12.01.2014 Aufrufe

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

332 Anmerkungen<br />

70 * siehe § 2, 2. Einwand.<br />

73 Freuds Entdeckung <strong>des</strong> „Traumas der Geburt" kann philosophisch<br />

gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Was könnte dem<br />

Leben denn einschneidenderes zustoßen, als vom „Grunde" abgerissen<br />

zu werden ? — Wie maskiert Freud's Sprache auch durch das naturwissenschaftliche<br />

Vokabular <strong>des</strong> Jahrhunderts war, die Gefühle, die<br />

er in Blick brachte („ozeanisches Gefühl", „To<strong>des</strong>trieb") waren durchweg<br />

metaphysische. Nicht weniger als- von diesen beiden gilt das vom<br />

Geburtstrauma, mit dem er eben, wie getarnt auch immer, den<br />

Schock der Individuation bezeichnete. — Analog zu unserer Frage:<br />

„Wer schämt sich" hätte die Frage, die vor diesem Trauma gestellt<br />

werden müßte, zu lauten: „Wer ist hier eigentlich schockiert?" Das<br />

Individuum selbst? Oder nicht vielmehr, da ja, was schockiert, der<br />

Vorgang der Individuation ist, das noch-nicht-individuierte Leben?<br />

Ist nicht das Individuum nur der Erbe dieses Schreckens, den es nun<br />

als niemals überwundenen Schmerz <strong>des</strong> Individuum-Seins mit sich<br />

durchs Leben schleppt? — Mir scheint, dies war Freuds Ansicht: Denn<br />

sein „To<strong>des</strong>trieb" ist ja wohl letztlich nichts anderes als die Sehnsucht<br />

<strong>des</strong> Individuums danach, die Qual <strong>des</strong> Individuum-Seins loszuwerden.<br />

75 * Erste Formulierung dieser Scham-Theorie in: „Pathologie de la<br />

Liberte". Dort der Ausdruck „Sprung aus dem Ursprung".<br />

75 2 <strong>Die</strong>sem Typus von Scham gehört schließlich auch die wohl grundsätzlichste<br />

Scham an, die metaphysische: nämlich die Scham <strong>des</strong> Individuums,<br />

als Individuum, als Singulares aus dem „Grunde" herausgenommen,<br />

von diesem „abgefallen" zu sein und statt "weiter, wie es<br />

sich kosmisch gehörte, dem Grunde anzugehören, als „kosmische Ausnahme"<br />

dasein zu müssen. <strong>Die</strong> Gleichung dieser Scham lautet: Nichtzugehörigkeit<br />

= Ungehörigkeit = Ungehorsam. Anaximander und<br />

(der Hoelderlinsche) Empedokles sind ihre Kronzeugen. —<br />

In der molussischen Individuationsmetaphysik, die unsere spekulativen<br />

Hemmungen noch nicht kannte, heißt es geradezu: „Der Weltgrund<br />

schämt sich seiner Individuationen, also der Tatsache, daß er<br />

sich, in Form von Individuen, von sich selbst entfernt hat." Und (ähnlich<br />

einer berühmten Spinoza-Formel): „<strong>Die</strong> Scham, unter der das<br />

Individuum leidet, ist nur ein Teil der Scham, mit der der „Grund"<br />

sich seiner Individuationen schämt." — Das „Es".<br />

78 Etwas philosophisch Lächerlicheres als die Beschäftigung mit den<br />

sogenannten „Synästhesien", also den angeblich nachträglichen Verbindungen<br />

von Qualitäten verschiedener Sinnesgebiete, ist kaum denkbar:<br />

wer über diese Phänomene staunt, sollte auch darüber staunen,<br />

daß sich Baum-Äste in einem Stamm vereinigen. Nicht wie die Qualitäten<br />

„zusammenkommen" ist das philosophische Problem, sondern

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!