12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

334 Anmerkungen<br />

Atemzuge) noch eine Reihe bilden. Dann verlieren die Wiederholungen<br />

auch ihre Langweiligkeit; womit natürlich nicht gesagt ist, daß<br />

sie interessant, sondern allein, daß sie zeitlos werden. So zeitlos, daß<br />

der mechanisch Arbeitende durch den Arbeitsschluß oft überrascht<br />

wird, da er, je<strong>des</strong> Zeitmaßstabs beraubt, das Gefühl hat, eben erst<br />

begonnen zu haben; ähnlich dem nach traumlosem Schlaf Erwachenden,<br />

der oft davon überzeugt ist, sich eben erst hingelegt zu haben. —<br />

Wenn man, was seit Kant ja gelaufig ist, in der Zeitlichkeit nicht nur<br />

einen unter anderen Zügen der Subjektivität sieht, sondern (wie es der<br />

Titel von Heideggers Hauptwerk formuliert) deren ausschlaggebenden<br />

Charakter, dann darf man wohl die Tatsache, daß Zeit bei Maschinenarbeit<br />

,eingeht', als Symptom für ,das Eingehen' der Subjektivität<br />

selbst deuten.<br />

109 Ein Vorspiel zu dieser nun universell werdenden Sprachverkummerung<br />

haben wir übrigens schon einmal erlebt: nämlich die Verkümmerung<br />

der Briefkunst, die 50 Jahre Telephonieren zustande gebracht<br />

haben, und zwar so erfolgreich, daß uns Heutigen nun jene<br />

Briefe, die durchschnittlich Gebildete vor hundert Jahren einander<br />

geschrieben haben, durchweg als Meisterwerke genauer Zuwendung<br />

und genauer Mitteilung vorkommen. Was dabei verkümmert ist, ist<br />

aber, da der Mensch so artikuliert ist, wie er selbst artikuliert, nicht<br />

nur die Subtihtat seines Ausdrucks, sondern die <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> selbst.<br />

110 l Nichts ist heute deplacierter als die weinerliche oder hochmütige<br />

Klage <strong>des</strong> Irrationalisten, unsere Sprache käme der Fülle und Tiefe<br />

unseres Erlebens nicht nach. <strong>Die</strong> Großen der Vergangenheit, mit deren<br />

Fülle und Tiefe wir uns wohl kaum messen können, waren ihren<br />

Erlebnissen sprachlich durchaus gewachsen; die Macht ihrer Rede<br />

reichte bis in die äußersten Bezirke, und die Inkompetenz der Sprache,<br />

das Versagen <strong>des</strong> Sagens, meldeten sie immer erst sehr spat an, immer<br />

erst vor dem Allerletzten. Je weniger man freilich zu sagen hat, <strong>des</strong>to<br />

voreiliger macht man aus der Not eine Schwärmerei und aus der Armut<br />

einen Reichtum, <strong>des</strong>to eher protzt man, um damit das Überschwengliche<br />

<strong>des</strong> eigenen Erlebens zu beweisen, mit dem Konkurs der<br />

Sprache. Schnell fertig ist die Jugend mit dem Unsäglichen. <strong>Die</strong> wirkliche<br />

Not und Verlegenheit von heute besteht nicht darin, daß wir<br />

unsere angebliche Fülle und Tiefe „zerreden könnten"; umgekehrt<br />

darin, daß wir unsere Fülle, sofern wir solche haben, zum Zerrinnen,<br />

und unsere Tiefe zum Versanden bringen konnten, weil wir, als mit<br />

Sprache Belieferte, begonnen haben, das Sprechen zu verlernen.<br />

HO* <strong>Die</strong> Vorstellung von „Elfenbeintürmen", die sich der Mensch<br />

errichte, und in die er sich zurückziehe, um der Wirklichkeit nicht ms<br />

Auge zu blicken, ist durch und durch veraltet. Der Bau der Turme<br />

"wird langst von der Wirklichkeit selbst durchgeführt; sie ist deren<br />

Unternehmerin und Wirtin. Nicht als Flüchtlinge vor ihr sitzen wir

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!