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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Was ist Scham? 67<br />

werden könnte, da es wohl keinen, noch so eremitenhaften, Akt<br />

gibt, der nicht, wenn auch ahnungslos oder gar modo privativo,<br />

einen Hinweis auf jene Mitwelt enthält, mit der er rechnet, vor<br />

deren Augen er sich abspielt oder deren Augen er zu vermeiden<br />

sucht. Da sich die klassische Phänomenologie Husserls (ohne sich<br />

über dieses ihr Auswahlprinzip klar zu sein) fast ausschließlich auf<br />

die Analyse derjenigen Akte beschränkte, die dieses „coram" nicht<br />

offen verrieten, mußte ihr Bewußtseinsbegriff immer hart an der<br />

Grenze <strong>des</strong> Solipsismus bleiben.<br />

ad III: „Negative Intentionalität" blieb <strong>des</strong>halb unbekannt, weil<br />

das „Ich" als eo ipso „frei", min<strong>des</strong>tens als „aktiv" unterstellt wurde.<br />

<strong>Die</strong> Tatsache, daß (etwa bei Husserl) der Ausdruck „Freiheit"<br />

selten fiel, besagt dagegen wenig. Nicht anders als anderen Philosophien<br />

der Subjektivität ist eben auch der „transzendentalen Phänomenologie"<br />

der klassische Lapsus passiert, bei ihrer Erkenntnisjagd<br />

auf das Ich nur den Zipfel „erkennen<strong>des</strong> Ich" zu erwischen<br />

und dieses als das ganze Ich oder als repräsentativ für das ganze<br />

mißzuverstehen.* Daß das erkennende Ich hinter seinem Gegenstand<br />

her, also „positiv intentional" ist, ist ja unbestreitbar. Aber<br />

daß das Ich nur „auf sei auf etwas", ist eben nicht wahr. Außerdem<br />

(und nur in Koordination mit dieser Gegenbewegung gewinnt<br />

auch die Intentionalität ihren Sinn) — außerdem zieht sich das Ich<br />

eben auch (schneckenhaft) in sich zurück; es sieht nicht nur, es<br />

wird auch gesehen; es intendiert nicht nur, es wird auch intendiert,<br />

nämlich z. B. verfolgt oder gejagt. Und ob dasjenige, was der Verfolgte<br />

meidet oder flieht, noch in einem mehr als grammatischen<br />

Sinne ein „intentionaler Gegenstand" genannt werden darf, ist<br />

sehr fraglich: schließlich ist ja nicht jeder Akkusativ bereits automatisch<br />

ein „intentionales Objekt". — Und zu dieser Klasse von<br />

zweideutig-intentionalen Akten gehört nun eben auch die Scham,<br />

da sie der „Instanz", vor der sie sich schämt, den Rücken kehrt.<br />

Was die Scham intendiert, ist weder, ihre Instanz zu sehen noch<br />

diese nicht zu sehen, sondern von ihr nicht gesehen zu werden. Und<br />

das ist eine Beziehung, die sich von dem, was gewöhnlich „Intentionalität"<br />

heißt, so fundamental unterscheidet, daß man eigentlich<br />

einen anderen Terminus für sie erfinden müßte. —<br />

Faßt man die bisher genannten Züge zusammen, dann ist Schani:

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