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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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342 Anmerkungen<br />

Und gab es selbst den Mann, der nichts verfehlt,<br />

um alles, v^as nur da ist, aufzusagen —<br />

von wem wird er am Ende mitgezahlt,<br />

und er von wem in Listen eingetragen?<br />

Wo wäre Dank? Wo nur ein Ohr?<br />

Selbst er au viel! Sein Rühmen bloßes Schallen!<br />

Zu viel! Zieht mir den Vorhang vor<br />

und laßt die Segel fallen!<br />

(Aus: „Der fiebernde Columbus")<br />

184 2 <strong>Die</strong>ses Wort bedeutet erst einmal soviel wie „konzedieren", „zedieren",<br />

also zurückweichen vor der anerkannten Übermacht <strong>des</strong> Faktischen,<br />

der man seinen eigenen Platz frei macht. Ich räume mich ihm<br />

ein. — Tn einem zweiten Stadium wird diese Unfreiheit bereits, min<strong>des</strong>tens<br />

teilweise, überwunden: Kult und philosophisches System sind die<br />

Mittel, der Übermacht einen für sie eigenen Raum, eine für sie eigene<br />

Stelle einzuräumen, an der sie nun, durch Lokalisierung, zugleich noch<br />

anerkannt und schon limitiert ist; die Gottheit wird zur Gefangenen<br />

ihres Tempels, das jcaxov zum Häftling seiner Systemstelle — Heute<br />

schließlich bedeutet „einräumen" ausschließlich etwas so placieren,<br />

daß es für mich bereitstehe oder mich nicht störe. Ich räume mir<br />

etwas ein.<br />

186 1 <strong>Die</strong>ser erstaunliche Satz, eine Briefstelle <strong>des</strong> jungen Rilke (1904)<br />

klingt in der Tat wie eine Uinschi eibung <strong>des</strong> eschatologischen Zustan<strong>des</strong>,<br />

in dem aller Stoff im Geformten aufgehoben wäre. Freilich umschreibt<br />

Rilke auf sehr preziose und verbrämte Art, da er eben den<br />

Produktionsprozeß, durch den er sich diesen Zustand herbeigeführt<br />

denkt, unterschlagt, bzw. unsere Assoziationen in eine positiv falsche<br />

Richtung lenkt- uns nämlich an alternde Weine oder Juwelierarbeit,<br />

also an ebenso kostliche wie uncharakteristische Produktionsprozesse<br />

denken laßt. Nichts<strong>des</strong>toweniger ist sein Traum kein anderer als der<br />

von der totalen Vergewaltigung <strong>des</strong> Weltstoffes. Und scheinen in ihm<br />

auch alchemistische Weltvergoldungsvorstellungen neu virulent zu<br />

werden, so können sie das doch nur <strong>des</strong>halb, weil diese eben an die eschatologischen<br />

Vorstellungen der Wirtschaftsontologie anklingen. In<br />

der Tat mußten solche Satze, vor allem Nietzsches Idee <strong>des</strong> „Apollinischen"<br />

(die, wie Erich Heller zu Recht betont, dem zitierten Rilkesatz<br />

fast wörtlich zu Grunde liegt) vor dem Hintergrund der Wirtschaftsontologie<br />

neu gedeutet werden. <strong>Die</strong> Tatsache, daß Nietzsche der Diskussion<br />

<strong>des</strong> Begriffspaares „Stoff und Form" durch die Einfuhrung <strong>des</strong><br />

mythologisierenden Kraftepaares „dionysisch" und „apollinisch" eine<br />

völlig neue Version gab, muß solange dunkel bleiben, als man nicht in<br />

Rechnung stellt, daß in der Epoche <strong>des</strong> Industrialismus der „Stoff"<br />

(= Rohstoffwelt) und die „Form" (= Produkt) eine Weltbedeutung<br />

anzunehmen begannen, von der sich frühere Metaphysiker nichts hat

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