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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Ikonomanie<br />

57<br />

Bilder so ungeheuer, daß mir, wenn ich mir die Welt von ihren<br />

Milliarden Bildern: den Photos, Filmen, Fernsehphantomen und<br />

Plakaten entleert vorstelle, nur das reine Nichts übrigbleibt. Ich<br />

habe kein einziges Wesen kennengelernt, das nicht mehrere Bildduplikate<br />

seiner selbst und der Seinen freiwillig vorgewiesen, bei<br />

sich getragen oder min<strong>des</strong>tens besessen hatte". —<br />

Unter den Gründen, die für diese zutreffend beschriebene<br />

hypertrophische Bildproduktion verantwortlich zu machen sind,<br />

ist einer der wichtigsten, daß sich der Mensch durch Bilder die<br />

Chance erobern konnte, „spare-pieces" von sich selbst zu schaffen;<br />

also seine unerträgliche Einmaligkeit Lügen zu strafen. Sie<br />

ist eine, im größten Stile von ihm durchgeführte Gegenmaßnahme<br />

gegen sein „mich gibt's nur einmal". Während er sonst von der<br />

Serienproduktion ausgeschlossen bleibt, verwandelt er sich eben,<br />

wenn photographiert, doch in ein „reproduziertes Produkt". Min<strong>des</strong>tens<br />

in effigie gewinnt auch er dadurch multiples, zuweilen sogar<br />

tausendfaches, Dasein. Und lebt er selbst auch „nur" als das<br />

Modell, irgendwie existiert „er" eben doch auch in seinen Kopien.<br />

Daß diejenigen unter uns, denen multiples Dasein am eindrucksvollsten<br />

gelingt (die also in mehr Augen sind als wir gewöhnlichen<br />

Sterblichen): nämlich die Film-Stars, unsere beneideten<br />

Vorbilder sind, ist ganz folgerichtig. Der Kranz, den wir ihnen<br />

flechten, gilt ihrem siegreichen Einbruch in die von uns als „ontologisch<br />

hoher" — anerkannte Sphäre der Serienprodukte. Da sie<br />

unseren Traum, dazusein wie die Dinge, Parvenüs der Produktenwelt<br />

zu werden, am triumphalsten verwirklicht haben, vergöttern<br />

wir sie. In der Tat besteht zwischen der, in tausende von Kopien<br />

zerstreuten Star-Schauspielerin und dem, in zahllosen Exemplaren<br />

verbreiteten Nagellack kein grundsätzlicher ontologischer Unterschied<br />

mehr. Daß in der Reklame Star und Massenware einander<br />

stützen (der Star die Ware durch Empfehlungen, die Ware den<br />

Star durch, der Verpackung beigelegte, Bilder), daß sie eine Allianz<br />

bilden, ist ganz folgerichtig: sie sind „gleich und gleich, die sich<br />

gern gesellen". Und nicht nur gleichverbreitet sind sie, sie haben<br />

auch auf gleiche Weise ihre Sterblichkeit überwunden: Beide können<br />

sich ja nach ihrem Tode in ihren Reproduktionen weiterbewähren.<br />

Nicht anders als der Nagellack, der auch dann noch sei-

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