12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Anmerkungen 345<br />

Schlafes abgelöst; oder, vom Schlaf aus gesehen: unser Dasein ist immer<br />

wieder durch „vorübergehende" Zeitstrecken, genannt „Wachen",<br />

unterbrochen.<br />

240 So z. B. die zwischen „Apollinisch" und „Dionysisch". Wenn das<br />

Apollinische in dem Gluck bestanden hatte, das Endliche, das man<br />

war, in ein Vollendetes zu verwandeln; und das Dionysische in dem<br />

Rausch, die Grenze der Endlichkeit zu sprengen, so ist die Gegenüberstellung,<br />

da wir ja endlich nicht mehr sind und die „Sprengung" hinter<br />

uns haben, unwirklich geworden-<br />

243 Immer wieder kann man unsere heutige apokalyptische Situation<br />

als „Sein-zum-Ende" bezeichnet hören — worauf dann gewohnlich<br />

die Bemerkung folgt, wie prophetisch doch Heideggers vor dreiß]g<br />

Jahren geprägter Ausdruck gewesen sei: eine völlig gedankenlose Bemerkung-.<br />

Denn Heidegger hatte mit seinem damaligen Ausdruck nichts<br />

weniger gemeint als eine allen <strong>Menschen</strong> gemeinsame eschato logische<br />

Situation oder gar die Möglichkeit eines Kollektiv Selbstmor<strong>des</strong>. Das<br />

zu meinen, hatte auch in den Jahren der Niederschrift von „Sein und<br />

Zeit", im Jahrzehnt nach dem ersten Weltkrieg, für niemanden ein<br />

Anlaß bestanden. So hollisch der erste Weltkrieg auch gewesen war,<br />

die Gefährdung <strong>des</strong> Globus hatte er noch nicht gebracht Vielmehr<br />

war die Erfahrung, aus der heraus Heidegger damals philosophierte,<br />

die <strong>des</strong> einsamen Daseins gewesen, und zwar die <strong>des</strong> pausenlos mit dem<br />

Tode konfrontierten Soldaten. — Aber er hatte auch nicht gemeint, daß<br />

jeder von uns sterben müsse: das soll vorher auch schon bekannt gewesen<br />

sein. Vielmehr versuchte er, die Konfrontiertheit mit dem Tode<br />

in das Leben selbst hineinzunehmen, und zwar als <strong>des</strong>sen einzigen<br />

absoluten Charakter. Das heißt das ..Halt'", das dem zur Zeitlichkeit<br />

verdammten Dasein jeden Augenblick zugerufen werden kann, in<br />

etwas zu verwandeln, woran es Halt, ja seinen einzigen Halt finden<br />

konnte; kurz: als bewußter „moriturus" „existentiell" zu werden. —<br />

Das war aber, wie gesagt, ausschließlich für den Hausgebrauch <strong>des</strong><br />

Einzelnen, nämlich für das sterbliche Individuum gemeint; wie denn<br />

Heideggers Philosophie überhaupt die Abschlußversion <strong>des</strong> Individualismus<br />

darstellt; diejenige makabre Abschlußversion, in der sich<br />

das Individuum durch nichts anderes mehr konstituiert als durch die<br />

übernommene Unvertretbarkeit seines Sterbens.<br />

Daß der Gedanke entstehen konnte, dieses „Sein zum Ende" auf die<br />

kollektive Situation <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong>geschlechts heute anzuwenden, ist<br />

freilich zu begreifen: Da Heideggers Konzeption selbst eine Übertragung<br />

der apokalyptischen Erwartung in die Sprache <strong>des</strong> vereinsamten<br />

Individuums gewesen war; da er die Apokalypse durch den<br />

eigenen Tod ersetzt hatte, lag es nun unter dem Eindruck der Totalgefahr,<br />

die die Bombe darstellt, nahe, diese Übersetzung wiederum in<br />

eine „Sprache der Menschheit" zurückzuübersetzen. Aber die Tat-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!