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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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66 Über prometheische Scham<br />

d) Und zwar grundsätzlich, weil der sich-Schämende sich<br />

zugleich als mit sich identisch und als mit sich nicht identisch<br />

begegnet; („Ich hin's, aber ich bin's doch nicht);<br />

e) was zur Folge hat, daß der Akt niemals ein Ende findet:<br />

Da nämlich der sich-Schämende mit der widerspruchsvollen<br />

Begegnung nicht „fertigwird", wird auch die Scham<br />

selbst nicht fertig. (Darin und in den zwei folgenden Zügen<br />

f und g ähnelt sie dem Staunen.)<br />

f) So daß diese ihren eigentlichen Akt-Charakter einbüßt<br />

und zu einem Zustand degeneriert;<br />

g) aber nicht zu einem equilibrierten Zustande stationärer<br />

„Stimmung", sondern zu einem oszillierenden der Irritation<br />

und der Desorientiertheit; zu einem Zustand, der<br />

immer neu anzufangen scheint, auch wenn man längst<br />

schon mittendrin zu sein glaubt. Kurz: Scham ist eine<br />

Störung der Selbst-Identifizierung; eine „Verstörtheit".<br />

II. Im Unterschiede zu der Mehrzahl der in der Psychologie und<br />

Phänomenologie gewöhnlich untersuchten harmlosen „Akte" enthält<br />

die Scham wesensmäßig eine „Doppel-Intentionalität": Nicht<br />

allein ihrem (normalen) „intentionalen Gegenstande" (in diesem<br />

Falle dem „Makel") ist sie zugewandt, sondern immer zugleich<br />

einer „Instanz"; der Instanz, vor der der Schämende sich schämt.<br />

Sie enthält ein „coram".*<br />

III. <strong>Die</strong>se Instanz ist eine unerwünschte Instanz, oft sogar eine<br />

verwünschte; also nicht eigentlich eine „intendierte", sondern eine<br />

geflohene. <strong>Die</strong> intentionale Zuwendung ist Abwendung; der intentionale<br />

Hinweis Abweisung- also „negativ intentional".*<br />

<strong>Die</strong> unter I aufgezählten Züge werden den Hauptgegenstand<br />

unserer Untersuchung ausmachen. Daher vorher rasch ein paar Bemerkungen<br />

zu den Punkten II und III. —<br />

Weder das „coram" noch die „negative Intentionalität" haben in<br />

der Phänomenologie eine ausdrückliche Rolle gespielt.<br />

ad II: Obwohl von der Scham besonders deutlich ablesbar, ist<br />

das „coram" kein dieser spezifischer Zug, sondern einer, der allen<br />

sozialen Akten zukommt. (Beispiel: „sich-Brüsten vor jemandem");<br />

vermutlich ist es sogar ein Element, das in jedem Akt entdeckt

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