12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Anmerkungen 337<br />

Konsumenten ihren Vorteil zieht, während es zur rechten Popularisierung<br />

wie zu aller rechten Belehrung gehört, daß sie nicht nur den<br />

Lehrgegenstand, sondern auch Respekt vor diesem vermittelt.<br />

132 Auf einer TV-Ausstellung hatte ich die fragwürdige Chance,<br />

einen Schauspieler, der im Nebenraum einen Sketch spielte, und gleichzeitig<br />

<strong>des</strong>sen sieben TV-Projektionen zu sehen und zu hören. Bemerkenswert<br />

war dabei 1., daß der Schauspieler sich fürs Auge zwar in<br />

sieben identische Brüder aufspaltete, aber nur eine einzige, durch die<br />

zwei Räume schallende, unaufgespaltene Stimme hatte. 2. daß die<br />

Bilder natürlicher wirkten als das Original, da dieses, gerade um den<br />

Reproduktionen Natürlichkeit zu verleihen, sich hatte arrangieren<br />

müssen. Und 3. (und das war mehr als bemerkenswert, nämlich erschreckend),<br />

daß die siebenfache Verkörperung <strong>des</strong> Schauspielers schon<br />

nicht mehr erschreckte: mit solcher Selbstverständlichkeit erwarten<br />

wir bereits nur noch Serienprodukte.<br />

133 Ereignisse von unterschwelliger Relevanz, und finden sie selbst<br />

in unserem eigenen Leibe statt, sind nicht „gegenwärtig", sondern<br />

nur simultan; und das nicht etwa <strong>des</strong>halb, weil sie nicht bewußt „gegeben"<br />

wären; vielmehr sind sie <strong>des</strong>halb nicht „gegeben", weil sie<br />

irrelevant sind.<br />

138 Wenn es berechtigt ist, im Tumor eine Krankheit sui generis zu<br />

sehen: nämlich denjenigen Zustand, in dem die Zentralkraft <strong>des</strong> Organismus<br />

nicht mehr in der Lage ist, alle Zellen in Botmäßigkeit zu<br />

halten, so daß diese nun verselbständigt zu wuchern beginnen, dann<br />

ist die hier behandelte Verselbständigung der Einzelfunktionen das<br />

psychische Analogon zum Tumor.<br />

139 Siehe dazu Becketts „En attendant Godot", in dem der Verfasser<br />

seine Figuren abwechselnd Schuhe an- oder ausziehen läßt, um den<br />

Händen irgend etwas zu tun zu geben.<br />

140 Zugleich steht im Hintergrunde der „passiven Simultanspielerei",<br />

freilich völlig entstellt, das Arbeitsideal der Maximalleistung und <strong>des</strong><br />

Oekonomie-Prinzips. Auf die Muße übertragen, bedeutet das: Im<br />

Schweiß seines Angesichtes versucht man, soviel Muße wie möglich<br />

auf einmal zu leisten; alles, was „fun" ist, zugleich: Kreuzworträtsel<br />

und gum und Rundfunkmusik etc. Und zwar, -weil man sonst Muße<br />

vergeuden würde.<br />

147 <strong>Die</strong>se betrügerische Aufreizung von Erregungen und die Arrangierung<br />

von, sich ins Leere ergießenden, Ersatzbefriedigungen, erinnert<br />

an einen, in einem ganz anderen Sektor <strong>des</strong> heutigen Lebens selbstverständlichen,<br />

Usus; das Prinzip, das den zwei so disparaten Arrangements<br />

zugrundeliegt, ist identisch: Bekanntlich ist es heute üblich,<br />

Zuchtstiere, statt sie den Kühen zuzuführen, sog. „dummies", also Attrappen,<br />

bespringen zu lassen. Das Wort „Attrappe" kommt von „at-<br />

22 Anders

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!