12.01.2014 Aufrufe

Das war Gießen 2013 - Gießener Allgemeine

Das war Gießen 2013 - Gießener Allgemeine

Das war Gießen 2013 - Gießener Allgemeine

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

CAMPUS<br />

ger – vorausgesetzt, ich würde in Siegen so<br />

pünktlich ankommen, dass die nicht gerade<br />

großzügige Sieben- Minuten-Frist zum Umsteigen<br />

reicht.<br />

Ruhig ist es im Bus. Während neben der Sauerlandlinie<br />

Dillenburg und Haiger im Nebel<br />

vorbeiziehen, hört man nur das Rauschen der<br />

anderen Autos, die sich an diesem Morgen<br />

ebenfalls in Richtung Nordrhein-Westfalen<br />

bewegen. Busfahrer Schäfer grüßt mit lässigen<br />

Handbewegungen seine Kollegen, die<br />

uns auf der Gegenfahrbahn passieren. Nur<br />

kurz telefoniert einer der Mitfahrer, die meisten<br />

haben die Augen schon kurz vor Wetzlar<br />

geschlossen und dösen lautlos ihrem Ziel entgegen.<br />

Der Bus bietet keinen Luxus wie<br />

Steckdosen oder WLAN, die in anderen Bussen<br />

vorhanden sind (Letzteres zum Beispiel in<br />

jenem, der auf der Rückfahrt eingesetzt werden<br />

wird), doch bequeme Sitze, in denen<br />

man sich noch ein gutes Stück zurücklehnen<br />

kann, sind in ausreichender Zahl vorhanden.<br />

Die Haltestelle in Siegen ist nahe des Bahnhofs<br />

gelegen. Eine Frau steigt zu. Nach drei<br />

Minuten in der Haltebucht geht die Reise<br />

weiter und kurze Zeit darauf erklimmt der<br />

Bus die Berge des Sauerlandes. In den Tälern<br />

hängt noch der Dunst, oben strahlt die Sonne<br />

aus einem wolkenlosen Himmel. Von den<br />

drei Grad, die das Busthermometer anzeigt,<br />

ist im Bus nichts zu spüren, es ist angenehm<br />

<strong>war</strong>m. Busfahrer Schäfer ärgert sich über<br />

»Elefantenrennen« zwischen Lkw-Fahrern<br />

und grummelt auf dem Fahrersitz.<br />

Zweieinhalb Stunden nach der Abfahrt in<br />

<strong>Gießen</strong> erreichen wir Dortmund, wo der Bus<br />

in die Gegenrichtung ebenfalls gerade eintrifft.<br />

Zwei Fahrgäste rauslassen, zurück auf<br />

die Straßen der Dortmunder Nordstadt. Für<br />

die letzten Kilometer steigt niemand mehr zu,<br />

sechs Fahrgäste und ein Busfahrer. Die Dame<br />

aus dem Navigationsgerät säuselt davon, dass<br />

Schäfer dem Straßenverlauf folgen soll, während<br />

er am Kamener Kreuz von der A2 auf<br />

die A1 wechselt. Der Flixbus von Dortmund<br />

nach Berlin, der uns kurz zuvor überholt, und<br />

der grüne meinfernbus.de auf der Gegenfahrbahn,<br />

den Schäfer noch vor Hamm grüßt,<br />

zeigen, dass Fernbusse schon zum normalen<br />

Autobahnbild gehören – und geben dem<br />

Fahrgast eine Vorstellung davon, dass da ein<br />

riesiger Markt sein muss, der jahrzehntelang<br />

nicht bedient werden durfte.<br />

Von <strong>Gießen</strong> aus fährt deinbus.de, einer der<br />

Pioniere auf dem Markt, mittlerweile nach<br />

Münster, Dortmund, Köln und Aachen. Siegen<br />

und Marburg dürfen zum Schutz des<br />

Nahverkehrs nicht direkt angefahren werden.<br />

Die Preise starten bei 9 Euro. Maximal zahlt<br />

man z. B. 24 Euro bis Aachen oder Münster.<br />

Wer im Internet bucht, profitiert von den<br />

günstigereren Online-Preisen. Ein Schmankerl:<br />

Zu Silvester gibt es ein Special von<br />

<strong>Gießen</strong> nach Amsterdam.<br />

»Große Sitzabstände, Toiletten, Getränkeund<br />

Snackangebot, WLAN und Klimaanlage<br />

gehören mittlerweile zum festen Repertoire<br />

unserer Fernbusse. Außerdem haben wir<br />

immer eine kleine ›On-Board-Bibliothek‹<br />

dabei«, sagt Pressesprecherin Jessica Masik.<br />

Für das Unternehmen gab es zwei Gründe in<br />

<strong>Gießen</strong> zwei Linien zu eröffnen. Die vielen<br />

Studenten und: »Die Bahnanbindung in Richtung<br />

NRW ist suboptimal. Mit unserem Angebot<br />

konnten wir in der Hinsicht Abhilfe schaffen.<br />

Und das Angebot wird mit erfreulicher<br />

Resonanz angenommen, wir sind zufrieden<br />

mit der Auslastung den Linien und freuen uns<br />

über das Feedback von <strong>Gießen</strong>er Studenten.<br />

Einer schrieb mal: ›Ihr seid der Lichtblick für<br />

meine Fernbeziehung‹«, erzählt Masik.<br />

Mit einem lachenden und einem weinenden<br />

Auge betrachtet das Unternehmen die Haltestellensituation.<br />

»Die Haltestelle bietet bei<br />

ungemütlicher Witterung keine Möglichkeit<br />

zum Unterstellen, zudem ist sie schlecht an<br />

den Nahverkehr angebunden. Charme versprüht<br />

sie auch nicht, so wie sie die An- und<br />

Abreisenden und Touristen begrüßt. Die Nähe<br />

zur Autobahn ist aber ein großer Pluspunkt.<br />

Dennoch würden wir uns wünschen,<br />

dass die Haltestelle an der Automeile keine<br />

Dauerlösung bleibt«, sagt Masik.<br />

Deinbus.de ist auf dem heiß umkämpften<br />

Markt im ersten Jahr stark gewachsen und hat<br />

die Zahl der angebundenen Städte mehr als<br />

verdreifacht. Derzeit wird geprüft, ob weitere<br />

Ziele ab <strong>Gießen</strong> möglich sind.<br />

Münster liegt an diesem Donnerstagmittag im<br />

Nebel. Es ist auch ein grauer Dezembermittag,<br />

an dem Schäfer seinen Bus überpünktlich<br />

um 12.07 Uhr auf den Busbahnhof am<br />

Hauptbahnhof steuert. Eine bequeme, preisgünstige<br />

Reise geht zu Ende. Die Bahn weiß,<br />

<strong>war</strong>um sie so erbittert gegen die Öffnung des<br />

Wenig Charme<br />

und wohl keine<br />

Dauerlösung<br />

Fernbusmarktes gekämpft hat, denn bequemer,<br />

günstiger und schneller wäre ich mit<br />

dem Zug nicht angekommen. <strong>Das</strong> sieht auch<br />

Ole so, der einen Tag später auf dem Weg zu<br />

seiner Freundin nach Marburg ist: »Seitdem<br />

es die Verbindung gibt, sparen wir beide uns<br />

die Bahnfahrten«, meint der 23-jährige Medizinstudent,<br />

der mit seinem Semesterticket<br />

z<strong>war</strong> kostenfrei bis an die Grenze Nordrhein-<br />

Westfalens fahren kann, aber danach zahlen<br />

muss. Mit seinen 1,94 Metern ist er allerdings<br />

froh, dass die Busse nur selten wirklich voll<br />

SCHON GEWUSST<br />

Ein Jahr nach der Liberalisierung des Fernbusmarktes<br />

können Reisende ein sprunghaft<br />

gestiegenes Angebot nutzen. <strong>Das</strong> zeigt eine<br />

Studie des Berliner Iges-Instituts. Fahrgäste<br />

können demnach aktuell aus 5100 innerdeutschen<br />

Fahrten pro Woche wählen – vor<br />

einem Jahr <strong>war</strong>en es 1540 Fahrten. Derzeit<br />

gibt es knapp 40 Betreiber am Markt. Die<br />

Zahl der Fernbuslinien, die Städte verbinden,<br />

sei um 123 Prozent gestiegen.<br />

sind: »Wenn man zwei Sitze in einer Reihe<br />

für sich allein hat, ist Beinfreiheit kein Problem«,<br />

sagt er und grinst. Am Freitagnachmittag<br />

kann es aber doch einmal eng werden:<br />

Zwischen Dortmund und <strong>Gießen</strong> sind alle<br />

Reihen besetzt, Studenten, die übers Wochenende<br />

weg wollen, nutzen den Bus ebenso<br />

wie Kinder, deren Eltern nicht an einem<br />

Ort wohnen. <strong>Das</strong>s der Bus zwischen Dortmund<br />

und Siegen nicht hält, nutzt eine alleinerziehende<br />

Mutter. Der Papa holt die Kids<br />

dann ab.<br />

Mit einer Viertelstunde Verspätung rollt der<br />

Bus auf den Platz am <strong>Gießen</strong>er Stadtrand. Für<br />

mich ist die Fahrt hier beendet. Für die Fernbusunternehmen<br />

hat die Reise wohl gerade<br />

erst begonnen.<br />

Martin Vogel<br />

Foto: Vogel<br />

1/2014 streifzug 39

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!