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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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Industrieller Piatonismus 53<br />

jenigen, der die Tugenden der Gerätewelt als vorbildlich anerkennt,<br />

wiederum ein Makel, wiederum ein Grund zur Scham.<br />

Jawohl, zur Scham. Hier so wenig wie vorher meine ich den Ausdruck<br />

metaphorisch. Um zu zeigen, daß es sich um die wirkliche<br />

Emotion „Scham" handelt, will ich ein Erlebnis einschalten:<br />

Vor etwa zehn Jahren, besuchte ich einen hoffnungslos Kranken<br />

in einem kalifornischen Hospital.<br />

Auf mein ,how are you?' machte er eine Geste, die nicht nur das<br />

Krankenzimmer, sondern die ganze Menschheit einzuschließen<br />

schien, und murmelte etwas wie: „Mit uns ist nicht viel los, mit<br />

keinem von uns." Meine Frage, was er damit meine, beantwortete<br />

er erst mit Achselzucken, so als verstünde sich die Antwort von<br />

selber; dann mit der rhetorischen Gegenfrage: „Well . . . can they<br />

preserve us?" — Das Wort „they" bezog sich auf die Arzte; „preserves"<br />

sind eingekochte Früchte. — „Können sie uns vielleicht einmachen?"<br />

meinte er.<br />

Ich verneinte.<br />

„And", fuhr er fort, „spare men they haven't got either."<br />

„Spare men?" fragte ich verständnislos.<br />

„Well", erläuterte er, „don't we have spare things for everything<br />

?"<br />

Nun begriff ich. „Spare men" hatte er in Analogie gebildet,<br />

etwa zu „spare tires" (Ersatzreifen) oder „spare bulbs" (Ersatzbirnen).<br />

„Und Ersatzmänner für uns haben sie eben auch nicht<br />

auf Lager", hatte er also gemeint. Eine andere Glühbirne gewissermaßen,<br />

die man, wenn er verlöschte, an seiner Statt würde einschrauben<br />

können.<br />

Seine letzten Worte aber lauteten: „Isn't it a shame?"<br />

<strong>Die</strong> Inferiorität, unter der er litt, war also eine doppelte: erstens<br />

war er nicht konservierbar, wie eine Frucht; und zweitens nicht<br />

ersetzbar wie eine Glühbirne; sondern einfach — die Schande war<br />

unleugbar — ein schlechthin verderbliches Einzelstück. —<br />

Leicht war es nicht, diesen Mann zu beruhigen. Wer von uns<br />

ist schon darauf vorbereitet, seinen Mitmenschen darunter leiden<br />

zu sehen, daß er weder einkochbar noch ersetzbar ist? <strong>Die</strong> Trost-

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