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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Das Es schämt sich <strong>des</strong> Ich 73<br />

<strong>Die</strong> Frage klingt befremdend. — Wie wenig sie das ist, wird<br />

uns das Kind, das wir nun heranzitieren, sofort beweisen.<br />

Das Dasein dieses Kin<strong>des</strong> beschränkt sich noch darauf, dem<br />

Grunde der Familie eingebettet zu sein: es ist noch bloßes „Mitsein".<br />

Zum „Ich" hat es sich noch nicht zugespitzt, als „Selbst"<br />

hat es sich noch nicht profiliert. Sich aus dem „Grunde", in dem<br />

und mit dem es lebt, „herauszunehmen", liegt ihm noch ganz<br />

ferne.<br />

Ich sage: „herausnehmen". Das scheint zwar erst einmal nichts<br />

anderes zu bedeuten als: „etwas aus etwas herausnehmen und es<br />

dadurch zur Ausnahme machen"; aber da der Ausdruck in der Redensart<br />

„sich etwas herausnehmen" bereits in die Bedeutungsnachbarschaft<br />

von „Unverschämtheit" hinüberschillert, darf man vielleicht,<br />

wenn man der Weisheit der Sprache trauen kann, eine gewisse<br />

Beziehung zwischen „Ich-sein" und Scham erwarten.<br />

Unterstellen wir nun, dieses Kind werde von einem Fremden<br />

angesprochen; z. B. gefragt, wie es heiße: diese übliche Eröffnungsfrage,<br />

die dem Gefragten zumutet, sich durch Namensnennung aus<br />

der Gruppe „herauszunehmen" und sich als sich selbst zu identifizieren,<br />

kann für jede andere stehen.<br />

Mit einem Schlage ist der Status <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> verändert: statt weiter<br />

nur als Mutterkind „mitzusein", statt unprofiliert im Hintergrund<br />

zurückzubleiben, hat es nun als „Ausnahme", als Einzelner,<br />

als Ich seinen Mann zu stehen. Der Schock der sozialen Geburt ist<br />

heftig; so vehement, daß er vielleicht als Variante von Freuds ,.Geburtstrauma"<br />

aufgefaßt werden darf.*<br />

Völlig unbekannt ist dieser neue Status dem Kinde natürlich<br />

nicht. Sich selbst „herausgenommen" hatte es zwar noch nicht.<br />

Aber von seiner Geburt an war es doch der Gefahr <strong>des</strong> Ich-seins<br />

ausgesetzt gewesen — schon die Geburt selbst war gewissermaßen<br />

die erste „Aussetzung" gewesen: je<strong>des</strong> Kind ist ein „ausgesetztes<br />

Kind". Namentlich in Stunden <strong>des</strong> Alleinseins hatte es, „sich selbst"<br />

überlassen, modo privativo, die ersten Ich-Erfahrungen machen<br />

müssen: nämlich sich damit abfinden müssen, zu s e i n , ohne<br />

mitzusein; und da die Angst der Motor der Erkenntnis ist,

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