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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Das verlorene Gesicht 87<br />

Musik' aufzuführen; also als Konzertmusik, die nur gehört werden<br />

soll, so beruht das auf einem Mißverständnis; das seinerseits<br />

der Gier entspringt, dieser Musik die soziale Respektabilität eines<br />

anerkannten „Kulturwertes" zu verschaffen. Aber nicht etwa <strong>des</strong>halb<br />

ist dieser Anspruch falsch, weil diese Musik „zu leicht", weil<br />

sie nur „populär music" wäre; sondern umgekehrt, weil sie entsetzlich<br />

ernst ist, zu ernst für den Konzertsaal. Womit ich meine,<br />

daß sie in den <strong>Menschen</strong> ungleich tiefer und gewaltsamer eingreife,<br />

<strong>des</strong>sen „Ethos" (im musik-moralischen Sinne der Griechen)<br />

ungleich radikaler verändere, als es noch so feierliche Konzertmusiken<br />

heute tun können, da diese ja, wenn ihre symphonischen<br />

Schlußapotheoseu verstummt sind, ihre Hörer — bloßes Publikum<br />

— mit einem „Erlebnis" entlassen, das sofort verpufft, weil es<br />

mit der Existenz außerhalb <strong>des</strong> Konzertsaals .überhaupt nichts<br />

zu tun hat. Es gibt nichts Unernsteres als die Wirkung ernster<br />

Musik. Nichts Ernsteres dagegen, das heißt: nichts Folgenschwereres,<br />

nichts Gefährlicheres, nichts Zerstörerischeres als den Effekt<br />

dieser so gerne als „unernst" abgefertigten. Denn diese stellt eben<br />

einen wirklichen Eingriff dar; eine gewalttätige Metamorphose;<br />

und zwar eine, die mit Welt und Leben außerhalb <strong>des</strong> Saales enorm<br />

viel zu tun hat, weil die Seinsart, in die sie die <strong>Menschen</strong> hineinsteigert,<br />

eben die der Maschine ist; also die Seinsart, die von morgens<br />

bis abends herrscht; und weil sie die <strong>Menschen</strong> mit dieser<br />

Seinsart nun vollends konform macht.<br />

Da je<strong>des</strong> Ritual motorischen Mitvollzug verlangt, ist dieser auch<br />

hier erforderlich. Daher schafft, wer solche Musik als bloße Kunstmusik<br />

vor bloßen Zuhörern, also „konzertant" vorträgt, nicht etwa<br />

ein neuartiges Kunst- oder Bildungspublikum, vielmehr betrügt<br />

er seine Kultgemeinde, deren Mitglieder nun, statt effektiv an den<br />

Mysterien teilzunehmen, dazu verurteilt bleiben, sich mit der Rolle<br />

von Lauschern, gewissermaßen von Voyeurs der Maschinisierung,<br />

zufriedenzugeben. Und wenn es geschieht, daß solche Teilnehmer,<br />

empört Über den Betrug, und unwillig, sich mit der Rolle bloß zuhörender<br />

Gcmeindemitglieder abspeisen zu lassen, revoltieren, wie<br />

es in Wien bei einer „konzertanten" Jazz-Veranstaltung geschehen<br />

ist, dann ist das wahrhaftig alles andere als erstaunlich. —<br />

Was wir soeben in unserem Exkurs geschildert haben, war eine

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