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Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1

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<strong>Die</strong> Unvernichtbarkeit <strong>des</strong> Nichtigen 319<br />

frei zu sein: nämlich frei von allen „supranaturalen" Autoritäten,<br />

frei von allen „Solls".<br />

<strong>Die</strong>se höchst eigentümliche Verkuppelung von Freiheit und Natur<br />

(die für Kant unfaßlich gewesen wäre) wird durch die Geschichte<br />

unseres letzten Jahrhunderts bestätigt: nämlich durch die<br />

Tatsache, daß (umgekehrt) diejenigen Bewegungen, die „Freiheit"<br />

auf ihre Fahnen schrieben, immer zugleich auch die „Natur" als<br />

Devise benutzten; daß Freiheitstheorien und naturalistische Theorien<br />

durchweg „junctim" aufgetreten sind. So gehörte es zum<br />

Beispiel bis zum ersten Weltkriege zum guten weltanschaulichen<br />

Ton <strong>des</strong> fortschrittlichen Liberalen, auch Darwinist zu sein; und<br />

bei Sozialisten galt, nicht Darwinist zu sein, geradezu als Versäumnis<br />

eines Pflichtpensums. <strong>Die</strong> Tatsache, daß die zwei Thesen: „Der<br />

Mensch ist nichts als Natur" (die ihn eigentlich aller Freiheitsrechte<br />

entkleidet) und die: „<strong>Die</strong> Freiheit <strong>des</strong> <strong>Menschen</strong> ist das<br />

höchste Gut" (die ein „Soll" etabliert), auf keinen positiven Generalnenner<br />

gebracht werden konnten, wurde selten als störend empfunden.<br />

Wie friedlich einander widersprechende Thesen Jahrzehntelang<br />

nebeneinander lagern, ja sogar als Wesen <strong>des</strong> gleichen<br />

System-Paradieses einander helfen können, beweist ja der Marxismus.<br />

Voraussetzung für solchen paradiesischen Zustand ist nur<br />

eben, daß sich die einander widersprechenden Thesen auf einen<br />

negativen Generalnenner geeinigt haben, auf etwas, gegen das<br />

beide Front machen. Und diesen negativen Generalnenner gab es<br />

ja, er bestand eben in der Religion, die sowohl den Freiheitsbewegungen<br />

wie den Naturwissenschaften als die Gegenfront galt. Wer<br />

als Sozialist gegen „supranatural" begründete Ansprüche ankämpfte,<br />

der glaubte damit eo ipso „für Natur" und Naturwissenschaften<br />

zu plädieren. <strong>Die</strong> „eisern notwendige" Natur wurde so<br />

paradoxerweise zum Schlagwort der Freiheit*<br />

In der Seele <strong>des</strong> Nihilisten ist freilich der Antagonismus Freiheit-Natur,<br />

den die Systeme neutralisierten, niemals ganz zur<br />

Ruhe gekommen. Sein hektisches Benehmen war Zeugnis dafür,<br />

daß da etwas mit der Wahrheit nicht in Ordnung war. In Worte<br />

übersetzt würde seine Unruhe so lauten:<br />

„Da ich nichts bin als ,Natur', bin ich unfrei."<br />

„Da ich Natur bin, bin ich frei — von allen Verboten."

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