br />

Auch das Staatstheater<br />

Schwerin reduziert aus<br />

finanziellen Gründen seine<br />

Angebote. Ab der kommenden<br />

Spielzeit soll das<br />

Sinfoniekonzert montags<br />

wegfallen, die niederdeutsche<br />

Fritz-Reuter-<strong>Bühne</strong> nur noch<br />

vier statt sechs Inszenierungen<br />

pro Spielzeit erarbeiten,<br />

die kleinste Spielstätte Werk 3<br />

aufgegeben und die Puppenbühne<br />

zum Gastspielbetrieb<br />

werden.<br />

STAATSTHEATER SCHWERIN<br />

Unterdessen haben sich die<br />

Theaterintendanten in<br />

Mecklenburg-Vorpommern zu<br />

einer Ständigen Intendantenkonferenz<br />

zusammengeschlossen.<br />

<strong>Die</strong> Theaterleiter wollen sich<br />

nicht gegeneinander ausspielen<br />

lassen und mit Selbstbewusstsein<br />

für die künstlerische<br />

Arbeit im Land kämpfen.<br />

In einem ofenen Brief haben<br />

hundertsechzig Dirigenten<br />

den Intendanten des SWR<br />

Peter Boudgoust aufgefordert,<br />

die 2<strong>01</strong>2 beschlossene<br />

Fusion des SWR-Sinfonieorchesters<br />

Baden-Baden und<br />

Freiburg und des RSO<br />

Stuttgart im Jahr 2<strong>01</strong>6<br />

zurückzunehmen.<br />

Ehrenplatz<br />

Der Regisseur Antoine<br />

Laubin ist Gewinner des<br />

dritten europäischen<br />

Festivals für junge Regie Fast<br />

Forward am Staatstheater<br />

Braunschweig. Der belgische<br />

Regisseur wurde für seine<br />

Inszenierung „Dehors“<br />

ausgezeichnet und hat nun<br />

die Möglichkeit, in der<br />

nächsten Spielzeit in<br />

Braunschweig ein Stück zu<br />

inszenieren.<br />

Michael Thalheimer ist für<br />

seine „Elektra“-Inszenierung<br />

am Wiener Burgtheater bei der<br />

Verleihung des österreichischen<br />

Theaterpreises Nestroy als<br />

Bester Regisseur ausgezeichnet<br />

worden. Für die Titelrolle der<br />

Inszenierung wurde Christiane<br />

von Poelnitz als Beste Schauspielerin<br />

geehrt. Katie Mitchells<br />

„Reise durch die Nacht“ am<br />

Schauspiel Köln wurde zur<br />

Besten deutschsprachigen<br />

Auführung gewählt. Der<br />

Autorenpreis ging an Elfriede<br />

Jelinek; der Preis für das<br />

Lebenswerk an Luc Bondy.<br />

GISELA HÖHNE<br />

ANTOINE LAUBIN<br />

Amelie Deuflhard, Mitbegründerin<br />

der Sophiensaele<br />

in Berlin und aktuell<br />

Leiterin des Hamburger<br />

Theaters Kampnagel, hat im<br />

Berliner Institut Français die<br />

Insignien des Chevaliers des<br />

Arts et des Lettres erhalten. Sie<br />

erhielt diese Auszeichnung<br />

des französischen Kulturministeriums<br />

für ihre Verdienste<br />

um die deutsch-französischen<br />

Beziehungen.<br />

Der Leiter des Mülheimer<br />

Theaters an der Ruhr, Roberto<br />

Ciulli, ist mit dem Staatspreis<br />

des Landes Nordrhein-Westfalen<br />

ausgezeichnet worden. Der<br />

80-jährige aus Italien stammende<br />

Regisseur gründete das<br />

Theater zusammen mit<br />

Dramaturg Herbert Schäfer<br />

und <strong>Bühne</strong>nbildner Gralf-<br />

Edzard Habben im Jahr 1980.<br />

Dem Staatstheater Nürnberg<br />

wurde der Preis der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Theaterverlage für das Jahr<br />

2<strong>01</strong>3 verliehen. Damit werden<br />

die Bemühungen des<br />

Theaters um „Repertoireplege<br />

auch und gerade<br />

zeitgenössischer Dramatik“<br />

gewürdigt.<br />

Der Schriftsteller und<br />

Dramatiker Rainald Goetz<br />

wurde mit dem Schiller-Gedächtnispreis<br />

2<strong>01</strong>3 geehrt.<br />

Übergeben wurde die<br />

Auszeichnung durch Baden-<br />

Württembergs Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann.<br />

Nur wenige Tage zuvor wurde<br />

Goetz der Marieluise-Fleißer-<br />

Preis der Stadt Ingolstadt<br />

verliehen.<br />

KATHARINA THALBACH<br />

<strong>Die</strong> Schauspielerin und<br />

Regisseurin Katharina<br />

Thalbach erhält den <strong>Deutsche</strong>n<br />

Hörbuchpreis für ihr Lebenswerk.<br />

Damit wird sie für ihre<br />

zahlreichen Sprechpartien in<br />

Hörbüchern geehrt.<br />

Gisela Höhne, die Leiterin<br />

des Berliner Theaters<br />

RambaZamba, bekommt den<br />

Caroline-Neuber-Preis 2<strong>01</strong>4.<br />

<strong>Die</strong> Preisverleihung indet<br />

im März im Schauspiel<br />

Leipzig statt.<br />

Fotos (v.l.n.r.): Silke Winkler, Alice Piemme, Rob de Vrij, Katharina Thalbach<br />

Weitere Theatermeldungen<br />

www.die-deutsche-buehne.de


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 13<br />

Glosse<br />

EINE GLOSSE VON<br />

MICHAEL LAAGES<br />

KLATSCHMARSCH!<br />

In immer mehr Theatern im Land greift er um sich: der rhythmische<br />

Beifall. Eine Glosse zum gar nicht so neuen Klatsch-Phänomen<br />

Drei echte Prominente haben bekanntlich<br />

das Ende der DDR überlebt: das Ampelmännchen/Ost,<br />

sein Kollege, das Sandmännchen,<br />

und der grüne Rechtsabbieger-Pfeil.<br />

Der vierte Sieger der Geschichte hat sich<br />

etwas Zeit gelassen, bevor er nun ofenbar das ganze<br />

Land erreicht hat: der rhythmische Beifall im Theater.<br />

Der war lange eine Spezialität der neuen Bundesländer,<br />

und wer eher unfreundliche Vorurteile<br />

und Assoziationen mit sich herum trug, mochte von<br />

der Nähe zu Fernsehbildern von Parteitagen der unterschiedlichsten<br />

Polit-Kategorie immer wieder unangenehm<br />

berührt sein.<br />

Dort haben inzwischen sämtliche Parteien die rhythmischen<br />

Ergebenheitsbekundungen von früher<br />

durch amerikanisierte Lärmmusik ersetzt – der<br />

Klatschmarsch vom alten Ost-Parteitag war nun frei<br />

und hat sich spätestens mit Beginn der laufenden<br />

Spielzeit lächendeckend auch im Westen breit gemacht.<br />

In Trier zum Beispiel war er schon zu hören,<br />

in Frankfurt, in Hannover – ganz so, als sollten Zugaben<br />

erstritten werden, vereinen sich hier und da und<br />

überall die Publikümmer genormten Beifalls-Service.<br />

Ist das schlimm? Natürlich prinzipiell nicht; die<br />

Künstlerinnen und Künstler auf der <strong>Bühne</strong> verstehen<br />

ja durchaus, dass das Klatschen im Takt besonders<br />

anerkennend gemeint ist. Nur können sie so gar<br />

nicht darauf reagieren! Im normalen Brausen eines<br />

richtig dankbaren Applauses wirkt das <strong>Bühne</strong>n-Personal<br />

oft wie befreit. So ein richtig herzlicher, raumfüllender<br />

Beifall wärmt, auf der <strong>Bühne</strong> und davor;<br />

und weil er individuell ist und gerade nicht alle das<br />

gleiche tun, ist die Menge (oder gar Masse) im Zuschauerraum<br />

als Summe Einzelner erkennbar. So<br />

kann sich jedes Ensemblemitglied mit etwas Phantasie<br />

viele verschiedene Beifälle abholen, sozusagen<br />

ganz persönlich von jedem und jeder einzeln… Was<br />

aber tun, wenn’s rhythmisch wird? Entsprechend<br />

zackige Verbeugungen wirken ja eher lächerlich; im<br />

gleichen Schritt rein und raus zu laufen, geht auch<br />

nicht. Dem Publikum zurück zu klatschen, ist auch<br />

nur eine Notlösung; und ähnelt obendrein ganz besonders<br />

dem alten Parteitagsgehabe.<br />

So stehen die Ensembles dem Jubel im Stechschritt<br />

zuweilen etwas ratlos gegenüber. Und fast schon<br />

glücklich darf sich eine Inszenierung schätzen, die<br />

gerade durchgefallen ist – da kleckert und krümelt<br />

der Beifall zwar ein bisschen, aber wenigstens nicht<br />

im Rhythmus und allemal individuell. In Brasilien<br />

übrigens geht Beifall so: sehr heftig und ganz kurz,<br />

dafür sofort im Stehen gespendet. Dann lieht das<br />

Publikum, weil gleich der letzte Bus fährt. Oder<br />

auch nicht.<br />

Ganz so,<br />

als sollten<br />

zugaben<br />

erstritten<br />

werden,<br />

vereinen<br />

sich hier<br />

und da und<br />

überall die<br />

publikümmer<br />

zum<br />

genormten<br />

beifallservice


14 MAGAZIN<br />

Dokumentation<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Einzigartige Vielfalt<br />

Ende 2<strong>01</strong>3 hat der <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong>nverein<br />

die Aufnahme „der historisch gewachsenen<br />

Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen<br />

der einzigartigen deutschen<br />

Theater- und Orchesterlandschaft“ in das<br />

Immaterielle Kulturerbe der UNESCO<br />

beantragt. Wir dokumentieren Auszüge<br />

aus den beigefügten Gutachten<br />

ZUGLEICH ALT UND NEU<br />

PRÄSENTIERT SICH DAS<br />

STAATSTHEATER MAINZ<br />

Aus dem Gutachten von<br />

Erika Fischer-Lichte<br />

„<strong>Die</strong> deutsche Theater- und<br />

Orchesterlandschaft ist in<br />

ihrer Vielfalt einzigartig. Sie<br />

ist über mehr als 300 Jahre<br />

historisch gewachsen. (...)<br />

<strong>Die</strong>se Kontinuität ermöglichte<br />

eine lebendige Traditionsbildung,<br />

die jeglicher Form von<br />

Versteinerung dieser Landschaft<br />

diametral entgegengesetzt<br />

ist. Sie zeichnet sich<br />

vielmehr durch eine ungewöhnliche<br />

Flexibilität aus.<br />

Jede gesellschaftliche Gruppe<br />

kann sie sich aneignen, jedes<br />

neu auftauchende Problem in<br />

ihr verhandelt werden. (...)<br />

Nur aufgrund ihrer Vielfalt<br />

und ‚lächendeckenden‘<br />

Verbreitung, die weltweit<br />

einzigartig sind, vermag die<br />

deutsche Theater- und<br />

Orchesterlandschaft diese<br />

Funktion zu erfüllen (...) Wie<br />

Theaterwissenschaftler, die<br />

von allen fünf Kontinenten als<br />

Fellows in das von mir<br />

geleitete Internationale<br />

Forschungskolleg ‚Verlechtungen<br />

von Theaterkulturen‘<br />

kommen, mir immer wieder<br />

bestätigen, wird die deutsche<br />

Theater- und Orchesterlandschaft<br />

dafür in aller Welt<br />

bewundert.“<br />

Erika Fischer-Lichte ist<br />

emeritierte Leiterin des<br />

Instituts für Theaterwissenschaft<br />

an der Freien Universität<br />

Berlin<br />

Aus dem Gutachten von<br />

Gerhart Rudolf Baum<br />

„Theater und Orchester sind<br />

unverändert lebendige Zentren<br />

künstlerischer Kreativität,<br />

deren Blick in Gegenwart und<br />

Zukunft gerichtet ist. Sie üben<br />

auch eine starke Anziehungskraft<br />

auf international tätige<br />

und anerkannte Künstler aus.<br />

Neue Formen wie zum Beispiel<br />

mit Theater oder Musik im<br />

öfentlichen Raum werden<br />

entwickelt. Vielfältige Ausdrucksformen<br />

experimenteller<br />

Art gehören zur täglichen<br />

Praxis von Theatern und<br />

Orchestern. <strong>Die</strong>s ist vor allem<br />

möglich, weil die Finanzierung<br />

nicht in das Belieben einzelner<br />

Förderer gestellt ist, sondern in<br />

Deutschland einem Verfassungsauftrag<br />

folgt.“<br />

Gerhart Rudolf Baum war als<br />

Bundesinnenminister von 1978<br />

bis 1982 auch Kulturminister<br />

des Bundes. Heute übt er eine<br />

Reihe ehrenamtlicher Funktionen<br />

im Bereich Kultur aus.<br />

Aus dem Gutachten von<br />

Ortrud Gutjahr<br />

„<strong>Die</strong> Auseinandersetzung mit<br />

einer immer wieder hinterfragten<br />

und modifizierten<br />

Idee ästhetischer Bildung<br />

gehört bis heute zum Erbe<br />

des Theaters. So sind dank<br />

der föderalen, landesweit<br />

dichten Verteilung von<br />

Theatern und Konzertsälen<br />

anspruchsvolle Theateraufführungen,<br />

Performances,<br />

Musiktheaterdarbietungen<br />

und Konzerte für das<br />

Publikum immer in erreichbarer<br />

Nähe. Auch suchen<br />

Theater und Orchester durch<br />

gezielte Projekte neue<br />

Publikumsgruppen anzusprechen.“<br />

Ortrud Gutjahr ist Professorin<br />

für Neuere deutsche<br />

Literatur und Interkulturelle<br />

Literaturwissenschaft an<br />

der Universität Hamburg<br />

WAS DIE UNESCO SAGT:<br />

„<strong>Die</strong> Formen immateriellen Kulturerbes (...) werden von Generation<br />

zu Generation weitergegeben und fortwährend neu gestaltet.<br />

Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater, Musik und<br />

mündliche Überlieferungen wie auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste.<br />

Damit das weltweit vorhandene traditionelle Wissen<br />

und Können erhalten bleibt, hat die UNESCO 2003 das Übereinkommen<br />

zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet.<br />

Mehr als 150 Staaten sind inzwischen der völkerrechtlich<br />

verbindlichen Konvention, die 2006 in Kraft trat, beigetreten.<br />

In Deutschland ist das UNESCO-Übereinkommmen 2<strong>01</strong>3 in Kraft<br />

getreten. (...) Das Verzeichnis soll von Jahr zu Jahr wachsen.“<br />

Foto Bettina Müller


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 15<br />

Kommentar<br />

THEATER ALS<br />

KULTURERBE?<br />

ABER JA!<br />

<strong>Die</strong> UNESCO sucht Formen des immateriellen<br />

Kulturerbes, die Ausdruck lebendiger Kreativität sind.<br />

Auf Deutschlands Theatervielfalt trift das zu<br />

EIN KOMMENTAR VON<br />

DETLEF BRANDENBURG.<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />

All der<br />

Spott also,<br />

der dem<br />

<strong>Bühne</strong>nverein<br />

mit<br />

seiner Initiative<br />

zur<br />

Bewerbung<br />

um das Immaterielle<br />

Kulturerbe<br />

entgegenschlug:<br />

Er<br />

ist zwar<br />

wohlfeil,<br />

aber uninformiert<br />

Weltkulturerbe – stimmt: das sind die<br />

Plaketten, die man an manchen Baudenkmälern<br />

indet. Und es gab ja die<br />

Diskussion um die Hochhaus-Pläne<br />

am Kölner Rheinufer, die den Welterbe-Status des<br />

Dom gefährdeten; während das Dresdner Elbtal diesen<br />

Titel durch den Bau der Waldschlößchenbrücke<br />

2009 verlor. Weltkulturerbe, das ist Museum unter<br />

freiem Himmel, sozusagen. Und wenn der Eigentümer<br />

Schindluder mit seinen Museumsstücken treibt,<br />

wird ihm die Lizenz entzogen.<br />

Was aber ist Immaterielles Kulturerbe? Dazu die<br />

<strong>Deutsche</strong> UNESCO-Kommission: „<strong>Die</strong> Formen immateriellen<br />

Kulturerbes (…) sind Ausdruck von Kreativität<br />

und Erindergeist, vermitteln Identität und<br />

Kontinuität. Sie werden von Generation zu Generation<br />

weitergegeben und fortwährend neu gestaltet.<br />

Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater,<br />

Musik und mündliche Überlieferungen wie<br />

auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste.“ Man<br />

sieht: eine breite Palette. Man sieht aber auch: Sie<br />

hat andere Farben als die des materiellen Welterbes.<br />

<strong>Die</strong> Farbe des Musealen verblasst hier.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die<br />

Diskussion, ob sich die deutsche Theaterlandschaft<br />

als Immaterielles Kulturerbe bewerben soll, ziemlich<br />

zufallsgesteuert durchs Kriteriendickicht mäandert.<br />

Dass das Theater gleichwohl ein geeigneter<br />

Kandidat ist, belegt das Zitat zweifelsfrei: Es nennt<br />

die Darstellenden Künste ja ausdrücklich. Und dass<br />

es nicht um museale Erhaltung geht, zeigt die Formulierung<br />

der fortwährenden Neugestaltung. Auf<br />

das Theater passt sie bestens, auf den Dom zu Aachen<br />

(Materielles Kulturerbe) wohl kaum. All der<br />

Spott also, der dem <strong>Bühne</strong>nverein mit seiner Initiative<br />

zur Bewerbung um das Immaterielle Kulturerbe<br />

entgegenschlug: da wolle ein Verband seine<br />

Schäfchen unter der musealen Käseglocke ins Trockene<br />

bringen – er ist zwar wohlfeil, aber uninformiert.<br />

Und dass das Theater damit an die Seite volkstümlicher<br />

Traditionen tritt, sollte ihm nicht peinlich<br />

sein. Es hat ja selbst moderne Formen des Volkstheaters<br />

hervorgebracht, von Brecht über Kroetz und<br />

Mitterer bis zu George Tabori. Unlängst hat sich<br />

Dortmunds junger Schauspielintendant Kay Voges<br />

zu einem „modernen Volkstheater“ bekannt.<br />

Wenn sich Deutschland aber im Verlaufe des Verfahrens<br />

der internationalen Staatengemeinschaft mit<br />

etwas präsentiert, das es anderen Ländern voraus<br />

hat – iele das unter die Kategorie: „Am deutschen<br />

Wesen soll die Welt genesen“? <strong>Die</strong> Formel aus dem<br />

wilhelminischen Kaiserreich steht für die Überheblichkeit<br />

der „verspäteten Nation“ und hat damit die<br />

gleichen Wurzeln wie der Reichtum der deutschen<br />

Theaterlandschaft: Deutschlands so lange fortwirkende<br />

Zersplitterung in Kleinstaaten. Aber wäre es<br />

nicht wunderbar, wenn wir <strong>Deutsche</strong>n auf der Plattform<br />

der UNESCO darauf verweisen können, dass<br />

unsere speziische Geschichte eben nicht nur Wilhelminismus<br />

und Nazibarberei hervorgebracht hat,<br />

sondern auch eine Kunstform des kritischen öfentlichen<br />

Diskurses, die heute quicklebendig ist?<br />

Der Status eines Immateriellen Kulturerbes für die<br />

deutsche Theaterlandschaft wäre ehrenvoll, sowohl<br />

für die Theaterlandschaft wie auch für Deutschland.<br />

Inwieweit er ein einzelnes Theater zu schützen vermag,<br />

darf man bezweifeln; aber das ist auch nicht<br />

der Sinn der Sache. – Übrigens: <strong>Die</strong> Hochhäuser am<br />

Rhein wurden nicht gebaut. Der Dom ist noch immer<br />

Weltkulturerbe.<br />

Weitere Theatermeldungen<br />

www.die-deutsche-buehne.de


16 MAGAZIN<br />

Theatercomic<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Kantinenhelden<br />

Heute mit: Petra F. (47), 13. Semester Sinologie. Hobbys: Knifel,<br />

Wrestling und Rudern. Lebenshöhepunkt: Teilnahme am Strongest-Women-Contest<br />

1998 in Krakau. Lebensvision: ein eigenes Lokal


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 MAGAZIN 17<br />

Theatercomic<br />

Unser Zeichner Partick Bannwart (geboren in<br />

Wettingen/Schweiz) ist seit 2000 als Ausstatter tätig.<br />

Bekannt wurde er durch seine Zusammenarbeit mit<br />

dem Regisseur David Bösch. Daneben arbeitet er<br />

zunehmend als bildender Künstler. Aufmerksamkeit<br />

erregen auch immer wieder die von ihm reich<br />

illustrierten Programmhefte zu seinen Produktionen.<br />

Unser Texter Philipp Löhle (geboren 1978 in Ravensburg)<br />

zählt zu den meistgespielten deutschen Theaterautoren.<br />

Sein Stück „Lilly Link“ wurde 2008 mit den<br />

Jurypreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet,<br />

2<strong>01</strong>2 gewann er mit „Das Ding“ den Mülheimer<br />

Publikumspreis. Tätigkeit als Hausautor an verschiedenen<br />

Häusern, so in der Saison 2<strong>01</strong>3/14 am Theater Bern.<br />

Fotos: Privat, Fernando Perez


<strong>Die</strong> Online-Jobbörse für alle<br />

Berufe im Theater und Orchester


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 19<br />

<strong>Bühne</strong>nwelt<br />

<strong>Die</strong> Performerin Florentina Holzinger provoziert<br />

derzeit überall in Europa mit ihrer <strong>Bühne</strong>nkunst. In unserem<br />

neuen Format „Fundstück“ (S. 32) zeigen wir, was die Ästhetik<br />

der Künstlerin so eigen, skurril und anziehend macht. Das<br />

Bild zeigt Florentina Holzinger in ihrer Choreographie „Silk“.<br />

DB_2<strong>01</strong>4_<strong>01</strong>_BW_England<br />

Foto: Anna van Kooij


20 BÜHNENWELT<br />

Theaterfest<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1/2<strong>01</strong>4<br />

In jedem Jahr ist ein anderes deutsches<br />

Bundesland Partner bei der Verleihung des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Theaterpreises DER FAUST – bei<br />

FAUST<br />

der achten Verleihung<br />

war es das Land Berlin.<br />

Gastgeber in der Metropole:<br />

<strong>Die</strong> Staatsoper im<br />

Schiller Theater Berlin<br />

GALA<br />

Text_Bettina Weber<br />

Acht Jahre hat es gedauert. Dann kam die deutsche<br />

Hauptstadt dran. Und sie hatte ganz ofensichtlich<br />

darauf gewartet – das vermittelten jedenfalls die Begrüßungsworte<br />

des Regierenden Bürgermeisters von<br />

Berlin, Klaus Wowereit: „Wir haben uns lange darauf<br />

gefreut.“ Der FAUST sei ein Preis, der die Vielfalt<br />

der deutschen Theaterlandschaft abbilde, bei der<br />

man auf große, mittlere und kleine Häuser blickt. In<br />

der Tat, mit dem Theater Dortmund oder dem Oldenburgischen<br />

Staatstheater beispielsweise sind<br />

auch in diesem Jahr wieder großartige Theaterarbeiten<br />

aus kleineren Häusern durch Nominierungen<br />

gewürdigt worden – wenn auch die Preise letztlich<br />

überwiegend an die großen Namen gingen und<br />

eben leider auch kein Theater aus den Neuen Bundesländern<br />

dabei war. Zehn Fäuste für ein Halleluja:<br />

Ein bisschen Spannung wie im Western. Ja, man<br />

musste ausharren, konnte mitzittern, am Ende aber<br />

waren es eher erwartbare Sieger. Dennoch: Es war<br />

ein besonderer FAUST, in dieser großen Theaterstadt<br />

Berlin, im „guten, alten“ Schiller Theater und<br />

mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck als<br />

Gast. Moderator Peter Jordan, der 2007 in München<br />

schon einmal mit viel Witz und seinem Kollegen<br />

Bernd Moss durch die Preisverleihung geführt<br />

hatte, war eine sichere Bank: Mit dem nötigen<br />

Schmiss brachte er – wenn auch recht quotensichere<br />

– Anekdoten und Zitate vor und war dabei mühelos<br />

unaufgeregt, was zu einer gelösten Stimmung<br />

beitrug. Gefördert wurde die FAUST-Verleihung<br />

von der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung<br />

<strong>Deutsche</strong> Klassenlotterie Berlin.<br />

Vieles war in diesem Jahr ganz neu. Wie überall dort,<br />

wo der FAUST bislang vergeben wurde, oblag dem<br />

gastgebenden Theater die künstlerische Mitgestaltung<br />

des Abends. Jürgen Flimm, Intendant der<br />

Staatsoper, ließ sich nicht lumpen und entwarf sein<br />

ganz eigenes Regiekonzept. Business not as usual.<br />

Der wohl dominanteste Eingrif: Zum ersten Mal in<br />

der inzwischen achtjährigen FAUST-Geschichte gab<br />

es keine Laudatoren, stattdessen Filmeinspieler, in<br />

denen die Nominierten selbst zu Wort kamen – was<br />

den Aufwand im Vorfeld zwar erhöhte, aber ebenso<br />

die Intensität der Vorstellung aller einzelnen Künstler<br />

enorm verstärkte. Mit positiven Nebenefekten:<br />

Wer die gelobten Arbeiten nicht gesehen hatte, wurde<br />

durch zahlreiche Anregungen neugierig gemacht<br />

auf die Inszenierungen. Annette Kurz, die in der<br />

Kategorie „<strong>Bühne</strong>/Kostüm“ den Preis als erste Gewinnerin<br />

des Abends auf der <strong>Bühne</strong> entgegen nahm,<br />

las ihre Danksagung vom Blatt ab, sie sei einfach zu<br />

aufgeregt. Bridget Breiner, mit dem FAUST in der<br />

Kategorie „Choreograie“ für „Ruß“ am Musiktheater<br />

im Revier ausgezeichnet, bedankte sich strahlend


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 21<br />

Theaterfest<br />

GEFÜLLT MIT THEATERVOLK AUS<br />

DEM GANZEN LAND: DER SAAL<br />

DES BERLINER SCHILLER THEA-<br />

TERS BEI DER VERLEIHUNG DER<br />

FAUST-PREISE 2<strong>01</strong>3<br />

Fotos: Markus Nass (Foto Inge Keller: Iko Freese/DRAMA)<br />

CONSTANZE BECKER: „ICH FREUE MICH<br />

SEHR, WEIL DIE MEDEA FÜR MICH WIRK-<br />

LICH EINE GANZ BESONDERE ARBEIT WAR.<br />

WIE ICH NACH DER PREMIERE SO GE-<br />

DACHT HABE: SO MUSS THEATER SEIN.“<br />

ANNETTE KURZ: „ICH<br />

BEDANKE MICH BEI<br />

DER JURY, DASS SIE<br />

EINE ARBEIT AUSGE-<br />

ZEICHNET HAT, DIE<br />

WIRKLICH FÜR MEINE<br />

ARBEIT STEHT, ZWI-<br />

SCHEN THEATER UND<br />

BILDENDER KUNST.<br />

DAS BIN GANZ ICH.“<br />

BARBARA SCHNITZ-<br />

LER/INGE KELLER:<br />

INGE KELLER KONNTE<br />

AUS GESUNDHEITLI-<br />

CHEN GRÜNDEN<br />

LEIDER DEN PREIS<br />

NICHT SELBST ENTGE-<br />

GENNEHMEN, FÜR SIE<br />

KAM IHRE TOCHTER<br />

BARBARA SCHNITZ-<br />

LER. INGE KELLER<br />

SAGTE IM VIDEO:<br />

„ICH WAR KEIN STAR.<br />

ICH HAB VIELE GRO-<br />

SSE ROLLEN GE-<br />

SPIELT, BASTA.“


22 BÜHNENWELT<br />

Theaterfest<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1/2<strong>01</strong>4<br />

„Dann ist man kein<br />

Regisseur, dann ist man<br />

ein Fisch, der mitschwimmt<br />

mit den<br />

Fischen. Ich danke all<br />

diesen Fischen.“ Luk Perceval<br />

dafür, dass sie mit ihrer Compagnie in Gelsenkirchen<br />

so schnell „ein Zuhause“ gefunden habe, und<br />

Anna Süheyla Harms aus Stuttgart, Siegerin in der<br />

Kategorie „Darsteller/Darstellerin Tanz“, schien bei<br />

ihrer Danksagung an ihr Ensemble von Gauthier<br />

Dance ganz und gar überwältigt zu sein. Überhaupt<br />

dankten in diesem Jahr die Sieger vor allem ihrem<br />

Team. Luk Perceval, Preisträger in der Kategorie „Regie<br />

Schauspiel“ und ausgezeichnet für die gleiche<br />

Inszenierung, in der auch Annette Kurz für ihr <strong>Bühne</strong>nbild<br />

geehrt wurde („Jeder stirbt für sich allein“<br />

am Thalia Theater), fand dafür die vielleicht schönste<br />

Formulierung des Abends: „Alle, bis zum Hospitanten,<br />

waren mit ihrem Herzen dabei und das ist<br />

eine sehr, sehr schöne Erfahrung. Dann ist man kein<br />

Regisseur, dann ist man ein Fisch, der mitschwimmt<br />

mit den Fischen. Und ich danke all diesen Fischen,<br />

dass ich mitschwimmen durfte.“ Claus Guth, der im<br />

Musiktheater für die Regie von Debussys „Pelléas et<br />

Mélisande“ an der Oper Frankfurt ausgezeichnet wurde,<br />

beschrieb dasselbe Phänomen: Schon in den ersten<br />

Probentagen habe er gespürt, dass diese Produktion<br />

etwas anderes und ganz besonders sei, nicht<br />

zuletzt deshalb, weil die Sänger „so weit gegangen“<br />

seien. Immerhin wurde auch Christian Gerhaher für<br />

seine Rolle als Pelléas in derselben Inszenierung mit<br />

dem FAUST in der Kategorie „Sängerdarsteller/Sängerdarstellerin<br />

Musiktheater“ ausgezeichnet. Er hatte<br />

sich für seine charmante Danksagung eine erfrischende<br />

Portion Witz in die Tasche gesteckt: „Ich bin überhaupt<br />

nicht nervös“, sagte er schmunzelnd, „und<br />

möchte Ihnen auch gerne, kalt wie Hundeschnauze,<br />

sagen, wofür ich sehr dankbar bin.“ Das sei er insbesondere<br />

für die kulturelle Vielfalt in Deutschland,<br />

und so appellierte er zugleich an die Politiker, eben<br />

diese Diferenziertheit zu erhalten, wo doch andernorts<br />

oft nur Entertainment gefragt sei.<br />

Mina Salehpour, mit ihrer Inszenierung „Über<br />

Jungs“ Gewinnerin in der Kategorie „Regie Kinderund<br />

Jugendtheater“, bedankte sich ganz explizit<br />

beim Spielensemble des Grips-Theaters: „Ihr seid<br />

einfach die Größten!“ Theater ist, so sagte es auch<br />

Luk Perceval, nun mal ein Mannschaftssport. Das<br />

wurde auch durch die Vergabe eines Preises an ein<br />

ganzes Ensemble unterstrichen: Für seinen künstlerischen<br />

Einsatz während des Sanierungs-Desasters<br />

wurde das Schauspiel Stuttgart mit dem „Preis des<br />

Präsidenten“ geehrt. Eine Zeit, die, so Klaus Zehelein,<br />

„das Stuttgarter Schauspiel konterkarierend<br />

bravourös meisterte“, in denen es zwischen drei Ausweichspielstätten<br />

viermal hin und her zog, mit fast<br />

300 Mitarbeitern aller Gewerke. Ein „logistischer<br />

Wahnsinn als Antwort auf das von den Sanierern<br />

angerichtete, dreijährige Chaos“, so Zehelein.<br />

Das klingt nach Theater, so, wie es sein soll: Zusammenhalt,<br />

produktive Kreativität, bewegte Geister.<br />

Theater in seiner reinsten Form beschrieb auch<br />

Constanze Becker, die für ihre archaische Tragödinnen-Darstellung<br />

der Medea in Michael Thalheimers<br />

„Medea“ -Inszenierung am Schauspiel Frankfurt<br />

den FAUST in der Kategorie „Darsteller/Darstellerin<br />

Schauspiel“ erhielt. <strong>Die</strong> Inszenierung sei eine<br />

Arbeit gewesen, die auch ihr Vertrauen in das Theater<br />

bestärkt habe.<br />

Der Preis für das Lebenswerk ging in diesem Jahr an<br />

die große Schauspielerin Inge Keller. <strong>Die</strong> Interviewausschnitte<br />

mit ihr selbst, aber auch die Worte von<br />

Gregor Gysi und Theaterkollegen im Trailer sowie<br />

die lange Rede des Kritikers Hans <strong>Die</strong>ter Schütt<br />

führten vor, wie groß das Lebenswerk dieser „Grande<br />

Dame“ des Theaters ist: Eine Künstlerin der Sprache,<br />

der starken Gestik und Präsenz, die immer, ganz<br />

preußisch, mit größter Disziplin ihre zahlreichen<br />

großen Rollen so außerordentlich intensiv geformt<br />

hatte. Ihre Gesundheit reiche nicht aus, um den<br />

Preis persönlich entgegenzunehmen, so zitierte ihre<br />

Tochter Barbara Schnitzler, die den Preis stellvertretend<br />

entgegennahm, ihre Mutter in Anlehnung an<br />

die Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro.<br />

Nach diesem großen Ehrenpreis schließlich sangen<br />

der Kinderchor und der Jugendchor der Staatsoper,<br />

nachdem auch alle Gewinner auf die <strong>Bühne</strong> geholt<br />

worden waren: „There’s No Business Like Show-<br />

Business.“ Eine gelungene Show: Mit Auftritten von<br />

Daniel Barenboim und Ana Durlovski, mit einem<br />

starken Moderator, mit viel Rührung und Freude<br />

seitens der Preisträger. Nächstes Jahr werden die<br />

„FÄUSTE“ in Hamburg verliehen. Vielleicht setzt<br />

sich ja das Filme-statt-Laudatoren-Konzept durch.<br />

Fest steht: The Show must go on.


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 23<br />

Theaterfest<br />

HASKO WEBER MIT MIKRO, INMITTEN SEINES EHEMA-<br />

LIGEN STUTTGARTER SCHAUSPIELENSEMBLES UND<br />

NEBEN KLAUS ZEHELEIN (DRITTER VON LINKS): „CHA-<br />

OS IST VIELLEICHT EIN BISSCHEN ÜBERTRIEBEN, WEIL<br />

WIR GENAU DAS VERSUCHT HABEN ZU VERHINDERN.“<br />

ANNA SÜHYELA HARMS: „DAS IST SO EINE GROSSE<br />

EHRE, ICH HABE DAS ÜBERHAUPT NICHT ERWARTET.<br />

MAN TANZT ALS KÜNSTLER NICHT FÜR EINEN PREIS.“<br />

LUK PERCEVAL: „WAS WÄRE EIN REGIS-<br />

SEUR OHNE DIE MANNSCHAFT? ER WÜRDE<br />

GAR NICHT EXISTIEREN.“<br />

MINA SALEHPOUR: „DASS REGIE MEIN DING IST,<br />

STELLE ICH JEDEN TAG AUF PROBEN FEST!“<br />

KLAUS WOWEREIT: „DER FAUST TRÄGT<br />

DAZU BEI, KULTUR ALS ELEMENTAREN BESTANDTEIL<br />

UNSERER GESELLSCHAFT ZU WÜRDIGEN.“<br />

JOACHIM GAUCK UND DANIELA SCHADT:<br />

GEMEINSAM MIT SEINER LEBENSGEFÄHRTIN BESUCHTE<br />

IN DIESEM JAHR AUCH DER BUNDESPRÄSIDENT<br />

DIE FAUST-VERLEIHUNG UND DIE ANSCHLIESSENDE<br />

FEIER<br />

CHRISTIAN GERHAHER: „ICH BIN ZUTIEFST DANKBAR,<br />

DASS ICH IMMER WIEDER HIERHER ZURÜCKKOMMEN<br />

UND DIESE THEATER UND ORCHESTER UND OPERN-<br />

HÄUSER SEHEN KANN, WO MIT GRÖSSTER FREIHEIT<br />

ETWAS AUSPROBIERT WERDEN DARF.“<br />

CLAUS GUTH: „ICH FAND ES DIE BESTE FAUST-VER-<br />

LEIHUNG, DIE ICH ERLEBT HABE, WEIL ICH HEUTE<br />

DAUERND SACHEN ERLEBT HABE, WO ICH NACH DEM<br />

AUSSCHNITT DENKE: ICH MÖCHTE DAS GANZE SEHEN.<br />

EINE GUTE WERBEVERANSTALTUNG FÜRS THEATER!“


24 BÜHNENWELT<br />

Trend<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Supergute<br />

Stücke<br />

Trend<br />

Englischsprachige<br />

Dramen<br />

sind<br />

auf deutschen<br />

<strong>Bühne</strong>n<br />

präsenter<br />

denn je<br />

Text_ Detlev Baur<br />

LUCY WIRTH UND<br />

CHRISTOPH GAWEN-<br />

DA IN „ATMEN“.<br />

ERSTAUFFÜHRUNG<br />

AN DER SCHAUBÜH-<br />

NE AM LEHNINER<br />

PLATZ WAR AM 30.<br />

NOVEMBER 2<strong>01</strong>3


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 25<br />

Foto: Stephen Cummisky<br />

W elches Theater hat<br />

die Spielzeit programmatisch mit der<br />

Urauführung eines neuen deutschen<br />

Stücks begonnen? Bei welchem der<br />

zahlreichen neuen Schauspielintendanten<br />

dieser Saison steht neue deutsche<br />

Dramatik am Beginn seines Wirkens?<br />

Das Interesse an neuen deutschen Stücken<br />

scheint erlahmt. Stattdessen werden<br />

deutschsprachige Dramatiker zunehmend<br />

zu Auftragsautoren bei<br />

Projekten oder zu Umschreibern vorhandener<br />

Texte (siehe auch unsere Saisonvorschau<br />

in DdB 9/2<strong>01</strong>3). Es gibt<br />

zwar immer noch zahlreiche Urauführungen;<br />

im Gesamtspielplan der Theater<br />

spielen sie jedoch keine große Rolle,<br />

Zweitauführungen neuer Stücke sind<br />

ohnehin die Ausnahme. Der Stückemarkt<br />

des Berliner Theatertrefens will ab diesem<br />

Jahr, ganz am Puls der Zeit, keine<br />

neuen Stücke zugeschickt bekommen<br />

und in Lesungen vorstellen, sondern<br />

Nachwuchskünstler mit Paten eine performative<br />

Arbeit entwickeln lassen.<br />

Prägende englische Dramatik<br />

Und dennoch: Ganz tot ist der Dramatiker<br />

noch nicht. Doch schreibt er englisch:<br />

<strong>Die</strong> Spielzeit 2<strong>01</strong>3/2<strong>01</strong>4 zeigt einen<br />

starken Trend zu angelsächsischen Autoren.<br />

Dennis Kellys „<strong>Die</strong> Opferung von<br />

Gorge Mastromas“ , im Mai bei den<br />

Ruhrfestspielen uraufgeführt, steht in<br />

der Saison an sechs weiteren Theatern<br />

auf dem Programm, Alan Ayckbourns<br />

Stücke werden achtmal inszeniert (in der<br />

vergangenen Spielzeit dreimal), darunter<br />

die deutschsprachige Erstauführung von<br />

„Bürgerwehr“ am Theater Münster. Allein<br />

Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“<br />

drängt auf neun <strong>Bühne</strong>n, und nicht<br />

nur in kleinen, inanziell bedrängten<br />

Theatern wie Trier.<br />

Doch nicht nur quantitativ bilden Shakespeare<br />

und Söhne die dramatische Spitze.<br />

Der neue Kölner Schauspielintendant<br />

Stefan Bachmann eröfnete seine Spielzeit<br />

sogar mit Michael Frayns „Der nackte<br />

Wahnsinn“ (in einer Inszenierung von<br />

Trend<br />

Rafael Sanchez), auch FAUST-Preisträger<br />

Luk Perceval nahm sich am Hamburger<br />

Thalia Theater zum Saisonstart der Komödie<br />

über den Theaterwahnsinn an.<br />

Bachmann selbst inszenierte in Köln das<br />

amerikanische Kapitalismus-Epos „Der<br />

Streik“ (siehe DdB 12/2<strong>01</strong>3). In Kassel begann<br />

der Intendant Thomas Bockelmann<br />

die Spielzeit mit der Urauführung von<br />

Noah Haidles „Lucky Happiness Golden<br />

Express“; eine Familienhölle beschreibt<br />

auch Martin Crimps „In der Republik des<br />

Glücks“, das am <strong>Deutsche</strong>n Theater Berlin<br />

gerade seine deutschsprachige Erstaufführung<br />

hatte. Von Crimp gab es gar am<br />

<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhaus Hamburg<br />

Ende November eine Urauführung, inszeniert<br />

von Katie Mitchell: „Alles Weitere<br />

kennen Sie aus dem Kino“ (siehe die<br />

Kritik auf www.die-deutsche-buehne.de).<br />

<strong>Die</strong> neuen englischsprachigen Stücke prägen<br />

also deutlich die Proile der Häuser.<br />

Ausgeprägtes Vertrauen in<br />

Sprache und Figuren<br />

Nur eine Woche später wurde von Katie<br />

Mitchell an der Berliner Schaubühne<br />

„Atmen“ von Duncan Macmillan erstaufgeführt;<br />

und am 18. Januar 2<strong>01</strong>4 zeigt<br />

Hausherr Thomas Ostermeier seine erste<br />

Inszenierung der Saison. Es handelt sich<br />

um die Ausgrabung „<strong>Die</strong> kleinen Füchse“<br />

von Lilian Hellmann, ein amerikanisches<br />

Erfolgsstück aus dem Jahr 1939.<br />

Der Text bietet in traditionellen Dialogen<br />

ein Familiendrama vor dem Hinter-


26 BÜHNENWELT<br />

Trend<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

grund des Kapitalismus. Doch auch die<br />

neueren angelsächsischen Texte scheinen<br />

die deutschen Theatermacher durch bewährte<br />

Tugenden zu überzeugen: verbindliche<br />

Themen und gut geschriebene<br />

Dialoge.<br />

In „Atmen“ spricht ein Paar dialogisch<br />

über die Grenzen von Kommunikation,<br />

in David Greigs „<strong>Die</strong> Ereignisse“<br />

(deutschsprachig erstaufgeführt am<br />

Schauspielhaus Wien) spielt ein Laienchor<br />

eine Hauptrolle; selbst er spricht<br />

keineswegs nur chorisch, sondern auch<br />

dialogisch mit den Figuren. Selbst in<br />

Lucy Prebbles „The Efect“ (ab März am<br />

Hamburger Ernst-Deutsch-Theater), einem<br />

Stück über Identität und Gehirnforschung,<br />

plaudern die Figuren in gewohntem<br />

Wechselgespräch. Keine Spur von<br />

teutonisch aufgebrochenen Figurenabgrenzungen<br />

oder schwankenden Gestalten<br />

in verwischenden Textlächen. <strong>Die</strong><br />

englischsprachigen Theatertexte sind insgesamt<br />

durch ein starkes Vertrauen in die<br />

kommunikative Kraft der Sprache und<br />

eine fortwährendes Interesse an einzelnen<br />

Menschen geprägt.<br />

Viel gespielt: „Supergute Tage“<br />

Formal eine Ausnahme stellt „The Curious<br />

Incident of the Dog in the Night-<br />

Time“ von Mark Haddon dar. Denn es<br />

handelt sich dabei ursprünglich um einen<br />

(in Großbritannien sehr erfolgreichen)<br />

Roman, der in der <strong>Bühne</strong>nbearbeitung<br />

von Simon Stephens in London<br />

auch ein <strong>Bühne</strong>nrenner wurde. In seiner<br />

ersten Spielzeit in Deutschland erfährt es<br />

mit gleich neun Neuinszenierungen ei-<br />

PREMIEREN ENGLISCHSPRACHIGER DRAMEN IM JANUAR:<br />

10.1. Junges Schauspielhaus Düsseldorf: Simon Stephens nach Mark Haddon, „Supergute Tage“<br />

17.1. Staatstheater Braunschweig: Michael Frayn, „Der nackte Wahnsinn“<br />

18.1. Schaubühne am Lehniner Platz Berlin: Lillian Hellman, „<strong>Die</strong> kleinen Füchse“<br />

18.1. Landesbühne Niedersachsen Nord Wilhelmshaven: Dennis Kelly, „Waisen“<br />

25.1. Theater Heilbronn: Lucy Prebble, „Enron“<br />

29.1. Theater Bern: Dennis Kelly, „<strong>Die</strong> Opferung von Gorge Mastromas“<br />

30.1. Stadttheater Ingolstadt: Dennis Kelly, „<strong>Die</strong> Opferung von Gorge Mastromas“<br />

30.1. Theater Kanton Zürich in Winterthur: Dennis Kelly, „<strong>Die</strong> Opferung von Gorge Mastromas“<br />

nen massiven Start. Damit ist die Romanversion<br />

von „Supergute Tage oder <strong>Die</strong><br />

sonderbare Welt des Christopher Boone“,<br />

wie Stephens Bearbeitung in der deutschen<br />

Fassung heißt, auf gutem Weg, an<br />

den Erfolg der Jugendromanbearbeitung<br />

„Tschick“ anzuknüpfen. Bei diesem mit<br />

Abstand erfolgreichsten deutschen Stück<br />

der letzten Jahre handelt es sich – für die<br />

deutsche Dramatik bezeichnend – um<br />

die Bearbeitung eines Romans.<br />

<strong>Die</strong> deutschsprachige Erstaufführung<br />

von „Supergute Tage“ fand am Staatsschauspiel<br />

Dresden statt, in der Regie von<br />

Jan Gehler, der an selber Stelle schon<br />

„Tschick“ inszeniert hatte. Hauptigur ist<br />

nun der 15-jährige Christopher; als Asperger-Autist<br />

ist er ein Jugendlicher, der<br />

mit seiner Umwelt besondere Schwierigkeiten<br />

hat. Am Anfang steht<br />

– oder liegt vielmehr – der<br />

ermordete Hund der Nachbarin.<br />

Als der Junge versucht,<br />

den Hundemord aufzuklären,<br />

gerät er in familiäre Dramen.<br />

<strong>Die</strong> totgeglaubte Mutter lebt<br />

in London, der Vater erweist<br />

sich als Lügner und Hundemörder<br />

und Christopher<br />

schaft es trotz seiner Angst<br />

vor Menschenansammlungen,<br />

alleine zur Mutter zu rei-


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 27<br />

Trend<br />

„DER NACKTE<br />

WAHNSINN“ VON<br />

MICHAEL FRAYN<br />

AM HAMBURGER<br />

THALIA THEATER,<br />

„LUCKY HAPPINESS<br />

GOLDEN EXPRESS“<br />

VON NOAH HAIDLE<br />

IN DER URAUFFÜH-<br />

RUNG AM STAATS-<br />

THEATER KASSEL<br />

SOWIE „DER<br />

STREIK“ NACH AYN<br />

RAND IN DER<br />

THEATERFASSUNG<br />

STEFAN BACH-<br />

MANNS AM SCHAU-<br />

SPIEL KÖLN<br />

sen. Am Ende hat Christopher seinen<br />

eigenen kleinen Hund bekommen. Allerdings<br />

konnten alle drei Eröfnungsinszenierungen<br />

nicht restlos überzeugen (siehe<br />

der Kasten rechts). Christophers<br />

Zeichnungen oder mathematische Formeln<br />

nehmen nur schwer <strong>Bühne</strong>ngestalt<br />

an. <strong>Die</strong> sprachliche Kraft der in ihrer Einfachheit<br />

und Eigenwilligkeit auch witzigen<br />

Sprache geht in Barbara Christs <strong>Bühne</strong>ntextübersetzung<br />

(bis hin zum eher<br />

aufälligen als trefenden Titel) weitgehend<br />

verloren.<br />

Verlust durch Übersetzung<br />

Hierin liegt eine entscheidende Schwäche<br />

gegenüber dem Erfolgsstück „Tschick“,<br />

das gerade durch den sprachlichen Witz<br />

des Romans bühnenwirksam wird. Womit<br />

wir auch beim Manko für englischsprachige<br />

Dramatik in Deutschland wären:<br />

die übersetzte Sprache. Denn so<br />

präsent englische Texte seit Shakespeare<br />

auf deutschen <strong>Bühne</strong>n sind: Englisch gesprochen<br />

wird auf deutschen <strong>Bühne</strong>n in<br />

aller Regel noch nicht, auch wenn einige<br />

Häuser inzwischen zweisprachige Spielzeithefte<br />

produzieren oder die Berliner<br />

Schaubühne auch englische Übertitelung<br />

anbietet. Der Transfer ins <strong>Deutsche</strong> ist,<br />

gerade in Zeiten, in denen alles schnell<br />

gehen muss, im Zweifelsfall ein Verlustgeschäft<br />

für fremdsprachige Texte.<br />

<strong>Die</strong> drei ersten:<br />

„Supergute Tage“<br />

„SUPERGUTE TAGE“ MIT JONAS<br />

FRIEDRICH LEONHARDI AM STAATS-<br />

SCHAUSPIEL DRESDEN (OBEN).<br />

DARUNTER: SEBASTIAN BRUMMER<br />

AM SCHNAWWL MANNHEIM.<br />

UNTEN: JUSTUS VERDENHALVEN<br />

AM THALIA THEATER HALLE<br />

Staatsschauspiel Dresden:<br />

<strong>Die</strong> Inszenierung von „Supergute<br />

Tage“ durch Jan Gehler zeigt auf<br />

einer weiten <strong>Bühne</strong> (Sabrina Rox)<br />

und mit Videoprojektionen (Sami<br />

Bill) dauernde Herausforderungen<br />

für Christopher. Der wird von Jonas<br />

Friedrich Leonhardi eindrucksvoll<br />

als etwas eigener, auch von der<br />

Kopfhaltung her in sich verschlossener<br />

Heranwachsender gespielt.<br />

Manche Figuren der ambivalenten<br />

Erwachsenen wirken etwas<br />

unentschieden. <strong>Die</strong> Inszenierung<br />

hat dennoch ergreifende Szenen.<br />

Ein Höhepunkt am Ende: Jan<br />

Maak, der zuvor als Lebensgefährte<br />

der Mutter eher ein Gegenspieler<br />

war, verwandelt sich in Christophers<br />

Schoßhund.<br />

Schnawwl Mannheim:<br />

<strong>Die</strong> Inszenierung von Marcelo<br />

Diaz überzeugt vor allem im<br />

ersten Teil. Hier entwickelt<br />

besonders Uwe Topmann als<br />

liebevoller, hemdsärmliger und<br />

verunsicherter Vater ein spannendes<br />

Profil. Sebastian Brummer<br />

spielt einen Christopher, der fast<br />

wie ein Musterschüler wirkt,<br />

jedenfalls nichts Pathologisches an<br />

sich hat. Doch das Stück gerät mit<br />

über zwei Stunden sehr lang. Und<br />

durch die Nacherzählung der<br />

komplexen Handlung wird die<br />

Figurengestaltung eher verdeckt.<br />

Thalia Theater Halle:<br />

Boris von Poser ist der Regisseur<br />

der dritten Inszenierung in<br />

Deutschland: mit dem größten<br />

Ensemble und einem eher<br />

melancholischen, denn gehandicapten<br />

Christopher (Justus Verdenhalven).<br />

Auch in dieser Inszenierung<br />

gerät die prekäre Situation der<br />

Hauptfigur vor lauter Nacherzählen<br />

und -spielen aus dem Zentrum<br />

von „Supergute Tage“.<br />

Fotos: David Baltzer (2), N. Klinger (1), Christian Kleiner (1), Armin Smailovic (1), Falk Wenzel (1)


28 BÜHNENWELT<br />

Porträt<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

EFFEKTIV UND<br />

WAGEMUTIG<br />

<strong>Die</strong> neue Intendantin Katharina Kreuzhage führt das<br />

Theater Paderborn in die Gegenwart<br />

Vor dem Start rumpelte es gewaltig.<br />

Dass die neue Intendantin<br />

Katharina Kreuzhage<br />

fast das gesamte Ensemble<br />

entließ, führte bei den Paderborner Theaterfans<br />

zu Irritationen. Wenn man es<br />

nett ausdrücken will. 19 Jahre lang hatten<br />

sie mit einem gewachsenen Ensemble<br />

um die Leiterin Merula Steinhard-<br />

Unseld verbracht. Es war ein literarisch<br />

orientiertes, nettes Provinztheater, das<br />

im theaterreichen NRW kaum auiel.<br />

Aber in Paderborn ging eine stetig wachsende<br />

Zahl von Besuchern in die Kammerspiele.<br />

So wurde der Bau eines neuen<br />

Theaters möglich. Doch diese zentral<br />

gelegene, technisch perfekt ausgestattete<br />

<strong>Bühne</strong> braucht inhaltlich und ästhetisch<br />

Text_ Stefan Keim<br />

neuen Schwung. Deshalb holte Paderborn<br />

Katharina Kreuzhage, die in der<br />

baden-württembergischen Kleinstadt Aalen<br />

aus fast nichts packendes und sinnliches<br />

Theater gemacht hat.<br />

Nun soll Schluss sein mit dem braven,<br />

biederen Image. Katharina Kreuzhage<br />

hat viele zeitgenössische Stücke entdeckt,<br />

die größere Theater links liegen ließen.<br />

Und ungewöhnliche Stofe auf die <strong>Bühne</strong><br />

gebracht wie den Animationsfilm<br />

„Mary & Max oder Schrumpfen Schafe,<br />

wenn es regnet?“. Es ist die Geschichte einer<br />

tiefen Freundschaft zwischen einem<br />

achtjährigen Kind und einem 44-jährigen<br />

Mann. Beide fühlen sich einsam, eine Geschichte<br />

mit sanftem Witz, aber auch kritischem<br />

Blick auf soziale Entwicklungen. In<br />

Aalen war das eine Kultauführung, Anfang<br />

2<strong>01</strong>4 kommt sie nach Paderborn.<br />

Gestartet ist Katharina Kreuzhage allerdings<br />

mit einem Klassiker, Arthur Millers<br />

„Hexenjagd“. Das Drama um religiösen<br />

Fanatismus in einer amerikanischen<br />

Kleinstadt war in den fünfziger Jahren<br />

ein Gleichnis auf die Kommunistenverfolgung<br />

in den USA. Jeder verdächtigt<br />

jeden. Für die Regisseurin liegt der Bezug<br />

zum NSA-Abhörskandal nahe, zu Edward<br />

Snowden, aber auch zum heutigen<br />

Fundamentalismus. Wer allerdings klare<br />

Verweise auf der <strong>Bühne</strong> sucht, wird enttäuscht.<br />

Katharina Kreuzhage indet: Das<br />

schwingt in der Auführung mit, aber die<br />

Leistung, das zu erkennen, müssen die<br />

Zuschauer selbst bringen.<br />

<strong>Die</strong> energiegeladene Regisseurin mit<br />

dem herzlichen Lachen und der kraftvollen<br />

Stimme macht keine Gefälligkeitsinszenierungen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Bühne</strong>nbilder sind<br />

oft einfach gehalten. Da hat sich anscheinend<br />

in Aalen aus der Not eine ästhetische<br />

Tugend gebildet. Bei der „Hexenjagd“<br />

(siehe DdB 12/2<strong>01</strong>3) sind es zwei<br />

graue Stühle, ein Tisch, ein Bett. Den Rest<br />

schafen eine subtile Beleuchtung und<br />

die Schauspieler, die alle bei der Eröfnung<br />

dabei waren. „Ich wollte das gesamte<br />

neue Ensemble zusammen führen“,<br />

erklärt die Intendantin.<br />

Eine Woche später gab es bereits die<br />

Fotos: Marcel <strong>Die</strong>mer (2), Theater Paderborn (links)


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 29<br />

Porträt<br />

zweite Premiere, Shakespeares „Othello“,<br />

allerdings die Neueinstudierung einer<br />

Aalener Auführung. Sonst wäre das Pensum<br />

auch für das Arbeitstier Kreuzhage<br />

nicht zu schafen gewesen. Aber sie muss<br />

einen Spielplan aufbauen und hat dem<br />

Theater Paderborn direkt eine wichtige<br />

Änderung verordnet. Bisher wurde in<br />

Westfalen en suite gespielt, ein Stück nach<br />

dem anderen. Mit Katharina Kreuzhage<br />

hat der Repertoirebetrieb Einzug gehalten.<br />

Und da muss nach der erfolgreichen<br />

„Hexenjagd“ noch schnell ein „Othello“<br />

auf die <strong>Bühne</strong>.<br />

Wieder ist die dunkle <strong>Bühne</strong> fast leer.<br />

Zwei weiße, rechteckige Kästen auf Rädern<br />

werden herum gefahren. Oft stellen<br />

sie kleine Zimmer dar, in denen sich die<br />

Schauspieler drängen. Am Ende wird so<br />

ein Kasten zum Käig, in dem Othello<br />

seine Frau gefangen hält. William Shakespeares<br />

Stücke brauchen keine großen<br />

<strong>Bühne</strong>nbilder. <strong>Die</strong> Geschichten rein aus<br />

dem Spiel des Ensembles heraus zu entwickeln,<br />

entspricht einer langen und<br />

schönen Inszenierungstradition. Ihr<br />

Ahnherr Peter Brook wird im Programmheft<br />

zitiert.<br />

KATHARINA KREUZHAGE<br />

(LINKS) BEWEGT DAS PADER-<br />

BORNER THEATER<br />

(MITTE: GROSSER SAAL)<br />

RECHTS: LINDA MEYER<br />

(BETTY PARRIS),<br />

NATASCHA HEIMES<br />

(ABIGAIL WILLIAMS),<br />

MARIA THOMAS<br />

(MARY WARREN)<br />

UND ANNE BONTEMPS<br />

(SUSANNA WALLCOTT)<br />

IN „HEXENJAGD“<br />

Katharina Kreuzhage hat auf der<br />

Basis der Übersetzung von<br />

Erich Fried eine eigene Textfassung<br />

erstellt, die fast alle Charaktere<br />

zwiespältig darstellt. In zweieinviertel<br />

Stunden bringt sie das Stück auf<br />

den Punkt, eizient und präzise.<br />

Der Spielplan für ihre erste Saison ist<br />

eine Mischung aus Bodenständigkeit<br />

und Wagemut. Es gibt viele Klassiker auf<br />

der großen <strong>Bühne</strong>, Shakespeares „Othello“<br />

und Goethes „Stella“, auch das „Weiße<br />

Rössl“. Aber auch „<strong>Die</strong> Heimkehr“ des<br />

heute seltener gespielten britischen Autors<br />

Harold Pinter, ein andeutungsreiches<br />

Stück über Familie, Sexualität und<br />

Geldnot. Das ist schon Theater für ein<br />

fortgeschrittenes Publikum.<br />

Das Kindertheater wird unter der neuen<br />

Intendantin eine wichtigere Rolle spielen.<br />

Noch vor der großen eigenen Premiere<br />

kamen drei Jugendstücke heraus. „Außerdem“,<br />

erzählt Katharina Kreuzhage, „haben<br />

wir eine Industriehalle angemietet,<br />

um dort ein theaterpädagogisches Zentrum<br />

einzurichten“. Räume für Jugendclubs<br />

und andere Aktivitäten seien im<br />

Neubau des Theaters schlicht vergessen<br />

worden. Sechs junge Ensembles werden<br />

sich im neuen Haus bilden und ihre Stücke<br />

proben. „Im Foyer des Theaters richten<br />

wir ein ofenes Büro für die Theaterpädagogik<br />

ein. Wir wollen uns auch mit<br />

der lokalen Of-Szene vernetzen.“ Und<br />

natürlich Kontakte suchen zur Universität,<br />

zur Volkshochschule, zu den vielen<br />

Einrichtungen der Stadt. „Aber nur so<br />

weit unsere Kräfte es zulassen“, schränkt<br />

die Intendantin ein. Denn was zählt, ist<br />

das, was auf der <strong>Bühne</strong> passiert.


30 BÜHNENWELT<br />

Fotoessay<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

MEIN HAUS<br />

IN ZEHN BILDERN<br />

Jedes Theater hat<br />

seinen eigenen<br />

Charakter. Und jeder<br />

Mitarbeiter hat seine<br />

ganz persönliche<br />

Perspektive auf das<br />

„eigene“ Haus:<br />

Wie sieht ein Theater<br />

aus, wenn man<br />

täglich dort arbeitet?<br />

Andrea Bartsch<br />

zeigt uns die<br />

Staatsoper Hannover<br />

aus ihrem ganz<br />

eigenen Blickwinkel<br />

OPERNBALL: ANDREA BARTSCH IM GESPRÄCH<br />

BEIM OPERNBALL, DEM „SCHÖNSTEN BALL<br />

NORDDEUTSCHLANDS“ (NDR)<br />

DORNRÖSCHEN: DENIS PIZA UND CATHERINE<br />

FRANCO BEIM SCHLUSSAPPLAUS VON „DORN-<br />

RÖSCHEN“, BALLETT VON JÖRG MANNES<br />

OBERES FOYER: BELEUCHTETE<br />

WEGE ZUM 1., 2. UND 3. RANG<br />

ADVENTSKALENDER: DAS PUBLIKUM WARTET<br />

AUF DEN FOYER-TREPPEN AUF DEN BEGINN DES<br />

IM DEZEMBER TÄGLICH STATTFINDENDEN<br />

ADVENTSKALENDERS<br />

OPERNPREMIERE "STREET SCENE": KURZ VOR<br />

DER LETZTEN OPERNPREMIERE DES JAHRES<br />

2<strong>01</strong>3: „STREET SCENE“ VON KURT WEILL


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 31<br />

Fotoessay<br />

LAVES-BALKON AM ABEND: ABENDSTIMMUNG<br />

AUF DEM OPERNBALKON WÄHREND<br />

DER JUGENDKONZERTNACHT „OPEN STAGE“<br />

ORCHESTERFOTO: MAKING OF ORCHESTERFOTO<br />

MIT FOTOGRAF THOMAS M. JAUK<br />

MALEN VOR DER OPER: AUF DEM OPERNPLATZ<br />

WIRD DAS HAUS ABGEMALT UND GEZEICHNET<br />

STAATSTHEATER-STRASSENBAHN: DIE STAATS-<br />

THEATER-STRASSENBAHN, GESTALTET MIT TITELN<br />

UND SYMBOLEN DER JUNGEN OPER HANNOVER<br />

VEREINT FÜR HANNOVER: AKTION DER INITIATI-<br />

VE „VEREINT FÜR HANNOVER“, DIE 2<strong>01</strong>1 VON<br />

STAATSTHEATER UND HANNOVER 96 GEGRÜNDET<br />

WURDE UND SOZIALE PROJEKTE FÖRDERT<br />

ANDREA BARTSCH<br />

Noch während ihres Studiums<br />

der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft,<br />

Germanistik und<br />

Niederlandistik begann Andrea<br />

Bartsch unter anderem als<br />

Dramaturgin und Pressereferentin<br />

am Kölner Theater der Keller<br />

zu arbeiten, anschließend<br />

wechselte sie an das Wolfgang<br />

Borchert Theater in Münster.<br />

Von 2007 bis 2<strong>01</strong>1 leitete sie die<br />

Presse- und Öfentlichkeitsarbeit<br />

am Hessischen Staatstheater<br />

Wiesbaden. Seit der Spielzeit<br />

2<strong>01</strong>1/12 ist sie an der Staatsoper<br />

Hannover als Pressesprecherin<br />

und Leiterin der Presse- und<br />

Öfentlichkeitsarbeit engagiert.


32 BÜHNENWELT<br />

Fundstück<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Sophisticated<br />

trash<br />

Fundstück<br />

Mit ihrer provokanten Performance-Kunst<br />

sorgt Florentina Holzinger, 1986 in Wien<br />

geboren, Absolventin der School for New<br />

Dance Development in Amsterdam,<br />

derzeit europaweit für Furore. Einblicke in<br />

ihr Konzept und ihre Kunst


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 BÜHNENWELT 33<br />

Fundstück<br />

FLORENTINA<br />

HOLZINGER IN „KEIN<br />

APPLAUS FÜR<br />

SCHEISSE“, RECHTS<br />

GEMEINSAM MIT<br />

VINCENT RIEBEEK<br />

Fotos: privat (linke Seite), Joop Pareyn (oben rechts)<br />

Eine junge Frau in Schulmädchen-Uniform<br />

imitiert die hypersexualisierten Bewegungen<br />

von Rihanna. Oder von Britney Spears.<br />

Oder von Miley Cyrus. Sie bedient sich des<br />

Verhaltensvokabulars, mit dem junge Frauen, ob in<br />

Schulmädchen-Uniform oder Krankenschwester-<br />

Kostüm, neben ihrer Stimme auch ihren Körper<br />

anbieten. Es ist eine großzügige Geste; Florentina<br />

Holzinger verausgabt sich, bietet Stimme, Körper,<br />

Perücke. Durch das Dickicht der popkulturellen<br />

Souveränität schimmert es dann rosarot, das<br />

menschliche Fleisch, das eigentlich zerbrechliche<br />

Sein. Wenn die junge Frau in den Seidenbahnen<br />

hängt, ist es eine kalkulierte Verausgabung ihrer körperlichen<br />

Fähigkeiten, ihres erlernten Handwerks.<br />

Auf die Akrobatik-Nummer folgt der Sturz, folgt der<br />

Rollstuhl. Der absolute Ruin auf der <strong>Bühne</strong> bedeutet<br />

den Triumph der Choreographin. Das Solo „Silk“<br />

ist 2<strong>01</strong>1 in Zusammenarbeit mit dem Musiker S. M.<br />

Snider als Abschlussarbeit entstanden und wurde<br />

2<strong>01</strong>2 im Rahmen des Wiener Festivals ImPulsTanz<br />

mit dem Prix Jardin d`Europe ausgezeichnet.<br />

Im Sommer 2<strong>01</strong>3 stürzte Holzinger wirklich während<br />

einer Auführung des Stücks „Kein Applaus<br />

für Scheiße“ (noch während der Studienzeit als Duo<br />

mit Vincent Riebeek entstanden, seither europaweit<br />

auf Tour) aus drei Metern Höhe mit dem Gesicht<br />

voran auf den Boden. <strong>Die</strong> Verankerung der<br />

Stofbahnen an der Decke hatte nachgegeben. Eine<br />

Anekdote, die den Mythos einer radikalen <strong>Bühne</strong>n-<br />

Persönlichkeit nähren mag. Im Herbst 2<strong>01</strong>3 wurde<br />

dasselbe Stück im Rahmen der Austrian Dance Days<br />

in Bukarest gezeigt. Der ursprünglich vorgesehene<br />

Veranstaltungsort, das Theater Odeon, verweigerte<br />

kurzfristig die Nutzung. Zu vulgär sei das Ganze,<br />

zumal Riebeek je einmal erbricht und uriniert. In<br />

Holzingers Dekolletee.<br />

<strong>Die</strong> Schlagworte fremdverfasster Pressetexte lauten:<br />

Punk, Trash, Furchtlosigkeit, Rücksichtslosigkeit.<br />

Riebeek und Holzinger nennen es „sophisticated<br />

trash“. Trash meint dabei weniger Achtlosigkeit, als<br />

vielmehr Sorglosigkeit. Fragen nach zentralen Themen<br />

gehen geradewegs an diesem künstlerischen<br />

Schafen vorbei. Für die beiden ofenbart sich die<br />

<strong>Bühne</strong> als Gestaltungs- und Ehetherapie. Für das<br />

Publikum entfaltet sich dort ein willkürlicher Umgang<br />

mit Symbolen der Populärkultur. Phänomene<br />

des Ekels werden genauso aufgegrifen wie Zwischenmenschliches<br />

oder Relexionen auf die Kunst,<br />

immer gerade durch ihre Detailtreue und Privatheit<br />

ins Allgemeine gespiegelt. Es ist ein Angebot.<br />

Wir sollen daran eine Erfahrung machen. Es ist die<br />

Frage nach dem wie, nicht nach dem was, die auf<br />

dieser <strong>Bühne</strong> umgeht.<br />

<strong>Die</strong> augenscheinliche Inhaltsleere des <strong>Bühne</strong>ngeschehens<br />

erfordert eine Eigenleistung des Publikums,<br />

und es könnte eben auch Volleyball sein, mit<br />

dessen Mitteln Holzinger das Publikum herausfordert,<br />

anders über das eigene Leben nachzudenken,<br />

„das Publikum zum Engagieren“ zwingt. Holzinger<br />

spricht oft von Hingabe. In-your-face-theatre trift<br />

die Sache schon eher. Und wenn es funktioniert,<br />

dann ist es, recht nüchtern gesprochen, ein magischer<br />

Vorgang.<br />

Demgemäß spielen Überlegungen zu Manipulation<br />

und Spiritualismus eine große Rolle in den Probenprozessen.<br />

<strong>Die</strong> Nähe von Religion und Theater im<br />

Erleben gipfelt für Holzinger in der Annahme: „Ich<br />

könnte etwas anderes sein“. Das ist romantisch. Frei<br />

nach Schlingensief und Abramovic könnte man sagen:<br />

„Weiter, weiter, weiter.“<br />

WEBINFO: WWW.FLOHOLZINGER.WORDPRESS.COM<br />

DIE AUTORIN<br />

Theresa Luise<br />

Gindlstrasser lebt<br />

und arbeitet in<br />

Wien. Macht dort<br />

Philosophie und<br />

performative<br />

Kunst. Im Sommer<br />

2<strong>01</strong>3 absolvierte<br />

sie ein Praktikum<br />

bei der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Bühne</strong>.<br />

Foto: Alex Nosch


34 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Schwerpunkt<br />

der multiple<br />

schauspieler<br />

Traditionell spielen Schauspieler<br />

im Stadttheater viele unterschiedliche<br />

Rollen. Doch der Beruf befindet<br />

sich in einer tief greifenden<br />

Veränderung und wird vielfältiger:<br />

Schauspieler treten außerhalb des<br />

Theatergebäudes auf, agieren gemeinsam<br />

mit Laien oder spielen<br />

ihre persönliche Biographie<br />

Foto: Maurice Korbel


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

SCHWERPUNKT 35<br />

Bremer Spielweisen 36<br />

Porträt Joachim Meyerhoff 40<br />

Performance vs. Mimesis 44<br />

Neues Schauspiel in Freiburg 48<br />

Proben bei Hans-Werner Krösinger 50<br />

Zusammenspiel mit Laien 53<br />

„PLANET DER FRAUEN“.<br />

DIE KAMPFOPERETTE VON MAXI<br />

OBEXER UND BERNADETTE LA<br />

HENGST HATTE IM MÄRZ 2<strong>01</strong>2 AM<br />

THEATER FREIBURG PREMIERE


36 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

die probe als<br />

suchmaschine<br />

Text_ Michael Börgerding<br />

Zwischen Repräsentation und<br />

Partizipation. Der Bremer<br />

Intendant Michael Börgerding<br />

über die Arbeit der Schauspieler<br />

an seinem Theater<br />

Ein Monatsspielplan im<br />

Oktober am Theater Bremen: neunzehn<br />

Schauspielerinnen und Schauspieler<br />

spielen „Unschuld“ von Dea Loher,<br />

„Woyzeck“ von Wilson/Waits, die szenische<br />

Recherche „War da was? <strong>Die</strong> Hübner-Jahre“,<br />

gemeinsam mit Obdachlosen,<br />

Prostituierten und Straßenmusikern die<br />

„Bremer Straßenoper“, die Romanadaption<br />

„Schimmernder Dunst über Coby<br />

County“, den Leonhard-Cohen-Liederabend<br />

„I’m Your Man“, Schillers „Räuber“<br />

und als Übernahmen aus der letzten<br />

Spielzeit „<strong>Die</strong> Afäre in der Rue de<br />

Lourcine“ und „Buddenbrooks“. Im November<br />

kommen neu dazu: das Familienstück<br />

„Brüder Löwenherz“, die Uraufführung<br />

„Tod-krank.Doc“ von Elfriede<br />

Jelinek, Tschechows „Der Kirschgarten“<br />

und als Wiederaufnahme Jelineks „Aber<br />

sicher!“ sowie die Performance „Der perfekte<br />

Mensch“.<br />

Schauspiel in Bremen<br />

und andernorts<br />

Stadttheater as usual? Mag sein. So oder<br />

so ähnlich sehen noch einige andere<br />

Spielpläne im deutschsprachigen Theater<br />

aus, sicher mit anderen Schwerpunkten<br />

und Gewichtungen, vielleicht nicht unbedingt<br />

an einem Vierspartentheater<br />

und auch nicht unbedingt an einem<br />

Haus mit einem so kleinem Ensemble –<br />

obwohl, wenn ich beispielsweise nach<br />

Oldenburg schaue oder nach Freiburg,<br />

und sehe, was Mark Zurmühle in Göttingen<br />

auf die Beine stellt: So ungewöhnlich<br />

ist das nicht, was wir hier zusammen in<br />

Bremen machen.<br />

Verantwortlich als Regisseure für die<br />

vierzehn Inszenierungen sind die Hausregisseure<br />

Felix Rothenhäusler (mit<br />

gleich vier Inszenierungen), Alexander<br />

Riemenschneider („Unschuld“ und<br />

„Aber sicher!“), der Artist in Residence<br />

Alexander Giesche, Klaus Schumacher<br />

mit zwei Arbeiten und als Gäste mit je<br />

einer Arbeit Lola Arias, Alize Zandwijk,<br />

Mirko Borscht, Frank Abt, Gernot Grünewald.<br />

Auch hier gilt vielleicht: Stadttheater<br />

as usual. Und auch hier: Mag sein! Von<br />

außen betrachtet sind das ein paar junge<br />

Talente (davon drei von der Theaterakademie<br />

Hamburg, einer aus Gießen), zwei,<br />

drei erfahrene Regisseure, zwei, drei, die<br />

sich in den letzten Jahren durchgesetzt<br />

haben und wie so oft: zu wenig Frauen.<br />

Man kann es aber auch ganz anders beschreiben:<br />

nämlich als eine Palette von<br />

sehr unterschiedlichen bis zu widersprüchlichen<br />

Regiepersönlichkeiten und<br />

in der Summe als eine Herausforderung<br />

oder gar Überforderung für ein Ensemble,<br />

das sich in kurzer Zeit mit deren Handschriften<br />

auseinander zu setzen hat.<br />

Der Fußballtrainer und Philosoph Chris-


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 37<br />

Der multiple Schauspieler<br />

LANDSCHAFT MIT<br />

STÜHLEN UND<br />

KOSTÜMEN.<br />

EINE IMPRESSION<br />

AUS DEM THEATER<br />

BREMEN<br />

tian Streich hat auf die Frage, warum er<br />

den Fußball so liebe, geantwortet: „Fußball<br />

ist ganz einfach und furchtbar kompliziert.<br />

Furchtbar kompliziert, weil der<br />

Fußball ein Mannschaftsspiel ist.“ Das<br />

gleiche gilt sicher für das Theater, zumal<br />

schon der Wunsch, ein Anderer als man<br />

selbst zu sein, so einfach wie kompliziert<br />

ist. Darstellung, Menschendarstellung<br />

wie Darstellung einer Situation, ist eine<br />

Einmalerindung wie das Spiel mit dem<br />

runden Ball. Einmalerindung meint in<br />

der Soziologie: Fußball und Theater wird<br />

es immer geben, die Frage ist nur, in welcher<br />

Form: auf dem Bolzplatz oder im<br />

Stadion, auf der Straße oder auf der <strong>Bühne</strong><br />

beziehungsweise im Stadttheater.<br />

Komplexe Menschendarstellung<br />

Der Akt der Darstellung an sich ist ja ein<br />

höchst komplizierter: Der Schauspieler<br />

ist der einzige Künstler, der Kunst produziert<br />

und zugleich ein Kunstprodukt ist,<br />

der etwas herstellt, was er selber auch<br />

ist. Er ist jemand, der spielt und der sich<br />

zugleich beobachtet beim Spielen. Und<br />

natürlich wird es noch komplizierter,<br />

trift ein solcher Darsteller auf einen<br />

zweiten Darsteller. Der ihm wieder einen<br />

Spiegel vorhält. Und weiter auf eine<br />

dritte Figur oder auf einen Chor. Und<br />

vollends kompliziert wird es, wenn diesen<br />

Darstellern auch<br />

noch zugeschaut wird.<br />

Und dass nicht nur auf<br />

der Probe von dem einen<br />

Regisseur (der morgen<br />

ein anderer sein<br />

kann), sondern von – sagen<br />

wir – 800 Menschen,<br />

zum Beispiel im<br />

Theater am Goetheplatz<br />

in Bremen.<br />

Der SChauspieler<br />

ist der einzige<br />

Künstler, der<br />

Kunst produziert<br />

und zugleich ein<br />

Kunstprodukt<br />

ist – herstellt,<br />

was er selber<br />

auch ist<br />

Und es kommt wieder etwas Zusätzliches<br />

dazu – das als einzelnes Phänomen so<br />

neu nicht ist, aber als Summe sicher bemerkenswert:<br />

Es geht auch im bürgerlichen<br />

Stadttheater nicht mehr nur um die<br />

Darstellung oder Repräsentanz von Menschen<br />

und Situationen, sondern es kommen<br />

ganz neue (und ganz alte) Herausforderungen<br />

auf die Schauspieler zu;<br />

Herausforderungen, für die es noch keine<br />

kanonisierten Begrifflichkeiten gibt.<br />

Schauspieler und Schauspielerinnen in<br />

Bremen begleiten auf der Probe wie auf<br />

der <strong>Bühne</strong> Obdachlose beim Spielen (wie<br />

in der Straßenoper von Lola Arias), sie<br />

befragen Zeitzeugen und agieren als deren<br />

Stellvertreter (wie in Gernot Grünewalds<br />

szenischer Recherche „War da<br />

was?“) oder sie generieren ihre Texte und<br />

Bewegungsabläufe im Verlauf der Proben<br />

vollkommen selbst (wie in den Performances<br />

von Alexander Giesche).<br />

Auf der anderen Seite suchen sie mit den<br />

Regisseuren nach Ausdrucksformen und<br />

Setzungen, die größer als das psychologische<br />

Spiel sind; sie suchen nach Selbstbehauptung,<br />

Pathos, Sprache,<br />

Rhythmus jenseits<br />

von Realismus. Das<br />

Pendel schlägt dabei extrem<br />

aus zwischen monologischem<br />

Spiel und<br />

Ensemblespiel: Entweder<br />

steht der Schauspieler<br />

alleine auf der großen<br />

leeren <strong>Bühne</strong>,<br />

spricht und spielt zur<br />

Not auch gleich alle anderen<br />

Figuren mit (wie in Rothenhäuslers<br />

„Räuber“), oder es sind gleich alle<br />

Spieler/innen, und zwar fast durchgängig,<br />

auf der vollgestellten <strong>Bühne</strong> und<br />

machen merkwürdige Dinge (etwas, was<br />

Alize Zandwijk liebt).<br />

Gemeinsam ist beiden Tendenzen die<br />

Hinwendung zu partizipativen Projekten<br />

(mit oder ohne Experten des Alltags)<br />

wie die zum Monolog oder zum chorischen<br />

Spiel – die Entfernung oder Abgrenzung<br />

von dem, was man wohlwollend<br />

als Handwerk des Schauspielers<br />

bezeichnen könnte. Oder als zu hinterfragende<br />

Konvention – und dazu gehört<br />

nicht nur der so oft als verlogen erlebte


38 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Identiikationsgestus eines scheinbar natürlichen<br />

Spiels, dazu gehört auch mittlerweile<br />

ein falsch verstandenes Hochleistungsdarstellertum,<br />

in dem eher<br />

gezeigt wird, was man alles kann – Brüche<br />

spielen, aus der Rolle ausbrechen,<br />

Hysterien aus dem Stand präsentieren –,<br />

als dass man tatsächlich etwas zu erzählen<br />

hätte.<br />

Und so versuchen nicht nur in Bremen<br />

Schauspieler und Schauspielerinnen von<br />

Produktion zu Produktion, von Probe zu<br />

Probe sich mit ihren wechselnden Partnern<br />

auf Begrife zu verständigen, die<br />

seltsam nebulös bleiben: Partizipation,<br />

Durchlässigkeit, Kommunikation, Selbstermächtigung,<br />

Realität<br />

<strong>Die</strong> Probe selbst<br />

ist ein Experimentalsystem.<br />

Probieren ist<br />

mehr als ein<br />

Medium für vorgefertige<br />

GEdanken<br />

und Sätze<br />

des <strong>Bühne</strong>nvorgangs. Sie<br />

befragen notwendigerweise<br />

im Probieren die<br />

scheinbaren Alternativen<br />

Szene/Ansprache,<br />

Dramatik/Postdramatik,<br />

Darstellung/Sein, Repräsentanz/Präsenz.<br />

Meine<br />

Vermutung ist, dass das<br />

Ungefähre in der Begriflichkeit<br />

eine Chance ist. Von dem Soziologen<br />

Dirk Baecker stammt die Beobachtung,<br />

dass man, wenn es kompliziert<br />

wird, Bewegungsspielräume gewinnt.<br />

„Wenn man möglichst kompliziert an<br />

die Sachen heranzugehen versucht, hat<br />

man schließlich immer mehr Lösungen<br />

zur Hand, als sich Probleme stellen. Das<br />

heißt, man kann wählen.“ An diesem<br />

Punkt lohnt es, einen vorsichtigen Blick<br />

dorthin zu werfen, wo es am kompliziertesten<br />

in der Beschreibung zugeht, vielleicht<br />

aber das Neue in der Anforderung<br />

an den Schauspieler überhaupt verhandelt<br />

wird. Ich würde vorschlagen, diesen<br />

Ort auf der Probe zu vermuten.<br />

Forschung nach dem<br />

Unbekannten<br />

Der Philosoph und Wissenschaftshistoriker<br />

Hans-Jörg Rheinberger ist Direktor<br />

am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte<br />

in Berlin. In seinen Untersuchungen<br />

fragt er, was es eigentlich<br />

heißt, etwas Unbekanntes zu erforschen.<br />

Sein Hauptaugenmerk richtet sich dabei<br />

auf die „Strukturen des Experiments“,<br />

die er durch genaue rekonstruktive<br />

Analysen<br />

der biowissenschaftlichen<br />

Laborarbeit zu<br />

entschlüsseln sucht. Im<br />

Gegensatz zum üblichen<br />

Selbstverständnis<br />

der forschenden Wissenschaften<br />

zeigt Rheinberger<br />

auf, dass weniger<br />

Planung und Kontrolle<br />

als vielmehr Improvisation und Zufall<br />

den Forschungsalltag prägen: „Man kann<br />

das Forschen als eine Suchbewegung charakterisieren,<br />

die sich auf der Grenze zwischen<br />

dem Wissen und dem Nichtwissen<br />

bewegt. Das Grundproblem besteht darin,<br />

dass man nicht genau weiß, was man<br />

nicht weiß.“ Damit ist das Wesen der Forschung<br />

kurz, aber bündig ausgesprochen.<br />

Keineswegs sei es so, dass die Theorie<br />

„dem Experimentator den Weg weist“,<br />

sondern umgekehrt: Unerwartete Ergebnisse<br />

von Experimenten führen zu neuen<br />

Theorien, denen erst in nachträglicher<br />

Geschichtsschreibung eine vermeintlich<br />

zwangsläuige „Logik der Forschung“ zugeschrieben<br />

wird.<br />

Rheinbergers Epistemologie des Experiments<br />

hat dabei vielfältige Verbindungen<br />

zu Ansätzen der Semiotik und der<br />

Literaturtheorie. Für die poststrukturalistische<br />

Semiotik ist das Schreiben nicht<br />

nur ein Aufzeichnen von Daten, Tatbeständen<br />

oder Ideen, nicht einfach das<br />

transparente Medium der Gedanken.<br />

Das Schreiben gibt den Gedanken vielmehr<br />

eine materielle Verfassung – und<br />

zwar eine, die das Entstehen von etwas<br />

Neuem ermöglicht. Noch einmal Rheinberger:<br />

„Ich möchte behaupten, dass die<br />

wichtigste Quelle des Neuen (...) das<br />

Schrei ben selbst ist. Man könnte hier<br />

Heinrich von Kleists ‚Über das allmähliche<br />

Verfertigen der Gedanken beim Reden’<br />

aufgreifen. Man muss aber nicht nur<br />

vom Verfertigen, sondern auch vom Verfestigen<br />

und Verändern der Gedanken<br />

beim Schreiben sprechen. Das Schreiben,<br />

so behaupte ich, ist selbst ein Experimentalsystem.“<br />

Meine Übertragung ist möglicherweise<br />

ein wenig gewagt – Übertragungen funktionieren<br />

ja eigentlich nur im Traum<br />

und bedürften der Analyse: <strong>Die</strong> Probe<br />

selbst ist ein Experimentalsystem. Probieren<br />

ist mehr als ein Medium für vorgefertigte<br />

Gedanken und Sätze. Auch das<br />

theoriefreie Spielen begründet Bahnen,<br />

Fotos: Jörg Landsberg


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 39<br />

Der multiple Schauspieler<br />

auf denen Spuren hinterlassen<br />

werden, auf die<br />

man zurückkommen<br />

kann und über die man<br />

hinausgehen kann – indem<br />

man es einfach tut.<br />

Es vollzieht sich nicht nur eine Verwandlung<br />

der Existenzweise von Sinngebilden,<br />

sondern es entstehen auch neue, die<br />

sich, „wie alle neuen Erwerbe wieder sedimentieren<br />

und wieder zu Arbeitsmaterialien<br />

werden“.<br />

<strong>Die</strong> Probe als Ort der Suche<br />

Traut man der Probe diese Möglichkeiten<br />

zu, ließe sie sich als Experiment im<br />

Sinne Rheinbergers beschreiben. <strong>Die</strong><br />

Probe wäre dann „eine Suchmaschine“,<br />

aber von merkwürdiger Struktur: Sie erzeugt<br />

Dinge, von denen man immer nur<br />

nachträglich sagen kann, dass man sie<br />

hätte gesucht haben müssen. <strong>Die</strong> Erkenntnis<br />

ist immer etwas a posteriori.<br />

Oder um es mit Christoph Georg Lichtenberg<br />

zu sagen: ‚Man muss etwas Neues<br />

machen, um etwas Neues zu sehen.’“<br />

Aber auch ein solcher Lobgesang des kreativen<br />

Experiments im Probenprozess<br />

muss sich gleich in Frage stellen – angesichts<br />

seiner beunruhigenden Nähe zu<br />

dem neuen Parameter des Kapitalismus,<br />

das uns alle durchdringt: Verwirkliche<br />

dich selbst, sei kreativ, mach dein Ding!<br />

Das ökonomische Experiment ist aber<br />

eines des Schicksals. Es beugt sich der<br />

Verwertbarkeit. Es ist immer nur ein Mittel<br />

zum Gelingen. Das ästhetische Experiment<br />

hingegen ist eines der Freiheit,<br />

Nur wenn Schauspieler<br />

und<br />

Zuschauer von<br />

sich, wenn wir<br />

von uns absehen,<br />

werden wir<br />

etwas anderes<br />

entdecken als<br />

uns selbst<br />

eben kein Mittel zum<br />

Gelingen. Zum Gelingen<br />

einer ästhetischen<br />

Erfahrung bedarf es, so<br />

der Philosoph Christoph<br />

Menke, eines Risikos,<br />

nämlich des Risiko, dass man sich<br />

der Formlosigkeit aussetzt. Das Formlose<br />

und das freie Spiel der Bedeutungen sind<br />

die Freiheit vor jeder Bestimmung. <strong>Die</strong><br />

Kunst wäre so das Gegenexperiment zu<br />

den Schicksalsexperimenten, die wir gesellschaftlich<br />

bei Strafe des Scheiterns<br />

vollziehen müssen. Dazu brauchen wir<br />

die Kunst (und die Probe): Um die Möglichkeit<br />

von Freiheit jenseits der gesellschaftlichen<br />

Anpassung zu erfahren.<br />

Im Theater ließen sich zwei Bedingungen<br />

für dieses notwendige Risiko benennen:<br />

zum einen die Preisgabe der eigenen<br />

Persönlichkeit als Schauspieler und<br />

zum anderen die radikale Gleichheit der<br />

Zuschauer, eine Gleichheit in der radikalen<br />

Unbestimmtheit. Man ist im Schauen<br />

ohne Bestimmung – man ist ein radikaler<br />

Niemand im Ritual. Das Fremdwort<br />

dazu lautet Entsubjektivierung. Und da-<br />

rum könnte es gehen: Dass wir von uns<br />

selbst absehen! Und nur wenn Schauspieler<br />

und Zuschauer von sich, wenn wir<br />

von uns und unseren großen Egos absehen,<br />

werden wir etwas anderes entdecken<br />

als immer nur uns selbst. Das Theater<br />

könnte der Ort sein, an dem man das<br />

üben oder erleben kann.<br />

Am Ende also eine fast kunstreligiöse Beantwortung<br />

der Frage nach dem Schauspieler<br />

zwischen Darstellung und Partizipation.<br />

Ich kann es aber auch gerne<br />

kleiner und einfacher formulieren: In<br />

meiner Erinnerung habe ich den Schauspieler<br />

Stefan Kurt nie so sehr bewundert<br />

wie für den Puck in dem integrativen<br />

Sommernachtstraum der Station 17 auf<br />

Kampnagel Ende der 1990er. Claudius<br />

Franz und Matthieu Svetchine haben<br />

meine große Hochachtung und Dankbarkeit<br />

für all das, was sie als Schauspieler<br />

nicht tun in Lolas Arias Straßenoper<br />

„The Art of Making Money“, ebenso wie<br />

für all das, was sie als Persönlichkeiten in<br />

den „Räubern“ auf der großen leeren<br />

<strong>Bühne</strong> im Theater am Goetheplatz von<br />

sich zeigen.<br />

DER AUTOR<br />

Michael Börgerding ist seit Mitte 2<strong>01</strong>2 Generalintendant am<br />

Theater Bremen. Zuvor arbeitete er als Dramaturg (bis 2005 als<br />

Chefdramaturg am Hamburger Thalia Theater) und war zuletzt<br />

Direktor der Theaterakademie Hamburg.


40 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Freiheit<br />

Der Schauspieler Joachim Meyerhoff beschäftigt<br />

sich als Darsteller und Schriftsteller<br />

mit seiner Biographie. Ein Gespräch<br />

mit dem Burgschauspieler, der seit dieser<br />

Spielzeit auch zum Ensemble des <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schauspielhauses Hamburg gehört<br />

hinter<br />

der<br />

maske


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 41<br />

Der multiple Schauspieler<br />

JOACHIM MEYERHOFF IM<br />

GESPRÄCH MIT MARIANNE<br />

UND MICHAEL LAAGES<br />

Text_ Michael Laages<br />

Versuchskaninchen für das<br />

Vexierspiel um Wahrheit<br />

und Dichtung hat er stets<br />

in der Familie gefunden:<br />

Dem Bruder legte Joachim Meyerhof<br />

Teile der biographischen Schreibarbeit<br />

vor, die zunächst zu sechs Theaterabenden<br />

und mittlerweile zu zwei Romanen führte. Der<br />

Bruder war einverstanden: Stimmt, genau so war’s, habe er ihm<br />

bestätigt, erzählt Meyerhof in Hamburg, wo er gerade frisch ins<br />

Team der Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier eingestiegen<br />

ist. Und auch der Hinweis, dass einiges recht frei erfunden sei,<br />

konnte den Bruder nicht beirren: Nö, genau so sei’s gewesen.<br />

Fazit: „Das ist sehr befreiend, nicht immer denken zu müssen:<br />

Wie war das wirklich? Das Erinden entspringt ja auch einer<br />

Wahrheit!“<br />

An den frühen Stationen der Theater-Karriere, in Kassel, Bielefeld<br />

oder Dortmund, hat der Falckenberg-Schüler, Geburtsjahrgang<br />

1967, mit autobiographischen Notizen begonnen; in Berlin,<br />

am Maxim Gorki Theater des Intendanten Volker Hesse,<br />

wurden <strong>Bühne</strong>nprojekte daraus. „Wann wird es endlich wieder<br />

so, wie es nie war“ ist nicht nur der Titel von Meyerhofs jüngstem<br />

Roman, so hieß auch ein Gorki-Projekt. Hesse, der Talenteförderer,<br />

ließ Meyerhof gewähren; so auch beim „Sauna“-<br />

Abend, für den der Schauspieler Geschichten von altgedienten<br />

Gorki-Mimen sammelte und diese Erinnerungen wie im Ausschwitzen<br />

(und wie in der echten Gorki-Sauna) auf die Studio-<br />

<strong>Bühne</strong> brachte. Hatte Eckhard Strehle wirklich die komplette<br />

Hand verloren bei einem Unfall? War Wolfgang Hosfeld als<br />

Stepp-Tänzer wirklich einem Zuschauer direkt ins Gesicht gesprungen?<br />

Hatte <strong>Die</strong>tmar Obst wirklich schauspielerlebenslang<br />

Appläuse auf Tonband gesammelt? Was wahr war und was<br />

nicht, wurde unwichtig vor der Skurrilität der Geschichten und<br />

der Kraft der Alten.<br />

„Biographie ist für mich auch ein Spiel“, sagt Meyerhof heute,<br />

gut zehn Jahre später; und erzählt mir und speziell meiner Mutter<br />

(die am Gespräch als treue Leserin<br />

der Roman-Veröfentlichung in ihrer<br />

hannoverschen Tageszeitung teilnimmt)<br />

die Geschichte vom toten<br />

Hund, der kurz nach seinem anderen<br />

Bruder starb und dessen verzweifelte<br />

Beerdigung eine der anrührendsten<br />

Geschichten des Buches ist. Und: Ja, die ist wahr.<br />

Überhaupt: Verluste haben den Schauspieler zum Schreiben<br />

gebracht; der tote Bruder, der kranke Vater, die Großeltern…<br />

„In meiner gutbürgerlichen Biographie hatte ich nichts, um<br />

dem zu begegnen. Ich war völlig überfordert.“ Als der Bruder<br />

starb, iel die Entscheidung: „Ich habe gedacht: Es kann doch<br />

nicht sein, diesen Tod jetzt so unrelektiert ins Leben zu integrieren.“<br />

Dann folgte die (bis heute andauernde) Krankheit des<br />

Vaters: „Eigentlich stehe ich all dem ratlos gegenüber. Aber ich<br />

will das mitnehmen, ich will das nicht, wie es ja allgemein erwartet<br />

wird von der Gesellschaft, ‚verarbeiten’ und abhaken. Ich<br />

will das immer bei mir haben. Das macht Mut zur Zukunft.“<br />

Bei den biographischen Lese-Abenden, eingeladen auch zum<br />

Theatertrefen nach Berlin, hatten die Geschichten aus der jugendpsychiatrischen<br />

Klinik des Vaters stets für besondere Heiterkeit<br />

gesorgt. Klar, meint Meyerhof: „Wo die größten Komplexe<br />

und Verklemmungen sitzen, entsteht immer die größte<br />

Heiterkeit. Jahrhundertelang wurden aus der Sexualität die<br />

größten Funken geschlagen, jetzt halt aus psychischen Erkrankungen<br />

und Behinderungen…“ Aber auch praktizierende Psychiater<br />

bestätigten ihm: <strong>Die</strong>ser Beruf ist nur mit viel Humor<br />

auszuhalten.<br />

Erstaunt registrierten viele Leser, wie ungebrochen die Liebe<br />

des Sohnes zum Vater blieb: „Abrechnung ist ja ein viel vertrauterer<br />

literarischer Vorgang – ich wollte das aber nie. <strong>Die</strong> liebevolle<br />

Beschreibung war die Voraussetzung, um auch an die<br />

Abgründe heran zu kommen. Man muss einander ja sehr nahe<br />

treten, um Liebe und Abgründe zusammen zu kriegen.“ Stau-


42 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

nend betrachtete Meyerhof im Krankenhaus, wo er den Vater<br />

regelmäßig besuchte, all die Patienten, die vor der Tür rauchten:<br />

„So ist der Mensch – er will wieder gesund werden, um sich zu<br />

Grunde zu richten.“<br />

Für erste Lesungen der biographischen Texte nutzte Meyerhof<br />

die Blaue Stunde am Dortmunder Schauspiel; der Alltag hier,<br />

wie zuvor in Bielefeld und Kassel, also jenseits der Edel-<strong>Bühne</strong>n,<br />

soll Thema des dritten Buches werden. Das erste spielte ja auch<br />

in tiefster Provinz: im amerikanischen Bundesstaat Wyoming.<br />

Das Austauschjahr als Schüler verbrachte Meyerhof in einer<br />

zutiefst republikanischen Familie; und eine schon als Kind gewachsene<br />

Haltung gewann an Gewicht: „Ich bin manchmal so<br />

entsetzt über Dinge, und inde sie auch unendlich komisch –<br />

zum Weinen und zum Lachen.“<br />

So hat er die Klinik des Vaters erlebt: als frühe Schule für die<br />

Obsessionen, die auch viele Menschen und Texte im Theater<br />

prägen. Etwa dieser Herr Orgon in Molières „Tartufe“ (Meyerhof<br />

spielt den Titelpart derzeit noch in Wien): „Was hinter dem<br />

Irrationalen steckt, ist Freiheit!“ Das ist wie in Papas Psychatrie:<br />

„Für mich als Kind war’s lustig – und traurig: eingesperrt sein,<br />

vom Schicksal geschlagen, totale Verluste überall. Und trotzdem<br />

wird man frei in der Fähigkeit, Glück zu zeigen, und dieses<br />

ist so viel reiner als unser konsumierbares, kultiviertes Glück.<br />

Wenn man als Zehnjähriger auf dem Nachhauseweg zehn Mal<br />

umarmt wird von Leuten, die sich an einen klammern, dann ist<br />

das lästig; aber auch von einer Herzlichkeit und Ofenheit, die<br />

man später schmerzlich vermisst; dass man einen, den man<br />

liebt und schön indet, einfach mal umarmt und ableckt und<br />

küsst – das darf man aber nicht.“<br />

Das ist die Freiheit hinter den Masken der Irrationalität: „Im<br />

bürgerlichen Alltag ist zu spüren, dass ganz viele Verabredungen<br />

in äußerlichen Dingen nur auf Furcht und Unsicherheit beruhen.“<br />

– weg damit. Nicht zuletzt in der Arbeit mit dem schon<br />

todkranken Christoph Schlingensief hat Meyerhof erlebt, wie<br />

wenig die Gewissheit zählt; wie viel aber jeder Augenblick.<br />

Fotos: Tobias Kruse


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 43<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE BILDER<br />

ENTSTANDEN IN UND<br />

UM DIE PROBEBÜHNE<br />

DES DEUTSCHEN<br />

SCHAUSPIELHAUSES<br />

IN HAMBURG<br />

„Ich hätte mir gewünscht, dass ich<br />

früher zu einer Stimme gefunden<br />

hätte wie jetzt in den Romanen“,<br />

sagt Meyerhof; auch um den selbstkritischen<br />

Relex angesichts so vieler<br />

großer Literatur zu verringern: „Wie<br />

oft habe ich mir gesagt: Verstumme<br />

für immer!“ Er hat gelitten auf der<br />

Ochsentour als Jungschauspieler:<br />

„<strong>Die</strong>ser Horror – wie viele Zadek-<br />

Schüler mich terrorisiert haben!“<br />

Aber: „Es ist immer leicht zu sagen:<br />

Ach ich Armer, all diese schrecklichen<br />

Regisseure in der Provinz, und<br />

ich bin furchtbar verkannt… Ich habe aber unter mir gelitten:<br />

Weil die Diskrepanz zwischen dem, was ich von mir erwartete,<br />

und dem, was ich da vermochte, so unendlich groß war.“ Der<br />

Sog nahm zu: aus Frustration von außen und völliger innerer<br />

Unzufriedenheit.<br />

„Irgendwas aber blieb heil“, bilanziert Meyerhof, „und das hatte<br />

mit der Herkunft aus diesem liebevollen Elternhaus zu tun.“<br />

Oft genug habe er aufhören wollen, und vielleicht doch lieber<br />

studieren: „Jetzt spiel’ ich schon den dritten Geier von rechts im<br />

‚Dschungelbuch‘ in Bielefeld, aber warum bin ich immer noch<br />

guter Dinge?“<br />

<strong>Die</strong> Alternative blieb präsent, am Ende jeder Spielzeit: „Bin ich<br />

noch jung genug fürs Studium? Jetzt ist gerade noch Zeit: Häng<br />

diesen Scheiß-Schauspielerberuf an den Nagel!“ Dann aber gab<br />

es immer eine Rolle; und der Weg führte nach Köln, Berlin und<br />

schon einmal nach Hamburg, von dort nach Wien und jetzt wieder<br />

zurück in den Norden. Aber bloß kein Hochmut: „In diesen<br />

Provinzstädten gibt es eine spezielle Art von Solidarität im Ensemble<br />

– weil man weiß, dass man gemeinsam an diesem Ort<br />

gefangen ist und einander braucht.“ Und am Burgtheater? „Da<br />

gibt’s andere Hierarchien – ich würde das eine nie gegen das<br />

andere stellen.“ Kurzzeitig war der Schauspieler Meyerhof in<br />

Berlin auch auf dem Weg ins Regie-<br />

Fach: mit dem großen kleinen<br />

„Sauna“-Abend, mit der sehr sinnlichen<br />

Inszenierung von Kästners „Fabian“,<br />

mit einem Projekt, das „Marathon<br />

2h 4‘55“ hieß und auch genau<br />

so lange dauerte. Meyerhof heute:<br />

„Ich kam mir irgendwann vor wie<br />

der Herbergsvater, der sich rund um<br />

die Uhr um jeden kümmern musste.<br />

Nie war ich so schlalos – ein harmoniesüchtiger<br />

Über-Kümmerer. Als<br />

Regisseur bin ich völlig unbrauchbar.“<br />

Obwohl – gern versuchen würde<br />

er es wohl noch mal, mit mehr Ruhe. Aber die Unruhe bleibt:<br />

„Mich macht das krank. Ich sterbe. Vor Sorge und Angst.“<br />

DER SCHAUSPIELER JOACHIM MEYERHOFF<br />

- Geboren 1967 in Homburg/Saar<br />

- Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in<br />

München<br />

- Nach Engagements am Staatstheater Kassel, am Theater<br />

Bielefeld, Theater Dortmund, den <strong>Bühne</strong>n Köln und dem<br />

Maxim Gorki Theater in Berlin ab 2002 Ensemblemitglied am<br />

<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhaus in Hamburg<br />

- Seit 2005 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters<br />

- Seit der Spielzeit 2<strong>01</strong>3/14 auch wieder am <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schauspielhaus Hamburg<br />

- Ab 2007 konzipierte und spielte Meyerhof den sechsteiligen<br />

autobiographischen Zyklus »Alle Toten liegen hoch«, mit<br />

dem er auch zum Theatertrefen 2009 eingeladen wurde<br />

- 2007 wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt<br />

- Seine beiden bisherigen autobiographischen Romane sind:<br />

„Alle Toten liegen hoch. Amerika«,<br />

„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ (siehe S. 55)


44 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Schauspielkunst<br />

vs. Performance?<br />

Der Dramaturg Bernd Stegemann und der Theatermacher<br />

Daniel Wetzel von Rimini Protokoll im<br />

Gespräch über die Rolle des Schauspielers heute<br />

Interview_Detlev Baur und Elena Philipp<br />

Herr Stegemann, Sie kritisieren in<br />

ihrem Buch „Kritik des Theaters“ die<br />

Verdrängung der Repräsentation und<br />

des Rollenspiels durch selbstbezügliche<br />

Performance und Jagd nach Authentizität.<br />

Der Performer ersetzt demnach<br />

den Schauspieler. <strong>Die</strong>se Tendenz ist<br />

wohl unbestritten. Was aber ist an<br />

dieser Entwicklung so schlimm?<br />

Bernd Stegemann: Der Performer lässt die Ebene<br />

der Mimesis, der Darstellung, außer Acht. Er stellt<br />

sich selber dar, ist so etwas wie ein theatrales Ready-<br />

Made, das von der Regie in semantische Rahmungen<br />

gebracht wird, die im Lauf der Inszenierung zu unterschiedlichen<br />

Bedeutungen führen. <strong>Die</strong>se Bedeutungen<br />

setzen sich an die Stelle dessen, was einmal<br />

der Schauspieler von sich heraus produzieren konnte:<br />

das spielerische Verhältnis zwischen <strong>Bühne</strong> und<br />

Zuschauenden. Meine Kritik daran ist, dass das eine<br />

Enteignung der Darsteller ist und eine Reduzierung<br />

von Möglichkeiten – eine neue Form der Entfremdung,<br />

die sich als ironisch und authentisch zugleich<br />

gibt. Damit folgt sie dem Muster postmoderner Ästhetik.<br />

Herr Wetzel, warum arbeiten Sie<br />

bei Rimini Protokoll nicht mit professionellen<br />

Schauspielern, sondern<br />

mit Laien, den sogenannten Experten<br />

des Alltags?<br />

Daniel Wetzel: Nicht, weil wir nicht mit Schauspielern<br />

arbeiten wollen. Sondern, weil wir bei unseren<br />

Projekten permanent Leuten begegnen, die wir für<br />

interessante <strong>Bühne</strong>niguren halten und Orte besuchen,<br />

die durch die Rahmen-Brille des Theaters betrachtet,<br />

enorme Schauspiele bieten. Wir arbeiten<br />

mit dem Echten; mit dem Begrif des Authentischen<br />

arbeiten wir nicht. Als wir zum Bespiel die Aktionärsversammlung<br />

von Daimler zu unserer Inszenierung<br />

erklärt haben, hat der Aufsichtsratsvorsitzende<br />

in seiner Eröfnungsrede gesagt: „<strong>Die</strong>s ist weder ein<br />

Schauspiel noch ein Theaterstück“. Dabei war diese<br />

Hauptversammlung wie immer ein Ready-Made,<br />

dessen peride Als-Obs verloren gingen, wenn es von<br />

Schauspielern nachgespielt würde. Auf der Hauptversammlung<br />

bist du sowohl Zuschauer als auch<br />

Akteur, weil du nur als Aktionär reinkommst. Du<br />

bist Miteigentümer und hast Stimmrecht. Ihre „Präsenz“<br />

bekommen die Akteure auf dieser Total-<strong>Bühne</strong><br />

übrigens halbstündig angesagt – wie viel Prozent<br />

des Kapitals momentan im Saal repräsentiert sind.<br />

Herr Stegemann, was kann das<br />

Theater durch Schauspielern dann<br />

doch besser herausarbeiten?<br />

Bernd Stegemann: Es gibt doch immer eine Vorderbühne<br />

und eine Hinterbühne. <strong>Die</strong>ser gerahmte<br />

Blick auf die Aktionärsversammlung, ein, wie man<br />

früher gesagt hätte, zynischer Blick, der alles als ästhetisches<br />

Ereignis betrachtet, lässt sich ja auch auf<br />

die morgendliche Versammlung der Putzfrauen hier<br />

in der Schauspielschule anwenden. <strong>Die</strong> Entfremdung,<br />

zu der man in unseren Arbeitsverhältnissen<br />

gezwungen ist, kann in solch einer Inszenierung<br />

aber nicht anschaubar gemacht werden. Ein entfremdet<br />

Arbeitender erscheint, wenn er als Experte<br />

Fotos: Pigi Psimenou


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 45<br />

Der multiple Schauspieler<br />

BERND STEGEMANN UND DANIEL WETZEL<br />

(MIT MÜTZE) IM GESPRÄCH. SCHAUPLATZ:<br />

BERND STEGEMANNS ARBEITSZIMMER<br />

IN DER HOCHSCHULE FÜR DARSTELLENDE<br />

KUNST „ERNST BUSCH“ IN BERLIN<br />

des Alltags auftritt, wie eine mit sich identische Theaterigur,<br />

als ein freudvoll zu beobachtendes possierliches<br />

Dasein. Damit ist dieser Punkt von Kritik des<br />

Theaters an der Gesellschaft nicht mehr gegeben.<br />

Daniel Wetzel: Da müsste man genau schauen, wie<br />

im jeweiligen Projekt mit der Gefahr der „Possierlichkeit“<br />

umgegangen wird. <strong>Die</strong> Möglichkeit, auf der<br />

<strong>Bühne</strong> „Ich“ zu sagen und nicht jemand Totes oder<br />

Ausgedachtes zu meinen, ist ja der zentrale Unterschied<br />

zwischen Schauspielern und den Experten,<br />

mit denen wir arbeiten. Wir bespielen das Wahrnehmungs-Dispositiv,<br />

in das sich der Theaterzuschauer<br />

begibt, wenn er sich ins Schauspiel setzt. Allerdings<br />

bespielen wir es parasitär, und der V-Efekt ist doch<br />

nicht der, dass die Leute da possierlich wirken könnten,<br />

sondern dass sie selbst etwas zu sagen haben.<br />

Eine Rolle zu gestalten, das dann zu brechen, infrage<br />

zu stellen oder zu radikalisieren – all das gibt es<br />

da eben nicht. Entsprechend werden die Akteure<br />

auf der Ebene von Kunstfertigkeit in Ruhe gelassen<br />

– da, wo das Schauspiel seit dreißig Jahren reingegangen<br />

ist.<br />

Bernd Stegemann: Das ist ja ein Teil Eures großen<br />

Erfolges, und darum sehe ich Eure Sachen immer<br />

wieder gerne: Man hat ein sehr aufgehobenes Gefühl,<br />

wenn man bei Euch im Theater sitzt, wegen der<br />

spannenden Fremdheiten, die einem entgegengebracht<br />

werden, aber auch, weil die Figuren oder<br />

Menschen geschützt sind. Das ist aber genau der<br />

Punkt, an dem meine Kritik ansetzt. <strong>Die</strong> Alltagsexperten<br />

müssen sich auf der <strong>Bühne</strong> schützen, weil sie<br />

Laien der Herstellung von Öfentlichkeit sind. Das


46 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

BERND STEGEMANN<br />

UND DANIEL WETZEL.<br />

DAZWISCHEN: DETLEV BAUR<br />

UND ELENA PHILIPP<br />

Theater aber hat seit 200 Jahren, als der Beruf professionalisiert<br />

wurde, mit dem Schauspieler jemanden<br />

erzeugt, von dem Tabori so trefend gesagt hat, er sei<br />

ein professioneller Mensch. Er kann Leid und Zerrissenheit<br />

öfentlich herstellen, ohne dass es ihn mitnimmt.<br />

Er kann das stellvertretend für andere tun<br />

und muss in der Garderobe nicht stundenlang weiter<br />

weinen. Das ist eine Kulturtechnik, von der wir seit<br />

dreißig Jahren relativ leichtfertig reden, als sei das<br />

alles alter, verkommener Repräsentationsquatsch.<br />

Sie bestreiten aber doch nicht,<br />

dass das Spielen des professionellen<br />

Schauspielers, das Rollenspiel,<br />

in einer Krise ist?<br />

Bernd Stegemann: Ja, total. Das ist eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise,<br />

und sie hat zwei große Ursachen:<br />

<strong>Die</strong> Zuschauenden ästhetisieren mittlerweile jedes<br />

Ereignis und nehmen damit eine Art Meta-Ästhetisierung<br />

im Theater vor. Und der Schauspieler ist<br />

eben auch ein Zeitgenosse, er glaubt sich selbst nicht<br />

mehr.<br />

Daniel Wetzel: Was ja eine Quelle für neue Möglichkeiten<br />

ist. Ich teile Stegemanns Sorge, mit veränderten<br />

Vorzeichen: Ja, was im Staatstheater passiert, ist<br />

meistens „alter, verkommener Repräsentationsquatsch“.<br />

<strong>Die</strong> Experten mögen mit einer für sie vertretbaren<br />

Version von sich auftreten, aber das ist<br />

doch der Unterschied, sie spielen sich und wollen<br />

verantwortlich gemacht werden dafür, was sie sagen<br />

und nicht, wie sie es spielen. Deshalb bekomme ich<br />

bei Auführungen in der Schaubühne immer so ein<br />

Manufactum-Gefühl: „Es gibt noch das gute alte<br />

Wohlfühl-Zweifeln“. Ich habe mir in Vorbereitung<br />

zu diesem Gespräch den „Volksfeind“ in der Schaubühne<br />

angeschaut und fand bemerkenswert, wie der<br />

Bettler vor dem Theatergebäude, der schon vor der<br />

Auführung praktisch nichts bekam, zwei Stunden<br />

später zwischen den Zuschauern, die gerade Dr.<br />

Stockmann dabei zugeschaut hatten, wie er wahrscheinlich<br />

in der Gosse landete, keinen einzigen<br />

Euro bekam. <strong>Die</strong> Inszenierung ist brillant und super<br />

gespielt. Aber es war ein Elend zuzuschauen, wie<br />

kein Zuschauer der Auführung bereit war, seine<br />

Bequemlichkeit aufzugeben und zu fragen, was diesen<br />

Mann vor‘s Theater brachte, in diese Wirklichkeit,<br />

an die sie dauernd erinnert werden sollten während<br />

zwei Stunden Ibsen-Aktualisierung.<br />

Interessiert Sie denn Theater mit<br />

richtigen Schauspielern, Herr Wetzel?<br />

Daniel Wetzel: Ja. Aber ich war neulich in einer<br />

Schalterhalle in Athen, nur zum Beispiel, wo die Leute<br />

ihre Stromrechnung bar bezahlen – es gibt da ja<br />

keinen Unterschied mehr zwischen Stromrechnung<br />

und Steuernachzahlung. Und ich schaue da Leuten<br />

zu, wie sie vor lauter Unverständnis über die Ungerechtigkeiten<br />

am andern Ende der europäischen Finanzdiplomatie<br />

wirklich tragische Monologe rufen.<br />

Bernd Stegemann: Aber die Traditionstechnik des<br />

mimetischen Schauspiels befähigt dazu, etwas darzustellen,<br />

das nicht real anwesend ist. Der Schauspieler,<br />

der das gelernt hat, macht das strategischer,<br />

künstlerisch formbarer als die griechische Rentnerin,<br />

die gerade ihre Rechnung bezahlt. <strong>Die</strong> Frau ist<br />

in der Situation vermutlich die beste Darstellerin<br />

ihrer selbst, könnte das aber in dem Moment, in<br />

dem sie realisieren würde, dass sie angeschaut wird,


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 47<br />

Der multiple Schauspieler<br />

BERND STEGEMANN<br />

- 1967 in Münster geboren<br />

- Studium der Philosophie und Germanistik in<br />

Berlin und Schauspielregie in Hamburg<br />

- Dramaturg, u.a. 1999 Chefdramaturg am TAT<br />

Frankfurt, 2004 bis 2007 am <strong>Deutsche</strong>n Theater<br />

Berlin und seit 2009 an der Schaubühne am<br />

Lehniner Platz<br />

- Professor für Dramaturgie an der Hochschule<br />

für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin<br />

- zahlreiche Veröfentlichungen<br />

DANIEL WETZEL<br />

- 1969 in Konstanz geboren<br />

- Studium der Angewandten<br />

Theaterwissenschaft in Gießen,<br />

währenddessen erste Performance-Projekte<br />

- Seit 2000 Theater- und Radioprojekte mit Helgard<br />

Haug und Stefan Kaegi<br />

- Seit 2002 unter dem Namen „Rimini Protokoll“<br />

- Zuletzt in der ganzen Welt: „100 Prozent Tokio“,<br />

„San <strong>Die</strong>go“ und so weiter. Und „Situation Rooms“<br />

(Premiere bei der Ruhrtriennale)<br />

nicht mehr. Sie würde zur Laienspielerin werden<br />

oder sie würde vereisen.<br />

Daniel Wetzel: Wenn man es falsch macht.<br />

Der Beruf des Schauspielers ist vielfältiger<br />

geworden; ästhetisch geht<br />

er über das traditionelle Rollenspiel<br />

hinaus und auch institutionell hat er<br />

zunehmend andere Aufgaben, etwa<br />

bei der Betreuung von Jugendclubs.<br />

Ist das unbedingt ein Unglück?<br />

Bernd Stegemann: Das ist erst mal ein gesteigerter<br />

Stress – so wie der lexible Angestellte nicht nur einen<br />

Beruf haben darf, sondern fünf Berufe haben<br />

muss und dann auch noch emotional beglaubigen<br />

muss, dass das richtig ist, was er gerade tut.<br />

So durchweg schlecht ist das Gegenwartstheater<br />

aber doch nicht. Pollesch<br />

etwa schaft seit Jahren immer<br />

wieder überragende Inszenierungen,<br />

die viel über die Brüche in der Gesellschaft<br />

erzählen. Sein Theater zeichnet<br />

sich dabei durch starke Schauspieler<br />

aus – und den deutlichen Einluss von<br />

Performance.<br />

Bernd Stegemann: Ich kritisiere mit meinem Buch<br />

nicht Performance als Teil der bildenden Kunst und<br />

auch nicht die performativen Techniken, die wesentlich<br />

zur Arbeit des Schauspielens gehören. Vielmehr<br />

kritisiere ich das deutsche Theatersystem, das so viele<br />

Mittel aufsaugt und häuig unverstanden zu ästhetischen<br />

Energiebeschleunigern macht. Da sehe ich<br />

dann Schauspieler auf der <strong>Bühne</strong>, die mit Laien so<br />

spielen sollen, wie sie es bei Rimini Protokoll irgendwo<br />

gesehen haben. <strong>Die</strong> Front verläuft auch gar<br />

nicht gegen Künstler wie Rimini Protokoll. Ihr habt<br />

doch über Jahre eine Künstlerbiographie entwickelt,<br />

in der konstanten Arbeit mit immer denselben Fragen<br />

– und jagt eben nicht immer neue Säue durchs<br />

Dorf, wie das die Stadttheater versuchen. Dagegen<br />

versuche ich das Prinzip des Künstlertheaters zu setzen<br />

und zu sagen: Leute, denkt doch mal darüber<br />

nach, was ihr da tut.<br />

Ist das Regietheater der Feind des<br />

Künstlertheaters?<br />

Bernd Stegemann: Der Regisseur ist in der momentanen<br />

Phase der Beschleunigung allzu oft der Totengräber<br />

des Schauspielers. <strong>Die</strong> Schauspieler werden<br />

immer mehr zum entfremdeten Angestellten des<br />

emotionalen Regimes Stadttheater. Nach dreißig<br />

Jahren Regietheater gibt es immer mehr Schauspielschüler,<br />

die sich von vornherein selbst entmündigen<br />

und meinen, ich muss die Ausbildung machen, damit<br />

ich verfügbar und möglichst lexibel einsatzfähig<br />

bin für die unterschiedlichen Regisseure. Das ist<br />

für mich ein deformiertes, entfremdetes Bild vom<br />

Beruf des Schauspielers, der sich nur noch als Erfüllungsgehilfe<br />

für Regieideen begreift, als ein Gefäß, in<br />

das etwas hineingefüllt wird.<br />

Daniel Wetzel: Schauspieler sind Experten im Beobachten.<br />

Als wir in Hannover für „Zeugen!“ mit<br />

Schauspielern des Staatstheaters Strafprozesse beobachtet<br />

haben, litten sie viel mehr als wir mit den Zeugen<br />

und Angeklagten, weil sie das Gefühl hatten, dass<br />

alle so schlecht spielen auf dieser <strong>Bühne</strong> des Wirklichen<br />

und dringend Schauspieltraining bräuchten,<br />

um glaubhaft zu wirken.


48 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

Text_Josef Mackert<br />

Der „Stehende Mann“<br />

auf dem Taksimplatz<br />

Als der türkische Tänzer Erdem Gündüz<br />

nach der Räumung des Geziparks auf<br />

dem Taksimplatz in Istanbul stehenblieb<br />

und sich über viele Stunden nicht mehr<br />

bewegte, wurde das vor Ort sehr schnell<br />

als ein politisches Statement verstanden.<br />

In einem Interview zu dieser später als<br />

„Duran Adam“ (Stehender Mann) weltberühmt<br />

gewordenen Performance, das<br />

wie fast alle Interviews nur die politische<br />

Aussage dieser protestierenden Geste befragte,<br />

sagte er: „Ich bin ich ein Performance-Künstler,<br />

und die Leute verstehen<br />

meine Kunst. Wenn ein normaler<br />

Mensch dort stundenlang gestanden hätte,<br />

hätte es niemanden interessiert.“ Das<br />

ist eine interessante These, die man im<br />

Kontext der Arbeitsbedingungen lesen<br />

muss, unter denen unsere Kollegen in<br />

der Türkei derzeit arbeiten. <strong>Die</strong> intensive<br />

Beschäftigung mit der politischen Realität<br />

und die entschiedene Positionierung<br />

als Künstler scheinen sich dabei gegenseitig<br />

zu bedingen. Seit Beginn unserer Zusammenarbeit<br />

innerhalb des vom Bundeskulturstiftungs-Fond<br />

Wanderlust<br />

geförderten Austauschprojektes haben<br />

wir von unseren türkischen Kollegen viel<br />

gelernt über die Haltung von Künstlern,<br />

deren Arbeitsmöglichkeiten und Freiheitsräume<br />

nicht so selbstverständlich<br />

gegeben sind wie bei uns. Dabei war das<br />

Theater-Projekt „Cabinet“ von Anfang an<br />

darauf angelegt, dass sich Schauspieler,<br />

Tänzer, Autoren und Regisseure aus beiden<br />

Ländern fragend und recherchierend<br />

in die Welt der Anderen begeben, um<br />

sich anschließend in der Arbeit an einem<br />

gemeinsamen Theaterabend zu begegnen.<br />

Und was immer darin an ästhetischen<br />

Diferenzen zu Tage trat und ausgetragen<br />

werden musste, konnte doch<br />

Wie verändern neue partizipative und<br />

recherchierende Projekte die Koordinaten<br />

der schauspielerischen Arbeit?<br />

Josef Mackert, Chefdramaturg am Theater<br />

Freiburg, geht dieser Frage nach<br />

Forschen<br />

und spielen<br />

immer wieder auf den ersten Impuls des<br />

künstlerisch recherchierenden Blickes<br />

zurückbezogen werden. <strong>Die</strong> spürbare<br />

Verwandtschaft der ansonsten sehr unterschiedlichen<br />

Partner in diesem Punkt<br />

war für mich die größte Überraschung.<br />

Ofensichtlich teilen wir das künstlerische<br />

Interesse an etwas, das Dirk Baecker<br />

einmal die „Naturwissenschaft der Gesellschaft“<br />

* 1 genannt hat.<br />

Schauspieler als Co-Autoren<br />

und Mitgestalter<br />

Zugegeben: <strong>Die</strong> Rolle von Schauspielern<br />

in projekthaften Arbeiten ist ungeheuer<br />

kompliziert. Sie müssen sich in einem<br />

Feld bewegen, das (vielleicht nicht ohne<br />

Grund) zunächst von Bildenden Künstlern<br />

und Tänzern erkundet wurde. <strong>Die</strong><br />

sozialen Skulpturen von Joseph Beuys,<br />

die Pilotprojekte der Site Speciic-Art<br />

und alle davon abgeleiteten Formen<br />

künstlerischer Intervention verstanden<br />

sich als Arbeit an der Erweiterung unseres<br />

Kunstbegrifes, deren Chancen Schauspieler<br />

erst mit verständlicher Verspätung<br />

nachvollziehen konnten. <strong>Die</strong> damit<br />

verbundenen Infragestellungen des eige-<br />

Foto: M.Korbel


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 49<br />

Der multiple Schauspieler<br />

EIN BEISPIEL FÜR PARTIZIPATIVES UND<br />

RECHERCHIERENDES THEATER: STADT-<br />

PROJEKT „HASLACH DEINE HEIMAT“.<br />

IM BAUM MONICA GILLETTE, MIT EINER<br />

NACHBARIN AUS FREIBURG-HASLACH<br />

nen Selbstverständnisses bei gleichzeitiger<br />

Verschiebung bzw. Erweiterung der<br />

eigenen Erkenntnis- und Wirkungsmöglichkeiten<br />

sind für alle, die diesen Vorgang<br />

nicht nur als Verlust wahrnehmen,<br />

von hohem künstlerischem Reiz. Es ist<br />

an anderen Stellen ausführlich beschrieben<br />

worden, inwiefern die Aneignung<br />

von Techniken wie Recherche und Interview,<br />

inwiefern das Entwickeln von Texten,<br />

Spielvorgängen und performativen<br />

Ereignissen die Schauspieler in projekthaften<br />

Arbeiten zu Co-Autoren und Mitgestaltern<br />

werden lässt. In meinen Augen<br />

ein Emanzipationsprozess mit großen<br />

Rückwirkungen auf den Bereich der herkömmlichen<br />

Rollenarbeit. Und ein Gewinn<br />

an sozialer und politischer Kompetenz,<br />

der sich für mich in Freiburg auch<br />

da zeigt, wo Schauspieler mit Laien zu<br />

forschenden und spielenden Gemeinschaften<br />

zusammenkommen. Meine Kollegin<br />

Viola Hasselberg hat unlängst in<br />

Dresden begründet, warum wir in Freiburg<br />

die Bürgerbühne bewusst nicht auslagern,<br />

sondern Laien und Experten des<br />

Alltags immer wieder in ausgewählte<br />

Projekte mit einbeziehen, wo sie am<br />

Ende gemeinsam mit Schauspielern auf<br />

der <strong>Bühne</strong> stehen und ein erweitertes<br />

Ensemble bilden. Um die dabei entstehenden<br />

Lernprozesse adäquat bearbeiten<br />

zu können, haben wir gemeinsam beschlossen,<br />

an Samstagen nicht mehr zu<br />

probieren, sondern einen freien Denk-<br />

Raum zu schafen.<br />

Ein neuer Begrif<br />

von Volkstheater<br />

Bernd Stegemanns „Kritik des Theaters“<br />

(siehe auch S. 44) stellt viele Aspekte unserer<br />

Arbeit auf kluge und beunruhigende<br />

Weise in Frage. Bei einer Diskussion<br />

seiner politisch-ästhetischen Analyse in<br />

der Freiburger Dramaturgie haben wir<br />

jedoch gemeinsam festgestellt, dass diese<br />

Kritik zumindest eine Leerstelle aufweist.<br />

Nämlich die Gesamtheit der Suchbewegungen,<br />

mit denen das Stadttheater an<br />

einem neuen Begrif von Volkstheater<br />

arbeitet: Wo es künstlerische Forschung<br />

im Referenzraum seiner Städte betreibt,<br />

wo es seine Grenzen öfnet für die Teilhabe<br />

und Teilnahme von möglichst vielen<br />

Bewohnern dieser Städte oder sich umgekehrt<br />

mit seinen Sondierungs-Möglichkeiten<br />

in die unterschiedlichsten Wirklichkeitsschichten<br />

seiner Städte begibt,<br />

um das Globale im Lokalen zu greifen und<br />

begreifen zu können. Womit wir wieder<br />

bei Dirk Baeckers „Naturwissenschaft der<br />

Gesellschaft“ sind: Selbst wenn man mit<br />

Baecker feststellt, dass die Kunst des Schauspielers<br />

immer eine forschende/recherchierende<br />

Kunst ist * 2 , so stellt doch die<br />

hier gemeinte künstlerische Forschung<br />

(oder genauer: die künstlerische Praxis<br />

als Forschung) einen Paradigmenwechsel<br />

dar, dessen Auswirkungen auf die Rolle<br />

der professionellen Spieler in Stegemanns<br />

Kategorien von Schau-Sein und<br />

Schau-Spielen nicht zu fassen sind. Hier<br />

bewegen wir uns alle, Spieler und Spielleiter,<br />

ins Ofene der erst bruchstückhaft<br />

(be)greifbaren „nächsten Gesellschaft“,<br />

in der wir mit der Kapazität unserer<br />

Rechner nicht mehr Schritt halten kön-<br />

nen und unser Menschenbild von den<br />

Technowissenschaften vom homo faber<br />

zum homo creator erweitert wird. Meine<br />

Hypothese: Während die technowissenschaftliche<br />

Forschung sich zunehmend<br />

den Status einer künstlerischen Praxis<br />

anmaßt, könnten umgekehrt die Künstler<br />

am ehesten in der Lage sein, diese „historische<br />

Mentalitätsverschiebung“* 3 zu erfassen<br />

und durch Darstellung gesellschaftlich<br />

diskutierbar zu machen.<br />

Vorausgesetzt, wir betrachten es auch<br />

weiterhin als unsere Aufgabe, uns auf den<br />

<strong>Bühne</strong>n der Stadttheater zusammen mit<br />

dem Publikum darüber zu verständigen,<br />

in welcher Zukunft wir leben wollen.<br />

Darstellende Kunst als soziale<br />

und politische Praxis<br />

Es wäre schön, wenn in den Schauspielerbiographien<br />

der Zukunft die Teilnahme<br />

und Mitarbeit an projekthaften Arbeiten<br />

den gleichen Stellenwert erhielte wie die<br />

Hamlets, Ferdinands, Gretchens und<br />

Emilias. Und vielleicht könnte die Akademie<br />

der Darstellenden Künste neben<br />

dem Gertrud-Eysoldt-Ring in Zukunft<br />

einen Erdem Gündüz-Preis für Darstellende<br />

Kunst als soziale und politische<br />

Praxis verleihen.<br />

*1 Dirk Baecker, Wozu Theater?, S.20f<br />

*2 Dirk Baecker, Kunstformate (Kulturrecherche), S.79 f<br />

*3 Alfred Nordmann, Experiment Zukunft – <strong>Die</strong> Künste im<br />

Zeitalter der Technowissenschaften, S.8<br />

DER AUTOR<br />

Josef Mackert ist Chefdramaturg am Theater Freiburg. Er begleitete<br />

dort die von der Bundeskulturstiftung geförderten Langzeitprojekte<br />

Heimspiel, Wanderlust und Doppelpass. 2<strong>01</strong>1 erschien das von ihm<br />

zusammen mit Heiner Goebbels und Barbara Mundel herausgegebene<br />

Arbeitsbuch „HEART OF THE CITY. Recherchen zum<br />

Stadttheater der Zukunft“.


50 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Der Regisseur und<br />

Theatermacher<br />

Hans-Werner<br />

Kroesinger bringt<br />

meist düstere<br />

zeitgeschichtliche<br />

Themen auf<br />

die <strong>Bühne</strong>n.<br />

In seinem<br />

dokumentarischen<br />

Theater ist<br />

der Schauspieler<br />

zugleich<br />

Rechercheur,<br />

Dramaturg und<br />

Faktenvermittler<br />

Experten<br />

auf Zeit<br />

HANS WERNER KROESINGER<br />

BEI DER PROBENARBEIT<br />

Text_ Barbara Behrendt<br />

Ein Schauspieler seines Teams, sagt Hans-<br />

Werner Kroesinger, muss sich für das Thema<br />

der Inszenierung interessieren, er muss<br />

„gern lesen, gut sprechen und in der Lage<br />

sein, selbstständig zu arbeiten“. Das klingt zunächst<br />

lapidar. Bei einem typischen Kroesinger-Abend stehen<br />

fünf Schauspieler gemeinsam auf der <strong>Bühne</strong>,<br />

führen durch Räume des Theaters und überhäufen<br />

den Zuschauer zwei Stunden lang mit Fakten zu einem<br />

komplexen Thema aus der jüngeren Geschichte,<br />

wie etwa dem Genozid an den Tutsi in Ruanda<br />

oder dem Bürgerkrieg im Libanon. Sie sind Reiseführer<br />

des fremden Landes, geben Politik- und Landeskundeunterricht,<br />

referieren historische Originaldokumente,<br />

zitieren Befehlshaber sowie Opfer und<br />

collagieren das mit literarischen und tagesaktuellen<br />

Texten. Manchmal stellen sie eine Pressekonferenz<br />

oder Teile eines Gerichtsprozesses nach, wechseln<br />

dabei stetig die Rollen.


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 51<br />

Der multiple Schauspieler<br />

PROBEN ZU „FRONTEX<br />

SECURITY“ AM BERLI-<br />

NER THEATER HEBBEL<br />

AM UFER. PREMIERE<br />

WAR AM 13.12.2<strong>01</strong>3<br />

„Gern lesen“ bedeutet: Vor und bei Probenbeginn<br />

eine Menge Recherchematerial durcharbeiten zu<br />

wollen. „Gut sprechen“ meint: Den vollständigen<br />

Stücktext parat zu haben, um auf die Sekunde genau<br />

mit einem halben Satz einzusetzen, bevor der Kollege<br />

die zweite Hälfte übernimmt. „Selbständig arbeiten“:<br />

eine eigene Haltung zum Gegenstand zu gewinnen.<br />

Das ist alles andere als lapidar.<br />

Während Dokumentartheater-Kollegen wie Rimini<br />

Protokoll Laien als Experten des Alltags auf die <strong>Bühne</strong><br />

stellen und von ihren Erfahrungen berichten<br />

lassen, engagiert Kroesinger professionelle Schauspieler<br />

als Experten auf Zeit. „Ich würde nie mit Personen<br />

arbeiten, die auf der <strong>Bühne</strong> ihre persönliche<br />

Geschichte erzählen“, grenzt er sich ab und macht so<br />

die Grundzüge seines Theaterverständnisses deutlich.<br />

Präsentiere sich ein Laie<br />

mit seiner Lebensgeschichte<br />

auf der <strong>Bühne</strong>, verwandele<br />

sich diese zu einem geschützten<br />

Raum für seine Erzählung.<br />

Sie lässt die emotionale<br />

Einfühlung des Publikums zu<br />

– das allein ist Kroesinger aber<br />

zu wenig und erinnert ihn an<br />

gefühliges „Überwältigungskino“.<br />

Er möchte keine Betroffenheit<br />

wecken, sondern entschlüsseln:<br />

Wie kommt es zu<br />

diesem Konlikt? Wer proitiert davon? Inwieweit ist<br />

man selbst involviert? „Wenn ich eine blutende<br />

Wunde habe, dann löst das Empathie aus. Ich will<br />

aber weiter gehen: Wie tief ist die Verletzung? Welche<br />

Nervenbahnen sind betrofen? Wer hat die<br />

Wunde verursacht?“<br />

Der Schauspieler hat in Kroesingers Theater somit<br />

nicht die Aufgabe, dem Zuschauer etwas vorzuspielen,<br />

sondern ihm, in der Tradition Brechts, den<br />

Sachverhalt zu erklären. Er soll „kein Blindenhund<br />

sein“, dem man folgt, sondern jemand, der<br />

Angebote macht, aus denen das Publikum auswäh-<br />

len kann – und muss: Aus der Lawine von Fakten<br />

kann der Zuschauer unmöglich mehr als eine<br />

Handvoll Informationen festhalten. „Wir überfordern<br />

uns und wir überfordern den Zuschauer“,<br />

lautet Kroesingers Rezept.<br />

Hans-Werner Kroesinger entdeckte das dokumentarische<br />

Theater vor bald 20 Jahren für sich, zu einer<br />

Zeit, als die Vertreter von Rimini Protokoll in Gießen<br />

noch mitten im Studium steckten. Kroesinger,<br />

ebenfalls Absolvent des dortigen Instituts für Angewandte<br />

Theaterwissenschaft, ist einer der wichtigsten<br />

Vertreter des dokumentarischen Theaters in<br />

Deutschland, seit Jahren arbeitet er auch international.<br />

<strong>Die</strong> Themen seiner Inszenierungen lesen sich<br />

wie eine Aulistung der Traumata und Einschnitte,<br />

die es aus der jüngeren Geschichte aufzuarbeiten<br />

gilt: der Eichmann-Prozess in Israel, der <strong>Deutsche</strong><br />

Herbst, Völkermord an den Armeniern, palästinensische<br />

Selbstmordattentäter, der Einsatz von Kindersoldaten.<br />

Obwohl Kroesinger das Theater hauptsächlich<br />

als Analyse- und Informationsmedium begreift,<br />

das Sachverhalte so aufbereitet, wie es die Medien<br />

heute vernachlässigen, weiß er auch den Raum theatral<br />

zu bespielen – hier schlagen seine Lehrjahre<br />

bei Robert Wilson in den 1980ern durch.<br />

Kroesingers Schauspieler leisten weit mehr, als Fakten<br />

aufzusagen. Und doch ist eine perfekte Sprechtechnik<br />

wichtiger als das Körperspiel. „Der Körper<br />

ist bei uns ein bisschen vernachlässigt.“ <strong>Die</strong> meiste<br />

Kraft gehe nun mal ins Sprechen auf hohem Energie-<br />

und Konzentrationslevel. In den Proben verwendet<br />

Kroesinger viel Zeit dafür, einen Satz so sprechen<br />

zu lassen, dass er „die größte Sprengkraft“<br />

besitzt. Bevor daran aber gearbeitet werden kann,<br />

muss aus den Materialbergen, die der Theatermacher<br />

und seine Dramaturgin vor Probenbeginn zusammengetragen<br />

haben, gemeinsam mit den Schauspielern<br />

ein Stück erarbeitet werden.<br />

„In den ersten zwei Wochen sitzen wir nur um einen<br />

großen Tisch wie in der Uni und diskutieren Texte.“


52 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Der Prozess, das geeignete Material für die <strong>Bühne</strong><br />

auszuwählen, ist weitgehend demokratisch. Der Regisseur<br />

hat zwar das letzte Wort, trotzdem muss das,<br />

was die Gruppe auf der <strong>Bühne</strong> präsentiert, das sein,<br />

was sie für wichtig hält. Jeder Schauspieler muss<br />

nicht nur hinter dem eigenen Text stehen, sondern<br />

auch hinter dem des Kollegen. „Wir sind natürlich<br />

keine Soziologen, Historiker oder Aktivisten, es ist<br />

eine Anmaßung, was wir tun“, sagt Kroesinger.<br />

„Aber wir beglaubigen das durch unsere Ernsthaftigkeit.“<br />

Viele Schauspieler arbeiten schon seit zehn<br />

Jahren mit ihm. Er achtet allerdings darauf, in jede<br />

Produktion neue Künstler zu integrieren, damit es<br />

„nicht zu gemütlich wird“ und die Gewissheit über<br />

bestimmte Fragen aufgebrochen wird.<br />

Eine andere Herausforderung ist es für Kroesinger,<br />

an Stadt- und Staatstheatern mit festen Ensembles<br />

zu inszenieren. <strong>Die</strong> Zeit, das Material zu erarbeiten<br />

und zu diskutieren, haben Schauspieler im normalen<br />

Repertoirebetrieb schlichtweg nicht. Oft wird<br />

ein Gast zur Unterstützung engagiert, damit die Produktion<br />

gestemmt werden kann. Im Laufe der letzten<br />

Jahre haben die Schauspieler in Kroesingers<br />

Arbeiten neue Freiheiten bekommen. Wechselten<br />

sie früher in den eingestreuten Spielsequenzen minütlich<br />

die Rollen, so deutet heute ein Spieler<br />

manchmal über den ganzen Abend hinweg dieselbe<br />

Figur an. „In den Schattenriss einer Figur treten“<br />

nennt Kroesinger das. <strong>Die</strong> Szene werde dadurch fürs<br />

Publikum besser lesbar – und spürbar. Eine empathische<br />

Einfühlung ist nun doch zeitweise möglich.<br />

Und auch im Einsatz der Mittel ist heute eine größere<br />

Sinnlichkeit zu spüren, die Abende wirken spielerischer,<br />

weniger spröde als vor einem Jahrzehnt.<br />

Ein Grund für diese Entwicklung sei auch, dass heutzutage<br />

nicht mehr so viel Kenntnis zu einem Thema<br />

vorausgesetzt werden könne. Ergeben haben sich<br />

diese neuen Tendenzen in Kroesingers Arbeit bei<br />

den Proben zu seinem prämiertem Stück „Kindertransporte“<br />

über die 10 000 jüdischen Kinder, die<br />

ohne ihre Eltern 1938/39 nach Großbritannien geschickt<br />

wurden. Inszeniert hat er das 2007 für Jugendliche<br />

am Berliner Theater an der Parkaue. Für<br />

das junge Publikum suchte er einen sinnlicheren<br />

Zugang zum Stof. „Das hat mir Spaß gemacht,<br />

und ich habe gemerkt, dass man mit dem Material<br />

nicht ganz so streng sein muss. Man beschädigt es<br />

nicht.“ Mittlerweile, so sagt er, könne er viel mehr<br />

von dem zulassen, was die Schauspieler an szenischen<br />

Ideen mitbringen. Sie spielten nun „weit<br />

weniger mit angezogener Handbremse“. In seiner<br />

nächsten Inszenierung greift Kroesinger mit<br />

Schauspielern vom Theater Augsburg den Bombenangrif<br />

auf die Stadt vor 70 Jahren auf (Premiere:<br />

15.2.); im Juni ist dann am HAU (Hebbel am<br />

Ufer) in Berlin „Schlachtfeld Erinnerung“ zu sehen,<br />

ein Abend zum ersten Weltkrieg.<br />

DER REGISSEUR<br />

Hans-Werner Kroesinger:<br />

- Geboren 1962 in Bonn<br />

- 1983 bis 1988 Studium der<br />

Angewandten Theaterwissenschaft<br />

in Gießen<br />

- Mitarbeit bei Robert Wilson und Heiner Müller<br />

- Seit 1993 Inszenierungen an Stadt- und Staatstheatern<br />

sowie in der freien Szene, 1997 auf der<br />

documenta in Kassel<br />

- 2007 Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin für<br />

„Kindertransporte“ am Theater an der Parkaue<br />

Fotos: Braun/drama-berlin.de (3), David Baltzer (3)<br />

KROESINGER-INSZENIE-<br />

RUNGEN: „FAILED<br />

STATES ONE: SOMALIA“<br />

AM HEBBEL AM UFER<br />

IM JANUAR 2<strong>01</strong>3.<br />

„RUANDA REVISITED“<br />

AN SELBER STELLE IM<br />

JAHR 2009


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 53<br />

Der multiple Schauspieler<br />

Laientheater:<br />

drei meinungen<br />

Laien und Profis teilen sich inzwischen die Theaterbühnen. Was bedeutet<br />

das für die ausgebildeten Schauspieler? Rainer Galke, Frank Wickermann<br />

und Urs-Peter Halter berichten von ihren Begegnungen mit „Laienspielern“<br />

Rainer Galke:<br />

„Ich bin gerne bereit,<br />

mit Laien zu spielen.<br />

Am spannendsten<br />

finde ich es, Laien auf<br />

der <strong>Bühne</strong> zu sehen,<br />

wenn sie etwas spezielles<br />

aus ihrem umfeld<br />

zu sagen haben.“<br />

Frank Wickermann<br />

„Wenn ich mit Laien<br />

spiele, versuche ich,<br />

mit ihnen Erfahrungen<br />

aus dem Spiel zu<br />

entwickeln. Oder ich<br />

versuche, leicht zu<br />

provozieren, fordere<br />

eine Reaktion.“<br />

Urs-Peter Halter<br />

„Als Regisseur<br />

beginne ich mit Körperübungen,<br />

Rumrennen,<br />

Fangen. Das sind<br />

Grund elemente aus<br />

der Schauspielausbildung,<br />

die eine<br />

Wachheit erzeugen.“<br />

Schriftfassung: Stefan Keim<br />

FRANK WICKERMANN<br />

(Schauspieler, seit 2008 fest engagiert am<br />

Schlosstheater Moers):<br />

„Als ich aus dem Festvertrag am Theater<br />

Oberhausen ausstieg, hab ich mir die<br />

Frage gestellt, was bedeutet mein Beruf<br />

jenseits des Theaterbetriebes? Hat er<br />

noch Berührungspunkte mit der jetzigen<br />

Gesellschaft? Ich habe am Theater<br />

Kohlenpott in Herne angefangen, mit<br />

Schülern und Lehrern zu arbeiten. Es<br />

ging darum, durch das Spiel und das Aus-


54 SCHWERPUNKT<br />

Der multiple Schauspieler<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

probieren von Rollen Dinge anders zu<br />

sehen, andere Positionen einzunehmen.<br />

Zur Zeit mache ich in Moers Workshops<br />

in Kindergärten, mit den Erzieherinnen.<br />

Da geht es ums Geschichtenerzählen,<br />

aber auch um Kommunikation und Körperwahrnehmung<br />

in Konliktsituationen.<br />

Zum Beispiel: Ich binde einem Kind<br />

die Schuhe zu, ein Elternteil kommt und<br />

mault mich von oben an. Um jetzt eine<br />

Kommunikation auf Augenhöhe zu führen,<br />

muss ich erst die körperliche Situation<br />

verändern, also aufstehen. Klingt<br />

einfach, ist aber für die Erzieherinnen<br />

ein Aha-Erlebnis. Mit solchen Theatermitteln<br />

– diese „Statusspiele“ hat ja<br />

Keith Johnstone analysiert – kann man<br />

sehr viel bewegen.<br />

Als Schauspieler komme ich vom Spieltrieb<br />

her. Ich will nichts beweisen oder<br />

demonstrieren. Es geht mir darum, dass<br />

die Beteiligten in den Workshops Erfahrungen<br />

machen. Man erweitert seine<br />

Persönlichkeit, wenn man sich in verschiedenen<br />

Rollen erlebt. Im <strong>Bühne</strong>nkampf<br />

ist es so, dass das Opfer die Gewalt<br />

spielt, den Schmerz, und der Täter darf<br />

die Gewalt nicht ausüben. Beide müssen<br />

gut zusammen spielen, sonst wirkt es<br />

nicht. In den Workshops mit Schülern<br />

wechseln wir die Positionen. Jeder ist<br />

mal Opfer, jeder ist mal Täter.<br />

Ich beobachte im Spiel sehr viel, gebe<br />

Impulse, treibe mal die Stimmung hoch.<br />

Wir hatten jetzt eine Szene, da spiele ich<br />

mit einer Expertin, wie wir sie nennen,<br />

Kind und Hund. Ich bin der Hund, und<br />

sie soll mich gespielt hauen. Das war für<br />

sie eine Überwindung. Für diese Frau<br />

war es ein Riesenschritt, Gewalt auszuüben,<br />

so etwas für sich zuzulassen. Ich<br />

arbeite ganz bewusst am Schlosstheater<br />

Moers, weil hier jenseits des Abobetriebs<br />

geschaut wird, was Theater für Aufgaben<br />

in der heutigen Gesellschaft hat.“<br />

RAINER GALKE<br />

(Schauspieler, seit 2006 fest engagiert am<br />

Düsseldorfer Schauspielhaus):<br />

„Ich bin gerne bereit, mit Laien zu spielen.<br />

Am spannendsten inde ich es, Laien<br />

auf der <strong>Bühne</strong> zu sehen, oder ihnen dort<br />

zu begegnen, wenn sie etwas Spezielles<br />

aus ihrem Umfeld zu sagen haben. Ich<br />

selber habe, noch bevor ich auf die<br />

Schauspielschule gekommen bin, Anfang<br />

der neunziger Jahre in Bonn ein<br />

Projekt mit Jeremy Weller gemacht. So<br />

etwas war zu der Zeit noch Neuland. Ich<br />

war damals Statist am Schauspielhaus<br />

und wollte auf die Schauspielschule. Es<br />

ging um die Frage: Wer spielt Hamlet?<br />

Was macht den Schauspieler in uns aus?<br />

Jeder von uns hatte in Improvisationen<br />

eine eigene theatralische Umsetzung<br />

seiner Geschichte gefunden, die gerade<br />

ihn befähigt, Hamlet zu spielen. Wir haben<br />

nichts anderes gespielt als das, was<br />

wir waren. So macht es Sinn. Etwas anderes<br />

sollte man von Laien nicht erwarten.<br />

Ich erinnere mich allerdings auch,<br />

dass die Schauspieler damals teilweise<br />

sehr irritiert waren, dass sie gleichberechtigt<br />

neben den Laien auf der <strong>Bühne</strong><br />

stehen sollten.<br />

Zur Zeit sind die „Experten des Alltags“,<br />

Laienprojekte und Stadtteilerkundungen<br />

ziemlich in Mode. Manchmal gehen<br />

bei Projekten mit Laien an Stadttheatern<br />

aber Anspruch und Wirklichkeit ausein-<br />

ander. Ich habe in einer Produktion mitgespielt,<br />

da sollten Schauspieler aus der<br />

Elterngeneration auf Jugendliche (ihre<br />

Kinder) trefen. Ich hatte mich sehr darauf<br />

gefreut, dass wir zusammen arbeiten<br />

und improvisieren, uns gegenseitig befruchten;<br />

ich war nun gespannt, wie ich<br />

jetzt aus der Sicht des „Prois“ mit dem<br />

Zusammentreffen klar komme. Auch<br />

weil ich inzwischen selber Vater bin und<br />

es um das Thema Väter und Söhne ging.<br />

Das fand aber gar nicht erst statt, weil<br />

man für diesen, für mich wichtigsten,<br />

Punkt der Arbeit zu wenig Zeit eingeplant<br />

hatte. <strong>Die</strong> Jugendlichen waren genau<br />

gecastet, alle hatten Vorbildung und<br />

Ambitionen. Sie haben ihre Sache sehr<br />

gut gemacht, trotzdem konnte unterm<br />

Strich nur eine bessere Schultheateraufführung<br />

herauskommen, denn die Jugendlichen<br />

wurden im Endefekt nur<br />

inszeniert und auf die <strong>Bühne</strong> gestellt.<br />

Egal, wie talentiert Laien sind, sie sind<br />

keine Schauspieler.<br />

Ich hatte mal eine sehr schöne Begegnung<br />

mit Rimini Protokoll. <strong>Die</strong> Kollegen<br />

wollten in ihr Stück „Newsroom“ mit<br />

Experten des Alltags eine Metaebene einziehen:<br />

Alle sollten spontan lachen. So<br />

einen Bruch zu spielen, war sehr schwierig<br />

für die Laien-Darsteller. Den Darstellern<br />

war dieser Umgang mit einem formalen<br />

Mittel anfangs sehr fremd und<br />

unverständlich. Deshalb wurde ich geholt,<br />

um mit ihnen einen „Lachworkshop“<br />

zu machen und um aus meiner<br />

Erfahrung zu berichten, wie man technisch<br />

mit solchen Aufgabenstellungen<br />

umgehen kann.“<br />

Fotos: Klaus <strong>Die</strong>ker, Sebastian Hoppe (2)


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 SCHWERPUNKT 55<br />

Der multiple Schauspieler<br />

WEITERE INFOS ZUM<br />

SCHWERPUNKT<br />

URS-PETER HALTER<br />

(Schauspieler und Regisseur, seit 2006 am<br />

Düsseldorfer Schauspielhaus engagiert.<br />

Am Schauspiel Essen wirkte er Volker<br />

Löschs Inszenierung „Rote Erde“ mit.):<br />

„Am Anfang fanden die Proben mit den<br />

jungen Arbeitslosen aus Essen noch gesondert<br />

von uns Schauspielern statt. <strong>Die</strong>se<br />

arbeiteten erst einige Zeit mit dem<br />

Chorleiter Bernd Freytag zusammen.<br />

Danach probten wir ununterbrochen<br />

mit ihnen gemeinsam, teilten ihre Erfahrungen,<br />

sie waren ein Teil der Produktion.<br />

Das war nah und befreiend und hat<br />

viel mit der Art des Regisseurs zu tun.<br />

Volker Lösch hat eine sehr gute Art, mit<br />

Darstellern auf der <strong>Bühne</strong> umzugehen.<br />

Er respektiert jeden einzelnen und<br />

macht keine Unterschiede. Auch Laien<br />

geht er hart an, hat aber auch immer<br />

Witz und eine große Liebe. Das war am<br />

Anfang für die meisten sehr irritierend,<br />

gleichzeitig hat er sie sofort gehabt, weil<br />

sie das so noch nie erlebt haben.<br />

Natürlich gehen Schauspieler anders<br />

miteinander um, haben eine eigene Art<br />

zu reden. Aber wir sind oft alle gemeinsam<br />

weggegangen, haben viel übereinander<br />

erfahren, wir Schauspieler mussten<br />

aber auch auspacken. Denn die<br />

Fragen nach den persönlichen Erfahrungen<br />

hat Lösch in großer Runde auch<br />

an die Schauspieler gestellt. Da musste<br />

ich Sachen beantworten, die ich seit der<br />

Schauspielschule nicht mehr öfentlich<br />

diskutiert hatte. Wir saßen alle zusammen,<br />

<strong>Bühne</strong>nbildner, Kostümbildner,<br />

Assistenten, Schauspieler, die Jungs, und<br />

man musste anfangen, über sein Leben<br />

zu reden. „Erzähl mal, wie du aufgewachsen<br />

bist.“ Oder über den Begrif von<br />

Arbeit. „Wann wart ihr denn arbeitslos?“<br />

Über so etwas sprechen Schauspieler<br />

nicht gern. Aber fast jeder hat seine<br />

Geschichten.<br />

Als Regisseur beginne ich mit spielerischen<br />

Körperübungen, Rumrennen,<br />

Fangen. Das sind Grundelemente aus<br />

der Schauspielausbildung, die eine<br />

Wachheit erzeugen. Bei „27“ am Jungen<br />

Düsseldorfer Schauspielhaus habe ich<br />

mit fünf Schülern und vier Leuten um<br />

die 75 gearbeitet. <strong>Die</strong> Rentner kommen<br />

von zu Hause, die Schüler aufgeladen<br />

aus der Schule. Das sind unterschiedliche<br />

Körpertemperaturen. Ich versuche,<br />

sie mit schnellen Spielen wach zu machen,<br />

den Alltag wegzuhauen, sie reinzuwaschen,<br />

oft mit lauter Musik. <strong>Die</strong><br />

Älteren reagieren erst irritiert, dann<br />

stürzen sie sich rein, werden itter, auch<br />

im Denken.<br />

Ich sehe keinen Sinn darin, mit Laien<br />

„Richard III.“ oder den „Besuch der alten<br />

Dame“ zu inszenieren. <strong>Die</strong> Verknüpfung<br />

mit ihrem Leben ist nicht da. Ich<br />

bleibe als Zuschauer nicht beim Inhalt,<br />

sondern bin mit dem Gedanken beschäftigt:<br />

Kriegen die das hin? Wenn sie<br />

etwas von sich selbst preisgeben, bin ich<br />

sofort bei ihnen. Der Reiz von Laienprojekten<br />

ist der subjektive Einblick in deren<br />

Realität, wie im Dokumentarilm.<br />

Und dem Spiel mit dieser Realität, so<br />

ganz anders als beim Dokumentarilm.<br />

Bei der Häufung von Laienprojekten<br />

denkt man sich manchmal, das hat auch<br />

mit dem Sparzwang der Theater zu tun.<br />

Es muss aber eine künstlerische Notwendigkeit<br />

da sein. Sonst wird die Sache<br />

sehr zwiespältig.“<br />

Buchtipps zu Rimini Protokoll und<br />

Bernd Stegemann:<br />

Rimini Protokoll: ABCD.<br />

Saarbrücker Poetikdozentur<br />

für Dramatik<br />

Hg. V. Johannes Birgfeld<br />

Verlag Theater der Zeit<br />

Berlin 2<strong>01</strong>2<br />

173 Seiten, 16 Euro<br />

In diesem eigenwilligen<br />

Theater-ABC beschreiben Helgard Haug,<br />

Stefan Kaegi und Daniel Wetzel zentrale<br />

Begrife ihrer Theaterarbeit.<br />

Bernd Stegemann:<br />

Kritik des Theaters<br />

Verlag Theater der Zeit<br />

Berlin 2<strong>01</strong>3<br />

334 Seiten, 24,50 Euro<br />

Ein brillant geschriebenes<br />

Werk, das am Kern<br />

des Gegenwartstheaters<br />

kratzt: der Performance.<br />

Buchtipp zu Joachim Meyerhof:<br />

Joachim Meyerhof:<br />

Wann wird es endlich<br />

wieder so, wie es nie war.<br />

Alle Toten liegen hoch,<br />

Teil 2<br />

Kiepenheuer & Witsch<br />

Verlag Köln 2<strong>01</strong>3<br />

352 Seiten, 19,99 Euro<br />

Liebevoll und schlau beschreibt Joachim<br />

Meyerhof die Welt seiner Jugend.<br />

Das aktuelle Stück zum Schwerpunkt:<br />

Martin Heckmanns: Es wird einmal<br />

Schauspielhaus Bochum (UA 14.12.2<strong>01</strong>3)<br />

Ein Vorsprechen am Theater wird zum<br />

modernen Mysterienspiel.<br />

Weitere Termine: 12.1./18.1./25.1.2<strong>01</strong>4


85. Jahrgang | Jan. 2<strong>01</strong>4 | H 4724 E | Deutschland 7,00 Euro<br />

Österreich 8,50 Euro | Schweiz 12,60 CHF<br />

Schauspiel<br />

Tanz<br />

Musiktheater<br />

DER FAUST:<br />

Verleihungs-Gala<br />

in Berlin<br />

Porträt:<br />

Katharina Kreuzhage,<br />

neu in Paderborn<br />

Kritik im Dialog:<br />

Giuseppe Verdis<br />

politische Sendung<br />

<strong>01</strong><br />

14<br />

4 190472 407004 <strong>01</strong><br />

SCHWERPUNKT<br />

Der multiple<br />

Schauspieler


<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 1/2<strong>01</strong>4<br />

AUFFÜHRUNGEN 57<br />

Aufführungen<br />

Foto: Bernd Uhlig<br />

Drei frühe Verdi-Werke hat die Hamburgische Staatsoper<br />

auf ihren Spielplan gewuchtet (das Foto zeigt Giuseppe Filianoti<br />

und Amarilli Nizza in „I due Foscari“); wir bringen eine „Kritik im<br />

Dialog“ zu den politischen Ideengehalten der drei Werke und<br />

präsentieren dazu zwei weitere unbekannte Verdi-Opern: „Stifelio“<br />

und „Giovanna d‘Arco“. Außerdem: Generationenkonlikte sind<br />

ein großes Theaterthema – gemeinsam mit der Psychotherapeutin<br />

Kornelia Wulf haben wir zwei Auführungen in Berlin besucht.


58 AUFFÜHRUNGEN<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

DER<br />

UNBEKANNTE<br />

Drei frühe Verdi-Opern, alle<br />

inszeniert von David Alden:<br />

Damit gelang der Hamburgischen<br />

Staatsoper der spannendste<br />

<strong>Bühne</strong>n beitrag zum 200. Geburtstag<br />

des Komponisten. In einer<br />

„Kritik im Dialog“ mit dem<br />

Politologen und Opernkenner Udo<br />

Bermbach fragen wir nach Verdis<br />

politischer Botschaft<br />

VERDI<br />

KEIN WEG FÜHRT AUS<br />

DIESEM KERKER: GIUSEPPE<br />

FILIANOTI ALS GESCHUNDENER<br />

JACOPO IN „I DUE FOSCARI“<br />

EIN BLUTIGES FEST:<br />

MASSIMILIANO PISAPIA, ELZA<br />

VAN DEN HEEVER UND JOHN<br />

RELYEA IN „I LOMBARDI“<br />

Fotos (3): Bernd Uhlig


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 59<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE GANZE WELT IST<br />

EIN BUNKER: SZENE AUS „LA<br />

BATTAGLIA DI LEGNANO“ MIT<br />

YONGHOON LEE ALS ARRIGO<br />

IM DIALOG ÜBER VERDI:<br />

UDO BERMBACH,<br />

POLITOLOGE UND<br />

OPERNKENNER (RE.), UND<br />

DDB-CHEFREDAKTEUR<br />

DETLEF BRANDENBURG<br />

Detlef Brandenburg: Nach diesen drei Premieren mit frühen<br />

Opern von Giuseppe Verdi muss ich sagen: Das war ein hochanerkennenswerter<br />

und im Ergebnis auch sehr bereichernder<br />

Beitrag der Hamburgischen Staatsoper zum Verdi-Jahr. Bei<br />

mir haben diese drei Opernabende vor allem zwei starke<br />

Eindrücke hinterlassen: Zum einen war ich wirklich fasziniert<br />

davon, dass schon der junge Verdi ein grandioser Musikdramatiker<br />

war. Und zum anderen war ich erstaunt darüber, wie<br />

direkt und entschieden er in diesen frühen Werken politische<br />

Themen darstellt.<br />

Udo Bermbach: Ich stimme zu: kein anderes Opernhaus in<br />

Deutschland hat etwas Ähnliches zum Verdi-Jubiläum gewagt.<br />

Und ein künstlerisches wie ökonomisches Wagnis war dies ja<br />

auch: Wer konnte wissen, ob diese drei frühen Opern ,tragen‘<br />

würden? Wer konnte vorhersehen, dass alle Auführungen,<br />

auch die nach der Premiere, fast ausverkauft waren? – Erstaunlich<br />

ist in der Tat, wie realpolitisch Verdi in diesen frühen Werken<br />

bereits ist. Natürlich ist die „Battaglia“ von vornherein als<br />

eine Art ,Agitprop‘-Stück des Risorgimento angelegt, mit einem<br />

überdrehten Patriotismus, der uns heute eher peinlich berührt.<br />

Und doch: Das tragische Scheitern des Helden an der von ihm<br />

so ersehnten Revolution zeigt die Kosten, die individuell für<br />

Politik zu bezahlen sind. Und auch die „Foscari“ erzählen, jenseits<br />

der privaten Liebesgeschichte, von diesen Kosten der<br />

Macht. Das Bild des vereinsamten Dogen, der seinen Sohn verloren<br />

hat, zum Rücktritt gezwungen wird und, nachdem er alles<br />

verloren hat, tot zusammenbricht, ist eine berührende Szene.<br />

Und ein unmissverständlicher Kommentar Verdis zu einer Po-


60 AUFFÜHRUNGEN<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

litik, die alles andere als das Wohl des Einzelnen im Blick hat.<br />

Von den „Lombardi“ ganz zu schweigen, deren Untergang man<br />

schon ahnt, bevor sie überhaupt nach Palästina aufbrechen.<br />

Man sieht: Verdi war ein politischer Realist, ohne alle Illusionen,<br />

ohne utopische Hofnungen, bodenverhaftet und tief skeptisch<br />

gegenüber allen Politikern.<br />

Detlef Brandenburg: Ja, erstaunlich. Und ich inde, in Verdis Darstellung<br />

einer Depravation von Politik, die, statt das Gemeinwesen<br />

verantwortungsvoll und zum allgemeinen Besten zu gestalten,<br />

zu einem inhumanen Intrigen- und Interessenspiel verkümmert<br />

ist, liegen erstaunliche Parallelen zu unserer Gegenwart. Oder?<br />

Udo Bermbach: Nun ist Oper ja keine Anweisung zum politisch<br />

korrekten Handeln. Eher Spiegel einer Gesellschaft, in der das<br />

Wohl des Gemeinwesens und die Humanität der Verhältnisse<br />

zwar oizielle Vorgaben der Politik sind, die Akteure sich aber<br />

zumeist doch nicht darum scheren. Was wir alle ja gerade fast<br />

lehrstückhaft erlebt haben – und weiter erleben werden. Ziehen<br />

Sie die Globalisierung mal ab, dann sind die Verhältnisse im 19.<br />

Jahrhundert kaum anders als heute. Und eben darauf hat Verdi<br />

verblüfend genau reagiert. Da er die Politik so schnell durchschaut<br />

hatte, war er von ihr auch ebenso schnell bedient. Anders<br />

lässt sich sein kurzer Auslug ins italienische Parlament<br />

kaum deuten. Und seine Briefe, in denen die politische Resignation<br />

ja deutlich formuliert wird, bestätigen das.<br />

Detlef Brandenburg: Gerade deshalb fand ich es schade, dass der<br />

Regisseur David Alden diese politische Herausforderung, die ihm der<br />

junge Verdi da stellt, in seinen drei Inszenierungen eigentlich kaum<br />

angenommen hat. Er hat die Handlung nachgestellt, im eindrucksvollen<br />

<strong>Bühne</strong>nbild von Charles Edwards, aber es blieb doch alles<br />

sehr dekorativ und sehr altbacken in der Personenführung, und<br />

dadurch belanglos. Das hat mich besonders bei „I Lombardi“ enttäuscht,<br />

weil Verdi da ja eine ganz erstaunliche Gegenvision zur<br />

verkommenen Politik der Kreuzfahrer schaft: in der Figur der Giselda<br />

und ihren Anklagen und Visionen, vor allem auch in dieser<br />

grandiosen Szene mit konzertierender Solovioline, die das Geschehens<br />

ja fast ins Irreale entrückt. Zu alledem hatte Alden aber nicht<br />

Der unbekannte Verdi II<br />

ÜBERRASCHEND<br />

MODERN<br />

Verdis „Stifelio“ am<br />

Theater Krefeld/<br />

Mönchengladbach<br />

Text_Andreas Falentin<br />

MICHAEL WADE LEE IN DER<br />

TITELPARTIE VON „STIFFELIO“<br />

Kein Liebesduett. Nicht mal ‘ne Liebesarie.<br />

Kein Schmelz. Ganz wenig „Humtata“.<br />

<strong>Die</strong>ser unbekannte, von Verdi selber<br />

hochgeschätzte „Stifelio“, Rigolettos unmittelbarer<br />

Vorgänger, ist wirklich ein<br />

merkwürdiges Stück. Da hat der Titelheld,<br />

unterstützt von dem verwitweten<br />

Stankar auf der Suche nach dem Seelenheil,<br />

auf der Flucht in Tirol eine merkwürdige<br />

protestantische Sekte gegründet<br />

und Stankars Tochter Lina geheiratet.<br />

<strong>Die</strong> verliebt sich später in einen anderen


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 61<br />

Kritik im Dialog<br />

viel zu sagen. Oder habe ich da was übersehen?<br />

Udo Bermbach: Nein, Alden hat den Plot einfach nacherzählt,<br />

er ist nirgends auf die Potentiale der drei Stücke wirklich eingestiegen<br />

– erstaunlich bei einem Regisseur, der doch vor Jahren<br />

in München mit seinen völlig unkonventionellen Händel-Inszenierungen<br />

die Barock-Oper geradezu revolutioniert hat und<br />

dessen damals überbordende Phantasie man sich auch hier erhoft<br />

hätte. Da ist eine Chance vertan worden: Giseldas berührender<br />

Ruf nach Frieden, ihr mehrfach wiederholter Ausruf,<br />

Gott wolle keinen Kampf, kein Blut, keine Schlachten ist ja die<br />

eigentliche – und zur scheinbar einsinnigen Kreuzzugshandlung<br />

widerständige – Aussage der „Lombardi“, die sich dann in<br />

der von Ihnen erwähnten Szene ins Transzendente steigert. Das<br />

sollte Regie entsprechend aufnehmen. Ich weiß allerdings nicht,<br />

ob der Aufwand, drei Verdi-Opern gleichzeitig inszenieren zu<br />

müssen, in einem Einheitsbühnenbild und mit vermutlich<br />

knappen inanziellen Ressourcen, der Phantasie eines Regisseurs<br />

nicht notwendigerweise Grenzen setzt. Einhegungen, die<br />

er selbst lieber durchbrochen hätte.<br />

Detlef Brandenburg: Da würde ich als Kritiker immer sagen: Es<br />

zählt das gebrochene Wort. Wenn Herr Alden, der ja kein ganz<br />

unerfahrener Regisseur ist, sagt, dass er‘s macht, dann muss er‘s<br />

auch machen. Das heißt: Er muss die Werke auf Augenhöhe annehmen.<br />

Aber um zu etwas Positivem zu kommen: Simone Young<br />

hat das aus meiner Sicht wirklich umwerfende musikdramatische<br />

Talent des jungen Verdi vorbildlich zur Geltung gebracht, oder?<br />

Udo Bermbach: Ja, das sind eben Stücke, deren dramatischer<br />

Gestus ihr liegt. Sie hat das sehr diferenziert dirigiert, etwa das<br />

Terzett in der „Battaglia di Legnano“ kammermusikalisch begleitet,<br />

bei den großen Tableaus der Stücke aber auch aufgedreht,<br />

ohne die Sänger völlig zuzudecken, was gelegentlich<br />

schon mal vorkommen kann. Auch das Orchester war in guter<br />

Form, so dass hier alles zusammengestimmt hat. Wie fanden Sie<br />

denn die Sänger-Besetzungen?<br />

Detlef Brandenburg: Sehr durchwachsen für ein Haus von<br />

Rang und Anspruch der Staatsoper. Viele Partien waren nicht<br />

optimal besetzt und einige wirklich schlecht. <strong>Die</strong> Lucrezia in <br />

Foto: Matthias Stutte<br />

Mann, der schließlich von ihrem Vater<br />

umgebracht wird. Aber das sehen wir alles<br />

nicht. Sektengründung und Ehebruch<br />

liegen vor Beginn der Handlung – und<br />

der Mord indet hinter der <strong>Bühne</strong> statt.<br />

Wir sehen nur Figuren, die rasender Eifersucht,<br />

Ehrversessenheit und Gewissensqualen<br />

ausgeliefert sind. Dazu<br />

kommt eine sehr eigenwillige, meistens<br />

qualitativ hochwertige, unerwartet moderne<br />

Musik.<br />

<strong>Die</strong> Inszenierung am Theater Krefeld/<br />

Mönchengladbach zeigt die Gemeinde<br />

als geschlossenes System. Hartmut<br />

Schörghöfer fasst die <strong>Bühne</strong> mit Wänden<br />

in harter, leicht changierender Metalloptik<br />

ein. Manchmal öfnet sich ein Sichtfenster<br />

in der Rückwand und zeigt ein<br />

idyllisches Dorf an einem See. Helen<br />

Malkowsky nutzt die für Verdis Verhältnisse<br />

lange Ouvertüre für ein virtuoses<br />

stummes Tableau. Mit klaren Zeichen<br />

führt die Regisseurin einen ritualisierten<br />

Sektenalltag vor. Vor diesem Hintergrund<br />

gelingen kräftige Figuren. Mit ausladendem<br />

Bariton und fast beängstigender<br />

<strong>Bühne</strong>npräsenz charakterisiert<br />

Johannes Schwärsky bezwingend den<br />

Ex-Oizier Stankar, kriegswund an Leib<br />

und Seele und ehrversessen aus Haltlosigkeit.<br />

Izabela Matula gestaltet mit<br />

leuchtendem und geläufigem, in der<br />

Höhe etwas hartem Sopran seine zwischen<br />

verschiedenen männlichen Fremdbestimmungen<br />

hin- und hergerissene<br />

Tochter. Und Michael Lee Wade ist ein<br />

sehr fokussierter Stifelio mit leicht ansprechendem,<br />

bronzen überglänztem<br />

Tenor. Es brodelt spürbar in diesen Figuren,<br />

sie sind in sich selbst gefangen bis<br />

hin zur Kommunikationsstörung. Im<br />

Schlussakt greift Malkowsky folgerichtig<br />

in Verdis Dramaturgie ein. Sie lässt den<br />

Mord auf ofener <strong>Bühne</strong> und in der Kirche<br />

geschehen. <strong>Die</strong> Tat ist in der Welt.<br />

Man kann nicht einfach weitermachen.<br />

Ein echtes Statement. Aus dem Stück entwickelt<br />

und gegen es ins Feld geführt.<br />

Musikalisch ‚sitzt‘ der Abend. GMD<br />

Mihkel Kütson etabliert, auch mit dem<br />

hervorragenden Chor und dem zu viel<br />

Piano-Disziplin verplichteten Ensemble,<br />

einen klar konturierten, transparenten<br />

und gleichzeitig sehr dynamischen<br />

Klang, aus dem die präsenten, delikat<br />

spielenden Streicher herausstechen. Instrumente<br />

und Gesang leisten hier sehr<br />

deutlich – ofensichtlich im Einklang mit<br />

der Inszenierung – nicht nur eine Versinnlichung<br />

des Geschehens, sondern<br />

schafen auch epische Distanz. Der Zuschauer<br />

indet Menschen auf der <strong>Bühne</strong>,<br />

aber keine Freunde, keine Helden. Er soll<br />

nachdenken.


62 AUFFÜHRUNGEN<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

„I due Foscari“ beispielsweise: das ist eine fordernde, aber<br />

doch wirklich auch faszinierende, tolle Sopranpartie, mit der<br />

Amirilli Nizza aus meiner Sicht aber völlig überfordert war.<br />

Zuvor war ich schon bei „La battaglia di Legnano“ eigentlich<br />

mit keiner Stimme so richtig zufrieden gewesen (auch die<br />

von der Staatsoper zum Verdi-Kongress geladenen Experten<br />

haben ja nach der Vorstellung ziemlich gelästert, nicht wahr?).<br />

Wer mir trotzdem gut gefallen hat, war Yonghoon Lee, dessen<br />

Tenor zwar zu schwer ist für den Arrigo, aber die Stimme sitzt<br />

wenigstens, hat Feuer und Ausdruckskraft. Bei den „ Lombardi“<br />

muss ich sagen, dass zwar auch da keine Stimme optimal auf<br />

der jeweiligen Partie lag und einige beträchtlich weit darunter.<br />

Aber was beispielsweise Elza van den Heever als Giselda oder<br />

John Relyea als Pagano dann draus gemacht haben, fand ich<br />

beachtlich. Vor allem die dramatische Präsenz gerade dieser<br />

beiden – die haben mit der Stimme mehr über ihre Figuren vermittelt<br />

als Aldens ganze Personenführung. Und dann war auch<br />

der Chor für mich in allen drei Opern ein Erlebnis, eigentlich<br />

ein Hauptdarsteller, der seine Sache wirklich gut gemacht hat.<br />

Ich war mir allerdings nie so ganz sicher, ob die Platzierung der<br />

Chorsänger auf der Empore, die ja in der „Battaglia“ und den<br />

„Foscari“ durchgehalten und dann in den „Lombardi“ merkwürdigerweise<br />

aufgegeben wurde – ob das nun Konzept war<br />

oder Verlegenheitslösung.<br />

Udo Bermbach: Ich inde ganz subjektiv, Sie beurteilen die Sänger<br />

und Sängerinnen zu negativ. Es gab unbefriedigende Besetzungen,<br />

wie das fast stets der Fall ist. Aber ich fand die Protagonisten<br />

insgesamt gut bis sehr gut. Und diese sogenannten<br />

„Experten“, die Sie erwähnen, die lassen wir doch mal beiseite.<br />

<strong>Die</strong> neigen dazu, alles herunterzureden und ihre Urteile zumeist<br />

an imaginären Kriterien zu bilden; weil sie<br />

z.B. Verdi-Sänger wollen, die es zu Verdis Zeiten selbst noch<br />

nicht gab. Und bedenken Sie, wie schwer es ist, Partien zu besetzen,<br />

die die betrefenden Sänger an anderen Häusern und<br />

in anderen Produktionen nicht mehr verwenden können. Was<br />

den Chor betrift, sind wir einer Meinung. Mit dem neuen<br />

Chordirektor Eberhard Friedrich hat Hamburg einen Glücksgrif<br />

getan – Bayreuth an der Elbe. Insgesamt haben die drei<br />

Der unbekannte Verdi III<br />

VERDIS<br />

EXPERIMENTIERLUST –<br />

GEZÄHMT<br />

Sabine Hartmannshenn<br />

inszeniert in Bielefeld<br />

„Giovanna D‘Arco“<br />

Text_Andreas Falentin<br />

LIANGHUA GONG, ASTRID<br />

KESSLER UND EVGUENIY<br />

ALEXIEV SOWIE DER CHOR IN<br />

„GIOVANNA D‘ARCO“<br />

Nein, Verdis siebte Oper szenisch aufzuführen,<br />

ist nicht einfach. Zu schematisch<br />

erscheinen die Figuren, zu wenig<br />

motiviert ihre Handlungen, zu wenig<br />

zugkräftig wirkt die Musik. Dabei liefert<br />

Verdis von Experimentierlust überquellende,<br />

fast visionär eine italienische<br />

Romantik auf die Opernbühne katapultierende<br />

Partitur ungewöhnliche dra matische<br />

Impulse. <strong>Die</strong> Ouvertüre etabliert<br />

klar drei Atmosphären: private Idylle,<br />

Krieg und Ruhm, unheimliche Düster-


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 63<br />

Kritik im Dialog<br />

Stücke doch gezeigt, wie früh der Musikdramatiker Verdi<br />

schon zu erkennen ist, auch dank des starken Einsatzes der<br />

Protagonisten.<br />

Detlef Brandenburg: Insoweit d’accord: Das Engagement der<br />

Ensembles hat viel zum musikalischen Gelingen der drei Abende<br />

beigetragen. Aber noch mal zurück zur Politik: Wenn Sie von<br />

diesen frühen Opern auf Verdis reife Werke schauen: Hat sich<br />

Verdis Einstellung zur Politik und die Art, wie er sie in seinen<br />

Opern darstellt, so stark verändert?<br />

Udo Bermbach: Nein, ich denke, nicht entscheidend. Er war<br />

auch in seinen späten Jahren ein scharfsinniger Beobachter der<br />

Politik, aber die Koordinaten seiner Grundüberzeugungen haben<br />

sich wenig geändert. Er war und blieb ein national eingestellter<br />

Mensch, dem die Einheit Italiens am Herzen lag; ein<br />

Liberaler, der gegen alle staatliche Bevormundung auftrat; ein<br />

Anti-Klerikaler, dem die autoritäre Herrschaft der katholischen<br />

Kirche zuwider war; und einer, der eine soziale Politik zugunsten<br />

der kleinen Leute für unabdingbar hielt – und sie selbst<br />

betrieb. „Ich habe den Standpunkt der linken Mitte gewählt“,<br />

schrieb er 1861 einmal an einen Freund – und dieses Bekenntnis<br />

prägt auch seine Vorstellungen von Politik in all seinen<br />

Opern. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung, um Frieden<br />

und ein menschenwürdiges Leben in einer Welt, die weit von<br />

diesen Werten entfernt ist. Damals wie heute.<br />

UNSER DIALOGPARTNER<br />

Professor Dr. Dr. h.c. Udo Bermbach (*1938 in Berlin) war von<br />

1971 bis 20<strong>01</strong> Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg<br />

mit den Schwerpunkten Politische Theorie und Politische<br />

Ideengeschichte. Ab Mitte der 90er Jahre veröfentlichte<br />

er bahnbrechende Studien zu den politischen Konzepten in<br />

Richard Wagners Opern und theoretischen Schriften. Heute<br />

ist er einer der angesehensten und meistbeachteten Experten<br />

für die politischen Ideengehalte musikdramatischer Werke<br />

weit über Wagner hinaus.<br />

Foto: Bettina Stöß<br />

nis. Verdis Librettist Solera hat Schillers<br />

großformatiges Theatergemälde auf drei<br />

Figuren verknappt: die Titeligur, ihren<br />

Vater und den französischen Dauphin. In<br />

ihnen sind individuelle Konlikte angelegt,<br />

die durch unkonventionelle musikalische<br />

Mittel hörbar gemacht werden<br />

sollen: lange a-cappella-Passagen; auf Johanna<br />

einwirkende, dem Chor anvertraute<br />

gute und böse Geisterstimmen;<br />

oder gemeinsam kammermusikalisch<br />

konzertierende Solo-Instrumente.<br />

Das Theater Bielefeld hat sich – als einziges<br />

weit und breit im Verdi-Jahr – an<br />

„Giovanna d’Arco“ herangetraut, die Regisseurin<br />

Sabine Hartmannshenn sucht<br />

in Stoff und Werk nach dem gesellschaftskritischen<br />

Potenzial. Sie entscheidet<br />

sich für einen Blick von außen auf<br />

heutige Figuren und scheut vor plakativen<br />

Bildwirkungen nicht zurück, lässt<br />

diese aber unentschlossen zwischen Ironie<br />

und Pathos pendeln. So kippt die Aufführung<br />

immer wieder ins Dekorative,<br />

beispielhaft zu beobachten an den optisch<br />

attraktiven, dramaturgisch unproduktiven<br />

Chorkostümen von Susana<br />

Mendoza. <strong>Die</strong> <strong>Bühne</strong> von Stefan Heinrichs<br />

zeigt zu Beginn einen jener großen<br />

Menschenkäige, die sich seit Götz Friedrichs<br />

Berliner „Boris Godunov“ als Emblem<br />

für Diktatur und Ungerechtigkeit<br />

auf den <strong>Bühne</strong>n etabliert haben. Im zweiten<br />

Akt laufen auf der Rückwand mit Fotos<br />

ausgestattete Listen durch, mutmaßlich<br />

Opfer von Krieg und Verfolgung, die<br />

nach und nach durch Abbildungen der<br />

historischen Jeanne d’Arc ersetzt werden.<br />

<strong>Die</strong>se dominieren nach der Pause in<br />

Form riesiger Plakate die <strong>Bühne</strong>. Jetzt<br />

geht es um die Entstehung von Personenkult,<br />

um Idole und ihre Vernichtung. Das<br />

ist klar und verständlich gearbeitet, gibt<br />

aber die Figuren und ihre Nöte nahezu<br />

der Lächerlichkeit preis.<br />

Paul O’Neill bemüht sich als Dauphin<br />

mit verhärtetem, unlexiblem Tenor immerhin<br />

spürbar um Pianokultur, Evgueniy<br />

Alexiev verbreitet als Giacomo<br />

mit klangschönem Bariton stimmlichen<br />

Glanz. Astrid Kessler gelingt mehr. Mit<br />

biegsamem, lyrischem, in der Expansion<br />

noch etwas schlankem Sopran schaft sie<br />

mit natürlichem Spiel und organischer<br />

Phrasierung eine berührende Titeligur.<br />

Alexander Kalajdzic und das ausgezeichnete<br />

Orchester beginnen delikat und<br />

geben der ungewöhnlichen Partitur<br />

trotz mancher etwas rabiat genommenen<br />

Passage Kraft und Leben, der Chor<br />

der Bielefelder Oper rückt nach unsicherem<br />

Beginn, wie von Verdi vorgesehen,<br />

furios ins Zentrum des musikalischen<br />

Geschehens.


64 AUFFÜHRUNGEN<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

WIRD<br />

THEATER<br />

ZUR<br />

FAMILIEN-<br />

THERAPIE?<br />

„Mehrgenerationentheater“ nennt sich die Form von Theater, die<br />

Großeltern, Eltern, Jugendliche gleichermaßen einbeziehen will<br />

– und teils sogar gemeinsam auf die <strong>Bühne</strong> bringt. Wird Theater<br />

hier zur Familientherapie? Eine Kritik im Dialog zwischen der<br />

Psychotherapeutin Kornelia Wulf und der Theaterkritikerin Barbara<br />

Behrendt über „Wenn du nicht mehr da bist“ am Theater<br />

Parkaue und „<strong>Die</strong> letzte Kommune“ am Grips-Theater in Berlin<br />

Barbara Behrendt: Sie stehen seit Jahren gemeinsam<br />

auf der <strong>Bühne</strong> und waren sehr präsent, das<br />

Thema brannte ihnen wohl unter den Nägeln. Das<br />

Stück bombardierte einen dann fast mit zu vielen<br />

Fragen: Wie gehen junge Leute mit dem Tod um,<br />

wie mit dem Sterben anderer, wie lassen Eltern ihre<br />

Kinder los, wie Großeltern das Leben. Schwierig<br />

fand ich, dass Felix plötzlich doch nicht tot ist. <strong>Die</strong>sen<br />

Knif braucht es vielleicht aus dramaturgischen<br />

Gründen – er schwächt die Ernsthaftigkeit aber<br />

enorm, meinen Sie nicht?<br />

Kornelia Wulf: Doch, sehr. Eben ging es noch um<br />

den Tod eines Freundes, um eine ernsthafte Auseinandersetzung<br />

damit. Das war nur ein Missverständ-<br />

DIETHEATERKRITIKE-<br />

RIN BARBARA BEH-<br />

RENDT UND DIE<br />

PSYCHOTHERAPEUTIN<br />

KORNELIA WULF<br />

Barbara Behrendt: Frau Wulf, wir haben zwei<br />

sehr unterschiedliche Stücke gesehen. Reden wir<br />

zunächst über „Wenn du nicht mehr da bist“ für<br />

Jugendliche ab 14 an der Parkaue. <strong>Die</strong> jungen<br />

Laienspieler vom „Theaterclub 4“ haben mit der<br />

Regisseurin Joanna Praml einen Abend über<br />

Abschied, Sterben und Tod erarbeitet. Kein Trauerdrama,<br />

sondern ein rasantes, bewegendes, auch<br />

witziges Stück der Jugendlichen über sich selbst. Sie<br />

trauern darin um ihren Mitschüler Felix, nehmen<br />

Videobotschaften an ihn auf, recherchieren übers<br />

Sterben und überlegen, wie sie sich verabschiedeten,<br />

wäre heute ihr letzter Lebenstag. Doch Felix ist<br />

nicht tot, er hat lediglich ein Schuljahr in den USA<br />

verbracht. Gemeinsam mit ihm betritt plötzlich sein<br />

Vater die <strong>Bühne</strong> sowie die Eltern der jugendlichen<br />

Spieler, für die der Abschied von den groß gewordenen<br />

Kindern ein kleiner Tod bedeutet. Auch die<br />

Großmütter haben einen Auftritt. Es ist eine Art<br />

biograisches Recherchetheater, das mich an She<br />

She Pops „Testament“ erinnert, bei dem die Väter<br />

der Performer mit auf der <strong>Bühne</strong> stehen. „Wenn du<br />

nicht mehr da bist“ hat manchen im Publikum zum<br />

Weinen gebracht. Sie waren auch bewegt, richtig?<br />

Kornelia Wulf: Ja, mich hat das richtig erwischt. <strong>Die</strong><br />

Spieler waren sogar selbst berührt. Vor allem die<br />

Jugendlichen fand ich sehr authentisch.<br />

Fotos: David Baltzer, Foto Behrendt: Mika Redeligx, Foto Wulf Foto: privat


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

AUFFÜHRUNGEN 65<br />

Kritik im Dialog<br />

LINKS: „DIE LETZTE<br />

KOMMUNE“ MIT DEM<br />

ENSEMBLE DES<br />

BERLINER GRIPS THEATERS<br />

RECHTS: „WENN DU NICHT<br />

MEHR DA BIST“ MIT<br />

JUGENDLICHEN AM BERLINER<br />

THEATER AN DER PARKAUE<br />

nis? Plötzlich ist alles nicht so schlimm? Das geht<br />

doch an der Realität vorbei.<br />

Barbara Behrendt: Felix’ vermeintlicher Tod hat die<br />

Gemeinschaft gestärkt, das klingt plausibel.<br />

Kornelia Wulf: Ja, absolut. <strong>Die</strong> Frage nach dem Umgang<br />

mit dem Tod hält die Menschen zusammen.<br />

Und Jugendliche setzen sich heute oft mit Suizid<br />

auseinander. Früher war das weniger der Fall, oder<br />

es gab weniger Therapeuten, die es bemerkten. Derzeit<br />

scheint die Jugend in Not zu sein; das liegt am<br />

ungeheuren Leistungsdruck, den Schule und Eltern<br />

ausüben. Es wird nicht akzeptiert, wenn man in der<br />

elften Klasse noch nicht weiß, was man werden<br />

möchte. <strong>Die</strong> Problematik kommt also mehr von außen<br />

als von innen.<br />

Barbara Behrendt: Vermutlich ist es deshalb wichtig,<br />

diese Themen auf der <strong>Bühne</strong> zu verhandeln.<br />

<strong>Die</strong> Frage ist aber: Ist das nur für die Spieler eine<br />

wichtige Erfahrung – oder gleichermaßen für den<br />

Zuschauer interessant? <strong>Die</strong> dichte Choreographie<br />

des Abends, der rasche Wechsel zwischen vermeintlich<br />

spontanen und vorbereiteten Szenen, zwischen<br />

Video, Recherche und hoch emotionalen Spielszenen,<br />

das fand ich auch ästhetisch gelungen.<br />

Kornelia Wulf: Alle haben sich ganz viel erspielt.<br />

Das war besser als jede Therapie, die sie hätten machen<br />

können. Aber auch ich als Zuschauer habe gemerkt:<br />

Das eine oder andere Thema habe ich selbst,<br />

hier geht es nicht nur um die therapeutische Wirkung<br />

für die Spieler.<br />

Barbara Behrendt: Würden Sie Ihren jungen Klienten<br />

den Abend empfehlen?<br />

Kornelia Wulf: Solchen, die sich gerade mit Selbstmord<br />

auseinandersetzen, ja. Um mitzufühlen, wie es<br />

anderen damit geht. Es ist ja immer noch ein Tabuthema.<br />

Von Erwachsenen kriegen Jugendliche oft<br />

nur blöde Antworten: „Das Leben ist doch lebenswert.“<br />

Da fühlen sie sich nicht ernst genommen. Bei<br />

diesem Stück ist das anders – hier setzen sich Jugendliche<br />

selbst damit auseinander. Man muss sich aller-


66 AUFFÜHRUNGEN<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

GRIPS-SCHAUSPIELER IN<br />

„DIE LETZTE KOMMUNE“<br />

ZWEI SENIOREN IN<br />

„WENN DU NICHT MEHR DA BIST“<br />

dings gut abgrenzen können, weil einem viel entgegengeschleudert<br />

wird. Man muss darauf vorbereitet<br />

sein, stark emotional bewegt zu werden.<br />

Barbara Behrendt: Bei so einem Projekt Regie zu<br />

führen – das ist auch eine therapeutische Arbeit,<br />

oder?<br />

Kornelia Wulf: Extrem therapeutisch! <strong>Die</strong> Regisseurin<br />

muss die Emotionen bündeln können. Besonders<br />

Jugendliche kann man nicht so rational steuern<br />

wie Erwachsene. Jeder hat hier seinen eigenen Umgang<br />

mit dem Tod und dem Abschiednehmen dargestellt,<br />

das war stark.<br />

Barbara Behrendt: <strong>Die</strong> Spieler ofenbaren sich<br />

mit ihrer ganzen Familie, da gehört Mut dazu.<br />

Vielleicht lehrt es auch Empathie – es ist ja ein<br />

Anliegen des Mehrgenerationentheaters, andere<br />

Altersgruppen verstehbar zu machen.<br />

Kornelia Wulf: Für Jugendliche ist das weit weg, sie<br />

beschäftigen sich mit sich selbst. Aber apropos Empathie:<br />

<strong>Die</strong> beiden Großmütter hatten ganz ihren<br />

Frieden mit dem Sterben gemacht, das kam mir<br />

nicht authentisch vor. Mir hat jemand gefehlt, der<br />

sagt: Scheiße, jetzt bin ich 80, aber ich will nicht sterben.<br />

Mein Opa zum Beispiel hat mit 90 noch mal<br />

geheiratet. Er hätte sich mit 80 nicht hingesetzt und<br />

gesagt: Ach, wer will denn ewig leben.<br />

Barbara Behrendt: Ging mir genauso. Der Auftritt<br />

der Omas war arg versöhnlich und lieb. Vielleicht<br />

hat sich die Regisseurin nicht näher herangetraut.<br />

<strong>Die</strong> Großmütter schienen beim Applaus aber sehr<br />

glücklich über das Ergebnis zu sein!<br />

Kornelia Wulf: Zu Recht – welche Oma darf sich so<br />

mit der Familie zeigen? Ich fand es sehr ergreifend.<br />

Barbara Behrendt: Das Ergrifensein ist heute<br />

selten im Theater. Schön, einmal sagen zu können:<br />

Der Abend kann einem zu nah kommen. Er ist eine<br />

Art Selbsterfahrung auf der <strong>Bühne</strong>, vermittelt für<br />

den Zuschauer. Ein großes Gesprächsangebot, ein<br />

Impuls, den das Theater gibt, damit die Zuschauer<br />

damit weiterarbeiten.<br />

Kornelia Wulf: Ganz klar: Das MUSS man aufgreifen<br />

und aufarbeiten, für jedes Alter. Familien und<br />

Theaterpädagogen sind gefordert, das Gespräch fortzuführen.<br />

Barbara Behrendt: Reden wir übers die Inszenierung<br />

im Grips-Theater. In „<strong>Die</strong> letzte Kommune“<br />

von Peter Lund und Thomas Zaufke trefen auch<br />

drei Generationen aufeinander, allerdings spielen<br />

dabei professionelle Schauspieler ein Musical für<br />

Erwachsene. Zwei alt gewordene 68er stehen vor<br />

der Entscheidung, ins Plegeheim zu ziehen oder<br />

ihrer Familie zur Last zu fallen. Sie erwecken mit<br />

ihren Enkeln die Lebensform der Kommune neu –<br />

womit deren Eltern, also die Generation dazwischen,<br />

gar nicht einverstanden sind. Das Stück in<br />

der Regie von Franziska Steiof ist eine Art Polit-<br />

Comedy. Inwiefern hat es psychologischen Wert?<br />

Fotos: David Baltzer


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

AUFFÜHRUNGEN 67<br />

Kritik im Dialog<br />

DIE<br />

GESPRÄCHS-<br />

PARTNER<br />

Kornelia Wulf ist<br />

selbstständige<br />

Psychotherapeutin<br />

und Coach für<br />

Jugendliche und<br />

Erwachsene in<br />

ihrer „Praxis für<br />

die Seele“ in Berlin.<br />

Sie nutzt diverse<br />

therapeutische<br />

Interventionen,<br />

u.a. aus der<br />

Systemischen-, der<br />

Gestalt- und der<br />

Clowntherapie<br />

Barbara Behrendt<br />

arbeitet als freie<br />

Journalistin in<br />

Berlin, u.a. für DIE<br />

DEUTSCHE BÜHNE<br />

TERMINE<br />

„<strong>Die</strong> letzte<br />

Kommune“ am<br />

Grips Theater:<br />

28.1.2<strong>01</strong>4, 29.1.,<br />

30.1., 31.1. 1.2.2<strong>01</strong>4.<br />

„Wenn Du nicht<br />

mehr da bist“ wird<br />

am Theater an der<br />

Parkaue im März<br />

wieder gespielt<br />

Kornelia Wulf: Der Autor ist sicher psychologisch<br />

bewandert. Wir lernen an dem Abend drei jugendliche<br />

Prototypen kennen: Lotte, die Co-Abhängige;<br />

Philipp, der emotionale Typ, der sich hinter seiner<br />

Coolness versteckt; und Atze, der System-Loser.<br />

Barbara Behrendt: <strong>Die</strong> jungen Figuren wirken sehr<br />

stereotyp. Der Autor steht den Fragen der eigenen,<br />

älteren Generation näher.<br />

Kornelia Wulf: Absolut. Eine Jugendliche hat sich in<br />

der Pause beklagt, dass sie die Witze nicht versteht<br />

und sich langweilt. Der Humor ist wirklich sehr auf<br />

die 68er-Generation und ihre politischen Überzeugungen<br />

gemünzt. Mich würde es als Jugendliche<br />

sauer machen, wenn ich drei Stereotypen meiner<br />

Generation vorgesetzt bekäme.<br />

Barbara Behrendt: Das Grips ist ein Mutmach-<br />

Theater, das sagt: Rottet euch zusammen, lasst euch<br />

das nicht gefallen! <strong>Die</strong> Figuren sind aber zum Teil<br />

so klischiert, dass ich mich nicht ernst genommen<br />

fühle – obwohl ihre Probleme real existieren.<br />

Kornelia Wulf: Manchmal war ich mir gar nicht sicher:<br />

Wollen die mich verschaukeln, ist das ironisch<br />

gemeint? Das ist auch jetzt noch ein Fragezeichen<br />

bei mir.<br />

Barbara Behrendt: „Wenn du nicht mehr da bist“<br />

an der Parkaue regt zur Auseinandersetzung an.<br />

Das tut „<strong>Die</strong> letzte Kommune“ auch, aber auf einer<br />

sozialpolitischen Ebene, weniger mit psychologischem<br />

Ansatz. Könnte es ein Familiengespräch<br />

auslösen, es mit drei Generationen anzuschauen?<br />

Kornelia Wulf: Leichter vielleicht sogar als an der<br />

Parkaue, weil der Abend nicht so gefühlsgeladen<br />

ist. Man kann nachdenken: Wie geht man mit einem<br />

dementen Menschen um, der nicht mehr leben<br />

will? Was tun wir, wenn Opa nicht ins Heim<br />

will? Klar, auf psychologischer Ebene war das<br />

lach. Aber manche vertragen nur die seichte Art,<br />

und das Grips bietet diese Art, sich Themen anzuschauen.<br />

Das Stück will auch unterhalten – und<br />

das macht es sehr gut!<br />

Barbara Behrendt: Interessant inde ich, dass diese<br />

Dreigenerationen-Abende eher zwei Generationen<br />

ansprechen: An der Parkaue die Jugendlichen<br />

und ihre Eltern, am Grips die Senioren und deren<br />

Kinder. Für wie sinnvoll halten Sie Mehrgenerationenprojekte<br />

generell?<br />

Kornelia Wulf: Sie machen Sinn, weil wir nicht<br />

mehr in drei Generationen zusammenleben, zumindest<br />

in der Stadt. Das Sterben von Großeltern wird<br />

anders miterlebt. Ich kenne es noch, dass die Oma<br />

im Flur aufgebahrt wird, dass Tod etwas Normales<br />

ist. In der Stadt sind wir heute vereinzelter und fangen<br />

gerade an zu begreifen, dass das blöd sein kann.<br />

In Mehrgenerationenhäusern wird wieder versucht,<br />

Junge und Alte zusammenzubringen. Wir merken<br />

wieder, dass Gemeinschaft einen Sinn ergibt.<br />

Barbara Behrendt: Sind Stücke mit Themen wie<br />

Alter, Krankheit, Tod auch deshalb wichtig, weil sie<br />

in der Familie nicht mehr verhandelt werden?<br />

Kornelia Wulf: Das glaube ich. Mein Eindruck ist,<br />

dass die Gesellschaft emotional verlacht. Man<br />

empindet nicht mehr so stark – soll es gar nicht,<br />

das wird aberzogen. Auch die Zeit, über solche Themen<br />

zu sprechen, ist nicht mehr da. Meist sind beide<br />

Eltern berufstätig; sie müssen delegieren, sind<br />

weniger für ihre Kinder da. Wenn etwas nicht<br />

stimmt, muss ein Fachmann ran, der Psychologe.<br />

<strong>Die</strong> Jugendlichen legen mir dann ihren ganzen<br />

Müll vor die Füße; ihren Eltern würden sie das nie<br />

zumuten. Es ist eine wütende Generation, die ihre<br />

Wut oft autoaggressiv abbaut: Jedes vierte Mädchen<br />

ritzt sich.<br />

Barbara Behrendt: Vielleicht braucht es die Vehemenz<br />

von „Wenn du nicht mehr da bist“, um emotional<br />

zum Publikum durchzudringen? Vielleicht ist<br />

es gut, wenn die Wut, von der Sie sprachen, auf der<br />

<strong>Bühne</strong> Platz bekommt, bevor sie autoaggressiv wird.<br />

Kornelia Wulf: Ja, absolut! Hier stellen sich Jugendliche<br />

hin und sagen ihren Eltern: Ich mute dir zu,<br />

was in mir ist, schau dir das mal an.<br />

Barbara Behrendt <strong>Die</strong>se Mehrgenerationenprojekte<br />

inde ich sinnvoll, wenn sie wirklich die ganze<br />

Familie einbeziehen und ein Gespräch über den<br />

Abend hinaus anregen. Sobald das gelingt, nehme<br />

ich mich auch mit Kritik an Form und Ästhetik<br />

zurück.<br />

Kornelia Wulf Es gibt kaum ein besseres Ausdrucksmittel<br />

als das Theater: Man hat das Publikum, das<br />

Wort, den Körper und beim biographischen Recherchetheater<br />

sogar die eigene Lebensgeschichte zur<br />

Verfügung. Es kann eine Entlastung sein, sich auf<br />

der <strong>Bühne</strong> so zu öfnen – das ist wie eine persönliche<br />

Demonstration für die eigenen Themen. Vielleicht<br />

hat das Theater damit einen neuen Auftrag gewonnen:<br />

einen therapeutischen.


68 AUFFÜHRUNGEN<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Premierenkompass<br />

Kompass<br />

Januar<br />

2<strong>01</strong>4<br />

ALAIN PLATEL ZEIGT IN<br />

MÜNCHEN „TAUBERBACH“<br />

KARIN BEIER WILL MIT<br />

„DIE RASENDEN“ STARTEN<br />

UND ZWAR AM DEUTSCHEN<br />

SCHAUSPIELHAUS HAMBURG<br />

DER PERSÖNLICHE<br />

PREMIERENFÜHRER VON<br />

DETLEV BAUR<br />

Lesen Sie, liebe Leser, gerne Theaterstücke?<br />

Wenn Sie sich nicht gerade als<br />

Dramatiker, Dramaturg, Verlagslektor<br />

oder Regisseur berulich damit beschäftigen,<br />

werden Sie diesen anstrengenden<br />

Texten mit ständig wechselnden<br />

Sprechern, die womöglich noch nicht<br />

einmal namentlich bezeichnet sind,<br />

vermutlich eher aus dem Weg gehen.<br />

Und da auch Gedichte anstrengend sind,<br />

lesen die meisten von uns doch viel<br />

lieber Kurzgeschichten oder auch<br />

längere Romane. Ich habe gerade mit<br />

Balzacs „Tante Lisbeth“ angefangen, weil<br />

ich noch vor Erscheinen dieses <strong>Heft</strong>es,<br />

am 19. Dezember 2<strong>01</strong>3, Frank Castorfs<br />

<strong>Bühne</strong>nauseinandersetzung mit dieser<br />

Geschichte des keineswegs romantischen<br />

Paris des 19. Jahrhunderts besuchen<br />

(und kritisch auf unserer Homepage<br />

würdigen) will.<br />

Wenn Sie also gerade „Ansichten eines<br />

Clowns“ von Böll oder Frischs „Homo<br />

faber“ auf dem Nachttisch liegen haben<br />

– oder auch nicht lesen, aber dafür in<br />

Kurzform illustriert sehen möchten,<br />

können ihnen mit Böll die <strong>Bühne</strong>n Bonn<br />

ab 25.1. weiterhelfen, mit Frisch gar das<br />

Staatstheater Braunschweig ab 18.1. oder<br />

als Tanzstück das Theater Bern ab 17.1.<br />

Oder interessieren Sie eher frischere<br />

Bücher wie Hornbys „Nipple Jesus“ oder<br />

Herrndorfs „Tschick“? Dann bieten sich an<br />

„Nipple Jesus“ am 17.1. in Bremerhaven<br />

oder „Tschick“ in Bochum (8.1. am<br />

Prinzregent Theater), in Gießen (23.1.)<br />

sowie in Quedlinburg (30.1.). Vielleicht<br />

lesen Sie momentan aber auch lieber<br />

Klassischeres? Thomas Manns „Buddenbrooks“<br />

sind ab 18.1. in Würzburg zu<br />

sehen; Goethes „Werther“ ebenfalls ab<br />

18.1. in Bruchsal.<br />

<strong>Die</strong> Auswahl ist aber noch größer. Das<br />

Premierenverzeichnis der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Bühne</strong>, das wir beginnend mit diesem<br />

<strong>Heft</strong> in aller Ausführlichkeit bis hin zu<br />

neuen Abfragemöglichkeiten auf unsere<br />

Homepage ausgelagert haben, gleicht<br />

fast einer kleinen Bestsellerliste: So indet<br />

sich der autobiographische Roman „The<br />

Basketball Diaries“ am Landestheater<br />

Coburg. Kafkas „Prozess“ ist in Darmstadt<br />

und in Wilhelmshaven geplant, „Das<br />

Schloss“ will Henning Paar am Theater<br />

Münster choreographieren. Dostojewskis<br />

„Der Spieler“ läuft in Düsseldorf, „Schuld<br />

und Sühne“ steht auf dem Programm des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhauses in Hamburg.<br />

Das Landestheater Niederbayern zeigt in<br />

Landshut John von Düfels Tolstoi-Bearbeitung<br />

von „Anna Karenina“, „Krieg und<br />

Frieden“ wird an der Landesbühne<br />

Rheinland-Pfalz in Neuwied gespielt.<br />

Knut Hamsuns „Hunger“ bringt das<br />

Saarländische Staatstheater auf die<br />

<strong>Bühne</strong>, Bernhards „Holzfällen“ das<br />

Schauspielhaus Graz, Christa Wolfs<br />

„Kassandra“ das Pfalztheater Kaiserslautern.<br />

Das Salzburger Landestheater hat<br />

Camus „<strong>Die</strong> Pest“ auf dem Programm<br />

und das Schauspielhaus Zürich Frischs<br />

„Mein Name sei Gantenbein“.<br />

Nach wie vor gibt es aber auch noch<br />

andere Formen von Stückvorlagen. Wie auf<br />

Seite 25 beschrieben, gehört zu den<br />

prominentesten Premieren des Monats<br />

Januar die Wiederausgrabung von Lilian<br />

Fotos: Chris van der Burght, Klaus Lefebvre, A.T. Schaefer, Barbara Braun, Keystone, Ruolf Semotan, Münchner Kammerspiele


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUFFÜHRUNGEN 69<br />

Premierenkompass<br />

MAX FRISCH, AUTOR<br />

VIELGESPIELTER ROMANE<br />

Hellman „<strong>Die</strong> kleinen Füchse“ am 18.1. an<br />

der Berliner Schaubühne. In Thomas<br />

Ostermeiers Inszenierung ist Nina Hoss<br />

erstmals an der Schaubühne zu sehen. Am<br />

selben Tag hat die ursprünglich als<br />

Einstandsinszenierung geplante Antikenkompilation<br />

„<strong>Die</strong> Rasenden“ von Karin<br />

Beier Premiere; allerdings wird es in<br />

Hamburg wesentlich länger gehen, von<br />

NINA HOSS DEBÜTIERT<br />

AN DER SCHAUBÜHNE IN<br />

„DIE KLEINEN FÜCHSE“<br />

acht Stunden ist im Vorfeld die Rede. Kurz<br />

vor Fertigstellung der sanierten <strong>Bühne</strong> des<br />

<strong>Deutsche</strong>n Schauspielhauses in Hamburg<br />

beschädigten die Gegengewichte des<br />

Eisernen Vorhangs die <strong>Bühne</strong> und<br />

erforderten aufwendige Reparaturarbeiten,<br />

so dass die Premiere um genau zwei<br />

Monate verschoben werden musste. Mit<br />

dabei sind Ausnahmekönner wie Lina<br />

AUCH EIN THEATER-<br />

ROMAN-AUTOR: FJODOR<br />

M. DOSTOJEWSKI<br />

DIE MÜNCHNER KAM-<br />

MERSPIELE. SPIELORT FÜR<br />

PLATELS „TAUBERBACH“<br />

Beckmann, Markus John, Joachim<br />

Meyerhof, Birgit Minichmayr, Maria<br />

Schrader oder Julia Wieninger. Als dritte<br />

prominente Regiearbeit des Monats sei<br />

die Premiere vom 17.1. an den Münchner<br />

Kammerspielen genannt. Alain Platel wird<br />

dort mit einem taubstummen Ensemble<br />

eine Choreographie zu Bach zeigen:<br />

„Tauberbach“.<br />

Den gesamten Premierenkompass<br />

finden Sie unter<br />

www.die-deutsche-buehne.de/premieren<br />

17.–29. JUNI 2<strong>01</strong>4<br />

IN HAMBURG<br />

JETZT ONLINE BEWERBEN UNTER WWW.PRIVATTHEATERTAGE.DE


HÖHEPUNKTE 2<strong>01</strong>4<br />

31.1. / 19 UHR / ERÖFFNUNG FRAGEN SIE MEHR ÜBER<br />

BRECHT mit Burghart Klaußner / Theater Großes Haus<br />

1.2. / 12 / 20 / 3 UHR / TRINATIONALES THEATERPROJEKT<br />

BRECHT³ mit Video-Livestream aus bzw. nach Japan und USA / Internationale<br />

Co-Produktion zwischen den freien Ensembles Bluespots Productions<br />

(Augsburg), Brechtkeller (Osaka) und The Island Theatre (Chicago)<br />

/ live in der brechtbühne und online unter www.brechthigh3.com<br />

2.2. / AB 11 UHR / THEMENTAG BRECHT INTERNATIONAL!<br />

11 Uhr Internationale Matinée mit Regisseuren aus Griechenland, Ungarn<br />

und Italien sowie den Machern von Brecht³ / 15 Uhr Gastspiel aus Ungarn<br />

Das Leben Eduards des Zweiten von England, Regie: Sándor Zsótér /<br />

20 Uhr Gastspiel aus Italien <strong>Die</strong> Mutter, Regie: Carlo Cerciello / In den<br />

Originalsprachen mit Übertiteln / Theater Großes Haus und Foyer<br />

8.2. / 19.30 UHR / PREMIERE DER GUTE MENSCH VON<br />

SEZUAN Regie: Katerina Evangelatos (Athen / Griechenland) / Theater<br />

Großes Haus<br />

9.2. / 18 UHR / NEUINSZENIERUNG LEHRSTÜCK<br />

(Hindemith / Brecht) / Regie: Johanna Schall, Musikalische Leitung:<br />

Geoffrey Abbott / Barbarasaal<br />

10.2. / 19.30 UHR / DAS CHAOS IST AUFGEBRAUCHT...<br />

Große 20er Jahre-Revue zu Brechts Geburtstag / u.a. mit Thomas Thieme<br />

und Iris Berben / Theater Großes Haus<br />

VVK: Theater Augsburg: www.theater-augsburg.de / Tel.: 0821-324 49 00<br />

www.brechtfestival.de / www.facebook.com/brechtfestival<br />

DAS RHEINGOLD<br />

AB 30. NOVEMBER 2<strong>01</strong>3<br />

DIE WALKÜRE<br />

AB 05. APRIL 2<strong>01</strong>4<br />

SIEGFRIED<br />

AB 19. APRIL 2<strong>01</strong>5<br />

GÖTTERDÄMMERUNG<br />

AB 10. OKTOBER 2<strong>01</strong>5<br />

Foto: Ludwig Olah<br />

RICHARD WAGNERS TETRALOGIE IN<br />

DER NÜRNBERGER NEUINSZENIERUNG<br />

Musikalische Leitung Marcus Bosch<br />

Inszenierung Georg Schmiedleitner<br />

Staatsintendant und Operndirektor Peter Theiler<br />

KARTEN & INFOS: <strong>01</strong>80-5-231 600 (14-42 ct/Min) WWW.STAATSTHEATER.NUERNBERG.DE


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 71<br />

Auch das noch<br />

Foto: Theater an der Ruhr<br />

Meist sind Meldungen<br />

über Preisvergaben<br />

ja zum Gähnen.<br />

Nun aber hat Roberto<br />

Ciulli, langjähriger Leiter<br />

des Theaters an Ruhr in<br />

Mülheim, den Staatspreis<br />

des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen bekommen.<br />

Und darüber haben wir<br />

uns gefreut! In einem<br />

wunderbaren Interview<br />

mit der Rheinischen<br />

Post kommentierte er<br />

die Preisverleihung so:<br />

„<strong>Die</strong> Kunst der Clowns<br />

entsteht oft durch eine<br />

Verletzung, deswegen<br />

haben sie eine rote Nase.<br />

Durch den erlittenen<br />

Schmerz wird der Clown<br />

zum Widerstandskämpfer.<br />

In dem Sinn haben Sie<br />

Recht, der NRW Staatspreis<br />

geht in diesem Jahr<br />

an einen Clown.“


72 AUCH DAS NOCH<br />

Chronik<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Chronik<br />

Bis<br />

Redaktionsschluss<br />

vielleicht am neugierigsten<br />

war, musste abseits stehen:<br />

Karin Beier wollte am 15.<br />

November ihr Antikenprojekt<br />

„<strong>Die</strong> Rasenden“ am <strong>Deutsche</strong>n<br />

Schauspielhauses<br />

Hamburg herausbringen.<br />

Doch dann rasten gewaltig<br />

wie Jupiters Hammer die<br />

Kontergewichte des Eisernen<br />

Vorhangs hernieder, sieben<br />

Tonnen Stahl zersplitterten<br />

<strong>Bühne</strong>nboden und Apparaturen,<br />

die Wiedereröfnung des<br />

sanierten <strong>Bühne</strong>nturms war<br />

perdu. Wenn alles klappt wie<br />

geplant, kommt Karin Beiers<br />

Inszenierung Mitte Januar<br />

heraus. Der Theatergott aber<br />

strafte die Seinen nicht nur<br />

mit Stahl, sondern auch mit<br />

Wasser: Am Landestheater<br />

Coburg setzte ein kaputtes<br />

Ventil die Sprinkleranlage in<br />

Gang und das Theater unter<br />

Wasser. Noch bis Dezember<br />

lag der Spielbetrieb im<br />

Großen Haus darnieder.<br />

HOCHDEKORIERTE REGISSEURE BEI DEN<br />

SALZBURGER FESTSPIELEN: HARRY<br />

KUPFER, LUC BONDY, PETER STEIN<br />

EIN RESÜMEE VON<br />

DETLEF BRANDENBURG<br />

Anfang November<br />

Wenn es einen Theatergott<br />

gibt, dann ist er launisch. All<br />

überall wurde im November<br />

zum Aufbruch geblasen:<br />

Stefan Bachmann startete als<br />

neuer Schauspielchef in Köln,<br />

Shermin Langhof als neue<br />

Chein am Maxim Gorki<br />

Theater Berlin, Armin Petras<br />

am Stuttgarter Schauspiel,<br />

Hasko Weber am Nationaltheater<br />

Weimar – aber ausgerechnet<br />

die Intendantin-Regisseurin,<br />

auf deren erste<br />

Inszenierung die Theaterwelt<br />

5.11.13<br />

Alte Regierecken schwingen<br />

die Zepter, man hört es<br />

förmlich klimpern an<br />

dekorierten Heldenbrüsten:<br />

Das Opernprogramm der<br />

Salzburger Festspiele für den<br />

Sommer 2<strong>01</strong>4 macht Lust –<br />

auf das Schauspiel. Luc<br />

Bondy inszeniert das<br />

Auftragswerk „Charlotte<br />

Salomon“ von Marc-André<br />

Dalbavie, Harry Kupfer den<br />

„Rosenkavalier“, Peter Stein<br />

setzt Schuberts „Fierrabras“<br />

in Szene, dazu gibt’s „Don<br />

Giovanni“ von Schauspielchef<br />

Sven-Eric Bechtolf und „Il<br />

trovatore“ mit Anna Netrebko<br />

und Plácido Domingo in<br />

einer Inszenierung von Alvis<br />

Hermanis. Man soll ja nicht<br />

im Voraus unken, aber<br />

spannend geht anders. So<br />

zum Beispiel: <strong>Die</strong> englische<br />

Theatertruppe 1927, der<br />

Barrie Kosky an der Komischen<br />

Oper Berlin seine tolle<br />

Animations-„Zauberlöte“<br />

verdankt, setzt sich im<br />

Schauspielprogramm mit den<br />

„Letzten Tagen der Menschheit“<br />

auseinander, Katie<br />

Mitchell macht das Projekt<br />

„The Forbidden Zone“ (nach<br />

dem gleichnamigen Buch von<br />

Mary Borden), und Andreas<br />

Kriegenburg inszeniert Ödön<br />

von Horváths „Don Juan<br />

kommt aus dem Krieg“. Krieg<br />

ist das Thema der Salzburger<br />

Dramaturgie – mal sehen,<br />

wer gewinnt.<br />

7.11.13<br />

Ganz überraschend kam das<br />

nicht: Stuttgarts Staatsopernintendant<br />

Jossi Wieler hat sich<br />

von seiner Chefregisseurin<br />

Andrea Moses getrennt und ist<br />

damit von seinem enthusiastisch<br />

propagierten Modell,<br />

überwiegend mit hauseigenen<br />

Regisseuren zu arbeiten,<br />

abgerückt. Man kann das<br />

bedauern, aber kaum tadeln.<br />

Pro Spielzeit zwei Inszenierungen<br />

von Jossi Wieler und Sergio<br />

Morabito und dann noch zwei<br />

von Andrea Moses sind ein<br />

bisschen viel Monokultur,<br />

zumal gerade jetzt eine Menge<br />

hochbegabter jüngerer<br />

Regisseure in der Szene<br />

unterwegs sind. Zudem war die<br />

Fotos: picture alliance/dpa, picture alliance/Herbert Parrhofer,<br />

picture-alliance/Eventpress Hoensch, Thilo Beu (rechts)


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 73<br />

Chronik<br />

Rolle der Dauerkonkurrentin<br />

gegenüber dem Superstar-Duo<br />

Wieler/Morabito für Andrea<br />

Moses undankbar – sie konnte<br />

eigentlich nur verlieren. So ist<br />

die Trennung vermutlich das<br />

Beste für alle.<br />

9.11.13<br />

Wenn die Kunst in die<br />

Mühlen der Bürokratie gerät,<br />

heißt es Obacht geben. Das<br />

gilt sowohl auf internationaler<br />

Ebene, wo das deutsche<br />

Kulturförderungs-System<br />

gern mal als unerlaubte<br />

Wirtschafts-„Subvention“<br />

attackiert wird. Es gilt aber<br />

auch, wenn auf Bundes- oder<br />

Landesebene Mitbestimmungsrechte<br />

verhandelt<br />

werden. Als in Baden-Württemberg<br />

das „Landespersonalvertretungsgesetz“<br />

verhandelt wurde, hatte die<br />

<strong>Die</strong>nstleistungs-Gewerkschaft<br />

Ver.di wieder einmal den<br />

sogenannten Tendenzschutz<br />

auf der Abschussliste und traf<br />

damit bei der Landes-SPD<br />

durchaus auf Gegenliebe. Er<br />

regelt unter anderem, dass<br />

Einstellungen künstlerischer<br />

Mitarbeiter vom Mitbestimmungsverfahren<br />

ausgenommen<br />

sind, und gilt als Kernbestand<br />

der Kunstfreiheit. Doch<br />

zum Glück haben die<br />

Intendanten der beiden<br />

Staatstheater, Oliver Hendricks<br />

in Stuttgart und Peter<br />

Spuhler in Karlsruhe, Alarm<br />

geschlagen und zudem die<br />

grüne Kulturministerin<br />

Theresia Bauer an ihrer Seite.<br />

Wie die Sache ausgeht, war<br />

bei Redaktionsschluss noch<br />

nicht ausgemacht.<br />

14.11.13<br />

In Bonn proben die Bürger<br />

den Aufstand gegen die Oper.<br />

Zumindest das Häulein<br />

Bürger, das sich zur Initiative<br />

Bürgerbegehren Bonner Oper<br />

(IBBBO) zusammengeschlossen<br />

hat. Deren Begehren hat<br />

das Ziel, den Zuschuss der<br />

Bonner Oper von ca. 17<br />

Millionen Euro bis zur<br />

Spielzeit 2<strong>01</strong>6/17 auf 8<br />

Millionen Euro herunterzufahren.<br />

Laut Stadtverwaltung ist<br />

dieses Ansinnen aber derart<br />

hanebüchen, dass es schon<br />

rein rechtlich kaum eine<br />

Chance auf Umsetzung hätte.<br />

Und ob sich außerhalb des<br />

IBBBO-Zirkels eine Mehrheit<br />

DIE BONNER OPER SOLL BLUTEN – ZU-<br />

MINDEST FINANZIELL. SZENE AUS<br />

„ TOSCA“ MIT YANNICK-MURIEL NOAH,<br />

CHRISTIAN JUSLIN UND EVEZ ABDULLA<br />

dafür indet, darf man<br />

bezweifeln, nachdem sich<br />

sogar die im IBBBO-Sparplan<br />

als Nutznießer vorgesehenen<br />

Bonner Sportvertreter gegen<br />

diesen Unsinn verwahrt<br />

haben.<br />

Das Luzerner Theater ist das älteste Berufstheater der<br />

Schweiz. Mit seinen drei Ensembles in den Sparten<br />

Musiktheater, Schauspiel und Tanz steht es für hohe<br />

künstlerische Qualität. Gleichzeitig beindet sich das<br />

Luzerner Theater in einem Entwicklungsprozess, der<br />

eine inhaltliche und räumliche Neukonzeption zum Ziel<br />

hat. Im Rahmen der Nachfolgeplanung suchen wir ab<br />

der Spielzeit 2<strong>01</strong>6/17 eine/n<br />

Intendantin/-en<br />

In einer ersten Phase soll die neue Theaterleitung das<br />

Dreispartenhaus am heutigen Ort und in der heutigen<br />

Form weiterführen. Parallel dazu soll sie bei der Planung<br />

und Umsetzung des Projektes „Theaterwerk Luzern“ an<br />

vorderster Front mitwirken. <strong>Die</strong>se Neuausrichtung des<br />

Luzerner Theaters eröffnet der künftigen Leitung die<br />

seltene Chance, innovative Theaterformen zu entwickeln<br />

und bei der Realisierung der künftigen Spielstätte grundlegend<br />

Neues zu schaffen. Das setzt hohe Gestaltungskraft<br />

und Freude an Veränderungsprozessen voraus.<br />

Wir suchen darum eine kreative Künstlerpersönlichkeit,<br />

die gleichzeitig über einen soliden Realitätssinn verfügt.<br />

<strong>Die</strong>se Persönlichkeit weiss, was Kommunikation ist, sie<br />

begeistert als Kulturvermittlerin und gewandte Gastgeberin<br />

die Theaterinteressierten und schätzt den Kontakt<br />

zu den verschiedenen Stakeholdern. Auch kann sie<br />

politische Zusammenhänge schnell erfassen und adaptieren.<br />

Hausintern sorgt sie als offene und ideenreiche<br />

Führungskraft für einen elektrisierenden und motivierenden<br />

Teamgeist. Kurz: Sowohl nach innen wie nach<br />

aussen strahlt die neue Theaterleitung ein hohes Mass<br />

an Dringlichkeit und Begeisterungsfähigkeit aus.<br />

Wir erwarten, dass die neue Intendantin oder der<br />

neue Intendant über eine solide Theaterpraxis und<br />

Führungserfahrung in einem etablierten Haus verfügt.<br />

Ebenso gehören zum Anforderungsproil die erfolgreiche<br />

Realisierung moderner Theaterkonzepte sowie<br />

die Zusammenarbeit mit Festivals und dem freien<br />

Theaterschaffen.<br />

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gerne:<br />

· Frau Nathalie Unternährer, Kulturbeauftragte<br />

Kanton Luzern, nathalie.unternaehrer@lu.ch<br />

· Herr Kurt W. Meyer, Stiftungsratspräsident<br />

Luzerner Theater, k.meyer@josefmeyer.ch<br />

Wenn Sie diese anspruchsvolle Aufgabe interessiert,<br />

freuen wir uns auf Ihre Bewerbung bis spätestens<br />

31. Januar 2<strong>01</strong>4 an das:<br />

Bildungs- und Kulturdepartement Kanton Luzern,<br />

Abteilung Kulturförderung, Kurt W. Meyer,<br />

Stiftungsratspräsident Luzerner Theater,<br />

Bahnhofstrasse 18, CH-6002 Luzern


74 AUCH DAS NOCH<br />

Chronik<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

15.11.13<br />

Ernster sieht die Sache in<br />

Sachsen-Anhalt aus, wo sich<br />

der Kulturminister Stefan<br />

Dogerloh höchstselbst zum<br />

Guillotinisten seiner Kulturlandschaft<br />

aufschwingt. Seine<br />

Sparpläne bedrohen gleich<br />

mehrere <strong>Bühne</strong>n, der Protest<br />

ist heftig, die Debatte hitzig.<br />

Vielleicht sollte er sich mal mit<br />

seinem Thüringer Kollegen<br />

und SPD-Parteigenossen<br />

Christoph Matschie beraten.<br />

Der hat nicht nur seit einem<br />

Jahr ein Kulturkonzept,<br />

sondern auch die Kulturmittel<br />

um ein Viertel erhöht.<br />

19.11.13<br />

Derweil nehmen die Theaterintendanten<br />

in Mecklenburg-<br />

Vorpommern ihre Sache<br />

selbst in die Hand und wollen<br />

nun in der Ständigen Intendantenkonferenz<br />

mit einer<br />

Stimme sprechen. Ihren<br />

Kulturminister Mathias<br />

Brodkorb, der seine Sparpläne<br />

auch schon mal per Online-<br />

Abstimmungs-Portal populistisch<br />

abgesichert hat, fordern<br />

sie zum Dialog auf. Mal sehen,<br />

ob’s nützt.<br />

20.11.13<br />

Unerwartete neue Nachrichten<br />

aus Sachsen-Anhalt:<br />

Zumindest für die Landesbühne<br />

in Eisleben soll es ein<br />

Leben nach dem Tode<br />

geben – so ähnlich muss man<br />

es wohl formulieren. Das<br />

Land wird seine Zuschüsse<br />

nämlich doch nicht völlig<br />

streichen, auch die Fusion<br />

mit dem Nordharzer<br />

Städtebundtheater ist vom<br />

Tisch. Aber die 400000 Euro<br />

jährlich, die ab 2<strong>01</strong>5 bis 2<strong>01</strong>8<br />

noch ließen sollen, werden<br />

einen weiteren Stellenabbau<br />

erzwingen, zudem wird das<br />

Theater in ein „Kulturwerk“<br />

umgewandelt, das sich vor<br />

allem um kulturelle Breitenarbeit<br />

kümmern soll. Zu<br />

befürchten ist, dass Eisleben<br />

sein Weiterleben als<br />

Schrumpftheater fristet –<br />

aber immerhin: als Theater.<br />

21.11.13<br />

Immer wieder gut für Stürme<br />

im Wasserglas der Feuilletonisten:<br />

ein Autor fühlt sich<br />

vom Regisseur seines Stückes<br />

über den Regietisch gezogen.<br />

Aktuell so geschehen am<br />

Landestheater Tübingen, das<br />

bei dem derzeit recht<br />

angesagten österreichischen<br />

Autor, Schauspieler und<br />

Regisseur (!) Volker Schmidt<br />

das Stück „Endlich Eiszeit“ in<br />

Auftrag gab und Ende<br />

November in der Regie von<br />

Paul-Georg Dittrich herausbrachte.<br />

<strong>Die</strong> Eiszeit zwischen<br />

Autor und Regisseur brach<br />

bei der Hauptprobe mit<br />

Macht herein, als Schmidt<br />

sein Stück entstellt sah und<br />

DISTANZIERT SICH VON DER TÜBINGER<br />

INSZENIERUNG SEINES STÜCKES:<br />

DER AUTOR VOLKER SCHMIDT<br />

seinen Namen aus der<br />

Produktion zurückzog,<br />

während sich die Intendantin<br />

Simone Sterr hinter das<br />

Regieteam stellte. Immerhin:<br />

die Premiere konnte stattinden<br />

(zur mäßigen Begeisterung<br />

unseres Kritikers: www.<br />

die-deutsche-buehne.de/<br />

kritiken). Das ist noch eine<br />

gnädige unter den möglichen<br />

Lösungen bei so einem Streit.<br />

23.11.13<br />

Es war für Außenstehende nie<br />

ganz leicht, der Berliner Politik<br />

zu folgen. <strong>Die</strong>smal ist es<br />

besonders schwer. Eigentlich<br />

hätten die Berliner Kulturpolitiker<br />

gern 3,7 Millionen Euro<br />

mehr vom Senat gehabt, vor<br />

allem für die freie Szene und<br />

für die hochrenommierte<br />

Tanzcompagnie von Sasha<br />

Waltz. Bei den Verhandlungen<br />

um den Doppelhaushalt<br />

2<strong>01</strong>4/15 blieben davon aber nur<br />

1,2 Millionen übrig. Zum<br />

Ausgleich wurde vereinbart,<br />

dass die Freie Szene einen Teil<br />

aus der Übernachtungssteuer<br />

City Tax bekommen soll. Einen<br />

Tag später platzte auch diese<br />

Seifenblase. Besonders pikant<br />

ist dabei, dass Sasha Waltz zwar<br />

500000 Euro mehr bekommen<br />

soll – aber nur, wenn die<br />

Opernstiftung die gleiche<br />

Summe einspart. So spielt man<br />

die Institutionen gegeneinander<br />

aus. Warum die Berliner<br />

Politiker ausgerechnet eine<br />

ihrer angesehensten Künstlerinnen<br />

derart vors Schienenbein<br />

treten, weiß der Himmel.<br />

25.11.13<br />

Es gibt gute und schlechte<br />

Verlierer. <strong>Die</strong> Orchestergewerkschaft<br />

DOV zählt zu den<br />

ganz schlechten. <strong>Die</strong> Gehälter<br />

der Orchestermusiker folgen<br />

denen des Öfentlichen<br />

<strong>Die</strong>nstes, die konkrete<br />

Ausgestaltung dieser Anpassung<br />

handelt die DOV mit<br />

dem <strong>Deutsche</strong>n <strong>Bühne</strong>nverein<br />

aus. Aus diesen Verhandlungen<br />

war die DOV vor drei<br />

Jahren ausgestiegen und<br />

hatte stattdessen auf eine<br />

automatische Anpassung<br />

geklagt. Während des<br />

Rechtsstreits wurden die<br />

Gehälter nicht angepasst, am<br />

Ende bekam der <strong>Bühne</strong>nver-<br />

SASHA WALTZ<br />

Fotos: DRAMA, Bernd Brundert (oben)


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

<strong>Die</strong> Sparte »u\hof: Theater für junges Publikum« des Landestheaters Linz<br />

(www.uhof.at) sucht ab September 2<strong>01</strong>4<br />

zwei junge Schauspielanfänger (m)<br />

ein Recht. Vor den nun dringend gebotenen<br />

Verhandlungen über die Anpassung aber<br />

brach die DOV erst mal Streiks vom Zaun,<br />

und als man sich endlich getrofen hatte,<br />

gab es einen Streit über das Ergebnis.<br />

Wieder ruhten die Verhandlungen, die<br />

Musiker müssen weiter auf höhere Gehälter<br />

warten. Das Verhalten der DOV gibt dem<br />

Begrif der Interessenvertretung einen<br />

eigenen Klang – getreten wird bekanntlich<br />

mit den Füßen.<br />

14.11.13<br />

Nun soll die Kultur also doch nicht Staatsziel<br />

werden. Das ist schade, aber es gibt wichtigere<br />

Dinge. Es wäre schon viel gewonnen,<br />

wenn nicht immer wieder Gesetze verabschiedet<br />

würden, die den Kommunen ohne<br />

Gegenleistung Ausgaben aufbürden, so dass<br />

die am Ende wieder an den „freiwilligen<br />

Leistungen“ (und damit an der Kultur)<br />

sparen. An dieser Haushaltsalgebra wird der<br />

Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD<br />

zwar wenig ändern. Aber zumindest für die<br />

Finanzgestaltung zwischen Bund, Ländern<br />

und Kommunen formuliert er eine Perspektive:<br />

„Bund und Länder sollten bei der<br />

Planung und Finanzierung künftig intensiver<br />

und systematischer zusammenwirken<br />

(kooperativer Kulturföderalismus).“ Das zielt<br />

auf das „Kooperationsverbot“: Es verbietet<br />

dem Bund, in die Kulturhoheit der Länder<br />

und Kommunen einzugreifen, und sei es<br />

durch inanzielle Unterstützung. Um zu<br />

sehen, wie weit es mit dieser „Hoheit“ her<br />

ist, muss man nur mal nach Sachsen-Anhalt<br />

oder Mecklenburg-Vorpommern schauen, wo<br />

ganze Kulturlandschaften an der Abbruchkante<br />

stehen. Ein bisschen mehr „Kooperation“<br />

würde der Kultur gewiss nicht schaden.<br />

2.12.13<br />

Und noch einmal spielt der Theatergott<br />

Schicksal: In Saarbrücken hat das Staatstheater<br />

gerade seine neue Technik in Betrieb genommen,<br />

zunächst funktionierte alles reibungslos,<br />

aber dann streikte ein Relais und eine<br />

„Tosca“-Vorstellung platzte. Statt schönen<br />

Gesang spendete das Staatstheater seinen<br />

enttäuschten Besuchern prickelnden Crémant.<br />

für ein Zwei-Jahresengagement.<br />

Wir suchen selbstständig denkende Persönlichkeiten, die sich kreativ an unseren Vorhaben<br />

beteiligen wollen, anspruchsvolles, sinnliches und unterhaltsames Theater für junge Menschen<br />

zu machen. Wir wünschen uns: Wandlungsfähigkeit, gute Körperlichkeit und Musikalität<br />

(gute Singstimme), darüber hinaus einen Draht zu Kindern bzw. Jugendlichen, Spielfreude,<br />

Genauigkeit und Ausdauer, Offenheit und Neugierde, Lust an Teamarbeit und Ensemblespiel,<br />

Verlässlichkeit und Humor. Erfahrung mit Musiktheater, Improvisationstheater, Figurentheater,<br />

Akrobatik, Tanz oder Instrumentenspiel sind von Vorteil, aber nicht ausschlaggebend.<br />

<strong>Die</strong> Monatsgage für diese Position beträgt ca. EUR 1.660,– brutto.<br />

Schriftliche Bewerbungen bitte bis spätestens 31. Jänner 2<strong>01</strong>4 an: Oö. Theater<br />

und Orchester GmbH, Büro »u\hof: Theater für junges Publikum«, John F. Kutil<br />

Promenade 39, A-4020 Linz oder an: kutil@landestheater-linz.at<br />

<strong>Die</strong> Sparte »u\hof: Theater für junges Publikum« des Landestheaters Linz<br />

(www.uhof.at) sucht ab September 2<strong>01</strong>4<br />

eine/n Theaterpädagogin/en | Dramaturgin/en<br />

<strong>Die</strong>se Vollzeit-Stelle unterteilt sich in die zwei großen Arbeitsbereiche Theaterpädagogik und<br />

Dramaturgie in der Sparte »u\hof: Theater für junges Publikum« am Landestheater Linz. Voraussetzung<br />

ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium in den Bereichen Theaterwissenschaft<br />

und/oder Theaterpädagogik oder Vergleichbares. Aufgabengebiete: Theaterpädagogische<br />

Begleitung von Inszenierungen, Organisation und Durchführung theaterpädagogischer Projekte<br />

(momentanes Programm siehe www.uhof.at), Produktionsdramaturgie, Mitarbeit in der<br />

Spielplanaufstellung. <strong>Die</strong>se Position verlangt gute Kenntnisse der Kinder- und Jugendtheaterliteratur,<br />

Erfahrungen im Theater, Einsatzfreude, Flexibilität und Teamfähigkeit. Führerschein B<br />

und Fremdsprachenkenntnisse sind erwünscht. <strong>Die</strong> Monatsgage beträgt EUR 1.800,– brutto.<br />

Schriftliche Bewerbungen bitte bis spätestens 31. Jänner 2<strong>01</strong>4 an: Oö. Theater<br />

und Orchester GmbH, Büro »u\hof: Theater für junges Publikum«, John F. Kutil<br />

Promenade 39, A-4020 Linz oder an: kutil@landestheater-linz.at


76 AUCH DAS NOCH<br />

Chronik<br />

Nachrufe<br />

5.11.13<br />

Brigitte Neumeister war eine<br />

Volksschauspielerin; aber<br />

eine enorm vielseitige. Lange<br />

war sie am Wiener Theater<br />

an der Josefstadt, dort sah<br />

man sie unter anderem als<br />

Mascha in den „Drei Schwestern“<br />

oder als Agathe in<br />

Hofmannsthals „Schwierigem“.<br />

In die Herzen der<br />

Fernsehzuschauer von ganz<br />

Österreich aber spielte sie<br />

sich als Hausmeisterin<br />

Turecek in der Serie „Kaisermühlen-Blues“.<br />

Sie starb<br />

69-jährig in Wien.<br />

6.11.13<br />

Hans von Borsody muss man<br />

nicht groß vorstellen. Seit er<br />

unter dem heute wunderbar<br />

gestrig klingenden Namen<br />

„Clif Dexter“ ermittelte, war er<br />

regelmäßig in Film und<br />

Fernsehen präsent. Aber der<br />

1929 in Wien geborene<br />

Fernseh-Promi, der mit seinen<br />

Ehen auch die Leser bunter<br />

Blätter bestens unterhielt,<br />

fühlte sich immer dem Theater<br />

verbunden. Ausgerechnet der<br />

Cyrano de Bergerac war es, den<br />

der einst smarte und später<br />

markante Typ sich zur<br />

IM FERNSEHEN EIN HELD,<br />

IM THEATER EIN ANTIHELD:<br />

HANS VON BORSODY<br />

Lebensrolle erkor. Er spielte an<br />

den <strong>Bühne</strong>n in Berlin,<br />

Frankfurt, Hamburg oder<br />

München und natürlich in<br />

Wien. Gestorben ist er in Kiel,<br />

wohin er – nach drei gescheiterten<br />

Ehen mit Schauspiele-<br />

Foto: management rehling<br />

<strong>Die</strong> Städte Hilden, Ratingen und Langenfeld richten vom<br />

23. bis 27. Juni 2<strong>01</strong>4 das Jugendtheatertreffen „TheaTrend“<br />

aus und laden bundesweit drei repräsentative, zeitgenössische<br />

Inszenierungen ein. „TheaTrend“ fördert professionelle<br />

Ensembles, die jenseits der Stadt- und Staatstheater engagiertes<br />

Theater für Jugendliche machen.<br />

Eine Jury prämiert eines der drei Stücke mit einem Preisgeld<br />

von € 3.000, –<br />

Teilnahmebedingungen:<br />

• <strong>Die</strong> Inszenierung muss nach 2<strong>01</strong>0 produziert sein<br />

• Zielpublikum sind junge Menschen ab 13 Jahre<br />

• Austragungsort ist das Jugendzentrum AREA 51 in Hilden<br />

• Aufwandsentschädigung je Ensemble, € 1.500, –<br />

• Aufführungstermine:<br />

Mo., 23.06., Di., 24.06. und Mi., 25.06.2<strong>01</strong>4<br />

• Bewerbungsschluss 28.02.2<strong>01</strong>4<br />

<strong>Die</strong> Kulturämter bitten um eine aussagekräftige Bewerbung<br />

auf DVD oder anderen visuellen Medien z. H. Monika Doerr<br />

M.A., Kulturamt Hilden, Am Rathaus 1, 40721 Hilden.<br />

Weitere Infos unter kulturamt@hilden.de<br />

02103 – 72232 oder www.hilden.de<br />

Jugendtheaterfestival der Städte<br />

Hilden, Ratingen, Langenfeld<br />

23. – 27. Juni 2<strong>01</strong>4<br />

Ausschreibung<br />

DIE SCHAUSPIELHAUS GRAZ GMBH besetzt folgende Position ab <strong>01</strong>.09.2<strong>01</strong>5 neu:<br />

GESCHÄFTSFÜHRENDE/R INTENDANT/IN<br />

<strong>Die</strong> Schauspielhaus Graz GmbH, Tochtergesellschaft der Theaterholding Graz/<br />

Steiermark GmbH, hat ihre gesellschaftspolitische und künstlerische Aufgabe im<br />

Rahmen des kulturpolitischen Auftrages der Stadt Graz und des Landes Steiermark<br />

zu erfüllen. <strong>Die</strong> geschäftsführende Intendanz der Schauspielhaus Graz GmbH erfordert<br />

die Übernahme der künstlerischen, wirtschaftlichen und organisatorischen<br />

Gesamtverantwortung unter Einhaltung der vorgegebenen Rahmenbedingungen<br />

(Konzernrichtlinien) und der vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen.<br />

VORAUSGESETZT WERDEN:<br />

Erfahrung in einer Leitungsfunktion eines vergleichbaren Theaterbetriebes, sehr<br />

gute Kenntnisse im Bereich Sprechtheater, Kenntnis des österreichischen und<br />

internationalen Kulturrepertoires sowie des personellen Marktes im künstlerischen<br />

Bereich, ausgeprägtes wirtschaftliches Denken. Erwartet wird die Fähigkeit,<br />

künstlerisches und wirtschaftliches Handeln so zu verbinden, dass ein Schauspielhaus<br />

dieser Größenordnung in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter<br />

Haftung erfolgreich geführt werden kann.<br />

SCHRIFTLICHE UNTERLAGEN<br />

über die näheren Rahmenbedingungen können ab 15.12.2<strong>01</strong>3 bei der Theaterholding<br />

Graz/Steiermark GmbH, Geschäftsführung, Gleisdorfer Gasse 10 a, 8<strong>01</strong>0<br />

Graz, Tel.: 0316/8008 DW 8008 oder 8889,<br />

E-Mail: geschaeftsfuehrer@theaterholding.at, angefordert werden.<br />

Ausführliche schriftliche Bewerbungen mit Curriculum Vitae und konzeptiven<br />

künstlerisch-wirtschaftlichen Vorstellungen werden bis spätestens 15.03.2<strong>01</strong>4<br />

(Posteingang) an obige Adresse erbeten. Alle Bewerbungen werden selbstverständlich<br />

vertraulich behandelt.<br />

www.theaterholding.at


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 77<br />

Chronik<br />

rinnen, aus denen wiederum begabte<br />

Schauspielerinnen-Töchter hervorgingen<br />

– aus Liebe zu seiner letzten Frau<br />

Karin gezogen war.<br />

15.11.13<br />

Wolf-<strong>Die</strong>ter Kabler war seit der<br />

Spielzeit 2004/05 Ensemblemitglied<br />

am Theater Münster, er spielte die<br />

großen Rollen: Nathan, Galilei, Lear,<br />

Faust. Man kannte ihn aus dem<br />

Fernsehen, das Publikum mochte ihn.<br />

Insofern ist es mehr als eine Redensart,<br />

wenn man sagt, dass der 1956<br />

geborene Schauspieler nach schwerer<br />

Krankheit viel zu früh verstorben ist.<br />

16.11.13<br />

<strong>Die</strong>ter Rummel war einer von den<br />

Theatermenschen, denen das große<br />

Feuilleton nur selten seine<br />

Aufmerksamkeit schenkt, geschweige<br />

denn seine Liebe. Denn Rummel<br />

hat sich einer Theaterspielart<br />

verschrieben, die im Feuilleton<br />

nicht viel gilt: dem Boulevard. Und<br />

doch hätten Menschen wie er alle<br />

Anerkennung verdient. Denn er<br />

hat sein ganzes Leben dem Theater<br />

gewidmet: rückhaltlos, unermüdlich,<br />

leidenschaftlich. Rummel war<br />

der Gründervater des Theaters am<br />

Platanenhain, das man in Darmstadt<br />

nur unter dem Kürzel Tap<br />

kennt. Hier präsentierte er seine<br />

Komödienprogramme, stand als<br />

Schauspieler auf der <strong>Bühne</strong>,<br />

machte Theater für junge Zuschauer,<br />

hielt den Laden zusammen,<br />

machte einfach alles. Mit 50 erlitt<br />

er einen Schlaganfall, war gelähmt,<br />

ließ sich nicht entmutigen,<br />

kämpfte sich wieder hoch, stand<br />

bald wieder auf der <strong>Bühne</strong>. Er war<br />

in Darmstadt Strieses Stellvertreter<br />

auf Erden. Nun ist er abberufen<br />

worden. Der Prinzipal, Schauspieler,<br />

Komödiant und Theatermaniac<br />

<strong>Die</strong>ter Rummel verstarb im Alter<br />

von 74 Jahren nach einer schweren<br />

Erkrankung.<br />

<strong>Die</strong> Komische Oper Berlin<br />

Intendant Barrie Kosky<br />

GMD Henrik Nánási<br />

sucht ab der Spielzeit 2<strong>01</strong>4/15 eine/n<br />

musikalische/n Leiter/in<br />

des Opernstudios und<br />

Solorepetitor/in<br />

<strong>Die</strong> Vergütung erfolgt nach NV <strong>Bühne</strong>.<br />

Ihre schriftliche Bewerbung richten Sie<br />

bitte bis spätestens 31.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4 an die:<br />

Komische Oper Berlin | Operndirektion<br />

Behrenstr. 55–57 | 1<strong>01</strong>17 Berlin<br />

Det. Informationen bzgl. Anforderungen<br />

und Vorspielprogramm finden Sie unter:<br />

www.komische-oper-berlin.de/<br />

ueber-uns/jobs/<br />

<strong>Die</strong> Bewerbung von Frauen ist erwünscht.<br />

Anerkannte Schwerbehinderte werden bei<br />

gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.<br />

<strong>Die</strong> Komische Oper Berlin<br />

Intendant Barrie Kosky<br />

GMD Henrik Nánási<br />

sucht ab der Spielzeit 2<strong>01</strong>4/15 eine/n<br />

2. Studienleiter/in<br />

<strong>Die</strong> Vergütung erfolgt nach NV <strong>Bühne</strong>.<br />

Ihre schriftliche Bewerbung richten Sie<br />

bitte bis spätestens 31.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4 an die:<br />

Komische Oper Berlin | Operndirektion<br />

Behrenstr. 55–57 | 1<strong>01</strong>17 Berlin<br />

Detaillierte Informationen bezüglich<br />

Anforderungen und Vorspielprogramm<br />

finden Sie im Internet unter:<br />

www.komische-oper-berlin.de/<br />

ueber-uns/jobs/<br />

<strong>Die</strong> Bewerbung von Frauen ist erwünscht.<br />

Anerkannte Schwerbehinderte werden bei<br />

gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.


78 AUCH DAS NOCH<br />

Empfehlungen<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Was uns gefällt<br />

Unsere Empfehlungen: DVD‘s, Bücher, TV-Sendungen, CD‘s<br />

Monumentales Opernkino<br />

David McVicar ist so etwas wie<br />

der fröhliche Handwerker<br />

unter den prominenten<br />

Opernregisseuren. Er dekonstruiert<br />

nicht, modernisiert<br />

allenfalls dezent und bewegt<br />

sich optisch innerhalb der<br />

Konvention. Seine Inszenierungen<br />

zeichnen sich durch<br />

hervorragende Personenführung,<br />

relektierten Umgang mit<br />

Klischees, ein Gespür für<br />

ungewöhnliche Bildwirkungen<br />

und einen nahezu fanatischen<br />

Altruismus aus.<br />

Trotz dieser Vorzüge hätte der<br />

Londoner „Troyens“- Mitschnitt<br />

aus dem Juli 2<strong>01</strong>2 leicht ein<br />

„Opern – Ben-Hur“ werden<br />

können. Wenn Francois Roussillon<br />

nicht mit beweglicher und<br />

stückkundiger Kameraführung<br />

aus dem Blick auf das monumentale<br />

<strong>Bühne</strong>nbild ein<br />

ilmisches Erlebnis gemacht<br />

und die Produktion nicht<br />

herausragende Sängerdarsteller<br />

hätte. Eva-Maria Westbroek<br />

und Brian Hymel sind als Dido<br />

und Aeneas tatsächlich<br />

liebende und leidende<br />

Menschen und singen auf<br />

hohem Niveau. Anna Caterina<br />

Antonacci gestaltet die<br />

Cassandra gar mit dem<br />

Bewegungsvokabular des<br />

Ausdruckstanzes, wie die<br />

Inszenierung überhaupt die<br />

tänzerischen Momente in den<br />

Mittelpunkt rückt.<br />

Hier trift sich McVicar mit<br />

dem Dirigenten Antonio<br />

Pappano, der nicht nur das<br />

ROH-Orchester und besonders<br />

den umwerfenden Chor zu<br />

hervorragenden Leistungen<br />

anhält. Er legt mit sinnlichem<br />

und transparentem Musizieren<br />

die Wurzeln dieser Ausnahmeund<br />

Außenseiterpartitur bloß.<br />

Und da klingen Rameaus<br />

Tanz-Opern genauso als<br />

Vorbilder durch wie Glucks<br />

herbe Großartigkeit und die<br />

lustvolle Schauerromantik des<br />

„Freischütz“.<br />

Andreas Falentin<br />

Hector Berlioz „Les Troyens“<br />

Royal Opera House London,<br />

2<strong>01</strong>2<br />

ML: Antonio Pappano<br />

I: David McVicar<br />

BR: Francois Roussillion<br />

Bryan Hymel (Aeneas),<br />

Eva-Maria Westbroek (Dido)<br />

u.a.<br />

2 DVD, 254 min + 30 min.<br />

Bonus (auch als blu-ray)<br />

Opus Arte, OA 1097 D,<br />

EAN 809478<strong>01</strong>0975<br />

Come Back<br />

„Seine größten Erfolge feierte<br />

L. H. mit den Stücken ‚Nora‘<br />

(zum Theatertrefen eingeladen)<br />

und ‚Sommernachtstraum‘<br />

(zum Theatertrefen<br />

eingeladen) und ‚John Gabriel<br />

Borkman‘ (zum Theatertrefen<br />

eingeladen). Leander Haußmann<br />

war der bedeutendste<br />

junge Regisseur Deutschlands<br />

in den Neunzigern. 1995 wurde<br />

er zum Intendanten am<br />

Schauspielhaus Bochum<br />

berufen, wo seine Arbeit mehr<br />

als umstritten war...“<br />

„Buh“, die Autobiographie des<br />

Regisseurs Leander Haußmann<br />

ist nicht nur informativ,<br />

sondern setzt auch beständig<br />

die Psyche der Hauptperson in<br />

Szene. Dabei wirkt diese<br />

Autobiographie sowohl<br />

ungewöhnlich ironisch als auch<br />

ofen selbstverliebt. <strong>Die</strong> oben<br />

zitierten Sätze stammen, so<br />

behauptet Haußmann, aus<br />

seinem selbstverfasstem<br />

Nachruf, der nach seinem Tod<br />

den Medien „zugespielt“<br />

werden solle.<br />

Tastächlich ist das mal<br />

erhellende, mal in seiner<br />

Selbstbeschau und undeutlichen<br />

Erinnerung ermattende,<br />

in jedem Fall aber außergewöhnlich<br />

ofenherzige Buch<br />

ein Anlass, einem Regisseur<br />

wieder zu begegnen, der dem<br />

Theater verlorengegangen<br />

schien. Und der vor kurzem<br />

mit einer „Hamlet“-Inszenierung<br />

am Berliner Ensemble<br />

wieder auf sich aufmerksam<br />

machte. Nicht nur als Autor<br />

seines Lebens oder oder als<br />

Filmregisseur, sondern als<br />

Theaterregisseur. Detlev Baur<br />

Leander Haußmann: Buh –<br />

Mein Weg zu Reichtum,<br />

Schönheit und Glück<br />

Verlag Kiepenheuer und<br />

Witsch Köln 2<strong>01</strong>3<br />

272 Seiten, 18,99 Euro


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 79<br />

Empfehlungen<br />

Foto: Richard Schuster<br />

Neujahrsfernsehen<br />

Eine Orgie loraler Arrangements,<br />

dazwischen läzen<br />

putzige Figurinen, gülden<br />

funkelt die üppige Ornamentik.<br />

Von der Decke grüßen Apollo,<br />

neun Musen und als Marmorbüsten<br />

einige Komponisten.<br />

Ihre Tonsetzerkunst wird<br />

mitten in der Pracht des<br />

Großen Musikvereinssaals<br />

gefeiert. Über 80 Nationen sind<br />

zugeschaltet, wenn die Wiener<br />

Philharmoniker daheim zum<br />

Jahresauftakt champagnerlaunig<br />

im Dreivierteltakt der<br />

Strauß-Dynastie schwelgen.<br />

Allein im ZDF verfolgen<br />

alljährlich fast drei Millionen<br />

Zuschauer den Konzerthit.<br />

2<strong>01</strong>4 steht mal wieder Daniel<br />

Barenboim am Pult. Arte<br />

überträgt hingegen aus dem<br />

schnieke auf Klassizismus<br />

getrimmten Opernhaus<br />

Venedigs. Dort konzertieren<br />

Orchestra e Coro del Teatro La<br />

Fenice unter der Leitung des<br />

jungen Venezolaners <strong>Die</strong>go<br />

Matheuz. <strong>Die</strong>ses Neujahrskonzert<br />

setzt traditionell auf zwei<br />

melodramatische Opernhits<br />

von Giuseppe Verdi: den<br />

Gefangenenchor aus „Nabucco“<br />

und „Libiam ne’ lieti calici“,<br />

die Ode ans Alkoholtrinken aus<br />

„La Traviata“. In diesem Sinne:<br />

Prosit, Neujahr! Jens Fischer<br />

Mittwoch, 1. Januar 2<strong>01</strong>4,<br />

11.15 Uhr, Neujahrskonzert<br />

der Wiener Philharmoniker,<br />

ZDF<br />

18.05 Uhr, Neujahrskonzert<br />

aus Venedig, Arte<br />

Doppelter Ur-Holländer<br />

Marc Minkowskis Einspielung<br />

der einaktigen Urfassung des<br />

„Fliegenden Holländers“ ist<br />

vielleicht das spannendste<br />

CD-Projekt im Wagner-Jahr.<br />

<strong>Die</strong> harte, schmucklose, dem<br />

romantischen Aufrauschen<br />

seltsam abholde Originalinstrumentierung<br />

kommt in der<br />

sehnigen, dynamischen<br />

Wiedergabe der auf historischen<br />

Instrumenten spielenden<br />

Musiciens du Louvre elegant<br />

daher und lässt dem ausgezeichneten<br />

Chor und den<br />

Solisten, voran der kraftvollbleiche<br />

Evgeny Nikitin in der<br />

Titelrolle, viel musikalischen<br />

Gestaltungsspielraum.<br />

Begeistert hört man „neue“<br />

Einzelheiten wie die herrlich<br />

sichelnde Violine in der Reprise<br />

des Spinnerinnenchores und<br />

staunt über einen mehrfach<br />

auftauchenden „typisch<br />

französischen“ trocken-ironischen<br />

Tonfall.<br />

Zum Ereignis wird das Projekt<br />

durch die angehängte,<br />

fantastisch musizierte Gesamteinspielung<br />

des „Le Vaisseau<br />

Fantome“ von Francois <strong>Die</strong>tsch.<br />

Der 1842 uraufgeführte<br />

Zweiakter entstand aus<br />

Wagners Prosa-Entwurf des<br />

„Holländers“, den das ewig<br />

klamme Pumpgenie an die<br />

Pariser Oper verscheuerte.<br />

<strong>Die</strong>tsch schrieb eine in<br />

Instrumentierung und<br />

Linienführung sehr französische<br />

Nummernoper mit<br />

stereotyp zweigeteilten Arien<br />

und Ensembles im italienischen<br />

Stil der Zeit. Dennoch<br />

wäre das Stück mit seinen<br />

musikalischen Delikatessen<br />

und seinem Mix aus wuchernden<br />

Märchenmotiven und<br />

geerdetem Realismus eigentlich<br />

ein gefundenes Fressen für<br />

einen tiefenpsychologisch<br />

denkenden Regisseur wie<br />

Christof Loy. Andreas Falentin<br />

Richard Wagner: Der<br />

Fliegende Holländer<br />

<strong>Die</strong>tsch: Le Vaisseau Fantome<br />

ML: Marc Minkowski<br />

Le Musiciens de Louvre,<br />

Estnischer Philharmonischer<br />

Kammerchor<br />

4CDs, AD: 2<strong>01</strong>3<br />

Naive Classique V 5349, EAN:<br />

822186053492<br />

Weitere Empfehlungen unter<br />

www.die-deutsche-buehne.de/<br />

empfehlungen


80 AUCH DAS NOCH<br />

Forum<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

Forum<br />

DIE<br />

DEUTSCHE<br />

BÜHNE<br />

online<br />

SO UNGEFÄHR WIRD<br />

SIE AUSSEHEN:<br />

DIE NEUE FRONTPAGE<br />

UNSERER WEBSITE<br />

Mit der neuen DEUTSCHEN BÜHNE gibt<br />

es auch eine neu gestaltete Homepage. <strong>Die</strong><br />

Neukonzeption betrift vor allem das<br />

Verhältnis von <strong>Heft</strong> und Homepage – beides<br />

soll sich optisch und inhaltlich so<br />

ergänzen, dass die Stärken des jeweiligen<br />

Mediums gut zur Geltung kommen. Damit<br />

zielen wir insbesondere auf unsere<br />

Abonnenten, die hier viele zusätzliche, für<br />

sie kostenlose und auf das <strong>Heft</strong> abgestimmte<br />

Angebote finden. Daneben gibt es wie<br />

bisher den kostenlosen Zugang zu einem<br />

jetzt erweiterten Angebot von aktu ellen<br />

Kritiken, Multimediaformaten, Leseproben,<br />

Meldungen und Kommentaren.<br />

<strong>Die</strong> Kritiken<br />

Unsere beliebteste Rubrik, für die wie<br />

zuvor der obere Bereich der Seite reserviert<br />

ist. Sie wird durch den Slider mit<br />

wechselnden Motiven attraktiver präsentiert,<br />

hinter den verschiedenen Schaltflächen<br />

finden sich nun komfortable Suchfunktionen,<br />

wo Sie direkt nach Regisseuren,<br />

Dirigenten, Stücken oder Autoren suchen<br />

können.<br />

Parkett<br />

Hier sind Sie eingeladen, Platz und sich<br />

Zeit zu nehmen – zumindest ein bisschen.<br />

Sie finden (kostenlos) Dinge zum Lesen,<br />

Hören und Schauen: den Videotrailer des<br />

Monats zu einer aktuellen Inszenierung;<br />

das „Fundstück“ als Multimediaformat zu<br />

besonderen Theaterthemen, das die<br />

<strong>Heft</strong>-Rubrik ergänzt; und die „Leseprobe“<br />

zum Schwerpunkt des aktuellen <strong>Heft</strong>s.<br />

Logenplatz<br />

Der exklusive Bereich für unsere Abonnenten:<br />

Wer bereits ein Print-Abo hat, kann<br />

sich kostenlos mit seiner Abo-Nummer<br />

anmelden; wer DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />

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Arten von E-Readern, Smartphones und<br />

Computern lesen. Außerdem gibt’s den<br />

Zugang zum Premierenportal, wo man<br />

eine täglich aktualisierte Premierenübersicht<br />

auf drei Monate im Voraus abrufen<br />

oder sich die Premieren des Folgemonats<br />

im gewohnten Erscheinungsbild ausdrucken<br />

kann. Zudem gibt es eine vollständige<br />

Übersicht über neue CDs und DVDs zum<br />

Theater, einen Überblick über Theatersendungen<br />

in Rundfunk und Fernsehen, über<br />

neue Stücke und wichtige Termine, all das<br />

mit komfortablen Suchfunktionen.<br />

Außerdem: Unsere DdB-Archivsuche der<br />

Jahrgänge 1996 bis 2<strong>01</strong>3.<br />

Studio<br />

Hier stehen (wieder als kostenfreier Inhalt<br />

für alle) die kleinen, aktuellen Formate: der<br />

Blog, Meldungen und Kommentare, der<br />

Zwischenruf und, je nach Lage der<br />

Theaterwelt, der Fokus auf ein aktuelles<br />

Ereignis.<br />

Außerdem möchten wir Ihnen unsere<br />

Partner fortan attraktiver präsentieren.<br />

Aber was rede ich lange – schauen Sie selbst:<br />

Wenn dieses <strong>Heft</strong> erscheint, sollte eigentlich<br />

alles fertig sein. Detlef Brandenburg<br />

Den gesamten Premierenspiegel<br />

finden Sie unter www.<br />

die-deutsche-buehne.de/premieren


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

AUCH DAS NOCH 81<br />

Vorschau<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE<br />

im Februar<br />

Eine Vorschau<br />

FRANCESCA<br />

IMODA UND<br />

KONSTANTINOS<br />

KRANIDIOTIS (VORN)<br />

IN NANINE<br />

LINNINGS „ZERO“<br />

AM THEATER<br />

HEIDELBERG<br />

SHERMIN LANG-<br />

HOFF, NEUE INTEN-<br />

DANTIN AM MAXIM<br />

GORKI THEATER<br />

BERLLIN<br />

QUICKLEBINDIGES THEATER<br />

IN DER PROVINZ:<br />

DAS STADTTHEATER IN<br />

KONSTANZ<br />

Schwerpunkt<br />

Provinz – Eine Liebeserklärung<br />

Kleine Theater zwischen Rendsburg und Eggenfelden<br />

prägen die deutsche Theaterlandschaft. Wir haben einige<br />

Perlen in der Provinz besucht und stellen sie vor<br />

Bayerische Theaterakademie August Everding<br />

im Prinzregententheater München<br />

<strong>Bühne</strong>nwelt<br />

Hausbesuch:<br />

Shermin Langhof gibt dem Maxim Gorki Theater in<br />

Berlin ein international-migrantisches Profil<br />

Porträt:<br />

Kölns neuer Schauspielintendant Stefan Bachmann<br />

Auführungen<br />

Gegenüberstellungen:<br />

• Das französische Erfolgsstück „Der Vorname“<br />

• Verdis „Falstaf“<br />

Kritik im Dialog:<br />

• Zwei Martin-Crimp-Erstauführungen<br />

Fotos: Kalle Kuikkaniemi, Theater Konstanz, Esra Rotthoff<br />

BERUFSORIENTIERUNGSTAG<br />

Samstag, 8. Februar 2<strong>01</strong>4, 10 –17 Uhr<br />

Schauspiel, Operngesang, Musical, Regie, <strong>Bühne</strong>nbild und -kostüm,<br />

Maskenbild, Dramaturgie, Kulturkritik<br />

In den Unterrichtsräumen und auf den <strong>Bühne</strong>n wird ein vielfältiges<br />

Programm angeboten: u.a. offene Unterrichte, bei denen die<br />

Besucher teilweise selbst mitmachen können, Einblicke in Probenprozesse<br />

sowie Gespräche mit Studierenden. Interessenten können<br />

sich über die Zulassungsvoraussetzungen und den Studienverlauf<br />

der acht Studiengänge informieren. Der Eintritt ist frei!<br />

www.theaterakademie.de<br />

BAYERISCHE THEATERAKADEMIE<br />

AUGUST EVERDING<br />

PRINZREGENTENTHEATER


82 AUCH DAS NOCH<br />

Finale<br />

DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4<br />

<strong>Die</strong> letzten Fragen<br />

an Tobias Kratzer, Opernregisseur<br />

1. Welches Kompliment können Sie<br />

auf den Tod nicht ausstehen?<br />

Aus Gründen des Aberglaubens: eigentlich<br />

alle Komplimente vor der Premiere.<br />

2. Welches ist die größte Lüge über das Theater?<br />

Hier gilt’s der Kunst!<br />

3. Was kann Ihnen eine Probe so richtig vermiesen?<br />

Zeitgleiches Champions League Finale.<br />

4. Wo schlafen Sie am besten?<br />

Wen‘s interessiert: in vollständiger Dunkelheit<br />

(dafür mit hoher Geräuschtoleranz).<br />

5. Was ist ein guter Ort zum Nachdenken?<br />

Olympia-Schwimmhalle München, 50-Meter-Becken –<br />

etwa nach der 10. Bahn.<br />

6. Für welchen Ratschlag sind Sie Ihren<br />

Eltern noch heute dankbar?<br />

Kein wirklicher Ratschlag, aber trotzdem gut zu wissen:<br />

Wer die erste Koran-Sure auf Arabisch rezitieren kann,<br />

kommt auch als Nicht-Muslim in den Felsendom.<br />

7. Was macht Ihnen Angst?<br />

Stephen Kings „The Jaunt“, 1981.<br />

8. Ihre schlimmste Panne?<br />

Aus Gründen des Aberglaubens: unbeantwortet...<br />

9. Heimat ist für Sie... ?<br />

Entspannung statt Verplichtung.<br />

10. Erfolg ist für Sie...?<br />

Verplichtung statt Entspannung.<br />

11. Was haben Sie schon mal richtig bereut?<br />

Alle Momente von Halbherzigkeit.<br />

12. Wo haben Sie das tollste Publikum erlebt?<br />

Am 11. August 1999 um 11:03 Uhr auf der Dachterrasse der<br />

Salzburger Festspiele: zweieinhalb Minuten lang atemlose Stille,<br />

danach ungebrochener Applaus – totale Sonneninsternis!<br />

13. Gibt es eine Frage, die Sie schon immer gern beantworten<br />

wollten, die Ihnen aber leider nie einer stellt?<br />

Könnten Sie sich auch vorstellen, ein zeitgenössisches<br />

Werk bei uns zu inszenieren?<br />

TOBIAS KRATZER<br />

zählt zu den meistbeachteten<br />

Opernregisseuren einer jüngeren<br />

Generation. Zuletzt fand seine<br />

„Lohengrin“-Inszenierung am<br />

<strong>Deutsche</strong>n Nationaltheater Weimar<br />

große Beachtung. Er wurde 1980 in<br />

Landshut geboren und studierte<br />

Kunstgeschichte und Philosophie<br />

sowie Schauspiel- und Opernregie.<br />

2008 erhielt er beim internationalen<br />

Regie-Wettbewerb ring.award Graz<br />

den 1. Preis sowie alle vergebenen<br />

Sonderpreise. Seitdem ist er als<br />

freier Regisseur tätig. Arbeiten unter<br />

anderem in Basel, Bremen, Karlsruhe,<br />

Karlstad (Schweden), Leipzig und<br />

München.


DIE DEUTSCHE BÜHNE 1/2<strong>01</strong>4 AUCH DAS NOCH 83<br />

Impressum<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

<strong>Deutsche</strong>r <strong>Bühne</strong>nverein / Bundesverband<br />

der Theater und Orchester<br />

Redaktion<br />

Chefredakteur Detlef Brandenburg<br />

(verantwortlich), Dr. Detlev Baur,<br />

Ulrike Kolter, Bettina Weber (i.V.)<br />

Mitarbeit<br />

Ulrike Morell, Regine Reiters,<br />

Catharina Saggau<br />

Anschrift von Herausgeber<br />

und Redaktion<br />

<strong>Deutsche</strong>r <strong>Bühne</strong>nverein, St.-Apern-Straße<br />

17–21, 50667 Köln, Tel.: +49.221.208 12 18,<br />

E-Mail: info@die-deutsche-buehne.de,<br />

www.die-deutsche-buehne.de<br />

Verlag<br />

INSPIRING NETWORK GmbH & Co. KG,<br />

Hoheluftchaussee 95, 20253 Hamburg,<br />

Tel.: +49.40.609 46 59 06,<br />

www.inspiring-network.com<br />

Geschäftsführung: Dr. Katarzyna Mol-Wolf<br />

(Vorsitzende), Anke Rippert<br />

Redaktionsteam INSPIRING NETWORK:<br />

Redaktionelle Beratung: Andreas Möller,<br />

Andrea Huss<br />

Artdirektion/Graphik: Almut Moritz (fr.)<br />

Graphisches Konzept: Almut Moritz,<br />

Anja Steinig<br />

Illustrationen: Giannina Mihalic<br />

Vertrieb<br />

DPV <strong>Deutsche</strong>r Pressevertrieb GmbH,<br />

Postfach 570 402, 22773 Hamburg,<br />

www.dpv.de<br />

Repro/Herstellung<br />

Peter Becker GmbH, Medienproduktionen,<br />

Delpstraße 15, 97084 Würzburg<br />

Druck<br />

NEEF + STUMME premium printing GmbH<br />

& Co. KG, Schillerstraße 2, 29378 Wittingen<br />

Anzeigen<br />

MWK Zimmermann & Hähnel GmbH,<br />

Elisenstraße 24, 50667 Köln,<br />

E-Mail: ddb@mwk-koeln.de,<br />

Tel.: +49.221.12 34 35;<br />

Geschäftsführung: Ralf Zimmermann<br />

Anzeigenverkauf: Ute Singer,<br />

E-Mail: u.singer@mwk-koeln.de,<br />

Tel.: +49.221.820 09 13, Timea Basa,<br />

E-Mail: t.basa@mwk-koeln.de,<br />

Tel.: +49.221.820 09 14<br />

Abonnement- und<br />

Einzelheftbestellung<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> Kundenservice<br />

E-Mail: abo@die-deutsche-buehne.de,<br />

Tel. +49.1806.47 40 47*<br />

* 20 Cent/Anruf aus dem deutschen Festnetz,<br />

maximal 60 Cent/Anruf aus dem deutschen<br />

Mobilfunknetz. Preise aus dem Ausland<br />

abweichend.<br />

Jahresabonnement: 74 Euro,<br />

Einzelheft: 7 Euro<br />

Sudentenabo: 49,90 Euro<br />

Wir freuen uns auf Ihre Leserbriefe,<br />

Anmerkungen, Kritik und Fragen. Schreiben<br />

Sie bitte per Brief an Redaktion <strong>Die</strong><br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong>, Leserbriefe, St.-Apern-<br />

Straße 17–21, 50667 Köln oder per E-Mail an<br />

chefredaktion@die-deutsche-buehne.de.<br />

VON GELD UND GÖTZEN<br />

Auszüge aus den Schauspielproduktionen des Mainfranken Theaters Würzburg der Spielzeit 2<strong>01</strong>3/2<strong>01</strong>4<br />

BUDDENBROOKS<br />

Schauspiel<br />

nach Thomas Mann<br />

Fassung: John von Düffel<br />

Team: Kreutzfeldt, Angele,<br />

Beth, Lutz, Melle<br />

Premiere: 18.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4<br />

19.30 Uhr | Großes Haus<br />

FUNDAMENT<br />

Schauspiel<br />

von Jan Neumann<br />

Team: Steil, Limberg,<br />

Marzinowski<br />

Premiere: 13.03.2<strong>01</strong>4<br />

20.00 Uhr | Kammerspiele<br />

DER KAUFMANN<br />

VON VENEDIG<br />

Schauspiel<br />

von William Shakespeare<br />

Team: Suschke, Röhrbein,<br />

Melle<br />

Premiere: 10.05.2<strong>01</strong>4<br />

19.30 Uhr | Großes Haus<br />

LEONARD-FRANK-<br />

PREIS<br />

Gewinnerstück 2<strong>01</strong>3<br />

Uraufführung: 15.05.2<strong>01</strong>4<br />

20.00 Uhr | Kammerspiele<br />

K.O. NACH ZWÖLF<br />

RUNDEN<br />

Drama von Lothar Trolle<br />

Team: Bunge, N.N. , N.N. ,<br />

Marzinowski<br />

Uraufführung: 05.07.2<strong>01</strong>4<br />

19.30 Uhr | Großes Haus<br />

Theaterstraße 21 | 97070 Würzburg<br />

Karten: 0931/3908-124 | karten@theaterwuerzburg.de<br />

www.theaterwuerzburg.de<br />

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Rüschenbeck; Leipzig: Wempe; Lübeck: Mahlberg; Ludwigsburg: Hunke; Mainz: Willenberg; München: Bucherer, Fridrich, Möller, Wempe; Münster: Oeding-Erdel;<br />

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